Die heutige sprachliche Situation Italiens ist das Ergebnis eines jahrhundertelangen – wenn man die dialektale Gliederung des Landes in Betracht zieht sogar jahrtausendelangen – Prozesses. Die Vielfalt der geographischen Varietäten ist daher ein wichtiger Bestandteil in der italienischen Sprachwissenschaft. Die geographische (diatopische) Dimension ist hierbei das wichtigste Element, um sprachliche Unterscheidungen aufzuzeigen, vor allem angesichts der heutigen linguistischen Situation in Italien. Im Folgenden möchte ich daher auf die diatopische Variation, die als Ganzes die Dialekte, die Minderheitensprachen und das „italiano regionale“3 umfasst, eingehen, wobei der Schwerpunkt dieser Arbeit auf der Darstellung der „Charakteristika der italienischen Dialekte“ liegt.
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1 Vgl. Dieter Kattenbusch (1995): Die Lage der Minderheiten in Italien. In: Dieter Kattenbusch (1995): Minderheiten in der Romania, Wilhelmsfeld, S. 111.
2 Vgl. Peter Koch/ Wulf Oesterreicher (1990): Gesprochene Sprache in der Romania: Französisch, Italienisch, Spanisch, Tübingen (Romanistische Arbeitshefte 31), S. 175.
3 Das „italiano regionale“ ist eine bedeutende Varietät der Nähesprache, auf die in dieser Arbeit nur kurz im 9. Kapitel eingegangen werden soll. Ich verweise hierbei auf das Werk von Telmon Tullio (1990): Guida allo studio degli Italiani regionali, Allessandria.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Faktoren für die Ausgliederung der romischen Sprachen
3. Unterschiede zwischen Sprache und Dialekt
4. Aufteilung der Dialekte
5. Charakteristika der norditalienischen Dialekte
5.1 Konsonantismus
5.2 Vokalismus
5.3 Morphosyntaktische Kriterien
6. Charakteristika der mittel- und süditalienische Dialekte
6.1 Konsonantismus
6.2 Vokalismus
6.3 Überblick über die wichtigsten lautlichen Kriterien
6.4 Morphosyntaktische Kriterien
7. Charakteristik der toskanische Dialekte
7.1 Konservativer Charakter
7.1.1 Vokalismus
7.1.2 Konsonantismus
7.2 Innovationen
7.2.1 Vokalismus
7.2.2 Konsonantismus
7.3 Zentraltoskanisch oder Florentinisch
7.4 Morphosyntaktische Kriterien
8. Lexikalischer Bereich/Regionalismen
9. Ausblick auf die "italiani regionali"
Bibliographie
1. Einleitung
Die heutige sprachliche Situation Italiens ist das Ergebnis eines jahrhundertelangen – wenn man die dialektale Gliederung des Landes in Betracht zieht sogar jahrtausendelangen – Prozesses.[1] Die Vielfalt der geographischen Varietäten ist daher ein wichtiger Bestandteil in der italienischen Sprachwissenschaft. Die geographische (diatopische) Dimension ist hierbei das wichtigste Element, um sprachliche Unterscheidungen aufzuzeigen, vor allem angesichts der heutigen linguistischen Situation in Italien.[2] Im Folgenden möchte ich daher auf die diatopische Variation, die als Ganzes die Dialekte, die Minderheitensprachen und das „italiano regionale“[3] umfasst, eingehen, wobei der Schwerpunkt dieser Arbeit auf der Darstellung der „ Charakteristika der italienischen Dialekte“ liegt.
2. Faktoren für die Ausgliederung der romanischen Sprachen
Eine der zentralen Fragen der Romanistik ist: Warum ist aus der Einheit des Lateins die Vielfalt der romanischen Sprachen entstanden? Mehrere Faktoren haben zu dem beigetragen, was man die „Ausgliederung der romanischen Sprachen“ nennt:
(1) Die Substratsprachen,[4] die vor allem für die Ausgliederung der italienischen Dialekte von Bedeutung sind. Die wichtigsten Substrate in Italien sind:
- das Etruskische, das das Toskanisch-Florentinische charakterisiert
- im Norden das Keltische, das vor allem die piemontesischen Dialekte beeinflusst hat
- das Oskisch-Umbrische, das wichtig für die mittel- und süditalienischen Dialekte ist
- sowie das Griechische, das ebenfalls seine Spuren in den süditalienischen Dialekten hinterlassen hat (das letztere ist vor allem aber als Adstrat[5] von Bedeutung).
