Die vorliegende Studie untersucht Zusammenhänge zwischen Schreibleistungen, Selbstregulation während des Schreibprozesses und Arbeitsgedächtniskapazität bei Sechstklässlern. Es wird angenommen, dass ein hohes Maß an Selbstregulation sowie eine hohe Arbeitsgedächtniskapazität zu besseren Schreibleistungen führen.
108 Sechstklässler erhielten in Kleingruppen ein 4-wöchiges Schreibtraining. Dazu wurden die Schüler randomisiert einer Experimental- und einer Kontrollgruppe zugewiesen. In beiden Trainingsgruppen wurden die gleichen Schreibstrategien vermittelt, in der Experimentalgruppe jedoch zusätzlich Methoden zum Aufbau selbstregulatorischer Fertigkeiten. Die Schreibleistungen wurden vor und nach dem Training erfasst. Neben diesen wurde die Arbeitsgedächtniskapazität jedes Schülers anhand von drei Spannenmaßen erhoben. Die Ergebnisse zeigen, dass eine zusätzliche Selbstregulation zu besseren Schreibleistungen führt. Auch ergaben sich Zusammenhänge zwischen einzelnen Arbeitsgedächtnis-Komponenten und Schreibleistungsmaßen sowie ein Moderatoreffekt der Arbeitsgedächtnis-Komponente "Zentrale Exekutive". Diese moderiert den Effekt der Schreibtrainings-Bedingung auf die narrative Qualität der im Posttest geschriebenen Texte. Durch weitere Forschung könnten die Erkenntnisse ausgeweitet und für die Praxis im Schulalltag nutzbar gemacht werden.
Inhaltsverzeichnis
1 Zusammenfassung
2 Theoretischer Rahmen
2.1 Schreibentwicklung und Schreibmodelle
2.2 Schreiben und Selbstregulation
2.2.1 Self-Regulated Strategy Development (SRSD)
2.2.2 Selbstregulatorisches Aufsatztraining (SAT)
2.3 Arbeitsgedächtnis
2.4 Arbeitsgedächtnismodell von Baddeley und Hitch (1974)
2.4.1 Komponenten des Arbeitsgedächtnis-Modells
2.4.2 Entwicklung des Arbeitsgedächtnisses
2.4.3 Messen der Arbeitsgedächtniskapazität
2.5 Das Arbeitsgedächtnis im Schreibprozess
2.5.1 Arbeitsgedächtnis in Schreibmodellen
2.5.1.1 Untersuchungen zu Kelloggs Modell
2.5.2 Arbeitsgedächtniskapazität und Schreibleistung bei Kindern
2.6 Zielsetzung und Hypothesen
3 Methode
3.1 Stichprobe und Design
3.2 Materialien
3.2.1 Testungen
3.2.1.1 Dual-Task-Schreibaufgabe
3.2.1.2 Gedächtnisspannen-Tests
3.2.2 Schreibtrainings
3.2.2.1 Selbstregulatorisches Aufsatztraining
3.2.2.2 Strategie-Training
3.3 Durchführung
3.3.1 Testungen
3.3.2 Schreibtrainings
3.4 Datenauswertung
3.4.1 Schreibleistungen
3.4.2 Gedächtnisspannen-Tests
4 Ergebnisse
4.1 Voranalysen und statistisches Vorgehen
4.2 Analysen der Schreibleistungsmaße des Prätests und der Gedächtnisspannenmaße
4.3 Analysen der Schreibleistungsmaße des Posttests
4.4 Zusammenhang – Schreibleistungen und Gedächtnisspannenmaße
4.4.1 Moderatoreffekte der Gedächtnisspannenmaße
5 Diskussion
6 Literaturverzeichnis
An dieser Stelle möchte ich mich bei Frau Prof. Dr. Glaser für die Vergabe und Betreuung der Diplomarbeit bedanken.
Ein herzliches Dankeschön geht auch an Christina Kessler, Debora Palm und Marcus Eichner für ihre Hilfe bei Fragen und Unterstützung während der Datenerhebungen.
Zudem möchte ich Tamara Schäfer und Johanna Stephainski für ihre hilfreichen Tipps und die gute Zusammenarbeit danken, sowie Anne Blochwitz und Angela Schäfer.
Besonderer Dank gilt Michael für seine Geduld und Begleitung während der Erstellung dieser Arbeit. Nicht zuletzt möchte ich mich bei meinen Eltern bedanken, die mich nicht nur finanziell, sondern auch moralisch immer unterstützt und mir den Rücken gestärkt haben.
1 Zusammenfassung
Die vorliegende Studie untersucht Zusammenhänge zwischen Schreibleistungen, Selbstregulation während des Schreibprozesses und Arbeitsgedächtniskapazität bei Sechstklässlern. Es wird angenommen, dass ein hohes Maß an Selbstregulation, sowie eine hohe Arbeitsgedächtniskapazität zu besseren Schreibleistungen führen. 108 Sechstklässler erhielten in Kleingruppen ein 4-wöchiges Schreibtraining. Dazu wurden die Schüler randomisiert einer Experimental- und einer Kontrollgruppe zugewiesen. In beiden Trainingsgruppen wurden die gleichen Schreibstrategien vermittelt, in der Experimentalgruppe jedoch zusätzlich Methoden zum Aufbau selbstregulatorischer Fertigkeiten. Die Schreibleistungen wurden vor und nach dem Training erfasst. Neben diesen wurde die Arbeitsgedächtniskapazität jedes Schülers anhand von drei Spannenmaßen erhoben. Die Ergebnisse zeigen, dass eine zusätzliche Selbstregulation zu besseren Schreibleistungen führt. Auch ergaben sich Zusammenhänge zwischen einzelnen Arbeitsgedächtnis-Komponenten und Schreibleistungsmaßen sowie ein Moderatoreffekt der Arbeitsgedächtnis-Komponente „Zentrale Exekutive“. Diese moderiert den Effekt der Schreibtrainings-Bedingung auf die narrative Qualität der im Posttest geschriebenen Texte. Durch weitere Forschung könnten die Erkenntnisse ausgeweitet und für die Praxis im Schulalltag nutzbar gemacht werden.
