In der Arbeit betrachtet der Autor die Veränderungen der Kindheitsbedingungen in den letzten Jahrzehnten, die Problematik des öffentlichen Raumes für Kinder und deren soziale Beziehungen. In erster Linie bezieht sich der Autor hierbei auf "Orte und Zeiten der Kinder" von Hartmut J. Zeiher und Helga Zeiher und auf "Der Lebensraum des Großstadtkindes" von Martha Muchow und Hans Heinrich Muchow. Des Weiteren werden Vergleiche und Standpunkte aus der Arbeit "Die Großstädte und das Geistesleben" von Georg Simmels herbeigezogen
Hierfür gibt der Autor einen kurzen Einblick in die Sozialstruktur Deutschlands, insbesondere auf den Strukturwandel der Familie. Das soll veranschaulichen, wo die Entdeckung der Kindheit entstand und in welcher Weise die Altersstruktur einen Einfluss auf die Bevölkerung ausübt. Anschließend geht der Autor auf die die Faktoren Raum und Zeit in der Kindheit ein.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
2. Die historische Ausgangssituation
2.1. Die Sozialstruktur Deutschlands
2.2. Kindliche Lebenswelten
2.2.1.Kinder in "postmodernen" Gesellschaften
2.2.2. Die ökonomische Situation von Kindern
2.2.3. Kinder als Gegenstand wissenschaftlicher Betrachtung
3. Orte und Zeiten der Kinder
3.1. Veränderung räumlicher Bedingungen in den letzten Jahrzehnten
3.2. Funktionstrennung und Spezialisierung
3.3. Öffentlicher Raum
3.4. Die Straße als Lebensraum
3.5. Die Verinselung - Zwei Lebensraum Modelle
3.6. Zeitraster der Kindheit
Literaturverzeichnis
Einleitung
In der folgenden Arbeit möchte ich die Veränderungen der Kindheitsbedingungen in den letzten Jahrzehnten, die Problematik des öffentlichen Raumes für Kinder und deren soziale Beziehungen näher betrachten. In erster Linie beziehe ich mich hierbei auf Hartmut J. Zeiher, Helga Zeiher: „Orte und Zeiten der Kinder“ (1994), werde aber auch auf einen Versuch von Martha Muchow, Hans Heinrich Muchow aufgeführt in "Der Lebensraum des Großstadtkindes"(1998) eingehen und einige Vergleiche und Standpunkte Georg Simmels herbeiziehen aus seiner Arbeit "Die Großstädte und das Geistesleben".
2. Die historische Ausgangssituation
2.1. Die Sozialstruktur Deutschlands
Zu Beginn möchte ich einen kurzen Einblick in die Sozialstruktur Deutschlands geben, insbesondere auf den Strukturwandel der Familie. Das soll veranschaulichen, wo die Entdeckung der Kindheit entstand und in welcher Weise die Altersstruktur einen Einfluss auf die Bevölkerung ausübt, denn das Thema des sogenannten Generationenkonfliktes ist gerade ein sehr aktuelles Thema in der Gesellschaft und Politik.
Ein Symptom des Übergangs von der ständischen Gesellschaft zur Industriegesellschaft ist die starke Veränderung in den Funktionen und Strukturen der Familie. Sie bildete nicht nur eine soziale Einheit, war nicht nur ein tragendes Bauelement des vorindustriellen Sozialgefüges, sondern stellte auch eine politische, rechtliche und vor allem wirtschaftliche Einheit dar. Diese produzierte primär für die Selbstversorgung. Die Familie war patriarchalisch strukturiert. Ein Nebeneinander von unterschiedlichen Familienformen gab es bereits vor dem Beginn der Industrialisierung. Die Struktur und Funktion der Familie, also ihr zwischenmenschliches Verhältnis und die Beziehungen, auch zwischen Eltern und Kind, Mann und Frau waren stark mit der Erwerbstätigkeit der verschiedenen Bevölkerungsgruppen verknüpft.
