Einleitung
Die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ist wohl in ihrem Verlauf einzigartig. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges 1945 wurde Deutschland von den Siegermächten in zwei Hälften geteilt und jedes Gebiet unterlag einem anderen politischen System. Während in Westdeutschland die USA, Großbritannien und Frankreich Politik und Wirtschaft beeinflussten, unterstand Ostdeutschland der Sowjetunion. Das Resultat waren zwei deutsche Staaten, die 1961 durch eine Mauer getrennt wurden. Die folgenden politischen Entwicklungen hatten großen Einfluss auf alle Bereiche der Gesellschaft, vor allem auch auf die Kunst und Kultur der Menschen. Als persönlichste Form der literarischen Rede gilt Lyrik, in der das "Ich" seinen Standpunkt zur Welt darstellen kann. So unterschiedlich sich beide Teile Deutschlands wirtschaftlich und politisch entwickelten, so verschieden waren die Gedichte, die in Ost- und Westdeutschland von 1945 bis zur Wiedervereinigung 1990 erschienen. Eines jedoch ist ihnen gemeinsam: Dichter galten als kritische Beobachter der Gesellschaft und hatten durch ihre Lyrik die Möglichkeit Missstände öffentlich anzuprangern und zu aktuellen Ereignissen persönlich Stellung zu nehmen. Welche Wirkung ein Gedicht dabei haben kann, erklärt Enzensberger folgendermaßen:
"Das Gedicht ist, in den Augen der Herrschaft (...), anarchisch; unverträglich, weil sie darüber nicht verfügen kann; durch sein bloßes Dasein subversiv. Es überführt, solange es nur anwesend ist, Regierungserklärung und Reklameschrei, Manifest und Transparent der Lüge" 1. Im Zuge des sozialen Wandels nutzten die Autoren ihre Chance mittels ihrer Gedichte Kritik an Staat und Bürgern üben zu können. Frühe politische Gedichte sind in Deutschland vereinzelt bereits in den 50er und 60er Jahren des 20. Jahrhunderts vorzufinden.
Aufgabe dieser Hausarbeit soll es nun sein, zwei dieser politischen Gedichte in einer vergleichenden Analyse gegenüber zu stellen und sie in ihren historischen Kontext einzuordnen.
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1 Hoffmann, Dieter: Arbeitsbuch Deutschsprachige Lyrik seit 1945, 2. Aufl., A. Francke Verlag Tübingen und Basel 2004, S.106.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Politische Hintergründe zur Entstehungszeit
3. Grundmotiv
4. Stilistische Merkmale und Inhalt
5. Autorenvergleich: Enzensberger und Brecht
6. Schlussbetrachtungen
7. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ist wohl in ihrem Verlauf einzigartig. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges 1945 wurde Deutschland von den Siegermächten in zwei Hälften geteilt und jedes Gebiet unterlag einem anderen politischen System. Während in Westdeutschland die USA, Großbritannien und Frankreich Politik und Wirtschaft beeinflussten, unterstand Ostdeutschland der Sowjetunion. Das Resultat waren zwei deutsche Staaten, die 1961 durch eine Mauer getrennt wurden. Die folgenden politischen Entwicklungen hatten großen Einfluss auf alle Bereiche der Gesellschaft, vor allem auch auf die Kunst und Kultur der Menschen. Als persönlichste Form der literarischen Rede gilt Lyrik, in der das „Ich“ seinen Standpunkt zur Welt darstellen kann. So unterschiedlich sich beide Teile Deutschlands wirtschaftlich und politisch entwickelten, so verschieden waren die Gedichte, die in Ost- und Westdeutschland von 1945 bis zur Wiedervereinigung 1990 erschienen. Eines jedoch ist ihnen gemeinsam: Dichter galten als kritische Beobachter der Gesellschaft und hatten durch ihre Lyrik die Möglichkeit Missstände öffentlich anzuprangern und zu aktuellen Ereignissen persönlich Stellung zu nehmen. Welche Wirkung ein Gedicht dabei haben kann, erklärt Enzensberger folgendermaßen:
„Das Gedicht ist, in den Augen der Herrschaft (...), anarchisch; unverträglich, weil sie darüber nicht verfügen kann; durch sein bloßes Dasein subversiv. Es überführt, solange es nur anwesend ist, Regierungserklärung und Reklameschrei, Manifest und Transparent der Lüge“[1]. Im Zuge des sozialen Wandels nutzten die Autoren ihre Chance mittels ihrer Gedichte Kritik an Staat und Bürgern üben zu können. Frühe politische Gedichte sind in Deutschland vereinzelt bereits in den 50er und 60er Jahren des 20. Jahrhunderts vorzufinden.