2 Theoretischer Rahmen
"Die genialste Erfindung des Menschen ist dieSchrift- sichtbar gewordenes Wort. Die Schrift ist Trägerin des Geistes und bewahrt alles Erdachte, Erforschte, Empfundene und bleibt so über Jahrtausende Mittler des Denkens und Handelns des Menschen". (Fr. v. Schiller)
Dieses Zitat Schillers macht die enorme Bedeutung des Schreibens für uns als Menschen deutlich. Schon seit den Anfängen der Menschheit gehören Zeichen zu den wichtigsten Mitteln der Verständigung. Bereits um 30.000 vor Christus wurden neben Höhlenmalereien Zeichen und Linien entdeckt, die auf den Gebrauch als Aussagemittel schließen ließen. Die Entwicklung der Schrift, wie wir sie heute kennen, fand über viele Jahrtausende statt, angefangen bei der Keilschrift der Sumerer vor etwa 5000 Jahren über die Entwicklung der Buchstabenschrift und des Alphabets bis hin zur heutigen digitalen Form des Schreibens.
Heutzutage ist das Schreiben aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Ob in der Schule, im Beruf oder im privaten Bereich, man kann sich kaum vorstellen, wie es sein muss nicht richtig lesen oder schreiben zu können. Laut Graham (2006) dient das Schreiben jedoch auch der Erforschung wer wir sind, um unsere Erfahrungen aufzuschreiben oder die Einsamkeit zu bekämpfen.
Allerdings ist auch die Macht, die ein guter Schreiber besitzt, nicht zu unterschätzen, was Regierungen in der Vergangenheit, aber auch heute noch in einigen Ländern dazu veranlasst, Werke bestimmter Autoren zu verbieten oder die Pressefreiheit einzuschränken. Aber worin liegt die Kunst so mitreißend zu schreiben, dass sich ganze Bevölkerungsgruppen davon beeinflussen lassen? Was macht einen kompetenten Schreiber aus?
„Nichts ist leichter als so zu schreiben, dass kein Mensch es versteht.“
(Arthur Schopenhauer)
Dieses Zitat von Schopenhauer macht die Schwierigkeit guten Schreibens deutlich. Schreiben ist eine komplexe kognitive Fähigkeit, die eine koordinierte Durchführung einer Reihe mentaler Aktivitäten erfordert (Alamargot & Chanquoy, 2001). Die Forschung beschäftigt sich bereits seit langem mit dem Prozess des Schreibens. Sie versucht die ablaufenden Prozesse und bedingenden Faktoren zu verstehen, zu beschreiben und zu erklären, um letztendlich effektive Interventionen beispielsweise in Form von Schreibtrainings entwickeln zu können.
Einen Beitrag hierzu möchte die vorliegende Arbeit leisten.
Im ersten Teil der Arbeit wird auf die theoretischen Hintergründe des Schreibens eingegangen. Dabei werden die Schreibentwicklung und die wichtigsten Schreibmodelle betrachtet, bevor auf die Bedeutung der Selbstregulation im Prozess des Schreibens eingegangen wird. Des Weiteren werden die wichtigsten Theorien zum Arbeitsgedächtnis vorgestellt, um anschließend auf die Relevanz der Arbeitsgedächtniskapazität im Zusammenhang mit Schreibprozessen und Schreibleistungen einzugehen.
Im empirischen Teil der Arbeit wird eine Studie zur Relevanz der Selbstregulation beim Schreiben von narrativen Geschichten bei Sechstklässlern vorgestellt, in welcher zusätzlich die Zusammenhänge zwischen Schreibleistungen und Gedächtnisspannenmaßen untersucht werden.
2.1 Schreibentwicklung und Schreibmodelle
Nach Fitzgerald und Shanahan (2000, zit. in Kessler, 2010) findet die Entwicklung der Lese- und Schreibkompetenz in sechs Stufen von der Geburt bis ins Erwachsenenalter statt. Dabei entwickeln sich in den Stufen 1 bis 3, die die Zeitspanne von der Geburt bis zum 8. Lebensjahr umfassen, basale Schreibfertigkeiten, in den Stufen 4 bis 6, textbezogene Schreibfertigkeiten. Ab der 4. Stufe, im Altersbereich von 9-13 Jahren entsteht Metawissen, wodurch Interventionen in Bezug auf Selbstbeobachtung und selbstregulatorische Prozesse möglich werden. In den folgenden Stufen (Altersbereich 14-18 Jahre) entsteht die Fähigkeit zur Perspektivenübernahme, was beim Überarbeiten von Texten hilfreich ist.
Um nun die Entwicklung vom Schreibnovizen zum Schreibexperten zu verstehen, muss im ersten Schritt geklärt werden, was einen kompetenten Schreiber von einem Schreibnovizen unterscheidet.
Laut Glaser und Brunstein (2008) setzt sich ein kompetenter Schreiber im Gegensatz zu einem Schreibnovizen Schreibziele, die er im Laufe des Schreibprozesses immer wieder verfeinert. Er überwacht und bewertet sein Vorgehen beim Schreiben. Er arbeitet in einer für ihn angemessenen Schreibumgebung, zu für ihn passenden Tageszeiten und weiß welche Methoden am effektivsten sind. Der kompetente Schreiber nutzt externe Ressourcen als Quellen für die benötigten inhaltlichen Informationen und besitzt ein hohes Maß an Vorwissen (thematisch, stilistisch, genre-spezifisch). Ebenso besitzt er ein hohes Maß an Selbstwirksamkeit, schafft es aber auch in schwierigen Phasen sich zum Schreiben zu motivieren (z.B. durch Belohnungen). Auch verfügt der kompetente Schreiber über ein Repertoire an effektiven Schreibstrategien zur Planung und Überarbeitung von Texten, die er gewinnbringend anzuwenden weiß.
Santangelo, Harris und Graham (2008) beschreiben zusätzlich, dass ein kompetenter Schreiber mehr Inhalt produziert, als er benötigt und dann im Prozess der Revision Überflüssiges wieder entfernt. Außerdem evaluiert und revidiert der kompetente Schreiber seinen Text sehr ausführlich und verbessert so schrittweise das Geschriebene. Schreibnovizen dagegen nutzen eher wenige bis keine Planungsstrategien, ihre Ideen haben eher spontanen und episodischen Charakter, wobei jede einzelne Idee als Stimulus für die nächste dient. Diese Aneinanderreihung von Stichworten wird anschließend meist so in eine Textform übersetzt. Sollen Schreibnovizen ihren Text dann überarbeiten, finden im Allgemeinen weniger als 20% inhaltliche Überarbeitungen statt. Meist wird lediglich die Rechtschreibung verbessert oder der Text nochmal „schön“ abgeschrieben. MacArthur, Graham und Schwartz (1991) konnten zeigen, dass bei Schreibnovizen ca. zwei Drittel der Veränderungen während der Revision einen neutralen oder sogar negativen Effekt erzielten.
