Stellt man die Frage nach den Ursachen der Diskrepanz zwischen Forschungsstand und öffentlicher Meinung lohnt sich ein Blick auf die Darstellung der Wehrmacht und des Rußlandfeldzuges in bundesrepublikanischen Schulgeschichtsbüchern - und dies nicht nur aufgrund der profanen Erkenntnis, dass Bildungsgeschichte zugleich immer auch Gesellschaftsgeschichte ist (dies konstatierte schon 1884 Friedrich Paulsen in seiner "Geschichte des gelehrten Unterrichts" ). Der Fokus dieser Untersuchung richtet sich nicht zuletzt deshalb auf Schulbuchdarstellungen, da, um mit Wolfgang Jacobmeyer zu sprechen, "keine einzige der Rezeptionsformen von Geschichte in unseren Gesellschaften an Qualität und Quantität den Geschichtsunterricht und sein Hauptmedium, das Schulgeschichtsbuch erreicht." Nicht nur kann dem Schulgeschichtsbuch eine "staunenswerte Nutzungsgröße" in dem Sinne attestiert werden, als dass jeder, der das öffentliche Schulwesen passiert hat, von ihnen belehrt wurde (zwischen 1860 und 1960 mehr als 170 Millionen Kinder! ). Auch im qualitativen Sinne ist das Schulbuch "an Prägewirkung den ungleich flüchtigeren Massenmedien von Presse, Rundfunk und Fernsehen deutlich überlegen" , denn schließlich werden die Inhalte von Schulbüchern in besonders bildungsfähigem Alter und unter qualifizierter Kontrolle aufgenommen, ja es wird sogar geprüft, ob das zu vermittelnde Wissen tatsächlich erworben wurde, so dass gilt: "Wo Nationen ein Interesse an historischer Erinnerung haben, ist unwiderlegbar, daß ihre modernen Gesellschaften kein umfangreicheres Medium zur Überlieferung von Geschichte geschaffen haben, als das Schulgeschichtsbuch."
Der folgende Versuch, die verschiedenen Phasen der Darstellung der Rolle der Wehrmacht im Vernichtungskrieg vor dem Hintergrund ihrer jeweiligen gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen zu skizzieren, stützt sich neben einschlägigen Untersuchungen auch auf eigene Schulbuchanalysen. Herangezogen wurden darüber hinaus nur Werke für die Sekundarstufe I, da der Großteil der SchülerInnen ohnehin nicht die gymnasiale Oberstufe und dort die Geschichtskurse besucht haben wird.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Wehrmacht und Vernichtungskrieg in Schulbuchdarstellungen der unmittelbaren Nachkriegszeit (1945-1952)
- Die Rücknahme des Erreichten: Darstellungen seit Anfang der fünfziger Jahre bis Mitte der sechziger Jahre
- Die Wehrmacht in Schulgeschichtsbüchern seit 1968 bis Anfang der achtziger Jahre
- Erste Ansätze vertretbarer Darstellungen des Vernichtungskrieges seit Anfang der achtziger Jahre
- Darstellungen nach der „Wiedervereinigung" 1990
- Schlußbemerkung
- Literaturverzeichnis
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit analysiert die Darstellung der Wehrmacht und des Vernichtungskrieges im „Unternehmen Barbarossa" in bundesrepublikanischen Schulgeschichtsbüchern, um die Entwicklung des Geschichtsbewusstseins in der Bundesrepublik Deutschland zu beleuchten.
- Die Darstellung des Vernichtungskrieges in der unmittelbaren Nachkriegszeit
- Die Rücknahme des Erreichten in den 1950er und 1960er Jahren
- Die Rolle der Wehrmacht in den Schulbüchern seit 1968
- Erste Ansätze einer vertretbaren Darstellung des Vernichtungskrieges in den 1980er Jahren
- Die Darstellung der Wehrmacht nach der Wiedervereinigung
Zusammenfassung der Kapitel
Das erste Kapitel untersucht die Darstellung der Wehrmacht und des Vernichtungskrieges in Schulbüchern der unmittelbaren Nachkriegszeit (1945-1952). Es wird deutlich, dass der Geschichtsunterricht in dieser Zeit maßgeblich durch die alliierte Besatzungspolitik geprägt war und die Thematisierung des Nationalsozialismus und des Krieges gegen die Sowjetunion nur unzureichend erfolgte.
Das zweite Kapitel widmet sich den Schulbuchdarstellungen der 1950er und 1960er Jahre. Es wird gezeigt, wie der Trend zur Zurücknahme des Erreichten in der unmittelbaren Nachkriegszeit einsetzte und die Darstellung des Nationalsozialismus zunehmend von Schuldabwehr und Verharmlosung geprägt war. Die Rolle der Wehrmacht im Vernichtungskrieg wurde dabei weitgehend ausgeblendet.
Das dritte Kapitel beleuchtet die Darstellung des Vernichtungskrieges in Schulbüchern der 1960er und 1970er Jahre. Es wird deutlich, dass die Thematisierung des Völkermords an den Juden zwar zunehmend differenzierter erfolgte, die Darstellung des Krieges gegen die Sowjetunion jedoch weiterhin von Tabuisierung und Verharmlosung geprägt war.
Das vierte Kapitel analysiert die Schulbuchdarstellungen des Vernichtungskrieges seit Anfang der 1980er Jahre. Es wird gezeigt, wie die Aufnahme fachwissenschaftlich gesicherter Erkenntnisse über die Planung und Durchführung des Rußlandfeldzuges als Eroberungs- und Vernichtungskrieg in die Schulbücher Einzug hielt. Dennoch blieb die Mitverantwortung der Wehrmacht für den Vernichtungskrieg im Osten in den meisten Schulbüchern weiterhin ein Tabu-Thema.
Das fünfte Kapitel untersucht die Darstellung der Wehrmacht in Schulbüchern nach der Wiedervereinigung. Es wird deutlich, dass seit den 1990er Jahren Verbrechen der Wehrmacht und die Rolle der Wehrmacht im Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion von der großen Mehrheit der Schulgeschichtsbücher ausdrücklich angesprochen werden. Dennoch wird auch den aktuellen Schulbuchdarstellungen in dem Sinne weiterhin apologetische Tendenzen unterstellt, als sie in der Regel das ganze Ausmaß der Beteiligung der Wehrmacht am Vernichtungskrieg nicht hinlänglich deutlich machen.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter und Schwerpunktthemen des Textes umfassen die Wehrmacht, den Vernichtungskrieg, das „Unternehmen Barbarossa", den Nationalsozialismus, die Schulgeschichtsbücher, die Bundesrepublik Deutschland, das Geschichtsbewusstsein, die Tabuisierung, die Verharmlosung und die Schuldabwehr. Der Text beleuchtet die Darstellung des Krieges gegen die Sowjetunion in der bundesrepublikanischen Gesellschaft und die Entwicklung des Geschichtsbewusstseins in der Bundesrepublik Deutschland.
- Arbeit zitieren
- Florian Beer (Autor:in), 2002, Die Wehrmacht im Vernichtungskrieg - Darstellungen des "Unternehmens Barbarossa" in bundesrepublikanischen Schulgeschichtsbüchern, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/5186
-
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen.