Die vorliegende Facharbeit thematisiert den Umgang der Gesellschaft der römischen Kaiserzeit, am Beispiel Senecas, mit Selbstmord im Vergleich zu heute.
Dazu betrachtet die Autorin sowohl die Epoche der römischen Kaiserzeit als auch das 21. Jahrhundert in Deutschland und vergleiche die gesellschaftliche und rechtliche Beurteilung des Suizids in beiden Zeitaltern. Um die Haltung der römischen Gesellschaft beurteilen zu können, nutzt Sie ausgewählte Werke des römischen Philosophen und Stoikers Lucius Annaeus Seneca als Basis.
Der erste Teil der Facharbeit behandelt das antike Kaiserreich. Meine Quelle für die Darstellung von Senecas Suizid ist die deutsche Übersetzung von Tacitus "Annalen 15, 60-65". Es folgt Senecas Meinung zum Suizid, welche auf eigenen Übersetzungen seiner "Epistulae Morales" und besonders dem Brief 70 gestützt ist. Sie sind das Hauptwerk der Unterrichtsreihe und Brief 70 ist die einzige Quelle, die sich direkt auf den Suizid bezieht. Danach beschreibt Sie die rechtliche Lage während der Zeit der römischen Klassik. Der zweite Teil thematisiert die moderne deutsche Gesellschaft. Hier erläutert die Autorin zunächst die rechtliche Lage in Deutschland, um den Kontrast zum vorherigen Punkt zu untermalen. Danach stellt Sie dann die gesellschaftliche Haltung zum Thema dar, basierend auf aktuellen Studien und Zeitungsartikel.
In den Schlussfolgerungen vergleicht Sie idann beide Epochen und erläutert Ihre eigene Meinung.
Inhaltsverzeichnis
1. EINLEITUNG
2. ANTIKES KAISERREICH
2.1 Wer war Seneca?
2.2 Senecas Selbstmord (nach Tacitus, Annates, 15)
2.3 Seneca uber den Selbstmord (nachdenEpistulaeMorales)
2.4 Die gesetzlichen Regelungen zum Suizid
3. DEUTSCHLAND DES 21. JAHRHUNDERTS
3.1 Die gesetzlichen Regelungen zum Suizid
3.2 Die Gesellschaft zum Selbstmord
4. SCHLUSSFOLGERUNGEN
4.1 Der Vergleich
ARBEITSTAGEBUCH
LITERATUR- UND QUELLENVERZEICHNIS
ANHANG
1. Einleitung
Die vorliegende Facharbeit thematisiert den Umgang der Gesellschaft der romischen Kai- serzeit, am Beispiel Senecas, mit Selbstmord im Vergleich zu heute. Dazu betrachte ich so- wohl die Epoche der romischen Kaiserzeit als auch das 21. Jahrhundert in Deutschland und vergleiche die gesellschaftliche und rechtliche Beurteilung des Suizids in beiden Zeitaltern. Um die Haltung der romischen Gesellschaft beurteilen zu konnen, nutze ich ausgewahlte Werke des romischen Philosophen und Stoikers Lucius Annaeus Seneca als Basis. Dieser hat sich nicht nur auf vielfaltigste Weise mit der Frage nach dem Wesen des Suizids ausei- nandergesetzt, sondern wurde letztlich auch in diesen getrieben. Zusatzlich stellt er aufgrund seines damaligen hohen politischen und sozialen Einflusses einen guten gesellschaftlichen Reprasentanten dar. Diese Person als Beispiel zu nehmen war zwar vorgeschrieben, da er zurzeit Gegenstand des Lateinunterrichts ist, doch fur mein Thema interessiere ich mich auch personlich. Im Zusammenhang der Unterrichtsreihe behandelten wir namlich bereits sowohl Senecas Tod als auch Auszuge seiner Werke, in welchen er seine Einstellung zum Tod ver- anschaulicht. Es ist sehr interessant zu sehen, welch tiefgrundige Gedanken ein Mensch bereits zur damaligen Zeit hatte, die sich problemlos in die heutige Zeit ubertragen lassen. Da ich mich auch personlich fur moderne Psychologie und Philosophie interessiere, lag es nahe, dass ich einen Vergleich zur heutigen Situation rund um den Suizid ziehen wurde. Dadurch kann ich unter anderem auch meine eigenen Gedanken mit einbeziehen. AuBerdem handelt es sich beim Suizid um ein tabuisiertes Thema in unserer Gesellschaft und ich frage mich, ob diese Einstellung damals auch schon existierte.
