Schon im 18. Jahrhundert schrieb Lessing in seinem Werk „Über das Plattdeutsche“: „Die Niedersachsen haben sehr Unrecht, wenn sie für die Verdrängung ihrer Mundart der Reformation Schuld geben. Die Reformation war die Veranlassung, aber die Schuld ist lediglich ihr eigen.“ Bernd-Axel Widmann schlussfolgerte über 230 Jahre später, dass Lessing hier schon den „Kreisschluss eines solchen Problemkreises wie der Mehr- oder Zweisprachigkeit in einem Landstrich umrissen“ hat. Weniger die äußeren Umstände sind für das Verschwinden einer Sprache verantwortlich, als viel mehr die innere Einstellung der Sprecher und Schreiber zu ihrer Sprache.
Die Verwendung der Sprache entscheidet folglich über den primären Spracherwerb der nachwachsenden Generation. Während schon im 18. Jahrhundert der Wandel vom Niederdeutschen zum Hochdeutschen anfing – Lessing gab hier die Meinung an, dass die Reformation ein Katalysator gewesen wäre – erfolgte die vollständige Umkehrung des primären Spracherwerbes im niederdeutschen Raum erst im 20. Jahrhundert. Vor allem auf dem Land sprach man bis in die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts hinein im privaten Kreis nur plattdeutsch, während man die hochdeutsche Sprache erst in der Schule korrekt erlernte und häufig nur für die externe Kommunikation außerhalb der eigenen Gemeinde verwendete.
Bevor diese Problematik der Umkehrung des niederdeutschen Spracherwerbes untersucht wird, kommt es vorab zu einer Begriffserklärung. Es soll versucht werden, die niederdeutsche Mundart genau zu definieren.
Das dritte Kapitel soll im vergleichenden Maßstab den Spracherwerb im Zeitraum zwischen dem Ende des Zweiten Weltkrieges und dem Jahr 1960 und der heutigen Sprachpraxis untersuchen. Nach dem gemeinsamen Ausgangspunkt des Kriegsendes entwickelte sich die Bildungspolitik, wie auch der Umgang mit der Mundart in der DDR und der BRD different. Im Kapitel 3.2. soll, dem erklärend, Rechnung getragen werden. Wenn man jedoch den heutigen Sprachgebrauch, der in der Sekundärliteratur interessanter Weise schlechter belegt ist, untersucht, kommt es zu einer Akzentuierung auf die Themen der didaktischen Überlegungen und der allgemeinen Sprachplanung, da nicht nur die Schule für den heutigen Kontakt mit dem Niederdeutschen zuständig sein soll, sondern gleichfalls die sozialisierende Umwelt.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Begriffserklärung
3. Spracherwerb zwischen 1945 und 1960
3.1. Der niederdeutsche Status nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges
3.2. Wechselwirkung zwischen der Bildungspolitik und dem Spracherwerb
4. Spracherwerb heute
4.1. Didaktische Überlegungen
4.2. Allgemeine Sprachplanung
5. Schlusswort
6. Literatur
1. Einleitung
Schon im 18. Jahrhundert schrieb Lessing in seinem Werk „Über das Plattdeutsche“: „Die Niedersachsen haben sehr Unrecht, wenn sie für die Verdrängung ihrer Mundart der Reformation Schuld geben. Die Reformation war die Veranlassung, aber die Schuld ist lediglich ihr eigen.“ Bernd-Axel Widmann schlussfolgerte über 230 Jahre später, dass Lessing hier schon den „Kreisschluss eines solchen Problemkreises wie der Mehr- oder Zweisprachigkeit in einem Landstrich umrissen“[1] hat. Weniger die äußeren Umstände sind für das Verschwinden einer Sprache verantwortlich, als viel mehr die innere Einstellung der Sprecher und Schreiber zu ihrer Sprache.[2]
Die Verwendung der Sprache entscheidet folglich über den primären Spracherwerb der nachwachsenden Generation. Während schon im 18. Jahrhundert der Wandel vom Niederdeutschen zum Hochdeutschen anfing – Lessing gab hier die Meinung an, dass die Reformation ein Katalysator gewesen wäre – erfolgte die vollständige Umkehrung des primären Spracherwerbes im niederdeutschen Raum erst im 20. Jahrhundert. Vor allem auf dem Land sprach man bis in die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts hinein im privaten Kreis nur plattdeutsch, während man die hochdeutsche Sprache erst in der Schule korrekt erlernte und häufig nur für die externe Kommunikation außerhalb der eigenen Gemeinde verwendete.
