Diese Hausarbeit intendiert in einer fundierten Gegenüberstellung der Tagelieder "Owê, sol aber mir iemer mê" Heinrichs von Morungen und "Sine klâwen durch die wolken sint geslagen" Wolframs von Eschenbach auf formal-struktureller, inhaltlicher und interpretatorischer Ebene, die Unterschiede und Besonderheiten der Ausgestaltung eines Tageliedes der beiden Autoren
insbesondere unter dem Aspekt der Figurenkonstellation, der Bildhaftigkeit und der Darstellung von Zeit aufzuzeigen.
Die Formal-Analyse erfolgt auf Grund der begrenzten Seitenzahlen nur knapp. Zunächst geht diese Arbeit auf Grundlegendes im Minnesangein. Im ersten Unterpunkt geht es sowohl um historische Ursprünge des Minnesangs im Konsens der heutigen Forschung, als auch um ein grundlegendes thematisches Verständnis der Bedeutung dieser Lyrikform. Im nächsten Unterpunkt geht es um die für Mediävisten essentielle Frage nach der allgemeinen Überlieferung der Texte in handschriftlicher Form.
Die Überlieferungsgeschichte der in dieser Hausarbeit thematisierten Autoren erfolgt gesondert und präziser in einem späteren
Arbeitsschritt. Anschließend schließt der theoretische Teil dieser Hausarbeit mit einer Erläuterung der gattungstheoretischen Hintergründe des Begriffs des Tageliedes und im Zuge der Fragestellung auch des Tageliedwechsels ab. Der Übergang von theoretischen Grundlagen hin zum analytischem Teil dieser Hausarbeit erfolgt insofern fließend, als dass im eben angesprochenen Teil bereits zwei Beispiele aus anderen Tageliedern Wolframs von Eschenbach und Heinrichs von Morungen zur Verdeutlichung einiger Sachverhalte herangezogen werden. In einem ausführlichen, analytischen Verfahren erfolgt dann die Bearbeitung der Tagelieder.
Die Analyse beginnt jeweils zunächst durch eine prägnante Darstellung des Forschungsstandes über Autor und Überlieferung seiner Werke. Anschließend Erfolgt jeweils eine analytische Darstellung des formalen Aufbaus und des Inhaltes, wobei der
Fokus klar auf die inhaltlichen Aspekte gerichtet ist. Im letzten Schritt erfolgt dann mit einigen Interpretationsansätzen der teils divergenten Thesen aus der Forschung die eigentliche Interpretation der Tagelieder. In einem letzten Schritt werden die Ergebnisse zusammengefasst und in Form eines Fazits gesichert.
I nhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Minnesang
2.1. Thema, Tradition und Forschung
2.2. Handschriftliche Überlieferung
2.3. Tagelied und Tageliedwechsel
3. Owê, sol aber mir iemer mê
3.1. Autor und Überlieferung
3.2. Formal-Analyse
3.3. Inhalts-Analyse
3.4. Interpretation
4. Sine klâwen durch die wolken sint geslagen
4.1. Autor und Überlieferung
4.2. Formal-Analyse
4.3. Inhalts-Analyse
4.4. Interpretation
5. Fazit
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Der Minnesang als höfisch-lyrische Kunstform wurde im Mittelalter einem Publikum von einem adelige Herren, gelegentlich einem Fürst selber und später auch kunstbewussten Berufsdichter als Lieder vorgetragen. Im Allgemeinen klagt darin das Sänger-Ich in artifizieller Form über seinen aussichtslosen Dienst und den moralischen wie gesellschaftlichen Wert seiner heimlichen Liebe und reflektiert diese. Minnesang erweist sich jedoch nicht nur in dieser Form als Faktor zeremonieller Herrscherdemonstration, als Bestandteil höfischer Gesellschaftlichkeit und als Medium adeliger Hofgesellschaft, die in der Rezeption dieser Dichtung zur Elite einer höfischen Gesellschaft wird.1