Aufgabe dieser Hausarbeit soll es nun sein, zwei dieser politischen Gedichte in einer vergleichenden Analyse gegenüber zu stellen und sie in ihren historischen Kontext einzuordnen. Wichtig war für mich bei der Auswahl der Gedichte, dass sie die damals gegenwärtigen Prozesse behandeln und in ihnen eine Kritik des Autors zum Ausdruck kommt. Als besonders charakteristische kritische Dichter gelten für mich dabei die Autoren Bertolt Brecht und Hans Magnus Enzensberger. Im Folgenden werde ich das Gedicht „Die Lösung“ (1953) von Brecht dem 1964 erschienenen Gedicht „Middle Class Blues“ von Enzensberger gegenüber stellen und dabei Gemeinsamkeiten und Unterschiede beider Gedichte analysieren.
In meinem ersten Gliederungspunkt soll es mir vor allem um die Darstellung des politischen Kontextes zur Entstehungszeit der Gedichte gehen, da diese nur im Hinblick auf Bezüge zu damaligen Entwicklungen zu verstehen sind. Welche gesellschaftlichen Ereignisse sind es, die sich Mitte der 50er Jahre in Ostdeutschland und Mitte der 60er Jahre in Westdeutschland abspielen? In welchen Lebensverhältnissen leben die Menschen zur damaligen Zeit in Ost und West? All diese Fragen sind Schwerpunkte meines ersten Gliederungspunktes. Anschließend möchte ich Unterschiede und Übereinstimmungen im Grundmotiv beider Gedichte herausarbeiten. Auf welche konkreten historischen Ereignisse beziehen sie sich und welche inhaltlichen Wesensgehalte lassen sich finden? Welchen Eindruck soll das Gedicht vermitteln? In meinem vierten Gliederungspunkt werde ich mich mit der Form der beiden Gedichte auseinandersetzen und ihre stilistischen Merkmale aufzeigen. Weshalb verwenden die Autoren den jeweiligen Titel und wie lässt sich ihre Wortwahl im Einzelnen deuten? Aufgrund der Dialektik von Form und Inhalt werde ich im Zuge dessen, von stilistischen Merkmalen ausgehend eine Inhaltsanalyse in vergleichender Darstellung vornehmen. Welche Wörter in den Gedichten stellen Bezüge zur Wirklichkeit her?
Des Weiteren werde ich die beiden Autoren in ihrer Art und Weise Kritik zu üben vergleichen und sie in den politischen Kontext ihrer Zeit einordnen. Wie definierten beide Dichter die Aufgabe eines Gedichtes? Welche Sicht könnten Brecht und Enzensberger auf die damalige Gesellschaft gehabt haben? Wie ist ihre Arbeit in das System, in dem sie lebten, einzuschätzen? Daran anknüpfend werde ich in meinem sechsten Gliederungspunkt die Aussageabsicht von Brecht und Enzensberger untersuchen. Mit welcher Intention schrieben die beiden Autoren ihre Gedichte? Wen wollen sie mit ihren Aussagen erreichen? Lassen sich Unterschiede in ihrer Schreibweise feststellen, die sich auf das jeweilige politische System in Ost und West zurückführen lassen?
Abschließend werde ich meine Ergebnisse zusammenfassen und Schlussfolgerungen aus meinem Gedichtvergleich ziehen. Auf welche Weise gelingt es den Autoren Kritik am politischen System und der Gesellschaft zu äußern? Welche Aspekte stehen bei ihrer Kritik im Vordergrund?
2. Politische Hintergründe zur Entstehungszeit
Mit 55 Jahren schrieb Bertolt Brecht 1953 seine Elegie „Die Lösung“ und bezog sich dabei auf den Arbeiteraufstand am 17. Juni 1953. Der in Augsburg geborene Schriftsteller verweigerte, nach einigen Exilaufenthalten während des Zweiten Weltkrieges, 1949 auf Grund marxistischer Überzeugungen die Wiedereinreise in den Westsektor. Deshalb ging Brecht nach Ost-Berlin, wo er zusammen mit seiner Frau Helene Weigel das Berliner Ensembles gründete. Um sich nicht für einen der beiden deutschen Staaten entscheiden zu müssen, blieb Brecht österreichischer Staatsbürger. Seit 1949 lebte Brecht in Ost-Berlin, arbeitete als Autor und verfolgte die politischen Entwicklungen.[2]
Im Jahr 1949 hatte sich die Deutsche Demokratische Republik gegründet, welche sich als Diktatur des Proletariats und als ein Arbeiter- und Bauernstaat verstand. Diese sozialistische Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung wurde nach sowjetischem Vorbild aufgebaut. Im Gegensatz zur ebenfalls 1949 gegründeten Bundesrepublik Deutschland basierte das System der DDR auf einem zentral gesteuerten Wirtschaftssystem mit Fünf-Jahres Plänen. Die politische Führung beschloss 1953 Normerhöhungen für die Arbeiter bei gleichem Lohnniveau einzuführen und veröffentlichte dies in der Gewerkschaftszeitung „Tribüne“. Daraufhin formierten sich Bauarbeiter am 16. Juni 1953, die an der Stalinallee und am Krankenhaus Friedrichshain arbeiteten, zu einem Demonstrationszug, um die Regierung zu einer Zurücknahme der Normerhöhungen zu bewegen. Ihnen schlossen sich weitere Demonstranten an, bis letztlich 10.000 Personen nach Walter Ulbricht und Otto Grotewohl verlangten. Als der Minister der Schwerindustrie die Zurücknahme schließlich bekannt gab, wurde er niedergeschrieen und Forderungen nach Rücktritt der Regierung und nach freien Wahlen wurden laut.[3] Die Demonstration verselbstständigte sich und nun wurden allgemeine Missstände des DDR-Regimes kritisiert. Da nur die SED (Sozialistische Einheitspartei Deutschlands) und ihre Blockparteien zur Wahl standen, verlangten die Demonstranten wirkliche Alternativen und drückten ihre Unzufriedenheit aus.
