Die Forschungsarbeit zeigt die Gründe für eine Tabuisierung bei dementiellen Veränderungen und den Prozess der Stigmatisierung mit all seinen Folgen und Auswirkungen auf die Situation von Menschen mit Demenz, innerhalb des häuslichen Versorgungssettings in der Kommune, auf. Dadurch können mögliche Wirkungsstellen identifiziert werden, an denen der Stigmatisierungsprozess von Menschen mit Demenz durch bestimmte Faktoren des Umfeldes verstärkt wird.
Die Thesis wird die konkreten Folgen, die mit den Stigmatisierungsprozessen für Kommunen verbunden sind, verdeutlichen, da durch die Betrachtung der Prozesse, Schnittstellen oder auch Wirkungsstellen und damit Stellschrauben, identifiziert werden, an denen steuernd Einfluss genommen werden kann. Nach der theoretischen Aufarbeitung der Grundlagen aus den Bezugswissenschaften, wird diese Forschungsarbeit aufzeigen, welche strategischen Maßnahmen innerhalb kommunaler Steuerung eingeleitet werden können und müssen, um eine frühzeitige Enttabuisierung und eine Steigerung der gesellschaftlichen Akzeptanz, sowie eine Erhöhung der Motivation von Betroffenen und Angehörigen, zur Nutzung frühzeitiger Hilfen, zu bewirken.
Dadurch könnten Enttabuisierungsprozesse gezielt aktiviert werden, um eine gesellschaftliche Akzeptanzsteigerung bezogen auf tabuisierte Krankheitsbereiche zu erreichen. Anhand von Grafiken werden die Prozesse veranschaulicht. Des Weiteren liefern die Studienergebnisse gegebenenfalls Daten zu bereits vorliegenden Kennzahlen und Indikatoren zur Messbarkeit gesellschaftlicher Stigmatisierungssignale, die eine Veränderung gesellschaftlicher Akzeptanz abbilden können. Diese könnten als Grundlage der Planung weiterer strategischer Steuerungsprozesse Verwendung finden.
Zusammenfassend werden mögliche Strategien und Maßnahmen für Kommunen und Initiatoren kommunaler Projekte abgeleitet, um Enttabuisierungsprozesse frühzeitig in die Planung einzubeziehen und konstruktiv zu nutzen. Ergänzend werden Argumentationen für kommunale Akteure formuliert, die theoretisch fundierte, auf die kommunale Praxis übertragbare Handlungsoptionen, zur Planung kommunaler Demenzversorgung, im Sinne einer Minimierung von mit Stigmatisierung verbundenen Risiken, liefern. Da das Thema Demenz eines von vielen im Gesundheits- und Sozialbereich darstellt, die mit Tabuisierung und Stigmatisierung einhergehen, können die gewonnenen Informationen unter Umständen auch auf andere Bereiche des Pflege- und Gesundheitssektors übertragen werden.
Inhaltsverzeichnis
Tabuisierung von Krankheit als Herausforderung im Kontext kommunaler Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum
Für Papa
Inhaltsverzeichnis
Danksagung
Abkürzungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abstract
1. Demenzversorgung im Lebensumfeld Kommune
2. Ländliche Räume im demographischen Wandel
2.1 Kennzeichen und Strukturbesonderheiten ländlicher Räume
2.2 Fehlende Strukturen verstärken den bestehenden Versorgungsnotstand
2.3 Kommunen in der Pflicht zur Daseinsvorsorge
2.4 Nachhaltigkeit im Kontext sozialen Wandels
3. Tabuisierung und Stigmatisierung im Kontext dementieller Verläufe
3.1 Tabuisierung und Stigmatisierung von Krankheiten als gesellschaftliches Phänomen
3.2 Kennzeichen von Tabus
3.3 Entstehung von Stigmata
3.4 Merkmale eines Tabuisierungs- und Stigmatisierungsprozesses
3.5 Zielsetzung und Fragestellung
4. Stigmatisierungsprozesse haben gravierende Folgen
4.1 Auswirkungen auf die Betroffenen
4.2 Folgen des spillover-stigma auf die pflegenden Bezugspersonen
4.3 Public stigma – Die Einstellungen der Gesellschaft zu Demenz
5. Methodisches Vorgehen
5.1 Systematische Literaturrecherche in den Bezugswissenschaften
5.2 Review zur internationalen Studienlage von Stigmatisierungsvorgängen
5.3 Datenextraktion
5.4 Auswertung von Sekundärdaten zur aktuellen Versorgungssituation in der BRD
6. Situation in Deutschland im Spiegel aktueller Studien
6.1 Reporte liefern Sekundärdaten zum Versorgungsgeschehen
6.2 Gesellschaftliche Auswirkungen aus ökonomischer Perspektive
6.3 Auswirkungen auf die Kommunen
7. Empfehlungen zum Umgang mit Stigmatisierung
7.1 WHO- Positionspapier thematisiert Stigmatisierung im Alter
7.2 Esslinger Aufruf an kommunale Akteure und die Gesellschaft
7.3 Indikatoren und Messgrößen zur Abbildung wichtiger Kennzahlen im Zusammenhang mit Stigmatisierung
7.4 Evidente Wissenschaft als Handlungsgrundlage professioneller Akteure
7.5 Erfassung pflegeversorgungsrelevanter Merkmale zur Planung des Versorgungsprozesses
8. Ergebnisse ergeben hohen Diskussionsbedarf
9. Die Studienlage erfordert dringendes Handeln der Kreise und Kommunen, die umso dringlicher in den ländlichen Regionen des Landes
Anlagen
Anlage 1- Auswertungstabelle Sekundärdaten BRD
Anlage 2- Esslinger Aufruf
Anlage 3- Erfahrungsindikatoren Angehörige
Anlage 4- Erweiterter Barthel- Index
Literaturverzeichnis
Danksagung
Ich danke an dieser Stelle allen, die mich die letzten Jahre unterstützt haben, dieses Feld der Gesundheitssorge zu studieren und zu begreifen und am Ende diese Thesis zu erstellen.
Zuerst danke ich meiner Familie, die viel verzichten musste und meine Launen ertragen hat.
Danke an meine Schwester Franzi für den Beistand in so manch emotionaler Situation und die mir immer wieder Mut machte.
Danke an Gretel für juristische Ratschläge und unermüdliche Korrekturen.
Ein weiteres ganz herzliches Dankeschön an Dr. Mark Benecke für die Hinweise zum Thema Kriminalistik und Demenz.
Mein letzter Dank: an Frank- als meinen Bürgermeister und Lehrer- der die Entstehung dieser Thesis unterstützt hat und die Fragen zu dieser wissenschaftlichen Betrachtung indirekt stellte, um die Zielrichtung, sowie die Möglichkeiten zur Entstigmatisierung von Menschen mit Demenz in ländlichen Kommunen aufzuzeigen.