Das Tagelied, welches als besondere Untergattung des Minnesangs angesehen wird, befasst sich thematisch zwar auch mit der heimlichen, jedoch zugleich mit der erfüllten Liebe zwischen Mann und Frau. Aus Zeitgenössischer Perspektive, befasst sich diese Literaturform damit zwangsläufig mit einer verheerenden Gefahr für Leben und Ansehen der Betroffenen innerhalb der Ideologie der Hohen Minne. Gleichzeitig propagiert das Tagelied aber auch deren Überlistung und nimmt damit Stellung gegen die Forderungen von Enthaltsamkeit und Triebverzicht, ohne aber die Werte und Normen der Gesellschaft, die auf solche Forderungen aufbaut, in Frage zu stellen oder zu gefährden.2 Um anachronistischen Interpretationen zu vermeiden, ist für die Rezeption und Verständnis dieser lyrischen Kunstform ist aus heutigen Blickwinkel eine Vorstellung vom Begriff der „höfischen Liebe“, welcher auf den französischen Romanisten Gaston Paris zurückgeht. Im Jahr 1883 prägte er in einem Aufsatz über Lancelot von Chrétien de Troyes folgende Merkmale als Kennzeichen der höfischen Liebe: Die höfische Liebe sei demnach eine ungesetzliche und illegitime Beziehung zwischen Mann und Frau, welche deshalb auf höchste Geheimhaltung angewiesen ist. Sie verwirkliche sich in besonderen Verhaltensweisen, die zumeist auf der Unterordnung des Mannes, der sich als Diener seiner Dame betrachte und die Wünsche seiner Herrin zu erfüllen sucht, rekurrieren. Die höfische Dame fordert das Bemühen des Mannes, besser und vollkommener zu werden, um sich ihr gegenüber dadurch als würdig zu erweisen. Höfische Liebe bezeichnet er demnach eine Kunst eine Wissenschaft und eine Tugend, welche eigenen Gesetzen folge, die die beiden Liebenden zwingend beherrschen müssen.3
Im Zuge dieser semantischen Grundlage, intendiert diese Hausarbeit in einer fundierte Gegenüberstellung der Tagelieder Owê, sol aber mir iemer mê Heinrichs von Morungen und „ Sine klâwen durch die wolken sint geslagen“ Wolframs von Eschenbach auf formal-struktureller, inhaltlicher und interpretatorischer Ebene, die Unterschiede und Besonderheiten der Ausgestaltung eines Tageliedes der beiden Autoren insbesondere unter dem Aspekt der Figurenkonstellation, der Bildhaftigkeit und der Darstellung von Zeit aufzuzeigen. Die Formal-Analyse erfolgt auf Grund der begrenzten Seitenzahlen nur knapp. Zunächst geht diese Arbeit auf Grundlegendes im Minnesang ein. Im ersten Unterpunkt geht es sowohl um historische Ursprünge des Minnesangs im Konsens der heutigen Forschung, als auch um ein grundlegendes thematisches Verständnis der Bedeutung dieser Lyrikform. Im nächsten Unterpunkt geht es um die für Mediävisten essentielle Frage nach der allgemeinen Überlieferung der Texte in handschriftlicher Form. Die Überlieferungsgeschichte der in dieser Hausarbeit thematisierten Autoren erfolgt gesondert und präziser in einem späteren Arbeitsschritt. Anschließend schließt der theoretische Teil dieser Hausarbeit mit einer Erläuterung der gattungstheoretischen Hintergründe des Begriffs des Tageliedes und im Zuge der Fragestellung auch des Tageliedwechsels ab. Der Übergang von theoretischen Grundlagen hin zum analytischem Teil dieser Hausarbeit erfolgt insofern fließend, als dass im eben angesprochenen Teil bereits zwei Beispiele aus anderen Tageliedern Wolframs von Eschenbach und Heinrichs von Morungen zur Verdeutlichung einiger Sachverhalte herangezogen werden. In einem ausführlichen, analytischen Verfahren erfolgt dann die Bearbeitung der Tagelieder „Owê, sol aber mir iemer mê“ und „ Sine klâwen durch die wolken sint geslagen“. Die Reihenfolge der Lied-Analysen ist dabei keinesfalls mit Persönlichen Wertungen verbunden, sondern orientiert sich im Konsens der Forschung an literaturhistorisch-chronologischen Strömungen der Minnesangs-Untergattungen, die an späterer Stelle noch erläutert werden. Die Analyse beginnt jeweils zunächst durch eine prägnante Darstellung