Seit dem rasanten Aufstieg der rechtskonservativen Alternative für Deutschland haben offen geäußerte Ressentiments gegenüber Zuwanderern und Fremdem wieder eine politische Basis im deutschen Bundestag. Neben der AfD hat sich jedoch auch die vordergründig partei-unabhängig agierende Identitäre Bewegung Deutschland (IBD) einen Platz am rechten Rand der politischen Öffentlichkeit erstritten.
Das erklärte Ziel der IBD ist es, den metapolitischen Diskurs der Gesellschaft zu verändern, um so einen grundlegenden Wandel in Gesellschaft und Politik zu bewirken. Johannes Kleager setzt sich in seiner Publikation deshalb mit den Themen Metapolitik und kulturelle Hegemonie auseinander. Vor diesem Hintergrund untersucht er das mediale Vorgehen der IBD.
Um die mediale Dimension des Themas zu begrenzen sowie zu veranschaulichen, erklärt Kleager die Theorie des Normalismus nach Jürgen Link. So ergründet er die ambivalente Beziehung zwischen Identität und Medien und zeigt, welche identitätsstiftende Rolle vor allem neue Medien einnehmen. Kleagers Publikation deckt die ideologische Medienarbeit der Identitären Bewegung Deutschland auf und dekonstruiert sie anhand von Fallbeispielen.
Aus dem Inhalt:
- Rechtspopulismus;
- Ideologie;
- Normativität;
- Social Media;
- Diskurstheorie
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
1 Einleitung
2 Populismus
2.1 Rechtspopulismus / Rechtsextremismus
2.2 Populismus zwischen Medien, Ideologie und Politik
2.3 Diskurstheoretische Perspektiven zum „Populismus“-Begriff
3 Ernesto Laclaus Populismus-Begriff
3.1 Die soziale Produktion leerer Signifikanten
3.2 Hegemonie als Prozess
4 Normalismus
4.1 Normativität und Normalität (Proto-/ flexibler Normalismus)
4.2 Normation bei Foucault
4.3 Normalismus und Subjektivität
4.4 Normalismus und Medien
5 Die Identitäre Bewegung Deutschland – Medien, Metapolitik, Identität
5.1 Die Identitäre Bewegung Deutschland
5.2 Metapolitik & Identität
5.3 Zwischenfazit
6 Analyse
6.1 Laut Gedacht
6.2 Malenki
6.3 Okzident Media / News
7 Fazit
Literaturverzeichnis
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
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Impressum:
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Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Stammbaum - Laut Gedacht, Folge 065 (links); Ausschnitt einer Illustration der Nürnberger Gesetze von 1935 (rechts)
Abb. 2: Einblendung eines Tweets von Jakob Augstein - Laut Gedacht, Folge
Abb. 3: T-Shirts mit der Aufschrift „Kick back globalism“ (links) und „Verteidige dein Land“ (mittig) des Labels Phalanx Europa; Die stets im Vordergrund positionierten Flaschen von Mate Mate (rechts) - Laut Gedacht, Folgen 065/091/
Abb. 4: Alexander Kleine aka Alex Malenki (links); „Vlad der Pfähler“-Tattoo (rechts) – Malenki, Folge: „Tattoos sind wichtig“
Abb. 5: Heuchlerpreis der IBD (links); Übergabe an Cesy Leonard im Hörsaal (rechts) – Malenki, Folge: „Intervention beim Zentrum für politische Schönheit“
Abb. 6: Einblendung der Stellungnahme des AStA Rostock; Tweet des ZPS mit Troll-Kommentar („Ganz schön viel Mimimimi für eine Horde Menschen, die Stasimethoden benutzen und Andere ausspionieren. []“) – Malenki, Folge: „Intervention beim Zentrum für politische Schönheit“
Abb. 7 – Begleitende Einblendungen - Okzident Media, Folge: „Alle sind Populisten“
Abb. 8: Identitärer Handschlag (links); IBD-Jutebeutel (rechts) - Okzident Media, Folge: „Ehrensache Malenki“
Abb. 9 – Okzident Media (links); Fiß und Timm in Warschau (rechts) - Okzident Media, Folge „Warschau – Der Unabhängigkeitsmarsch“
1 Einleitung
„Wir sind fünf Freunde, wir sind einmal hintereinander aus einem Haus gekommen […]. Seitdem leben wir zusammen, es wäre ein friedliches Leben, wenn sich nicht immerfort ein sechster einmischen würde. […] Wir kennen ihn nicht und wollen ihn nicht bei uns aufnehmen. Wir fünf haben zwar früher einander auch nicht gekannt, und wenn man will, kennen wir einander auch jetzt nicht, aber was bei uns fünf möglich ist und geduldet wird, ist bei jenem sechsten nicht möglich und wird nicht geduldet. Außerdem sind wir fünf und wir wollen nicht sechs sein“ (Kafka 1969,Gemeinschaft, 108).
Seit dem rasanten bundesweiten Aufstieg der rechtskonservativen Alternative für Deutschland, haben offen geäußerte Ressentiments gegenüber Zuwanderern und Fremdem wieder eine lautstarke politische Basis im deutschen Bundestag. Zeitgleich haben sich auch die allgemeinen Ängste der deutschen Bevölkerung in dieser Periode gewandelt. Bereiteten 2014 noch die EU-Schuldenkrise und steigende Lebenshaltungskosten den BürgerInnen die größten Sorgen, ängstigte die meisten Menschen 2018 die gesellschaftliche sowie behördliche Überforderung aufgrund des Zuzugs von AusländerInnen sowie die dadurch entstehenden Spannungen innerhalb der deutschen Gesellschaft (vgl. R+V Angststudie 2018). Im Herbst 2018 hat sich die große Debatte um die Flüchtlingskrise 2016 im Hinblick auf die thematischen Schwerpunkte der hiesigen Leitmedien zwar überwiegend gelegt, der mediopolitische Diskurs verarbeitet allerdings weiterhin den plötzlichen Aufstieg rechts-konservativer und rechtsextremer Politiker und Populisten, welche auf einen weitergehenden Gesinnungswandel innerhalb der deutschen Gesellschaft hindeuten, als es die AfD in parteipolitischer Hinsicht bereits tat. Nicht nur die historische Entwicklung einer bzw. der Neuen Rechten ist dabei von großem Interesse, sondern im gleichen Maße die von dieser Interessengruppe aufgeworfenen Diskurse und Strategien zur Erzeugung medialen Aufsehens.
Neben der AfD hat sich unter anderem die vordergründig partei-unabhängig agierende Identitäre Bewegung Deutschland (IBD) einen Platz am rechten Rand der politischen Öffentlichkeit erstritten. So sehr sich diese politischen Akteure in ihren Inhalten gleichen, versteht sich die IBD nicht als eine politische Interessengemeinschaft, sondern als außerparlamentarische Oppositionsbewegung. Das erklärte Ziel der IBD ist es, den metapolitischen Diskurs der Gesellschaft zu verändern, um so einen grundlegenden Wandel in Gesellschaft und Politik zu bewirken (vgl. IBD o.J.). Ihre Wortergreifungsstrategie äußert sich überwiegend in Aufsehen erregenden Protestaktionen im öffentlichen Raum, welche sie sorgfältig organisieren, dokumentieren und anschließend in den sozialen Medien nutzen. Mit Hilfe sozialer Medien wird in erster Linie die Kommunikation untereinander vorangetrieben und Protestaktionen geplant (vgl. Penjak 2011, 1). Gleichzeitig dienen diese Kommunikationskanäle aber auch als Plattform zur öffentlichen Selbstdarstellung der IBD und Ihrer Aktivisten. Neben den Guerilla-Aktionen im öffentlichen Raum, forciert die außerordentlich medienaffine IBD zusehends ihre Präsenz auf den großen Plattformen des Web (Youtube, Twitter, Facebook, Instagram). Sie gelten zudem alsdie„Jugendbewegung“ der Neuen Rechten, da sie es verstehen ihre popkulturellen Referenzen und konzertierten Aktionen – besonders im digitalen Raum – mit zeitgenössischer Symbolik und neurechter Ideologie zu verknüpfen (vgl. Weiß 2017, 95). Ein detaillierter Einblick in diese „Bewegung“ und ihre symbolische Arbeit ist für die hier angestrebte Analyse unabdingbar, da sie vor allem die Protagonisten der diskutierten Videos in den Kontext der IBD verortet sowie deren ideologische Verzweigung zur Neuen Rechten beleuchtet.