(2) Die Superstratsprachen[6] , vor allem die germanischen (Ostgoten, Westgoten, Langobarden, Franken), die einige Jahrhunderte lang mit dem Vulgärlatein bzw. dem Romanischen in statu nascendi koexistierten, dann aber keinen neuen Sprachwechsel auslösten, sondern ihrerseits wieder verschwanden - nicht ohne das Romanische zu beeinflussen. Es seien noch das Byzantinisch-Griechische und das arabische Superstrat in Sizilien erwähnt.
(3) Das Alter der Romanisierung (Als Fausregel – aber nicht als Gesetz – gilt: Je früher eine Kolonie erobert wurde desto älter ist ihr Latein).
(4) Verwaltungsgrenzen.[7]
3. Unterschiede von Sprache und Dialekt
Die Begriffe Dialekt und Sprache sind wissenschaftlich nur sehr schwer abzugrenzen, da der Unterschied nur zum Teil durch linguistische Kriterien bestimmt ist. Beide werden linguistisch jedoch als ein System (oder Diasystem) von Isoglossen[8] in einer Region definiert.[9] Folgende Unterschiede können aufgezeigt werden:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Zwischen „Dialekt“ und „Standardsprache“ gibt es jedoch einen Zwischenbereich – das so genannte „italiano regionale“(dazu im 9. Kapitel).[11]
4. Aufteilung der Dialekte
Es folgt ein Überblick über die wichtigsten dialektalen Sprachgliederungen Italiens. Die italienischen Mundarten werden meist in drei große Dialektgruppen mit weiteren Untergliederungen eingeteilt.
- Die norditalienischen Dialekte werden in 3 Gruppen unterteilt:
Die galloitalienischen Dialekte umfassen das Piemontesische, das Lombardische, unter Einschluss aller Dialekttypen des Schweizer Kantons Tessin , das Ligurische und das Emilianische und Romagnolische.
Zu den Venezischen Dialekten zählt man das Venezianische, das Veronesische, das Vicentinisch-Paduanisch-Polesinische, das Trevisanische, das Feltrinisch-Bellunesisch, das Triestinische und das Julischvenetische.
Istrische oder istriotische Dialekte werden in einem kleinen Gebiet im Südwesten der Halbinsel Istrien gesprochen.
- Der Terminus mittel- und süditalienische Dialekte umfasst drei wichtige, nicht zusammenhängende Raumgliederungen, die ganz Mittel- und Süditalien abdecken.[12]
- Die Dialekte der Marken, Umbriens und Latiums (mit dem “romanesco”).
- Die Dialekte der Abruzzen, des Molise, Nordapuliens, Kampaniens und Lukaniens.
- Die Dialekte des Salento, Kalabriens und Siziliens.
- Zu den toskanischen Dialekte werden das Zentraltoskanische oder Florentinische, das Westtoskanische (Pisanisch, Lukkesisch, Dialekt von Pistoia), das Senesische (Dialekt von Siena) und das Aretino-Chianaiolische (Dialekte von Arezzo und der Val di Chiana) gezählt.[13]
Es sei darauf hingewiesen, dass Walter von Wartburg[14] die Dialekte nochmals in die West- (Frankreich, Spanien, Norditalien) und die Ostromania (Süd- und Mittelitalien) einteilt. Die Begrenzungslinie verläuft entlang der Linie "la Spezia-Rimini";[15]
Es seinen hier nur zwei sprachliche Phänomene behandelt:
Das erste Kriterium, nach dem Ost- und Westromania unterteilt werden, ist die Behandlung des auslautenden –s. Es verstummt in der Ostromania und bleibt in der Westromania erhalten. Bsp.: les chiens im Westen (Frankreich) - I cani im Osten (Süditalien).