des Forschungsstandes über Autor und Überlieferung seiner Werke. Anschließend Erfolgt jeweils eine analytische Darstellung des formalen Aufbaus und des Inhaltes, wobei der Fokus klar auf die inhaltlichen Aspekte gerichtet ist. Im letzten Schritt erfolgt dann mit einigen Interpretationsansätzen der teils divergenten Thesen aus der Forschung die eigentliche Interpretation der Tagelieder. In einem letzten Schritt werden die Ergebnisse zusammengefasst und in Form eines Fazits gesichert. Die primär-literarische Grundlage dieser Hausarbeit bildet zu jedem Zeitpunkt, in dem aus einem Tagelied (mit Angabe von Strophe(n) und Vers(en)) zitiert wird, die in der folgenden Fußnote angegebene, aktuellste Auflage des Minnesangs Frühling, die der Lachmann-Zählung als Verständigungsgrundlage der Forschungsliteratur folgt.4
2. Minnesang
2.1 Thema, Tradition und Forschung
Minnesang als höfische Kunstform wurde bis ins spätere Mittelalter nahezu ausschließlich an Adelshöfen rezipiert und diente Zeitgenossen neben dem vergnüglichen bzw. unterhaltenden Zweck auch anderen Intentionen: Die Verfeinerung von Sitten und Gebräuchen, das höfisch-distanzierte zwischengeschlechtliche Miteinander und möglicherweise sogar das entdecken eines neuartigen Gefühls der Liebe finden in der lyrischen Kunstform des Minnesangs. Mit seiner höchst variantenreicher Themenvielfalt dient der Minnesang also im gleichen Maße der Selbstvergewisserung der kulturtragenden Gesellschaftsschicht, wie dem Aspekt der Unterhaltung.5
Die Gegenwärtige Forschung wendet sich in Bezug auf Entstehungstheorien unterschiedliche Ansatzpunkte und Erklärungsmodellen zu. So suggeriert Schweikle, den Minnesang als Metapher zu betrachten, bei der dessen Entwicklung als Flusssystem anzusehen ist, welches aus mehreren Quellbereichen entspringt und sich durch vielfältige Zuflüsse zu einem breiten Strom ausweitet. Jene Metapher steht im Kontrast zu den Ansätzen der monokausalen Ursprungstheorien, die in früherer Forschung häufig praktiziert wurden. Neuere Diskurse befassen sich thematisch mit Dingen, bei denen das Realitätsproblem im Vordergrund steht: Der Minnesang wird - wie manch andere Gattung - als Nachzeichnung oder Widerspiegelung einer realhistorischen Veränderung der Geschlechterbeziehungen diskutiert.6 Die überlieferten Minnesang-Texte rekurrieren dabei stets auf unterschiedliche Literatur-Traditionen: Mit der antiken griechischen und römischen Liebeslyrik, der arabischen und mittellateinischen Lyrik und insbesondere der nord- und südfranzösischen Troubadour - und Trouvéredichtung ergeben sich umfangreiche und ambivalente Vorlagen für den nach heutiger Forschung angenommen Ursprung des Minnesangs. Zusätzlich zu den genannten weltlich-lyrischen Vorlagen, zeigt die im späteren 12. Jahrhundert entwickelte Marienlyrik auf Grund von Parallelen in Wortwahl und Rhetorik dass einseitige Ursprungstheorien der Minnesangslyrik unrealistisch sind.7 In der Begriffsdefinition des Lexikons des Mittelalters wird der Minnesang prägnant als die höfische Liebeslyrik des Mittelalters definiert.8 Minnesang bezeichnet einen wesentlichen Typen deutschsprachiger Lyrik des Mittelalters, dessen Anfänge sich im letzten Drittel des 12. Jahrhunderts ausmachen lassen. Mit guten Gründen kann man dann gegen Ende des 13. Jahrhunderts eine Zäsur ausmachen: Stil, Formen und Themen verändern sich deutlich und die Periode von gut 120 Jahren Liebesdiskurs in lyrischer Form gehen in andere über. Minnesang ist eben nicht nur das Besingen einer Frau, also das Sprechen in einer Mann- Frau Relation, sondern umfasst auch das definitorische Umkreisen zentraler Begrifflichkeiten der Geschlechtskultur, wie etwa die Frage nach Idealen von Mann und Frau, definitorische Fragen nach Schönheit, Tugenden, Erotik und generellen Verhaltensweisen im Kontext der Gesellschaft.9