Das SchlagwortMetapolitikbildet hierbei den begrifflichen Ausgangspunkt dieser Arbeit, da entlang seiner begrifflichen Erörterung das mediale Treiben der IBD näher beleuchtet werden soll. Den ersten thematischen Rahmen der Analyse setzt dabei Ernesto Laclaus Theorie des Populismus. Entlang der beiden KomplexeMetapolitikundkulturelle Hegemonie, werden die zentralen Aspekte seiner Diskussion des Politischen betrachtet. Als zweite theoretische Eingrenzung wird Jürgen Links Theorie desNormalismusherangezogen, da diese vor allem einen bedeutenderen Schwerpunkt auf die mediale Dimension der diskutierten Phänomene setzt. Der gedankliche und thematische Schwenk, den es zu bewerkstelligen gilt, um diesen medientheoretischen Bezug herzustellen, soll im Diskurs um die ambivalente Beziehung zwischen Identität und Medien verankert werden. So wird herausgearbeitet, welche identitätsstiftende Rolle vor allemneueMedien einnehmen und wie dies hinsichtlich der ideologischen Medienarbeit politischer Randgruppen wie der IBD kritisch zu bewerten ist. Nicht nur der namentliche Bezug zur IBD ist hier offensichtlich, sondern auch die „identitäre“ Themensetzung um die sich die Gruppe in ihren Medienkampagnen bemüht, lässt sich im Rahmen dieses Diskurses analysieren. Die Analyse umfasst dabei eine eingehende Betrachtung ausgewählter Youtube-Kanäle der IBD hinsichtlich ihrer inhaltlichen Themensetzung, Kommunikationsstrategie und ideologischer Verwurzelung im Denken der Neuen Rechten. Im Rahmen des abgesteckten Theoriegerüsts sollen diese Aspekte weitergehend diskutiert und kritisch hinterfragt werden. Im Kontext der theoretischen Eingrenzung hinsichtlich Populismus, Normalismus und medialer Identität soll somit anhand ausgewählter Fallbeispiele exemplarisch herausgearbeitet werden, wie sich (rechts-) populistische Bewegungen zeitgenössischer Medienformate bedienen und diese als identitätsstiftende Anknüpfungspunkte ihrer ideologisch-politischen Arbeit einsetzen.
Als These dieser Arbeit lässt sich folglich formulieren, dass die Medienarbeit der IBD im Kern auf die Normalisierung eines völkisch-nationalistischen Selbstverständnisses der deutschen Gesellschaft ausgerichtet ist. Dieses propagierte Selbstverständnis einer ethnisch-kulturellen Einheit, zieht sich durch alle Bilder, Symbole, Narrative und Argumentationsstrukturen derer sich die IBD, als Teil der Neuen Rechten, bedient. Es gilt in dieser Arbeit nicht nur zu erörtern, inwieweit diese Jugendbewegung ihre gegensätzlichen Motive des programmatischen Antagonismus und normalisierenden Pathos für sich einsetzt, sondern auch wie dies mit dem politischen Metaprozess der Hegemonisierung im Kontext einer populistischen Strategie zusammenhängt.
Diese Arbeit stellt somit einen Versuch dar, ein komplexes Medienphänomen wie die IBD zunächst auf einer theoretischen Metaebene zu diskutieren, um abschließend anhand von konkreten Fallbeispielen die Metapolitik der Bewegung ein stückweit zu illustrieren und zu dekonstruieren. So gilt es zunächst den diskurstheoretischen Kontext dieser Arbeit zu ermitteln, die zentralen Begriffe der Theorien zu erläutern und diese dahingehend weiterzudenken, dass sie sich in der abschließenden Analyse zu einem nachvollziehbaren Analyse- und Interpretationsschema verknüpfen lassen.
2 Populismus
Einen zwar geläufigen aber zugleich unscharfen Begriff, wie den des Populismus, gilt es zunächst in seiner begrifflichen Dimension einzugrenzen. Einleitend werden hierzu verschiedene Deutungsansätze herangezogen, die Konzepte des Populismus unter Gesichtspunkten der Medien, Ideologie und Politologie diskutieren. Abschließend und überleitend zum zweiten theoretischen Grundpfeiler dieser Arbeit, wird der diskurstheoretische Populismus-Begriff von Ernesto Laclau herangezogen, um einen tiefergehendes Verständnis dieses Phänomens zu erhalten. Da sich diese Arbeit in erster Linie mit populistischen Handeln im rechtskonservativen bis rechtsextremistischen Kontext befasst, gilt es zuerst eine kurze begriffliche Distinktion der oft ineinandergreifenden Konzepte des Rechtspopulismus und Rechtsextremismus zu treffen.
2.1 Rechtspopulismus / Rechtsextremismus
Um eine differenzierte Diskussion zu ermöglichen, muss Populismus von Rechtspopulismus und dieser wiederum von Rechtsextremismus unterschieden werden. Während dem Populismus allgemein keine feste Position auf dem links-mitte-rechts Spektrum der Politik zugewiesen werden kann, gestaltet sich die begriffliche Unterscheidung von Rechtspopulismus- und Rechtsextremismus umso vielschichtiger:
Populistisch werden Akteure genannt, wenn Sie im Namen des Volkes oder des Bürgers gegen die politische Elite oder den Staat auftreten. Gegen die vermittelten Verfahren der politischen Willensbildung in der repräsentativen Demokratie steht der plebiszitäre Einspruch (Kohlstruck 2008, 212).
Rechtspopulismus wird gemeinhin als ein „Rechtsextremismus light“ interpretiert, da man beide Positionen entlang eines Gesinnungskontinuums mit ansteigender Radikalität verortet und sie bloß als unterschiedliche Varianten derselben Grundströmung versteht. Diese Unterscheidung findet sich zumeist in der öffentlichen Diskussion um Gefahrendiagnosen zu rechtspopulistischen Parteien wieder, jedoch auch in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung zu diesem Thema. Nichtsdestotrotz, so Kohlstruck, lassen sich beide Begriffe im wissenschaftlichen Kontext voneinander differenzieren, da es qualitative Unterschiede zwischen rechtspopulistischen und rechtsextremen Parteien oder Bewegungen gibt (vgl. Kohlstruck 2008, 211ff.).