Zweites Kriterium ist die westromanische Sonorisierung der intervokalischen stimmlosen Verschlusslaute [p], [t] und [k], die durch [b], [d] und [g] ersetzt werden. Bsp.: vida und maduro im Westen (Spanien) - Vita und maturo im Osten (Süditalien).[16]
5. Charakteristika der norditalienischen Dialekte
Die Dialekte Norditaliens haben sich in ihrer Entwicklung am weitesten vom Latein entfernt, was auf den Einfluss des keltischen/gallischen Substrats zurückzuführen ist.[17]
5.1 Konsonantismus
Folgende Merkmale prägen die norditalienischen Dialekte:
- Sonorisierung und teilweise weitere Abschwächung (Spirantisierung, bis hin zum völligen Schwund) der lateinischen stimmlosen intervokalen Verschlusslaute [p], [t], [k], vgl.
[p] > [v] piem. Cavèi ("capelli") - [t] > [Ø] diál ("ditale") - [k] > [g] urtiga ("ortica")
- Reduzierung der Doppelkonsonanten (Geminanten) zu einfachen Konsonanten (Degeminanten); dies gilt auch für durch Assimilation entstandene Doppelkonsonanten,[18]
vgl. piem. buka ("bocca"), lomb. spala ("spalla")
- Palatalisierung der lateinischen Konsonantennexus [cl] und [gl] im Anlaut, die auf das keltische Substrat zurückgeht (Zischlaute werden - vor allem im Lombardischen - gebildet),
vgl. [kl] > [t∫] - çag [tschag] ("chiave"), [gl] > [d ] - ğara [dschara] ("ghiaia")
- Palatalisierung des lateinischen Konsonantennexus [kt] in intervokalischer Stellung,
vgl. Lombardei und Emilia-Romagna: [ct] > [t∫] - lactem > lač ("latte")
Piemont: [ct] > [jt] - lactem > lait ("latte")
5.2 Vokalismus:
Die galloitalienischen Dialekte weichen stark vom Vokalismus der venezischen Dialekte ab.
1. Bei ihnen (mit Ausnahme des Ligurischen) verstummen im Allgemeinen die (unbetonten) Auslautvokale außer –a, vgl. piem. neve > nef
2. Das Verstummen der Vor- und Nachtonvokale lässt sich vor allem im Emilianisch-Romagnolischen und im Lombardischen feststellen, vgl. lomb. settimana > stmana
- Die aus dem Französischen bekannten Palatalvokale [ü] und [ö] kommen im Piemontesischen, im Lombardischen, im Ligurischen und im westlichen Emilianisch vor,
vgl. piem. cuore > cör, lomb. fumo > füm
- Palatalisierung von haupttonigem [á] > [é], das sich vor allem im Emilianisch-Romagnolischen feststellen lässt, vgl. lena ("lana")
- Metaphonieerscheinungen: Hervorgerufen wird der Umlaut in Norditalien durch [i]. Es werden Singular und Plural unterschieden,[19] vgl. emil.rom. can ("cane") > cen ("cani").
Aber: Wo die Metaphonie nicht eintritt, kann allein der Artikel diese Funktion übernehmen: Vgl. [әl kan] ("cane") – [i kan] ("cani")[20]
Die venezischen Dialekte rücken in die Nähe des Toskanischen. Merkmale des Vokalismus sind das Nichtvorhandensein der gerundeten Palatalvokale [ü] und [ö]; eine relativ gute Erhaltung der unbetonten Vokale, so auch der Auslautvokale; kein spontaner Wandel von [á] zu [é]; Erhaltung der Diphthonge [ie] und [ou] und das Fehlen der Metaphonie. Weiteres typisches Merkmal ist der Schwund von [d], vgl. lat. nudum > ital. nudo > ven. nuo [21]
5.3 Morphosyntaktische Kriterien
Charakteristika sind der Wegfall des Artikels in Ausdrücken wie „mia mamma“; die Setzung des passato prossimo ist im Gegensatz zu den südlichen Dialekten üblich[23] ; Negationsverstärkungen (non mi capis miga anstatt non mi capisci) und Setzung des Subjektpronomens sind obligatorisch (me a deg – ich sage); auch der Teilungsartikel wird grundsätzlich gesetzt (compro del vino).[24] [22]
6. Charakteristika der mittel- und süditalienische Dialekte
Als distinktive Zuweisungskriterien lassen sich folgende Kriterien festhalten:
1. Mittelitalienische Dialekte kennen nicht den Mittelzungenvokal [ә] (Schwa) im Auslaut;
2. Süditalienische Dialekte (N) kennen nicht das sizilianische System der auslautenden Vokale;
3. Süditalienische Dialekte (S) kennen nicht den Mittelzungenvokal [ә] im Auslaut und haben das sizilianische Vokalsystem.[25]
[...]