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Stigmatisierungsprozess Link und Phelan (Tiemann 2018:9)
Abbildung 2: Begleitstigmata (Stites et al 2018:287)
Abbildung 3: Stigmatisierungsprozess Betroffener eig. Darstellung
Abbildung 4: Stigmatisierungsprozess Angehörige- (spillover-stigma) eig. Darstellung
Abbildung 5: Strukturelle Diskriminierung- Effekte (courtesy-stigma) eig. Darstellung
Abbildung 6: Ergebnistreffer in den Datenbanken eig. Darstellung
Abbildung 7: Stigmatisierungsfolgen Ergebnis der Auswertung von Stites et al quantitativ - eig. Darstellung
Abbildung 8: Stigmatisierungsprozess Professionelle eig. Darstellung
Abbildung 9: Durchschnittliche Pro- Kopf- Kosten Demenz (aus Klie 2018:81)
Abbildung 10: Positive Steuerungsmechanismen und Wirkungsstellen in Kommunen eig. Darstellung
Abstract
Die theoretisch ausgerichtete Forschungsarbeit zeigt die Gründe für eine Tabuisierung bei dementiellen Veränderungen und den Prozess der Stigmatisierung mit all seinen Folgen und Auswirkungen auf die Situation von Menschen mit Demenz, innerhalb des häuslichen Versorgungssettings in der Kommune, auf. Dadurch können mögliche Wirkungsstellen identifiziert werden, an denen der Stigmatisierungsprozess von Menschen mit Demenz durch bestimmte Faktoren des Umfeldes verstärkt wird. Die Thesis wird die konkreten Folgen, die mit den Stigmatisierungsprozessen für Kommunen verbunden sind, verdeutlichen, da durch die Betrachtung der Prozesse, Schnittstellen oder auch Wirkungsstellen und damit Stellschrauben, identifiziert werden, an denen steuernd Einfluss genommen werden kann. Nach der theoretischen Aufarbeitung der Grundlagen aus den Bezugswissenschaften, wird diese Forschungsarbeit aufzeigen, welche strategischen Maßnahmen innerhalb kommunaler Steuerung eingeleitet werden können und müssen, um eine frühzeitige Enttabuisierung und eine Steigerung der gesellschaftlichen Akzeptanz, sowie eine Erhöhung der Motivation von Betroffenen und Angehörigen, zur Nutzung frühzeitiger Hilfen, zu bewirken.
Die Prüfung der Auswirkungen von Stigmatisierungen auf die Entwicklung sozialer Nachhaltigkeit ist für den kommunalen Versorgungssektor von erheblicher Bedeutung. Die daraus resultierenden Konsequenzen, die speziell für die häusliche Versorgung von Menschen mit Demenz, damit verbunden sind, können wichtige Impulse für sozialpolitische Interventionen geben, welche Faktoren und Bedingungen die gesellschaftliche und persönliche Akzeptanz beeinflussen. Dadurch könnten Enttabuisierungsprozesse gezielt aktiviert werden, um eine gesellschaftliche Akzeptanzsteigerung bezogen auf tabuisierte Krankheitsbereiche zu erreichen. Des Weiteren liefern die Studienergebnisse gegebenenfalls Daten zu bereits vorliegenden Kennzahlen und Indikatoren zur Messbarkeit gesellschaftlicher Stigmatisierungssignale, die eine Veränderung gesellschaftlicher Akzeptanz abbilden können. Diese könnten als Grundlage der Planung weiterer strategischer Steuerungsprozesse Verwendung finden.
Zusammenfassend werden mögliche Strategien und Maßnahmen für Kommunen und Initiatoren kommunaler Projekte abgeleitet, um Enttabuisierungsprozesse frühzeitig in die Planung einzubeziehen und deren Verläufe zielgerichteter zu beeinflussen. Dafür werden Argumentationen für kommunale Akteure formuliert, die theoretisch fundierte, auf die kommunale Praxis übertragbare Handlungsoptionen, zur Planung kommunaler Demenzversorgung, im Sinne einer Minimierung von mit Stigmatisierung verbundenen Risiken, liefern. Da das Thema Demenz eines von vielen im Gesundheits- und Sozialbereich darstellt, die mit einer Tabuisierung und Stigmatisierung einhergehen, können die gewonnenen Informationen unter Umständen auch auf andere Bereiche des Pflege- und Gesundheitssektors übertragen werden.
1. Demenzversorgung im Lebensumfeld Kommune
Die demographische Entwicklung erfordert den Ausbau neuer Versorgungsstrukturen in allen Städten- und Gemeinden Deutschlands (vgl. Pfaff et al 2017:341f). Damit wird die Lebensraumgestaltung für Menschen mit Demenz als eine neue soziale Dienstleistung stärker als bisher, in kommunale Verantwortung gegeben. Im Rahmen der aktuell durch die Gesundheits- und Familienministerien veröffentlichte „Nationalen Demenzstrategie 2020“ wird die Demenzversorgung zur Pflichtaufgabe für alle Kommunen des Landes (vgl. BMG 2018). Ziel der Strategie soll die gezielte Entwicklung einer demenzfreundlichen Umgebung innerhalb der häuslichen kommunalen Umgebung sein. Dazu wurden durch die Bundesregierung vier Handlungsfelder vorgegeben wurden:
- Handlungsfeld 1: Strukturen zur gesellschaftlichen Teilhabe von Menschen mit Demenz an ihrem Lebensort aus- und aufbauen
- Handlungsfeld 2: Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen unterstützen
- Handlungsfeld 3: Medizinische und pflegerische Versorgung von Menschen mit Demenz weiterentwickeln
- Handlungsfeld 4: Exzellente Grundlagen- und Anwendungsforschung zu Demenz fördern
Die Fragestellungen dieser Thesis resultieren aus einem Forschungs- und Entwicklungsprojekt kommunaler Demenzarbeit[1] (vgl. Endruweit 2017). Ziel des Projektes, welches bereits vor zwei Jahren im Rahmen der Kampagne „Lokale Allianzen für Menschen mit Demenz“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, durch eine bereitgestellte Anschubfinanzierung begann, ist es, die Demenzarbeit nachhaltig innerhalb kommunaler Strukturen zu in einem Ort in ländlicher Region zu enttabuisieren und als langfristigen öffentlichen Auftrag zu verankern (vgl. BMG 2018; BMFSFJ 2014; BMFSFJ 2015a; BMFSFJ 2015b). Durch 500 bundesweit verteilte Projekte sollte die Basis für eine weitere Entwicklung und nachhaltige strategische Implementierung von niederschwelligen Angeboten für Menschen mit Demenz im kommunalen Umfeld geschaffen werden. Nach Abschluss dieser Projekte ergeben die Evaluationen der Projektgruppen sehr deutlich, dass ein Zeitraum von zwei Jahren, der zur Durchführung dieses Auftrages im Vorfeld angedacht war, für viele Akteure zu kurz war, um das Thema Demenz vor Ort in die öffentliche Diskussion zu bringen. Tabuisierungs- und Stigmatisierungsprozesse erschwerten häufig die Arbeit der Akteure oder blockierten weiteren Wandel und damit eine nachhaltige Verstetigung der begonnenen Bemühungen (vgl. Aktion- Demenz e.V.:.2f; Glaeske 2013:95; Pöschel/ Spannhorst 2018:53). Die Gemeinde, in der das Projekt durchgeführt wurde, liegt in Mittelhessen in ländlicher Umgebung. Sie hat ca. 4500 Einwohner, die in vier verschiedenen Ortsteilen mit jeweils eigenen kulturellen Besonderheiten leben.
2. Ländliche Räume im demographischen Wandel
Mit der gemeinsamen Veröffentlichung der „Nationalen Demenzstrategie 2020“ durch die Bundesministerien Gesundheit (BMG) und Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), werden alle Gemeinden Deutschlands nachdrücklich in die Pflicht genommen, eigene Strukturen zu entwickeln, um die Versorgung einer alternden und von dementiellen Verläufen geprägten Gesellschaft, in eigener Verantwortung umzusetzen (vgl. BMG 2018). Mit einer Prävalenz von 33% bei den über 85jährigen, geht bei einem Drittel dieser Altersgruppe das Altern mit dementiellen Veränderungen einher (vgl. Glaeske 2013:90).
Glaeske benennt die Enttabuisierung von Demenz als einen wichtigen Faktor zukünftiger Planungsprozesse. Damit stehen viele Kommunen in Deutschland momentan vor ähnlichen Problemen. Sie erhalten damit den direkten Auftrag der Bundesregierung, eine nachhaltige Daseinsvorsorge umzusetzen, was gerade ländliche Regionen vor enorme Herausforderungen stellt (vgl. Franzen et al 2008:33-36; BMFSFJ 2015a).
