Diese Arbeit setzt es sich zum Ziel, die Figuren Adam und Eva, wie sie am Genter Altar des Jan van Eyck dargestellt sind, zum einen einer historischen Einordnung zu unterziehen und sie - Susan Sontag zum Trotz1zu interpretieren. Hinsichtlich der Frage nach der Funktion des unbekleideten Körpers in der Kunst des Mittelalters wird die spezifische Darstellung des weiblichen und des männlichen Körpers im Altarbild in Gent betrachtet. Darüber hinaus wird die Wirkung der Altarbilder bis in unsere Gegenwart hinein verfolgt und Analogien in der Präsentation des nackten Körpers aufgezeigt.
Inhalt
Formalia
1.Vorwort
2. Die Vorläufer des Genter Altars
2.1. Die Bernwardtür zu Hildesheim
2.2. Die Eva von Autun
3. Die Geschichte und Motivik des Genter Altars
3.1. Entstehungsgeschichte
3.2. Die Motive des Altars in ihrer Wechselwirkung
3.2.1. Vorderseite: Wochentagsansicht
3.2.2. Innenseite: Feiertagsansicht
4. Die Darstellung von Adam und Eva
4.1. Eva
4.2. Adam
5. Die Nachfahren des Genter Altars
5.1. Hans Memling: Marien- und Johannesaltar
5.2. Die schwangere "Eva" von Gunther von Hagens
6. Abschlußbemerkung
Anhang
I. Kommentar
II. Bibliographie
III. Bildmaterial
Formalia
Ich halte mich an die sogenannte „alte Rechtschreibung“, wie sie seit August 2000 auch von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung wieder praktiziert wird. Bei der Schreibung der niederländischen Namen halte ich mich an die dortige Konvention, die es erlaubt "ij" als "y" zu verkürzen; so steht "Vyd" statt "Vijd". Was den Gebrauch männlicher und weiblicher Formen anbelangt, so unterscheide ich im Singular, spreche also beispielsweise von der Kritikerin und dem Kritiker. Die weibliche Form im Plural verwende ich dann, wenn ausschließlich weibliche Rezipienten oder ähnliches gemeint sind, also Betrachterinnen oder Leserinnen. Geht es um Frauen und Männer, spreche ich von Betrachtern oder Lesern und meine damit ausdrücklich beide Geschlechter. Die im Text vorkommenden Auto- ren zitiere ich zumindest bei der ersten Nennung mit Vor- und Zunamen, um zu verhindern, daß mit dem Nachnamen „automatisch“ ein männlicher Autor in Ver- bindung gebracht wird.
Innerhalb der Zitate wird die Schreibung der Quelle übernommen und dortige Zita- te ebenso kenntlich gemacht wie in der Vorlage, sowie sie keine Kryptozitate dar- stellen (tritt dieser Fall ein und wird von mir erkannt, werde ich Kenntlichmachung und Beleg ergänzen). Etwaige Fehler der Vorlage werden mit "[sic!]" gekenn- zeichnet.
Die zitierte Literatur wird in der Form: [Verfasser Jahr, Seite] angegeben und ist in der Bibliographie unter diesem Kürzel zu finden. Eine Ausnahme mache ich bei Zitaten aus der Bibel, denen die deutsche Einheitsübersetzung zugrunde liegt, hier steht: [Buch, Kapitel, Versnummern]. Dieses Verfahren ist allgemein üblich und erscheint angesichts der Fülle an verschiedenen Bibelausgaben als sinnvoll.
1.Vorwort
Diese Arbeit setzt es sich zum Ziel, die Figuren Adam und Eva [vgl. Abb. 3 und Abb.4], wie sie am Genter Altar des Jan van Eyck dargestellt sind, zum einen einer historischen Einordnung zu unterziehen und sie - Susan Sontag zum Trotz[1] - zu interpretieren. Hinsichtlich der Frage nach der Funktion des unbekleideten Körpers in der Kunst des Mittelalters wird die spezifische Darstellung des weiblichen und des männlichen Körpers im Altarbild in Gent betrachtet.
Darüber hinaus wird die Wirkung der Altarbilder bis in unsere Gegenwart hinein verfolgt und Analogien in der Präsentation des nackten Körpers aufgezeigt.
