Digitalisierung, Fachkräftemangel und demografischer Wandel stellen vertraute Strukturen und Prozesse in der Arbeitswelt infrage und lösen dadurch einen Paradigmenwechsel aus. Das Konzept der Neuen Arbeit beschreibt die neue Arbeitsweise der heutigen Gesellschaft im globalen und digitalen Zeitalter. New Work ist eine Zukunfts- und Gegenwartsidee, die Prozessoffenheit, flexibles Denken und Eigeninitiative erfordert. Leitbilder haben sich als Standard-Instrument strategischer Führung etabliert. Ihnen werden transformationsfördernde Potenziale zugesprochen.
Welche Anforderungen ergeben sich aus den Herausforderungen von New Work für Leitbilder und ihre Gestaltung? Wie können sich Unternehmen in Zeiten disruptiver Veränderungen stark im Markt positionieren? Die Autorin entwickelt eine Anwendungslogik, die das Anforderungsprofil von New Work-Leitbildern aufgreift und mithilfe möglicher Prozessansätze im Organisationsalltag Anwendung finden kann.
Aus dem Inhalt:
- New Work;
- Digitalisierung;
- Leitbilder;
- disruptive Technologien;
- Prozesse
Inhaltsverzeichnis
Danksagung
Tabellenverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Vorwort
1 Einleitung
2 New Work: Eine Reise mit Chancen und Risiken
2.1 Begriff und Definition
2.2 Zentrale Herausforderungen
3 Dimensionsstufen von Leitbildern
3.1 Klassische Dimension
3.2 Erweiterte Dimension: Transformationsfördernde Funktionen
4 Neues Arbeiten braucht neue Leitbilder
4.1 Ein neues Verständnis: Leitbilder als Orchestrierungslogik
4.2 Ein neues Anforderungsprofil: Performanz-Leitbilder
5 Ästhetische Leitbildentwicklung
5.1 Einordnung
5.2 Theoretische Grundlage
5.3 Umsetzungsvoraussetzung
5.4 Anwendungslogik
6 Diskussion
7 Fazit
Anhang
Literaturverzeichnis
Dank sagung
Besonderer Dank gilt Herrn Prof. Thomas Egelkamp, der in seinen Seminaren ein professionelles Bild von Kunst im Management gezeichnet, mir das Feld der kunstbasierten Leitbildentwicklung eröffnet und mich durch eine intensive Zusammenarbeit für das Thema motiviert hat. Darüber hinaus habe ich durch seine Lehrtätigkeit und Unterstützung erfahren, was es heißt, prozessoffen zu handeln und mein eigenes Wahrnehmungs- und Handlungsrepertoire trainieren und erweitern können.
Des Weiteren möchte ich Frau Prof. Dr. Susanne Blazejewski danken, die mich bei meiner Arbeit begleitet und durch ihre Lehrtätigkeit in mir die Begeisterung für die Themen „Ästhetische Unternehmensgestaltung“ und „Organisationen mit neuem organisationalem Anspruch“ entfacht hat.
Eberhard Kremer möchte ich danken, dass er den Versuch eines intensiven kunstbasierten Leitbildprozesses auf unserer Arbeitsstelle nicht nur ermöglicht, sondern selbst darin eintaucht und mir das Vertrauen sowie die Freiräume schenkt, den Prozess zu initiieren, selbst zu erfahren und weiter zu begleiten.
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Erste Leitbildanforderung: Sinn und Selbstverwirklichung
Tabelle 2: Zweite Leitbildanforderung: Partizipation
Tabelle 3: Dritte Leitbildanforderung: Daseinsberechtigung
Tabelle 4: Vierte Leitbildanforderung: Performanz
Tabelle 5: Fünfte Leitbildanforderung: Abstraktionsgrad
Tabelle 6: Anwendungspfad I
Tabelle 7: Anwendungspfad II
Tabelle 8: Anwendungspfad III (a)
Tabelle 9: Anwendungspfad III (b)
Tabelle 10: Anwendungspfad IV
Tabelle 11: Anwendungspfad V (a)
Tabelle 12: Anwendungspfad V (b)
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Veränderte Haltung gegenüber organisationaler Anspruchsgruppen
Abbildung 2: Inhalte von Performanz-Leitbildern
Abbildung 3: Leitbildfunktionen der strategischen Dimension
Abbildung 4: Leitbildfunktionen der operativen Dimension
Abbildung 5: Leitbildfunktionen der normativen Dimension
Abbildung 6: Wettbewerbsvorsprung durch Kulturwandel
Abbildung 7: Leitbildfunktionen der erweiterten Dimension
Abbildung 8: Modell der Unternehmenskultur nach Edgar Schein
Abbildung 9: „Agile Zwiebel“
Abbildung 10: Entwicklung der Arbeitswelt in Deutschland
Abbildung 11: Relevanz und Fokus von Performanz-Leitbildern
Abbildung 12: Das Ästhetische einer Organisation
Abbildung 13: Categories of Organizational Research
Abbildung 14: Iteratives Vorgehensmodell
Abbildung 15: Klassische Partitur eines Sinfonieorchesters
Abbildung 16: Extraktion einer Improvisation des Berliner „Splitter-Orchester“ durch Kubin
Abbildung 17: Orchestrierungslogik Teil I
Abbildung 18: Orchestrierungslogik Teil II
Abbildung 19: Orchestrierungslogik Teil III
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Vorwort
Da Sprache Wirklichkeit konstruiert und gedankliche Vorstellungen beeinflusst, wird in dieser Arbeit weitestgehend auf eine gendergerechte Sprache geachtet. Durch die Verwendung genderneutraler Formulierungen und des Asterisks (*) werden ebenfalls Personen einbezogen und wertgeschätzt, die sich nicht binär als Mann oder Frau identifizieren. Bei wörtlichen Zitaten und an Stellen, an denen die Lesbarkeit zu sehr beeinträchtigt worden wäre, konnte die gendergerechte Sprache nicht vollumfassend Anwendung finden.
Ferner liegt dieser Arbeit ein soziologisches Verständnis von Unternehmen zugrunde. Unternehmen werden demnach als soziales Aktionssystem begriffen und folglich als Organisation definiert. Wenn in dieser Arbeit, beispielsweise in wörtlichen Zitaten, von Unternehmen die Rede ist, sind damit ebenfalls Organisationen gemeint. Ihr charakteristisches Merkmal liegt im Handlungssystem der Organisationsmitglieder (Reiser, 2012). Organisationen müssen somit performativ gedacht werden und entwickeln sich nach Dell (2011) prozesshaft mittels Ausübung, Wiederholung, Routinen, Ritualen, Mustern, Strukturen und Handlungen, die an Wertvorstellungen geknüpft sind, fortlaufend weiter.
1 Einleitung
„Wer in einer Zeit des Wertewandels lebt, der muss bei der Frage nach den eigenen Werten anfangen.“
(Schlaepfer & Welz, 2017: 231)
Aus einer IBM1 Global CEO Study ging bereits 2010 hervor, dass 85 Prozent der befragten Führungskräfte in den nächsten Jahren einen signifikanten Komplexitätsanstieg in der Wirtschaftswelt erwarten. Dabei sieht sich die Hälfte der Befragten den auf sie zukommenden Herausforderungen nicht gewachsen. Digitalisierung, Fachkräftemangel und demografischer Wandel stellen vertraute Strukturen und Prozesse in der Arbeitswelt infrage und lösen dadurch einen Paradigmenwechsel aus. Hackl, Wagner, Attmer und Baumann (2017) sprechen von einer „Reise nach New Work“ (Hackl et al., 2017: 48), auf der sich Organisationslenkende derzeit befinden. Auf dieser Reise stehen Organisationen „mindestens vor einer doppelten Aufgabe. Sie müssen Wandlungs- und Lernfähigkeit aufbauen und Sicherheit vermitteln“ (Zettel, 2009: 182). Angesichts dieser Veränderungsprozesse sind Kreativität, Flexibilität und Lernfähigkeit entscheidende transformationsfördernde Kompetenzen (Laloux, 2014, 2016; Sagmeister, 2016; Zettel, 2009).