Der Auftrag zur generellen Daseinsvorsorge begründet sich für die Kommunen aus dem Raumordnungsgesetz von 1998, welches die nachhaltige Raumentwicklung für den Bund und alle Länder damit zur Leitvorstellung erklärte (vgl. §1 Abs.2). Damit ist auch die Forderung zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse für die Menschen in allen Teilräumen des Landes, das sogenannte Gleichwertigkeitsprinzip, verbunden (vgl. §1 Abs. 2 Nr. 6). Aufgrund der föderalistischen Struktur geschieht die Umsetzung durch die Länder und weiterführend durch die dort untergliederten Kreise und Gemeinden sehr unterschiedlich und vielfach mit zu geringer Wandlungsbereitschaft (vgl. Franzen et al 2008:20ff). Betrachtet man die unterschiedlichen Lebensverhältnisse in Deutschland (vgl. Fink et al 2019:4ff), wird schnell deutlich, dass es im Rahmen zukünftiger Versorgungsplanung vieler differenzierter und individueller Lösungswege bedarf. Für jedes Bundesland existieren dazu als Rahmengrundlage eigene und an die Bedarfe der dort vorherrschenden regionalen Besonderheiten, angepasste Landesentwicklungsprogramme (vgl. Franzen et al 2008:2).
Der Begriff „Ländlicher Raum“ unterliegt dabei keiner einheitlichen Definition (vgl. Franzen et al 2008:1; Grabski- Kieron 2016:1). Je nach regionaler Zugehörigkeit nimmt er verschiedene Ausprägungen an und bewegt sich nach Grabski- Kieron:
„… in einem Spannungsfeld zwischen zunehmenden- Stadt- Umland- Verflechtungen einerseits und wachsender peripherer Abgeschiedenheit mit rückläufigen sozioökonomischen Aktivitäten andererseits“ (Grabski- Kieron 2016:1).
Die Einordnung erfolgt durch unterschiedliche Kategorisierungstypologien, die durch ständige wissenschaftliche Evaluation nicht stetig sind, sondern wandel- und damit veränderbar. Aus einem Bericht der Arbeitsgruppe der Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) Hessen/ Rhein-land- Pfalz/ Saarland geht hervor, dass die föderalistische Struktur der Bundesländer differenzierte Begriffsdefinitionen hervorgebracht hat (vgl. Franzen et al 2008:2). Nach dem hessischen Landesentwicklungsplan werden, so die LAG, der Verdichtungsraum, der Ordnungsraum, sowie der ländliche Raum als vorgegebene Raumkategorien verwendet, wobei durch die Einteilung in sechs Kategorien durch das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR) wesentlich aussagekräftiger erscheint und auch Potentiale deutlich werden lässt (vgl. Franzen et al 2008:3f). Nach der Einteilung des Landesentwicklungsplanes Hessen ist die Kommune, in der das Projekt umgesetzt wird, ebenso wie große Teile der Region, der Kategorie „Ländlicher Raum“ zuzuordnen. Nach der Differenzierung des BBR entspricht die Region dem sogenannten „Zwischenraum mit geringer Dichte“ (vgl. Franzen et al 2008:3).
Fazit 1: Kommunen haben den gesetzlichen Auftrag, Daseinsvorsorge und Teilhabemöglichkeiten für alle dort lebenden Menschen umzusetzen.
2.1 Kennzeichen und Strukturbesonderheiten ländlicher Räume
Auch wenn keine einheitliche Definition für den Begriff „Ländlicher Raum“ existiert, gibt es dennoch Strukturmerkmale, die als Besonderheiten für ländliche Räume gelten können (vgl. Franzen et al 2008ff). Generell ist ein Trend zur Verstädterung der „ländlichen Regionen“, vor allem auch derer, die dem Zwischenraum mit geringer Dichte“ entsprechen, zu verzeichnen (vgl. Franzen et al 2008:5). Die wesentlichen Merkmale dieser Regionen spiegeln sich direkt in der Definition des BBR und weisen auf eine niedrige Einwohnerdichte, sowie ein geringes Vorhandensein von Gewerbebetrieben hin. Dies führt zu einer geringen Beschäftigungsdichte mit einer daraus resultierenden schwächeren Einkommensstruktur (vgl. Franzen et al 2008:57).
Im schlimmsten Fall kommt es zu Abwanderung junger Menschen und damit verbundener Arbeitskraft in strukturstärkere Gebiete, während die ältere Generation, mit ihren Wurzeln dort fest verwachsen, zurückbleibt (vgl. Franzen et al: 5; BMFSFJ 2015a:188-198).
Es kommt schneller zu einer Überalterung der Kommunen. Betrachtet man die weiteren Merkmale dieser strukturschwächeren Regionen, addieren sich weitere negativ besetzte Faktoren, wie die Abhängigkeit vom Auto durch schlechten Aus-bau von öffentlicher Infrastruktur, eine geringe Verfügbarkeit, bzw. das Verschwinden kultureller Angebote oder auch spezieller Dienstleistungen hinzu, was wiederum mit geringeren Neu- Gewerbeansiedlungen einhergeht (vgl. Franzen et al 2008:35). Aufgrund der in ländlichen Räumen nicht vorhandenen Anonymität des Einzelnen, scheint einerseits eine generelle Assoziation zu hoher sozialer Kontrolle zu bestehen, die sich aber durch das Vorhandensein persönlich nutzbaren Raumes im Lebensumfeld ausgleicht (vgl. Franzen et al 2008:9). Es steht demnach ein größerer Privatraum zur Verfügung, den sich Menschen im ländlichen Raum nutzbar machen können und durch den sie das Gefühl der sozialen Kontrolle ausgleichen.
Aus dem Bericht der LAG gehen weitere Besonderheiten, kennzeichnend für den „Ländlichen Raum“ hervor, so werden vor allem Tourismus und Erholung, Rohstoffproduktion, sowie natürlicher Schutzraum als positive Ressourcen dieser Ge-biete benannt, auch scheinen diese Regionen gern gesehene, peripher gelegene Orte für Ver- oder Entsorgungsaufgaben zu sein (vgl. Franzen et al 2008:9). Dies lässt neben den bisher negativ geprägten genannten Kennzeichen. auch ein klares Erkennen und Beleuchten von Möglichkeiten zu, die die Besonderheit dieser „Lebensräume“ hervorbringen und nutzbar machen können.
Fazit 2: Ländliche Regionen zeigen höhere Versorgungsrisiken, aber verfügen auch über Ressourcen im Vergleich zu urbanen Gebieten.