2.2. Handschriftliche Überlieferung
Der Minnesang erschien dem höfischen Rezipientenkreis, wie es der Bezeichnung dieses literarischen Themenkomplexes impliziert, in lebenspraktischer Hinsicht primär als Phänomen der Vortragskunst. Schweikle weist darauf hin, dass der Minnesang, auch wenn er vermutlich zunächst vom Autor selbst gesungen und vorgetragen wurde, getrennt von der Tradierung der Texte außerhalb des Vortrages zu betrachten ist. Die vorgetragenen Lieder müssen nämlich von Anfang an auf schriftlichen Aufzeichnungen des Autos basiert haben. Von Aufzeichnungen über die mündliche Tradierung des Minnesangs hat die Forschung ebenso wenig Kenntnis wie über einen Großteil der schriftlichen Überlieferungsgeschichte, da die Überlieferung zum Teil deutlich später einsetzt als die mutmaßliche Entstehung einzelner Strophen oder Lieder.10 Bein weist darauf hin, dass zwischen Entstehung und der aus heutiger Perspektive noch greifbaren Verschriftlichung eines Textes über 100 Jahre liegen können. Die meisten Minnesang-Texte sind der Forschung in drei großen Sammelhandschriften überliefert: Die (kleine) Heidelberger Liederhandschrift A ist um 1270 im Elsaß entstanden und überliefert 35 namentlich genannte Autoren; in einem Anhang finden sich weitere 60 Strophen ohne Namen. Die Weingartner Liederhandschrift B entstammt dem 1. Viertel des 14. Jahrhunderts aus dem Bodenseeraum und überliefert Lyrik von 25 namentlich genannten Autoren. Die mit Abstand bedeutendste Lyrik-Sammelhandschrift ist die große Heidelberger Liederhandschrift C (auch Codex Manesse genannt). Die Aufzeichnung der Lyrik wurde etwa um 1300 begonnen und bis etwa 1330-1340 fortgesetzt. Insgesamt sind dort 140 Autoren vertreten. Neben diesen großen Sammlungen gibt es freilich auch kleinere und fragmentarische sowie solche, die auf einzelne Autoren konzentriert sind.11
2.3. Tagelied und Tageliedwechsel
Im Folgenden soll ein Verständnis für die Minnesangs-Untergattung Tagelied geschaffen werden. Da die Fragestellung dieser Hausarbeit sich jedoch - zumindest mit Heinrich von Morungen - nicht ausschließlich auf traditionelle Tagelieder bezieht, wird die Sonderform des Tageliedwechsels ebenfalls miteinbezogen. Christoph Cormeau verweist mit Blick auf die pragmatisch- systematischen Zusammenhänge der unterschiedlichen Liedtypen des Minnesangs darauf, dass die vorherrschende, meist als Klage getönte reflektierende Minnekanzone und das Tagelied ohnehin zusammen überliefert, von den gleichen Autoren verfasst und nach Kenntnis der heutigen Forschung auch zu gleicher Gelegenheit vor einem höfischen Publikum aufgeführt worden sind. 12 Das Lexikon des Mittelalters definiert das inhaltliche Kern-Handlungsspektrum des Tageliedes kurz als Trennung eines (adligen) Liebespaares nach einer gemeinsam verbrachten Nacht.13 Auch Schweikle sieht die Figurenkonstellation und Handlung zwischen zwei Liebenden und den Tagesanbruch als feste Strukturelemente des mittelhochdeutschen Tageliedes. Als Merkmal auf der struktuellen Ebene bestimmt er die Dreistrophigkeit des Tageliedes mit einem häufig am Ende auftretendem Refrain. Ferner weist er auf die Divergenz in der Fiktionalität der unterschiedlichen Tageszeiten hin. Während die sprachliche Ausgestaltung in der Nacht sehr positiv gehalten wird, wirkt der Tagesanbruch viel stärker realitätsorientiert.14 Im Gegensatz zur Minnekanzone fehlt dem Tagelied das lyrische Ich, wodurch sich die Figurenkonstellation verändert: Die weibliche Figur, die bei der klassischen Minnekanzone eher