Auch Bereiter und Scardamalia beschäftigten sich mit der Frage des Unterschiedes zwischen Schreibnovizen und Schreibexperten. 1987 stellten sie zwei Schreibmodelle vor, welche laut Alamargot und Chanquoy (2001) keine Stufen in der Entwicklung vom Schreibnovizen zum Schreibexperten bilden, sondern eher zwei Extreme auf einem Kontinuum darstellen.
Ihr erstes Modell, bezeichnen sie als „Knowledge-Telling“. Diese Methode wird zumeist von jungen Schreibern und Schreibnovizen angewandt, da sie nur eine geringe kognitive Anstrengung erfordert. Aber auch Erwachsene und Schreibexperten nutzen hin und wieder diese Methode, wenn leicht abzurufende Informationen gefragt sind. Es wird ganz einfach „erzählt“, was man über das betreffende Thema weiß (Graham, 2006). Das Modell beinhaltet drei Komponenten: die Repräsentation der Aufgabe (zur Definition von Thema und Text), das Langzeitgedächtnis (mit Inhalts- und Diskurswissen) und den „Prozess des Erzählens“. Der letzt genannte Prozess verbindet die ersten beiden Komponenten miteinander und beinhaltet mehrere Operationen: Thema und Art des Textes werden festgelegt, danach wird das Langzeitgedächtnis dazu befragt, um die Angemessenheit zu prüfen. Im Anschluss wird der Text erstellt, der wiederum in der Folge selbst als Stimulus dient, das Langzeitgedächtnis nach weiteren Informationen dazu zu durchsuchen (Bereiter & Scardamalia, 1987).
Das zweite Modell von Bereiter und Scardamalia, als „Knowledge-Transforming“ bezeichnet, wird von kompetenten Schreibern verwendet. Hier wird das Wissen transformiert. In Abbildung 1 ist das Modell graphisch dargestellt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1. „Knowlede-Transforming“-Modell von Bereiter und Scardamalia, 1987 (aus Alamargot & Chanquoy, 2001).
Die Bestandteile des „Knowledge-Telling“ finden sich in diesem Modell wieder. Wie in der Abbildung ersichtlich, befindet sich innerhalb dieses Modells jedoch ein komplexer Problemlöseprozess. Der Schreiber entwickelt, wie beim „Knowledge-Telling“ zuerst eine mentale Repräsentation der Aufgabe. Anschließend analysiert er das Problem und setzt sich Ziele. Der Bereich des Inhalts und der Rhetorik wird durch die gesetzten Ziele und die zur Verfügung stehenden Mittel (Inhaltswissen und Diskurswissen) geleitet. Die beiden Problemräume Inhalt und Rhetorik interagieren miteinander. Das Resultat des Ganzen, der Plan, wird dann in einen Text umgewandelt („Knowledge-Telling“), der anschließend noch einmal analysiert wird, um ihn inhaltlich und rhetorisch zu verbessern (Bereiter & Scardamalia, 1987). Auf der Basis verschiedener Experimente sehen Bereiter und Scardamalia ein Alter von 16 Jahren als Grenze für den Übergang vom „Knowledge-Telling“ zum „Knowledge-Transforming“ (Bereiter & Scardamalia, 1987).
Laut Graham (2006) kann das „Knowledge-Telling“ einfaches Schreiben gut erklären, was es somit auch für weitere Untersuchungen interessant macht. Der Einfluss des „Knowledge-Transforming“ ist jedoch eher begrenzt, da es nur wenige Belege gibt, dass dieses Modell kompetentes Schreiben erklärt (Graham, 2006).
Ein Modell, das diesem Anspruch gerecht wird, ist das bereits 1980 von Hayes und Flower vorgestellte kognitive Schreibmodell. Hayes & Flower beschrieben bereits 1977 das Schreiben als Problemlöseprozess, was sich in ihrem Modell widerspiegelt. Sie untersuchten Heuristiken und Strategien des Schreibens bei guten und weniger guten Schreibern, um diese im Anschluss in lehrbare Techniken umzuwandeln (Hayes & Flower, 1977).
Mit ihrem kognitiven Schreibmodell, welches sie mit Hilfe von Protokollen lauten Denkens bei der Textgenerierung von Erwachsenen erstellt hatten, zeigten Hayes und Flower die Zusammenhänge zwischen dem eigentlichen Prozess des Schreibens und den Schreibprozess bedingenden Faktoren, wie dem Langzeitgedächtnis und dem Schreibumfeld, auf und legten damit den Grundstein zur weiteren Schreibprozessforschung. In Abbildung 2 ist das Modell graphisch dargestellt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2. Kognitives Schreibmodell von Hayes und Flower, 1980 (aus Gregg & Steinberg, 1980).
Die Schreibumgebung, das Langzeitgedächtnis und die stattfindenden Schreibprozesse bilden die drei Hauptkomponenten des Modells. Dabei umfasst die Schreibumgebung alle Faktoren, die von außerhalb auf den Schreibenden einwirken. Das ist zum Einen die Schreibaufgabe selbst (das Thema des zu schreibenden Textes, das zu erreichende Publikum und Motivationsanreize), später aber auch der bereits produzierte Text. Im Langzeitgedächtnis des Schreibenden finden sich inhaltliches Wissen über das Thema des Textes, Wissen über die zu erreichende Zielgruppe und allgemeine Pläne, um die Aufgabe des Schreibens zu bewältigen (z.B. Wissen über den Aufbau verschiedener Textgenre). Die Schreibumgebung und das Langzeitgedächtnis bedingen den eigentlichen Prozess des Schreibens, der sich unterteilt in das Planen, die Translation (Übersetzung der Planung in einen Text) und das Revidieren des Geschriebenen. Diese drei kognitiven Prozesse unterliegen der ständigen Überwachung (dem Monitor). Beim Planen findet mit Hilfe des Wissens aus dem Langzeitgedächtnis und den Vorgaben aus der Schreibaufgabe die Generierung von Ideen statt. Es kommt zum Setzen von Schreibzielen und die Ideen werden in einem Plan organisiert. Anschließend wird dieser Plan in einem Entwurf eines fortlaufenden Textes umgesetzt. Die Translation steht in Beziehung zum bereits produzierten Text. Dieser wird während des Schreibens immer wieder gelesen und überarbeitet (Hayes & Flower, 1980). Diese Einteilung des Schreibprozesses in die drei Subprozesse Planen, Translation und Revision wird auch heute noch, 30 Jahre nach Veröffentlichung des Schreibmodells, so beibehalten. Auch existiert bereits in diesem frühen Modell eine Überwachungskomponente (Monitor), welche einer zentralen Exekutiven ähnelt, der in späteren Schreibmodellen im Rahmen des Arbeitsgedächtnisses ein großer Einfluss auf den Prozess des Schreibens zugesprochen wird.