Der wesentliche qualitative Unterschied dieser beiden politischen Gesinnungen findet sich in ihrem Verhältnis zur parlamentarischen Demokratie und zum liberalen Rechtsstaat. Während rechtsextreme Parteien als „fundamentaloppositionelle Parteien“ bzw. „Anti-System-Parteien“ (Kohlstruck 2008, 224) die Beseitigung jeglicher rechtsstaatlicher und liberal-demokratischer Institutionen zum Ziel haben, positionieren sich rechtspopulistische Parteien innerhalb des bestehenden Systems als „Anti-Establishment-Parteien“ (ebd.). Rechtsextreme Parteien und Bewegungen agieren aus einer geschlossenen Weltanschauung (Ideologie) heraus, welche in radikaler Opposition zu einer offenen und liberal-demokratischen Gesellschaft stehen. Gegenüber dem Rechtspopulismus ist der Rechtsextremismus damit ideologisch weitaus konsistenter in seinen Zielvorstellungen und dementsprechend leichter zu identifizieren. Aufgrund ihrer systemimmanenten Position, agieren rechtspopulistische Parteien eher opportunistisch und ideologisch inkonsistent, wobei sie sich zumindest sprachlich selektiv an rechtsextremen Gedankengut bedienen, ohne sich diesem jedoch in voller Konsequenz verpflichtet zu fühlen. Parteien dieser Kategorie mobilisieren vor allem Ressentiments gegenüber Minderheiten, sie setzen auf Empörung jeglicher Art und kanalisieren aufgrund ihrer fehlenden ideologischen Konzeption „lediglich ein verbreitetes Unbehagen“ (ebd.). Hinzu kommt die wirkmächtige Opferrolle, derer sich Rechtspopulisten durch die Anrufung des „Volkes“ bedienen und in dessen Namen sie gegen die Ungerechtigkeiten der politischen und gesellschaftlichen Elite zu handeln gedenken (vgl. Kohlstruck 2008, 224ff.).
Rechtsextreme und rechtspopulistische Parteien unterscheiden sich demnach dadurch, dass erstere eher Gesinnungsgemeinschaften darstellen, deren Ideologie eine „für ihr politisches Handeln wie die persönliche Orientierung ihrer Mitglieder [in sich konsistente], alle Bereiche des Lebens umfassende Sicht der Welt [beansprucht]“ (Kohlstruck 2008, 225). Rechtspopulistische Parteien bilden hingegen Zweckgemeinschaften, deren „Protestbezug auf das jeweilige politische System, die etablierten Parteien oder die politischen Eliten konstitutiv [ist]“ (Kohlstruck 2008, 227). Durch die Bündelung unterschiedlicher politischer Begehren wohlgemerkt in einen rechtsgesinnten Kontext eingebunden und diesem somit zu eigen gemacht – im Sinne eines allgemeinen Unbehagens, bedarf es rechtspopulistischer Parteien keiner weltanschaulichen Konzeption. Ihr konstitutiver Protestbezug bedeutet, sie als konsistente Gegenstimme zu begreifen, deren opportunistische Grundhaltung keine klar definierten Zielvorstellungen verlangt (vgl. Kohlstruck 2008, 224).
Dem Rechtspopulismus wird deshalb ein symptomatischer Charakter attestiert, welcher gleichzeitig als Krisenindikator herangezogen werden kann (vgl. Werz 2003, 12). Eben jenes politische Unbehagen einer Gesellschaft, welches dem Rechtspopulismus als Nährboden dient, erwächst laut Kohlstruck über einen längeren Zeitraum aus den differierenden Problemdefinitionen der politischen Klasse gegenüber wachsenden Teilen der Wahlbevölkerung (vgl. Kohlstruck 2008, 227ff.). Die Politik sieht sich infolgedessen mit einer Legitimitätskrise konfrontiert, derer sie letztlich nur Herr werden kann, indem sie sich einer direkteren Form der Vermittlung und demokratischen Willensbildung öffnet.
Durch die alleinige Abgrenzung zum Rechtsextremismus lässt sich der (Rechts‑) Populismus jedoch noch nicht zur Genüge definieren. Vor allem, da es sich beim Populismus nicht allein um ein Phänomen der politischen Rechten handelt, sondern um ein vielschichtiges Motiv, welches entlang des gesamten Parteienspektrums beobachtet und unter verschiedenen Gesichtspunkten analysiert werden kann. Die folgenden Kapitel werfen deshalb einen tiefergehenden Blick auf dieses Phänomen, wobei auch hier der zeitgenössische Rechtspopulismus im Vordergrund steht.
2.2 Populismus zwischen Medien, Ideologie und Politik
Der „Populismus“ beziehungsweise der Vorwurf „populistisch“ zu agieren, hat seit geraumer Zeit seinen festen Platz im öffentlichen sowie politischen Diskurs. Insbesondere Parteien, Interessengruppen und Bewegungen, welche vorwiegend dem rechten politischen Spektrum zugeordnet werden können, vereinnahmen diesen Begriff für sich, sofern er ihnen nicht durch die politische Gegnerschaft reflexartig angehängt wird. Wie Frank Decker (2006) erläutert, lässt sich seit Mitte der achtziger Jahre in zahlreichen westeuropäischen Demokratien das Aufkommen einer „rechtspopulistischen“ Parteienfamilie nachzeichnen (Front National, Vlaams Blok, Lega Nord, FPÖ sowie seit einigen Jahren die AfD). Ihre sprachliche Verortung – rechts/populistisch – verdanken diese Parteien vor allem dem Gebrauch dieses Begriffs in den Wissenschaften sowie im journalistischen Jargon. Das wissenschaftliche Interesse an den neuen Parteien setzte jedoch erst einige Jahre später, gegen Ende der neunziger Jahre ein. Nachdem die erwartete Normalisierung dieser extremen Parteien in das etablierte parlamentarische Spektrum ausblieb, kam es zu einem regelrechten Boom der Populismusforschung in den Politik-, Sozial und Sprachwissenschaften, der bis heute, insbesondere in Folge des Einzugs der AfD in den deutschen Bundestag 2017, anhält (vgl. Decker 2006, 10). Dieses interdisziplinäre Interesse trägt dazu bei, dass sich der Begriff des Populismus einer eindeutigen und allgemeinen Definition entzieht. Dennoch haben sich einzelne Erklärungsversuche dieses Phänomens aus gesellschaftswissenschaftlicher Perspektive etabliert.
Lars Rensmann (2006) fragt diesbezüglich, ob bei rechtspopulistischen Parteien eine gemeinsame politische Ideologie zu beobachten ist und wie sich diese in den jeweiligen nationalen Kontexten äußert. Rensmann stützt sich bei seiner Analyse der Parteien und Bewegungen auf das Konzept einer „schlanken Ideologie“ (Canovan 2002, 32), deren Demokratieverständnis im Kern als Antithese zur repräsentativen Parteiendemokratie verstanden werden muss (vgl. Rensmann 2006, 60). Die zeitgenössische populistische Ideologie basiert demzufolge auf der Dichotomie Volk versus Elite. Sie ist prinzipiell antipluralistisch veranlagt, da der konstitutiven Dichotomie eine Homogenitätsidee zugrunde liegt (Rensmann 2006, 64):
Die zentrale Botschaft gegenwärtiger populistischer Ideologiebildung ist es demnach, dass die Politik und das „korrupte“ Establishment der Kontrolle durch das Volk, [dem] demokratischen Souverän, entglitten [ist] (Canovan 2002, 27).
