In dieser Forschungsarbeit ist das zentrale Thema das Bewusstsein angehender LehrerInnen bzgl. geschlechtertheoretischer Fragestellungen.
In der Bundesrepublik Deutschland ist die Gleichberechtigung von Mann und Frau gesetzlich vorgeschrieben: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin“ (Grundgesetz Art. 3. Abs. 2). Diese Referenz verkörpert wirkungsreich, dass Schulen die Leitmaxime der Gleichstellung von Mann und Frau als Erziehungszielsetzung des schulischen Betriebs durchzusetzen haben. Bildungsziele, Erziehungsideale bzw. Entwicklungsaufgaben einer Schule beschreiben einen Soll-Zustand, eine Norm eines Persönlichkeitscharakters, welcher durch pädagogisches Handeln verwirklicht werden soll.
Dieses pädagogische Handeln wird von LehrerInnen durchgeführt. Damit die Maxime der Egalität erfüllt werden kann, ist es notwendig, dass sich LehrerInnen ihrer Verantwortung hinsichtlich Geschlechtergerechtigkeit im Unterricht und im Schulalltag sowie der Problematik der Heteronormativität vor Augen führen. Erzieher verfügen nicht intuitiv über die Fähigkeit, geschlechtergerecht zu handeln bzw. sie wissen nicht naturwüchsig, wie sie die Reproduktion von Geschlechterstereotypen verhindern können, da sie selbst oft in gesellschaftlich heteronormen Strukturen eingebettet sind und unbewusst stereotypische Vorstellungen bedienen. So bemerkt Braun, dass die Umsetzung genderfreundlicher Praktiken daran scheitert, dass Geschlechterverhältnisse und geschlechtlich bedingtes Handeln wenig reflektiert und im Denken von LehrerInnen häufig ausgeblendet werden. Ebenso wird bemängelt, wie begrenzt das nötige Wissen über Geschlechtlichkeit bzw. divergierende Problemlagen hinsichtlich Gender ist.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Problem- und Fragestellung
3. Theoretischer Hintergrund
3.1 Männlichkeitsforschung
3.2 Männlichkeit als soziale Kategorie
3.2.1 Sozialkonstruktivistischer Ansatz der Forschungsarbeit
3.2.2 Der Gender-Diskurs und die Herstellung von Geschlecht und Männlichkeit (Doing Gender und Doing Masculinity)
3.2.3 Männliche Sozialisation
3.3 Die männerdominierte Gesellschaft: Das Patriarchat und hegemoniale Männlichkeit
3.3.1 Historisch-gesellschaftliche Ausgangslage des Patriarchats
3.3.2 Das Konzept der hegemonialen Männlichkeit
3.4 Doing Gender und Schule
4. Die Studie der Master-Lehramtsstudierenden an der Bergischen Universität
4.1 Lehramtsstudierende als Forschungsgegenstand und Zusammensetzung der befragten Gruppe an der Bergischen Universität
4.2 Forschungsmethode
4.3 Auswahlbegründung des Fallbeispiels „horrible hairdress“
4.4 Materialerhebung
4.5 Kritik an der Forschungsmethode und der Materialerhebung
4.6 Analysemethode
4.7 Ergebnisse der Analyse
5. Diskussion der Ergebnisse
6. Fazit
7. Literaturangaben
8. Anhang
1. Einleitung
In Anbetracht der derzeitigen Diskussionen über die Me-too-Debatte scheint es von fundamentaler Bedeutung zu sein, das Verhältnis von Männlichkeit in der Gesellschaft neu zu betrachten und auch die pädagogische Verantwortung hinsichtlich Geschlechterkonstruktionen in den Blickpunkt zu nehmen. Ende 2017 wurden verschiedene prominente Fälle publik, welche darstellen, dass trotz gesetzlicher Vorschriften, der Frauenbewegung, der sexuellen Revolution und anderer gesellschaftlicher Errungenschaften der 68er-Bewegungen eine erhebliche Diskrepanz im Umgang miteinander und im Hinblick auf die Gleichstellung bzw. Unterdrückung von Mann und Frau in der heutigen Gesellschaft in Erscheinung treten. Die Me-too-Debatte entwickelte sich innerhalb kurzer Zeit zu einem Zeugnis jahrzehntelangen Machtmissbrauchs, sexueller Unterdrückung bis hin zum sexuellen Missbrauch und Vergewaltigung und spiegelt die herrschende Ungleichstellung von Macht und Ohnmacht der Geschlechter wider. Männlichkeit erscheint hier als pa- triachales, hegemoniales Ungetüm, welches triebgesteuert sein sexuelles Verlangen ungehindert und machtvoll auslebt. So kam es im Laufe der Debatte zu Anzeigen gegen hohe Politiker, Kulturschaffende und Wirtschaftsmagnaten in verschiedenen Ländern. Der Popsänger Herbert Grönemeyer fragte schon vor 34 Jahren: „Wann ist ein Mann ein Mann?“. Die Frage müsste aber lauten: Wie wird ein Mann ein Mann?
Dass die Institution Schule und ebenso die Lehrerschaft erhebliche Identifizierungsgrößen darstellen und Einfluss auf das Rollenverständnis der Kinder und Jugendlichen nehmen, ist allgemein bekannt. Inwieweit LehrerInnen allerdings ein Bewusstsein für das Herstellen von Geschlecht im schulischen Kontext, sie selbstreflektiert ihre Verantwortung als geschlechtliches Rollenvorbild vor Augen haben und demzufolge die bestehenden maskulinen Machtstrukturen, aus denen die herrschende Ungleichstellung von Macht und Ohnmacht der Geschlechter weitergeben oder eben nicht, steht auf einem anderen Blatt. Die Verantwortung pädagogischen Handelns in der erzieherischen Praxis, um Ordnungs- und Orientierungsmuster sowie Denkgewohnheiten und -strukturen zu verfestigen, zu transformieren und der nächsten Generation positive Werte und Normen mitzugeben und dennoch Autonomie und Mündigkeit des Kindes zuzulassen, stellt eine der größten Herausforderungen des LehrerInnenberufs da. Aus diesem Grund sollten angehende LehrerInnen schon frühzeitig für gendersensible Fragen wie Genderstrukturen und -gerechtigkeit bzw. tradierte männliche wie weibliche Strukturen vorbereitet werden.
2. Problem- und Fragestellung
In der Bundesrepublik Deutschland ist die Gleichberechtigung von Mann und Frau gesetzlich vorgeschrieben: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin“ (Grundgesetz Art. 3. Abs. 2). Im Schulgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen ist im ersten Abschnitt im zweiten Paragraphen festgelegt, dass die Schule junge Menschen auf der Grundlage des Grundgesetzes und der Landesverfassung erzieht und unterrichtet (§ 2. Abs.1. SchulG.). Diese Referenzen verkörpern wirkungsreich, dass Schulen die Leitmaxime der Gleichstellung von Mann und Frau als Erziehungszielsetzung des schulischen Betriebs durchzusetzen haben. Bildungsziele, Erziehungsideale bzw. Entwicklungsaufgaben1 einer Schule beschreiben einen Soll-Zustand, eine Norm eines Persönlichkeitscharakters, welcher durch pädagogisches Handeln verwirklicht werden soll (Kiper 2012: 154). Dieses pädagogische Handeln wird von LehrerInnen durchgeführt. Damit die Maxime der Egalität erfüllt werden kann, ist es notwendig, dass sich LehrerInnen ihrer Verantwortung hinsichtlich Geschlechtergerechtigkeit im Unterricht und im Schulalltag sowie der Problematik der Heteronormativität vor Augen führen. Frank Tosch drückt diesen Sachverhalt folgendermaßen aus: „Positive Wertorientierungen, Haltungen und Handlungen können nur überzeugend beeinflusst werden, wenn Lehrerinnen und Lehrer auch als Vorbilder für Kinder und Jugendliche wirken und sich auch dessen bewusst sind“ (Tosch 2012: 32). So wird das Handeln des Erziehers durch Erziehungsziele geleitet, welche wiederum auf Handlungskompetenzen ausgerichtet sind, die gewünschte Verhaltensweisen und Werterhaltungen ermöglichen sollen. In der Schulpädagogik, als Teildisziplin der Erziehungswissenschaften, werden deshalb verschiedene Handlungskompetenzen2 von LehrerInnen vorausgesetzt um, wie im Grundgesetz beschrieben, gegen bestehende Nachteile der Geschlechtergerechtigkeit vorzugehen. Denn Erzieher verfügen nicht intuitiv über die Fähigkeit, geschlechtergerecht zu handeln bzw. sie wissen nicht naturwüchsig, wie sie die Reproduktion von Geschlechterstereotypen verhindern können, da sie selbst oft in gesellschaftlich heteronormen Strukturen eingebettet sind und unbewusst stereotypische Vorstellungen bedienen. So bemerkt Braun (2002: 6), dass die Umsetzung genderfreundlicher Praktiken daran scheitert, dass Geschlechterverhältnisse und geschlechtlich bedingtes Handeln wenig reflektiert und im Denken von LehrerInnen häufig ausgeblendet werden. Ebenso wird bemängelt, wie begrenzt das nötige Wissen über Geschlechtlichkeit bzw. divergierende Problemlagen hinsichtlich Gender ist. Dabei wird eine Abwesenheit über Kenntnisse hinsichtlich der „differentiellen Wirkung von Methoden und Förderstrategien“ sowie fehlendes Wissen über „die die Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern fördernden oder hemmenden Strukturen“ unterstellt. Zudem fehlt es an Spürsinn für „die Folgen des “doing genders“ und für die „Auswirkungen der Zusammensetzung von Fachkräfteteams“ hinsichtlich geschlechtlicher Diversität (ebd.).