Hayes und Flower sehen in ihrem Modell Schreiben als einen bewussten und selbstgesteuerten Prozess, der das intelligente Nutzen mentaler Prozesse zur Verwirklichung der durch den Schreiber gesetzten Ziele beinhaltet. Mit diesem Modell stellen sie gute Ansätze zur Verfügung, um zu verstehen, wie Erwachsene bzw. kompetente Schreiber bei der Textgenerierung vorgehen.
Gemeinsam ist den vorgestellten Modellen die Unterteilung des Schreibprozesses in eine Form des Planens, der Translation und des Überarbeitens, wobei sich die einzelnen Teilprozesse gegenseitig aktivieren können.
Diese Schreibmodelle bilden noch heute u. a. die Grundlage für die Forschung auf dem Gebiet des Schreibens. Im Laufe der Jahre wurden die Modelle weiterentwickelt und es wurden immer mehr Komponenten einbezogen, deren Einfluss auf das Schreiben erkannt wurde, wodurch die Komplexität der Modelle mehr und mehr zunahm. Komponenten, die sich bereits in den vorhandenen Modellen „zwischen den Zeilen“ widerspiegelten, in neuen Modellen nun aber explizit genannt werden, um ihre Bedeutung hervorzuheben, sind das Arbeitsgedächtnis (Modell von Hayes, 1996; Modell von Kellogg, 1996), worauf später noch eingegangen wird, aber auch der Aspekt der Selbstregulation Im Prozess des Schreibens (Modell von Zimmerman & Risemberg, 1997). Im Folgenden wird daher auf die Selbstregulation im Zusammenhang mit erfolgreichem Schreiben in Modellen, Trainingsprogrammen und Studien genauer eingegangen.
2.2 Schreiben und Selbstregulation
In einer im Jahr 2000 veröffentlichten Zusammenfassung von Studien zum Zusammenhang der Selbstregulation und dem Prozess des Schreibens weisen Graham und Harris auf die positiven Effekte der Selbstregulation auf die Schreibleistung hin. Demnach zeigen im Allgemeinen kompetente Schreiber ein höheres Maß an Selbstregulation als Schreibnovizen, individuelle Unterschiede in der Selbstregulation des Schreibenden sagen individuelle Unterschiede in der Schreibleistung vorher und das Trainieren von Selbstregulationsstrategien verbessert die Schreibleistung.
Auch Zimmerman und Risemberg (1997) weisen auf die hohe Bedeutung der Selbstregulation hin, die von Nöten ist, um sich zu einem kompetenten Schreiber zu entwickeln.
In ihrem triadischen Schreibmodell (Zimmerman & Risemberg, 1997) spielt die Selbstregulation eine zentrale Rolle. In Abbildung 3 ist das Modell graphisch veranschaulicht. Es besteht aus drei Komponenten: dem Schreibenden selbst, seinem Verhalten und seiner Umgebung, welche aufeinander einwirken und miteinander interagieren in Form selbstregulatorischer Prozesse und mit Hilfe von Feedback-Schleifen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3. Triadisches Schreibmodell von Zimmerman und Risemberg, 1997 (aus Zimmerman & Risemberg, 1997).
Zur persönlichen (covert) Selbstregulation gehört das Nutzen kognitiver und affektiver Strategien, wie beispielsweise das Anlegen eines Zeitplans, das Stecken von Zielen und das bereits aus früheren Modellen bekannte Planen und Revidieren des Textes. Die Selbstregulation auf Verhaltensebene beinhaltet die motorische Umsetzung von Strategien, wozu u. a. die eigene Belohnung zählt, wenn bestimmte Ziele erreicht wurden oder auch die Verbalisierung des Textes, also das laute Mitsprechen, während der Text verfasst wird, um zu hören, wie dieser klingt. Die Selbstregulation in Bezug auf das Umfeld betrifft das Nutzen einer kontext-bezogenen Strategie. Beispiele von Schreibexperten hierzu, sind speziell auf die Bedürfnisse des Schreibers zugeschnittene Räume (sehr hell oder besonders klein) oder das Nutzen bestimmter Schreibmaterialien (Tafel, farbige Tinte). Der Schreibende probiert verschiedene Strategien in den einzelnen Bereichen aus, behält die für ihn nützlichen bei und verwirft die anderen wieder.
Zimmerman und Risemberg betonen außerdem die Bedeutung der Beziehung zwischen der Selbst-Wirksamkeit und den komplexen Selbstregulationsprozessen während des Schreibens (Zimmerman & Risemberg, 1997).
Um nun die Erkenntnisse in der Praxis anzuwenden, wurden Schreibstrategie-Trainings entwickelt, bei denen Schülern genre-spezifische Strategien unter dem Einsatz von selbstregulatorischen Prozessen vermittelt werden. Bereits in einer 1991 veröffentlichten Studie mit Schülern mit Lernschwächen konnten Graham, Harris, McArthur und Schwartz die Wirksamkeit von Strategie-Instruktionen auf den Schreibprozess und die Qualität der produzierten Texte zeigen. 1993 veröffentlichten Graham und Harris den auch heute noch meist diskutierten Ansatz zur Förderung von Schülern mit Schreibproblemen das Self-Regulated Strategy Development (SRSD), welches im Folgenden genauer vorgestellt wird.
2.2.1 Self-Regulated Strategy Development (SRSD)
Mithilfe dieses Programms werden Strategien gelehrt zur Planung und Überarbeitung von Texten in Kombination mit selbstregulatorischen Prozeduren zur Überwachung des Schreibprozesses und des Strategieeinsatzes. Ziele sind zum Einen, Schülern zu helfen ein höheres Level kognitiver Fähigkeiten zu erreichen, die für den Prozess des Schreibens notwendig sind, aber zum Anderen auch die Entwicklung eines selbstständigen, reflektierenden und selbstregulierenden Einsatzes von Schreibstrategien. Zusätzlich soll den Schülern eine positive Haltung zum Schreiben und zu ihnen selbst als Schreibenden vermittelt werden.