Verbunden mit jener Homogenitätsidee des „Volks“ als einer „idealisierten vorgestellten Gemeinschaft“ (Rensmann, 64), stellt sich die „exklusorische Identitätspolitik“ als ein weiteres konstitutives Merkmal gegenwärtiger populistischer Bewegungen dar (Rensmann, 65). Eine auf Ausschluss beruhende Identitätspolitik lässt sich allerdings nicht als Alleinstellungsmerkmal rechtsgesinnter Parteien oder Bewegungen postulieren, sofern man das diskursive Moment der Grenzziehung als ein grundsätzlich identitätsstiftendes nicht gänzlich verwerfen will (siehe Kapitel 5.2). Exklusorische Idenitätsbildung findet sich folglich auch im linken Populismus wider, wobei sich die ausgeschlossenen Gemeinschaften zumeist nicht mit denjenigen rechtspopulistischer Gegner decken. Während das „internationale Kapital“, die EU sowie die Globalisierung im linkspopulistischen Spektrum als übergeordnete Gegnerschaft fungiert, vereinen rechtspopulistische Bewegungen ihre antagonistischen Bemühungen zumeist auf gesellschaftliche Gruppen wie Zuwanderer und Migranten, eine abgehobene Gesellschafts- und Politikelite sowie derenlinkeMeinungshegemonie. Linken und rechten Populismus in diesem Zuge als ein äquivalentes Phänomen gesellschaftspolitischer Meinungsschwankungen zu betrachten, wäre allerdings falsch. Wie die wenigen genannten Beispiele bereits andeuten, beziehen sich linke Populismen auf eine universalistische Ideologie des sozialen Gleichverständnisses, welches sich in rechten Populismen in dieser Form nicht wiederfindet (vgl. Rensmann, 65).
Populismus, sofern man diesen als eine politische Ideologie versteht, setzt ein ganz bestimmtes Verständnis von Demokratie und demokratischer Politik auf institutioneller Ebene voraus. So bezeichnet Mudde (2004) die grundsätzlich ablehnende Haltung populistischer Parteien gegenüber Institutionen liberaler und konstitutioneller Demokratie als „demokratischen Extremismus“ (Mudde 2004, 561). Demnach steht der Populismus in erster Linie nicht einer repräsentativen Parteiendemokratie gegenüber, sondern deren grundlegenden liberalen Verfahrensweisen und Grundsätzen:
Der populistischen Ideologie entspricht vor diesem Hintergrund die Anrufung des Plebiszits als Ausdruck des Anti-Konstitutionalismus, die zugleich die Einheit von Akteur und Volkswillen belegen soll. [...] Populismus impliziert durchweg eine Kritik an den Vermittlungsformen repräsentativer konstitutioneller Demokratie, die sich in einer Krise befinde und die Basis der Gemeinschaft, das souveräne Volk, verrate (Rensmann, 66).
Auf politischer Ebene differenziert Decker (2004, 177 ff.) beim (Rechts-)Populismus zwischen politischem und kulturellem Rechtspopulismus. Dem politischen Rechtspopulismus ordnet er dabei Parteien und Bewegungen zu, deren Argumentation bzw. Ideologie sich an dem bereits genannten Motiv einer anti-elitären Interessengemeinschaft auf nationaler Ebene orientiert und als Stimme des „Volks“ auftritt. Er hat dabei zumeist institutionelle Reformen zum Ziel, die bis zur totalen Umgestaltung des politischen Systems reichen können. Der kulturelle Rechtspopulismus positioniert sich hingegen weitaus völkisch-nationalistischer, indem er als ideologische Grundlage die „kulturelle Identität“ einer Bevölkerungsgruppe zu bestimmen versucht:
[Er zeichnet] sich durch eine prononcierte Abgrenzung der „kulturellen Identität“ gegen die EU, gegen Fremde, Einwanderer und Minderheiten, gegen „Amerikanisierung“ und Globalisierung aus, obschon [er] oft nicht mehr von einer rassischen Höherwertigkeit, sondern von kultureller Autonomie im Sinne eines ethnokulturellen Partikularismus oder „Ethnopluralismus“ rede[t] (Rensmann, 70).
Die einseitige Betonung des normativen Aspekts der ‚Volkssouveränität’, den Mudde „demokratischen Extremismus“ nennt, bietet ideologisch eine Antwort auf das paradoxe Moment demokratischen Legitimitätsanspruchs und der gleichzeitigen Abschaffung konstitutioneller Institutionen der Meinungs- und Willensfindung liberaler Demokratie. Es „beruht auf der illiberalen und mithin anti-pluralistischen Vorstellung, dass der Demos praktisch ohne institutionelle und konstitutionelle Begrenzungen herrschen soll“ (Rensmann, 73). Das Rechtspopulistische Modell von Demokratie entspricht folglich einer Homogenisierung auf Basis eines imaginären Einheitswillens im Namen des Volkes gegenüber der „Heterogenität der realen Meinungs- und Willensbildungsprozesse mit ihren mannigfachen Interessengegensätzen“ (ebd.).
Ein Erklärungsansatz zum neuerlichen Aufstieg rechtspopulistischer Parteien und Bewegungen in den vergangenen Jahren ist, so Rensmann, in erster Linie in der Legitimitätskrise zeitgenössischer liberaler Demokratien zu suchen. Dies geht einher mit der sich rapide verändernden Interdependenz von Politik und Medien und deren zugrundeliegende Logik einer Mediendemokratie (vgl. Meyer 2006). Entlang dieses Konzepts entwickelt Meyer die These, dass es sich bei populistischen Bewegungen bzw. beim Populismus als solchem um ein Dauerphänomen moderner Massendemokratien handelt. Zwar unterliegt dieses Phänomen Schwankungen, es verweist zugleich jedoch auf das Hintergrundmotiv eines akuten Modernisierungsproblems sowie einer medio-politischen Gelegenheitsstruktur, hervorgebracht durch die massenmedial forcierte Logik politischer Kommunikationskultur moderner Mediendemokratien (vgl. Meyer 2006, 82). Diese Logik der Massenmedien teilt sich in zwei aufeinander abgestimmte Regelsysteme, deren Zusammenwirken in den Diskurs der Mediatisierung von Politik eingebettet werden kann (siehe Kapitel 5.2). Selektions- und Präsentationslogik stellen die beiden Regelsysteme dar, die sowohl dasWasals auch dasWiemoderner Medienkommunikationsstrategien bestimmen. Dabei orientiert sich die Selektionslogik an sogenannten Nachrichtenfaktoren, deren Erfüllung den Nachrichtenwert eines Ereignisses bestimmen. Folgende Faktoren spielen in diesem Zusammenhang eine maßgebliche Rolle:
kurze Dauer des Geschehens, räumliche, politische und kulturelle Nähe zum Betrachter, Überraschungswert im Rahmen eingeführter Großthemen, Konflikthaftigkeit, Schaden, ungewöhnliche Erfolge und Leistungen, Kriminalität, Personalisierung, Prominenz der handelnden Personen (Schulz 1976).
Eine einheitliche Präsentationslogik massenmedialer Inhalte lässt sich hingegen nur schwerlich ausmachen, da sie sich von Medium zu Medium als auch innerhalb eines Mediums (z.B. Boulevard- und Qualitätsjournalismus) stark unterscheiden kann. Abgesehen von den wesentlichen Unterschieden ihrer medialen Gattung (Bild- versus Schriftmedium), haben sie dennoch grundlegende theatralische Inszenierungsoptionen gemein derer sie sich bedienen:
Personifikation, mythisierender Heldenkonflikt, Drama, archetypische Erzählung, Wortgefecht, Sozialrollendrama, symbolische Handlung, Unterhaltungsartistik, sozialintegratives Nachrichtenritual. Bei all diesen Inszenierungsformen geht es um die Erzeugung von Aufmerksamkeit, Neugier und Spannung mit den Stilmitteln von Theater und Popkultur, um ein möglichst breites Publikum zu gewinnen und bei der Stange zu halten (Meyer 2006, 83).