Der Kern der Fragestellung soll in Folgendem liegen: Erst wenn Lehrer ein Bewusstsein in Bezug auf die gerade genannte Thematik haben und diese mit pädagogischem Handeln in der erzieherischen Praxis kombinieren, kann ein Zukunftsmodell, welches geschlechtliche Freiheit und Mündigkeit als Zielsetzung beinhaltet, gesellschaftliche und eventuell sogar weltliche Veränderungen in soziokultureller und gendertheoretischer Hinsicht erreichen. Aus den genannten Gründen untersucht diese Forschungsarbeit mit einer sozialkonstruktivistischen Perspektive, inwieweit Lehramtsstudierende ein Bewusstsein für praktisches Handeln bzw. pädagogisches Handeln im Hinblick auf Männlichkeitskonstruktionen und Stereotypenbildung in der Schule haben.
Um diese Fragestellung und Zusammenhänge aufzuklären, wird zuerst ein theoretisches Grundgerüst aufgebaut, welches sich mit Männlichkeit als wissenschaftliches Feld beschäftigt und Grundlagen der Männlichkeitsforschung aufzeigen wird (Kap. 3). Um herauszufinden, inwieweit Lehramtsstudierende über ein Bewusstsein für die beschriebene Problemstellung verfügen, wurde eine schriftliche Befragung von Master-Lehramtsstudierenden durchgeführt und hinsichtlich der Fragestellung analysiert. Das Forschungsdesign und die Auswertung der Befragung werden im vierten Kapitel dargestellt (Kap. 4). Danach werden die erlangten Erkenntnisse in Relation zu den vorher dargestellten theoretischen Konstruktionen gestellt und diskutiert (Kap. 5). Zuletzt wird das Fazit dieser Arbeit aufgezeigt (Kap. 6).
3. Theoretischer Hintergrund
Im weiteren Verlauf dieser Forschungsarbeit soll nun der theoretische Hintergrund, auf welchen sich das Forschungsprojekt stützt, dargestellt werden. Aus diesem Grund wird ein Schlaglicht auf die Männerforschung geworfen, um die „Men-Studies“ einzuordnen und zu erläutern, was Männerforschung ausmacht und was darunter zu verstehen ist. Anschließend wird sich der Theorieteil mit Männlichkeit als Kategoriensystem beschäftigen. Dabei soll der Gender-Diskurs aufgenommen und eine Perspektive auf die männliche Sozialisation geworfen werden, um darauf folgend die Kategorie „Männlichkeit“ mit gesellschaftlichen Ebenen in Verbindung zu bringen. Insgesamt soll ein kompaktes, aber breitgefächertes Bild von Männlichkeit als Kategorie auf verschiedenen Ebenen gezeichnet werden. Hiernach wird Raewyn Connells Konzept der hegemonialen Männlichkeit vorgestellt. Dies hat den Zweck, Männlichkeit nicht als eine starre Masse bzw. als festgelegte Determination zu begreifen, sondern different und liquid wahrzunehmen, um so divergierende Ebenen von Männlichkeit darzustellen. Am Ende dieses Kapitels wird das Doing-Gender Konzept im Hinblick auf pädagogisches Arbeiten und Handeln in der Schule untersucht und vorgestellt, um in der Befragungsanalyse auf Anhaltspunkte rekurrieren zu können und Aspekte hinsichtlich Lehrer-Schülerinteraktionen bezüglich der Fragestellung zu verdeutlichen.
3.1 Männlichkeitsforschung
Wer die Geschichte von „Männern“ und „Männlichkeit“ im Zeichen der Wissenschaft verstehen möchte, muss die Grundlagen und Entwicklungen der Geschlechtergeschichte und vor allem der Frauenforschung der letzten Dekaden kennen.3 Bevor die Sozial- und Kulturwissenschaften „das unbekannte Wesen“ Mann in seiner heutigen Betrachtung entdeckten, war es ein weiter Weg. Um aus der negativen Naturalisierung der Anthropologie des Weiblichen zu entfliehen und das angeblich unhintergehbare Phänomen der Differenz zwischen Männern und Frauen zu entzaubern, dauerte es bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts. Allerdings ist zu beachten, dass „ehe sich feministische Diskurse entfalten konnten, [.] Vorstellungen von 'Geschlecht' und 'Geschlechtlichkeit' bereits aus männlicher Perspektive vorgedacht“ waren (Becker-Schmidt/ Knapp 2007: 15). So konzentrierten sich die kommenden Geschlechtertheorien darauf, die divergierenden historischen Interpretationen von Geschlechtlichkeit und gesellschaftlichen Geschlechterrelationen in eine wissenschaftliche Ordnung bzw. Relation zu setzen, um tradierte Denkweisen und Denkgewohnheiten bzw. Begrifflichkeiten und Wahrnehmungsentwicklungen zu beschreiben und erklärbar zu machen. Deshalb sind Martschukat und Stieglitz (2008: 34) der Meinung: „Ohne Women's Studies keine Men's Studies“. Aus den sich hervorgekämpften Frauenbewegungen und der sich daraus entwickelten Frauenforschung mit ihren speziellen Theoriekonzepten, begrifflichen Kategorien und wissenschaftspolitischen Themen bildet sich Mitte der 1980er-Jahre in den angelsächsischen Sozialwissenschaften eine Forschungsrichtung heraus, welche sich das Eruieren von 'Männlichkeit' zur Aufgabe gemacht hat: Die Men's Studies bzw. Männerforschung (vgl. Brittan 1989; vgl. Brod 1987a; vgl. Kimmel 1987).
