„Wer zugleich seinen Schatten und sein Licht wahrnimmt, der sieht sich von zwei Seiten, und damit kommt er in die Mitte.“ Diese Aussage von C. G. Jung im Werk seiner Mitarbeiterin Jolande Jacobi verweist auf die Wichtigkeit der Bewusstwerdung des eigenen Schattens, um sich selbst bewusst zu werden. Den Prozess dieser Vervollständigung und Selbstentfaltung bezeichnet Jung als Individuationsprozess. Zu diesem Prozess gehört die Auseinandersetzung mit dem eigenen Schatten, welcher die dunkle Seite des Menschen und seine verdrängten Persönlichkeitsanteile darstellt. Eng mit dem Schatten verbunden ist die Persona, die Maske eines jeden Menschen, die er im Prozess der Assimilation an seine Umwelt trägt. Persona und Schatten sind Subpersönlichkeiten des menschlichen Bewusstseins, welche in einem Bedingungsverhältnis zueinanderstehen.
Hierbei bedürfen die Begriffe Persona und Schatten einer genaueren Erklärung, bevor Abhängigkeit, Diversität und Zusammenspiel der beiden Größen erklärt werden kann.
„Wer zugleich seinen Schatten und sein Licht wahrnimmt, der sieht sich von zwei Seiten, und damit kommt er in die Mitte.“1 Diese Aussage von C. G. Jung im Werk seiner Mitar- beiterin Jolande Jacobi verweist auf die Wichtigkeit der Bewusstwerdung des eigenen Schattens, um sich selbst bewusst zu werden. Den Prozess dieser Vervollständigung und Selbstentfaltung bezeichnet Jung als Individuationsprozess. Zu diesem Prozess gehört die Auseinandersetzung mit dem eigenen Schatten, welcher die dunkle Seite des Men- schen und seine verdrängten Persönlichkeitsanteile darstellt.2 Eng mit dem Schatten verbunden ist die Persona, die Maske eines jeden Menschen, die er im Prozess der As- similation an seine Umwelt trägt. Persona und Schatten sind Subpersönlichkeiten des menschlichen Bewusstseins, welche in einem Bedingungsverhältnis zueinanderstehen.3 Hierbei bedürfen die Begriffe Persona und Schatten einer genaueren Erklärung, bevor Abhängigkeit, Diversität und Zusammenspiel der beiden Größen erklärt werden kann.
Die Persona als Reaktion auf die Gesellschaft
Die Persona bezeichnet einen Ausschnitt aus der Kollektivpsyche. Schon die Bezeich- nung der Persona als ebendiese lässt ihre Funktion erahnen. Etymologisch wird sie aus dem Lateinischen abgeleitet und beschrieb im alten Rom die Maske, welche die römi- schen Schauspieler trugen.4 Jung adaptierte den Begriff und wendete ihn auf die menschliche, individuell erscheinende Maske an. Die Persona ist nach seiner Definition jedoch nichts Reales, sondern „ein Kompromiss zwischen Individuum und Sozietät über das, ‚als was einer erscheint‘.“5 Jeder Mensch trägt diese Maske, sie entsteht aus der Psyche und unterstützt den Prozess der individuellen gesellschaftlichen Anpassung des Menschen. Die Notwendigkeit der Persona beschreibt Jung wie folgt: „Es ist ohne wei- teres klar, daß bei einem normalen Individuum eine solche Mehrheit von Persönlichkei- ten niemals in Erscheinung treten kann.“6
Der Mensch hat somit viele Unterpersönlichkeiten, die er aufgrund gesellschaftlicher Normen nicht entsprechend ausleben kann. Um sich jedoch der Umwelt angemessen anpassen zu können, ist der Mensch auf eine Maske bzw. mehrere Masken angewiesen. Die Sozialisation und die jeweilige Situation bedingt sie. So beginnt man schon in der Schule, seine Persona auszubilden, und die Maske zieht sich wie ein roter Faden durch das Leben. Im Studium oder in der Ausbildung trägt man diese ebenso wie in Bewer- bungsgesprächen, im Beruf, im Sportclub, in der Familie, beim Umgang mit Kindern etc. Die Persona hängt also von dem jeweiligen Milieu ab. Gerade Stadtbewohner leben in völlig unterschiedlichen Milieus: In ihrem häuslichen Kreis und in der öffentlichen Welt. Solche zwei grundverschiedenen Umgebungen verlangen nach unterschiedlichen Ein- stellungen.7 Die Diversität dieser verschiedenen Persönlichkeiten zeigt sich hier im Ver- halten: Öffentlich kann die Person freundlich, aufgeschlossen, gut gelaunt und extrover- tiert sein, um dann zu Hause gereizt, wortkarg und verbal missbrauchend zu sein.8