Bevor diese Problematik der Umkehrung des niederdeutschen Spracherwerbes untersucht wird, kommt es vorab zu einer Begriffserklärung. Es soll versucht werden, die niederdeutsche Mundart genau zu definieren.
Das dritte Kapitel soll im vergleichenden Maßstab den Spracherwerb im Zeitraum zwischen dem Ende des Zweiten Weltkrieges und dem Jahr 1960 und der heutigen Sprachpraxis untersuchen. Nach dem gemeinsamen Ausgangspunkt des Kriegsendes entwickelte sich die Bildungspolitik, wie auch der Umgang mit der Mundart in der DDR und der BRD different. Im Kapitel 3.2. soll, dem erklärend, Rechnung getragen werden. Wenn man jedoch den heutigen Sprachgebrauch, der in der Sekundärliteratur interessanter Weise schlechter belegt ist, untersucht, kommt es zu einer Akzentuierung auf die Themen der didaktischen Überlegungen und der allgemeinen Sprachplanung, da nicht nur die Schule für den heutigen Kontakt mit dem Niederdeutschen zuständig sein soll, sondern gleichfalls die sozialisierende Umwelt.
2. Begriffserklärung
Als Vorbemerkung zur Untersuchung des Spracherwerbes soll der folgende Abschnitt nötige Begriffserklärungen liefern.
Der Versuch die niederdeutsche Philologie wissenschaftlich zu definieren wurde das erste Mal 1928 von Fehrs-Gilde unternommen.[3] Ohne Zweifel würde diese Definition heute nicht mehr genügen. Folgend soll hinterfragt werden, ob es eine gemeinsame niederdeutsche Sprache gibt. Hierfür sollte gesichert sein, was der Begriff der Sprache in sich verbirgt und welche der folgenden zwei Definitionen für die Begriffserklärung des Niederdeutschen verwendet werden kann:
Wenn man die Sprache als System definiert, so ist jegliche soziale, zeitliche und regionale Differenz zwischen zwei individuellen Kommunikationssystemen ein Indiz dafür, dass es sich um zwei zwar sehr verwandte aber doch unterschiedliche Sprachen handelt. Nach dieser Sprachdefinition wäre Niederdeutsch keine eineindeutige Sprache, da es zu viele regional bedingte sprachliche Differenzierungen im Norddeutschen Raum gibt.
Die zweite Definition der Sprache als Diasystem könnte eher Anwendung finden. Hierunter versteht man eine linguistische Konstruktion, zusammengesetzt aus mehreren Kommunikationssystemen, wie sie bei der vorigen Definition beschrieben worden sind. Um die Verbindung innerhalb dieser linguistischen Konstruktion als Sprache zusammenzuhalten, bedarf es eines Elementes der Überdachung. Ein Beispiel hierfür wären die romanischen Mundarten Frankreichs, Südbelgiens und der französischen Schweiz, die unter der französischen Kultursprache, bzw. der französischen langue littéraire, zusammengefasst werden. Die Dialekte der Bretonen und Basken gehören jedoch nicht zu der französischen Kultursprache, da sie sich in diesem Diasystem nicht unterbringen lassen. Neben der regionalen bedarf jedes Diasystem einer zeitlichen Begrenzung. Nimmt man an, dass das erforderliche Kriterium einer Überdachung nur eine etablierte einheitliche Schriftsprache sein kann, so ist das Deutsche nicht älter als 200 Jahre.