Der erste Teil der Facharbeit behandelt das antike Kaiserreich. Meine Quelle fur die Dar- stellung von Senecas Suizid ist die deutsche Ubersetzung von Tacitus „Annalen 15, 60-65“, welche ich in der„Latein Kreativ“- Lekture fand und welche die detail-lierteste Nacherzahlung ist, die existiert. Es folgt Senecas Meinung zum Suizid, welche auf eigenen Ubersetzungen seiner „Epistulae Morales“ und besonders dem Brief 70 gestutzt ist. Sie sind das Hauptwerk unserer Unterrichtsreihe und Brief 70 ist die einzige Quelle, die sich direkt auf den Suizid bezieht. Danach beschreibe ich die rechtliche Lage wahrend der Zeit der romischen Klassik. Der zweite Teil thematisiert die moderne deutsche Gesellschaft. Hier erlautere ich zunachst die rechtliche Lage in Deutschland, um den Kontrast zum vorherigen Punkt zu untermalen. Danach stelle ich dann die gesellschaftliche Haltung zum Thema dar, basierend auf aktuellen Studien und Zeitungsartikel. In den Schlussfolgerungen vergleiche ich dann beide Epochen und erlautere meine eigene Meinung.
2. Antikes Kaiserreich
2.1 Wer war Seneca?
Der Philosoph Lucius Annaeus Seneca wurde 1 oder 4 v. Chr. in Corduba geboren, der Hauptstadt der romischen Provinz Hispania ulterior.1 Da sein Vater hohen politischen Er- folg fur ihn vorsah, wurde Seneca bereits als Kleinkind nach Rom geschickt. Wahrend seiner schulischen Ausbildung kam er fruh in Kontakt mit dem griechischen Philosophen Attalos und besonders dem Alexandriner Sotion, durch welchen er auch den ersten Einblick in die griechisch-romische Lehre der Philosophenschule der „Stoa“ erhielt. Trotz seines Interesses fur die Philosophie trat er 34 n. Chr. erfolgreich in die Amterlaufbahn ein, litt jedoch immer starker unter lebensbedrohlichem Asthma, wie auch unter Bedrohungen politischer Macht- haber, welche sich aufgrund Senecas rhetorischer Talente in Konkurrenz zu ihm gesehen haben. So kam es auch dazu, dass er 41 n. Chr. vom Kaiser Claudius nach Korsika verbannt wurde, bis die Agrippina, Mutter des Neros und neue Kaiserin, 49 n. Chr. dessen Aufhebung bewirkte und Seneca zu Neros Erzieher und politischen Ratgeber berief. 53 n. Chr. wurde der noch jugendliche Nero Kaiser und Seneca fuhrte mit dem Sextus Africanus Burrus die nachsten 4 Jahre stellvertretend die Amtsgeschafte. 59 n. Chr. lieBNero jedoch seine Mutter ermorden. Es hauften sich allmahlich auch Meinungsverschiedenheiten zwischen ihm und Seneca, bis letztlich Burrus ermordet wurde und sich Seneca vollends aus der Politik zu- ruckzog. Seneca fand nun mehr Zeit fur die Philosophie, sodass in den letzten drei Jahren vor seinem Tod die „Epistulae Morales“, seine beruhmtesten Schriften, entstanden.2
2.2 Senecas Selbstmord (nach Tacitus, Annales, 15)
Der romische Historiker Tacitus wurde vermutlich als Publius Cornelius Tacitus im Jahr 58 n. Chr. geboren. Rund um das Jahr 100 begann er seine Werke „Annalen“ und „Historien“ zu verfassen, in welchen er aus der Sicht eines Senators romische Kaiser kritisierte und be- wertete.3
Im Buch 15 der „Annalen“ beschreibt er detailliert den Ablauf von Senecas Tod. 65 n. Chr. bildete sich namlich im Senat die „Pisonische Verschworung“ mit dem Ziel der Ermordung Neros und der Machtubernahme des Gaius Calpurnius Piso. Jedoch wurde sie an Nero verraten, welcher daraufhin Seneca der Mitverschworung beschuldigte. Seneca war wohl nicht direkt beteiligt, sodass Nero vermutlich die Chance nutzte, um den ihm lastig gewordenen Philosophen loszuwerden.4