Auch Leitbildern werden transformationsfördernde Potenziale zugesprochen. Sie haben sich als Standard-Instrument strategischer Führung etabliert, obwohl aussagekräftige Wirksamkeitsstudien im deutschsprachigen Raum bisher nicht vorliegen. Als Artefakt menschlicher Tätigkeit und institutionalisierte Kommunikationsform sollen sie in der Regel den handlungsleitenden Referenzrahmen einer Organisation bilden (Knassmüller, 2005). Allerdings werden Leitbilder nicht selten kritisiert – vor allem dann, wenn sie mit Versprechungen verbunden sind, die sich nach Abschluss nicht erfüllen. Wenn sich das Verständnis von Arbeit grundlegend ändert, liegt die Vermutung nahe, dass die Funktionen top-down-konzipierter „Leitbildprosa“ für New Work-Organisationen unzureichend sind und überdacht werden müssen.
Die organisationalen Herausforderungen, die aus New Work entspringen, erfordern neue Führungskompetenzen und erzeugen laut Hackl et al. (2017) ein neues Anforderungsprofil für das Management von Organisationen, das sich in fünf Kriterien aufschlüsseln lässt: (i) Individualität, (ii) Führung, (iii) Agilität, (iv) neue Bürokonzepte und (v) Flexibilität. In Anlehnung an diese fünf Anforderungen an ein New Work-Management und die im Mainstream verbreitete Bezeichnung von Leitbildern als Managementinstrument lässt sich die Aussage von Hackl et al. (2017) erweitern: Die New Work Herausforderungen führen zu einem veränderten Anforderungsprofil für das Management von Organisationen und damit gleichzeitig zu einem veränderten Anforderungsprofil hinsichtlich der Beschaffenheit und Gestaltung von Leitbildern. Diese Arbeit geht daher der Frage nach, welche Anforderungen sich aus den postulierten Herausforderungen von New Work für Leitbilder und ihre Gestaltung ergeben. Darüber hinaus soll eine Anwendungslogik entwickelt werden, die das erarbeitete Anforderungsprofil von New Work-Leitbildern aufgreift und mithilfe möglicher Prozessansätze, die mit simplen Grundregeln verknüpft sind, im Organisationsalltag Anwendung finden kann.
Die vorliegende Arbeit kann weder die durch Ganz und Graf (2007b) postulierte Annahme stützen, dass mithilfe nachhaltiger und kulturverändernder Leitbilder ein Wettbewerbsvorsprung von bis zu 20 Jahren erzielt werden könne, noch wird sie einen Musterlösungsansatz für einen Leitbildentwicklungsprozess präsentieren. Im Wesentlichen soll mithilfe bestehender Literatur eruiert werden, wie eine den neuen Anforderungen entsprechende Leitbildentwicklung im Sinne des Neuen Arbeitens2 gestaltet werden könnte. Dabei werden unter anderem sozialpsychologische, wirtschaftsphilosophische, sozialökonomische, management- und organisationstheoretische, unternehmenspraktische und künstlerische Perspektiven herangezogen und einander gegenübergestellt.
Zunächst wird in Kapitel 2 näher auf die organisationalen Herausforderungen eingegangen, die eine Reise nach New Work mit sich bringt. Kapitel 3 befasst sich anschließend mit den unterschiedlichen Funktionen von Leitbildern. Daraus ergibt sich in Kapitel 4 ein Anforderungsprofil für die Entwicklung von New Work-Leitbildern. In Kapitel 5 wird auf dieser Grundlage die „Ästhetische Leitbildentwicklung“3 vorgestellt. Sie soll dabei als möglicher Entwicklungsansatz von Leitbildern, die der Idee Neuen Arbeitens gerecht werden, begriffen werden. Eine gezielte Einordnung, theoretische Grundlagen, Vorschläge und Voraussetzungen zur Prozessgestaltung sowie simplifizierte Grundregeln, die den geschilderten Prozessphasen zugeordnet werden, ermöglichen einen modellhaften Transfer dieses Ansatzes in die Praxis. Nach einer zusammenfassenden Anwendungslogik wird die Arbeit in Kapitel 6 mit einer Diskussion und einem Ausblick abgeschlossen.
2 New Work: Eine Reise mit Chancen und Risiken
Das vorliegende Kapitel macht deutlich, das New Work mit Chancen und Risiken verbunden ist. Zuerst wird die dieser Arbeit zugrunde liegende Definition von New Work dargelegt. Anschließend können in Anlehnung an Hackl et al. (2017) vier zentrale New Work-Herausforderungen herausgearbeitet werden, auf denen das in Kapitel 3 formulierte Anforderungsprofil für New Work-Leitbilder basiert.
2.1 Begriff und Definition
New Work wird als „Denkansatz und Bewegung zugleich“ (Hackl et al., 2017: 44) verstanden und entspringt aus gegenwärtigen Veränderungsprozessen, die tiefgreifende Auswirkungen auf Gesellschaft und Organisationen haben. An Organisationsmitglieder und dabei insbesondere an Manager*innen, Führungskräfte und Mitarbeiter*innen werden hierdurch neue Anforderungen gestellt (Hackl et al., 2017). Unter Top-Manager*innen herrscht aktuell der Konsens, dass klassische Organisationsstrukturen in den meisten Fällen nicht geeignet seien, um die Herausforderungen Neuer Arbeit zu meistern (Wiemann, Weibel, & Zolliker, 2018). Daher kann New Work auch als Synonym für den tiefgreifenden Wandel der Arbeitswelt und alle damit einhergehenden Veränderungen verstanden werden.
New Work ist dabei nicht nur reaktiv, sondern vor allem proaktiv und rückt die Handlungsorientierung des (strategischen) Managements in den Fokus (Hackl et al., 2017; Schlaepfer & Welz, 2017). Viele Ideen zu New Work sind nicht neu und sogar die Originalutopie „New Work – neue Arbeit – neue Kultur“ (Bruns, 2016: 74) existiere bereits seit über 30 Jahren. Die in der Konzernwelt sowie bei Hackl et al. (2017) dargestellte „populär gewordene Vorstellung, dass New Work vor allem agile Büroorganisationsstrategien seien, ist nur eine neue Interpretation des alten Begriffs“ (Bruns, 2016: 74).
Die vorliegende Arbeit behandelt den New Work-Begriff daher nicht nur als Frage des Change-Managements, sondern als Vision, bei der es darum geht „zu wissen, wie man leben möchte, darum, besser zusammenzuarbeiten und seine eigene Zuständigkeit wahrzunehmen, um eine neue Arbeitswelt mitzugestalten“ (Bruns, 2016: 76). Die Firma wavestone beschreibt auf ihrer Homepage den Transformationsansatz „New Ways of Working“ (Mermet, Noizet, Metz, & Taupiac, 2017) und präsentiert eine Übersichtsgrafik zur neuen Arbeitswelt, die dem Anhang dieser Arbeit beigefügt ist. Neben Bruns (2016) argumentieren auch andere Autor*innen, dass mit einem kollektiven, organisationalen Wandel auch ein persönlicher Wandel individueller Normen und Werte einher geht (Blazejewski & Dorow, 2003; Bruns, 2016; Mermet et al., 2017). Die von Hackl et al. (2017) formulierten zentralen Herausforderungen und daraus konzipierten Anforderungen an das Management von Organisationen, eignen sich als Grundlage für weiterführende Überlegungen zu Organisationen, die den New Work-Gedanken bereits für sich beanspruchen oder zukünftig beanspruchen möchten.
2.2 Zentrale Herausforderungen
Arbeitgeber*innenattraktivität, Innovation, Flexibilität und Nachhaltigkeit sind besonders wichtige Zielgrößen bei der Bewältigung von New Work-Herausforderungen und werden bereits jetzt in einigen Organisationen beispielweise in Form von neuen Arbeitszeitmodellen sowie Führungs- und Bürokonzepten erprobt (Laloux, 2014, 2016). Auch Politiker*innen und Konzerne entdecken die Begrifflichkeit für sich und setzen sich für moderne Arbeitsbedingungen ein. Dabei wird New Work nicht selten auf New Office und „Feel-good-Manager, den perfekten ‚Wohlfühlarbeitsplatz‘ ohne festen Schreibtisch und Kabellosigkeit reduziert“ (Bruns, 2016: 75).