2. Die Vorläufer des Genter Altars
In einer Arbeit über die Darstellungen Evas und Adams in der bildenden Kunst, könnte man sicherlich einen Einstieg wählen, der einen Beginn sucht in den Um- deutungen, welche die Darstellungen antiker Gottheiten im Zuge der Christianisie- rung Europas erfahren haben. Ich möchte aber, um nicht in die Gefahr zu geraten, eine kunsthistorische Genealogie zu verfassen, die erst rückblickend eine Kontinu- ität der Darstellungen vorgeben kann, erste Vorbilder in nicht so großem zeitlichen Abstand zur Fertigstellung des Genter Altars suchen und mit den Beschreibungen erst im Mittelalter einsetzen. Ich wähle diesen Weg auch, da wir davon ausgehen können, daß zur Entstehungszeit des Altars Bildinformationen nicht in der flächen- deckenden Fülle zur Verfügung standen, wie neuzeitliche Kommunikations- und Reproduktionsverfahren sie uns bieten.
Das erste in diesem Zusammenhang beschriebene Bildwerk ist die Bernwardtür am Dom von Hildesheim.
2.1. Die Bernwardtür zu Hildesheim
In acht Tafeln auf der linken Seite der 1015 im Auftrag des Bischofs Bernward fertiggestellten Bronzetür, wird in absteigender Lesrichtung (die Geschichte des ersten Menschenpaares von der Erschaffung bis zum Brudermord Kains an Abel in einer Bildergeschichte erzählt.
Diejenigen der Bernwardtür sind insofern nicht mit den Genter Darstellungen vergleichbar, weil wir es hier mit einer Bildfolge zu tun haben, während in Gent nur jeweils ein einzelnes Bild von Adam und Eva gegeben ist.
Da wir aber in Hildesheim eines der wenigen mittelalterlichen Beispiele vorfinden, auf denen Adam und Eva in [Frau Tammen präferiert "vor" oder "auf der Schwelle zu", allerdings ist das Bildwerk heute nur aus dem Kirchenschiff zugänglich] einem Sakralbau dargestellt werden, dennoch eine kurze Beschreibung des Werkes: Der geringen Größe der querformatigen Bildtafeln (Höhe etwa 37cm) ist die recht einfache Ausführung der Figuren geschuldet. An den Körpern fehlen differenzierte Merkmale zur Unterscheidung der Geschlechter weitestgehend: Der Körpertypus aller Figuren bleibt sich gleich, lediglich durch Haartracht und das Ansetzen eines Busens, ist Eva von den übrigen männlichen Figuren zu unterscheiden. Zur bes- seren Erkennbarkeit sind die Köpfe der Dargestellten überproportional zu ihren Körpern angelegt. Jegliches Zeichen einer Individualisierung der Figuren fehlt, sie erklären sich lediglich in ihrem Bezug zueinander und durch ihre Umgebung. Die Körpergröße und Haltung der Figuren dient zur Unterscheidung ihres Status in- nerhalb einer Hierarchie: Auf der Vertreibungstafel [Abb. 1] überragt der Erzengel Adam und die sich gebückt haltende Eva, die wiederum von Adam überragt wird. Die niedrigste Rangstellung in dieser Abfolge nimmt die am Boden liegende Schlange ein.
2.2. Die Eva von Autun
Das Fries aus dem Nordgiebel der zerstörten Kathedrale St. Lazare zu Autun [Abb. 2], welches sich heute im Musée Rolin befindet, zeigt eine liegende Eva- Figur, die im Begriff ist, eben den Apfel zu pflücken . Das Bildnis wird Gislebertus von Autun zugeschrieben und ist etwa um 1130 entstanden. Entdeckt wurde es erst 1856. Die zugehörige Adams-Figur, auf welche Eva vermutlich blickte, ist nicht erhalten.
