„Die Augen werden trübe, die Nase trieft, die Ohren taub, die Zehen schwarz und faul, die Haare fallen aus, die Glieder zittern, er (der Alte) lobt das Alte und verschmäht das Neue, ist stetig bekümmert betrübt und krank.“ So beschreibt Albrecht von Eyb zum Ende des 15. Jahrhunderts die im Alter auftretenden Gebrechen. Seine Einschätzung steht stellvertretend für die im ausgehenden Mittelalter weitläufige Geringschätzung alter Menschen. Nichts mehr ist von dem tapferen, kraftvollen und selbstbewussten Greis, wie ihn Cicero in seiner Schrift Cato, major de senecture beschreibt, übrig. Das in der Antike als Krönung des Lebens verstandene Bild des würdevollen und weisen Greises verschwindet zu Beginn der frühen Neuzeit. Nur in wenigen Ausnahmefällen wird der alte Mensch wegen seiner früheren erbrachten Leistungen, die in einem harten und ertragsreichen Leben erreicht worden sind, geschätzt. Übrig bleibt meist nur der mit dem Makel des Zerfalls behaftete alte Mensch, welcher den Angehörigen nur zur Last zu fallen scheint und dessen baldiges Ableben sehnlichst erwartet wird.
Wie ist die Geringschätzung alter Menschen zu erklären? Was sind dessen Ursachen? Wie wurde der Alterungsprozess im Mittelalter und der frühen Neuzeit gesellschaftlich bewertet? Inwieweit wird diese Sichtweise durch religiös-philosophische oder aber medizinische Vorstellungen beeinflusst? Wie erklärt die zeitgenössische Wissenschaft den Alterungsprozess? Welche Maßnahmen wirken dem körperlichen Verfall entgegen? Diese und weitere Fragen sollen nun hier ausgeleuchtet und geklärt werden.
Im ersten Teil werde ich dazu die im Mittelalter und der frühen Neuzeit gängigen Lebensverlaufsmodelle vorstellen. Dabei wird deren Ursprung und Bedeutung für den hier behandelten Zeitraum explizit aufgezeigt. Die Vorstellung der Lebensverlaufsmodelle dient zudem als Grundlage für die sich anschließende Bewertung des Alters in der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Epoche. Hierbei werden sowohl religiös-philosophische als auch gesellschaftlich praktizierte Sichtweisen, welche das Altersbild zu jener Zeit prägten, ihre Berücksichtigung finden und schließlich, daraus resultierend, im letzten großen Teilabschnitt auf das Verständnis von Alter aus medizinischer Sicht und etwaige medizinische Lösungsansätze eingegangen werden, dabei konkret, auf welche wissenschaftlichen Grundlagen sich diese stützten und wie die Behandlung von alterspezifischen Symptomen durch die Ärzteschaft gehandhabt wurde.
Inhaltsverzeichnis:
1. Einleitung
2. Lebensverlaufsmodelle des Mittelalters und der frühen Neuzeit unter besonderer Berücksichtigung des Alters
3. Bewertung des Alters in der mittelalterlichen und der frühneuzeitlichen Gesellschaft
4. Zur Lebenserwartung in Mittelalter und der frühen Neuzeit
5. Das Altersverständnis im Mittelalter und der frühen Neuzeit aus medizinischer Sicht
6. Schlussbemerkungen
7. Bibliographie
1. Einleitung
„Die Augen werden trübe, die Nase trieft, die Ohren taub, die Zehen schwarz und faul, die Haare fallen aus, die Glieder zittern, er (der Alte) lobt das Alte und verschmäht das Neue, ist stetig bekümmert betrübt und krank.“[1] So beschreibt Albrecht von Eyb zum Ende des 15. Jahrhunderts die im Alter auftretenden Gebrechen. Seine Einschätzung steht stellvertretend für die im ausgehenden Mittelalter weitläufige Geringschätzung alter Menschen. Nichts mehr ist von dem tapferen, kraftvollen und selbstbewussten Greis, wie ihn Cicero in seiner Schrift Cato, major de senecture beschreibt, übrig. Das in der Antike als Krönung des Lebens verstandene Bild des würdevollen und weisen Greises verschwindet zu Beginn der frühen Neuzeit. Nur in wenigen Ausnahmefällen wird der alte Mensch wegen seiner früheren erbrachten Leistungen, die in einem harten und ertragsreichen Leben erreicht worden sind, geschätzt. Übrig bleibt meist nur der mit dem Makel des Zerfalls behaftete alte Mensch, welcher den Angehörigen nur zur Last zu fallen scheint und dessen baldiges Ableben sehnlichst erwartet wird.