Es wird aber auch auf die Gefahren verwiesen, die mit organisationalen Entscheidungen einhergehen, die ausschließlich auf Investitionen in Methoden, Prozesse und Strukturen auf Teamebene setzen. Die mangelnde Beachtung der Kultur der Gesamtorganisation kann Mitarbeiter*innen hinsichtlich ihrer Erwartungen an neue Arbeitsformen enttäuschen und frustrieren (Brühl, 2018; Kühl, 2017). Um die Gefahren zu reduzieren, solle man „sich ergebnisoffenen Prozessen stellen und somit jeder Menge Macht-, Sicherheits- und Zugehörigkeitsfragen“ (Brühl, 2018: 157). Dies erfordere wiederum „Mut, Durchhaltevermögen und die Fähigkeit zum Verlernen“ (Brühl, 2018: 157). Daraus resultieren neue Anforderungen an ein erfolgreiches Management, wodurch die Einführung von Methoden und Prozessen stets mit einer umfassenden Kulturarbeit einhergeht (Brühl, 2018; Lind, 2015).
In Praxis und Forschung herrscht bereits Einigkeit darüber, dass sich Organisationen umfassenden Transformationsprozessen widmen müssen, um sich weiterzuentwickeln, eventuell neu auszurichten und ihre Existenz zu sichern. Dabei werden in der Managementliteratur eine radikale und revolutionäre (Robertson, 2015) sowie eine iterative und emergente Herangehensweise (Laloux, 2014, 2016; Oestereich & Schröder, 2016) unterschieden. In Anlehnung an die von Hackl et al. (2017) im Jahr 2015 durchgeführten 57 Top-Management-Interviews lassen sich vier „zentrale Herausforderungen von New Work, nämlich (1) Individualisierung, (2) Strategieumsetzung, (3) Innovation und (4) Kunde“ (Hackl et al., 2017: 47) unterscheiden, die im Folgenden näher erläutert werden.
2.2.1 Individualisierung
Die Individualisierung gilt als entscheidende Herausforderung von New Work, da sie eine veränderte Erwartungshaltung an die Erwerbsarbeit mit sich bringt (Hackl et al., 2017; nextpractice, 2016; Pfaff-Czarnecka, 2018). Eine nicht vermutete Vielfalt und Gegensätzlichkeit von Wert- und Lebensvorstellungen in der Arbeitsgesellschaft wurde in der Kulturstudie „Wertewelten Arbeiten 4.0“ herausgestellt, die nextpractice (2016) gefördert durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales im Rahmen der Initiative Neue Qualität der Arbeit (INQA) durchgeführt hat. Die Ergebnisse der Wertewelten-Studie belegen, dass die Bedürfnisse bezüglich der Erwerbsarbeit in höchstem Maße individuell und nicht mit einer Musterlösung für alle zu befriedigen sind.
Dabei wird zwischen drei erkennbaren Polen unterschieden, unter denen sich sieben Wertewelten subsummieren lassen. Pol 1 und 2 stehen für die Bedürfnisse nach individueller Leistungsorientierung, Arbeitnehmer*innenrechte und Sozialstaat sowie die Schaffung von guten Arbeitsbedingungen und sozialem Zusammenhalt durch Politik, Gewerkschaften und Organisationen. Pol 3 steht stellvertretend für das Bedürfnis nach sinnstiftender Arbeit und einem individuellen Gleichgewicht von Privatleben und Arbeit. Flexibilität wird deshalb von manchen mit mehr Freiheit und von anderen mit mehr Druck verbunden. Von gut ausgebildeten Personen werden technologische Innovationen mit vielversprechenden Erwartungen assoziiert, weil sich daraus Potenziale hinsichtlich der Selbstverwirklichung und Gestaltung der eigenen Arbeitswelt ergeben. Zusammenfassend kann jedoch behauptet werden, „dass Wettbewerb und der Fokus auf materielle Werte nur noch für eine Minderheit“ (nextpractice, 2016: 46) handlungsleitende Motive sind. (nextpractice, 2016)
Basierend auf den aktuellen gesellschaftlichen Veränderungen hinsichtlich Orientierungsmustern, Lebensentwürfen, Zukunftsvisionen, Lebensstilen und den damit einhergehenden Rollenerwartungen werden Menschen auch in ihrem Zugehörigkeitsgefühl zu ihren Arbeitgeber*innen beeinflusst. Zugehörigkeitsgefühle äußern sich zudem in individuellen Haltungen und Präferenzen gegenüber Leistung, Macht, Gleichwertigkeit sowie Geschlechter- und Generationenbeziehungen. Demnach haben Veränderungen in der Arbeitswelt nicht nur wirtschaftliche, sondern auch sozialpsychologische Ursprünge, die sich in einer Demokratisierung des Alltags äußern (Pfaff-Czarnecka, 2018). Aus sozialanthropologischer Sicht steige gerade in Zeiten disruptiver Veränderungen innerhalb und außerhalb des Arbeitskontextes „das Bedürfnis nach Orientierung, Sicherheit, Halt und Wertschätzung tendenziell an“ (Pfaff-Czarnecka, 2018: 17).
Daraus ergeben sich neue Anforderungen an Organisationen hinsichtlich ihrer Strukturen und Prozesse. Neue Personalinstrumente und die Einführung neuer Organisationsformen sind nur zwei der damit einhergehenden Aspirationsmöglichkeiten. Klassische Personalmaßnahmen erreichen derzeit nur einen Teil der Arbeitnehmer*innen, wenn es um die Erfüllung ihrer Anforderungen und Bedürfnisse und die Ausschöpfung des Potenzials der Arbeitgeber*innen-Arbeitnehmer*innen-Bindung geht. Der Personalstamm wird heterogener, sodass bereits von einer „Talent-Ökonomie“ (Hackl et al., 2017: 51) gesprochen wird, die eine hohe Spezialisierung von Personalmaßnahmen erfordert. Entsprechende Anforderungskriterien sind neben einer sinnerfüllten, wertschätzenden, flexiblen und partizipativen Tätigkeit, die Bereitstellung von Sicherheits- und Selbstentfaltungsräumen (Hackl et al., 2017).
Dies unterstreicht die Bedeutung von proaktiven, wettbewerbsfördernden Maßnahmen, die die Bindung und die Steigerung des Zugehörigkeitsgefühls von Organisationsakteuren zum Ziel haben. Eine reaktive Handlungsweise, bei der z.B. aufgrund des Fachkräftemangels in die Gewinnung von Arbeitskräften investiert wird, stößt über kurz oder lang an ihre Grenzen. Für qualifizierte Talente wird es durch die Flexibilisierung von Arbeit einfacher, sich je nach individueller Lebenssituation den entsprechenden Job zu suchen (Hackel et al., 2017; Wiemann et al., 2018). Darüber hinaus geht aus Interviews mit Top-Manager*innen die geteilte Auffassung hervor, dass es „eine immer wichtiger werdende Aufgabe der Leader ist, die Mitarbeitenden zu inspirieren und zu motivieren – gerade auch, weil deren Kontrollierbarkeit kleiner wird“ (Wiemann et al., 2018: 171). Eine begeisterte Belegschaft ist dann ein Gewinn, wenn bedeutsame Entscheidungen, die den organisationalen Zielen und Werten entsprechen, selbstständig getroffen werden (Wiemann et al., 2018).