Da die Bildwerke nicht ausschließlich zur Zierde der Kirchen angebracht wurden, sondern auch, um die religiöse Bildung der Bevölkerung zu unterstützen, die meis- tenteils nicht alphabetisiert war, wurden von den Bildhauern bestimmte wiederkeh- rende Attribute eingesetzt, welche die Identifizierung der biblischen Personen zu- lassen. Bei der Eva von Autun finden wir alle Eva-Attribute versammelt: Die Figur ist unbekleidet (wenn auch ein Bäumchen ihre Scham verdeckt), sie pflückt den Apfel und ist in Begleitung der Schlange (dem Symbol des Bösen) dargestellt.
Nacktheit, Apfel und Schlange machen die Identifizierung der Abgebildeten als Eva möglich.
Daß Eva in diesem Falle als Liegefigur (wir sehen eine Mischform aus liegender und kniender Haltung) dargestellt wird, ist der Größe des Frieses geschuldet, die keine Darstellung in aufrechter Haltung ermöglicht hat.
Es ist auffällig, daß die Windungen des Schlangenkörpers sich sowohl in der Wuchsform der Bäume als auch im Leib von Eva spiegeln. Der weibliche Körper als eine "biegsame Rute" ermöglicht verschiedene Assoziationen: Zum einen wird in der Formbarkeit des Körpers die Einflußnahme der Schlange auf Eva deutlich, die mit den Worten "Nein, ihr werdet nicht sterben. Gott weiß vielmehr: Sobald ihr davon esst, gehen euch die Augen auf; ihr werdet wie Gott und erkennt Gut und Böse." [Gen. Kapitel 3, 4-5] verführt wurde. Entsprechend dieser Verführung biegt nun die Schlange in Autun Eva den Zweig mit den Äpfeln in die Hand. Diese Geste - die ja mit dem Sprechwerkzeug ausgeführt wird - ersetzt in dem stum- men Bild die Verführung durch das Wort.
Die Biegsamkeit des Körpers läßt aber auch weitergehend auf Passivität und da- mit auch auf den domestizierten Körper der Frau schließen. Immerhin ist die Schlange ein phallisches Tier[2] und damit ein Symbol für männliche Macht über den weiblichen Körper, somit entsteht (auf einer zweiten Ebene) der erotisch ver- fügbare Frauenkörper.
Der Anschein der Passivität Evas wird noch zusätzlich gestärkt durch ihr Wegbli- cken von ihrer eigenen Handlung. Sie konzentriert sich nicht auf den Apfel, son- dern auf Adam, ihr Gegenüber. Dabei bedeutet ihre Handhaltung (die an die Lip- pen gelegten Finger) wiederum zweierlei: sie verweist zum einen auf den lieben- den Kuß, gleichzeitig ist sie aber auch die Geste des Denkens oder Zweifelns, in dieser Bedeutung nimmt die Geste bereits die im Sündenfall erlangte Erkenntnis vorweg, auch wenn eine Einzelszene aus der biblischen Erzählung illustriert wird. Im Zusammenwirken der einzelnen Bildelemente entsteht eine eindeutige Aussa- ge: Eva trägt zwar die Mitschuld am Sündenfall, aber - und hier ist das Bild ein- deutig - Initiatorin und ausführende Kraft ist die Schlange.
Auf die Fragen der bildimmanenten Verhandlung der Schuldfrage und der im Bild dargestellten Zeit, werden wir im Kapitel über Eva und Adam am Genter Altar nochmals zurückkommen.
3. Die Geschichte und Motivik des Genter Altars
Der Genter Altar zählt sicherlich zu den größten Attraktionen, welche die Stadt ihren Besuchern zu bieten hat. Seit dem Mittelalter hat das Bild das Interesse von Malern und Reisenden auf sich gezogen und wurde in der Moderne nicht nur zum beliebten Forschungsgegenstand einiger Generationen von Kunsthistorikern, son- dern fand auch - lange vor Dan Brown[3] - Eingang in die Literatur, aber dazu spä- ter mehr.