Normalerweise kann das Individuum den Unterschied zwischen einer gespielten Rolle und der wahren inneren Identität erkennen, doch gibt es eine starke Verbindung zwi- schen dem Ich und der Persona. Teile des Ich sind durchlässig. Deshalb kann es vorkom- men, dass sich das Ich mit der Persona identifiziert, ja beinahe identisch scheint.9 Die Intensität, mit der sich das Individuum mit der Persona identifiziert, ist stark mit der zugewiesenen Rolle in der Gesellschaft verbunden. Die Identifikation mit der Rolle geht häufig mit der Identifikation mit dem Beruf einher. Es wirkt gesellschaftlich unpassend, aus der Rolle zu stark herauszufallen, denn wenn „jemand Schuhmacher ist, erwartet die Gesellschaft, dass er die ganze Zeit die Rolle des Schuhmachers spielt. Ist er jedoch Schuhmacher und Poet zugleich, irritiert er sie.“10 Und je prestigeträchtiger die Rolle ist, desto stärker wird die Tendenz, sich mit ihr zu identifizieren.11 Murray Stein schreibt Menschen mit Berufen, welche gesellschaftlich nicht prestigeträchtig erscheinen, wie z.B. dem des Müllmanns, hingegen nur selten „Unterschicht-Persona-Rollen“ zu.12
Eine starke Persona wird in der ersten Lebenshälfte aufgebaut, in der das Individuum, „in der die berufliche und gesellschaftliche Stellung erkämpft werden muss.“13 In Ab- hängigkeit zu den jeweiligen Lebensphasen verändert sich die individuelle Persona im- mer weiter, in einer neuen Lebensphase ist gar das Aufbauen einer neuen Persona mög- lich. Transformationen sind zudem auch in ‚Altersabschnitte‘ einzuteilen. In der Über- gangszeit von der Kindheit in die Jugend, von der Jugend ins Erwachsenenalter, von dort aus ins mittlere Alter und vom mittleren Alter ins Alter.14
In all diesen Phasen erfüllt die Persona als repräsentativer, jedoch nicht immer individu- eller Teil des Ich den Zweck, sowohl ein enges Korsett für das Individuum zu sein, wel- ches zur Gesellschaftstauglichkeit führt, als auch die Selbsterhaltung zu unterstützen. Eine Funktion der Persona ist die des Schutzschildes. Durch die Fähigkeit der Assimila- tion schützt die Persona vor Schamgefühl. Das Vermeiden von Peinlichkeit ist „wahr- scheinlich das stärkste Motiv für die Entwicklung und das Festhalten an der Persona.“15
Der persönliche Schatten
Der Schatten beinhaltet die Dinge, die nicht in das Konzept der Persona gepasst haben. Es ist das Gesicht, welches wir der Welt nicht zu zeigen vermögen. Es wäre der Assimi- lation in die Gesellschaft schädlich, diese Charaktereigenschaften zu offenbaren. An die- ser Stelle wird offensichtlich, dass der Begriff des Schattens das beschreibt, was wir als Individuum als unpassend, beschämend oder widersprüchlich gegenüber der Gesell- schaft empfinden. Laut Murray Stein ist der Schatten in der Mythologie gar „die Defini- tion des menschlichen Bösen“.16
Der Schatten ist sowohl persönlicher als auch kollektiver Natur. Während der kollektive Schatten als Archetypus infrage kommt, zeigt sich der persönliche Schatten wesentlich transparenter: „Der Schatten kann mit einiger Selbstkritik unschwer durchschaut wer- den, insoweit er persönlicher Natur ist.“17 Im Rahmen dieser Arbeit wird der Schwer- punkt auf den persönlichen Schatten gelegt, um die Beziehung der Persona zu diesem zu erläutern.
