In dieser Arbeit wird schwerpunktmäßig untersucht, inwieweit der britische Spion und Schriftsteller Compton Mackenzie über seine Erfahrungen in der Schlacht bei Gallipoli eher einen Roman oder eine Autobiografie verfasst hat und ob er sich dabei eher als Agent oder Soldat sieht bzw. einem elitären Selbstbild anhängt. Dabei wird auch ein kurzer Vergleich zu Mackenzies bekanntem Agentenkollegen Thomas Edward Lawrence gezogen. Die Analyse soll auch Rückschlüsse darauf liefern, inwiefern „Gallipoli Memories“ als Jugendbuch gesehen und gelesen werden kann. Hierzu soll das Werk „Gallipoli Memories“ (und für Lawrence dessen Werk „The seven pillars of wisdom“) als Quelle dienen.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Grundlegendes zu Autor, Werk und Hintergrund
2.1 Der Autor: Compton Mackenzie
2.2 Der Hintergrund: Die Schlacht bei Gallipoli
2.3 Das Werk: „Gallipoli Memories“ – Roman oder Autobiografie?
3. Die Selbstdarstellung Mackenzies und seiner Tätigkeiten
3.1 Mackenzies Selbstbild zwischen Agent und Soldat
3.2 Ein berühmter Kollege: Der Vergleich mit T.E. Lawrence
4. Fazit: „Gallipoli Memories“ als Jugendbuch?
Quellenverzeichnis
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
„But I have finally come to the conclusion that my experiences […] will make a better novel if related as fact. I cannot invent a better story than what actually happened. I cannot imagine more richly tragical, comical and farcical characters than I actually met.”1
Mit diesen Worten aus der Einleitung zu „Gallipoli Memories“ hinterlässt dessen Autor Compton Mackenzie einen durchaus ambivalenten Eindruck auf den Leser. Einerseits schreibt er, er werde eine „Novel“, also einen Roman, veröffentlichen. Andererseits verspricht er im angeführten Zitat eine faktengetreue Auseinandersetzung mit den Ereignissen um die Schlacht von Gallipoli. Doch müssen ein vermeintlich fiktionaler Roman und eine vermeintlich faktengerechte Autobiografie überhaupt widersprüchliche Literaturgattungen sein? An diese eher literaturwissenschaftliche Frage schließt sich eine geschichtswissenschaftliche an, nämlich die nach der Vereinbarkeit von Mackenzies Selbstdarstellung als Spion und Agent mit den historischen Realitäten. Schließlich war die Schlacht von Gallipoli eine der verlustreichsten Schlachten des 1. Weltkrieges und stand in Kategorien wie menschlichem Leid, Brutalität und militärischer Sinnlosigkeit den meisten Schlachten der Westfront in nichts nach (siehe Kap. 2.2). Ob ein einzelner Agent des britischen Geheimdienstes überhaupt einen entscheidenden Einfluss auf den Verlauf einer Schlacht mit hundertausenden Kombattanten nehmen konnte und ob sein Verhältnis zur lokalen Führung der alliierten Truppen gut genug war, strategische Entscheidungen zu beeinflussen, wird sich nur schwer klären lassen, da viele andere Faktoren ebenfalls eine Rolle spielten. Sicher ist hingegen, dass wir aus seinem Werk Erkenntnisse über seine Ansichten sowie seine Meinung zu der Operation auf Gallipoli gewinnen können.
In dieser Arbeit wird daher schwerpunktmäßig untersucht, inwieweit Mackenzie einen Roman oder eine Autobiografie verfasst hat und ob er sich eher als Agent oder Soldat sieht bzw. einem elitären Selbstbild anhängt. Dabei wird auch ein kurzer Vergleich zu Mackenzies bekanntem Agentenkollegen Thomas Edward Lawrence gezogen. Die Analyse soll auch Rückschlüsse darauf liefern, inwiefern „Gallipoli Memories“ als Jugendbuch gesehen werden kann. Hierzu soll das Werk „Gallipoli Memories“ (und für Lawrence dessen Werk „The seven pillars of wisdom“) als Quelle dienen. Der Forschungsstand zum Jugendbuch des 1. Weltkrieges sowie zur Rolle der Geheimdienste bietet eine reichhaltige Auswahl an Artikeln und Monografien, welche für die Analyse sehr hilfreich sind.