eine passive Rolle einnimmt und durch das monologisierte Selbstgespräch des Mannes zumeist keinen oder nur einen sehr geringen Sprechanteil besitzt, rückt beim Tagelied nun mehr in den Vordergrund. Als erster Vertreter der eben beschriebenen Art des Tageliedes gilt Wolfram von Eschenbach: Gestalterisch und formal auf qualitativ höchstem Niveau steht das Tagelied nur bei Wolfram im Mittelpunkt der lyríschen Produktion. Er gestaltet bildmächtige Szenen des Tagesanbruchs und nutzt die Möglichkeiten der Wächterrolle als Beobachter der Liebenden aus gesellschaftlicher, aber nicht öffentlicher Sicht und konzentriert die Spannung aus Trennung und Begehren in einer letzten, unvergleichlichen Vereinigung der Liebenden.15 In Wolframs Den morgenblic beginnt der Tagesanbruch auf figuraler Ebene zunächst bei der Dame, welche daraufhin zu klagen beginnt: „ ôwê tac!; Wilde und zam daz vrewet sich dîn; und siht dich gérn, wán ich eine. wie sol iz mir ergên!" (Str. 1, V. 6 ff.) Das aufstrebende Tageslicht kontrastiert sich dem Rezipienten dadurch ins einen negative Gegenstück zur Nacht, in der das Beisammensein mit dem Geliebten in relativer Sicherheit noch gewährleistet ist. Das Tagelied nach Wolfram also reflektiert in besonderer Weise die erfüllte höfische Liebe, wobei die Leidthematik - inhaltlich anders gefüllt und gegenseitig - in der Trennung präsent bleibt. Auf der figuralen Ebene zeigt sich eine Trias zwischen den Figuren Wächter, Dame und Ritter. Die Figur des Wächters, dessen inhaltliche Funktion in den Tageliedern darin besteht, dass Liebespaar von außerhalb durch seinen Wächterruf zu wecken und damit zu warnen.16 Das realitätsferne personale Dreiecksverhälntnis ist ein unübersehbares Fiktionalitätssignal und schafft Raum zur besonderen lyrischen Ausgestaltung, während die Wächterrolle ein häufig genutztes Medium der Vermittlung zwischen Innen- und Außenperspektive des Liebespaares und dem höfischen Publikum.17
Das Wächterlose Tagelied von Heinrich von Morungen stellt jedoch nicht nur durch das nicht Vorhandensein der Wächterfigur und der für das Tagelied ungewöhnlichen Form (Kanzonenform) eine lyrische Sonderform dar. Um die höchst untypische Mach-Art und bemerkenswerte Qualität der Lyrik Morungens nachvollziehen zu können muss ein generelles Verständnis von der Gattung des Wechsels vorhanden sein, da Morungens Tagelieder durchaus aus Synthese-Form der beiden Gattungen (Tagelied und Wechsel) verstanden werden können. In einem Tagelied bei Morungen vollzieht sich die Kommunikation gemäß der Lyrikform des Wechsel. Daher reden Mann und Frau abwechselnd, was aber wohl nur als Rollenspiel eines männlichen Vortragenden zu denken ist, da sie nicht zueinander sprechen. Es ist allein der Rezipient, der beide Reden vernimmt und über eben dieses Mehrwissen des Rezipienten konstituiert sich der spezifische Reiz dieses Liedtyps. 18
Schweikle beschreibt den Wechsel als Liedtypus, in dem eine Frauen- und eine Mannesklage kombiniert sind. Jeweils strophenweise, bekennen Mann und Frau im Wechsel ihre Sehnsucht und Liebesbereitschaft und beklagen die geringe Resonanz beim Gegenüber. Dabei führen sie allerdings keinen Dialog miteinander, sondern monologisieren jeweils übereinander. Er verweist auf die Besonderheit, dass die Verbindung mit der Tagelied -Thematik ausschließlich bei Heinrich von Morungen erfolgte.19 Diese kommunikative Störung führt zwangsläufig dazu, dass die Protagonisten aneinander vorbei reden. In Heinrich von Morungens Ich bin keiser âne krône zeigt sich jene Konsequenz deutlich:
„Mirst daz herze worden swaere.
seht, daz schaffet mir ein sende nôt.
ich bin worden dem unmaere,
der mir dicke sînen dienest bôt.