[1] Vgl. Dieter Kattenbusch (1995): Die Lage der Minderheiten in Italien. In: Dieter Kattenbusch (1995): Minderheiten in der Romania, Wilhelmsfeld, S. 111.
[2] Vgl. Peter Koch/ Wulf Oesterreicher (1990) : Gesprochene Sprache in der Romania: Französisch, Italienisch, Spanisch, Tübingen (Romanistische Arbeitshefte 31), S. 175.
[3] Das „italiano regionale“ ist eine bedeutende Varietät der Nähesprache, auf die in dieser Arbeit nur kurz im 9. Kapitel eingegangen werden soll. Ich verweise hierbei auf das Werk von Telmon Tullio (1990): Guida allo studio degli Italiani regionali, Allessandria.
[4] Substrate sind Sprachen eines (besiegten) Volkes im Hinblick auf den Niederschlag, den sie in der übernommenen oder aufgezwungenen Sprache gefunden hat. Vgl. Duden. Das Fremdwörterbuch. Band 5. 2001.
[5] Adstrate sind fremdsprachliche Bestandteile in einer Sprache, die auf den Einfluss der Sprache eines Nachbarlandes zurückzuführen sind. Vgl. Duden 2001.
[6] Sprache eines Eroberervolkes im Hinblick auf den Niederschlag, den sie in der Sprache der Besiegten gefunden hat. Vlg. Duden-Fremdwörterbuch. Band 5. 2001.
[7] Vgl. Eduardo Blasco Ferrer (1994): Handbuch der italienischen Sprachwissenschaft, Berlin, S. 173-174.
[8] Begrenzungslinie, die Gebiete gleichen Wortgebrauchs begrenzt. Vgl. Duden-Fremdwörterbuch 2001, Bd. 5.
[9] Vgl. Horst Geckeler/ Dieter Kattenbusch (1992 ): Einführung in die italienische Sprachwissenschaft, Tübingen, S. 16-17.
[10] Vgl. Blasco Ferrer 1994, S. 12.
[11] Vgl. Blasco Ferrer 1994, S. 206.
[12] Vgl. Blasco Ferrer 1994, S. 183.
[13] Vgl. Geckeler/Kattenbusch 1992, S. 22.
[14] "Die Ausgliederung der romanischen Sprachräume" , (1950).
[15] Vgl. Anna Laura Lepschy/ Giulio Lepschy (1986): Die italienische Sprache, Tübingen, S. 44.
[16] Vgl. Rita Jahn-Wettengl: Einführung in die Sprachwissenschaft Italiens, WS 2003/2004.
[17] Vgl. Marcello Durante (1981): Dal latino all’italiano, Bologna: Zanichelli, S. 84.
[18] Lepschy 1986, S. 63.
[19] Vgl. Lepschy 1986, S. 56-57.
[20] Vgl. Ferrer 1994, S. 180.
[21] Vgl. Geckeler/Kattenbusch 1992, S. 24-29.
[22] Viele Parallelen zum Französischen können festgestellt werden.
[23] Vgl. Lepschy 1986, S. 188.
[24] Vgl. Rita Jahn-Wettengl: Einführung in die Sprachwissenschaft Italiens, WS 2003/2004.
[25] Vgl. Ferrer 1994, S. 184.
- Quote paper
- Simone Espey (Author), 2004, Italienische Dialekte, Diatopische Varietäten, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/51234
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