Dieses Essay beschäftigt sich dem Civic Circle Movement (CCM) in Ungarn, welches von Viktor Orbán 2002 reorganisiert wurde. Das Phänomen der Civic Circle in Ungarn wird vor allem im Zeitraum von 2002 bis 2010 beleuchtet. Es wird die Frage erörtert, ob und unter welchen Bedingungen das CCM als Form zivilgesellschaftlicher Partizipation gilt. Dabei wird auch auf die Frage Bezug genommen, ob das CCM die Zivilgesellschaft gestärkt hat. Denn gerade das Beispiel des CCM löste Kontroversen aus, da die politischen Ziele Viktor Orbáns eng mit der Mobilisierung der Zivilgesellschaft zusammenhingen.
Der Begriff "Zivilgesellschaft" wurde in den letzten 15 bis 20 Jahren sehr populär und wird medial oft in verschiedenen Kontexten verwendet. Doch nur wenige RezipientInnen haben eine Vorstellung, was genau darunter verstanden wird. Auch in der wissenschaftlichen Literatur gibt es verschiedene Konzeptionen und Herangehensweisen an die beiden gesellschaftlichen Phänomene. Häufig finden sich in der Forschung Kontroversen darüber, welche Organisationen und Bewegungen als zivilgesellschaftlich einzustufen sind. Um ein konkretes Beispiel zu bewerten, bedarf es einer fundierten wissenschaftlichen Argumentation auf theoretischer Basis. Denn ein und dasselbe Beispiel kann aus verschiedenen theoretischen Blickwinkeln als zivilgesellschaftlich eingeordnet werden oder nicht.
Civic Circles Movement in Ungarn
Staatliche Zentralisierung oder zivilgesellschaftliche Partizipation?
Der Begriff ‚Zivilgesellschaft ‘ wurde in den letzten 15 bis 20 Jahren sehr populär und wird medial oft in verschiedenen Kontexten verwendet. Doch nur wenige RezipientInnen haben eine Vorstellung, was genau darunter verstanden wird. Auch in der wissenschaftlichen Literatur gibt es verschiedene Konzeptionen und Herangehensweisen an die beiden gesellschaftlichen Phänomene. Häufig finden sich in der Forschung Kontroversen darüber, welche Organisationen und Bewegungen als zivilgesellschaftlich einzustufen sind (vgl. Kocka 2012, 191). Um ein konkretes Beispiel zu bewerten, bedarf es einer fundierten wissenschaftlichen Argumentation auf theoretischer Basis. Denn ein und dasselbe Beispiel kann aus verschiedenen theoretischen Blickwinkeln als zivilgesellschaftlich eingeordnet werden oder nicht. Dieses Essay beschäftigt sich ebenfalls mit einem konkreten Fallbeispiel, dem Civic Circle Movement (CCM) in Ungarn, welches von Viktor Orbán 2002 reorganisiert wurde. Das Phänomen der Civic Circle in Ungarn wird v.a. im Zeitraum von 2002 bis 2010 beleuchtet. Es wird die Frage erörtert, ob und unter welchen Bedingungen das CCM als Form zivilgesellschaftlicher Partizipation gilt. Dabei wird auch auf die Frage Bezug genommen, ob das CCM die Zivilgesellschaft gestärkt hat. Denn gerade das Beispiel des CCM löste Kontroversen aus, da die politischen Ziele Viktor Orbáns eng mit der Mobilisierung der Zivilgesellschaft zusammenhingen (vgl. Greskovits 2017).
Um das Fallbeispiel in einen breiteren theoretischen Kontext einzubetten, müssen das Civic Circle Movement charakterisiert und kontextualisiert werden. Das CCM ist eine national-konservative Bewegung, die von Viktor Orbán im Jahre 2002 nach seiner Wahlniederlage mit der Fidesz-Partei neu belebt wurde. Er rief in einer Rede zur Gründung von Civic Circles auf, Vereine, Aktivitäten und Veranstaltungen, die ein bestimmtes Thema und Ziel haben. Orbáns Intention dahinter war, soziales Kapital durch die größtmögliche Mobilisierung der Civic Circles anzuhäufen und jenes 2010 in politisches umzuwandeln. Inspiriert wurde er dabei von Gramscis Hegemonietheorie, welcher wichtige Institutionen (Kirche, Schulen, Wirtschaftsverbände, Gewerkschaften etc.) als Hegemonieapparate charakterisierte, die von der Gruppe der „organischen Intellektuellen“ geführt werden. Wer jene zivilgesellschaftliche Sphäre eines Staates einnehmen kann, erlangt die Hegemonie, so das Ziel Orbáns. Mitglieder der Civic Circles sollten sich als Teil von „imagined communities“ fühlen (vgl. Greskovits 2017, 15, 22f.).