Der durch diese beiden Regelsysteme hervorgebrachte Inszenierungsdruck für öffentlichkeitswirksames Handeln und den politischen Handlungsprozess als solchem, verstärkt wiederum die zugrundeliegende Dynamik der „Mediokratie“ (ebd., 87). Meyer hebt hervor, dass vor allem die damit einhergehende Flüchtigkeit der medialen Inszenierung demokratischer Prozesse der Dezisionslogik eines populistischen Demokratieverständnisses entspricht:
Die schnelle Umfrage, der die passende Inszenierung auf dem Fuße folgt, ersetzt das abwägende Räsonnement, obgleich doch alle wissen, dass die rasch geäußerte Meinung vor dem gründlicheren öffentlichen Gespräch ihrerseits oft nicht viel mehr sein kann als das Echo der Medieninszenierung bei ihren flüchtigen Betrachtern (ebd., 86).
Im Lichte dieser Betrachtung des Populismus als dezidiert medialer Strategie, zieht Meyer den Schluss, dass ebenjene Logik der flüchtigen Inszenierung vondirekterpopulistischer Politik zur langfristigen Schwächung etablierter Akteure und Strukturen deliberativer Demokratie führt. Die wechselseitige Dynamik massenmedialer Aufmerksamkeitsgenerierung und politischen Handelns privilegiert kurzfristige Kommunikationserfolge gegenüber dem mühsamen deliberativen Prozess der öffentlichen Meinungs- und Willensbildung. Sofern sich diese Tendenz zur Mediokratie fortsetzt, unterwirft sich die Politik immer mehr den trivialisierenden, personalisierenden und entdifferenzierenden Inszenierungsregeln der Unterhaltungsmedien (vgl. ebd., 86ff.).
Verknüpft hiermit sehen sich medio-politische Debatten zudem mit einem Rückgang an angemessen komplex dargestellten Lösungsansätzen zu äquivalent komplexen politischen Problemen konfrontiert. Solch eine Mediokrität der medialen Debatte in Kultur und Politik ist laut Meyer zwei sozialen Mechanismen geschuldet:
1. Die Vereinzelung der Individuen, deren „Anfälligkeit für den Druck der Durchschnittsmeinungen und des Durchschnittgeschmacks als autoritativer Lebensorientierung begünstigt und am Ende alle an der Erzeugung des Drucks teilhaben lässt“ (ebd., 93ff.); und 2. „Die Übertragung des demokratischen Entscheidungsprinzips aus der Politik auf die gesellschaftliche Sphäre der Kultur und Lebensführung“ (ebd.). Dies hat zur Folge, dass aus dem politischen Entscheidungsprozess der egalitären Mehrheitslegitimation eine kulturelle Produktionsnorm wird, die die Mediokrität des unteren Durchschnitts bzw. des kleinsten gemeinsamen Nenners bevorzugt und öffentliche Debatten bereits im Vorfeld obsolet macht (vgl. ebd., 94).
Konträr zum sogenannten Denkzettel-Theorem, welches (rechts-)populistische Parteien als ein konstruktives Element gegenüber einer erstarrten institutionellen Demokratie betrachtet, überwiegen für Meyer die Risiken einer politischen Öffnung hinsichtlich ausländerfeindlichen Vorurteilen und eines wiedererstarkenden Nationalismus. Betrachtet man populistische Initiativen als ein reaktionäres Phänomen auf überinstitutionalisierte Demokratien und als Produkt einer beschleunigten Mediokratie, mag man ihnen zwar eine gewisse Belebung der politischen Gesellschaftsdebatte attestieren. Besonders rechtspopulistische Bewegungen stellen jedoch in ihrem konstitutiven Antagonismus gegenüber den Grundsätzen einer deliberativen Demokratie, und den damit verbundenen politischen Prozessen, ein dauerhaftes Problem für moderne Demokratien dar.
Der hier aufgegriffene Ansatz des Populismus als Medienphänomen bzw. als Folge massenmedialer Kommunikationsstrukturen moderner Mediokratien, bildet den Rahmen für Uwe Juns Betrachtung des Populismus als Regierungsstil (Jun 2006). Bei Populismus handelt es sich folglich nicht um programmatische Bewegungen, die aufgrund ihrer inhaltlichen Gemeinsamkeiten als solche bezeichnet werden könnten, sondern um ein Instrument des Regierens und politischen Agierens. Auch Jun betrachtet Legitimitätskrisen institutioneller Demokratien als den maßgeblichen Grund für populistisch geführte Politik (vgl. Jun 2006, 234). Die Verwendung populistischer Vermittlungstechniken im Regierungsalltag dient in erster Linie also zur Herstellung von Legitimitätssicherung und öffentlicher Akzeptanz, um: „erstensden Erosionsprozessen der Parteiendemokratien entgegenzuwirken undzweitensdie gestiegenen Anforderungen des Regierens durch Vereinfachungen zu überspielen“ (ebd., Herv. im Orig.). Aufgrund der europaweit erheblich zurückgegangenen Parteienidentifikation können sich selbst Volksparteien nicht mehr auf eine strategische Mehrheitsbildung verlassen. Dies tritt besonders deutlich bei Nebenwahlen auf regionaler Ebene zutage, bei denen Länderübergreifend die nationalen Regierungsparteien herbe Niederlagen einbüßen mussten (vgl. ebd., 235ff.). Zugleich befinden sich alle europäischen Regierungen in einem Dilemma zwischen zunehmender Komplexität der Regierungsgestaltung im Zuge globalisierter Handels- und Finanzstrukturen sowie den dadurch schrumpfenden Handlungsspielräumen für nationalstaatliche Politik. Das wesentliche Kommunikationsproblem erwächst also aus der angemessenen Repräsentation komplexer politischer Prozesse und Entscheidungen im Rahmen der bereits diskutierten Logik massenmedialer Vermittlung. Populistische Kommunikationsstrategien können in diesem Lichte auch als ein aus der Not geborenes Mittel effektiver medialer Inszenierung aufgefasst werden, derer sich alle Politiker und Parteien mehr oder weniger bedienen.
Jun kennzeichnet vier Eigenschaften populistischen Regierens, die ebenjenen Phänomenen der schwindenden Legitimität entgegenwirken sollen: Erstens, eine direkte Hinwendung zu Meinungen und Stimmungen der WählerInnen, einhergehend mit der partiellen Abkehr von intermediären Organisationen. Hier dient der Verweis auf den vermeintlichen Volkswillen als Legitimitätsgrund per se, wobei sich diese Anrufung sowohl an die gesamte politische Gemeinschaft als auch an eine spezielle Gruppe innerhalb dieser richten kann. Gleichzeitig tritt das plebiszitäre Demokratieverständnis populistischer Akteure zutage, welches intermediären Organisationen grundsätzlich kritisch gegenübersteht und diesen einen vermeintlich direkten Volkswillen gegenübersetzen möchte (vgl. Decker 2004, 273ff.). Zweitens, das Agieren als überparteiliche Organisation, abgekoppelt von Parteien und Parteiprogrammen – der Anti-Parteien-Affekt des Populismus findet sich im Leitmotiv des Anti-Establishments wieder, welches sich als antagonistisches Pendant zur politischen Elite positioniert:
Die Parteien gelten den Populisten als wesentlicher Teil der politischen Klasse, als Interessenorganisation primär in eigener Angelegenheit, als erstarrte, verstaatlichte Gebilde, die ein Kartell formten, um ihre Machtansprüche abzusichern (Jun 2006, 242).