„The most general definition of men's studies is that it is the study of masculinities and male experience as specific and varying social-historical-cultural formations“ (Brod 1987b: 40) Männerforschung kann also „allgemein als die kritische, sozial- und kulturwissenschaftliche Analyse von Männern und Männlichkeit verstanden“ werden (Martschukat/ Stieglitz 2008: 33). Men's Studies entwickelte sich in den vergangenen Jahren zu einem „komplexen, multidisziplinären Wissenschaftsgebiet“ (Böhnisch 2012: 24). Zuvor sahen sie sich allerdings einem „Kontrollblick“ (Böhnisch 2004: 18) und einem „Rechtfertigungsdruck“ (Meuser 2000: 48) von Seiten der Frauenforschung ausgesetzt, da „sich die feministische Emanzipationsperspektive [...] gegen die männliche Hegemonialität und Alltagsdominanz richtete [und] sich am Abbau der Männerherrschaft beweisen musste, konnten die Männerdiskurse [anfänglich] keine eigenständige Emanzipationsperspektive“ entwickeln (Böhnisch 2004: 18). So verlangte die Emanzipation der Frau und der feministische Diskurs einen „komplementären Wandel des männlichen Bewusstseins und Verhaltens“ (ebd.: 7). Die kulturellen Konstruktionen sowie inkorporierten Strukturen und historischen Gewordenheiten, welche eine Männerherrschaft der Selbstverständlichkeit im Laufe der Jahrhunderte verfestigten, mussten von der Männerforschung sorgsam aufgebrochen werden. Wollte man tatsächlich eine neue Gesellschaftsordnung und Denk- wie Verhaltensmuster etablieren, bedeutete dies, sich mit Definitionen und festgesetzten Strukturen im Hinblick auf Weiblichkeit und Männlichkeit zu befassen, ihre Verflechtungen in Frage zu stellen und den männlichen Hegemonialanspruch kritisch zu hinterfragen. Derartig wurde das „rollentheoretische Verständnis von Geschlecht“ kritisiert sowie die „Überwindung der Dichotomien“ der Geschlechter gefordert (Meuser 2016: 219). So greift die Männerforschung Themen wie geschlechtliche Arbeitsteilung und Bedingungen am Arbeitsplatz auf und untersucht Zusammenhänge von Geschlechter- und Klassenverhältnissen. „Die Berücksichtigung sowohl der Handlungs- als auch der Strukturebene sozialer Beziehungen sowie das Verständnis von Männlichkeit als politischer, d. h. Herrschaftsordnung kann als [.] Spezifikum“ von Männerforschung genannt werden (ebd.).
In demselben Maße, wie eine Entgrenzung des Alltags durch den sozialen Wandel, die Globalisierung, die Digitalisierung und die neoliberale Umstrukturierung des Arbeitsmarktes stattfindet, „ist die Entgrenzungsdynamik in den Geschlechterverhältnissen kein isoliertes Phänomen“ (Meuser 2012: 17). Die Grenzen zwischen den Geschlechtern brechen weiter auf, was die Folge und den Grund beinhaltet, dass die Geschlechterordnung einer Veränderung unterliegt und sich das Bild des „Mannes“ wandelt. Die „Transformation des Mannes“ meint, so Böhnisch (2004: 7), „dass die Männer nun eine eigene Entwicklungsperspektive anstreben müssen, eine Perspektive der Befreiung von sich selbst bzw. der historischen Hypothek männlicher Hegemonialität, die in ihnen stecke“. Der „neue Mann“ verfolgt nicht mehr die androzentrische Sichtweise auf die Welt, sondern steht im „Zeichen der Kultur des Entgegenkommens“ (Böhnisch 2004: 18), wobei sich Männer immer häufiger in einer „ Dialektik von männlicher Dominanz und Verfügbarkeit “4 wiederfinden (ebd. 2012: 27). Aufgrund dessen ist es nicht verwunderlich, dass Rainer Volz und Paul Zulehner (2009) der „Männlichkeit“ in Deutschland im Hinblick auf ihr Selbstbild eine Modernisierung ihres Alltagsverhaltens attestieren, aber zugleich auch darstellen, wie Spannungen und Verunsicherungen im „neuen Mann“ herrschen, da sich über Jahrhunderte verfestigte, tradierte männliche Grundstrukturen und Selbstverständnisse nicht innerhalb von 40 Jahren Männerforschung und noch längerer feministischer Aufklärung auflösen lassen.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass sich die Men's Studies auf der internationalen Forschungsbühne etabliert haben und eine Ausdifferenzierung in verschiedenen Forschungsbereichen zu beobachten ist: Von soziologischen Themen hin zu politologischen Problematiken bis zu pädagogischen Aufgabenstellungen umfasst die Männerforschung heutzutage ein interdisziplinäres Forschungsfeld. Doch auch „wenn viel von den Veränderungen in der Genderordnung gesprochen wird, zeigt sich [.] im Alltag, dass Männlichkeit nach wie vor eine zentrale Bezugs- und Identifizierungsgröße für die meisten Jungen darstellt“ (Budde 2006: 114).
3.2 Männlichkeit als soziale Kategorie
Im Folgenden soll ein Blick auf den Sozialkonstruktivismus geworfen und die Debatte um die Frage nach der Geschlechtergenese aufgegriffen werden, um Männlichkeit als soziales Geschlecht und als Definition für diese Arbeit herausarbeiten zu können. Dabei sollen die Fragen diskutiert werden inwieweit biologische Anlagen das Geschlecht bestimmen oder inwieweit Einflussfaktoren der Umwelt relevant in der Geschlechtsidentitätsfindung sind oder ob beide Faktoren zusammengenommen die Kategoriestruktur Geschlecht bilden. Dabei werden das Prinzip Doing-Gender vorgestellt und mögliche Relationen mit den gesellschaftlichen Gegebenheiten präsentiert. Diese zeigen sich in der Gesellschaftsform des Patriarchats am deutlichsten und ziehen damit eine Verbindung zur Thematik Macht. Demzufolge wird Macht im Verhältnis zu Männlichkeit und Geschlecht dargestellt und gleichzei - tig männliche Sozialisation als Rahmenbedingung benannt. Insgesamt soll hiermit ein Grundgerüst und gleichzeitig eine Orientierung für die theoretische Einordnung der Fragestellung und späteren Analyse geschaffen werden.
3.2.1 Sozialkonstruktivistischer Ansatz der Forschungsarbeit
Die Marxschen Thesen: „das Bewußtsein ist also schon von vornherein ein gesellschaftliches Produkt“ (Engels/Marx 2016/1845: 18) und das menschliche Wesen ist „in Wirklichkeit [.] das Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse“ (Marx 1978/1845: 6) verweist auf die Interdependenz der Genese von Gesellschaft und Individuum als Wirklichkeitsschöpfung, welche der Sozialkonstruktivismus5 beschreibt: Der Sozialkonstruktivismus ist eine Metatheorie, die darauf abzielt, Möglichkeiten und Grenzen von Theoriebildung aufzuzeigen. Diese Metatheorie legt ihren Fokus auf die soziale Wirklichkeit und auf den Prozess der Herstellung dieser. Dabei wird davon ausgegangen, dass Realitäten durch soziale Phänomene konstruiert werden (Siebert 2004: 95f). Die zwei Mitbegründer des Sozialkonstruktivismus Peter Berger und Thomas Luckmann (2010) gehen von der Annahme aus, dass jede Wahrnehmung, Erfahrung und Sinnlichkeit über sozial konstruiertes, standardisiertes, in differenzierenden Ebenen als legitim anerkanntes und objektiviertes Wissen (Bedeutungen, Deutungs-, Handlungsschemata) vermittelt wird. So wird die Gesellschaft in einem intersubjektiven Prozess konstruiert, wobei die „objektive Faktizität“ der Gesellschaft und ein „subjektiv gemeinter Sinn“ des Individuums zu einer Realität sui generis verschmelzen (ebd.: 20). Als „sozialkonstruktivistische[n] Leitsatz“ schreibt Böhnisch (2004: 11f), „dass sich gesellschaftliche Strukturen [...] durch Wiederholung von sozialen Handlungen und ihrer Institutionalisierung ausbilden“. Der Sozialkonstruktivismus hebt soziale Kontexte der Welt hervor und stellt das Individuum und die Gesellschaft in ein reziprokes Verhältnis. Aus dieser interdependenten Relation entsteht letztendlich soziale Wirklichkeit. „Gesellschaft, Wirklichkeit und Identität bilden sich während der Entstehung von Persönlichkeit gemeinsam und gleichzeitig im Bewusstsein der Einzelnen heraus“ (Berek 2009: 143). Diesem Gedanken von Berek folgend, verwundert es nicht, dass Berger und Luck- mann (2010: 54) die Meinung vertreten, dass in dieser „Verschränktheit von Menschenhaf- tigkeit und Gesellschaftigkeit“ der „Homo sapiens [.] immer und im gleichen Maßstab auch Homo socius“ ist. Für die Männerforschung und für diese Forschungsarbeit spielt das insofern eine Rolle, als dass Geschlechtlichkeit nicht auf biologische Determinationen beschränkt werden kann, sondern eine Konstruktion bzw. ein Aushandeln mit sozialen Umständen, Milieus, Gruppen, Peers etc. der Kategorie Männlichkeit vorausgeht. Die geschlechtliche Identität wird also in einer sozialkonstruktivistischen Perspektive in Interaktionen mit der Umwelt, der Gesellschaft und sich selbst kreiert und erzeugt.