Im Folgenden wird nun genauer auf die Umsetzung des Programms eingegangen, indem die verschiedenen Stadien der Instruktion vorgestellt werden, die die Schüler zu einer sinnvollen Anwendung effektiver Strategien und zur Selbstregulation bei deren Anwendung befähigen, sowie die Bedeutung, aber auch Grenzen der Strategien deutlich werden lassen. Die einzelnen Stadien, die in der Instruktion durchlaufen werden, sind:
1. die Entwicklung von Fähigkeiten, die Schüler brauchen, um die zu erlernenden Strategien verstehen und anwenden zu können.
2. Eine Konferenz, in der die bisherige Anwendung von Strategien und die Vorteile der neu zu lernenden Strategie diskutiert wird.
3. die Besprechung der neuen Strategie, deren Ziele und wann und wie sind angewendet wird.
4. Das Modellieren, wobei der Lehrer die korrekte Anwendung in Form von
Selbstinstruktionen zeigt, welche die Problemdefinition beinhaltet, das Planen, die Strategieanwendung, die Selbstbewertung, das Verbessern von Fehlern und die Selbstverstärkung. Auch über Veränderungen, die vorgenommen werden sollten um die Strategien effektiver zu machen, wird gemeinsam mit den Schülern diskutiert.
5. Das Einprägen der neuen Strategien.
6. Das gemeinschaftliche Üben der Strategieanwendung und das Anwenden von Selbstinstruktionen unter Anleitung durch den Lehrer. Es wird vorgeschlagen an diesem Punkt die selbstregulierenden Prozeduren zu besprechen.
7. Das selbstständige Anwenden der Strategien. Es wird begonnen, selbstregulatorische Prozesse nach und nach zu reduzieren.
Die Effektivität des Programms konnte in mittlerweile mehr als 25 veröffentlichten Studien gezeigt werden. Demnach verbesserten sich nicht nur schreibbezogenes Wissen und die Qualität der Texte, sondern auch die Einstellung zum Schreiben, die Selbstregulations-Fähigkeiten und die Motivation. Drei verschiedene Meta-Analysen konnten zeigen, dass das SRSD einen positiven Einfluss auf die Qualität von Schülertexten hat, mit einer mittleren Effektstärke von d = 1.14 und mehr (Graham, 2006; Graham & Perrin, 2006, zit. in Santangelo, Harris & Graham, 2008, p. 78). Damit erlangte das SRSD eine hohe Bedeutung als Grundlage für weitere Forschung.
2.2.2 Selbstregulatorisches Aufsatztraining (SAT)
Glaser (2005) entwickelte auf der Grundlage des SRSD ein Selbstregulatorisches Aufsatztraining (SAT), um die Effekte einer integrierten Vermittlung kognitiver Schreibstrategien und selbstregulatorischer Fertigkeiten bei Grundschülern zu untersuchen. In ihrer Studie wurden Viertklässler in drei verschiedene Gruppen eingeteilt. Eine Gruppe erhielt das Selbstregulatorische Aufsatztraining (SAT-Gruppe), eine Gruppe das Aufsatztraining ohne selbstregulatorische Komponenten (AT-Gruppe) und eine Gruppe diente als Kontrollgruppe und erhielt eine Aufsatzerziehung im Rahmen des Deutschunterrichts.
Während des 4-wöchigen Trainings, mit jeweils einer Doppel-Schulstunde pro Woche, wurden den Experimentalgruppen (SAT-Gruppe und AT-Gruppe) Techniken und Strategien zum Schreiben narrativer Texte vermittelt. Als Grundlage diente die 3-Schritte-Technik (Planen, Schreiben, Überarbeiten). Auf inhaltlicher Ebene wurden das Mnemonic AHA (Anfang, Hauptteil, Abschluss) zur Strukturierung der Geschichte und die 7-W-Fragen-Strategie vermittelt. Die Antworten auf diese 7-W-Fragen bilden nach Stein und Glenn (1979) die wichtigsten Bestandteile einer Geschichte. Im sprachlichen Bereich wurde mit den Schülern der Ausbau des Wortschatzes geübt (Verwendung spannender Verben und abwechslungsreicher Adjektive).
Im Unterschied zum reinen Aufsatztraining wurden beim selbstregulatorischen Aufsatztraining zusätzlich Methoden zum Aufbau selbstregulatorischer Fertigkeiten vermittelt, wie die Zielsetzung, Selbstkontrolle, Selbstbewertung und Selbstkorrektur, die dem Aufbau von Überwachungs- und Steuerungsprozessen dienten.
Es konnte gezeigt werden, dass die Schüler des selbstregulatorischen Aufsatztrainings den Schülern des „einfachen“ Aufsatztrainings in Bezug auf die Schreibleistung nach dem Training überlegen waren (korrigierte Effektstärke vom Prä- zum Posttest d = 1.44).
Auch in Folgestudien zeigten sich die Effekte zusätzlich vermittelter selbstregulatorischer Prozeduren. Glaser und Brunstein (2007) untersuchten Schüler der sechsten Klasse die ein Revisionstraining erhielten. Auch hier wurde ein Vergleichsgruppen-Versuchsplan verwendet, mit den Gruppen SRT (Selbstregulatorisches Revisionstraining), RT (Revisionstraining) und Kontrollgruppe. Nach dem 5-wöchigen Training ergaben sich auch hier deutlich bessere Revisionsleistungen bei den Schülern, mit denen zusätzlich Methoden der Selbstregulation geübt wurden (SRT-Gruppe), im Vergleich zu den Schülern des „einfachen“ Revisionstrainings. Die korrigierte Effektstärke für das SRT- vs. dem RT-Programm betrug vom Prä- zum Posttest d = 1.94 für die narrative Qualität der geschriebenen Aufsätze.
Jüngst konnten Glaser, Kessler und Brunstein (2009) auch bei Viertklässlern in einem unterrichtsintegrierten Aufsatztraining die positiven Effekte der Selbstregulation auf die Qualität von Aufsätzen bestätigen. Die Schüler der SAT-Gruppe waren den Schülern der AT-Gruppe in Bezug auf alle erhobenen Maße (u. a. inhaltliche Vollständigkeit, Wortschatz, Kohärenz, narrative Qualität) nach dem Training überlegen.