Der Erzahlung Tacitus zufolge sollte Nero wohl zuvor schon einmal vergeblich versucht haben, Seneca mit Gift zu ermorden.5 Um diesen nun aber anklagen zu konnen, wurde der Pratorianer-Offizier und noch nicht uberfuhrte Mitverschworer6 Gavius Silvanus zunachst vom Kaiser geschickt, Seneca zu verhoren. Silvanus legte Seneca die einzig vorhandene Zeugenaussage vor, in welcher der Natalis gegen ihn aussagte7. Jedoch leugnete dieser die Vorwurfe der Mitverschworung.8 Der kaiserliche Rat, welcher aus der Poppaea, der Gelieb- ten des Kaisers, dem Tigellinus, dem Nachfolger des ermordeten Burrus und dem Kaiser personlich bestand, schickte den Silvanus erneut los, Seneca seine Hinrichtung zu verkun- den.9 Dieser hatte namlich berichtet, dass Seneca keinerlei Anzeichen von Angst oder Trau- rigkeit bei seiner Vernehmung gezeigt hatte und daraus folgernd keinen Suizid planen wurde.10 Silvanus, welcher von Senecas Unschuld wusste, war nun von Schuldgefuhlen ge- plagt, sodass er mit einem zweiten Mitverschworer, dem Faenius, sein weiteres Vorgehen besprach.11 Beide brachten allerdings nicht den Mut auf, sich zu stellen, um mit ihrer Aus- sage Seneca zu retten12 und so schickte Silvanus stattdessen einen seiner Centurionen zu Seneca.13 Doch auch jetzt wies Seneca keinerlei Anzeichen von Anspannung auf, forderte stattdessen seelenruhig sein Testament14 und wirkte, als habe er alles bereits kommen gese- hen, was er spater auch mit der Beurteilung von Neros Handlungsweise als skrupellos be- statigte.15 Selbst als der Centurio seinen Wunsch um ein Testament nicht gestattete, bewahrte Seneca eine innere Ruhe und wand sich mit den letzten Worten seinen Freunden zu.16 Er machte deutlich, dass er nicht von ihnen beweint werden mochte17 und bezeichnete seinen suizidalen Tod als „edles Sterben“18. Daran ist deutlich zu erkennen, dass nach Senecas Auf- fassung der Suizid eine edle Weise des Ablebens darstellen kann. Der einzige Moment der emotionalen Regung des Senecas folgte, als er sich von seiner Gattin verabschiedete19, wel- che sich aber dazu entschloss, ihn in den Tod zu begleiten. Jedoch versuchte Seneca nicht einmal, sie umzustimmen, sondern betitelte diese Entscheidung viel mehr als „Heldenmut“20 und den Suizid als „schone Tat“21. Dies unterstreicht erneut Senecas positive Haltung zum Suizid. Im darauf Folgendem beschreibt Tacitus Senecas Aussage, dass der Tod seiner Gattin schlieBlich noch mutiger und ehrenvoller sei als seiner, da sie aus vollends freier Entscheidung sterben wurde22 Es folgte der Suizid, bei welchem sich beide zeitgleich die Puls- adern durchtrennen lieBen.23 Der unter starken Schmerzen leidende Seneca bat sogar, dass seine Frau das Zimmer verlassen moge, damit sie sich nicht von seinem Anblick entmutigen lieBe.24 Unter Qualen diktierte Seneca zeitgleich noch einige Texte25 und bat einen Freund, einen bereits vorbereiteten Gifttrank zu bringen26, da sein von der stoischen Lebensweise und dem hohen Alter geschwachte Korper27 zu langsam an Blut verlor28. Da jedoch auch dieser keinen Erfolg zeigte29, wurde Seneca von Neros Soldaten in ein Dampfbad getragen, wo er letztlich erstickte30.Wie er es lange Zeit zuvor bereits schriftlich festgehalten hatte, wurde Seneca daraufhin ohne eine Trauerfeier verbrannt.31
So lasst sich aus diesem Bericht des Tacitus viel uber Senecas Umgangsweise mit dem Tod schlieBen. Er hat schon fruh Vorsorge fur seinen Tod getroffen, indem er spezielle Wunsche, wie z.B. der Auslassung einer Trauerfeier, schriftlich festhielt. Seneca war folglich taglich dazu bereit, sterben zu konnen. Auffallig sind zudem die Parallelen zu dem Tod des griechi- schen Philosophen Sokrates. So scheint es in Tacitus Erzahlung, als wenn Seneca diesen imitiert hatte, wenn er Gesprache mit seinen Freunden kurz vor seinem Tod fuhrte, sich ruhig und lange auf sein Ende vorbereitete und einen Gifttrank zu sich nahm, den auch die zu Tode Verurteilten in Griechenland trinken mussten32.