Michael Meuser (2000: 50) macht über den konstruktivistischen Ansatz der Geschlechter- genese die polemische Anmerkung: „Wer nicht von Geschlecht als Konstrukt spricht, macht sich fast schon der Häresie verdächtig“ und Böhnisch (2004: 20) spricht sich gegen eine rein sozial konstruierte Geschlechtsidentität aus, da er schreibt: Geschlechtlichkeit „ist an den Leib gebunden und kann deshalb nicht als 'reine' soziale Kategorie gelten“. Weiter bemerkt er, dass das Geschlecht „in der menschlichen Natur wurzelt“ und genau aus diesem geschlechtlichen Ursprung geschlechtsspezifische Differenzen eruiert werden. Ebenso wird immer wieder auf die Zweigeschlechtlichkeit der Chromosomenpaare XX und XY rekurriert. Dabei stellt sich die Frage, ob der Körper oder das innere Empfinden bzw. die Psyche die Basis für die persönliche Geschlechtergenese darstellen.
Um dieses „Verwirrspiel“ (ebd.: 23) besser durchleuchten zu können und der Antwort auf die Frage auf die Spur zu kommen, ob die Wesenszüge der Geschlechtlichkeit durch biologisch-genetische Anlagen bedingt oder kulturell-gesellschaftlich konstruiert werden, soll im nächsten Schritt ein Blick auf den Gender-Diskurs und die Theorie des Doing Gender bzw. Doing Masculinity geworfen werden.
3.2.2 Der Gender-Diskurs und die Herstellung von Geschlecht und Männlichkeit (Doing Gender und Doing Masculinity)
Der Gender-Diskurs geht davon aus, das Geschlechtlichkeit einmal als „sex“ und einmal als „gender“ dem Menschen inhärent ist. Gender bezeichnet dabei eine sozial konstruierte Geschlechtsidentität, eine soziale Dimension, welche kulturspezifische Erwartungen, Werte und Ordnungen erfüllt und im Gegensatz zum natürlich determinierten biologischen Geschlecht (sex) variable Rollen einnehmen und sich in einem kontinuierlichen Fluss der Veränderung bewegen kann (Meissner 2008: 3). Gender lässt sich nicht kausal aus dem biologischen Geschlecht ableiten und ist kultur- sowie sozialisationsabhängig. Gerade an der Vorstellung, dass Geschlecht nicht nur etwas Augenscheinliches, sondern eine soziale Konstruktion (gender) und eine natürliche Festlegung (sex) ist, entzündet sich der Gender-Diskurs am stärksten.
Budde (2006a) beschreibt in Anlehnung an Hirschauer (1994) drei wesentliche axiomatische Grundannahmen, welche der Gesellschaft die angebliche Klassifizierung von Geschlecht erleichtern soll bzw. die Herstellung von Geschlecht durch gesellschaftliche Interaktion in Frage stellen:
1. Die Annahme der Konstanz: Jemand, der heute als Mann in Erscheinung tritt, wird uns morgen nicht als Frau begegnen, „wir gehen also von einer lebenslangen Gültigkeit der Geschlechtszugehörigkeit aus“ (Budde 2006a: 48).
2. Die Annahme einer Naturhaftigkeit: Geschlecht wird an biologischen Merkmalen festgemacht. Besonders die äußeren Geschlechtsmerkmale sind signifikant für die Zugehörigkeit zu einem Geschlecht.
3. Die Annahme der Dichotomizität: Geschlecht wird bipolar dargestellt, als entweder männlich oder weiblich, aber nichts dazwischen oder jenseits davon.
Diese tradierten Grundannahmen wurden bzw. werden im Gender-Diskurs teils heftig diskutiert und in Frage gestellt. In Anbetracht neuerer soziologischer Erkenntnisse wie bspw. des Sozialkonstruktivismus und des Konzepts des Doing-Genders (vgl. Butler 1992, West/ Zimmermann 1987) werden festgelegte, biologische Determinationen kritisch analysiert, welche sich im Gender-Diskurs artikulieren. Gerade von konservativen Positionen wird die Vorstellung einer nicht-bipolaren Geschlechtsidentität und eine Erneuerung der gesellschaftlichen Geschlechtswahrnehmung abgelehnt, was daran zu erkennen ist, dass rechtskonservative Parteien wie die Christlich Soziale Union (CSU) und die Alternative für Deutschland (AFD) in ihren Grundsatzprogrammen eine „Gesellschafts- und Bildungspolitik, die Gender-Ideologie folgt“ ablehnen (Grundsatzprogramm der Christlich Sozialen Union (CSU) 2016: 10) und ein „Nein zu Gender-Mainstreaming6 “ fordern (Grundsatzprogramm der Alternative für Deutschland (AFD) 2017: 55).
Die analytische Trennung bzw. Aufspaltung des Geschlechts in soziales und natürliches Geschlecht wird in den Sozialwissenschaften als Instrumentarium geführt, um Geschlechtsidentitäten, Geschlechtlichkeit und Geschlecht in einer sozialen Dimension differenzierter untersuchen zu können und kann als „Beitrag zu einer theoretischen Formulierung der Konstruktionshypothese [des Geschlechts] aufgefasst werden“ (Meissner 2008: 3).
Für diese Arbeit bedeutet dies, dass bei Geschlechtlichkeit von einem sozialkonstruktivistischen Ansatz der Geschlechtergenese ausgegangen, dabei aber nicht außer Acht gelassen wird, dass das konstruierte, soziale Geschlecht auf einen biologischen Leib angewiesen und an ihn gebunden ist.
Das soziale Geschlecht ist im alltäglichen Verhalten einem „ständigen Bewertungsprozess durch [...] die Interaktionspartnerinnen [ausgesetzt, welche] wechselseitig Einfluss aufeinander nehmen und die soziale Welt ebenso wie die individuelle Entwicklung produzieren und reproduzieren“ (Budde 2006: 46). Für diesen Prozess haben Candace West und Don Zimmermann (1987) den Begriff des „Doing Gender“ entwickelt. In ihrem grundlegenden Aufsatz “Doing Gender“ verstehen die Autoren daher das Geschlecht (Gender) nicht als natürliches oder erworbenes Personenmerkmal, sondern betonen die aktive Her- und Darstellung des Geschlechts im Alltag:
Doing gender involves a complex of socially guided perceptual, interactional, and micropolitical activities that cast particular pursuits as expressions of masculine and feminine "natures." When we view gender as an accomplishment, an achieved property of situated conduct, our attention shifts from matters internal to the individual and focuses on interactional and, ultimately, institutional arenas. In one sense, of course, it is individuals who "do" gender. But it is a situated doing, carried out in the virtual or real presence of others who are presumed to be oriented to its production. Rather than as a property of individuals, we conceive of gender as an emergent feature of social situations: both as an outcome of and a rationale for various social arrangements and as a means of legitimating one of the most fundamental divisions of society.“ (ebd.: 126).