In den Städten reifte im 18. und 19. Jahrhundert der Typ der bürgerlichen Familie heran, der sich von Bauern- und Handwerkerfamilien darin unterschied, dass Wohnung und Arbeitsstätte getrennt waren. Ein wesentliches Element des bürgerlichen Familienleitbildes war die "Entdeckung der Kindheit" (Philippe Aries). Diese lässt sich in einer neuen Einstellung zur Kindheit und Erziehung erklären. Der Erziehungsstil lockerte sich und Kinder, deren Zahl zurückging, galten als eigene personale Individualitäten, wurden ökonomisch von der Arbeit entlastet. Allerdings war die bürgerliche Familie im 19. Jahrhundert nur sehr gering vertreten und die Realität der Familie blieb hinter deren Ideal zurück.(R. Geißler 2002, S. 45)
2.2. Kindliche Lebenswelten
2.2.1.Kinder in "postmodernen" Gesellschaften
Im Folgenden werden einige empirische Daten zum Anteil der Kinder an der Gesamtpopulation dargestellt. (Wilk, Bacher 1994, 5) Während der letzten Jahrzehnte ist der Anteil der älteren Personen (65 Jahre und älter) in fast allen westlichen Industrieländern gestiegen. Der Anteil der Kinder (0 bis 14 Jahre) hingegen hat abgenommen. Die europäischen Vergleichsdaten beziehen sich auf die im Projekt "Childhood as a Social Phenomenon" erfassten Länder.
1950 betrug der Anteil der Kinder an der Gesamtpopulation noch 23 Prozent, bis 1990 sank er auf nur noch 15 Prozent (Engelbert/Buhr 1991: 33). Der Anteil der Fünfzehnjährigen sank in Österreich in den letzten 100 Jahren von 30 Prozent im Jahre 1890 auf 17,5 Prozent (1991). Das statistische Zentralamt schätzt den Anteil für das Jahr 2004 auf 13 Prozent (ÖStZ 1992a: 695). Der Anteil der älteren Menschen ab 60 Jahre hat im selben Zeitraum von 9 auf 20 Prozent stark zugenommen. Dies zeigt auf das die kindliche Population in beinah allen westlichen Industrieländern um die Hälfte bis zwei Drittel gesunken ist (Jensen/Saboriti 1992: 14).
2.2.2. Die ökonomische Situation von Kindern
Global betrachtet ist zu erkennen, dass die Kinder viel geringer am materiellen und immateriellen Reichtum unserer Gesellschaft teilhaben als Erwachsene. Die folgenden Faktoren sollen die ökonomische Benachteiligung von Kindern verdeutlichen: Haushalte ohne Kinder erzielen über alle Sozialschichten hinweg ein besseres Pro-Kopf- Einkommen als die ohne Kinder (Badelt 1990, S. 161). Diese Divergenzen werden besonders deutlich in den Randbereichen der Einkommensverteilung, wie zum Beispiel in Arbeiter-Alleinverdiener-Haushalten. Viele Kinder sind in hochindustrialisierten Gesellschaften heute noch von der Armut bedroht. Eine weitere Gruppe der ökonomisch stark benachteiligten Kinder stellen die in Einelternfamilien lebenden, sowie Kinder deren Eltern Landwirte sind dar.
2.2.3. Kinder als Gegenstand wissenschaftlicher Betrachtung
Kinder wurden in der Vergangenheit vorwiegend von Seiten der Psychologie, Pädagogik und der Sozialisationsforschung betrachtet. Erst seit wenigen Jahrzehnten stellt "Kindheit" im deutschsprachigen Raum einen häufiger thematisierten Forschungsbereich dar (vgl. (Wilk, Bacher 1994, S. 11).
Die analysierten Vorgänge und deren gesellschaftliche Bedingtheit in der Sozialisationsforschung stellen zwar einen wichtigen Ausschnitt kindlichen Lebens dar, werden aber in der Betrachtung eingeengt. Nicht das Kind steht im Mittelpunkt des Interesses, sondern das erwachsene Individuum, das es einmal sein wird. Kindheit wird also eigentlich als Mangelsituation gesehen. Sie stellt eine Übergangsphase dar, die überwunden werden muss und dem Zweck der Erzeugung eines Gesellschaftsmitgliedes dient.
Das "neue" Paradigma des Studiums von Kindheit ist gekennzeichnet dadurch, dass Kinder nicht als "Werdende", sondern als hier und jetzt so "Seiende", als Subjekt betrachtet werden. Das Kind wird als Kind ernst genommen, Kindheit wird als eigenständiger sozialer Status verstanden (Honig 1990).