2.3 Seneca uber den Selbstmord (nach den Epistulae Morales)
Die lateinische Sprache umfasst ethisch neutrale Umschreibungen des Suizids (z.B. das durchbohren mit dem Schwert - gladio transfigere)33, anstatt direkte Bezeichnungen, was auf eine neutrale Einstellung zum Thema in der antiken romischen Gesellschaft schlieBen lasst. Seneca vertritt dagegen eine deutlich erkennbare positive Haltung zum Suizid der Stoa.34 Zwar gelte das Interesse des Philosophen mehr der Furcht vor dem Tod als dem Su- izid an sich, so die Althistorikerin M. Griffin35, doch lieBen sich seine Schriften uber den Tod gleichermaBen auf den Selbstmord beziehen.
Betrachtet man nun Senecas Werk der „Epistulae Morales“, so spricht er uber die damalige Gesellschaft aus, dass sich in ihr viele Gegner des Suizids aus allen Altersstufen befunden hatten.36 Der Stoiker ist der Meinung, dass es jederzeit Menschen geben wurde, welche die suizidale Handlung verurteilen mogen37, doch der eventuelle Suizidant solle sich nicht da- rum sorgen. Die Tat sei eine personliche Entscheidung und alleinige Angelegenheit des Su- izidanten38, denn der beste Tod sei der, der ihm selbst gefalle.39
Das Leben und der Tod sind fur Seneca weder moralisch gut noch schlecht, sondern indifferent („indifferentia“40 ), und der Suizid somit nicht grundsatzlich schlecht. Seneca ist aber von der Moglichkeit begeistert, dass der Mensch durch den Suizid zwischen verschiedenen Arten des Ablebens wahlen kann und sieht darin eine von der Natur gegebene Freiheit.41 So berichtet der Stoiker auch von Philosophen, welche den Suizid als Sunde verurteilet hat- ten42 und, seiner Meinung nach, dadurch diese menschliche Freiheit behindern wurden.43 Sein Grundsatz sei namlich, dass das Leben eine Sklaverei der Natur sei, an welche wir gefesselt sind.44 Der Suizid sei dabei die einzig mogliche Freiheitserklarung45 aus diesem, wie Seneca im Weiteren veranschaulicht, offenem Gefangnis der Natur, in welchem uns das Leben nicht gefangen hielte.46 Dies sei auch der einzige positive Aspekt am Leben47, woran Senecas negative Einstellung zum diesem deutlich wird. Er schlussfolgert, dass der Suizid jederzeit moglich sei, solange der Wille und Mut zur Tat vorhanden seien.48
Grunde um uns im Leben zu halten seien schlieBlich meistens genauso unwichtig, wie die Grunde, die gegen das Leben sprechen49, sodass im Endeffekt auch nichts dagegenspreche, sich vom Dasein zu befreien. Anstatt krampfhaft am Leben zu bleiben, sei es namlich viel wichtiger ein gutes Leben zu fuhren.50 So ware es sinnvoll Suizid zu begehen, wenn man seine Ziele erreicht hat und ein sittlich einwandfreies Leben fuhrt: denn wenn man aufhort, wenn das Leben gerade gut ist, so ist das Leben durch den Tod vollkommen.51 Der Mensch sollte zudem vorrausschauend leben und sich lieber fruher umbringen, bevor er ein unmenschliches Leben fernab von sittlichen Normen (z.B. in Gier und MaBlosigkeit) lebt oder aufgrund seines hohen Alters korperlich nicht mehr in der Lage ist Suizid zu begehen, obwohl er es gerne wurde.52 So sieht Seneca hier den Suizid als Befreiung von allem Ubel.53 Als Problem sieht der Philosoph jedoch