Aus den letzten Überlegungen folgernd ist das Niederdeutsche den Diasystemen zuzuordnen. Bei der Findung verschiedener abgrenzender Überdachungskriterien entstehen jedoch neue Probleme:
Die zeitliche Grenze des „Neuniederdeutschen“ macht keinen Sinn, da es nach dem Untergang der niederdeutschen Schreibsprache, bzw. deren Verdrängung durch die neuhochdeutsche Schriftsprache im 16. und 17. Jahrhundert „nur noch eine Sammelbezeichnung für eine Reihe von Dialekten“[4] war. Das zweite Problem ist die häufige Autorenmeinung, dass diese heutigen niederdeutschen Dialekte sowohl deutschen als auch der niederländischen Kultursprache zugeordnet werden müssen. Wenn man nun zeitlich zurückblickt, findet man vom Mittelniederdeutschen des 13. Jahrhunderts bis ins 17. Jahrhundert hinein ein überspannendes Element: In der Forschung werden die Sprachformen aus dem Norden des heutigen deutschen Sprachraumes und aus dem Nordosten des niederländischen Raumes ausgenommen des Friesischen als niederdeutsche Sprache betrachtet. Wie schon erwähnt gab es damals eine mittelniederdeutsche Schreibsprache, die als weiteres Kriterium fungierte. Die räumliche Begrenzung ist nur im Westen vage, obwohl es auch an den anderen Sprachgrenzen zweisprachige Gebiete gegeben haben mag. Vor dem 13. Jahrhundert, d.h. zur Zeit der altsächsischen Dialekte lässt sich ebenfalls ein Diasystem erstellen.
Zusammenfassend für die Frage, ob die Konstruktion eines niederdeutschen Diasystems und somit die Definition einer niederdeutschen Sprache möglich ist, lässt sich die Erkenntnis erarbeiten, dass dieses nur das Altsächsische und das Mittelniederdeutsche umfasst. Für die Zeit nach dem 17. Jahrhundert, sprich dem „Neuniederdeutschen“ kommt es aufgrund von fehlenden überdachenden Kriterien zu keinem Diasystem als Definition einer Sprache.[5] Folglich existiert im heutigen Norddeutschland keine Bilingualität, sondern die niederdeutschen Gebiete sind eine bidialektale Region.
Der nunmehr niederdeutsche Dialekt wird als eine Kommunikation bezeichnet, die, synchron betrachtet, räumlichen und funktionalen Beschränkungen unterliegt.[6] In der Forschung entstand in den letzten Jahren die Diskussion, ob sich der niederdeutsche Dialekt zu einer norddeutschen Umgangssprache transformiert. Hier wird die Umgangssprache nicht als Anwendungsart von Sprache verstanden, sondern als Sprachform. Diese entsteht, wenn Dialektsprecher die Hochsprache, in unseren Fall das Hochdeutsche, übernehmen und dabei Teile der Orthografie, Lexikologie und der Textlinguistik in ihre Standardsprache übernehmen. Durch die reichhaltigen Unterschiede zwischen den verschiedenen niederdeutschen Mundarten müsste man die norddeutsche Umgangssprache als Sprachgruppe bezeichnen, da das übernommene niederdeutsche Substrat ebenso different sein kann. Die Frage, ob diese Umgangssprache in einer Diglossie mit dem Hochdeutschen den Dialekt ersetzt bzw. im Begriff ist ihn zu ersetzen, wird an vier Punkten markiert.
Zum ersten muss eine formale Differenz vorhanden sein. Ein schlüssiger Vergleich der Umgangssprache mit der Standardsprache ist folglich nur in der informellen gesprochenen Form letzterer möglich. Diese Differenz sei im westlichen Norddeutschland stark unterschiedlich. Kettner geht davon aus, dass Regionen vorhanden sind, wo diese Differenz gegen Null geht. Hier ist die Möglichkeit einer norddeutschen Umgangssprache different zur Standardsprache nicht möglicht.
Das zweite Kriterium ist die funktionale Differenz: Es muss möglich sein, eine Grammatik der norddeutschen Umgangssprache zu schreiben. Einige Beispiele für diese Unterschiede sind: „Jungens“ statt „Jungen“ (veränderte Pluralbildung) oder „Da verstehe ich nichts von“ statt „Davon verstehe ich nichts“ (Trennung zusammengesetzter Pronominaladverbien). Somit kann dieses Kriterium nur für einige Gebiete bestätigt werden.
Als nächstes soll die Fähigkeit der Sprecher überprüft werden, das Hochdeutsche und die Umgangssprache eigenständig zu erkennen und zu benennen. Da wie in der ersten Frage beschrieben, der Anpassungsprozess an die Standard sprachliche Norm in einigen so weit fortgeschritten ist, kann man nicht davon ausgehen, dass die Sprecher die Umgangssprache und die gesprochene Sprachnorm unterscheiden können.