3. Orte und Zeiten der Kinder
3.1. Veränderung räumlicher Bedingungen in den letzten Jahrzehnten
Im Zweiten Weltkrieg wurde die räumliche Umwelt vieler Menschen durch Zerstörung und Vertreibung radikal verändert und viele Spezialisierungen der Räume wurden vorübergehend aufgehoben. In den Jahren um 1945, nach Kriegsende herrschte vergrößerte Wohnungsnot und Kinder spielten vermehrt im Freien.
In der Wiederaufbauphase, nach der Währungsreform 1948 wurde der Wohnungsbau zwar mit öffentlichen Mitteln vorangetrieben, für die Kinder blieb allerdings nicht viel Platz und Zeit. Die räumlichen Bedingungen im Elterhaus waren sehr beschränkt und auch durften Kinder die Ästhetik und Ruhe nicht stören. Die Bedürfnisse der Erwachsenen hatten stets Vorrang. Der Wiederaufbau beschränkte sich hier zunächst nur auf Wohnungsbau, Einrichtungen der sozialen Infrastruktur wurden vernachlässigt (Göschel 1980).
Die ersten in der Nachkriegszeit erbauten Spielplätze entstanden oftmals eher als Renommierungseinrichtungen der Gemeinden innerhalb neugeschaffener Grünanlagen, als aus sozialpolitischen und pädagogischen Gründen. Aus dem zunehmenden Dilemma zwischen Gefährdung draußen und Isolation drinnen entstand dann aber ab Ende der 50er die Notwendigkeit, für Kinder geschützte Räume außerhalb der Familienwohnung auszugrenzen.
3.2. Funktionstrennung und Spezialisierung
Zunehmend wurde in den sechziger und Anfang der siebziger Jahre beobachtet, wie Räume spezialisiert und Spezialräume voneinander abgegrenzt wurden. Fahrbahnen wurden vergrößert, dichter befahren, Freiflächen wurden zu Parkplätzen, Fußgängerwege verschmälert. Kleine Läden, sogenannte Tante- Emma- Läden wichen den großen Supermärkten.
In den alten Kernen der kleinen Orte gaben viele bäuerliche und handwerkliche Betriebe auf, manche vergrößerten sich auch und bauten am Ortsrand neu. Auch Landschaften veränderten sich. Das gewohnte ländliche und historische Bild der Kleinstädte und Dörfer wurde modernisiert und dekorativ gestaltet. Straßen wurden asphaltiert, Felder streng ein- und abgeteilt, Naturparks, Ferienparks, Naherholungsgebiete in Städten wurden aufgeräumt und mit Regeln versehen. Besonders stark bildete sich die räumliche Monofunktionalität in neuen Wohnsiedlungen außerhalb der Innenstädte und Ortskerne heraus.
Nach der Wiederaufbauphase verlagerte sich der Wohnungsbau in den 60er Jahren an die Ortsränder. Neue Wohnsiedlungen entstanden in Form von Mehrfamilienhäusergruppen, Hochhaussiedlungen am Stadtrand und Trabantenstädte. Wohnen ist hier beinah vollständig isoliert von der Arbeit, Freizeit, Kommunikation und Konsum.
Die Ausbreitung neuer Infrastrukturen für Kinder fand nicht überall in gleicher Weise statt.
1973 wohnten zwei Prozent aller Kinder in den neuen Hochhaussiedlungen. Dort wurden die Räume der Kinder von Spezialisten geplant. Die Spezialisierung der Außenräume drängte Kinder vermehrt in abgegrenzte Privaträume, die aber auch in dieser Phase Funktionstrennungen erfahren mussten. Den kleinergewordenen Familien stand mit wachsendem Wohlstand mehr Wohnraum zur Verfügung. Es entstanden getrennte Spiel- und Schlafzimmer.
3.3. Öffentlicher Raum
Bei dem traditionalen nachbarschaftlichen Straßenspiel leben Kinder mit den Erwachsenen im Raum vermischt, aber in ihrem Tun für sich. Kinder entfalten hier ein eigenständiges soziales Leben, denken sich ihre Tätigkeiten aus und bestimmen die räumliche Ausbreitung ihrer Spiele selbst. Aber auch hier werden sie durch Polizisten, Hausmeister, Nachbarn und Händler in die ortsüblichen Verhaltensweisen eingewiesen (siehe auch Behnken, du Bois-Reymond & Zinnecker 1989a, 1989b).