Ein populistischer Regierungsstil bzw. populistisches Regierungshandeln erfolgt ohne einen expliziten Verweis auf Parteien oder parteinahe Organisation und Interessengruppen. Drittens, eine personenzentrierte Außendarstellung des Regierens: Dies äußert sich durch ein stärker auf den oder die Regierungschefin zugeschnittenes Regierungshandeln sowie den dadurch erlangten Machtgewinn der jeweiligen Person in der Regierungs- und Darstellungspolitik. Eine charismatische Führungspersönlichkeit „entspricht der populistischen Prädisposition für politisch-institutionelle Simplizität und Direktheit“ (Taggart 2000, 102). Viertens, Regieren als permanente Kampagne: Im Sinne einer Mediokratie, gilt es kontinuierlich mediale Aufmerksamkeit zu generieren, um im politischen Diskurs Präsenz zu zeigen:
Da sich der politische Diskurs [...] weitgehend in das Forum der elektronischen Medien verlagert hat, ist Politik in der Gegenwartsgesellschaft zu einer Art Dauerwerbesendung geworden. Politische Produkte werden fast rund um die Uhr angeboten (Dörner / Vogt 2002, 22).
Im Zuge der Mediatisierung der Politik setzt sich die Personalisierung als politische Inszenierungsstrategie immer stärker durch, um
das [zu] leisten, was die Rationalität von Verfahren, die Bindewirkung religiöser und politischer Weltbilder und die Überzeugungskraft wissenschaftlicher Expertise nicht mehr leisten können: In einem zunehmend unübersichtlich und unverbindlich gewordenen politischen Betrieb Übersichtlichkeit und Verbindlichkeit herzustellen (Grande 2000, 134).
Die ursächliche Legitimitätskrise sowie die vier dargelegten Eigenschaften populistischen Regierens, lassen Jun zu dem Schluss kommen, dass Populismus als politischer Kampfbegriff in erster Linie als politisches Kommunikationsmittel eingeordnet werden muss. Es liegt daher nahe, dass sich Regierungen auch in Zukunft populistischer Mittel bedienen werden, um Akzeptanz bei den Wählern zu finden (vgl. Jun 2006, 251).
Decker (2006, 25) verweist in diesem Zusammenhang auf zwei unterschiedliche Arten von Populismus, welche er, je nach institutioneller Ausgangslage, als „eingebauten“ und „externen“ Populismus bezeichnet. Beim „eingebauten Populismus“ handelt es sich dabei um ein bereits in den europäischen Wettbewerbsdemokratien strukturell angelegtes Phänomen, welches besonders in elektoralen Phasen zutage tritt. In sogenannten Konsensdemokratien, „die durch geschlossene, bisweilen kartell-förmige Entscheidungsstrukturen charakterisiert sind“ (ebd.), werden populistische Forderungen eher von außen an das System herangetragen. Für Margaret Canovan sind sowohl der „anti-parteienstaatliche Protestpopulismus“ (ebd.) in den Konsensdemokratien als auch der system-inhärente Populismus der Wettbewerbsdemokratien das Ergebnis eines „demokratischen Paradoxon“ (Canovan 2002, 25) moderner liberaler Demokratien hinsichtlich der wachsenden Komplexität politischer Entscheidungsprozesse und deren öffentlicher Darstellung.
Dass sich der erstarkende Rechtspopulismus in Europa auf Dauer nicht ganz so unproblematisch in das Konzept eines konstruktiv-demokratischen (eingebauten) Populismus eingliedern lässt, schlägt sich in jüngster Zeit auch in der aktuellen Forschung diesbezüglich nieder. So wäre die positive Korrekturfunktion rechtspopulistischer Parteien und Bewegungen nur insofern eingetreten, wenn sie sich als systemtragende Kräfte in das normale Parteienspektrum hätten eingliedern lassen können. Sie wären im Laufe der Zeit also gänzlich verschwunden oder hätten sich soweit normalisiert bzw. sich von ihren radikalen Anti-Positionen entfernt, dass sie nicht mehr als populistisch erachtet werden könnten. Stattdessen lässt sich eher eine langsame, aber stetige Verschiebung grundlegender Demokratiekonzepte beobachten:
Die neu entstandenen Parteien sind Trendsetter einer Entwicklung, die man als „plebiszitäre Transformation“ des politischen Prozesses bezeichnen könnte. [...] [Diese] Transformation ist aber auch bei den alteingesessenen Parteien inzwischen weit fortgeschritten, nachdem die Wähler sich bei der Stimmabgabe immer weniger an soziologische oder ideologische Gewissheiten gebunden fühlen und der Parteienwettbewerb aufgrund der generell abnehmenden Handlungsspielräume der (nationalen) Politik auch real an Substanz einbüßt (Decker 2006, 26).
Die von rechtspopulistischen Parteien ausgehende Bedrohung für liberal-demokratische Gesellschaften Europas, beruht auf deren konstitutiv anti-liberale Ideologie, die das Bedürfnis nach homogenen Identitätskonstruktionen, sowohl intern als auch extern, schürt, erzeugt und ausnutzt. Sie beruht letztlich auf Ausgrenzung und wirkt stetig polarisierend (vgl. ebd.).
2.3 Diskurstheoretische Perspektiven zum „Populismus“-Begriff
Im Gegensatz zu den bis hierhin diskutierten Deutungsansätzen des Populismus-Begriffs, lässt sich dieses Phänomen wohl noch grundlegender analysieren, wenn man sich ihm unter diskursanalytischen Gesichtspunkten nähert. Umfassender aus dem Grunde, da sich Analysen zum Populismus als Ideologie, Medienphänomen oder Regierungsstil einem „selbstverständliche[n] Vor-Urteil der (hegemonialen) Politologie und des mediopolitischen Interdiskurses“ (Link 2008, 21) ausgesetzt sehen, welches den Populismus a priori negativ bewertet. Eine diskursanalytische Betrachtung des Populismus ermöglicht daher eine tiefergehende Analyse dieses Signifikanten, da man ihn aus einer ergebnisoffeneren Position heraus diskutieren kann, ohne den argumentativen Einschränkungen des Paradigmas eines „binären Regierbarkeitsparlamentarismus“ (ebd.) folgen zu müssen.