die Angst vor der Tat an, welche das einzig Grau- same am Selbstmord sei.54 Wie er auch in seinem gesamten Werk versucht dem Menschen die Angst vor dem Tod zu nehmen, so zieht er Sokrates nun als exemplum fur einen ehren- vollen Tod ohne Furcht herbei, um seinem Adressaten, Lucilius, diese Angst moglichst zu nehmen. Sokrates, welcher mehrfach in den „Epistulae Morales“ erwahnt wird und vermut- lich ein personliches Vorbild Senecas ist, habe namlich bis kurz vor seiner Hinrichtung versucht den Menschen mit seinen Worten die Angst vor dem Tod zu nehmen55 und sei furchtlos im VerlieB geblieben, obwohl ihm Anhanger angeboten hatten zu fliehen.56 So skizziert Seneca im Allgemeinen seine Vorstellung von einem weisen Menschen. Dieser sei aufgrund taglichen Nachdenkens in der Lage sein Leben ohne Furcht zu beenden.57 Zu- satzlich sei es ihm gleichgultig, ob er den Tod selbst herbeifuhrt oder ihn sein Ende ereilt58, ob er fruh stirbt oder erst spat.59 Der weise Mensch lebe namlich nicht solange, wie er kann, sondern allein solange, wie sein Leben gut und sittlich ist.60 Er wisse, dass das Leben so- wieso mit jedem Tag stuckchenweise verloren gehe61, sodass es kein groBer Verlust sei zu sterben.62 Dieser Mensch nutze den Suizid als ein Heilmittel in unertraglichen Lebenslagen63 und siehe somit den Tod als Wohltat an.64 Doch mit das Wichtigste sei, dass der weise Mensch beim Suizid aus voller Uberzeugung handeln moge, wodurch sein Tod ehrenvoll und sittlich vollkommen sei.65
Abseits von diesem Bild nennt Seneca aber auch noch verschiedenste Grunde, welche den Suizid legitimieren wurden. Zum einen die korperliche Krankheit und das damit verbundene Leiden66, aber auch die Altersschwache67 oder allein schon, dass man keinen Gefallen mehr am Leben hat.68 Widerspruchlich ist jedoch, dass fur Seneca auch eine bevorstehende Hinrichtung ein legitimer Suizidgrund sein konne, obwohl er beim exemplum des Sokrates noch bewundert, dass er sich der Hinrichtung furchtlos gestellt habe und dies auch als Kriterium fur ein weises Handeln ansieht. Jedoch kann man hierbei wieder mit Senecas Aussagen argumentieren, dass sobald der Suizid der Angenehmere der beiden Tode ist, dieser zu wah- len sei69, da der Suizid dann die Form der Wohltat annehme (siehe: Fufinote 64).
Zusatzlich nennt Seneca auch noch den Einwand, dass geliebte Menschen ein gewichtiger Gegengrund fur einen legitimen Suizid sein konnten. So berichtet Seneca Lucilius im Brief 78, wie ihn seine Asthma-Erkrankung zu wiederholten Suizidversuchen drangt, er aber auf- grund des hohen Alters seines Vaters dies unterlasst. So konne auch die Entscheidung fur andere Menschen am Leben zu bleiben, obwohl es legitime oder dringliche Grunde fur einen Suizid gebe, eine Form des entschlossenen Handelns und somit weise und ehrenhaft sein.70 Die wirklich einzige Weise unehrenhaft und unsittlich Suizid zu begehen, sei sich aus Angst vor dem Tod umzubringen. Dieser Mensch handle aus Dummheit und Unvernunft71 und so fuhrt Seneca in diesem Zusammenhang erneut das exemplum des Sokrates an72, um einen Kontrast zu einem, seiner Meinung nach, sehr guten Suizid herzustellen.