Demzufolge sollten Zugehörigkeit und betriebliches Commitment4 im Sinne eines Austauschverhältnisses neu gedacht werden. Einerseits ziehen Organisationen nach wie vor einen großen Nutzen aus den ihnen zugesprochenen Zugehörigkeitsbeziehungen. Auf der anderen Seite befinden sich Arbeitnehmer*innen ebenfalls auf Zugehörigkeitssuche. Während auf Unternehmensseite von Loyalität als Voraussetzung gesprochen wird, besteht das Bedürfnis von Fachkräften in einer entsprechenden Wertschätzung der eigenen Arbeit. (Pfaff-Czarnecka, 2018)
Die durch Milton Friedman (1970) getroffene und weitverbreitete Aussage „The Social Responsibility of Business Is to Increase Its Profits” kann als einzige Zielsetzung ökonomischen Handelns in Zeiten von ‚Old Work‘ angesehen werden (Friedman, 1970, zit. nach Zimmerli, Holzinger, & Richter, 2007). New Work leitet einen Paradigmenwechsel ein, bei dem insbesondere die junge Generation, bestehend aus ‚High Potentials‘ bzw. ‚Millennials‘, fordert, „dass das ökonomische Handeln wieder bewusster wird, sowohl bei der Arbeit als auch beim Konsum.“ (Steffen & Schüller, 2017: 37) Millennials halten es, im Gegensatz zu ihren Vorgängergenerationen, für selbstverständlich, dass gute Leistungen angemessen entlohnt werden. Die Bezahlung ist für ihre Arbeitszufriedenheit jedoch nicht hinreichend. Dem intrinsisch motivierten individuellen Beitrag des Einzelnen zum sinnstiftenden großen Ganzen, der nicht allein aus finanziellen Anreizen geleistet wird, sollte daher besondere Beachtung geschenkt werden. Der Befriedigung psychologischer Grundbedürfnisse im Arbeitskontext wie etwa dem Streben nach individueller Verwirklichung, einem selbstbestimmten Arbeiten und einer sinnstiftenden Tätigkeit wird zunehmende Relevanz beigemessen (Pfaff-Czarnecka, 2018; Steven, 2017).
Zu den unter der Individualisierung subsummierten neuen Managementanforderungen werden
(i) die Beteiligung der Beschäftigten bei der Strategieentwicklung (Hackl et al., 2017),
(ii) das bereits angesprochene Austauschverhältnis durch betriebliche Zugehörigkeit (Pfaff-Czernecka, 2018),
(iii) neue Formen der Zusammenarbeit (Hackl et al., 2017; Laloux 2014, 2016; Steffen & Schüller, 2017) sowie
(iv) die Bereitstellung von Ressourcen für kreative Prozesse und individuelles Lernen (Hackl et al., 2017; Sagmeister, 2016) gezählt.
Eine Herangehensweise, die sich den genannten Managementanforderungen stellt, um aus der Individualisierung und den nachfolgenden Herausforderungen Chancen zu generieren, wird in Kapitel 5 erläutert.
2.2.2 Strategieumsetzung
Unter Strategieumsetzung wird „die Verankerung der durch die Strategie festgehaltenen Schwerpunkte in der Organisation“ (Hackl et al., 2017: 52) verstanden, die insbesondere im operativen Geschäft ihre Ausprägung findet. Es handelt sich dabei um die systematische Steuerung konkreter Prozesse bzw. um die Ausrichtung aller Organisationsaktivitäten und Handlungen an einer strategischen Zielsetzung. Dem liegen in der Regel veränderungseinleitende Maßnahmen zugrunde, die Wettbewerbsvorteile erbringen oder erhalten sollen. Bei Transformationen innerhalb der Strategieumsetzung reicht es für die Existenzsicherung häufig nicht aus, lediglich das bestehende Kerngeschäft effizient zu verfolgen. Anpassungsdefizite der Geschäftsmodelle an veränderte Marktanforderungen sind die Ursache dafür, dass heute nur noch rund zehn Prozent der seit 1955 geführten Unternehmen existieren (Hackl et al., 2017).
Die Auswirkungen eines veränderten Marktes machen daher gerade in Zeiten von New Work eine proaktive Ausrichtung von Organisationsmodellen und ihrer strategischen Zielsetzungen erforderlich und können einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil darstellen. Die Herausforderung liegt also darin, Agilität als Kompetenz in Zeiten des Wandels strategisch zu verankern (Hackl et al., 2017). Neue Organisationsformen und Führungsansätze zu etablieren, Mitarbeiter*innen mit Komplexitäts-, Abstraktions- und Problemlösungskompetenzen sowie selbstgesteuertem und eigenverantwortlichem Handeln zu gewinnen sowie kontinuierlichen Wissensaufbau zu betreiben sind nur wenige der möglichen Maßnahmen zur Flexibilitätssteigerung (Niggemann, 2017; Sagmeister, 2016). Um Organisationsakteure trotz starkem Veränderungsdruck an sich zu binden, kann auf die Potenziale einer ortsunabhängigen Bereitstellung von Ressourcen sowie ein breites Spektrum an flexiblen Arbeitsmodellen und neuen Organisationsstrukturen verwiesen werden (Hackl et al., 2017; Riester, 2017).
Organisationen, die Flexibilität als Arbeitshaltung voraussetzen, sollten ebenfalls die Bereitschaft aufbringen, flexible Strukturen bereitzustellen und agilem Handeln offen begegnen. Denn insbesondere junge Arbeitskräfte messen Freiräumen, die eine individuelle Lebensgestaltung ermöglichen, in Kombination mit einer anspruchsvollen Tätigkeit hohe Bedeutung bei (Riester, 2017). Bei der Bereitstellung flexibler Organisationsstrukturen handelt es sich jedoch „keineswegs um eine Good-Will-Aktion (…), denn anders ist in der Digitalisierung der Wettbewerb um die besten Köpfe – der War for Talents – nicht zu bestehen.“ (Riester, 2017: 45) Wirkliche Freiräume und ermächtigende Strukturen zu schaffen erfordere gleichzeitig neue Führungsansätze (Hackl et al., 2017).
Das heutige Hauptanliegen von Führungskräften sollte darin bestehen, Vertrauen und Commitment zu erzeugen (Hackl et al., 2017). Auch der New Ways of Working-Ansatz setzt auf Kohärenz und die drei Hauptbestrebungen „Innovation, Performance, Commitment“ (Mermet et al., 2017). Dabei weichen gemäß Hackl et al. (2017) Konzepte hierarchischer Führung mit Weisungsbefugnissen einer lateralen Führungskultur, die durch die Erzeugung eines gemeinsamen Orientierungsrahmens, verschiedene Interessen innerhalb eines Netzwerks miteinander zu verbinden versucht. Je mehr persönliche Zustimmung eine Strategie erfährt, desto größer ist der individuell zugeschriebene Sinngehalt und desto stärker sind das persönliche Empfinden von Zufriedenheit und der Attraktivität eines Arbeitsplatzes. Die Nachhaltigkeit und die konsequente Umsetzung einer Strategie sind immer dann gefährdet, wenn es zu Verständnis- und Interpretationsproblemen kommt. Schnelle Anpassungen an (neue) Marktsituationen und Kundenanforderungen bringen demnach die Herausforderung mit sich, Strategien nachvollziehbar zu kommunizieren, damit sie möglichst schnell und flächendeckend implementiert werden können (Hackl et al., 2017).
Bezogen auf die Strategieumsetzung sind die Kernherausforderungen in Zeiten des Neuen Arbeitens, dass (i) das Durchbrechen von Routinen und Verhaltensweisen im Alltagsgeschäft mit neuen strategischen Zielsetzungen im Widerspruch stehen kann, (ii) das betriebliche Commitment heute an persönliche Sinnstiftung geknüpft ist (Hackel et al., 2017) und (iii) Ehrfurcht vor Risiko- und Experimentierfreude besteht (Zettel, 2009). Hinzu kommt eine herausfordernde Rekrutierung qualifizierter Talente, denn insbesondere bei der Realisierung von Transformationsprozessen sind intrinsisch motivierte Mitarbeiter*innen, „die Know-how und (Riester, 2017: 44) ein bedeutsamer Wettbewerbsfaktor.