Alle aktiven Civic Circles und jene, die es werden wollten, mussten sich beim Democracy Center registrieren, daher ist dies auch die einzige Datenquelle für Mitgliederzahlen und Ähnlichem. Das Democracy Center stellte die nötige Infrastruktur zur Vernetzung der einzelnen Civic Circles dar, welche aus Graswurzel-Bewegungen hervorgingen. Neben den bottom-up-Vorgängen in der Bildung und Mobilisierung der Circles gründete Orbán den Circle ‚Alliance for the Nation‘, welcher als Dachorganisation für mehr als ein Dutzend schon etablierter zivilgesellschaftlicher Organisationen fungierte, u.a. aus den Bereichen Jugend, Religion, Familie; aber auch politische oder patriotische Organisationen zählten dazu (vgl. Greskovits 2017, 9f.). Die Civic Circles erhielten immer größeren Zuwachs und Relevanz, sodass Orbán 2010 sein Ziel und damit eine Zweidrittel-Mehrheit in den Parlamentswahlen 2010 erreichte. Bereits vor der Wahl wurden aktiv Daten von potenziellen WählerInnen gesammelt und aktiv versucht, unsichere WählerInnen umzustimmen, was große Kontroversen auslöste. Nach den Wahlen zeigten sich die Civic Circles v.a. in den Pro-Regierungsdemonstrationen aktiv, verloren danach aber deutlich an Relevanz (vgl. ebd., 1, 12f., 28).
Während einige AutorInnen das CCM als manipulatives Steuerungsinstrument der Fidesz- Partei rund um Orbán sehen, argumentieren andere Theoretiker für die integrative Funktion des CCM (vgl. Kövér 2015, 84; Greskovits 2017, 4). Denn das CCM förderte zivilgesellschaftliche Partizipation auch, indem es die einfachen Leute ermutigte, sich gemeinschaftlich zu organisieren. Dadurch konnten Praktiken ausgelebt und Werte gefördert werden, die in sozialistischen Zeiten unterdrückt wurden, zum Beispiel Nationalismus und Traditionalismus. Die Teilnahme an Civic Circles vermittelte ein Gefühl der Gemeinschaft und wirkte identitätsstiftend. Denn die UngarInnen wurden von Orbán explizit dazu aufgefordert, sich bei einem gemeinsamen (Nichen-)Interesse zusammenzuschließen und weitere identitätsstiftende Merkmale selbst zu entwerfen (Flagge, Wappen etc.). Dazu kam, dass die einzelnen Civic Circles untereinander über eine Art Newsletter vernetzt waren, was in damaligen Zeiten technologisch noch nicht selbstverständlich war. In diesen Newslettern wurde immer wieder zu verschiedenen Wettbewerben aufgerufen, was ein Ansporn für eine zusätzliche Mobilisierung war. Die Civic Circles waren ebenfalls eng mit der katholischen Kirche verbunden sowie mit einigen großen NGOs (vgl. Greskovits 2017, 11; Kövér 2015, 84).
Die Fidesz-Partei und Orbán nahmen keine aktive Führungsrolle ein, sondern boten die nötige Infrastruktur zum Aufbau der Civic Circles und zu deren Vernetzung untereinander. Orbán legte die Kommunikations- und Organisationsstruktur beabsichtigt mehrheitlich horizontal an, was den einzelnen Civic Circles einen autonomen Handlungsspielraum gewährte oder zumindest den Anschein desselbigen. Das notwendige Maß an Hierarchisierung, das bei Beachtung der Größe des CCM ersichtlich wird, wurde mit relativer Autonomie für die einzelnen Civic Circles-TeilnehmerInnen gekoppelt und so eine hybride Organisationsstruktur geschaffen (vgl. Greskovits 2017, 11).
Der einzige Weg, um jetzt aber fundiert behaupten zu können, dass es sich beim CCM um eine zivilgesellschaftliche Form politischer Partizipation handelt, ist über eine theoretische Auseinandersetzung mit dem Fallbeispiel und einer darauf aufbauenden Argumentation möglich. Es gibt in der theoretischen Bearbeitung des Konzepts der Zivilgesellschaft verschiedene Herangehensweisen. Edwards definiert Zivilgesellschaft nach Michael Walzer (1998) wie folgt:
„Civil society is the sphere of uncoerced human association between the individual and the state, in which people undertake collective action for normative and substantive purposes, relatively independent of government and market.“ (Edwards 2011, 4)
Zivilgesellschaft wird als sehr offener Begriff gefasst: als Sphäre, als einen Raum der Interaktionen zwischen Individuen und dem Staat. Dieser Raum unterliegt dennoch bestimmten Voraussetzungen, denn darin sollen Menschen unabhängig von Regierung und Markt kollektiv zu wesentlichen, normativen Zwecken handeln können (vgl. Edwards 2011, 4) Was bedeutet das umgelegt auf unser Fallbeispiel des CCM? Das CCM lässt sich auf jeden Fall innerhalb dieser definitorischen Rahmenbedingungen kontextualisieren. Wichtig hierbei anzumerken ist, dass die Fidesz-Partei und Viktor Orbán zwar politische AkteurInnen waren, aber in der Definition explizit von der Unabhängigkeit der Regierung und nicht des gesamten politischen Systems gesprochen wird. Denn Orbán war zur Zeit der Wiederbelebung bis zu seinem Erdrutschsieg 2010 stets in der Opposition und somit kein Regierungsmitglied. Damit ist der erste Grundstein für eine Einordnung des Fallbeispiels CCM als zivilgesellschaftliche Partizipation gelegt.
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- Citation du texte
- Luana Luisa Heuberger (Auteur), 2019, Die "Civic Circles Movement" in Ungarn. Staatliche Zentralisierung oder zivilgesellschaftliche Partizipation?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/506718
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