Mit Doing Gender werden also die Interaktionen bezeichnet, welche Geschlecht herstellen. Zu einer Interaktion gehören immer mindestens zwei Personen: Diejenige, welche sich darstellt und diejenige, die es anerkennt bzw. akzeptiert und mit ihrer Annahme, das Handeln und Agieren der anderen Person geschlechtsspezifisch legitimiert. Die Popularität des Doing-Gender-Ansatzes liegt also darin, die Perspektive auf Geschlecht zu verändern und einen Fokus darauf zu legen, das Geschlechtshandeln von Personen zu beobachten und zu bewerten. Die Frage ist also, ob ein Individuum über das nötige Wissen verfügt, mit Situationen so umzugehen, dass das Ergebnis seines Agierens als „gender-appropriate or, as the case may be, gender-inappropriate“ verstanden wird (West und Zimmermann 1987: 135). Durch sein geschlechtsnegierendes oder geschlechtsverstärkendes Handeln wird ein Mensch von anderen Individuen zu einer bestimmten Geschlechtergruppe zugeordnet und somit als Mann oder Frau akzeptiert und anerkannt. „Abstrakter gesprochen, bezeichnet Doing Gender somit Repertoires und Schemata des Handelns, der Wahrnehmung und der Bewertung, die funktionieren und verständlich werden, indem sie geschlechtliche Klassifikationen aufgreifen“ (Westheuser 2018: o.S.).
Solche Schemata und Bewertungen der geschlechtlichen Klassifikationen kommen auch bei der Männlichkeitsgenese zur Anwendung. Hier spricht man von Doing Masculinity, also dem Herstellen von Männlichkeit. Wie angemerkt ist das soziale Geschlecht in einem stetigen Fluss der Veränderung eingeordnet bzw. ist kultur- und sozialisationsabhängig. Aus diesem Grund wird im nächsten Kapitel die männliche Sozialisation näher beleuchtet, um zu erläutern, wie Männlichkeit hergestellt und reproduziert bzw. weitergegeben wird bzw. wie sich männliche Geschlechtsstrukturen vervielfältigen. Auch im Hinblick auf die Forschungsfrage spielt der Prozess, in welchem Kinder und junge Erwachsene interdependente Erfahrungen mit ihrer Umwelt machen und daraus dauerhafte Wahrnehmungs-, Be- wertungs- und Handlungsdispositionen entstehen, eine übergeordnete Rolle.
3.2.3 Männliche Sozialisation
7 Unter männlicher Sozialisation soll hier die Entwicklung und Entstehung maskuliner Verhaltensmuster im Kontext gesellschaftlicher Struktur- und Interaktionsprozesse verstanden werden. Dabei wird ein Fokus auf die Kindheit bzw. Adoleszenz gelegt, da der Mensch in dieser Zeit sehr formbar und anpassungsfähig bzw. wandlungsfähig erscheint. Im Verlauf der Sozialisation geht jeder Mensch auf seine individuelle Art und Weise auf geschlechtsspezifische Erwartungen ein und verändert so in einem fortwährenden Prozess sein geschlechtsbezogenes Verhalten (Bründel/ Hurrelmann 1999: 13). Männlichkeit muss daher ständig angeeignet und durch Interaktionen hergestellt und bestätigt werden. Somit kann die Sozialisation als sozialer Prozess des Erwerbs der Geschlechtsrollenidentität benannt werden.
Die zeitgenössische und klassische Psychoanalyse (vgl. Freud 1925/1981) sowie die kognitive Theorie (vgl. Kohlberg 1974), die Lerntheorie (vgl. Bandura 1979) und die Rollentheorie (vgl. Parsons 1968, Mead 1968) haben für die Sozialisation, als Erwerb der Geschlechts- und Geschlechtsrollenidentität, bedeutende Beiträge geliefert (Bründel/ Hurrelmann 1999: 17). Alle theoretischen Ansätze haben gemein, dass sie von einer Fremdzuschreibung im Sozialisationsprozess ausgehen (Rollenerwartungen und strukturelle Zuschreibungen der Eltern, Erzieher und Peers) und dennoch ein selbstbestimmtes Handeln und Erfüllen der Erwartungen und Zuschreibungen im geschlechtsspezifischen Verhalten für möglich halten. So ist „die Wechselwirkung von aktiver Selbtsformung und passivem Geformtwerden kennzeichne[nd] [für] den Erwerb der Geschlechtsidentität“ (ebd.). Ob und inwieweit sich eine ungestörte Geschlechtsidentität herausbildet, hängt demzufolge von einem Zusammenspiel divergierender Einflussfaktoren ab. Die Grundlagen hierfür werden bereits im Säuglingsalter und der Kindheit gelegt, wobei der Vorgang der Aneignung von Geschlechtsrollen und gewünschten Normen, Werten und Verhaltensweisen über Rekognoszierung und Nachahmung des Kindes „sowie über Lob, Strafe und subtile Beeinflussung der Eltern oder Erzieher erfolgt (ebd.: 14). Denn genauso wenig wie Frauen als stereotypische8 Frauen geboren werden, werden auch Männer nicht als stereotypische Männer geboren. Der Aneignung der geschlechtskonformen Rollenmuster und Verhaltenskodizes, um spezifisch geschlechtsbezogen handeln zu können, geht ein jahrelanger Lern- und Aneignungsprozess voraus.
Die Beeinflussung der Geschlechterrollen beginnt mit der Elternerziehung und verfestigt sich im Kindergarten und in der Schulzeit. Eltern und Erzieher bestärken Kinder und Jugendliche bewusst und unbewusst darin, sich geschlechtsrollenkonform zu verhalten. Zusätzlich hat die Mediensozialisation9 heutzutage eine enorme Auswirkungskraft auf das Geschlechtsempfinden der Kinder und Jugendlichen. Denn „durch Übernahme der Perspektive anderer und durch Training der Selbstwahrnehmung lernt das Kind seine Geschlechtsrolle“ (Bründel/ Hurrelmann 1999: 22), zudem betonen die Autoren, dass eine Geschlechtsrolle auch immer eine soziale Rolle darstellt. Diese soziale Rolle wird als „normative Verhaltenserwartungen“ verstanden und von Vorbildern (role models) bzw. Bezugspersonen an die Inhaber einer sozialen Rolle herangetragen und führt letztendlich zu einer Geschlechtsrollenidentität (ebd.).
Maskulinität bzw. Geschlechtsdifferenzen werden von Jugendlichen oft als Ordnungs- und Orientierungsmuster wahrgenommen. Diese geschlechtsspezifische Sozialisation kann auch als unbewusste Ideologie benannt werden (Grünewald-Huber 2014: 192) und der französische Soziologe Pierre Bourdieu (2005: 7) spricht von „doxa“, einer Inkooperierung von Glaubensregeln und gesellschaftlichen Praktiken, die als normal und unhinterfragbar Geltung besitzen und in der Sozialisation Geschlechter-, Werte- und Strukturnormen konstituieren. Diese Orientierung des geschlechtskonformen Handelns setzt die Rahmenbedingungen für die Genese einer Geschlechtszugehörigkeit. Und auch wenn heutzutage „gesellschaftliche Männlichkeitsbilder in öffentlichen Diskussionen zunehmend problema- tisiert werden, orientieren sich viele Jungen dennoch stark an einem Ideal von Unabhängigkeit und Stärke, von Aktivität und Dominanz“, das dem Leitbild einer tradierten, sozial anerkannten Männlichkeit folgt (Flaake 2006: 30).