Einleitend hierzu lassen sich einige Beobachtungen zur gegenwärtigen Konjunktur des Populismus-Begriffs von Jürgen Link (2008) heranziehen. Link greift dabei auf die von ihm geprägte Topik des Normalismus zurück sowie auf den Populismus-Begriff von Ernesto Laclau (beide Theoreme werden in den folgenden Kapiteln ausführlicher besprochen). Die Ausdehnung des normalpolitischen Spektrums (linksextrem/linksradikal – linker Flügel – links – linke Mitte – Mitte – rechte Mitte – rechts – rechter Flügel – rechtsextrem/rechtsradikal) in Folge der Eingliederung des Rechtspopulismus zwischen „rechtem Flügel“ und „rechtsextrem“, erachtet Link als ein diskursives Ereignis, welches auf das Spektrum als „politisches Normalitäts-Dispositiv“ (Link 2008, 17) verweist. Eine einseitige Ausdehnung des Spektrums ist insoweit jedoch unmöglich, da die diskursiv-sprachliche Neuschöpfung eines politischen Ortes (rechtspopulistisch) dessen Antagonisten (linkspopulistisch) von vorneherein voraussetzt bzw. diesem einen Ort präventiv einräumt1(vgl. Link 2008, 19). Die Frage nach dem Populismus schließt also immer auch die nach der Topik der symbolischen Links-Rechts-Mitte-Extreme mit ein, sofern man diese unter diskursanalytischen Gesichtspunkten stellt:
Der Signifikant „Populismus“ spielt aktuell eine Rolle von großer Bedeutung – und: der Status dieses Signifikanten scheint zur Apologetik für „Extremismen“ und zum reinen Formalismus zu tendieren, während es schwer fällt, ihn „inhaltlich“ klar zu definieren. Damit aber ruft er geradezu nach Diskursanalyse. Eine solche Diskursanalyse muss den Signifikanten sowohl in seiner linguistisch-diskursiven Struktur wie in seiner pragmatischen und praktischen Funktion untersuchen, und zwar jeweils sowohl synchronisch-systemisch wie diachronisch-historisch (Link 2008, 19).
Die erste Unterscheidung, die Link diesbezüglich aufgreift, ist die der Selbst- und Fremdbezeichnung. Mit Ausnahme der US-amerikanischen „People’s“ bzw. „Populist Party“ gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts und einigen südamerikanischen Bewegungen des zwanzigsten Jahrhunderts, handelt es sich beim Populismus um eine Fremdbezeichnung. Dieser Signifikationsprozess ereignet sich im mediopolitischen Diskurs, angestoßen durch konkurrierende Politiker, Medienschaffende und zuweilen Politologen (vgl. ebd.). Ob nun rechts- oder linkspopulistisch, spielt dabei vorerst keine Rolle, da der Populismus, im Konsens mit dem „binären Regierbarkeitsparlamentarismus“ und dessen Frage nach seiner Regierfähigkeit, durchweg negativ konnotiert ist. Jedoch bewertet der mediopolitische Diskurs die Grenzen beider Populismen zum Extremen mit zweierlei Maß: Rechtspopulismus wird gemeinhin im Gegensatz zu Rechtsextremismus gedacht, während der Linkspopulismus eher als Übergang zum Linksextremismus gilt. Im Falle des Rechtspopulismus übernimmt die Ausdehnung des politischen Normalspektrums also eine apologetische bzw. verharmlosende Funktion, wo hingegen dem Linkspopulismus eine pejorative Konnotation anhaftet (Link 2008, 20).
Link bestimmt den mediopolitischen Diskurs als Interdiskurs, welcher sich trotz gelegentlicher Einbindung von Expertenwissen vorwiegend an eine „nicht-spezialistische Öffentlichkeit“ (ebd.) wendet. Interdiskurse funktionieren „dominant subjektivierend“ und „wissens-kombinierend bzw. integrierend“, indem sie Angebote zur Identifikation und Gegenidentifikation bieten sowie die damit entsprechenden Wertungsschemata und Parteinahmen gleich mitliefern. Diesem stehen sogenannte Spezialdiskurse (Wissenschaften) und der elementare Diskurs (Alltagswissen) gegenüber (vgl. ebd.). Zumindest im deutschsprachigen Elementardiskurs, handelt es sich beim Populismus um einen noch relativ neuen Signifikanten, dessen diskursiver Signifikationsprozess noch äußerst ambivalent und maßgeblich durch Überschneidungen mit dem mediopolitischen Diskurs dominiert wird. Innerhalb der Spezialdiskurse bemüht sich vor allem die Politologie seit einiger Zeit um die systematische Definition dieses Phänomens (siehe Kapitel 2).
Bei Ernesto Laclaus diskursanalytischen Betrachtungen diesbezüglich handelt es sich ebenfalls um einen dieser speziell geführten Diskurse, welcher mit dem politologischen Paradigma bricht und den Populismus in seiner begrifflichen Herleitung zu definieren versucht. Er unterscheidet sich somit auch von vorherrschenden Interpretation des mediopolitischen Diskurses zu diesem Komplex. Man könnte so weit gehen zu sagen, dass Laclau sich diesem Diskurs sogar bewusst entzieht, indem er keine dezidiert medientheoretischen Positionen im Kontext seiner Populismustheorie entwickelt. Seine Theorie verläuft entgegen dem (hegemonialen) politologischen Paradigma des Regierbarkeitsparlamentarismus. Entgegen diesem Paradigma des politologisch-mediopolitischen Interdiskurses, betrachtet Laclau Populismus bzw. populistische Phänomene als „transeurozentrisch-transinstitutionell, dynamisch-ereignishaft, antagonistisch-hegemonial und performativ“ (Link 2008, 22). Gemäß des diskursanalytischen Ansatzes, begreift seine Theorie diese Phänomene in ihrer symptomatischen Funktion bzw. als symptomatischen Ort an der Grenze des etabliert westlichen Parlamentarismus (vgl. ebd.).
3 Ernesto Laclaus Populismus-Begriff
Die einleitend diskutierten Standpunkte zum Populismus, welche überwiegend dem politologischen Diskurs zuzuordnen sind, sollen nun durch eine ausführliche Darlegung der Gedanken Laclaus diesbezüglich konterkariert werden. Diese Betrachtung orientiert sich entlang seiner Konzepte zu Hegemonie, Antagonismus und der sozialen Produktion leerer Signifikanten. Zudem werden die in diesem Kontext getroffenen Beobachtungen zur Identifikation im weiteren Verlauf dieser Arbeit aufgegriffen.
3.1 Die soziale Produktion leerer Signifikanten
Mit „On Populist Reason“ (2005), legt Ernesto Laclau die zentrale Analyse seines Populismus-Begriffs vor. Aufbauend auf den mit Chantal Mouffe entwickelten theoretischen Ansatz zur radikalen Demokratie2, entwirft Laclau eine gegensätzliche Auffassung zu bisherige Populismus-Theorien der Politologie. Im Gegensatz zu diesen versteht er Populismus weder als Repräsentation einer bestehenden Gruppe noch als reines rhetorisches Mittel politischen Handelns (vgl. Bruell 2017, 7). Stattdessen setzt Laclaus Argumentation bei der populistischen Konstruktion von Identifikation an, welche erst durch die Artikulation populistischer Forderungen entsteht. Populismus konstruiert somit eine kollektive Identität, deren konstitutives Grundelement die soziale Forderung (demand) ist (vgl. Laclau 2005, 95). Durch die Bündelung dieser unerfüllten Forderungen kommt es zur kollektiven Identifikation partikularer Anliegen. Laclau spricht hier vonÄquivalenzketten. Diese beschreiben den Prozess jener Verbindung partikularer Anliegen, die aufgrund ihrer Unerfülltheit den gleichen Adressaten haben. Dieser Mangel der Unerfülltheit sowie ihr äquivalenter Adressat können zu jener Verkettung führen, jedoch behalten die Forderungen dabei ihre Partikularität in ihrer Differenzbeziehung zueinander (vgl. Bruell 2017, 7). Diese Verkettung legt zudem fest, welche Forderungen als populistisch oder demokratisch erachtet werden. So gelten ausschließlich voneinander isoliert artikulierte Ansprüche als demokratisch, sofern sie erfüllt werden. Die gebündelten „popular demands“ (Laclau 2005, 74) begründen hingegen eine Spaltung innerhalb der Gesellschaft: in die, die Forderungen stellen und in jene, die sie nicht erfüllen (Anti-Establishment-Motiv). Sofern die populistischen Forderungen erfolgreich sind, also erfüllt werden, übersetzt der Populismus „das zunächst vage Gefühl der Solidarität schließlich in ein stabiles Bedeutungssystem symbolischer Natur [...] – symbolisch wird also eine prekäre Einheit hergestellt“ (Bruell 2017, 8). Diese Stabilität variiert, bedingt durch die unterschiedlichen Ausprägungen des Populismus und der Zahl ihrer Forderungen. Sie wirken umso totalisierender und symbolisch stabilisierender, je größer die Zahl der zugleich artikulierten Forderungen einer Äquivalenzkette ist (vgl. ebd.).