Die vierte Frage richtet sich an die Entwicklung einer scheinbaren Umgangssprache: Ist es abzusehen, dass die funktionale Differenz wächst oder passen sich die beiden Sprachsysteme an? Auch hier entscheidet sich Kettner eher gegen eine differenzierende Prognose, da die Standardsprache seiner Meinung nach das gesamte Sprachbild Norddeutschlands bestimmt.[7]
So soll die Bestimmung des niederdeutschen Dialektes in der Gegenwart damit enden, dass es sich um eine Mundart handelt, die nicht als Zweitsprache bezeichnet werden kann und auch keine Transformation zu einer Umgangssprache erlebt. Die kommunikative Bedeutung und die sprachliche Ausformung dieser Mundart sind regional sehr vielseitig. Ein Grund hierfür ist die Veränderung des dialektalen Spracherwerbes und des Umgangs mit der Mundart in der Mitte des letzten Jahrhunderts.
3. Spracherwerb zwischen 1945 und 1960
Im Jahre 1750, so schätzt man, sprachen über 70% der norddeutschen Bevölkerung niederdeutsch, während 150 Jahre später die gleiche Prozentzahl angab, zweisprachig, d.h. nieder-und hochdeutsch zu kommunizieren. Zum Ende des in diesem Abschnitt untersuchten Zeitraums, dem Jahre 1960, gaben 70% der norddeutschen Bevölkerung an, nur noch hochdeutsch zu sprechen.[8] Die Untersuchung des primären Spracherwerbes innerhalb dieses Zeitraumes ist somit essentiell wichtig, um die Stellung des heutigen niederdeutschen Dialektes zu verstehen. Weiterhin ist gut erkennbar, wie stark der niederdeutsche Dialekt im Spannungsfeld zwischen Tradition und Ideologie in der DDR und regionale Sprachpflege und schulischen Rahmenrichtlinien in der BRD stand.
[...]
[1] B.-A. Widmann, Der Problemkreis Zweisprachigkeit in den Richtlinien und Erlassen für den Deutschunterricht – unter besonderer Berücksichtigung des Niederdeutschen. In: W. Lindow, C. Schuppenhauer (Hrsg.), Niederdeutsch und Zweisprachigkeit. Aus: Schriften des Instituts für Niederdeutsche Sprache, 15, Bremen 1988, S.137
[2] Ebd. S.137
[3] Vgl. Jan Goossens, Niederdeutsche Sprache – Versuch einer Definition. In: Jan Goossens (Hrsg.), Niederdeutsch Sprache und Literatur, Bd. 1, Neumünster 1983, S.9 „Wir suchen, indem wir vom Niederdeutschen als einheitlichem und grundlegendem Begriff ausgehen, das Gemeinsam, für das Sprache, Schrifttum und Volkkunde verschieden Ausdruck sind, wir suchen […] den niederdeutschen Menschen.“
[4] Goossens, Niederdeutsche Sprache – Versuch einer Definition, S.13
[5] Goossens, Niederdeutsche Sprache – Versuch einer Definition, S.9 - 19
[6] D. Stellmacher, Zweisprachigkeit in Norddeutschland – Beschaffenheit und Auswirkungen. Erläutert aufgrund von Erhebungsergebnissen zur Lage des Niederdeutschen heute. In: W. Lindow, C. Schuppenhauer (Hrsg.), Niederdeutsch und Zweisprachigkeit. Aus: Schriften des Instituts für Niederdeutsche Sprache, 15, Bremen 1988, S. 85
[7] B.-U. Kettner, Die deutsche Umgangssprache – eine neue Zweitsprache? In: W. Lindow, C. Schuppenhauer (Hrsg.), Niederdeutsch und Zweisprachigkeit. Aus: Schriften des Instituts für Niederdeutsche Sprache, 15, Bremen 1988, S. 95 - 111
[8] M. Görlach, Norddeutschland, Schottland und Jamaika – zweisprachige oder bidialektale Regionen? In: W. Lindow, C. Schuppenhauer (Hrsg.), Niederdeutsch und Zweisprachigkeit. Aus: Schriften des Instituts für Niederdeutsche Sprache, 15, Bremen 1988, S.53
- Arbeit zitieren
- Matthias Widner (Autor:in), 2006, Früher Niederdeutsch - heute Hochdeutsch: Die Umkehrung des Spracherwerbes im Nordostdeutschen Raum, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/51360
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