In der Entwicklungsperiode des Erwachsenenalters wird für den Mann die Aufgabe der Aneignung einer erwachsenen Männlichkeit von fundamentaler Bedeutung, was auch heutzutage noch eine enge Verknüpfung mit der Erwerbsarbeit und dem Bild des „Versorgers“10 nach sich zieht. In Beachtung der Studie von Rainer Volz und Paul Zulehner (1998) spricht Michael Meuser (2004: 370) von einer sozialen Verschiebung der gesellschaftlichen Ge- schlechterordnung: „Wenn auch die soziale Ungleichheit der Geschlechter auf der Ebene der habitualisierten Alltagspraxis weiterhin in hohem Maße reproduziert wird, so ist doch unverkennbar, dass die kulturellen Kodierungen von weiblichen und männlichen [...] ihre Eindeutigkeiten verloren haben“. So führen die tradierten Männlichkeitsbilder des „alten“ starken Versorgers und die Erwartungen des „neuen“ familienfreundlichen und emotionsbewussten Mannes zu einem Dilemma der männlichen Geschlechtsrollenidentität: „[D]as Wechselspiel von kritischer Distanz zu tradierten Männlichkeitsmustern und Sehnsucht nach habitueller Sicherheit, über die die in der Tradition verankerten Männer augenscheinlich“ verfügen, erweckt eine Ambivalenz, welche sich in der heutigen männlichen Sozialisation bzw. der Ausbildung einer männlichen Geschlechtsrollenidentität immer stärker ausprägt (Meuser 2000: 68). Der Entwicklung eines kritisch-reflexiven Verhältnisses zur eigenen Männlichkeit stehen nach soziologischen Erkenntnissen Konfliktkonstellationen von homosozialen Männergemeinschaften gegenüber (Meuser 2004: 372). „Homosozialität“ meint dabei „die wechselseitige Orientierung der Angehörigen eines Geschlechts aneinander“ (ebd.). Bourdieu (2005) zufolge wird ein männlicher Habitus im sozialen Feld durch homosoziale Männergemeinschaften perpetuiert und verfolgt dabei zweierlei Ziele: 1. die Dominanzstruktur des Machterhaltes und 2. der doppelten Distinktion gegenüber Frauen und anderen Männern. Ein wichtiger Schritt im Erwerb der Geschlechts- und Geschlechtsrollenidentität ist in der Adoleszenz Distinktion gegenüber dem anderen Geschlecht. So hebt Meuser (2000: 56) hervor, dass die geschlechtsimmanente Differenzkonstruktion bei Männern einen Identitätszwang auslöst, das Weibliche zu negieren bzw. es abzuwerten, um sich selbst als maskulin zu definieren.
In den Männerwelten bzw. homosozialen Männergemeinschaften ist eine „Parallelität von Kontinuität und Wandel“ zu beobachten. Es sind „Ansätze einer Modernisierung als auch Beharrungstendenzen im Sinne von Verteidigung tradierter Männlichkeit“ zu erkennen (Meuser 2004: 374). So wird betont, dass männliche Sozialisation und „Mannsein“ für die „neuen Männer“ zu einer ambivalenten Angelegenheit geworden ist, da der heutige Mann einerseits durch die homosozialen Männergemeinschaften ein Bild des maskulinen Hegemonialanspruchs vermittelt bekommt und anderseits den Erwartungen der emanzipierten Frauen gerecht werden möchte. Die Konsequenz hieraus zeigt sich in unterschiedlichen Verhaltens- und Handlungsweisen wie Denkschemata und Strukturbedingungen11 (ebd.: 373).
Zusammenfassend kann für diese Forschungsarbeit festgehalten werden, dass die männliche Sozialisation ein Transformationsprozess von Anpassung und Angleichung an männlich tradierte Handlungsschemata darstellt und gleichzeitig eine Veränderung der konventionellen Vorbildfunktionen und Rollenerwartungen herbeiführt. Die Sozialisation als Vergesellschaftung des Individuums bezeugt das interdependente Zusammenspiel von divergierenden Aspekten und Faktoren einer Interessengemeinschaft und führt zu einer Kongregation auf verschiedenen Ebenen. Dennoch kann die männliche Sozialisation als Ausbildungsgrad der Geschlechtsrollenidentität benannt und als starker Einflussfaktor des Prozesses der Aneignung von tradierten Männlichkeitsbildern verstanden werden. Zudem hat der „neue Mann“ in homosozialen Männergemeinschaften einen internen Kampf gegen sein eigenes Geschlecht auszufechten, wobei es um hierarchische Strukturen und den Erhalt hegemonialer Männlichkeitsnormen geht. Aus diesen Gründen und um einen noch deutlicheren Konnex von Männlichkeit und gesellschaftlichen Konstruktionen und Strukturen zeichnen zu können, soll im weiteren Verlauf dieser Forschungsarbeit das Konzept der hegemonialen Männlichkeit von Raewyn Conell genauer untersucht und dargestellt werden. Dieses Konzept soll die Dominanz des Männlichen im Kontext der Gesellschaftsform des Patriachats verdeutlichen und dabei eine analytische Differenzierung der Pluralität von Männlichkeiten vornehmen.
3.3 Die männerdominierte Gesellschaft: Das Patriarchat und hegemoniale Männlichkeit
In diesem Kapitel soll der Fokus von der individuellen Sozialisation auf die gesamtgesellschaftlichen Strukturen erweitert werden. Dabei werden dynamische Merkmale der Sozialstrukturen der Androkratie historisch-gesellschaftlich aufgearbeitet. So wird das Themenfeld Macht in einer männlichen Perspektive mit Problemstellungen von Wirtschaft und Familie kombiniert, um daraus den Prozess und Verlauf des Patriarchats als System von sozialen Beziehungen nachzeichnen zu können. Anschließend wird der Blickwinkel auf die hegemoniale Männlichkeit gelenkt, um damit die Reproduktion und die Verinnerlichung sowie Relationen zueinander von männlichen Strukturen als Erklärungsansatz zu verdeutlichen. Hierbei soll das Augenmerk auf der Pluralität von Männlichkeit liegen, um Männlichkeit in seiner gänzlichen Diversität abzubilden.
3.3.1 Historisch-gesellschaftliche Ausgangslage des Patriarchats
Das Patriarchat wird von Eva Cyba (2004: 15) als ein „gesellschaftliches System von sozialen Beziehungen der männlichen Herrschaft“ beschrieben. Dieses androzentristische Ordnungsprinzip meint „die Manifestation und Institutionalisierung der Herrschaft der Männer über Frauen und Kinder innerhalb der Familie und die Ausdehnung der männlichen Dominanz über Frauen in der gesamten Gesellschaft“ (Lerner 1991: 295). Weiter schreibt Cyba, dass das Patriarchat als alle Lebensbereiche durchdringendes Herrschaftssystem bis in das dritte Jahrtausend vor Christus zurückreicht und anhand der Veränderung der religiösen Symbole zu erkennen ist (Cyba 2004: 16). Die katholische Kirche verfestigte zudem ein männliches Weltbild durch ihren Herrschaftsbereich12. Um nicht zu weit in die Vergangenheit zu reisen, soll hier eine Brücke zur Entwicklung des Industriekapitalismus geschlagen werden: Denn Ende des 18 Jahrhunderts bzw. im 19 Jahrhundert löste sich die vorindustrielle Sozialordnung auf. Die mittelalterlichen patriarchalen Strukturen und die gesellschaftlichen wie kulturellen Weiterentwicklungen der Renaissance und Reformati- „Indem der familiale Reproduktionssektor dem erwerbswirtschaftlichen Bereich untergeordnet war und keine eigenständige ökonomischen Machtsphären mehr hatte, konnte das überkommene kulturelle System der Geschlechterdualität und das neue sozialökonomische System des Vorrangs der Produktionssphäre und des damit zusammenhängenden Vergesellschaftsprinzips des linearen Wachstums [.] zu einem modernen männergesellschaftlichen Machtverhältnis verschmolzen werden“ (ebd.: 26).