Brecht hörte in Buckow von den Unruhen und fuhr nach Berlin, wo er einen historischen Tag miterleben sollte: den 17. Juni 1953. Am Morgen dieses Mittwochs bildeten sich erneut Demonstrationszüge, die freie Wahlen und den Sturz der Regierung forderten. Gegen Tausende von Menschen wurden gegen Mittag sowjetische Panzer eingesetzt, die den Aufstand blutig und mit voller Brutalität niederschlugen. Um 13.30 Uhr wurde für den sowjetischen Sektor von Berlin der Ausnahmezustand erklärt und Versammlungen mit mehr als drei Personen verboten.[4]
Viele Menschen wurden bei diesem Vorgehen der SED verhaftet, verletzt und getötet. Der Vorfall wird noch lange als abschreckendes Beispiel für die DDR Bürger gelten und sie künftig von einer freien Meinungsäußerung abhalten. In diesem Kontext der unzufriedenen Arbeiter, die sich vom Staat unterdrückt fühlen, schriebt Brecht seine Elegie „Die Lösung“ in seiner Reihe der „Buckower Elegien“. Nach dem Arbeiteraufstand am 17. Juni 1953 fuhr Brecht wieder nach Buckow zu seinem Landhaus, „ein Arbeitsrefugium in idyllischer Umgebung“[5], und verarbeitete seine Erlebnisse literarisch.
Ganz im Gegensatz dazu steht das Gedicht „Middle Class Blues“ von Enzensberger im Zusammenhang mit der materiell abgesicherten bundesdeutschen Nachkriegsgesellschaft.[6] Seit 1945 hatte Amerika durch zahlreiche finanzielle Unterstützungen dafür gesorgt, dass die westlichen Sektoren einen enormen wirtschaftlichen Aufschwung erlebten. Besonders von diesen Entwicklungen profitierte die Mittelschicht, die im Zentrum des „Middle Class Blues“ steht. Dieser Prozess verstärkte sich zunehmend nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland. Anders als bei „Die Lösung“, welches thematisch den 17. Juni 1953 behandelt, lässt sich bei Enzensbergers Gedicht von 1964 kein konkreter Zeitpunkt feststellen, anlässlich dessen Enzensberger diese Zeilen verfasste. Vielmehr ist es ein größerer Zeitraum mit dem er sich in diesem Gedicht beschäftigt. Nach den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts, in denen faktisch eine Vollbeschäftigung realisiert war, stellt Enzensberger eine geistige Leere der folgenden Jahre fest.[7] In der völligen Konzentration auf Arbeit, Wachstum und Konsum finden die Menschen nur mäßige Zufriedenheit. „Hans Magnus Enzensberger“ war das Pseudonym unter dem Andreas Thalmayr dieses Gedicht mit 35 Jahren verfasste.
[...]
[1] Hoffmann, Dieter: Arbeitsbuch Deutschsprachige Lyrik seit 1945, 2. Aufl., A. Francke Verlag Tübingen und Basel 2004, S.106.
[2] Vgl. Hoffmann, Dieter: Arbeitsbuch Deutschsprachige Lyrik seit 1945, 2. Aufl., A. Francke Verlag, Tübingen und Basel 2004, S.389.
[3] Vgl. Hecht, Werner: Brecht Chronik 1898-1956, 2. Aufl., Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1997, S. 1063.
[4] Vgl. Hecht, Werner: Brecht Chronik 1898-1956, 2. Aufl., Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1997, S. 1064.
[5] Knobloch, Hans-Jörg/ Koopmann, Helmut (Hrsg.): Hundert Jahre Brecht – Brechts Jahrhundert?, Stauffenburg Verlag, Tübingen 1998, S. 113.
[6] Hoffmann, Dieter: Arbeitsbuch Deutschsprachige Lyrik seit 1945, 2. Aufl., A. Francke Verlag, Tübingen und Basel 2004, S.263.
[7] Ebd. S. 263.
- Citar trabajo
- Anónimo,, 2005, Politische Gedichte in Ost und West - Gedichtvergleich von Bertold Brechts 'Die Lösung' und Enzensbergers 'Middle Class Blues', Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/51519
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