Für das Individuum ist die Auseinandersetzung mit dem eigenen Schatten diffizil. Schließlich beinhaltet er all die Persönlichkeitsmerkmale, welche dem Individuum und der Gesellschaft falsch vorkommen, jene verdrängten Gedanken, derer man sich schämt, wenn sie ins Bewusstsein gelangen. Dieser Verdrängungsarbeit verdankt der Schatten seine Existenz.18 Schließlich können diese Gedanken und Instinkte nicht ausge- löscht werden, sondern sind unvermeidbar jedem Individuum zu eigen. Genau dieser Sachverhalt zeigt die Notwendigkeit, sich mit dem eigenen Schatten auseinanderzuset- zen und damit der Verdrängung bewusst entgegenzuwirken. Da der Schatten existent ist, scheint es förderlich zu sein, diesen zu reflektieren und zu akzeptieren. Die zu starke Verdrängung sowohl des persönlichen als auch des kollektiven Schattens kann fatale Folgen auf das eigene Handeln haben. C. G. Jung nennt hier als ein Beispiel die Macht- ergreifung Hitlers. Die Deutschen seien Opfer einer gewalttätigen Massenbewegung, die ihren Ausgang im Unbewussten des Einzelnen nimmt.19 Um Neurosen oder Psychosen als Folge zu vermeiden, muss dieser Vorgang ins Bewusstsein des Einzelnen aufgenom- men werden, so Jung.20 Hitler selbst gehört wie auch Stalin durch seine Kriminalität und Soziopathie zu einer Ausnahme. Sie „erlangen so große Macht, daß sie es sich leisten können, ihre schlechten Leidenschaften bis in kaum noch vorstellbare Extreme auszule- ben.“21 Allgemein ist aber zu vermuten, dass die meisten Individuen sich im Kern für anständig halten.
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1 JACOBI, Jolande: Komplex, Archetypus, Symbol in der Psychologie C. G. Jungs, Zürich 1957, S. 142.
2 vgl. BERGER, Dagmar: Persönlichkeitsentwicklung bei Jean-Paul Sartre und C. G. Jung, Aachen 2011, S. 135.
3 vgl. STEIN, Murray: C. G. Jungs Landkarte der Seele, Ostfildern 2017, S. 128.
4 vgl. ebd.
5 JUNG, Carl Gustav: Gesammelte Werke Bd. 7, Zürich 1964, Par. 246.
6 JUNG, Carl Gustav: Gesammelte Werke Bd. 6, Düsseldorf 1995, Par. 800 .
7 vgl. STEIN: C. G. Jungs Landkarte der Seele, S. 137.
8 vgl. ebd., S. 136.
9 vgl. ebd., S. 138 f.
10 BERGER: Persönlichkeitsentwicklung bei Sartre und Jung, S. 161.
11 vgl. STEIN: C. G. Jungs Landkarte der Seele, S. 140.
12 vgl. ebd.
13 BERGER: Persönlichkeitsentwicklung bei Sartre und Jung, S. 162.
14 vgl. STEIN: C. G. Jungs Landkarte der Seele, S. 146 - 148 .
15 vgl. ebd., S. 146.
16 vgl. ebd., S. 130.
17 JUNG, Carl Gustav: Aion, Par. 19.
18 vgl. BERGER: Persönlichkeitsentwicklung bei Sartre und Jung, S. 165.
19 vgl. ebd., S. 167.
20 vgl. ebd.
21 STEIN: C. G. Jungs Landkarte der Seele, S. 131.
- Citar trabajo
- Leonard Conradi (Autor), 2017, Der Schatten und die Persona als Gegensatzpaar, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/507987
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