Chancen für die Etablierung einer neuen Organisationskultur und der Identifikation mit der Organisation liegen daher im Personalmarketing und in der Entwicklung von Leitbildern (Zettel, 2009). Denn auch wenn sich die Produktion und die Arbeitswelt der Menschen „(r)evolutionieren“ (Niggemann, 2017: 47) werden, so liegt die Konstante weiterhin darin, dass Menschen der „Schlüssel zum Erfolg“ (Niggemann, 2017: 47) sind und einige ihrer Fähigkeiten nicht durch Maschinen, Roboter und Algorithmen ersetzt werden können. Nur durch Partizipation und motivierende Organisationsstrukturen lassen sich die Potenziale von Menschen gegenüber Maschinen voll entfalten und ausschöpfen (Laloux, 2014, 2016; Niggemann, 2017).
2.2.3 Innovation
Innovationen und Erfindungen waren immer schon Voraussetzung für ein Bestehen am Markt und haben seit jeher einen Wettbewerbsvorteil dargestellt. In Verbindung mit New Work lässt sich Innovation dennoch als Kernherausforderung hervorheben, da sie sich um einen wesentlichen Faktor erweitert: das Innovationstempo. Disruptive Veränderungsprozesse führen zu einem erhöhten Innovationstempo, das „Unternehmen zu einer permanenten Hinterfragung ihrer Strategie und ihrer Prozesse zwingt" (Hackl et al., 2017: 57). Darüber hinaus erfordere ein erhöhtes Innovationstempo neue Strukturen und Entfaltungsräume, in denen Organisationsakteure innovativ sein können.
Neue Führungsansätze und Organisationsformen wurden bereits als entscheidende Treiber in organisationalen Wandlungsprozessen herausgestellt. Obwohl Organisationslenkende bereits über das Wissen verfügen, dass neue Marktanforderungen auch zu Veränderungen in der Organisationsstruktur und -kultur führen bzw. diese erforderlich machen, lässt sich weiterhin beobachten, dass die Mehrheit „nach wie vor im traditionellen Top-Down-Modell verhaftet“ (Wiemann et al., 2018: 164) bleibt. Während Effizienzdenken und Sicherheitsbestreben in der Vergangenheit Bestandteile einer erfolgreichen Strategieumsetzung waren, sind sie im Zusammenhang mit New Work wenig hilfreich und werden eher als Existenzrisiko angesehen, da die „digitale Transformation ein radikales Neudenken sämtlicher Geschäftsmodelle“ (Hackl et al., 2017: 57) verlange. Die sogenannte kreative Zerstörung gefährde Organisationen jeglicher Größe und Branchen, die den Innovationszwang ignorieren.
So werden „Schnelligkeit, Agilität und Innovationsfähigkeit zu erfolgskritischen Kernkompetenzen“ (Hackl et al., 2017: 59) der zukünftigen Arbeitswelt. Eine ambidextere Logik, nach der eine Organisation gleichzeitig effizient und flexibel sei, könne daher besonders effektiv sein. Während Prozesse zugunsten der Effizienz einer besonders detaillierten Planung bedürfen, sei die Planbarkeit bei Innovationen nicht nur begrenzt, sondern könne diese sogar behindern (Hackl et al., 2017). Eine besondere Herausforderung bei Innovationen liegt demnach in ihrer Unvorhersehbarkeit. Diese Herausforderung kann sich einerseits in destruktivem Druck äußern oder auf eine produktive Weise genutzt werden. In jedem Fall wird an das Management appelliert, Innovationsprozesse bestmöglich vorzubereiten, zu begleiten und zu steuern. (Böhle, Denisow, Renvert, Brater & Stark, 2011: 6) Die Bereitstellung von Freiräumen zum offenen Innovieren bindet nicht nur Ressourcen, sondern erfordert dabei auch Mut (Brühl, 2018; Fraunhofer-Gesellschaft, 2004; Hackl et al., 2017; Zettel, 2009).
Darüber hinaus wird die Etablierung einer echten Innovationskultur, die sich neben der Einrichtung von Freiräumen unter anderem auch in einem neuen Verständnis von Führung sowie einer authentischen Fehlerkultur widerspiegelt, als erfolgsversprechendes Element verstanden (Hackl, 2017). Herausfordernd sei, dass Arbeitsprozesse, die ständig zwischen realen und virtuellen Situationen wechseln, zunehmen würden, was wiederum Auswirkungen auf die Ausgestaltung von Arbeit und damit auch auf die Unternehmenskultur habe (Niggemann, 2017; Steffen & Schüller, 2017). Digitalisierung bedeutet, dass „Mensch-Maschine- und System-Interaktionen durch die informationstechnische Durchdringung und sensorgestützte Vernetzung des Wertschöpfungsprozesses an Bedeutung gewinnen“, sodass „Multimedia-, Social-Media- und Cloud Technologien [sic!] sowie Assistenzsysteme wie Tablet-PC, Smartphones und AR (Augmented Reality) Brillen“ (Niggemann, 2017: 46) in der neuen Arbeitswelt vermehrt Anwendung finden.
Visionäre Jungunternehmer*innen erzeugen mit ihrer digitalen Kernkompetenz Ideen und neue Wirklichkeiten, die völlig entkoppelt von bisherigen Modellen gesehen werden können. Es sei davon auszugehen, „dass bis zum Jahr 2025 rund 40 Prozent der heutigen Fortune-500-Firmen verschwunden“ (Steffen & Schüller, 2017: 38) sind. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich der Old Economy die zum Teil (r)evolutionären „Geschäfts-, Vertriebs-, Arbeits-, Finanzierungs-, Kommunikations-, Kauf- und Lebensmodelle“ (Steffen & Schüller, 2017: 38) nur langsam und in Ansätzen erschließen würden und sie daher dem geforderten Innovationstempo nicht standhalten könne.
2.2.4 Kunde
Neben der zunehmenden Individualisierung von Arbeitnehmer*innen lässt sich ebenfalls eine Individualisierungstendenz auf externer Kundenseite beobachten, die verschiedene Herausforderungen mit sich bringt. Da eine steigende Erwartungshaltung gegenüber dem Produkt zu konstatieren sei, betonen Hackl et al. (2017), dass Kunden gerade im digitalen Zeitalter anspruchsvoller würden. Dies habe zur Folge, dass die Bedürfnisse, Wünsche und Präferenzen von Kunden auf die Organisationsausrichtung Einfluss nehmen. Zunehmender Innovationsdruck sowie Produktindividualisierungen korrelieren daher im Besonderen mit einem veränderten Kundenbedürfnis und einer gesteigerten Erwartungshaltung (Hackl et al., 2017). Während es bisher ausreichte, Kaufentscheidungen durch Prozessoptimierung und Planung zu lenken, wird dem Erlebniswert bei Kaufentscheidungen und der Beziehung zwischen Organisation und Kunde heute eine besondere Bedeutung beigemessen (Hackl et al., 2017; Priddat, 2013).
Ferner entscheiden Kunden heute selbstbestimmter, welchen Weg sie für ihr Kauferlebnis einschlagen. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um Neukunden oder Bestandskunden handelt. Für Organisationen stellt es eine Herausforderung dar, für ihre Kunden ‚Cross-Channel-Hopping‘ anzubieten. Erforderlich werden insbesondere technische Anpassungen in den Bezahlvorgängen und erweiterten Online-Auftritten. Die Kernherausforderung wird darin liegen, den persönlichen ‚Customer Journey‘ des Kunden hinsichtlich Einfachheit, intuitiver Bedienung sowie persönlichen Attraktoren5 zu optimieren und dabei weiterhin authentisch zu bleiben. Service-Design sowie technische Service- und Informationstools, wie beispielsweise Augmented Reality, werden für die crossmediale ‚Customer Experience‘ an Bedeutung gewinnen. Diese neue Realitätsdimension führt zu einer höheren Kundenbindung und Kaufwahrscheinlichkeit. (Hackl et al., 2017; Rudolf, 2016)
Erfolgsfaktoren, um den New Work-Herausforderungen von Kunden zu begegnen, sind u. a. (i) eine neue Form von Kundennähe durch Vernetzung und kollaborative Zusammenarbeit, (ii) ein direkter Kontakt zum Kunden sowie (iii) die Sichtweise auf den Kunden als gestaltende und nicht länger nur als konsumierende Persönlichkeit. (Hackl et al., 2017; Schlaepfer & Welz, 2017) Zudem zeigt Abbildung 1 die veränderte Haltung gegenüber externen Kunden.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Veränderte Haltung gegenüber organisationaler Anspruchsgruppen
Quelle: Eigene Darstellung nach Müller (2017)
Ein grundlegender Paradigmenwechsel ist zu beobachten, wenn man danach fragt, wie Kunden und Organisationen über Produkte und Dienstleistungen zukünftig in Kontakt treten. Veränderte Alltags- und Einkaufsgewohnheiten tragen dazu ganz entscheidend bei. Ferner wirken sich „die informationstechnische Verwaltung von Organisationsstrukturen, die Vernetzung und Automatisierung und die digitale Schnittstelle zum Kunden“ (Schlaepfer & Welz, 2017: 77) noch schneller als bisher auf die betriebliche Zukunft aus. Der persönliche weiche dabei vermehrt dem virtuellen Kundenkontakt.