3.1. Entstehungsgeschichte
Wie auch in Hildesheim (und wohl bei den meisten Kunstwerken in Sakralbauten) der Fall, ist der Genter Altar als Auftragsarbeit entstanden. Der Stifter Jodocus Vyd sowie seine Frau Isabella Borluut sind auf der Vorderseite (der Wochentags- ansicht) des Altars portraitiert. Ausgeführt wurde der Auftrag zunächst von Hubert van Eyck, nach dessen Tod übernahm sein Bruder Jan die Fertigstellung. Die Frage der Urheberschaft der einzelnen Teile des Altars hat die Kunstgeschichts- forschung über lange Zeit beschäftigt: Man versuchte die Hände anhand anderer überlieferter Bilder zu unterscheiden, wobei die realistischeren Teile der Darstel- lung meist Jan zugeordnet wurden. Die meisten der genutzten Kriterien waren je- doch rein spekulativ. Erst eine Laboruntersuchung des Altars in Brüssel 1989, die mit einer Restaurierung einherging, bei der versucht wurde, den Originalzustand vor den Übermalungen durch frühere Restauratoren wiederherzustellen, brachte ein komplexeres Ergebnis: " Ein Quadratzentimeter Malerei kann das geistige Eigentum mehrerer Künstler sein." [Pächt 1989, S. 120]
Allerdings belegte die Untersuchung auch, was bisher vermutet worden war, nämlich, daß Jan allein der Schöpfer der Adam und Eva-Tafeln ist. Widerlegt wurde die These, Jan habe aus den in Huberts Atelier vorgefundenen Teilen mehrerer Altäre einen einzigen Superaltar zusammengestellt.
3.2. Die Motive des Altars in ihrer Wechselwirkung
Obwohl der Genter Altar dem Betrachter den Eindruck vermittelt, aus nicht immer thematisch zusammengehörigen Bildern aufgebaut zu sein, läßt sich doch eine Richtung der Aussage festhalten, wenn man betrachtet, aus welchen Themenkrei- sen die gewählten Motive stammen. Da fast jedem Bild eine ergänzende Unter- schrift oder ein Schriftband zugehört, wird die Schrift als Bildbestandteil berück- sichtigt werden.
3.2.1. Vorderseite: Wochentagsansicht
Hauptbild der vorderen Seite ist die in seiner Mittelreihe befindliche Darstellung der Verkündigung Marias durch den Erzengel Gabriel. In der Szene ist dabei nicht das biblische Nazareth als Handlungsort gewählt, sondern eine zeitgenössische Ansicht von Gent.
Gerahmt wird die Darstellung der Verkündigung oben durch die Bilder symboli- scher Figuren; von links nach rechts finden wir dort: Den Propheten Zacharia, der in der Tracht burgundischer Adliger der Zeit dargestellt ist; die Sybille von E- rythreia in einer weißen Hebammentracht; Sybille von Cumae in grüner Kleidung und den Prophet Michael, ebenfalls in der Tracht burgundischer Adliger. Dabei beziehen
"Die Beischriften der in der obersten Reihe in Nischen angeordneten Propheten und Sybil- len [...] sich alle auf das Erscheinen des Messias. In der oberen Hälfte ist also der Beginn der Erlösung, deren Preis die Innenansicht gewidmet ist, dargestellt." [Baldass 1952, S. 31]
Darüber hinaus bedeutet die Kleidung der erythreischen Sybille unbefleckte Emp- fängnis oder allgemein Reinheit und diejenige der cumaeischen Sybille gute Hoff- nung auf Schwangerschaft. Auch die beiden Handhaltungen - ausgestreckter Zei- gefinger im Schoß der erythreischen und eine auf dem gewölbten (schwangeren) Bauch der cumaeischen Sybille liegende Hand - beziehen sich auf die unter ihnen vorgehende Verkündigung, auf die der Prophet Michael herunterzublicken scheint. In der unteren Reihe der Vorderseite finden sich die Gegenwart der Entstehung des Altars in den Stifterbildern von Jodocus Vyd und Isabella Borluut. Von diesen gerahmt werden die Grisaillen Johannes des Täufers (Mitte links) und Johannes des Evangelisten. Ersterer war bis 1559 der Titularheilige der Kirche und ist Pat- ron der Stadt Gent, der zweite ist der Namenspatron des Stifters.
So finden wir also auf der Vorderseite zwei Themenkreise: die Gegenwart der Altarentstehung und die Vorgeschichte des Hauptthemas der Innenseite.