Ursula Beer (2004: 56ff) versucht über das Konzept des „Sekundärpatriarchalismus“ die Weiterentwicklungen, die Veränderungen und weitergehenden Inkorporierungen der männlichen Herrschaftsstrukturen in der Industriegesellschaft zu erklären. Eva Cyba rekurriert auf Beer, indem sie schreibt: „Durch die Monopolisierung von Machtpositionen durch Männer reproduziert sich über die berufliche Dominanz (marktlicher Sekundärpatriarcha- lismus) hinaus auch ihre überragende Machtposition in der „privaten“ Sphäre von Familienbeziehungen“ (Cyba 2004: 17). Daher ist die Geschichte des Abendlandes stark von männlichen Wirksamkeiten und Vorstellungen sowie Rollenverständnissen und Akzessio- nen geprägt. Zugespitzt formuliert kann behauptet werden, dass trotz aller Umbrüche, Revolutionen und Veränderungen in den Gesellschaftsformen und Staaten und trotz der Errungenschaft der Demokratie, das Patriarchat, in differenten Ausprägungen, eine konstante Gesellschaftsstruktur in der Historie der Menschheit darstellt. Heidrun Bründel und Klaus Hurrelmann (1999: 64) vereinfachen diesen, die Geschichte durchziehenden roten Faden, da ihrer Meinung nach Machtausübung und Herrschaft als Bestandteil des Mannes zu definieren sind und Männer schlicht machtorientiert handeln. So wird das Patriarchat auch heute noch als eine starre Masse bzw. Institution von Maskulinität, Männerherrschaft und Männergewalt angesehen. Eine interdependente Androkratie, der alle Männer angehören, welche unentwegt Frauen unterdrückt und unhinterfragbar an der Spitze der Hierarchiepyramide steht. Connell (1999) hingegen sieht eine Entstrukturierung der Machtverhältnisse des Patriarchats im Laufe der ökonomischen wie soziokulturellen Veränderungen der Moderne hin zu einer „flexiblen Dominanzstruktur (Hegemonie)“ auf drei verschiedenen Ebenen: in den politischen Machtstrukturen, in der Hierarchie der Arbeitsverhältnisse und in den emotionalen Beziehungsverhältnissen (Böhnisch 2012: 26). Die historische Umwandlung in Verbindung mit der ökonomischen Weiterentwicklung der Modernisierung der kapitalistischen Gesellschaft beeinträchtigte ebenso die Entwicklung der Geschlechterverhältnisse und sorgte für eine (zumindestens wissenschaftliche) Neuordnung bzw. Neuorganisation der Männlichkeit. Das starre, feste System patriarchaler Gewalt verschiebt sich in Richtung einer agilen und mittelbaren dominanzstrebenden hegemonialen Männlichkeit.
Des Weiteren wird deshalb das Konzept der hegemonialen Männlichkeit vorgestellt, um eine allseitige Anschauung der Pluralität von Männlichkeit in ihren soziokulturellen Rollenbeziehungen sichtbar zu machen.
3.3.2 Das Konzept der hegemonialen Männlichkeit
Die gesamte soziale Praxis ist durch das soziale Geschlecht strukturiert und beeinflusst sich gegenseitig bzw. agitiert in einer interdependenten Art und Weise Gesellschaftsstrukturen, demzufolge differente Verknüpfungen mit anderen sozialen Strukturen stattfinden. Um das Geschlechterverhältnis zwischen Männern untereinander zu analysieren und das Wechselspiel des sozialen Geschlechts der Männlichkeit besser beschreiben bzw. eventuelle Regeln und Normen ableiten und daraus Verhaltensweisen abstrahieren zu können, hat Raewyn Connell (1999) das Konzept der hegemonialen Männlichkeit entwickelt. Dieses Paradigma untersucht Beziehungen zwischen Männern und hat dabei vier Männlichkeitstypen herausgearbeitet bzw. zeigt vier Handlungspraktiken von Männern auf, welche in unterschiedlicher Relation zueinander stehen. Diese Männlichkeitstypen sind: Hegemoniale Männlichkeit; Untergeordnete Männlichkeit; Komplizenschaft der Männlichkeit und Marginalisierung von Männlichkeit. Im Folgenden wird jede Handlungspraktik der vier Männlichkeitstypen beschrieben und ihr Verhältnis zueinander erläutert.
Hegemoniale Männlichkeit:
Hegemoniale Männlichkeit ist „jene Form von Männlichkeit, die in einer gegebenen Struktur die bestimmende Position einnimmt, eine Position allerdings, die jederzeit in Frage gestellt werden kann“ und dennoch eine klare Vorherrschaft und Überlegenheit gegenüber anderen Geschlechtsstrukturen einnimmt. (Connell 1999: 97). Aus dieser Struktur erhält Maskulinität ihre ausschlaggebende soziokulturelle Determiniertheit. Eine strukturierte Ungleichheitsrelation besteht einerseits im Modus von Überlegenheit und Dominanz gegenüber dem Weiblichen und andererseits gegenüber dem Männlichen selbst. Dies wird im Verhältnis zu den anderen drei Männlichkeitsformen deutlich. Connell begreift allerdings hegemoniale Männlichkeit nicht als feste Charaktereigenschaft eines männlichen Individuums, sondern als kulturelles Orientierungsmuster. „Hegemoniale Männlichkeit kann man als jene Konfiguration geschlechtsbezogener Praxis definieren, welche die momentan akzeptierte Antwort auf das Legitimitätsproblem des Patriarchats verkörpert und die Dominanz der Männer sowie die Unterordnung der Frauen gewährleistet (ebd.: 98). Weiter beschreibt die Autorin, dass diese Macht, diese Hegemonie nur entsteht, wenn zwischen dem „kulturellen Ideal und der institutionellen Macht“ ein Konnex existiert. Allerdings machen Connell (ebd.) und ebenso Meuser (2000: 59f) darauf aufmerksam, dass das Hegemonieprinzip eine bewegliche Relation ist und der Gedanke einer strategisch organisierten Männerherrschaft bzw. einer „omnipotenten Männlichkeit“ (ebd.: 59) der Komplexität dieser Geschlechterstrukturen und -relationen nicht gerecht werde.
Festzuhalten ist allerdings, dass „hegemoniale Männlichkeit als generatives Prinzip der Konstruktion von Männlichkeit“ zu begreifen ist und sich in Sphären von Macht und Herrschaft sowie Dominanz und Unterordnung bewegt (Meuser 2009: 161). Einfach formuliert bezweckt die hegemoniale Männlichkeit die Machtausübung über Männer und die Unterdrückung der Frauen bei gleichzeitiger Perpetuierung der bestehenden Männlichkeitsstrukturen, da diese die hegemoniale Männlichkeit stützen und fördern.
Untergeordnete Männlichkeit:
Nach Connell bezieht sich die hegemoniale Männlichkeit auf den gesamten kulturellen Rahmen einer Gesellschaft. In dieser Kohärenz gibt es aber auch spezifische Geschlechter- relationen von Dominanz und Unterordnung zwischen Männern bzw. arbeitet Connell als zweiten Männlichkeitstypus die Männlichkeit der Unterordnung heraus (Connell 1999: 99).
Dabei zeigt Connell als Beispiel die Diskriminierung bzw. die Entmännlichung von homosexuellen Männern13 auf. Diese werden zum einen im Alltag und zum zweiten auf einer strukturellen Ebene diskriminiert14. Wenn Dominanzstrukturen der hegemonialen Männlichkeit es nicht zulassen, dass Männer Schwäche bzw. negierendes, stereotypisches männliches Verhalten zeigen dürfen und/oder können, kann das als Untergeordnete Männlichkeit definiert werden. Als untergeordnet gelten also jene Männer, die die hegemonialen Normen nicht oder nur teilweise erfüllen. Jürgen Budde (2009: 222) beschreibt diese Männlichkeitsbeziehung folgendermaßen: „Untergeordnete Männlichkeit ist die Zielscheibe des Doppelmechanismus von Exklusion und Inklusion. Zur hegemonialen pflegen untergeordnete Männlichkeiten in aller Regel ein freundschaftliches - und einseitiges - Verhältnis. Der Statusunterschied ist so offensichtlich, dass Konkurrenz zwecklos ist“. In der Männerhierarchie stehen die „untergeordneten“ Männer klar unter den hegemonialen Männern und biedern sich doch stets an, um in den elitären Zirkel der Hegemonialen Männlichkeit aufzusteigen, obschon diese, durch diskriminierendes Verhalten und Denkschemata, untergeordnete Männer nicht als „richtige“ Männer bezeichnet.