In gesättigten Märkten, wie sie in der Konsumgesellschaft in Deutschland vorherrschen, sei Kundenzufriedenheit kein Garant mehr für Kundengewinnung und -bindung. Begeisterungsfaktoren würden hingegen immer wichtiger. Ein Kunde, der sich bei seiner Kaufentscheidung „mit großem digitalen Selbstbewusstsein“ (Schlaepfer & Welz 2017: 95) mit Produkten auseinandersetzt, die den gleichen Qualitätswert besitzen, ließe sich nur mittels Emotionen erreichen. Darüber hinaus ist ein Verständnis der Kundensicht von Bedeutung, das nur gewonnen werden könne, wenn eine empathische Perspektive eingenommen werde. Daher wird auch hier eine proaktive Handlungsweise erforderlich, um nicht von neuen Produkten und Kommunikationswegen überholt zu werden.
Im Diskurs um Organisationen mit neuem organisationalem Anspruch wird häufig noch die Realisierung der Kundenzentrierung bemängelt (Schlaepfer & Welz, 2017; Steffen & Schüller, 2017). Dabei sei ein Bild, das die Zusammenarbeit in der Organisation visualisiert und auch die Haltung gegenüber ihren Anspruchsgruppen zum Inhalt hat, in jedem Fall notwendig. Allerdings ist die Entwicklung eines authentischen Bildes mit erheblichem Aufwand verbunden, da die Zielsetzung und innerbetrieblichen Kulturen von Organisationen variieren und daher keine passgenaue Schablone zulassen (Sagmeister, 2016; Steffen & Schüller, 2017).
Das nachfolgende Kapitel legt dar, welche unterschiedlichen Dimensionen Leitbilder aufweisen und welche Leitbildfunktionen den Herausforderungen des Neuen Arbeitens zuzuordnen sind.
3 Dimensionsstufen von Leitbildern
In diesem Kapitel werden die im wissenschaftlichen Diskurs postulierten Funktionen von Leitbildern und ihre Reichweite dargestellt. Die nachfolgenden Abbildungen skizzieren, dass die klassischen Leitbilddimensionen insbesondere an sichtbaren Kulturebenen von Organisationen ansetzen, während mittels der erweiterten Dimension auch unbewusste Grundannahmen in Organisationen reflektiert und transformiert werden können. Kapitel 3.1 gibt die klassischen Dimensionen von Leitbildern wieder, während Kapitel 3.2 die erweiterte Dimension zum Gegenstand hat. Unter letzterer werden transformationsfördernde Funktionen von Leitbildern subsummiert, die sich Organisationslenker*innen für einen Wandel in der Arbeitswelt zunutze machen können. Die hier geschilderte erweiterte Dimension begründet die Notwendigkeit eines neuen Anforderungsprofils für New Work-Leitbilder, das in Kapitel 4 näher ausgeführt wird.
3.1 Klassische Dimension
Aus den Ergebnissen der wissenssoziologischen Diskursanalyse von Giesel (2007) ergibt sich kein einheitlicher Leitbildbegriff. Vielmehr lassen sich je nach Kontext und Disziplin unterschiedliche Konzepte und Modelle vorfinden. Der Leitbildbegriff der Betriebswirtschaftslehre wird von zahlreichen Disziplinen in Anspruch genommen und als Instrument zur Profilbildung und Qualitätssicherung diskutiert. Die Wirkung eines Leitbildes wird in der gängigen Managementliteratur durch ein nach außen informierendes (Brauchlin, 1984) und nach innen orientierendes Bild (Bleicher, 1994; Matje, 1996) beschrieben. Allerdings werden die Daseinsberechtigung und Funktionsweise von Leitbildern bis heute kontrovers diskutiert (Geideck & Liebert, 2003).
Zum Stellenwert von Leitbildern in der betrieblichen Praxis liegt eine umfassende Breitenerhebung vor (Eger et al., 2009). Auf der Basis von Aussagen von 153 Führungskräften zeigte sich, dass bei mittlerweile 86 Prozent ein Leitbild vorzufinden ist. Allerdings lässt sich anhand der Rücklaufquote erkennen, dass es sich dabei vor allem um etablierte Organisationen (74 Prozent) handelt, wobei lediglich 13 Prozent weniger als 250 Mitarbeiter*innen beschäftigen. Neugründungen und Organisationen mit bis zu 20 Arbeitskräften fanden in der Studie keine Berücksichtigung. Insgesamt zeigt sich, dass Leitbilder in erster Linie elektronisch im Intranet oder Internet (54 Prozent) visualisiert werden. Nach dem Grad der Beliebtheit erfolgt die Darstellung mittels Leitbild-Broschüren, Plakaten, Faltblättern und weiteren Varianten, wie z. B. Bildschirmschonern, Schreibtischunterlagen und Kalendern (Martinetz & Freitag, 2009). Abbildung 2 zeigt die drei gängigen inhaltlichen Kernelemente eines Leitbildes: (i) die Mission (Wer sind wir?), (ii) die Vision (Wohin wollen wir?) und (iii) die Werte der Organisation (Wie tun wir es?).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Inhalte von Performanz-Leitbildern
Quelle: Eigene Darstellung, angelehnt an Graf, Hudak, Martinetz, & Meiren (2009: 37)
Obwohl die Breitenerhebung keine eindeutigen Ergebnisse zu den positiven Einflüssen von Leitbildern auf die Arbeitsrealität hervorgebracht hat, sind Martinetz und Freitag (2009) der festen Überzeugung, dass „hinter erfolgswirksamen Leitbildern mehr als deren reine Formulierung und Ausgestaltung“ (Martinetz & Freitag, 2009: 28) steht. Die Funktionen von Leitbildern können vielfältig sein, haben sich über die letzten Jahre verändert und sind in der Fachliteratur nicht einheitlich definiert. Um die große Varianz zu erfassen, werden die gängigen Leitbild-Funktionen folglich einer strategischen, operativen und normativen Dimension zugeordnet. Manchen Leitbildern könne sogar eine die drei Dimensionen integrierende Funktion zugesprochen werden (Knassmüller, 2005).
Leitbilder, die ihrer Integrationsfunktion gerecht werden und sinnstiftende Verbindungen zwischen qualitätsorientierten, gemeinsam entwickelten Maximen und den bestehenden Instrumenten und Maßnahmen des betrieblichen Qualitätsmanagements schaffen, nennt man Performanz-Leitbilder (Granz & Graf, 2009). Dieser Begriff wird zu einem späteren Zeitpunkt (siehe Kapitel 4.2.4) näher erläutert. Unter einer erweiterten Dimension werden schließlich solche Potenziale zusammengefasst, die Leitbildern in Umbruchphasen und organisationalen Veränderungsprozessen von verschiedenen Autoren zugesprochen werden.