2.2 Fehlende Strukturen verstärken den bestehenden Versorgungsnotstand
Bezugnehmend auf eine Studie von Allbus aus dem Jahr 2004 führt die LAG weitere wichtige Merkmale, die für die Beschreibung des ländlichen Raumes kennzeichnend sind, auf. So sind Unterschiede in der Schichtenverteilung zur Stadtbevölkerung erkennbar, etwa ein höherer Anteil an Arbeitern und Menschen aus schwächeren sozialen Schichten. Darunter ist ein hoher Hausfrauenanteil von 25 %, der nicht erwerbstätig ist. Die generelle Bereitschaft, ein Ehrenamt zu über-nehmen, ist ausgeprägter als in urbanen Gebieten. Nahezu die die Hälfte der ländlichen Bevölkerung ist Mitglied in einem lokalen Verein. Hier vermutet Allbus ursächlich eine Erklärung, dass die Verbundenheit mit dem eigenen Dorf als Lebensraum durchschnittlich höher erscheint als bei Menschen aus der Stadt. Im Vergleich belegt er einen deutlichen Bildungsunterschied zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen, so haben nur 50 % der Dorfbewohner ein Abitur im Vergleich zur Stadtbevölkerung (vgl. Franzen et al 2008:12). Dies habe seinen Ursprung in den geringen regionalen Arbeits- und Qualifizierungsmöglichkeiten und führe dadurch zu einer transgenerativen Verstetigung der geringeren Chancen für Arbeit und Bildung. Durch die Veränderung weiterer tradierter Strukturen, wie einer moderneren Frauenrolle und einem gewandelten Bild innerhalb der Familienstrukturen kommt es nach den Ergebnissen der LAG bereits seit Jahren zur Unterversorgung und Vernachlässigung älterer Menschen, einhergehend mit fehlender Beantragung vorhandener Unterstützungs- möglichkeiten (vgl. Franzen et al 2008:19). Wo früher die Kirchengemeinde eine starke Stütze für viele Mitbürger darstellte, könne heute ein verstärkter Trend zu Selbsthilfe und Anspruch an Individualität festgestellt werden. Ehrenamtliche Unterstützung durch Vereine ersetzt in der modernen Gesellschaft häufig die altgewohnten familiären Strukturen (vgl. Franzen et al 2008:20). Ihnen kommt damit eine sehr wichtige Funktion bei der zukünftigen Versorgung der Bevölkerung zu.
Fazit 3: In ländlichen Regionen besteht eine hohe Gefahr der Unterversorgung im Sinne einer Verstetigung und Verschlimmerung der Versorgungssituation.
2.3 Kommunen in der Pflicht zur Daseinsvorsorge
Der gesellschaftliche demographische Strukturwandel ist damit Ausgangspunkt zukünftiger kommunaler Versorgungsplanung und Strukturgestaltung. Das Grundgesetz als höchstrangiges Gesetz der Bundesrepublik Deutschland formuliert in den Grundrechten Ansprüche der Menschen und erfordert die Umsetzung dieser Rechte durch die Länder und Kommunen, als deren untergeordnete politische Strukturen. Darin werden, neben dem Recht auf Selbstbestimmung und Unversehrtheit, menschenwürdige Versorgung (Art.1), das Sozialstaatsprinzip (Art. 20), sowie auch das Benachteiligungsverbot (Art. 3) genannt. Hieran muss sich die Versorgung der alternden Bevölkerung durch den Staat, orientieren und messen lassen (vgl. Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland).
Das Raumordnungsgesetz des Bundes von 1998 definiert in diesem Zusammen-hang unter §1 Abs. 2 den Leitsatz zur „Herstellung gleichwertiger Lebensverhält-nisse“ und damit verbunden, den Begriff der „Daseinsvorsorge“ unter der Prä-misse, die gerechte Verteilung von Hilfen in allen Teilräumen des Landes herzu-stellen und damit das Gleichwertigkeitsprinzip in allen Regionen und damit unter den gegebenen föderalistischen Bedingungen, zu erfüllen (vgl. Franzen et al 2008:20; Fink et al 2019:5). Der Auftrag liegt im Ergebnis bei den Kreisen und Kommunen, die dafür zu sorgen haben, dass soziale Teilhabe und Integration unter Einbezug vor Ort vorhandener Potenziale und auch Kompetenzen der Bevölkerung, umgesetzt werden können.
„Demographischer und sozialer Wandel stellen die Tragfähigkeit der Strukturen zur Daseinsvorsorge in vielen Regionen in Frage“ (Franzen et al 2008: 23).
Der Wandel der Zivilgesellschaft mit höheren Ansprüchen an Selbstbestimmung und Individualität engt den politischen Handlungsspielraum in Bezug auf Partizipation, Kooperationen und auch Selbststeuerung für die Kommunen stark ein (vgl. Franzen et al 2008:26). Althergebrachte Steuerungsinstrumente der rein verwaltenden Kommunalstrukturen verlieren an Effizienz und scheinen nur noch gering funktionell wirksam, wenn nicht, den Wandel in der Sozial- und Pflegepolitik, blockierend. Verstärkte Mitsprache der Zivilgesellschaft bei einer Abnahme der Bereitschaft zum kommunalpolitischen Engagement, die Bildung regionaler Selbsthilfeorganisationen und die Vielschichtigkeit der Akteure und neuer Kooperationsmöglichkeiten überfordern laut Angaben der LAG oftmals Politik und Verwaltung in dünn besiedelten Regionen (vgl. Franzen et al 2008:27-29; Wissmann/ Gronemeyer 2008:108). Doch gerade in diesen Regionen erscheint auch der ökonomische Aspekt von enormer Bedeutung und als gewichtige Argumentation für eine schnelle Einleitung des Strukturwandels durch Strategieerarbeitung. Je früher Maßnahmen zur Angebotsentwicklung unter Berücksichtigung von technischen und räumlichen Ressourcen und Möglichkeiten genutzt werden,
„… desto geringer fallen die Anpassungskosten aus, desto eher kann die Lebensqualität erhalten werden und desto größer sind die verbleibenden Zukunftsoptionen. Jedes Zögern der jetzigen Situation verengt die Anpassungsmöglichkeiten in der Zukunft und verteuert die Lösungen für die Bürger“ (Franzen et al 2008: 28).
Durch fehlende Möglichkeiten der Versorgung steigt begleitend die Gefahr der Abwanderung in strukturstärkere Regionen und Familien wählen als Lebensraum Orte, wo eine Vereinbarkeit beruflicher und familiärer Rollenverantwortung, sowie entlastende Strukturen gegeben sind. Beide Faktoren wirken weiterer wirtschaftlicher Entwicklung in strukturschwachen Regionen entgegen, denn mit diesen Bürgern verschwinden vor Ort vorhandene wichtige Potenziale und Ressourcen, ohne genutzt zu werden (vgl. Franzen et al 2008:33-36; Rothergang/ Müller 2018::110). Dies führt einerseits zu einer Erhöhung der kommunalen Belastungen und auf der Gegenseite zu einem Rückgang kommunaler Einnahmen.
Die Bertelsmann- Stiftung benennt in ihrer Publikation „Kommunale Seniorenpoli-tik“ die zukünftigen Ziele kommunalpolitischer Verantwortung, unter anderem findet sich der Passus:
„Eine primär sozialpolitische Perspektive beinhaltet die Sicherheits- und Schutzfunktion der Kommunen bei besonderen Bedarfen, wie Krankheit-, Hilfs- und Pflegebedürftigkeit. (Sie)…zielt auf die Förderung der Selbstbestimmung und den Erhalt der Selbständigkeit älterer Menschen. Ihre Bedeutung wird bislang in der kommunalen Arbeit nur unzureichend gewürdigt“ (Rothen 2016: 2).
Fazit 4: Der Auftrag an die Kommunen ist klar formuliert, aber die Umsetzung überfordert besonders kleinere Kommunen. Das verschärft das demographische Problem und fördert Abwanderung mit allen negativen Konsequenzen.
2.4 Nachhaltigkeit im Kontext sozialen Wandels
Im Zusammenhang mit dem Auftrag an die Kommunen, eine nachhaltige Raum-entwicklung zu planen und umzusetzen, soll der Begriff der Nachhaltigkeit im Fol-genden hinsichtlich seiner unterschiedlichen Verwendungen und Bedeutungen beleuchtet werden. Der demographische Wandel in Bezug auf die Versorgung ist ein soziales Phänomen mit gravierenden gesellschaftlichen Veränderungen. Daher ist die soziale Nachhaltigkeit hier an primärer Stelle verankert, denn es geht um die Sicherstellung der Lebensverhältnisse und der Planung menschenwürdiger Lebensumstände folgender Generationen.