2.4 Die gesetzlichen Regelungen zum Suizid
Die Problematik, die sich bei der Recherche um die rechtliche Beurteilung des Suizids im antiken Rom ergab war, dass sie selbst fast nie „primarer Regelungsgegenstand des Rechts“73 gewesen ist und auch keine einheitliche Bezeichnung besitzt. Stattdessen ist sie in den Gesetzesschriften meistens mit „mortem sibi consciscere“ (sich den Tod zufugen) um- schrieben worden.74 Zusatzlich sind in den uberlieferten Gesetzesschriften, wie z.B. im 12- Tafel-Gesetz, keine Bestrafungen des Suizids vorgesehen.75 So ist der Suizid bis Ende des 1. Jahrhunderts v. Chr. von rechtlicher Seite aus nicht anerkannt, aber toleriert worden und noch bis ins 2. Jahrhundert n. Chr. existierten im romischen Recht keine direkten MaBnah- men dagegen.76 Vielmehr ist der Suizid sogar in Zeiten der Not vom Staat begruBt worden. Dagegen wurde der Selbstmord aber als Verbrechen an der Gesellschafft angesehen, wenn dieser z.B. in Zeiten des Krieges den Staat schwachte.77
Wahrend der romischen Klassik (100-235 n. Chr.) lassen sich 3 Bereiche finden, in welchen der Suizid eine rechtliche Wirkung zeigte. Die erste gesetzliche Regelung betraf angeklagte Verbrecher, welche mit ihrem Suizid versuchten, die Beschlagnahmung ihres Vermogens vom Staat (Vermogenskonfiskation) zu umgehen.78 Diese Vermogenskonfiskation folgte namlich auf eine Verurteilung zum Tode oder zur lebenslangen Verbannung und so war der Suizid damals eine gangige Taktik, die postumen Folgen fur die Familie einzuschranken.79 Jedoch verlor diese Taktik ziemlich schnell seine Wirkung, da eine postume Vermogenskonfiskation eingefuhrt wurde. Sie sei aber keine Bestrafung fur den Selbstmord an sich, sondern sei als postume Bestrafung fur den Verbrecher anzusehen, welcher aus Angst vor der Strafe (metus poenae) mit dem Suizid versucht hatte, der Verurteilung zu entkommen, und damit automatisch seine Schuld eingestanden hatte.80
Eine erste Unterscheidung zwischen legitimen und illegitimen Grunden fur Suizid, welche jedoch allein Angeklagte betrafen, erfolgte in der Regierungszeit Hadrians (117-138 n. Chr.). Hadrian setzte ein Verbot der Trauer fur diejenigen auf, welche sich umgebracht hatten ohne einen der legitimen Grunde (causae iustae), sondern aus einem schlechten Gewissen (mala conscientia).81 Diese causae iustae stammen aus dem romischen Recht (vgl. Cod. Iust. 9, 50, 1) und umfassen die Lebensmudigkeit (taedium vitae), den unertraglichen Schmerz (impati- entia doloris), die Raserei (furor), die Geisteskrankheit (insania mentis) und die druckende Schuld (pudor aeris alieni) als legitimen Grund fur einen Suizid.82
Der von der Forschung einzig gewertete Beleg fur die Strafbarkeit eines Suizidversuchs im antiken Rom, stellt die Bestimmung des Marcianus dar (Regierungszeit: 450 bis 457 n. Chr.), welche eine generelle Anwesenheit von Grunden bei einem Suizid fordert.83 Dagmar Hofmann zufolge, konne jedoch nicht von der Bestrafung eines Suizidversuchs geredet werden, da gar kein StrafmaB festgelegt worden sei.84