Soziale Kontrolle wird heutzutage aber vermehrt auf anonyme Art und Weise ausgeübt, durch abstrakte Verkehrsregeln und ein Drängen in Binnenräume, die durch Hecken, Zäune oder Mauern abgegrenzt sind. Dies findet man zum Beispiel vermehrt bei Sport- oder Spielplätzen. Zinnecker (1990) hat diese historische Veränderung als Ausbreitung von "Verhäuslichung" analysiert. In Binnenräumen muss sich das Handeln räumlich in den Grenzen einpassen. Kinder und Erwachsene werden im Alltag räumlich entmischt, dies geht aber in Hand mit einer Einmischung in das Kinderleben, denn die Institutionen die das Kinderleben gestalten werden von Erwachsenen geführt.
Dem öffentlichen Raum kommt in der Aneignung der Umwelt durch das Kind also eine besondere Bedeutung zu, denn hier trifft es auf gesellschaftliche Macht- und Ungleichheitsverhältnisse.
Nissen (1998, S. 153) zitiert hierzu Jurczyk (1994, S. 206):
"Gesellschaftlich relevante Macht im Sinne von Gestaltung- und Entscheidungsmacht kann nur im öffentlichen Bereich ausgeübt werden. Macht im Privatbereich beschränkt sich auf die hierarchisch strukturierten Interaktionen zwischen vereinzelten Individuen, die nur mittelbaren Einfluss auf die Gestalt des öffentlichen Lebens hat. „Mit dem öffentlichen Raum betritt das Kind also sozusagen auch "politisches Terrain".
Das Kind lernt gesellschaftlich legitimierte Machtverhältnisse kennen, so zum Beispiel zwischen Erwachsenen und Kindern, Männern und Frauen und natürlich in der Familie.
Ebenso werden aber auch bestimmte Erwartungen durch Räume, die von Erwachsenen gestaltet wurden, an sie gerichtet.
Kinder werden aber immer mehr durch die stärkere Bebauung, steigendes Verkehrsaufkommen etc aus dem öffentlichen Raum in spezialisierte, geschützte Räume gedrängt, während die Zahl der Binnenräume (Kinderzimmer) steigt.
Von Situationen in denen Kinder früher ganz selbstverständlich der gesellschaftlichen Umwelt begegnet sind, sind sie heute weiter entfernt.
3.4. Die Straße als Lebensraum
Die Aneignung des öffentlichen Raumes "Strasse" geschieht auf unterschiedliche Art und Weise. "Einerseits ist sie natürlich individuell verschieden, wenn man davon ausgeht, dass das Kind Subjekt seiner eigenen Sozialisation ist und mit der Umwelt in Interaktion tritt. Andererseits unterscheiden sich Individuen in Bezug auf ihr Raumnutzungs-, Raumbesetzungs- und Raumerschließungsverhalten je nach soziokultureller, gesellschaftlicher Situation, die bestimmt ist durch Faktoren wie Schichtzugehörigkeit, Alter, Geschlecht."
Diese von Nissen rezitierte Aussage (1998, S. 153) misst dem sozialen Umfeld, in dem ein Kind aufwächst, eine sehr große Bedeutung für die Persönlichkeitsentwicklung bei. Demnach verändern gesellschaftliche Faktoren die eigene psychische Interaktion mit der Umwelt.
Kinder suchen sich aber durchaus eigenständig ihr Freizeitumfeld aus, wie eine Untersuchung von Martha und Hans Heinrich Muchow darlegt (Der Lebensraum des Großstadtkindes 1998, S. 73).
In dieser Untersuchung mussten Kinder aus Hamburg in einer Karte ihrer Stadt unter anderem ihren Spielraum markieren. Unter Beachtung verschiedener Faktoren wie Geschlecht, Wohnungswechsel und Intelligenz ergab sich ziemlich deutlich, dass der Lebensraum der Großstadtkinder, also der Raum in dem das Kind lebt, durchaus nicht die ganze Stadt umfasst.
Nur ein geringer Teil von 6 Prozent der Stadt wurde von diesen Kindern durchstreift. Bei der Untersuchung des einzelnen Lebensraumes ergab sich, dass die Nähe eines Ortes ihn durchaus attraktiver macht. Diese Nähe umschreibt aber nicht nur die räumliche Nähe, sondern auch die "Nähe vom Kinde aus".
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- Citation du texte
- Luisa Bellmann (Auteur), 2006, Der Lebensraum der Großstadtkinder. Die Sozialstruktur in Deutschland, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/514826
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