Owê, war umbe tuot er daz?
und wil er sichs erlouben niht,
sô muoz ich im von schulden sîn gehaz." (Str. 3, V.1- 7)
Der weiblichen Rolle ist der negative Gemütszustand anzusehen: Sie ist der Meinung, dass sie ihrem Angebetetem fremd und gleichgültig geworden sei. Im Gegensatz dazu hat er sie schon längst zur Herrin erkoren und schwört aufrichtig, ihr immer treu zu bleiben: „ dur die sô wil ich staete sin,; wan ich gesach nie wîp sô rehte guot" (Str. 1, V. 5 f.). Besonders bei Heinrichs von Morungens Wechseln fällt auf, dass fast nur die Frau an der Liebe des Partners zweifelt. Häufig beklagt sie jenen Misstand, während er von seinen Gefühlen zu ihr spricht. Einzig bei Morungens Tagelied fällt auch er in ihren Klageruf ein – natürlich mit räumlicher Distanz – und ist sich nicht im Klaren darüber, ob er sie noch einmal sehen wird.20 Bei der Bewertung der jeweiligen Männer- und Frauenrolle ist natürlich von Bedeutung, welche Funktion das Wechsel-Lied eigentlich verfolgt. Auf Grund des häufig sehr divergenten Interpretations-Potenzials kann jedoch nicht auf ausschließlich eine Funktion geschlossen werden, was sich anhand der folgenden Analyse zeigen wird.
3. Owê, sol aber mir iemer mê
3.1. Autor und Überlieferung
Heinrich von Morungen nannte sich vermutlich nach der Burg Morungen bei Sangershausen in Thüringen. Er wird mit einem Ministerialgeschlecht in Verbindung gebracht, welches seit 1226 in dieser Gegend urkundlich bezeugt ist. Es wird angenommen, dass seine Person mit dem urkundlich- historisch beglaubigten Henricus de Morungen identisch ist, welcher eben diesen Urkunden gemäß von der Forschung auf Anfang des 13. Jahrhunderts datiert werden. Heinrich von Morungen ist einer der bedeutendsten Repräsentanten des klassischen Minnesangs. Seine Lieder weisen nicht nur auf einen hohen und vielfältigen Bildungsstand hin, sondern lassen auch noch auf eine bemerkenswerte Vertrautheit mit der romanischen Lyrik schließen.21 Er schöpfte ebenso aus seinem Wissen über antike Mythologie, wie aus der christlich-religiösen Vorstellungstradition und knüpfte Stiltechnisch an die Troubadourkunst wie an kirchliche Hymnen und Mariendichtungen an. Im Rahmen des Minnesangs zeichnen sich seine Lieder durch einen prägnanten Personalstil aus: Geläufige Minnesangs-Motive und Topoi werden in besonderer Weise eingesetzt und bildlich- visuell versinnlicht. So erscheinen verschiedenartige Vorstellungsbereiche metaphorisch verschmolzen und bisweilen mehr oder weniger gekonnt transzendiert. Sein zentrales Themenspektrum sind die starke Bindung des Sängers an die geliebte Herrin und die künstlerische Tätigkeit des Gesangs. Die gesellschaftsbezogene Funktion des Minnesangs als künstlerisches Medium zur Selbstreflexion wird besonders deutlich, indem der Sänger über die Wirkung von Schönheit, Bewusstloswerden, Schweigen, Leiden und dessen Kundgabe im Lied spricht.Die überlieferten lyrischen Sammelhandschriften enthalten von Heinrich von Morungen insgesamt 115 Strophen, die sich auf 35 Töne bzw. Lieder verteilen. Ein besonders charakteristisches Merkmal für seine Lyrik auf der strukturellen Ebene ist ein tiefgehendes Verständnis für strukturbezogene Formkunst und Klangsensibilität, die sich sowohl auf seine Vers- als auch auf seine Reimtechnik erstreckt. Die überlieferten Texte sind, im Gegensatz zu denen anderer Minnesänger, in ihrer Echtheit philologisch besonders authentisch und wenig umstritten. Die vielzähligen Versuche, eine chronologische Entstehungsreihenfolge der Lieder zu ermitteln, blieben fragwürdig und umstritten.22 Literaturhistorisch ordnet man sein literarisches Schaffen neben Reinmar und Hartmann von Aue der dritten Phase des Minnesangs (1190 - 1210/ 1220), wobei sich Erscheinungsbild des Minnesangs aufspaltet: Jeder Dichter hat ein unverwechselbares Profil gemeinsam: Während Reinmar sich seinen Kernthemen wie Spiritualisierung, Ästhetisierung des Leids und die Betonung des Dienens in Form von Minnereflexion und Entsagungsminne zuwendet, fokussiert sich Hartmann mit einer ethisierenden Betonung des Minnedienstes eher auf didaktischer Grundzüge. Im Zuge dieser Subsumierungs-Ansätze charakterisiert Heinrich von Morungen vor allem der Fokus auf die Sensualisierung: Er entwirft sein Verständnis von Minne als magisch- mythische Gewalt. Ebenfalls charakterisiert seine Lyrik eine starke Lichtmetaphorik und thematisch der Topos des Liebeskrieges. Als Gemeinsamkeiten des literarischen Schaffens aller drei genannten Autoren sind die virtuose Weiterentwicklung des Formenstatus und die Hohe-Minne-Ideologie zu nennen.23
[...]