Um die bis zu diesem Punkt hergestellte Verbindung partikularer Ansprüche in Form eines Interessenbündnisses zu stabilisieren, bedarf es jedoch eines symbolischen Leitmotivs. Hierzu muss eine der partikularen Forderungen der Äquivalenzkette enthoben werden und eine Ankerfunktion übernehmen. Diese Signifikation vollzieht sich indem die Forderung ihres konkreten Inhalts weitestgehend entleert, also ins Symbolische überführt wird. Damit sich möglichst viele der Partikularinteressen in diesemleerenSignifikanten wiederfinden können, kann dieser jedoch nicht gänzlich entleert werden, da sonst jegliche identifizierenden Merkmale und Anknüpfungspunkte verloren gingen.
Seinen strukturellen Entwurf dieses symbolischen Platzhalters gründet Laclau in Saussures Semiotik – dem Verständnis von Sprache als einem System von Differenzen. Dieses legt fest, dass „linguistische Identitäten – Werte – rein relational sind und daher dieGesamtheitvon Sprache in jedem einzelnen Akt der Bezeichnung involviert ist“ (Laclau 2002, 66, Herv. im Orig.). Jeder Sprechakt bezeichnet somit eine Differenz, welche gleichzeitig die explizite Bedeutung als auch das Nicht-Gesagte definiert und miteinschließt. Dies bedeutet allerdings auch, dass solch ein Bezeichnungssystem hinsichtlich der Definition der eigenen Grenzen auf ein logisches Paradox stoßen muss. Denn sobald es seine eigene Grenze als solche sprachlich bezeichnet, löst sich der logische Dualismus des Inneren und des Äußeren auf:
Was die Bedingung der Möglichkeit eines Bezeichnungssystems bildet – seine Grenzen –, bildet auch die Bedingung seiner Unmöglichkeit – eine Blockade der fortgesetzten Ausweitung des Bezeichnungsprozesses (ebd.).
Die Grenzen eines Bezeichnungssystems können folglich nicht logisch bezeichnet werden, sondern müssen sich als solche zeigen. Sie zeigen sich als Unterbrechung oder Zusammenbruch des Signifikationsprozesses. Wahre Grenzen eines Systems sind daher immer antagonistisch (vgl. Laclau 202, 67).
Laclau baut sein paradoxes Konstrukt des leeren Signifikanten – eines Signifikanten ohne eindeutigem Signifikat – auf dem systemimmanenten Problem der ausschließenden Grenzen auf. Die diesem Problem zugrundeliegende Logik löst demnach bestimmte Effekte aus, deren Wirken zur Entstehung leerer Signifikanten beitragen. So erlangt ein Element innerhalb eines solchen Systems nur durch Unterscheidung Identität. Solche identitätsstiftenden Differenzen treten jedoch in eine äquivalente Beziehung zu allen anderen Differenzen innerhalb des Systems, was wiederum die differentielle Systemhaftigkeit wiederspiegelt. Diese Ambivalenz führt zu einer konstitutiven Spaltung der Identität eines jeden Elements, da das System auf einer radikalen Ausschließung gründet und sich gemäß dieser systematischen Logik nicht „im Sinne eines positiven Signifikats“ (Laclau 2002, 68) selbst bezeichnen kann:
ein durch radikale Ausschließung gebildetes System unterbricht dieses Spiel der differentiellen Logik: denn was vom System ausgeschlossen wird, ist – weit davon entfernt etwas Positives zu sein – schlicht das Prinzip der Positivität: reines Sein (ebd.).
Positivität beruht demnach auf der differentiellen Logik der Teilelemente eines Systems. Die Entstehungsmöglichkeit zur Bildung eines leeren Signifikanten besteht in der Auflösung aller inneren Differenzen eines Systems mit Hilfe eines entleerten symbolischen Platzhalters. Sie kündigt sich in der Bildung von Äquivalenzketten an, welche das Ergebnis des Zusammenbruchs partikularer Differenzen sind. Die Produktion leerer Signifikanten erfüllt das Bedürfnis nach Selbstbezeichnung, also Identifikation. Solch ein Selbstbezeichnungsprozess innerhalb eines auf Aufschluss basierenden Systems, erlaubt es allerdings auch nicht, diesen in einer weiteren Differenz zu bilden. Dies ginge entgegen der konstitutiven Logik des radikalen Ausschlusses, dass alle Darstellungsmittel differentieller Natur sind. Stattdessen müssen die Bezeichnungseinheiten von ihren Signifikaten gelöst werden, indem man sie ihrer differentiellen Natur auf subversive Art entleert. Die letztliche Form bzw. Rolle eines leeren Signifikanten ist die einer Totalität. In dieser übernehmen die Signifikanten, losgelöst von ihren Signifikaten, eine repräsentative Rolle des Systems per se bzw. einer objektiven Ordnung. Laclau verweist hier auf den konstitutiven Mangel, welcher aus der Unerreichbarkeit dieser reinen Positivität entsteht. Ein Mangel, der sich ebenso in der Unmöglichkeit einer adäquaten Repräsentation äußert und das Konzept des leeren Signifikanten umso abstrakter erscheinen lässt. Dennoch kann es
[...]
1 Zum Beispiel die von Sahra Wagenknecht ins Leben gerufene Bewegung „aufstehen – Die Sammlungsbewegung“. Die „soziale und demokratische Erneuerungsbewegung“ positioniert sich in ihrem außerparlamentarischen Selbstverständnis als eine linke bzw. linkspopulistische Alternative zu PEGIDA (Quelle: https://aufstehen.de/).
2 Zum gemeinsam von Laclau und Mouffe entwickelten Begriff der radikalen Demokratie:3 „Die Basis bildet hierbei eine differenztheoretische, am strukturalistischen Verständnis von Sprache orientierte Konzeption des Sozialen, die allerdings von den Phantasien einer Schließbarkeit von Strukturen befreit ist. […] Stattdessen wird die antagonistische und machtförmige Natur des Sozialen […] betont. […] Soziale Strukturierung funktioniert somit ausschließlich im unruhigen Modus der Hegemonie. Die politische Verfasstheit, die das am ehesten anerkennt, ist die […] radikale Demokratie […], die sich sowohl ihrer eigenen Grundlosigkeit bewusst ist als auch der Notwendigkeit, angesichts dieser Grundlosigkeit im Zuge des politischen Kampfes immer aufs Neue um Gründungs- und Begründungsfiguren zu streiten“ (Nonnhoff 2007, 7).
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- Johannes Kleager (Autor), 2020, Die Metapolitik der Identitären Bewegung Deutschland. Medienstrategien rechter Gruppierungen, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/513515
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