Während heute das Herausarbeiten von Sinn und Zweck für Organisationsleitbilder maßgebend ist, lassen sich insbesondere die Leitbilder von großen Organisationen, auch Mission Statements genannt, als „Kommunikationsprosa für die Öffentlichkeit“ (Steffen & Schüller, 2017: 39) entlarven. Es wird immer offensichtlicher, dass heutzutage „TopTalente [sic!] und auch die Kunden erwarten (…), dass ein Unternehmen hehrere Ziele verfolgt als Marktführerschaft und Maximalrenditen“ (Steffen & Schüller, 2017: 39). Bedeutender sei ihnen, welchen Nutzwert, (evolutionären) Daseinszweck oder auch ‚Purpose‘ eine Organisation für die Welt und die Menschen biete (Laloux, 2014, 2016; Steffen & Schüller, 2017).
In der präskriptiven (Management-)Literatur wird Leitbildern unterstellt, dass sie den Organisationserfolg positiv beeinflussen würden (Belzer, 1998; Bleicher, 1994; Kühn, 1986). Diese eher hypothetische Annahme wird jedoch bisher ohne umfassende empirische Befunde getroffen. Bereits jetzt lässt sich die Aussage treffen, dass der Wirkungsgrad eines Leitbildes immer mit dessen Beschaffenheit zusammenhängt. Darüber hinaus ergeben sich im Folgenden unterschiedliche Anforderungen und Funktionszuschreibungen, je nachdem ob das Leitbild als Kampagne, Projekt oder Prozess verstanden wird.
3.1.1 Strategische Dimension
Mittlerweile hat fast jede Organisation ein Leitbild. Insbesondere präsentieren große, etablierte Firmen auf ihrer Internetplattform ihre Leitwerte und -ziele. Wenn Leitbilder kritisch als „Modeerscheinung“ (Ganz & Graf, 2009: 9) bezeichnet werden, liegt dem die Unterstellung zugrunde, dass lediglich einem Trend gefolgt werde und langfristige Veränderungen auf der operativen Ebene ausbleiben würden. Leitbilder und Organisationkultur werden dann als kurzfristige Kampagne oder als Projekt mit „Aktionscharakter“ (Ganz & Graf, 2009: 188) aufgesetzt und verlieren spätestens nach Abschluss ihre positiven Effekte, da eine nachhaltige Anbindung an organisationale Strukturen und Prozesse ausbleibt. Auf diese Art kann sich ein Leitbild kaum als wirksames Instrument der strategischen Führung von Organisationen entfalten. Welche Leitbild-Funktionen sich unter der strategischen Dimension subsummieren lassen, zeigt die Abbildung 3.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: Leitbildfunktionen der strategischen Dimension
Quelle: Eigene Darstellung
Der Auftrag eines Leitbildes soll nicht nur in der Gegenwart gelebt werden, sondern gleichermaßen in vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Situationen Gültigkeit beweisen (Ganz & Graf, 2009). Daher werden in Leitbildern Wünsche und präzise Handlungsideale nach außen und nach innen kommuniziert (Belzer, 1998). Die nach außen und innen vermittelnde Darstellung des angestrebten Selbstbildes einer Organisation soll in ihrer imagebildenden Funktion wirken (Bleicher, 1994). Wenig trennscharf und fließend sei der Übergang zwischen einer klar erkennbaren Organisationsidentität mit Marketingfunktion und der sogenannten Corporate Identity (Matje, 1996). „Leitwerte, die sich Organisationen als weithin sichtbare Manifestierungen auf die Fahnen und in Mitarbeiterbroschüren schreiben“ (Sagmeister, 2016: 10), würden allerdings häufig nicht mit dem übereinstimmen, was im Arbeitsalltag tatsächlich gelebt werde.
Wenn sich eine Organisation eine Daseinsberechtigung bzw. einen evolutionären Sinn zuschreibt, dann kann dies wiederum eine legitimierende Funktion für das Handeln im Organisationskontext haben (Laloux, 2014, 2016). In der Regel werden die Fragen nach dem „Wer sind wir?“, „Wohin wollen wir?“ und „Wie tun wir es?“ beantwortet (siehe Abbildung 2) und hiermit die Organisation, die Art des Handelns und die organisationalen Ziele beschrieben sowie nach innen und außen dargestellt. Dies hat zur Folge, dass ein erstes Verständnis von dem gewonnen wird, was eine Organisation macht (Graf et al., 2009). Wenn im Zusammenhang mit Leitbildern und gemeinsamen Zielen und Werten von „Einschwörung“ (Graf et al., 2009: 38) gesprochen wird, kann dies auf eine konsensbildende Funktion des Leitbildes hinweisen, sodass Entscheidungen auf der Grundlage eines gemeinsamen Wertekanons möglicherweise eindeutiger und schneller getroffen werden können. Bei Entscheidungskonflikten kann wiederum die Legitimationsfunktion des Leitbildes herangezogen werden.
Können sich die Kunden, Mitarbeiter*innen oder Lieferanten mit dem Nutzwert, Daseinszweck oder auch Purpose der Organisation so sehr identifizieren, dass sie
„die Produkte des jeweiligen Anbieters unbedingt besitzen, dessen Services nutzen oder mit ihm zusammenarbeiten möchte[n,] (…) [dann wollen sie] ein solches Ökosystem gern unterstützen, ein Teil dessen sein und mit Stolz darüber berichten.“ (Steffen & Schüller, 2017: 39)
Ein Purpose, der so wahrgenommen wird, könne daher auch die Attraktivität einer Organisation steigern. Darüber hinaus könne ein Leitbild das Wir-Gefühl stärken, das gerade für neue, leistungsfähige Arbeitskräfte attraktiv ist und das Commitment gegenüber der Organisation fördert (Graf et al., 2009).
3.1.2 Operative Dimension
Gemeinsame Werte und Normen können das Erreichen von organisationalen Zielsetzungen positiv beeinflussen. Als „zentraler Faktor von wirtschaftlichem Erfolg“ (Ganz & Graf, 2009: 188) seien daher Organisationskultur und gelebte Organisationswerte nicht zu unterschätzen. Organisationsinterne Zielvorstellungen und Werte können den Handlungsrahmen für alle die Organisation betreffenden Tätigkeiten bilden, sodass (i) Entscheidungen schneller getroffen (Bleicher, 1994; Kühn, 1986), (ii) Fehlentscheidungen weitestgehend verhindert (Grünig, 1988) und (iii) Komplexität reduziert werden kann (Belzer,1998; Kühn, 1986). Leitbild-Funktionen, die sich dem operativen Geschäft einer Organisation zuordnen lassen, werden in Abbildung 4 veranschaulicht.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 4: Leitbildfunktionen der operativen Dimension
Quelle: Eigene Darstellung
Aufgrund von zum Teil gegensätzlichen Anforderungen seitens der Anspruchsgruppen einer Organisation bedarf es eines geeigneten Instruments, um Interessen- und Zielkonflikte zu lösen. In einem Leitbild können Schwerpunkte hinsichtlich der Organisationsziele und -werte gesetzt werden, sodass ebenfalls von einer Integrations- bzw. Abgrenzungsfunktion in Bezug auf die vielfältigen Anspruchsgruppen einer Organisation gesprochen werden kann (Grünig, 1988; Matje, 1996) . Laut Bleicher (1994) und Belzer (1998) können Leitbilder auf Organisationsakteure zudem motivierend wirken. Während der Entwicklung eines Leitbildes und der anschließenden Implementierung können der Gruppenzusammenhalt, das Wir-Gefühl und die Identifikation der Organisationsmitglieder gestärkt werden, wodurch die Kohäsionsfunktion von Leitbildern charakterisiert wird (Graf et al., 2009).