Diese Ergebnisse machen den großen Beitrag der Selbstregulation zur Förderung der Schreibkompetenz deutlich. Wie bereits erwähnt, ist die Selbstregulation des Schreibenden jedoch nur eine wichtige Einflussgröße in Bezug auf den Prozess des Schreibens und die Schreibleistung. Neben weiteren Faktoren, wie beispielsweise Kontexteinflüssen (Kultur, soziales Umfeld), der Motivation und Emotion oder Umweltfaktoren, vor allem beim jungen Schreiber (Bildungsstatus der Familie, Schulkontext, Lese- und Sprachkompetenz), wurde auf die Bedeutung des Arbeitsgedächtnisses im Prozess des Schreibens hingewiesen. Jeffery und Underwood (1996) konnten beispielsweise bei 12-, 14- und 17-jährigen zeigen, dass die Gedächtnisspanne hoch korreliert ist mit der Fähigkeit mehrere Ideen in einem Satz zu koordinieren (Jeffery & Underwood, 1996, zit. in Alamargot und Chanquoy, 2001). Mit steigender Arbeitsgedächtniskapazität ist der Schreibende mehr und mehr fähig, komplexe Strategien anzuwenden im Prozess des Schreibens und eine steigende Anzahl von Anforderungen gleichzeitig zu bewältigen. Neben Anderem kann die Arbeitsgedächtniskapazität die Entwicklung, wie auch die interindividuellen Unterschiede in der Schreibexpertise erklären (Alamargot & Chanquoy, 2001). Daher wird im Folgenden auf das Konstrukt Arbeitsgedächtnis, das Arbeitsgedächtnismodell von Baddeley und Hitch (1974), die Entwicklung des Arbeitsgedächtnisses und die Zusammenhänge zwischen der Arbeitsgedächtniskapazität und dem Prozess des Schreibens bei Erwachsenen bzw. kompetenten Schreibern und Kindern bzw. Schreibnovizen genauer eingegangen.
2.3 Arbeitsgedächtnis
Im Alltag müssen wir des Öfteren Informationen für kurze Zeit im Gedächtnis behalten, wie beispielsweise eine Telefonnummer oder die Schreibweise eines komplizierten Namens, bis wir sie irgendwo notieren können. Auch sind wir fähig komplexe Rechenaufgaben im Kopf zu lösen, die u. a. das kurzzeitige Speichern von Zwischenschritten erfordern. Diese Leistungen, die unser Gedächtnis erbringt, beschäftigt bereits seit über 100 Jahren die Forschung. Schon Ende des 19. Jahrhunderts wurde eine Unterscheidung zwischen zwei Gedächtnissystemen vorgeschlagen, die dann Mitte des 20. Jahrhunderts wieder aufgegriffen wurde. Unterschieden wurde ein Kurzzeitgedächtnis mit nur kurzzeitiger elektrischer Aktivität im Gehirn von einem Langzeitgedächtnis, welches sich durch neurochemische Prozesse von längerer Dauer auszeichnet. Evidenz hierfür kam beispielsweise von Baddeley und Warrington (1970), die eine Untersuchung durchführten, bei der amnestische Patienten mit einer Kontrollgruppe (Patienten mit einer peripheren Nervenläsion) verglichen wurden. In verschiedenen Untersuchungen, wie beispielsweise dem freien Erinnern von Wörtern, zeigten amnestische Patienten keine Einbußen beim Kurzzeitgedächtnis (Abruf der Wörter bis ca. 20 bis 30 Sekunden nach deren Präsentation), jedoch signifikant schlechtere Werte als die Kontrollgruppe in Bezug auf das Langzeitgedächtnis (Abruf nach ca. 20 bis 30 Sekunden nach der Präsentation). In einer Studie von Shallice und Warrington (1970) mit einem Patienten mit stark reduzierter verbaler Gedächtnisspanne ergaben die Gedächtnismessungen normale Leistungen des Langzeitgedächtnisses, jedoch schlechte Ergebnisse bei Aufgaben zum Kurzzeitgedächtnis. Weitere Studien auf diesem Gebiet, wie u. a. von Glanzer (1972) oder Glanzer und Cunitz (1966) zum freien Erinnern, fanden ebenfalls diese Unterschiede, was im Gesamten eine Existenz zweier Gedächtnis-Systeme (Kurzzeit- und Langzeitgedächtnis) sehr wahrscheinlich machte.
In den späten 60er Jahren wurden häufig auch mehr als zwei Gedächtnissysteme vorgeschlagen. Das bedeutendste Modell dieser Zeit ist das modale Modell von Atkinson und Shiffrin (1968). Dieses Modell besteht aus einem sensorischen Gedächtnissystem mit visueller, auditiver und haptischer Komponente, durch welches die Umwelt wahrgenommen und weitergeleitet wird an den Kurzzeitspeicher. Dieser lässt sich auch als Arbeitsgedächtnis mit begrenztem Speicherplatz sehen und bildet die zentrale Komponente des Modells. Hier werden Informationen verarbeitet oder kurzzeitig gespeichert. Er dient der Enkodierung von Informationen ins, sowie dem Abruf derer aus dem Langzeitgedächtnis und der Rückmeldung nach außen (Atkinson & Shiffrin, 1968, zit. in Baddeley, 2007, pp. 3-4). Problem dieses Modells ist jedoch, dass Atkinson und Shiffrin den Kurzeitspeicher als Vorstation zum Langzeitgedächtnis sehen und das reine Halten von Informationen im Kurzzeitspeicher somit automatisch nach und nach zu einem Transfer in das Langzeitgedächtnis führen sollte (Baddeley, 2007). Craik und Lockhart (1972) konnten jedoch zeigen, dass die Art der Enkodierung eine entscheidende Rolle spielt und gaben damit einen alternativen Ansatz. Wird beispielsweise statt dem reinen Wort, als Buchstabenreihe, zusätzlich der Bedeutungsgehalt erfasst, wird dieses leichter in das Langzeitgedächtnis transferiert. Außerdem konnten Shallice et al. (1970) zeigen, dass Patienten mit defizitärem Kurzzeitgedächtnis nicht notwendigerweise auch Einschränkungen im Langzeitgedächtnis aufweisen.