2. Grundlegendes zu Autor, Werk und Hintergrund
2.1 Der Autor: Compton Mackenzie
Edward Montague Compton Mackenzie wurde am 17.1.1883 in West Hartlepool in England geboren. Nach seinem Studium der Anglistik und Literaturwissenschaft in Oxford wurde er Schriftsteller und verfasste erste Romane. Ab 1914 wurde er Soldat in der britischen Armee. Sein Dienst führte ihn im Range eines Captains (Hauptmann) im Jahr 1915 nach Gallipoli, wo er für den britischen Nachrichtendienst MI6 spionierte. Später wurde er Chef der Spionageabwehr im östlichen Mittelmeer und füllte diesen Posten bis 1918 aus. Nachdem er 1933 wegen Geheimnisverrates in seinen autobiografischen Werken verurteilt wurde, siedelte er nach Edinburgh über und engagierte sich für die schottische Unabhängigkeit. Trotzdem wurde er 1952 geadelt. Mackenzie verstarb am 30.11.1972 in Edinburgh.2 Seine Tätigkeit als Akademiker und Schriftsteller beim Geheimdienst war für die frühe Phase des erst 1909 gegründeten MI6 (Military Intelligence Nr. 6) typisch, da neben ihm auch andere prominente Autoren für den Nachrichtendienst arbeiteten, so u.a. John Buchan und Paul Dukes. Unter seinen ersten beiden Direktoren Sir Mansfield Cumming (1909-1923) und Sir Hugh Sinclair (1923-1939) schaffte es der MI6, sich einen Ruf als einer der effizientesten Geheimdienste der Welt zu erarbeiten.3
2.2 Der Hintergrund: Die Schlacht bei Gallipoli
Nach Ausbruch des 1. Weltkrieges 1914 und ersten Schlachten an der Westfront in Belgien erstarrte die Front fast überall in Schützengräben und uneinnehmbaren Stellungen. Maschinengewehre, Artillerie und Flugzeuge prägten das Bild dieses neuen, industrielleren Krieges. Da weder die britisch-französisch-belgische Armee noch die deutschen Truppen den Durchbruch im Westen schafften, sah sich die britische Führung genötigt, an anderen Fronten die Offensive zu suchen.4 Um einen Flankenangriff auf die Mittelächte Deutsches Reich und Österreich-Ungarn zu ermöglichen und um das Osmanische Reich aus der Allianz mit ihnen herauszulösen, griffen britische, französische, australische und neuseeländische Truppen ab Februar 1915 die Halbinsel Gallipoli bei den Dardanellen südlich von Istanbul an. Ziel war es, Die Insel zu erobern und die osmanische Flotte zu vernichten.5 Dann sollte ein Angriff auf Istanbul die kriegsentscheidende Wende bringen. Nach heftigen Angriffen britischer Schiffsartillerie gingen am 25.4.1915 alliierte Truppen an Land. Es folgten mehrmonatige schwere Kämpfe mit hohen Verlusten auf beiden Seiten. Die unterschätzte Kampfkraft der Osmanen soll ebenso dazu beigetragen haben wie Mangel an Granaten und Ausrüstung auf Seiten der Alliierten. Insgesamt wurden bis Ende der Schlacht im Januar 1916 250.000 Osmanen getötet oder verwundet, die Alliierten verloren 150.000 Soldaten.6
2.3 Das Werk: „Gallipoli Memories“ – Roman oder Autobiografie?
Die Erstausgabe von „Gallipoli Memories“ erschien 1929. Sie enthält eine Widmung an Orlo Williams, laut Aussage Mackenzies ein Kollege aus dem Nachrichtendienst,7 welcher das Buch ursprünglich begonnen haben soll. In dem Buch verarbeitet Mackenzie seine Erlebnisse vor und während der Schlacht bei Gallipoli. Es beginnt mit der Abreise aus Großbritannien und endet mit der Reise zu seiner neuen Arbeitsstelle in Athen. Die aufgeworfene Frage, ob Mackenzie eher einen Roman oder eine Autobiografie verfasst hat, soll im Folgenden erörtert werden.