Komplizenschaft von Männlichkeit:
Connell (1999: 101) benutzt den Begriff der Komplizenschaft, um damit auszudrücken, dass wenige Männer dem absoluten Hegemonialanspruch bzw. der herrschenden normativen Definition des hegemonialen Männlichkeitsbildes entsprechen bzw. als Hegemon leben, allerdings fast alle Männer von der sogenannten „patriachalen Dividende“ profitieren und demzufolge einen Vorteil aus den hegemonialen Männlichkeitsstrukturen generieren. Das Konzept der hegemonialen Männlichkeit in Verbindung mit dem Männlichkeitstypus der komplizenhaften Männlichkeit bezieht sich also darauf, dass männliche Machtgruppen von anderen Männern bewusst und unbewusst, gewollt und ungewollt unterstützt werden und somit die hegemonialen Funktionen behauptet und reproduziert werden können. Böh- nisch (2012: 26) definiert „patriarchale Dividende“ als ein „kulturell wie tiefenpsychisch wirksame[s] Bindungsverhältnis unter Männern“, welches fast jeden Mann sozusagen zum „Komplizen“ des männlichen Hegemonialanspruchs macht. Weiter schreibt der Soziologe: „Mit diesem Begriff ist die allen Männern gleichsam kulturgenetisch eingeschriebene, in der Entwicklungsdynamik des Kindes- und Jugendalters immer wieder aktivierte und eingeübte Haltung gemeint, dass der Mann „im Grunde“ doch der Frau überlegen sei“15 (ebd.).
[...]
1 Brezinka (1977: 103ff) bemerkt, dass der Begriff Erziehungsziel polysemantische Verwendung findet, da auch von Bildungsidealen, Bildungszielen, Erziehungsidealen oder Entwicklungsaufgaben gesprochen werden kann.
2 Handlungskompetenzen setzen sich aus Persönlichkeitskompetenzen, Sozialkompetenzen, Methodenkompetenzen und Fachkompetenzen zusammen und sollen gut ausgebildet zu einem verbesserten, handlungsorientierten Unterricht wie Wertevermittlung und Entscheidungsfindungen führen bzw. im Großen und Ganzen mehr Effizienz im Handeln bewirken (vgl. Bach/ Timm 2013).
3 Selbstredend kann hier nicht die gesamte Geschichte der Frauenbewegung und -forschung erläutert werden, da dies den Rahmen der Arbeit sprengen würde. Für weitere Informationen siehe: Becker/ Kortendiek 2004, Becker-Schmid/ Knapp 2007, Gerhard 2012, Mahs/ Rendtorff/ Wecker 2011.
4 Kursiv im Original.
5 „Alle Spielarten des Konstruktivismus sind in Frauen- und Geschlechterforschung vertreten“ (Meuser 2000: 50). Hier wird allerdings speziell der Sozialkonstruktivismus aufgezeigt. Dies hat den Grund, dass in der später folgenden Analyse Geschlecht durch schulische Interaktion interpretiert wird und daher eine sozialkonstruktivistische Perspektive sinnvoll erscheint. Für weitere Informationen zum Konstruktivismus und seinen Unterarten siehe: Pörksen 2015; Schmidt 2017.
6 Gender Mainstreaming wird vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2018) als Strategie zur Förderung der Gleichstellung der Geschlechter und Stärkung der unterschiedlichen Interessen und Lebenslagen von Frauen und Männern dargestellt.
7 Auch wenn Lothar Böhnisch's Werk „Männliche Sozialisation“ (Böhnisch 2004), jenen Begriff im Titel trägt, soll hier angemerkt werden, dass es eine „rein“ männliche Sozialisation nicht gibt. Sozialisation ist ein Prozess und Zusammenspiel von interdependenten Dispositionen. Emil Durkheim (1972) spricht von einer Vergesellschaftung des Menschen, logischerweise beinhaltet dies nicht nur Interaktionen und Erfahrungsaustausche mit Männern und maskulinen Standpunkten und Blickrichtungen, sondern ebenfalls mit Massenmedien (Mediensozialisation) und selbstredend auch mit weiblichen Perspektiven und Positionen, d. h. alle Einflussfaktoren einer soziokulturellen Gesellschaft spielen in der Sozialisation eine Rolle.
8 „Geschlechtsstereotypen sind allgemeine Annahmen über Eigenschaften von Männern und Frauen. Sie kennzeichnen das in einer Kultur und einer Region für typisch männlich und typisch weiblich gehaltene Verhalten. Geschlechtsstereotype legen öffentliche Erwartungen fest, indem sie >>richtige<< Eigenschaften von Männern und Frauen durch Vereinheitlichung definieren, Werthaltungen und Rangpositionen rechtfertigen und aufrechterhalten“ (Bründel/ Hurrelmann 1999: 14).
9 „Die Bedeutung der Medien im Alltag von Kindern und Jugendlichen ist heute so evident, dass wir von einer Medienkindheit bzw. -jugend sprechen. Anders gesagt: Die Medien sind - wie auch die Gleichaltrigengruppen - zu einer wichtigen Sozialisationsinstanz geworden“ (Fritz/ Sting/ Vollbrecht 2003: 7). Der Sammelband „Geiles Leben, falscher Glamour: Beschreibungen, Analysen, Kritiken zu Germany's Next Topmodel“, beschäftigt sich bspw. mit den Auswirkungen und Verhältnissen von jungen Mädchen und der Fernsehshow „Germany' s Next Topmodel“ und zeigt eine Verzahnung von angeblichen Anforderungen und Vorstellungen der medialen Geschlechterstereotypen und der Wunschvorstellungen junger Mädchen (vgl. Friese/ Prokop/ Stach 2009).
10 Zu dem Verhältnis von Männlichkeit und Erwerbsarbeit bzw. der Versorgerrolle von (jungen) Männern siehe: Heinrich Böll Stiftung 2004; Lengersdorf/ Meuser 2010.
11 Als Beispiel hierfür kann genannt werden, dass ein junger Mann in der Kabine seiner Fußballmannschaft abfällig über Frauen spricht und am Abend zu Hause seiner Frau die Tür aufhält und für sie kocht. Das Verhalten ist ambivalent und dennoch logisch. In der Heterosozialität mit seiner Frau ist dem „neuen Mann“ durchaus bewusst, dass abfällige Bemerkungen oder Handlungen hinsichtlich ihres Geschlechts fehl am Platz wären und höchstwahrscheinlich Sanktionen ihm gegenüber (Verlust von Anerkennung, Liebe, Unterstützung etc.) mit sich bringen würden. In der Männerwelt der Fußballmannschaft hingegen symbolisiert diese Abwertung des Weiblichen männliche Stärke und wird durch Respekt und Anerkennung belohnt. Ein Frauen abwertendes Verhalten wird fast schon erwartet, um sich als „echter Mann“ zu qualifizieren und sich zu empfehlen, um auf der männlichen Hierarchieleiter nach oben zu klettern oder jedenfalls nicht herabgesetzt zu werden.
12 Zum Thema Frauen und Feminismus in der Kirche bzw. Bibel siehe: (Egger/ Meier/ Wißmiller 2006) und zur Fragen der Weiblichkeit im Mittelalter siehe: Dück/ Gieseler/ Luger/ Massard 2013.
13 „Alles, was die patriarchale Ideologie aus der hegemonialen Männlichkeit ausschließt, wird dem Schwulsein zugeordnet; das reicht von einem anspruchsvollen innenarchitektonischen Geschmack bis zu lustvoll-passiver analer Sexualität. Deshalb wird aus Sicht der hegemonialen Männlichkeit Schwulsein leicht mit Weiblichkeit gleichgesetzt“ (Connell 1999: 99). Im Hinblick auf die schon dargestellte männliche Sozialisation ist die Abgrenzung zur Weiblichkeit ein fundamentaler Bestandspunkt der tradierten Männlichkeitsbeschreibung. Wer also als weiblich markiert oder „symbolisch verweiblicht“ wird ist automatisch nicht männlich und somit der hegemonialen Männlichkeit untergeordnet (Budde 2006b: 115).
14 Zum Thema „Diskriminierung von Lesben, Schwulen und Bisexuellen“ auf struktureller und Alltagsebene siehe: Melanie Caroline Steffens/ Christof Wagner 2009.
15 Siehe dazu Kapitel 3.3
- Citar trabajo
- Cristian Claus (Autor), 2018, Männlichkeit(en) - zwischen Vorstellungen und Konstruktionen, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/512012
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