Abseits der Gesetze, die Angeklagte betrafen, lassen sich tatsachliche Bestrafungsrichtlinien fur Suizidversuche von Soldaten oder Sklaven finden. So wurde der Suizidversuch eines Soldaten in verschiedene Kategorien der Bestrafung unterteilt, die sich nach dem Suizid- grund richteten. 1st ein Suizidversuch aufgrund von unertraglichen Schmerzen, aufgrund vom Uberdruss des Lebens, aufgrund von einer Krankheit, aus Raserei oder aus Scham85 geschehen, so erfolgte eine unehrenhafte Entlassung. Falls jedoch keiner dieser Grunde vor- handen war, so musste der Soldat mit der Todesstrafe rechnen. Bei einem gegluckten Suizid wurde, wie bei den Angeklagten, eine Vermogenskonfiskation durchgefuhrt, welche jedoch ausblieb, wenn der Selbstmord auf einen der causae iustae basierte.86 Der Suizidversuch eines Sklaven verminderte seinen Wert. Der Besitzer war daraufhin ver- pflichtet, den versuchten Suizid beim nachsten Verkauf zu deklarieren. Jedoch wurde der Sklave nicht fur die Tat bestraft, da es auch einem Sklaven von Natur aus erlaubt sei seinem eigenen Korper zu schaden.87
Aus dieser Auffassung wurde besonders deutlich werden, dass die Selbsttotung weder bei normalen Burgern noch bei Sklaven (vgl. Zitat des Ulpanius, Fufinote 85: etiam) als Fehltritt oder Rechtsverletzung beurteilt wurde.88
3. Deutschland_des_21._Jahrhunderts
3.1 Die gesetzlichen Regelungen zum Suizid
Allgemein wird der Suizid in Deutschland als „Vorsatzliche Selbstbeschadigung“, basierend auf der international Classification of Diseases“ (ICD10), angesehen.89 So folgt, dem „Psy- chisch-Kranken-Gesetz“ nach, auf eine Ankundigung oder Androhung von Suizid die Zwangseinweisung und -behandlung in einer psychiatrischen Klinik, um die vermeintlich psychisch kranke Person vor sich selbst zu schutzen.90
Der rechtliche Umgang mit dem Suizid lasst sich aber zusatzlich noch aus anderen Blick- winkeln der Deutschen Rechts- und Gesetzgebung beleuchten. Der Art. 1 (Unantastbarkeit der Menschenwurde) des Grundgesetzes schutzt die Person davor, „zum Objekt von Men- schenwurdedefmitionen anderer zu werden“.91 Also gewahrleistet dieser Artikel unter ande- rem die personliche Definition eines menschenwurdigen Todes und somit auch die freie Ent- scheidung zum Suizid. Der Art. 2 (Recht auf freie Entfaltung der Personlichkeit) geht sogar so weit, dass er einer Person das Recht gibt, lebensverlangernde oder gesundheitserhaltende MaBnahmen abzulehnen und damit uber ihren Tod zu entscheiden. Hierbei bestehen jedoch Uneinigkeiten darin, inwiefern der Artikel gegen Sittengesetze verstoBt, da religiose und philosophische Bewertungen fur dieses Gesetz nicht maBgebend sein konnten.92 Dem Strafrecht zufolge ist der Suizidversuch generell straffrei, da er das Selbstbestim- mungsrecht ausdruckt. Die Frage nach der Strafbarkeit der Teilnahme einer dritten Person als Helfer oder der eines Zeugen des Suizidversuchs ist aber noch ungeklart. Grundsatzlich besteht Hilfeleistungspflicht, selbst bei vorliegender Patientenverfugung, falls sofortige le- benserhaltende MaBnahmen erforderlich sind. Auf eine darauffolgende Verurteilung, auf- grund unterlassener Hilfeleistung, kann nach dem §323c StGB schlimmstenfalls eine Frei- heitsstrafe von bis zu einem Jahr folgen.93 Falls die dritte Person Arzt oder Angehoriger war, kann sie sogar zu einer Freiheitsstrafe von bis zu 5 Jahren verurteilt werden, aufgrund von Korperverletzung.94
3.2 Die Gesellschaft uber den Selbstmord
In Deutschland sterben jahrlich mehr Menschen durch den Suizid als durch Unfalle, Gewalt und illegale Drogen zusammen.95 Damit liegt der Selbstmord mit 10.000 Toten jahrlich96 auf Platz 8 der haufigsten Todesursachen in der Bundesrepublik Deutschland97. Dies bedeu- tet, dass taglich 27 Menschen98 an der Tat sterben oder genauer gesagt alle 54 Minuten.99 Bei den 15 bis 29-Jahrigen handelt es sich dabei sogar um die zweithaufigste Todesurssa- che.100 Doch laut Wolfgang Stich, Leiter des AKL, einer Beratungsstelle fur Suizidgefahr- dete in Sudbaden, wurden die Suizidraten in Deutschland zuruckgehen.101