Wesentliches Merkmal von Romanen ist die Möglichkeit zur (theoretisch unbegrenzten) Fiktionalität. Ein Roman kann diverse Erzählformen annehmen, multiperspektivisch arbeiten und die Innensichten mehrerer Protagonisten etwa durch innere Monologe oder Gedankenberichte erfassen.8 Multiperspektivität wiederum gilt als ein wichtiger Begriff in der Geschichtskultur, da sie Perspektivwechsel und damit Raum für Deutungen historischer Ereignisse durch andere Parteien ermöglicht.9 Ein weiteres Merkmal des Romans als Gattung ist die Möglichkeit, größere zeitliche Distanzen zum historischen Ereignis einnehmen zu können10 – theoretisch kann also ein im 21. Jhd. lebender Mensch einen Roman schreiben, der im Mittelalter spielt. Interessant ist, dass die meisten Romane, die den ersten Weltkrieg zum Thema haben, erst rund zehn Jahre später in den späten 1920er Jahren erschienen sind. Da der Krieg für viele Teilnehmer sowohl Angelegenheit der britischen Nation insgesamt wie auch des eigenen individuellen sozialen Milieus war, entstand laut Korte eine „Erinnerungskonkurrenz, die eine[m] […] Mythos zunächst entgegenwirkte.“11. Diverse Sichten auf den Krieg kamen zum Vorschein und traten miteinander in einen Kampf um die Deutungshoheit über den Krieg. Als Hauptursache für die verzögerte Debatte gilt die schlechte ökonomische Lage in Großbritannien nach dem Krieg, die es breiten Bevölkerungsschichten schlicht nicht ermöglichte, sich Bücher zu kaufen.12 Für das hier behandelte Themengebiet ist zudem die Unterkategorie des „Spionageromans“ wichtig. Eine einheitliche Definition von Spionageromanen gibt es nicht, auch wenn der Spionageroman meist als gegenüber Kriminal- und Detektivromanen abgegrenzte Subgattung gilt.13 Die von Jost Hindersmann bewusst schlicht aufgestellte Definition, wonach „Ein Spionageroman […] ein Roman [ist], der von Spionage handelt“14, möchte ich daher für diese Arbeit gerne übernehmen.
Die zweite mögliche Literaturgattung ist die Autobiografie. Anders als der Roman ist die Autobiografie wesentlich stärker an die tatsächlichen Fakten gebunden, ihr Spielraum bei fiktionalen Einschüben hält sich in Grenzen. In einer Autobiografie verortet sich der Autor in den historischen Gegebenheiten und erläutert seine persönliche Rolle und seine Sicht auf die Ereignisse. Einer Autobiografie kommt dabei eine Doppelrolle zu, erstens die des individuellen Erinnerns und zweitens die des Beitragens zum kollektiven Gedächtnis.15 Wichtig ist hierbei, dass anders als etwa bei einem Tagebuch, bei dem Erleben und Aufzeichnen nahezu zeitgleich erfolgen, eine Autobiografie stets eine Form der Erinnerung an Vergangenes ist.16
Ebenso wenig wie Mackenzie im eingangs aufgeführten Zitat eine scharfe Abgrenzung zwischen beiden Gattungen vornimmt, lässt sich allgemein eine strikte Trennung feststellen. Dies liegt vor allem an den möglichen Erinnerungslücken, die sich bei Verfassern autobiografischer Texte einschleichen, sowie an bewussten Auslassungen. Letztlich ist daher entscheidend, dass das Prinzip der Wahrhaftigkeit, also die ehrliche Auseinandersetzung des Autors mit der Vergangenheit nach bestem Wissen und Gewissen, an die Stelle der (unerreichbaren) „reinen“ Wahrheit tritt und der Leser ihm diese Wahrhaftigkeit zubilligt.17 Mackenzie selbst schreibt in der Einleitung, er habe zwar kein Tagebuch geführt, werde aber versuchen, ehrlich seine Erlebnisse wiederzugeben. Zugleich bittet er die Leser um Verzeihung für mögliche Lücken sowie seine absichtliche Umbenennung einiger Personen des öffentlichen Lebens.18 Das Werk Compton Mackenzies kann man dementsprechend als Mischform mit stärkeren autobiografischen Anteilen einordnen.