Wie ist die Geringschätzung alter Menschen zu erklären? Was sind dessen Ursachen? Wie wurde der Alterungsprozess im Mittelalter und der frühen Neuzeit gesellschaftlich bewertet? Inwieweit wird diese Sichtweise durch religiös-philosophische oder aber medizinische Vorstellungen beeinflusst? Wie erklärt die zeitgenössische Wissenschaft den Alterungsprozess? Welche Maßnahmen wirken dem körperlichen Verfall entgegen? Diese und weitere Fragen sollen nun hier ausgeleuchtet und geklärt werden.
Im ersten Teil werde ich dazu die im Mittelalter und der frühen Neuzeit gängigen Lebensverlaufsmodelle vorstellen. Dabei wird deren Ursprung und Bedeutung für den hier behandelten Zeitraum explizit aufgezeigt. Die Vorstellung der Lebensverlaufsmodelle dient zudem als Grundlage für die sich anschließende Bewertung des Alters in der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Epoche. Hierbei werden sowohl religiös-philosophische als auch gesellschaftlich praktizierte Sichtweisen, welche das Altersbild zu jener Zeit prägten, ihre Berücksichtigung finden und schließlich, daraus resultierend, im letzten großen Teilabschnitt auf das Verständnis von Alter aus medizinischer Sicht und etwaige medizinische Lösungsansätze eingegangen werden, dabei konkret, auf welche wissenschaftlichen Grundlagen sich diese stützten und wie die Behandlung von alterspezifischen Symptomen durch die Ärzteschaft gehandhabt wurde.
2. Lebensverlaufsmodelle des Mittelalters und der frühen Neuzeit unter besonderer Berücksichtigung des Alters
Schon in der frühen Antike versuchte man die Lebenszeit des Menschen in Abschnitte zu untergliedern. Die Einteilung des Lebenslaufes in verschiede Lebensabschnitte oder Lebensstufen wurden dabei durch mythologische Vorstellungen der regionalen Sagenwelt beeinflusst. Die Zahl der sich dabei herausbildenden so genannten Altersstufen und ihre Benennung, sowie die Abgrenzung derer zueinander, variierte bei den unterschiedlichen Modellen erheblich. Entsprechend unscharf war die Bezeichnung des einer Altersstufe zugerechneten Menschenalters.
Für die Einteilung der Lebensalterstufen des späteren Mittelalters waren besonders die Lebensverlaufsmodelle antiker Theoretiker von Bedeutung. Diese versuchten, losgelöst von mythischen Erklärungsversuchen ihrer Vorgänger, sowohl die physiologischen Eigenarten einer bestimmten Altersgruppe, als auch die kognitiven und psychologischen Entwicklungsstufen in ihre Modelle mit einzubeziehen.[2] Der griechische Philosoph und Mathematiker Pythagoras beispielsweise unterteilte das Leben, den Jahreszeiten entsprechend, in vier Abschnitte zu zwanzig Jahren. Dabei wurde das Knabenalter dem Frühling, das Alter des jugendlichen Mannes dem Sommer, das des gereiften Mannes dem Herbst und schließlich das des alten Mannes dem Winter zugeordnet.[3]
Neben dem vierstufigen Modell des Pythagoras entwickelte sich ein weiteres Lebensverlaufsmodell, welches weit bedeutender wurde als das vierstufige und dieses schließlich ablöste. Bei der Elegie von Solon, dem so genannten Siebenerschema wurde das Leben in zehn mal sieben Phasen eingeteilt. Damit erreichte der Mensch nach seiner Vorstellung ein Alter von siebzig Jahren. Das Siebenerschema des Solon wurde immer wieder aufgegriffen, so beispielsweise von Hippokrates in seiner Schrift de hebdomadibus oder aber von Ptolemaios in seinem Werk über die sieben Planeten, Tertabiblos. Gegenüber Hippokrates und Ptolemaios reduzierte Aristoteles sein Lebensverlaufsmodell jedoch nur auf drei Teile. Als Grundlage für sein dreistufiges Modell diente jedoch ebenso das Siebenschema des Solon, welches hier mittels der Reduzierung auf drei Phasen allein eine Vereinfachung erfahren sollte.
In der späteren römischen Antike taucht zu erst ein sich nach den drei Hauptphasen des Tages orientierendes dreistufiges Modell des menschlichen Lebens auf. Nach der östlichen Expansion des römischen Herrschaftsbereiches im 2. Jahrhundert v. Chr. gelangte die griechische Philosophie nach Italien und mit ihr auch die Kenntnis über die Lebensaltereinteilung des Solon und des Hippokrates. Hier vermischten sie sich mit dem dreistufigen Lebensverlaufsmodells der Römer und wurden durch den römischen Universalgelehrten Marcus Terentius Varro[4] zu einem Fünferschema kombiniert. Während bei den Griechen die Zahl Sieben, aus der Astronomie entlehnt, eine große Rolle spielte, hielt sich Varro an die, bei den Römern bedeutsame, magische Bedingung der Fünf. Das Leben teilte er in fünf gleiche Teile zu jeweils fünfzehn Jahren auf.