3.1.3 Normative Dimension
Durch ihren normativen Handlungsrahmen wird Leitbildern eine Orientierungs- und Identifikationsfunktion unterstellt, sodass sie insbesondere in dynamischen Zeiten stabilisierend wirken (Bleicher, 1994; Belzer, 1998; Grünig, 1988). Leitbildfunktionen, die normativen Charakter haben, haben Einfluss auf unbewusste und sichtbare Kulturebenen einer Organisation, was die Abbildung 5 vereinfacht darstellt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 5: Leitbildfunktionen der normativen Dimension
Quelle: Eigene Darstellung
Eine beziehungsfördernde Funktion lässt sich ebenfalls der normativen Dimension zuordnen. Demzufolge verwundert es nicht, dass die Mehrheit der Organisationen ein Leitbild für sich beansprucht; denn es handelt sich um
„Gemeinschaften, die eine gemeinsame Orientierung für den Umgang miteinander und mit anderen brauchen. Leitbilder können bei der Orientierung helfen, geben Maßstäbe für das Handeln, können zwischen Gegenwart und Zukunft vermitteln und ermöglichen eine klare Position in einer von Flexibilität und Veränderung geprägten Welt.“ (Graf et al., 2009: 35)
Durch die gemeinsame Ausrichtung einer Organisation infolge einer Leitbildentwicklung können klare Stärken anerkannt werden, insbesondere wenn sich die Organisationskultur und die Organisation selbst wandeln (Martinetz & Freitag, 2009). Langfristig kann diese „Einschwörung“ Orientierung geben und Energie für zukünftige Herausforderungen freisetzen (Graf et al., 2009). Aus ihren Untersuchungsergebnissen im Zusammenhang mit Performanz-Leitbildern schlussfolgern Ganz und Graf (2009), dass ein gemeinsamer Bezugsrahmen bzw. das Leitbild als „Orientierungshilfe“ (Ganz & Graf, 2009: 17) für Organisationsakteure erfolgswirksam ist.
Hierbei lässt sich zwischen der Entwicklung von Beziehungsqualitäten innerhalb der Organisation und anderen Anspruchsgruppen unterscheiden. Die Wirkung und der Erfolg von Leitbildern sind also auch davon abhängig, ob es gelingt, eine „ausgewogene und krisensichere Balance zwischen den Interessen von Unternehmen, Kapitalgebern, Mitarbeitern und Kunden“ (Ganz & Graf, 2009: 189) sicherzustellen. Gemeinsame Werte und Ziele und der Entwurf eines zukunftsorientierten Selbstverständnisses der Organisation schaffen eine Organisationsidentität (Bleicher, 1994; Belzer, 1995; Brauchlin, 1984; Grünig, 1988), die gemäß den Forschungsergebnissen zu Performanz-Leitbildern zu überdurchschnittlichem Erfolg führen kann (Graf et al., 2009).
Pfriem (2011) kritisiert die introvertierte Ausgestaltung von Organisationsleitbildern, -philosophien und -kulturen. Obwohl der Organisation eine kulturelle Rolle und gesellschaftliche Verantwortung zugesprochen werde, fände dies in der Kommunikation der Selbstwahrnehmung und Selbstbeschreibung nur unzureichende Berücksichtigung. Daher sollten Leitbilder, im Bezug auf die verschiedenen Anspruchsgruppen einer Organisation, von der introvertierten in eine beziehungsfördernde Richtung umgestaltet werden. Denn nur darüber könne ein Abgleich „zwischen den (organisationalen) Identitätsvorstellungen (…) und jenen der heterogenen Außenwelt einigermaßen gelingen“ (Pfriem, 2011: 303).
Zettel (2009) unterstützt diese Ansicht und argumentiert, dass die Integration von sozialer Verantwortung, Corporate Social Responsibility, für Organisationen in der heutigen Zeit eine zentrale Rolle spielen wird. Ergänzend dazu braucht es Vertrauenskulturen und nachhaltige Konzepte für das Zusammenspiel aller Organisationsakteure, wofür Transparenz, Wertschätzung, Motivation und Partizipationsmöglichkeiten entscheidende Kriterien sind. Leitbilder können so in einer von Flexibilität und Veränderung geprägten Welt „eine klare Position“ (Ganz & Graf, 2009: 10) vermitteln, mit der sich Betrachter*innen identifizieren können.
3.2 Erweiterte Dimension: Transformationsfördernde Funktionen
Die nachfolgenden Leitbild-Funktionen finden ihre Nennungen ab der Jahrtausendwende. Es kann heute von einer „‘Renaissance‘ in der Beschäftigung mit Themen wie Werten, Kultur und Leitbildern“ (Graf et al., 2009: 35) gesprochen werden, da sich Führungskräfte diesen Themen in den letzten Jahren verstärkt widmen. Insbesondere die unter der erweiterten Dimension gefassten transformationsfördernden Funktionen von Leitbildern können bei der Bewältigung von Herausforderungen, die den Wandel der Arbeitswelt betreffen, hilfreich sein. Abbildung 6 zeigt, dass es einen Zusammenhang zwischen Veränderungsaufwand und einem zu erwartenden Wettbewerbsvorteil gibt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 6: Wettbewerbsvorsprung durch Kulturwandel
Quelle: Ganz & Graf (2007b)
Organisationskulturelle Veränderungen, die eine deutlich höhere Zeitspanne beanspruchen als Veränderungen auf Produktions- oder struktureller Ebene, bringen einen Wettbewerbsvorsprung von bis zu 20 Jahren. Erst durch eine längerfristige Perspektive kann sich im Leitbildentwicklungsprozess – bezogen auf die zu Beginn eingesetzten Ressourcen – ein Return on Investment einstellen. Ein besonderes Maß an Einsatzbereitschaft und Durchhaltevermögen ist daher für ein performatives Leitbild erforderlich. (Ganz & Graf, 2007b) Eine interessante Entwicklung hinsichtlich der Beschaffenheit von Leitbildern zeichnet sich aktuell ab: Während soziale Verantwortung in etablierten Organisationen zumeist in ein Leitbild integriert wurde, wird zukünftig das „‘Mission plus Geschäftsmodell‘ den alten Archetypen ‚Unternehmen mit sozialer Verantwortung‘“ (Steffen & Schüller, 2017: 37) ersetzen.
Gerade sehr junge Organisationen, die stetiges Wachstum zu verzeichnen haben, können speziell im Bereich Personalbeschaffung und -entwicklung von Leitbildern profitieren, insbesondere dann, wenn nach der Gründungsphase, die von einer gemeinsamen Grundüberzeugung geprägt ist, kontinuierlich mehr personelle und organisatorische Herausforderungen zu lösen sind. Das Leitbild kann für Führungskräfte und (potenzielle) Arbeitskräfte nicht nur als Maßstab für erforderliche Veränderungen fungieren, sondern darüber hinaus Führungsstrukturen und -kompetenzen schaffen und zur Passung zwischen Humanressourcen und Organisationkultur beitragen. (Memminger & Meiren, 2009)
Auch Ganz und Tombeil (2002) betonen, dass in zukünftigen Arbeitskontexten „die Übereinstimmung von Werten und Kultur (…) zu den entscheidenden Erwartungen hoch qualifizierter Fachkräfte an Arbeitgeber“ (Ganz & Tombeil, 2002, zit. nach Martinetz & Schmitt, 2007: 23) zählen werden. Abbildung 7 gibt die Leitbildfunktionen wider, die sich dem klassischen Leitbildverständnis entsagen und einer erweiterten Dimension zuzuordnen sind. Die Funktionen sind transformationsfördernd, da sie unbewusste Elemente der Organisation sichtbar machen, Grundüberzeugungen zu reflektieren versuchen und dadurch umfassende Veränderungen einleiten können.
[...]
1 International Business Machines Corporation: IT- und Beratungsunternehmen
2 Die Begriffe „New Work“ und „Neues Arbeiten“ werden in dieser Arbeit synonym verwendet
3 „Ästhetische Leitbildentwicklung“ kann als Neologismus bezeichnet werden und ist ein anhand dieser Arbeit hergeleiteter Transformationsansatz für New Work-Organisationen
4 (engl.) hiermit ist stets das Ausmaß der Identifikation einer Person mit einer Organisation gemeint
5 Ordnungsmuster der psychologischen Chaostheorie, die nicht vorausgesagt, aber bildlich dargestellt werden können
- Citar trabajo
- Leona Kremer (Autor), 2020, Ästhetische Leitbildentwicklung in Zeiten von New Work, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/509449
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