3. Die Selbstdarstellung Mackenzies und seiner Tätigkeiten
3.1 Mackenzies Selbstbild zwischen Agent und Soldat
Im Folgenden soll nun das Selbstbild Mackenzies, welches er in seinem Werk „Gallipoli Memories“ von sich zeichnet, analysiert werden. Ich möchte diese Analyse in drei (sich teilweise überschneidende) Bereiche einteilen: Erstens, die äußeren Umstände, die Selbstdefinition als Soldat oder Agent sowie die „Lebensqualität“ während seines Einsatzes auf Gallipoli. Zweitens, Mackenzies Verhalten in kritischen Kampfsituationen sowie seine Tätigkeiten im Bereich Spionage. Drittens, seine Beurteilung der strategischen Lage und – sobald sich die Niederlage abzeichnete – seiner Schuldzuweisungen sowie die Beurteilung seiner Rolle während der Schlacht.
[...]
1 Mackenzie, Compton: Gallipoli Memories, London u.a. 1929, S. x.
2 Roener, Helmut / Schäfer, Stefan / Uhl, Matthias: Edward Mackenzie, in: Lexikon der Geheimdienste im 21. Jhd., München 2003, S. 278f.
3 Dies.: MI 6, in: Lexikon der Geheimdienste im 21. Jhd., München 2003, S. 297.
4 Brüggemeier, Franz-Josef: Geschichte Großbritanniens im 20. Jhd., München 2010, S. 109f.
5 Clayton, Gerald: Britain and the eastern question: Missolonghi to Gallipoli, London u.a. 1971, S. 222f.
6 Brüggemeier 2010, S. 111.
7 Mackenzie 1929, S. 46.
8 Korte, Barbara: Erinnerungsdiskurs im Roman, in: Barbara Korte / Ralf Schneider / Claudia Sternberg (Hg.): Der erste Weltkrieg und die Mediendiskurse der Erinnerung in Großbritannien, Würzburg 2005, S. 145.
9 Lücke, Martin: Multiperspektivität, Kontroversität, Pluralität, in: Michele Barricelli / Martin Lücke (Hg.): Handbuch Praxis des Geschichtsunterrichts (Bd. 1), Schwalbach/Ts. 2012, S. 282f.
10 Korte 2005, S. 146.
11 Ebd., S. 156.
12 Ebd., S. 157.
13 Hindersmann, Jost: Der britische Spionageroman. Vom Imperialismus bis zum Ende des Kalten Krieges, Darmstadt 1995, S. 2f.
14 Ebd., S. 4.
15 Schneider, Ralf: Der Erinnerungsdiskurs in der Autobiografie, in: Barbara Korte / Ralf Schneider / Claudia Sternberg (Hg.): Der erste Weltkrieg und die Mediendiskurse der Erinnerung in Großbritannien, Würzburg 2005, S. 40f.
16 Ebd., S. 33.
17 Ebd., S. 42f.
18 Mackenzie 1929, S. ix
- Citation du texte
- Dr. Henning Kulbarsch (Auteur), 2013, Britische Spione des 1. Weltkrieges und ihr elitäres Selbstbild, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/508811
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