„Soziale Nachhaltigkeit beschreibt die bewusste Organisation von sozialen und kulturellen Systemen“ (Leymann o.A.:1). Diese Definition findet sich im Gabler- Wirtschaftslexikon. Sie bezieht sich auf die Einschätzung, inwiefern das System selbst als gesund anzusehen ist. Demnach handelt ein Sozialsystem nachhaltig, wenn es an der stetigen Verbesserung der Widerstandsfähigkeit arbeitet, was nach Leymann „...durch Verbesserung des Humankapitals, bspw. durch Bildung, und der Stärkung sozialer Widerstandsfähigkeit eines sozialen Systems erreicht werden (kann)“ (Leymann, o.A.:1f).
Für Unternehmen bezieht sich der Begriff auf die Auswirkungen sozialen Handelns im Umgang mit Mitarbeitern, den Beziehungen zu Interessensgruppen oder der allgemeinen Verantwortung von Unternehmen in der Gesellschaft.
Der Begriff der ökonomischen Nachhaltigkeit ist im Gabler- Wirtschaftslexikon als die „Maximierung des ökonomischen Ertrags bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der be-nötigten Eingangsressourcen“ definiert und…
„…setzt voraus, dass die zur Erreichung einer bestimmten Wohlfahrt benötigten Ressourcen auch weiterhin und mindestens in gleichwertiger, vorzugsweise in besserer Güte verfügbar sind“ (Nowak o. A.: 1).
Unter Ressourcen werden unter diesem Begriff nach Nowak alle zur Verfügung stehenden Güter, Waren, Kapital oder Dienste verstanden. Als Gütekriterien hierzu werden die Verfügbarkeit, sowie die Qualität vorhandener Ressourcen benannt (Gabler).
Im Lexikon der Nachhaltigkeit der IHK Nürnberg findet sich das daraus resultierende Problem klar formuliert, indem darauf hingewiesen wird, dass der Begriff der Nachhaltigkeit vielfältigen Definitionen unterliegt, was zu Missverständnissen aufgrund unterschiedlicher Begriffsauffassungen führt (vgl. IHK 2015: 1ff).
Aus soziologischer Sicht beschreibt Opielka drei Konzeptionen und vier Themendimensionen sozialer Nachhaltigkeit (vgl. Opielka 2015:8ff). Die erste Sichtweise beschreibt die klassische, enge Perspektive, wonach soziale Nachhaltigkeit eine von drei Säulen meint, die untereinander ausgeglichen werden müssen. Dies erfolgt durch Umverteilung zur Reduktion von Konflikten und ist auf ökologische Nachhaltigkeit ausgerichtet. Die zweite Sichtweise stellt das internationale Verständnis gegenüber, welches vor allem die sozialen Beziehungen in der Gemeinschaft in den Focus stellt. Hier werden Generationengerechtigkeit, gerechte Finanzierungsverteilung, eine auf Langfristigkeit ausgerichtete Vermögenskultur und auch die langfristige Stabilität von (demokratischen) Institutionen als zentrale Faktoren benannt. Die dritte Definition folgt dem englischen Verständnis, wonach Nachhaltigkeit als ein gesellschaftlicher Transformationsprozess mit Projektcharakter verstanden wird (vgl. Opielka 2015:9).
Letzteres führt Opielka zu der Aussage, dass im Hinblick auf nachhaltige gesellschaftliche Entwicklungen
„…eine primär technologische oder ökonomisch Strategie den systemischen Charakter der sozialökologischen Problemstellung verfehlt“ und „…auf eine umfassende Reorganisation von Politik…(zielt)“ (Opielka 2015:9).
Fazit 5: Soziale Nachhaltigkeit ist planbar und steuerbar. Soziale Ziele haben Vorrang vor reinen Wirtschaftszielen und vorhandene Strukturen können dies durch Neuorganisation erreichen.
3. Tabuisierung und Stigmatisierung im Kontext dementieller Verläufe
„Demenz darf kein Tabuthema mehr sein“, lautet eine Schlagzeile des AOK- Bundesverbandes vom 28.03.2017 auf deren Homepage.[2] Die Tabuisierung von Demenz ist damit keinesfalls mehr versteckt und unausgesprochen, sondern wird transparent und in den öffentlichen Medien konkret so formuliert. Durch die Pflegereformgesetze (PNG, PfWG, PSG I und II) wurden die Leistungen für Menschen mit Demenz und auch für deren Angehörige stetig verbessert und es gibt inzwischen unzählige Initiativen und Projekte, die sich auf allen politischen Ebenen alleinig diesem Thema widmen. So wurden im Rahmen des Bundesprojektes der „Lokalen Allianzen für Menschen mit Demenz“ beispielsweise 5.000.000€ Fördermittel als Anschubfinanzierungen für 500 bundesweite Projekte bereitgestellt, die das Thema an der kommunalen Basis kommunizieren und gesellschaftsfähig machen sollten. Die internationale Kampagne „Demenz-Partner“ der Alzheimergesellschaft e.V. widmet sich seit Jahren einem Vorankommen der Enttabuisierung dementieller Verläufe auf gesellschaftlicher Ebene und bietet unter ihrem Dach mit bundesweiten Kooperationspartnern Kurse für alle Gesellschaftsschichten an. Viele Prominente unterstützen die Kampagne, um dem Thema Demenz zu einem positiveren Outcome zu verhelfen.[3]
Der DAK Pflegereport 2017 stellt im gleichen Jahr fest, dass das Thema Demenz trotz aller Bemühungen noch immer einer großen Tabuisierung zu unterliegen scheint, so gaben dort 39 % der befragten Angehörigen an, dass in ihren Augen Demenz noch immer ein Tabuthema sei (vgl. Klie 2017: 22,24). In der Betrachtung der Auswertung finden sich weitere Hinweise auf die Wirkung von Stigmata bei dem Phänomen der Demenz. So wird dort aufgezeigt, dass noch immer viele Angebote, die als direkte Unterstützung bei Pflegekassen, Kreisen und Kommunen vorhanden sind, durch Pflegeempfänger und auch die Angehörigen nicht abgerufen werden (vgl. Klie 2017:25ff), was einer Tabuisierung und einem Ignorieren bestehender Angebote seitens der Zielgruppe nahe kommt.
Der BARMER- Pflegereport stellte zudem im Folgejahr 2018 eine viel zu hohe Belastungssituation pflegender Angehöriger fest, vor allem bei denjenigen, die mit der Versorgung eines Menschen mit Demenz in der häuslichen Umgebung konfrontiert waren. Durch die Untersuchung verdeutlichte sich auch ein signifikanter Anstieg von Erkrankungen, ausgelöst durch langfristige Überlastung der Angehörigen in der Pflegesituation, der weitere negative Folgen für die betroffenen Pflegenden und auch den Pflegeempfänger nach sich zieht (vgl. Rothergang/ Müller, 2018:153).
„185.000 Pflegepersonen, die heute Angehörige zu Hause pflegen, stehen kurz davor, Ihren Dienst einzustellen“, stellte Herr Straub, Vorstandsvorsitzender der BARMER, im Vorwort des Reportes resümierend fest (vgl. Rothergang/ Müller 2018:6). Die bereits im Vorjahr veröffentlichte Studie der DAK publizierte dazu, dass die Bereitschaft zur Übernahme der Pflege von Menschen mit Demenz, ten-denziell bei Angehörigen geringer ausfalle, als bei allgemein Pflegebedürftigen ohne kognitive Einschränkungen (vgl. Klie 2017:26).Diese Entwicklungen haben für die kommunale Versorgung besondere Bedeutung, denn sie zeigen einen Trend auf, der gegenläufig zu den politisch- formulierten Ziele hinsichtlich einer Verbesserung und Sicherstellung der häuslichen Versorgung bis ins hohe Alter, ist. Um dementielle Verläufe positiv zu beeinflussen, ist eine frühzeitige Intervention im Krankheitsverlauf auch aus Sicht anderer Bezugswissenschaften vielfach bestätigt (vgl. Jung et al 2014; Eggert et al 2017; DGN 2016; DNQP 2018).