Um die Beziehung zwischen Kurz- und Langzeitgedächtnis zu verstehen, untersuchten in der Folge Baddeley und Hitch mithilfe von Dual-Task Aufgaben die Arbeitsweise des Kurzzeitgedächtnisses an gesunden Probanden. Dual-Task-Paradigmen werden des Öfteren in der Untersuchung kognitiver Funktionen genutzt. Die dahinterliegende Annahme ist, dass das kognitive System nur begrenzte Kapazitäten hat. Führt eine Aufgabe A, die simultan mit einer Aufgabe B ausgeführt wird zu einem etwa gleich guten Ergebnis, wie wenn sie einzeln bearbeitet wird, erfordert diese Aufgabe A eine geringere kognitive Kapazität als eine Aufgabe C, die im Vergleich zur Einzelbearbeitung im simultanen Ausführen mit Aufgabe B zu einem schlechteren Ergebnis führt (Levy & Ransdell, 2001).
In Baddeley und Hitchs Untersuchung sollten die Probanden beispielsweise den Wahrheitsgehalt kurzer Sätze beurteilen („A follows B – BA“), während sie gleichzeitig Zahlenfolgen von bis zu 8 Ziffern aufsagten. Die Ergebnisse zeigten, je länger die Zahlenfolgen, desto länger waren auch die Antwortzeiten der Satzbeurteilung. Allerdings blieb die Fehlerrate der Beurteilungen unbeeinträchtigt vom Schwierigkeitsgrad der Simultanaufgabe. Bei einigen Teilnehmern sank die Fehlerrate sogar mit zunehmender Länge der Zahlenfolge (Hitch & Baddeley, 1976). Das zugrunde liegende System glich demnach mehr einem arbeitenden System, dessen Kapazität zwar durch Simultanaufgaben beeinträchtigt wird, jedoch bei weitem nicht so stark, wie im modalen Modell von Atkinson und Shiffrin (1968) behauptet. Baddeley schlug daher ein multimodales Modell vor, welches er als „Arbeitsgedächtnis“ bezeichnete. Diese Terminologie war zu diesem Zeitpunkt nicht neu, wurde aber von Baddeley und Hitch erstmalig als Bezeichnung für ein eigenständiges Gedächtnissystem gebraucht (Baddeley, 2010).
2.4 Arbeitsgedächtnismodell von Baddeley und Hitch (1974)
Das Arbeitsgedächtnis ist ein zeitlich begrenztes Speichersystem, welches das komplexe menschliche Denken stützt. Das Modell besteht aus drei in Ihrer Kapazität begrenzten Komponenten. Einem wachsamen Kontrollsystem, der Zentralen Exekutiven, und zwei Hilfs-Speicher-Systemen (auch „Sklaven-Systeme“), der Phonologischen Schleife und dem Visuell-räumlichen Notizblock. In Abbildung 4 ist das Multikomponenten-Modell dargestellt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 4: 3 Komponenten-Arbeitsgedächtnis-Modell von Baddeley und Hitch, 1974 (aus Baddeley, 2007).
Im Folgenden wird genauer auf die einzelnen Komponenten eingegangen.
2.4.1 Komponenten des Arbeitsgedächtnis-Modells
Es wird angenommen, dass die Phonologische Schleife zwei Komponenten beinhaltet, den phonologischen Speicher und die artikulatorische Schleife. Belege für die Existenz eines phonologischen Speichers, also eines Kurzzeitgedächtnisses innerhalb der Komponente Phonologische Schleife, finden sich im „phonologischen Ähnlichkeits-Effekt“. Es wird angenommen, dass der phonologische Speicher auf einem phonologischen Code basiert, sodass phonologisch ähnlich klingende Wörter einen ähnlichen Code erhalten. Das Erinnern der Wörter erfordert eine Unterscheidung zwischen den Gedächtnisspuren. Dabei sind ähnliche Spuren schwerer zu diskriminieren, was zu einer schlechteren Wiedergabeleistung führt (Baddeley, 1997).
Unterstützung erfährt diese Theorie durch verschiedene Experimente, wie beispielsweise von Conrad und Hull, die bereits 1964 zeigen konnten, dass ähnlich klingende Buchstaben (z.B. B, D, T, G, C, P) weniger gut wiedergegeben werden können, als unterschiedlich klingende (z.B. F, K, Y, W, R, Q). Baddeley konnte den phonologischen Ähnlichkeits-Effekt auch bei kurzen Wörtern nachweisen, wobei sich der Effekt unabhängig davon zeigte, ob die Wörter auditiv oder visuell dargeboten wurden. Er fand außerdem, dass Wörter mit ähnlichem Bedeutungsgehalt nur geringfügig (aber dennoch signifikant) schlechter erinnert wurden (Baddeley, 1966). Langezeit wurde angenommen, dass die Kapazität des phonologischen Speichers begrenzt ist auf 7 ± 2 Einheiten (Miller, 1956). Die entscheidende Kapazitätsdimension ist jedoch weniger Anzahl der Informationen, als vielmehr die Dauer für die eine Information vorhanden ist. Eine Information wird für etwa 2 Sekunden gespeichert, bevor sie verblasst. Sie kann jedoch aufgefrischt werden mit Hilfe der artikulatorischen Schleife (Hasselhorn & Gold, 2009).
Die Existenz einer artikulatorischen Schleife, in welcher die Informationen durch inneres Sprechen (subvokal) wiederholt und so im phonologischen Speicher aufrecht erhalten werden, wird durch den „Wortlängen-Effekt“, den „irrelevant speech-effect“ und die „Artikulatorische Unterdrückung“ bestätigt.
Baddeley und Kollegen (1975) konnten zeigen, dass eine Sequenz fünf kurzer Wörter leichter erinnert werden kann, als eine Sequenz fünf langer Wörter („Wortlängen-Effekt“). Des Weiteren stimmen die Ergebnisse überein mit dem Befund einer nachlassenden Gedächtnisspur und der Geschwindigkeit, mit der Items wiederholt werden können (je kürzer das Wort, desto schneller kann es wiederholt werden und desto eher bleibt es im Gedächtnis). Der Prozess des Wiederholens wird außerdem durch die Präsentation irrelevanter Wörter gestört („Irrelevant speech-effect“), was zu einer geringeren Gedächtnisleistung führt (Colle & Welsh, 1976). Dieser Effekt zeigt sich in besonderem Maße, wenn die Störwörter den zu erinnernden ähnlich sind, was beispielsweise Baddeley und Salamé (1982) anhand von visuell präsentierten Ziffern zeigen konnten, deren Einprägen durch phonologisch ähnlich klingende Wörter gestört wurde.
Die Unterscheidung zwischen einem phonologischen Speicher und dem Prozess des artikulatorischen Wiederholens wird auch durch neuropsychologische Forschung bestätigt. Mithilfe bildgebender Verfahren konnte gezeigt werden, dass sich der Speicher im temporal-parietal-Lappen der linken Hemisphäre befindet und das artikulatorische Wiederholen im Broca-Areal des Frontallappens stattfindet (Paulesu, Frith & Frackowiak, 1993).