1 Peters, Ursula: Minnesang als „poésie formelle". Zur Adaptation eines literaturwissenschaftlichen Paradigmas, in: Susanne Bürkle: Von der Sozialgeschichte zur Kulturwissenschaft. Aufsätze 1973- 2000. Tübingen/ Basel (u.a.) 2004, S. 59- 74, S. 73 f.
2 Ranawake, Silvia: Art. Tagelied, in: Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte³ Bd. 3, Berlin/ New York 2003, S. 577- 580.
3 Bumke, Joachim: Höfische Kultur. Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter, München11 2005, S. 503 ff.
4 Moser, Hugo; Tervooren, Helmut: Des Minnesangs Frühling Bd. 1. Texte38 erneut rev. Auflage, Stuttgart 1988.
5 Bein, Thomas: Germanistische Mediävistik. Eine Einführung² (Grundlagen der Germanistik / 35), Berlin 2005, S. 140 ff. (Im Folgenden zitiert als: Bein: Einführung).
6 Schweikle, Günther: Minnesang (Sammlung Mezler / 244), Stuttgart² (u.a.) 1995, S. 73 - 78. (Im Folgenden zitiert als: Schweikle: Minnesang).
7 Bein: Einführung, S. 138 ff.
8 Mertens, Volker: Art. Minnesang (English title: Minnesang), in: Lexikon des Mittelalters 6 (1993), Sp. 647- 651 (Im Folgenden zitiert als: Mertens: Minnesang).
9 Bein: Einführung, S. 138 ff.
10 Schweikle: Minnesang, S. 24.
11 Bein: Einführung, S. 139.
12 Cormeau, Christoph. Zur Stellung des Tagelieds im Minnesang, in: Johannes Janota (Hg.): Festschrift Walter Haug/ Burghart Wachinger 2, Tübingen 1992, S. 695- 708, S. 696 (Im Folgenden zitiert als: Cormeau: Stellung des Tagelieds).
13 Schiewer, Hans-Jochen: Art. Tagelied, in: Lexikon des Mittelalters 8 (1997), Sp. 427- 428 (Im Folgenden zitiert als: Schiewer: Tagelied).
14 Schweikle: Minnesang, S. 135- 139.
15 Schiewer: Tagelied, Sp. 427- 428.
16 Cormeau: Stellung des Tagelieds, S. 700- 703.
17 Schiewer: Tagelied, Sp. 427- 428.
18 Bein: Einführung, S. 142.
19 Schweikle: Minnesang, S. 131 f.
20 Cormeau: Stellung des Tagelieds, S. 702- 706.
21 Kasten, Ingrid; Kuhn, Margherita (Hgg.): Deutsche Lyrik des frühen und hohen Mittelalters: Text und Kommentar (Deutscher Klassiker-Verlag im Taschenbuch / 6), Frankfurt am Main 2005, S. 747 f. (Im Folgenden zitiert als: Kasten: Lyrik).
22 Schulze, Ursula: Art. Heinrich, von Morungen, 13th cent., in: Lexikon des Mittelalters 4 (1989), Sp. 2101- 2102.
23 Schweikle: Minnesang, S. 86 f.
- Arbeit zitieren
- Anonym,, 2015, Konzeptionelle Unterschiede eines mittelhochdeutschen Tageliedes Heinrichs von Morungen und Wolframs von Eschenbach, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/515103
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