„Vielleicht wenden sich heute die Aggressionen weniger gegen die eigene Person, sondern munden verstarkt in psychische Erkrankungen“102, lautet seine These fur diese Entwicklung. Jedoch solle man nicht vergessen, dass trotzdem rund 150.000 Suizidversuche103 jahrlich in Deutschland verubt werden oder besser gesagt alle 5 Minuten.104
Die allgemeine Tat des Suizids beurteilt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) als einen „Akt der bewussten Selbsttotung“.105 Die Ursache fur diese Handlung wird meistens in De- pressionen gesehen106, aber auch weitere psychische Erkrankungen, wie z.B.: manisch-de- pressive Storungen, Schizophrenie oder Angstzustande107, sind oft Ursprung dieser Tat.
Der Psychotherapeut Franz-Josef Hucker sieht dagegen das Problem in der „Stigmatisierung des Suizids als psychische Erkrankung“108, welche den Effekt habe, dass fur viele eine Be- handlung oder Therapie nicht in Frage kame.109 Aber auch langfristige schlechte Lebensum- stande110, traumatische Erlebnisse, Verluste wichtiger Bezugspersonen oder schwere Erkrankungen111, konnen schnell zum Suizid fuhren. In diesem Zusammenhang geht der AKL davon aus, dass Krisen ein naturlicher Bestandteil des Menschen seien, welche jedoch in suizidale Phasen ubergehen und in einen Suizid munden konnten.112 Dieses Phanomen wird als „Bilanz-Selbstmord“ bezeichnet, stammt aus der Soziologie und definiert den Zustand, in welchem die negative Seite des Lebens die Positive uberwiegt.113
Nach Hucker sei es ein Fakt, dass Menschen dem Tod „ambivalent“ gegenuberstehen wur- den. Es bedeute, dass der Suizidant sich zumeist selbst zum Zeitpunkt der Tat nicht bewusst sei, dass er leben will und somit aus Impulsivitat handle. Demnach sei unsere Pflicht, jegli- che suizidale Handlung zu verhindern, da sie unterbewusst vom Menschen nicht gewollt sein wurde und im Endeffekt jeder am Leben hange.114
Andere sind dagegen der Meinung, dass es allgemein keine logische Erklarung fur einen Suizid gebe115, wahrend wiederum andere von dem Phanomen des „Enke-Effekts“ sprechen. Als Reaktion auf den Schienensuizid des bekannten FuBballers Robert Enke im Jahr 2009 sind Fans mit Fan-Schal vor den Zug gesprungen, um ihr Idol nachzuahmen. So ist der Durchschnitt der Schienensuizide selbst noch 2 Jahre spater um 0,4 tagliche Suizide erhoht gewesen.117
Fakt ist jedoch, dass die Hinterbliebenen eines Suizidanten oft so sehr darunter leiden, dass sie nach der Tat selber auf therapeutische Hilfe angewiesen sind. Nach Schatzungen der WHO sind von einem Suizid mehr als 6 Personen betroffen. Bei diesen Menschen handelt es sich nicht nur um enge Verwandte, sondern auch um Freunde, Kollegen, Mitschuler oder Zeugen des Selbstmords.118 Von der Gesellschaft komme jedoch keine wirkliche Reaktion auf diese Zustande und es fande kaum eine Forderung der Suizidpravention statt, worin sich die Tabuisierung des Themas Suizid in Deutschland verdeutlichen wurde.119
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- Citation du texte
- Anonyme,, 2019, Selbstmord in der Römischen Kaiserzeit und heute. Senecas Tod im Vergleich zum 21. Jahrhundert, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/511337
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