Ebenso besteht Konsens bezogen auf den hohen Nutzen frühzeitiger Planung von Entlastungsmaßnahmen für Angehörige und der niederschwelligen Bereitstellung beratender Unterstützungshilfen.
Fazit 6: Die Tabuisierung wird von den Krankenkassen unabhängig voneinander bestätigt und als Problem erkannt. Die häusliche Versorgung zeigt hinsichtlich Qualität und Angebotsstruktur akute Defizite auf. Angehörige sind in Ihrer Rolle aufgrund Überforderung überlastet.
3.1 Tabuisierung und Stigmatisierung von Krankheiten als gesellschaftliches Phänomen
Viele Krankheiten unterliegen im gesellschaftlichen Kontext einer Tabuisierung und Stigmatisierung. Erkrankungen wie Depressionen, Psychosen, seelische Krisen, aber auch Krisen, die mit dem Identitätsgefühl oder Tod und Sterben einhergehen, unterliegen auch in der heutigen modernen Gesellschaft noch immer solchen Einflüssen (vgl. WHO 2002, Tiemann 2013:4). Während durch die Hospiz- und Palliativbewegung bereits große Erfolge der Enttabuisierung beim Thema Sterben in der Gesellschaft zu verzeichnen sind, scheint gerade bei Demenz die Tabuisierungs- und Stigmatisierungswirkung sehr ausgeprägt (vgl. Klie 2017:25). Der Duden beschreibt zwei Bedeutungen des Wortes Tabu. Demnach ist ein Tabu aus Sicht der Völkerkunde eine Art Verbot, bestimmte Handlungen auszuführen, besonders geheiligte Personen oder Gegenstände zu berühren, anzublicken, zu nennen, bestimmte Speisen zu genießen. Es hat in dieser Bedeutung eine Schutzfunktion, um Gefahren abzuwehren.
In der heutigen modernen Gesellschaft beschreibt dazu ein ungeschriebenes Gesetz, das aufgrund bestimmter Anschauungen innerhalb einer Gesellschaft verbietet, bestimmte Dinge zu tun (vgl. Duden 1996:727).
Diese Definition soll Grundlage für die Ableitung der Thesis sein und grundlegend für weitere Argumentationen gelten.
3.2 Kennzeichen von Tabus
Balle verweist darauf, dass Tabus nicht mit Verboten gleichzustellen seien, indem sie argumentiert, dass in der öffentlichen Debatte über Verbote gesprochen werde und die Kommunikation darüber offen stattfände. Sie seien transparent durch Regelwerke, Gesetze und Normvorgaben und allgemein bekannt. Tabus hingegen verböten sich selbst, der Umgang damit unterliege stark der individuellen Erziehung. Sie stellt fest, dass es für den Bruch eines Tabus keine „kodifizierten Strafen“ gibt (Balle o.A.). Die Wirkung geschehe daher im Hintergrund durch eine Erzeugung von Schuldgefühlen, Abscheu oder Scham mit Folge von Isolierung und sozialer Ausgrenzung (Balle o. A). Damit können Sie, so Abmeier, den offenen Diskurs behindern, indem Themen offiziell verschwiegen werden (vgl. Abmeier 2012:1). Reimann beschreibt sie auch als ein „besonders wirksames Mittel sozialer Kontrolle“ (vgl. Reimann 1989:421). Er benennt differenzierte Bereiche von Tabus in modernen Gesellschaften. Demnach lassen sich Tabuisierungen bestimmter Personen, Orte und Nahrungsmittel feststellen, aber auch in Bereichen wie Sexualität, Armut, Ungleichheit, Korruption, Tod, Gewalt und bei bestimmten Erkrankungen, erkennen (vgl. Reimann 1989: 421).
Hierzu stellt Abmeier fest, dass viele Menschen ihre Meinung davon abhängig machen, was sie für die Mehrheitsfindung halten (vgl. Abmeier 2012:1).
Die Richtung der Meinungsbildung wird durch das Wirken öffentlicher Personen gesteuert und die Auseinandersetzung in ihrer Ausprägung und Tiefe durch die Massenmedien multipliziert. Daher hat das Bild, welches durch die Medien trans-portiert wird, einen großen Einfluss darauf, ob sich vermeintliche Minderheiten in der öffentlichen Meinungsbildung zurückziehen und damit den Prozess der Tabuisierung selbst verstärken (vgl. Abmeier 2012:1).In Fällen, in denen offensichtlich gesellschaftliche Gruppen und Minderheiten tabuisiert werden, ist ein besonderer Schutz gegen die Herabsetzung Einzelner oder ganzer Gruppen im Sinne einer würdevollen und gleichberechtigten Verpflichtung durch das Grundgesetz, begründet.
Fazit 7: Tabuisierung blockiert sozialen Wandel. Der Prozess wird maßgeblich durch öffentliche Personen und Medien beeinflusst. Eine Tabuisierung von benachteiligten Gruppen und Minderheiten widerspricht dem sozialpolitischen Auftrag.
3.3 Entstehung von Stigmata
Die Stigmatisierung von Krankheiten wird seit vielen Jahrzehnten erforscht und thematisiert. Erving Goffmann beschreibt bereits in seinem Werk aus dem Jahr 1967, „Stigma. Über Techniken der Bewältigung beschädigter Identität“, dieses Phänomen in all seinen Facetten und Ausprägungen aus soziologischer Perspektive (vgl. Goffmann 1967).
Laut Duden ist ein Stigma im bildungssprachlichen Umgang
„… etwas, wodurch etwas oder jemand deutlich sichtbar in einer bestimmten, meist negativen Weise gekennzeichnet ist und sich dadurch von anderem unterscheidet“(Duden 1996: 711).
Die WHO hat sich dem Thema im Jahr 2002 in Ihrer Veröffentlichung „Verminderung von Stigma und Diskriminierung von älteren Menschen mit psychischen Erkrankungen“ ausgiebig gewidmet und verwendet darin folgende Definitionen: „Stigma ist das Ergebnis eines Prozesses, durch den bestimmten Menschen oder Gruppen ungerechtfertigt Schande vorgeworfen wird und durch den sie ausgeschlossen bzw. diskriminiert werden“ (WHO 2002:7). Die Definition für den Begriff der Diskriminierung, die dort im Anschluss formuliert wurde, lautet:
„Diskriminierung bedeutet jegliche Unterscheidung, Ausgrenzung oder Bevorzugung, die den Verlust oder die Beeinträchtigung gleicher Rechte zur Folge hat. Spezielle Maßnahmen, die ausschließlich dem Schutz der Rechte oder der Förderung von Menschen mit psychischen Erkrankungen dienen, sollen nicht als diskriminierend erachtet werden. Diskriminierung inkludiert auch nicht jene Unterscheidung, Ausgrenzung oder Bevorzugung, die zur Wahrung der Menschenrechte von psychisch Kranken oder anderen Individuen notwendig sind“ (WHO 2002:7).