3.2.2. Innenseite: Feiertagsansicht
Das zentrale Motiv der Innenansicht bildet die "Anbetung des Lamm Gottes" in der unteren Bildmitte. Die fünf Tafeln der unteren Reihe bilden thematisch und per- spektivisch eine Einheit. In der Mitte des Bildes befindet sich das Lamm Gottes auf einem Altar, welches sein Blut in einen Kelch vergießt. Da das Lamm als Protago- nist des Bildes einem späteren Restaurateur als zu klein erschien, hatte er es ver- größert. Bei der nicht vollendeten Restaurierung in Brüssel, die auf Drängen der Genter Stadtverwaltung, welche den Altar wieder aufstellen wollte, abgebrochen wurde, waren lediglich die Ohren des von van Eyck gemalten Schafes freigelegt worden, weshalb heute in Gent ein Schaf mit vier Ohren zu sehen ist. Auf den äu- ßeren Tafeln sind die Ströme von Pilgern zu sehen, welche dem Lamm zustreben. Lediglich eine der Tafeln, die äußerste linke mit dem Titel "Die gerechten Richter", ist nicht mehr im Original erhalten, da sie 1934 gestohlen wurde. Sie waren bis heute realiter nicht aufzufinden, sind dafür aber in Albert Camus' "La Chute" / "Der Fall" zu entdecken:
"Wenn Sie die Zeitung läsen, müßten Sie sich an den 1943 [sic!] in Gent begangenen Diebstahl erinnern, als aus der Kathedrale St. Bavo eine Tafel des Agnus Dei, des berühm- ten Altarbildes von van Eyck, entwendet wurde. Diese Tafel hieß Die unbestechlichen Richter und stellte Richter dar, die sich zu Pferd aufgemacht haben, um das heilige Tier anzubeten. Man hat sie durch eine ausgezeichnete Kopie ersetzt, denn das Original blieb unauffindbar. Nun, hier ist es." (Camus 1968, S. 106-107)
In der oberen Reihe der Innenansicht finden wir drei Szenen auf insgesamt sieben Tafeln dargestellt. In der Mitte Gottvater auf seinem himmlischen Thron, der die Hoheitsinsignie des Papstes (die Tiara) trägt und zu dessen Füßen die weltliche Kaiserkrone liegt. Links von ihm sitzt Maria mit der Lilienkrone, in einer Bibel le- send. Rechts ist Johannes der Täufer mit einem für ihn ungewöhnlichen, da reich- verzierten Mantel über der Kamelhaarkutte abgebildet. Ihm ist der Vers "Tröstet, tröstet mein Volk" [Jesaja 40, 1] zugeordnet. Diese innere Gruppe, die eine Dëesis darstellen kann, aber nicht notwendig darstellen muß (vergleiche die unorthodoxe Darstellung des Bußpredigers Johannes) wird von zwei Tafeln mit musizierenden Engeln gerahmt. Auf den äußersten Tafeln der oberen Reihe schließlich werden - ein Novum des Altars - rechts Adam und links Eva gezeigt:
"Als bittere Selbstanklage der Menschheit waren die nackten Protoplasten schon längst als Gewändestatuen ein vertrauter Anblick der Besucher gotischer Kathedralen. Sie im Innern, am Altar selbst zu finden, war wohl ein Novum." [Pächt 1989, S. 135]
4. Die Darstellung von Adam und Eva
Bei den Bildnissen von Eva und Adam [Abb. 3 und Abb. 4] handelt es sich um zwei Tafelmalereien, ausgeführt in Ölfarbe. Beide sind umgeben von Rundni- schen, die gerade genug Raum für ihre Körper zu bieten scheinen: " Adam und Eva nehmen nur sehr schmale, hohe Tafeln ein. Sie sind in je einer Nische ste- hend gemalt, die so schmal ist, daß Adam und Eva nur in einem Winkel von 45 Grad darin Platz finden. Dadurch wenden sie sich jeweils halb einander zu."