Die frühchristlichen Lebensverlaufsmodelle der Spätantike orientierten sich sowohl an den griechischen, als auch an den römischen Vorbildern. Die christlichen Theologen kombinierten das griechische Siebener- und Viererschema mit dem römischen Fünfstufenmodell. Es entstand eine Sechser- Einteilung der Alterstufen. Das aus dem 6. Jahrhundert von Isidor von Sevillia[5] stammende Sechserschema teilt das Leben eines Menschen in folgende Phasen ein: Die erste Phase der in fatia galt bis sieben Jahre, die zweite Phase der pueritia bis vierzehn Jahre, die adolescentia bis achtundzwanzig Jahre, die Phase des inventus bis fünfzig Jahre, die Phase aetas senioris bis siebzig Jahre und die letzte Phase senectus bis zum Tod.[6] Diese Einteilung blieb bis in die frühe Neuzeit hinein dominierend. Ein vereinzelt auftauchendes zehstufiges Modell blieb indes unbedeutend. Die Einteilung in die sechs Alterstufen orientiert sich nach der subjektiven Beurteilung des Erscheinungsbildes und der Leistungsfähigkeit des jeweiligen Menschen. Spätestens mit vierzig bzw. fünfzig Jahren galt der mittelalterliche Mensch hier als alt, mit sechzig Jahren gar als Greis.[7] Das Alter nimmt in dem Sechsstufenmodell bei vermeintlich zu erreichenden hundert Jahren ein viertel der gesamten Lebensspanne ein. Diese offensichtliche Überschätzung des tatsächlich zu erreichenden Alters lässt sich mit der zu jener Zeit allgemein verbreiteten Unkenntnis über das zu erreichende Alter eines Menschen begründen.[8] Die schlechte hygienische und medizinische Versorgung der Menschen, eine mangelhafte Ernährung, besonders der unteren Bevölkerungsschichten, und ein hartes und entbehrungsreiches Leben führte zu einem früh einsetzenden Alterungsprozess, so dass bei Altersbestimmungen fälschlicherweise oft ein viel höheres Alter angenommen wurde. Real entsprach das tatsächliche selten dem kalendarisch angegebenen Alter. Überhaupt muss das mittelalterliche und frühneuzeitliche Altersverständnis stets in einem sozialen Kontext gesehen werden. In der mittelalterlichen Gesellschaft war nicht das kalendarische, sondern das soziale Alter einer Person für deren Altersbestimmung relevant. Das Alter eines Menschen orientierte sich nicht an Monat und Jahr, sondern an besonderen Begebenheiten im sozialen Gemeinschaftsleben.[9] Kollektiv prägende Ereignisse spielten hierbei die entscheidende Rolle. Ausschlaggebend war beispielsweise, wann die Kinder heirateten oder aber der elterliche Hof an die Kinder weitergegeben wurde. Der Eintritt ins Alter vollzog sich, indem dem (alten) Menschen Entscheidungs- und Machtbefugnisse entzogen wurden. Im umgekehrten Falle war es aber durchaus möglich, dass diese Phase durch Machtzuwachs und Ehrenrechte gekennzeichnet war.[10] Wie sich noch zeigen wird, ist die letztere Variante zumindest im ausgehenden Mittelalter eher selten. Der Eintritt ins Alter ist für die Mehrheit der mittelalterlichen Gesellschaft mit Entbehrungen und Einbusen der Lebensqualität verbunden.
[...]
[1] Borscheid, Peter: Geschichte des Alters, 16.-18. Jahrhundert; 2. Aufl., Münster 1987, S. 15.
[2] Vgl. DNP, Band 6, Sp. 1207.
[3] Vgl. Nühlen – Graab, Maria: Philosophische Grundlagen der Gerontologie, Heidelberg 1990, S. 22.
[4] Marcus Terentius Varro (* 116 v. Chr. ; † 27 v. Chr.).
[5] Isedor von Sevillia (*um 560; † 4. April 636 ).
[6] Vgl. Nühlen – Graab, Maria: Philosophische Grundlagen der Gerontologie, Heidelberg 1990, S. 22.
[7] Ebenda, S. 22.
[8] Ebenda, S. 26.
[9] Ebenda, S. 26.
[10] Ebenda, S. 26.
- Citar trabajo
- Daniel Böhme (Autor), 2005, Die gesellschaftliche und medizinische Bewertung des Alters im Europa des Mittelalters und der frühen Neuzeit, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/50757
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