3.4 Merkmale eines Tabuisierungs- und Stigmatisierungsprozesses
Reimann benennt 7 verschiedene Wirkmechanismen von Tabus, die sich zu einem komplexen Wirkungsprozess vereinen. Er beschreibt das Zusammenwirken der Tabufaktoren und benennt dazu 1. Objekttabus, die sich auf Gegenstände, Institutionen oder Personen beziehen, 2. Tattabus in Form von nicht akzeptierten Handlungen. Die Folge sind 3. Kommunikationstabus, die sich auf das Ausgrenzen ganzer Themen beziehen oder als 4.Wort- oder 5. Bildtabus bezogen auf einzelne Ausdrücke oder Bilder, gelten. Daraufhin wirken 6. Gedankentabus, die in der Folge wiederum 7. Gefühlstabus bestätigen. Es kommt zu einer gesellschaftlichen Verschleppung und Verschattung der Thematik mit unterschiedlichen negativen Folgen und Ausprägungen durch die Stigmatisierung für gesellschaftliche und auch persönliche Entwicklungen. Mit der Stigmatisierung werden dem Betroffenen negative Merkmale zugeschrieben, die als Stereotype bezeichnet werden. Diese Stereotypbildung ist Grundlage für Vorurteile und Diskriminierungen (vgl. Mietzel 1998:61).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Stigmatisierungsprozess Link und Phelan (Tiemann 2018:9)
Der Stigmatisierungsprozess von Link und Phelan 2002 zeigt eine Wirkungskette, die aus fünf Stufen besteht. Zu Beginn steht die Wahrnehmung oder Benennung einer Normabweichung mit Aktivierung negativer Stereotype. Dies bedeutet die deutliche Abgrenzung des Stigmaträgers gegenüber dem Normalen. Dieser Prozess führt zu diskriminierendem Verhalten mit allen negativen Konsequenzen für den oder die Stigmatisierten (vgl. Mietzel 1998:62).
Thiemann bezieht sich auf Huber, der hier konkret
1. erhöhte Ängstlichkeit und Stress
2. ein erniedrigtes Funktionsniveau
3. Vermindertes Selbstbewusstsein
4. Niedrige Lebensqualität benennt. (vgl. Tiemann 2013:10)
Zudem kann dies, so Huber et al, zu einer Verstärkung der Krankheitssymptome führen, die daraus resultiert, dass Behandlungen in Folge einer Tabuisierung nicht in Anspruch genommen werden (Huber et al 2015 :224). Daher wird dieses Phänomen auch als „zweite Krankheit“ bezeichnet.
Ein wichtiger Zusammenhang, den die Forscher aufzeigen, scheint in dem von ihm beschriebenen Bereich der strukturellen Stigmatisierung zu liegen, denn hier wird die medizinische Versorgung selbst zu einem wichtigen Promotor für den Stigmatisierungsprozess bei psychischen Erkrankungen erklärt (vgl. Huber et al 2015: 224). So erfahren die Betroffenen häufig eine fehlende oder unzureichende Behandlung, verbunden mit mangelnder Information und Aufklärung (vgl. Huber et al 2015:227, 228). Die Forscher stellen fest, dass das Vorliegen von Sondergesetzen, die Speicherung psychiatrischer Diagnosen, sowie die Anwendung von Zwangsmaßnahmen oder auch gerichtliche Entmündigungen beispielhaft als Zeichen für Diskriminierung verstanden werden (vgl. Huber et al 2015:227).
Hier sprechen Stites et al von einer neuen sozialen Erfahrung für Stigmatisierte, die durch die Reaktion des Umfeldes ausgelöst wird und dadurch zustande kommt, dass die Abgrenzung vom „Normalen“ durch das Umfeld wahrgenommen wird. Damit wird die Diagnosestellung zum zentralen Zeitpunkt, an dem eine Person mit ersten negativen weiteren assoziierten und nicht objektiv belegbaren Kennzeichen ausgestattet und, aus dem englischen bezeichnet, sozusagen verlinkt wird (vgl. Stites et al 2017: 286). Die erste Stufe besteht demnach aus der Zuschreibung des Stigmas durch eine bestimmte Autorität.
Diese ist in diesem Fall der Mediziner, der die Diagnose „Demenz“ aus der pathologischen Sichtweise heraus dokumentiert, mit allen positiven und negativen Konsequenzen für den betroffenen Menschen. Sie wird nach Radvanszky damit auch zum zentralen Zeitpunkt, wo die Frage nach der Verantwortung aufkommt, denn der Betroffene wird ab diesem Zeitpunkt von seinem Verhalten und den Symptomen „entlastet“, wohingegen die Verpflichtung Angehöriger oder anderer Versorger sich enorm verstärkt (vgl. Radvanszky 2013:136).
Dadurch wird die demenzielle Veränderung fälschlicherweise zu einem zentralen objektiven Kennzeichen für den Betroffenen, alle weiteren Behandler und Bezugs-personen erklärt. Sie bescheinigt Endgültigkeit und Ausweglosigkeit aus der gegebenen Situation. Auch Angehörige, die offen oder möglicherweise im Sinne der Hilfesuche an gesellschaftlichen Schnittstellen äußern, dass eine Demenz bei einem Familienmitglied vorliegen könnte, können damit als erster Auslöser zur Entwicklung weiterer Stigmatisierung beitragen. Das Einwirken weiterer Stigmatisierungsfaktoren, je nach Kultur und Umfeld, sowie im Rahmen des Alterungsprozesses, kann die Problematik zusätzlich verstärken. So wirken auf Menschen mit Demenz häufig weitere Tabuisierungsfaktoren ein, die je nach sozialer Konstellation die Situation zusätzlich negativ beeinflussen und komplex zusammenwirken (vgl. Stites et al 2018: 286,287).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Begleitstigmata (Stites et al 2018:287)
An dieser Stelle wird deutlich, dass die Stigmatisierung nicht nur Folgen für den Betroffenen hat, sondern auch das Umfeld in stark diesen Prozess eingebunden wird. Viele dieser strukturellen Faktoren treffen, gerade bei Demenz, durchaus häufig zu. Wissmann, Soziologe des Demenz Support in Stuttgart, befasst sich seit vielen Jahren mit dieser Thematik und stellt seine Beobachtungen in seinem Buch Nebelwelten im Zusammenhang mit dem Leben innerhalb der Kommune dar (vgl. Wissmann 2015).
Fazit 8: Strukturelle Diskriminierung verstärkt stigmatisierende Prozesse in ande-ren Lebensbereichen und hat gravierende Auswirkung auf den Verlauf der Lebenssituation von Betroffenen und Bezugspersonen.
3.5 Zielsetzung und Fragestellung
Im Zusammenwirken mit der Geschwindigkeit der demographischen Entwicklung mit einer zögerlichen Wandlungsbereitschaft vieler ländlicher Kommen, dem Mangel an Fachpersonal im Versorgungssektor, sowie der gravierend dargestellten Stigmatisierungswirkung, wird die enorme Problematik für ländliche Kommunen deutlich. Die Ergebnisse werfen viele Fragen auf, auf die der kommunale Sektor Antworten finden muss, um eine effiziente und vom Grundgesetz geforderte Versorgung aller Bürger sicherzustellen. Diese Thesis sucht Antworten auf die daraus resultierenden Fragen:
- Was sind die Ursachen, Folgen und Wechselwirkungen von Stigmatisierungsprozessen im kommunalen Umfeld für die im Kontext einer Demenz Beteiligten?
- Sind Stigmatisierungsprozesse extern steuerbar und wenn, an welchen Wirkungsstellen können sie positiv beeinflusst werden?
- Welche Konsequenzen bedeuten die gewonnenen Erkenntnisse für kommunale zukünftige Steuerungsprozesse?
- Welche ökonomischen Aspekte resultieren für ländliche Kommunen? Könnten Kommunen aus eigenem Interesse heraus interessiert daran sein, die gezielte und frühzeitige Steuerung solcher Prozesse als Handlungsauftrag zu sehen?
4. Stigmatisierungsprozesse haben gravierende Folgen
Eine Stigmatisierung geht mit Folgewirkungen einher, die nicht nur für den Stigmatisierten selbst eine wesentliche Rolle spielen. Die Betrachtung der Prozesse soll daher die Folgen und Konsequenzen, die auf den unterschiedlichen Ebenen für Menschen mit Demenz, sowie deren Umfeld, entstehen, aufzeigen und differenziert betrachten.