[Dohmann 1964, S. 24]
In der Verwendung der Nischen bleibt die Verwandtschaft der beiden zu den bis- her üblichen Gewändestatuen bestehen; August Schmarsow geht noch von der These aus, "daß auch die Statuen des ersten Elternpaares ursprünglich als solche grau in grau gemalte Steinbildwerke beabsichtigt waren." [Schmarsow 1924, S. 28]
Die helle Farbe ihrer Körper setzt sich gegen den dunklen Hintergrund der Ni- schen ab. Dabei wurde auf die Richtung des natürlichen Lichteinfalls am Aufstellungsort des Altars in St. Bavo Rücksicht genommen.
Die beiden Figuren sind etwas überlebensgroß (ihre Körpergröße bildet die Mitte zwischen der Größe der Dëesis-Figuren und den Engeln) und in Untersicht darge- stellt, die Rücksicht auf den niedrigen Betrachterstandpunkt nimmt. Die Bilder sind stark individualisiert und sehr realistisch. Es wird vermutet, daß Eyck hier nach Modellen gearbeitet hat, das läßt vor allem die Pigmentierung der Haut anneh- men:
" Evas Hautfarbe ist am ganzen Körper einheitlich, bei Adam sind Gesicht und Hände stärker sonnengebräunt als der ganze Körper. Im paradiesischen Zustand der Kleiderlosigkeit wäre ein solcher Unterschied nicht denkbar, doch bei kleidertragenden Modellen, die sich nur für den Maler entkleiden, selbstverständlich." [Végh 1978, S. 13]
Über ihnen in den Zwickeln der Nischen [Abb. 5] sind zwei konkrete Szenen aus der Geschichte des Sündenfalls dargestellt: Über Adams Kopf rechts finden wir eine Grisaille vom Opfer Kains und Abels, welches der Auslöser für den links über Eva dargestellten biblischen Brudermord (der wiederum den Kreuztod Christi anti- zipiert) ist:
"Nach einiger Zeit brachte Kain dem Herrn ein Opfer von den Früchten des Feldes dar; auch Abel brachte eines dar von den Erstlingen seiner Herde und von ihrem Fett. Der Herr schaute auf Abel und sein Opfer, aber auf Kain und sein Opfer schaute er nicht. Da überlief es Kain ganz heiß und sein Blick senkte sich. [...] Hierauf sagte Kain zu seinem Bruder A- bel: Gehen wir aufs Feld! Als sie auf dem Feld waren, griff Kain seinen Bruder Abel an und erschlug ihn." [Genesis 4, 3-8].
Zwar folgt die Chronologie der Grisaille-Bilder der Lesrichtung von links nach rechts, allerdings erklärt sich daraus nicht eindeutig, weshalb der Grund der Tat Adam zugeordnet wird, aber die Tat selbst sich über Evas Haupt abspielt - immer- hin wäre es auch denkbar gewesen, Eva auf der linken Altarseite zu malen. Der Mord wird in eine direkte Beziehung zur Mutter und lediglich in eine indirekte zum Vater gesetzt. Diese Bezugnahme wiederholt sich in den Inschriften zu den Bil- dern: Während für Adam der Satz: 'Adam nos in morte(m) preacipitat' ('Adam hat uns in den Tod gestürzt.') gewählt wurde; steht bei Eva: 'Eva ocidendu orvuit' ('Tötenderweise hat Eva geschadet').
Der von Kain verübte Brudermord wird hier auf Eva zurückgeführt, nicht aber auf das Verhalten Adams, der lediglich die Mitschuld an der menschlichen Sterblich- keit zu verantworten hat. Eva hingegen wird eines Verbrechens schuldig gespro- chen, an dem sie keine direkte Beteiligte war, aber da sie die erste "Kriminelle" der Familie war, wird das Zuwiderhandeln gegen göttliches Gesetz (wobei wir uns noch vor der Verkündigung der zehn Gebote an Moses in Exodus 20, 1-17 befin- den) als ihr Erbe eingestuft.
Bei den Beschreibungen in der Sekundärliteratur erscheint es verwunderlich, daß zwar das Eingefügtsein der Stammeltern in schmale gemalte Nischen beschrieben wird, die Nischen selbst aber ausschließlich als Hintergrund begriffen werden.
[...]
- Quote paper
- Julia Siebert (Author), 2005, Wie Gott sie schuf oder wie Jan van Eyck sie sah? - Die Darstellung von Adam und Eva am Genter Altar, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/50826
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