Eine weitere Annahme über die Phonologische Schleife ist, dass auditiv dargebotene Informationen automatisch direkt in die Phonologische Schleife geleitet werden, während visuell dargebotene Informationen erst durch inneres Sprechen und damit der Kodierung in eine phonetische Form, Zugang zur Phonologischen Schleife erhalten (Baddeley, 2007).
Die Funktion der Phonologischen Schleife besteht darin, sprachbasierte Informationen zu verändern und sie über den zeitlich begrenzten Speicher aufrecht zu erhalten. Innerhalb von Sekunden verblassen die aufgenommenen Informationen, wenn sie nicht durch innere Wiederholungen aufgefrischt werden (Baddeley, 1997).
Es zeigten sich auch Zusammenhänge zwischen dem Lesenlernen, dem phonologischen Bewusstsein und der vorhandenen phonologischen Gedächtnisspanne. Unklar sind allerdings die kausalen Zusammenhänge zwischen diesen. Mann und Lieberman (1984) konnten jedoch in einer Längsschnittstudie bei Kindern mit Leseschwäche zeigen, dass bereits vor dem Lesenlernen phonologische Defizite vorlagen. Auch beim Sprachverständnis konnten mithilfe von Patienten mit sehr kurzen Satzspannen die komplexen Beziehungen zwischen syntaktischen Faktoren, semantischen Faktoren und der zugehörigen Gedächtniskapazität gezeigt werden, wie beispielsweise an einem Patienten mit einer Zahlenspanne von nur zwei Zahlen und einer Satzspanne von drei Wörtern in einer Untersuchung von Baddeley und Wilson (1988). Die Ergebnisse stützen die Annahme, dass der phonologische Speicher eine sehr wichtige, wenn auch individuell verschieden starke Rolle beim Sprachverständnis spielt.
Bezüglich des Visuell-räumlichen Notizblockes konnte ähnlich wie bei der Phonologischen Schleife ein „Ähnlichkeits-Effekt“ entdeckt werden. So konnte gezeigt werden, dass das korrekte Erinnern von großen und kleinen Buchstaben in Buchstabensequenzen, den Probanden wesentlich schwerer fiel, wenn sich die zusammengehörigen Groß- und Kleinbuchstaben sehr ähnelten (Kk, Cc, Pp, Ss gegen Gg, Bb, Rr, Qq) (Logie, 1995). Durch eine eigene Erfahrung angeregt entwickelte auch Baddeley zusammen mit Grant, Wight und Thomson (1975a) ein Experiment zur Untersuchung des Visuell-räumlichen Notizblockes, bei dem die Teilnehmer eine Anzahl verschiedener Lokalitäten erinnern sollten. Es zeigte sich eine signifikant bessere Erinnerungsleistung, wenn die Versuchspersonen verschiedene Örtlichkeiten mithilfe eines vor ihrem „inneren Auge“ vorgestellten Weges „abliefen“, als wenn sie die Lokalitäten frei erinnern mussten (Baddeley, Grant, Wight & Thomson, 1975a, zit. in Baddeley, 1997, p. 76).
Einen weiteren wichtigen Beitrag zur Erforschung des Visuell-räumlichen Notizblockes leistete Brooks (1967). In seiner Studie untersuchte er die Unterschiede zwischen dem Speichern von rein verbalen Informationen zu visuell vorgestellten. Dabei bestand die Aufgabe der Versuchspersonen darin, zum Einen Sätze zu wiederholen, in denen räumliche Informationen gegeben wurden (oben – unten, rechts – links) und zum Anderen Sätze, in denen die räumlichen Hinweise ersetzt wurden durch nicht räumliche (gut – schlecht, schnell – langsam). Die Ergebnisse zeigten, dass signifikant mehr Sätze mit räumlicher Information erinnert werden konnten, im Gegensatz zur rein verbalen Information. Brooks schloss daraus, dass sich die räumlich instruierten Sätze, im Gegensatz zu den verbal instruierten, visuell vorgestellt wurden (vor einem „inneren Auge“). Daher wurden für die Verarbeitung der räumlichen Information die Prozesse der visuellen Wahrnehmung verwendet und für die Verarbeitung verbaler Information, Prozesse auditiver Wahrnehmung. Allerdings wurde mit Hilfe eines Dual-Task Paradigmas festgestellt, dass eine simultan auszuführende räumliche Aufgabe zu einer Verschlechterung der Erinnerungsleistung führte, nicht jedoch eine visuelle Zweitaufgabe. Daher wurde angenommen, dass der postulierte Visuell-räumliche Notizblock eher ein rein räumliches System ist, als ein visuell-räumliches (Baddeley, 1997). Logie (1986) führte daraufhin eine Reihe von Experimenten durch, in denen er seine Versuchspersonen visuelle Aufgaben durchführen ließ und zeigen konnte, dass durch simultan ausgeführte visuelle Störaufgaben, die Erinnerungsleistung der Versuchspersonen abnahm, im Vergleich zu gleichzeitig ausgeführten verbalen Störaufgaben.
Es wurde daher eine Unterteilung in eine visuelle und eine räumliche Komponente vorgeschlagen, die auch durch neuropsychologische Studien belegt wurde (Farah, Hammond, Levine & Calvanio, 1988). Die visuelle Komponente befindet sich demnach in den Occipitallappen, während die räumliche Komponente im Parietallappen lokalisiert ist.
Ähnlich, wie bei der phonologischen Schleife wird außerdem angenommen, dass visuell dargebotene Informationen direkt zum Aufbau eines „inneren Bildes“ führen, während verbal dargebotene Informationen erst in visuelle umgewandelt werden müssen (Baddeley, 1997).
Der Visuell-räumliche Notizblock dient des Bildens, Aufrechterhaltens und der Veränderung visueller und räumlicher Informationen, wobei zur Auffrischung der Informationen keine expliziten Augenbewegungen von Nöten sind. Auch im Visuell-räumlichen Notizblock ist somit ein Kurzzeitgedächtnis vorhanden.
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- Arbeit zitieren
- Theresa Herrmann (Autor:in), 2010, Arbeitsgedächtniskapazität und Schreibleistungen. Zum Einfluss von Funktionen des Arbeitsgedächtnisses auf die Wirksamkeit eines Schreibtrainings bei Sechstklässlern, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/513045
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