Stites et al konnten in ihrem Review drei Quellen identifizieren, die Erfahrungen der Stigmatisierung aus Sicht der Betroffenen, der pflegenden Bezugspersonen, sowie im Zusammenhang mit gesellschaftlichen Einstellungen belegten.
Es werden drei Kategorien der Stigmatisierung beschrieben, die mit den Begriffen public-stigma, self-stigma und spillover-stigma umschrieben werden (vgl. Stites et al, 2018:286).
Der Bereich public-stigma beschreibt, wie die öffentliche Wahrnehmung der Bevölkerung ausgerichtet ist und wie Merkmale in diesem Bereich transportiert und kommuniziert werden. Sie sind eher von subjektivem Glauben gebildet, als durch objektive Erkenntnis.
Self-stigma, also das Phänomen der Selbststigmatisierung, meint die Entstehung von Scham und Angst, die der Betroffene empfindet, wenn die Wirkung des Merk-mals durch das Umfeld bewusst wahrgenommen wird. Die Besetzung mit dem stigmatisierenden Merkmal ist den Betroffenen selbst bekannt und wird durch sie bewusst bemerkt. Es kommt zu einem verminderten Selbstwertgefühl, folgend zu einem Rückzug aus sozialen Gefügen und weiterhin zu einer möglichen Verstärkung der Krankheitssymptome (vgl. Tiemann 2013:10; Stites et al 2015:288). Die persönliche Ebene hat gravierende Folgen für das Leben der Betroffenen, denn sie hat in Folge großen Einfluss auf die Stabilität des Selbstbildes, sowie der psychischen Stabilität (vgl. Stites et al 2018:287).
Der Begriff spillover-stigma beschreibt, dass die pflegende Bezugsperson einen Teil des Stigmas mitträgt, welches mit dem Betroffenen verbunden wird und damit selbst einem eigenen Stigmatisierungsgeschehen ausgesetzt ist (vgl. Stites et al 2018:286). Die Ausprägungen und Auswirkungen dieser drei Stigmatisierungsbereiche wurden durch das Review der Forscher Stites et al 2018 im Auftrag der Alzheimer Association bezogen auf Menschen mit M. Alzheimer untersucht.
Die Studienergebnisse können generell auf Menschen mit Demenz übertragen werden, da die Bevölkerung und auch die professionellen Akteure in den wenigsten Fällen über ein Differenzierungsbild dementieller Erkrankungen verfügen. Dies kritisieren auch Schilder et al, da die Vereinheitlichung der verschiedenen Demenzformen zur generellen Pathologisierung führe, was einer individuellen Therapie und Sichtweise, zuwiderlaufe (vgl. Schilder/ Philipp- Metzen 2018:33).
4.1 Auswirkungen auf die Betroffenen
Die Ergebnisse zeigen, dass MmA[4] nicht nur mit Stereotypen über die Erkrankung, sondern auch mit Stereotypen des Alters konfrontiert werden, also einer doppelten Stigmatisierung unterliegen (vgl. WHO 2002: 8). Die Auswertung ergab unter den Befragten eine Stigmatisierungswahrnehmung von Demenz von 75 % (vgl. Stites et al 2018: 287). Weitere kulturelle Faktoren können die Stigmatisierungswirkungen verstärken (vgl. Stites et al 2018:287). Von Frauen wird Demenz häufiger mit sozialer Last assoziiert, was die eigene Stigmatisierungserfahrung, im Gegensatz zu Männern, verstärkt. Hier spricht die WHO von einer dreifachen Gefährdung, einem Stigmatisierungsprozess zu unterliegen (vgl. WHO 2002: 9).
Vor allem zu Beginn der Erkrankung bestätigt sich bei den Betroffenen eine man-gelnde Krankheitseinsicht durch eine Selbststigmatisierung, die in zögerlichem Verhalten bezüglich des Öffnens und Annehmens von Hilfen deutlich wird (vgl. Stites et al 2018:288). Dies führt zu weiterer negativer Gesundheitsentwicklung.
In dieser Phase wirkt Stress als ein deutlicher Symptomverstärker, was Konsequenzen im psychosozialen Bereich der betroffenen Person auslöst. Sie reagiert daraufhin vermehrt emotional, mit Aggression, Angst oder Rückzug.
Dies führt in Folge zu Missverständnissen zwischen Pflegenden und Betroffenen. Indem Pflegende dies falsch verstehen und als Zeichen für eine Ablehnung werten, steigt die Krankheitsbelastung und die Wahrscheinlichkeit des sozialen Rückzugs wird erhöht. Es kommt vermehrt zu Konflikten oder Gewaltsituationen und ein Anstieg des Risikos zur institutionellen Pflege wird zusammenhängend festgestellt (vgl. Stites et al 2018:288). Die Hauptrisikobereiche für Menschen mit Demenz im häuslichen Umfeld werden in einem Review von Evans et al deutlich gemacht. Sie benannten Medikationen, Wandertendenzen, Stürze, Mangelernährung, sowie Ausbeutung als Hauptgefahren für Menschen mit kognitiven Einschränkungen (vgl. Evans et al 2016:3).
Mit der Diagnosestellung gehen für Betroffene auch ökonomische Folgen einher. So können der Verlust des Arbeitsplatzes, aber auch steigende Pflegekosten zu einer Verschlimmerung der Situation in finanzieller und auch gesundheitlicher Hinsicht beitragen.
„Stigma can create financial difficulties, like being fired or forced into early retirement or being unable to secure insurance to cover the coast of care!“ (Stites et al, 2018:288).
In diesem Zusammenhang beschreiben die Wissenschaftler das Auftreten eines „stereotyped thread- Phänomen“, ein bewusstes Verfallen des Menschen in das vorgegebene, und damit unvermeidliche Stereotyp (vgl. Stites et al 2018:288). Der Betroffene „entmündigt“ sich damit selbst mit weiteren negativen verbundenen Konsequenzen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: Stigmatisierungsprozess Betroffener eig. Darstellung
Fazit 9: Die Stigmatisierung von Betroffenen führt zu gravierenden negativen Folgen für die Betroffenen selbst, die Angehörigen und die professionellen Akteure.
Fazit 10: Sie geht zudem mit einer Gefahrenwirkung auf die Bevölkerung im kommunalen Raum einher. Die Prozesse haben rechtliche und finanzielle Auswirkungen auf die Kommune. Die Medien transportieren das Bild der Demenz in die Öffentlichkeit.
4.2 Folgen des spillover-stigma auf die pflegenden Bezugspersonen
Die Studienergebnisse zeigen einerseits einen sehr starken Einfluss durch die pflegenden Bezugspersonen auf, aber auch starke Folgen für deren eigene Erfahrungen als Pflegende (vgl. Stites et al 2018: 289f). Als Auswirkungen auf die Person wird demnach ein sehr hohes Lastempfinden durch das Managen sozialer Konsequenzen beschrieben. In einigen Fällen kommt es zu zunehmender Distanz und Entfremdung zwischen Betroffenen und Pflegenden, was sich wiederum negativ auf den weiteren Gesundheitszustand der Betroffenen auswirkt.
Radvanszky untersuchte die soziologischen Folgen dementieller Erkrankungen und sieht das Stigma- Management, welches in diesem Falle die Angehörigen er-klären, abgeleitet von Goffmann als: „…allgemeinen Bestandteil von Gesellschaft und als Prozess, der auftritt, wo immer es Identitätsnormen gibt“ ( Radvanszky 2013:131).
[...]
- Citar trabajo
- Eva-Maria Endruweit (Autor), 2018, Tabuisierung von Krankheit als Herausforderung für die kommunale Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/507394
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