Was mit dem ‚Fall Biermann’ begann, fand seinen Abschluss in den Ereignissen der Jahre 1989 und 1990 - oder doch nicht? Welchen Einfluss hatten die Schriftsteller und Liedermacher der DDR tatsächlich auf die Entwicklung des sozialistischen Staates bis hin zur deutschen Wiedervereinigung?
In der homogenisierten und weitgehend gleichgeschalteten DDR-Gesellschaft waren die politischen Gegner vor allem in den Kreisen derer zu finden, die ihre individuelle Selbstbehauptung und die Unabhängigkeit ihres Denkens in den Vordergrund stellten. Die Sozialstruktur der DDR machte es fast unmöglich, eine Massenbewegung wie die polnische Solidarnosc hervorzubringen, die sich vor allem aus dem Arbeitermilieu zusammensetzte. Als letzter Versuch einer Selbstbefreiung von großen Teilen der Gesellschaft ist der Aufstand des 17. Juni 1953 zu sehen,1der blutig vom Regime niedergeschlagen wurde und viele Todesopfer und Verletzte forderte. Schriftstellern und Liedermachern boten sich wie auch anderen Intellektuellen demgegenüber andere Möglichkeiten des Protestes. Zum Teil versteckt, zum Teil aber auch offen, nutzten viele von ihnen ihre Prominenz und die Medienöffentlichkeit, um auf die Missstände in der DDR hinzuweisen. Dennoch waren längst nicht alle von ihnen in der Opposition zu finden. Während einige ihre Freiheit riskierten und zum Teil schwere Repressalien erdulden mussten, stellten sich andere als Opportunisten oder Kollaborateure auf die Seite des Regimes, wurden zu Mitgliedern des Kaders der SED oder zu informellen Mitarbeitern des Ministeriums für Staatsicherheit. In dieser Hausarbeit soll auf letztere jedoch weniger eingegangen werden. Betrachtet werden sollen vor allem jene, die während all der Jahre versuchten, ihre Identität zu wahren und sich aus der geistig-ideologischen Gefangenschaft zu befreien. Aufgrund vieler schriftlicher Dokumente können die Schriftsteller und Liedermacher der DDR besonders gut untersucht werden. Zunächst soll am Fall Wolf Biermann dargestellt werden, wie die SED auf nonkonforme Inte llektuelle reagierte, und welchen Einfluss dies auf die folgenden Entwicklungen nahm. So gibt es etwa die These, dass die Ausweisung Biermanns zu einem geistigen Aderlass führte, da viele intellektuelle
Inhalt
1 Einleitung
2 Schriftsteller und Liedermacher in der DDR
2.1 Die Bedeutung der Literatur in der DDR
2.2 Politische Lieder und Literatur
2.2.1 Robert Havemann
2.2.2 Rudolf Bahro
2.2.3 Rolf Henrich
2.2.4 Der Fall Wolf Biermann
2.3 Der Mythos vom „Leseland DDR“
2.3.1 Literaturförderung in der DDR
2.3.2 Das Beispiel Christa Wolf
3 Die letzten Jahre der DDR
3.1 Periodisierung der Ereignisse
3.2 Die Rolle der Schriftsteller
4 Schlussbemerkungen
Literatur
Anhang
1 Einleitung
Was mit dem ‚Fall Biermann’ begann, fand seinen Abschluss in den Ereignissen der Jahre 1989 und 1990 – oder doch nicht? Welchen Einfluss hatten die Schriftsteller und Liedermacher der DDR tatsächlich auf die Entwicklung des sozialistischen Staates bis hin zur deutschen Wiedervereinigung?
In der homogenisierten und weitgehend gleichgeschalteten DDR-Gesellschaft waren die politischen Gegner vor allem in den Kreisen derer zu finden, die ihre individuelle Selbstbehauptung und die Unabhängigkeit ihres Denkens in den Vordergrund stellten. Die Sozialstruktur der DDR machte es fast unmöglich, eine Massenbewegung wie die polnische Solidarność hervorzubringen, die sich vor allem aus dem Arbeitermilieu zusammensetzte. Als letzter Versuch einer Selbstbefreiung von großen Teilen der Gesellschaft ist der Aufstand des 17. Juni 1953 zu sehen,[1] der blutig vom Regime niedergeschlagen wurde und viele Todesopfer und Verletzte forderte.
Schriftstellern und Liedermachern boten sich wie auch anderen Intellektuellen demgegenüber andere Möglichkeiten des Protestes. Zum Teil versteckt, zum Teil aber auch offen, nutzten viele von ihnen ihre Prominenz und die Medienöffentlichkeit, um auf die Missstände in der DDR hinzuweisen. Dennoch waren längst nicht alle von ihnen in der Opposition zu finden. Während einige ihre Freiheit riskierten und zum Teil schwere Repressalien erdulden mussten, stellten sich andere als Opportunisten oder Kollaborateure auf die Seite des Regimes, wurden zu Mitgliedern des Kaders der SED oder zu informellen Mitarbeitern des Ministeriums für Staatsicherheit.
In dieser Hausarbeit soll auf letztere jedoch weniger eingegangen werden. Betrachtet werden sollen vor allem jene, die während all der Jahre versuchten, ihre Identität zu wahren und sich aus der geistig-ideologischen Gefangenschaft zu befreien. Aufgrund vieler schriftlicher Dokumente können die Schriftsteller und Liedermacher der DDR besonders gut untersucht werden. Zunächst soll am Fall Wolf Biermann dargestellt werden, wie die SED auf nonkonforme Intellektuelle reagierte, und welchen Einfluss dies auf die folgenden Entwicklungen nahm. So gibt es etwa die These, dass die Ausweisung Biermanns zu einem geistigen Aderlass führte, da viele intellektuelle Oppositionelle in der Folge die DDR verließen. Viele andere glaubten jedoch weiterhin an die Möglichkeit des Dritten Weges und an mögliche Reformen von innen. Schriftsteller und Wissenschaftler wie Robert Havemann, Rudolph Bahro und Rolf Henrich veröffentlichten Werke, in denen sie den real existierenden Sozialismus kritisierten und einen besseren Sozialismus forderten. Doch auch diese Forderungen gingen der SED bereits zu weit und die Autoren wurden abgestraft. Im Leseland DDR galt die Literatur als unabdingbare Voraussetzung für den Sieg des Sozialismus – allerdings des Sozialismus im Sinne der Parteiführung.
Einige Schriftsteller gingen zunächst konform mit den Vorstellungen der SED, veränderten ihre Einstellung jedoch im Laufe der Zeit unter dem Einfluss verschiedener Ereignisse wie etwa der Biermann-Ausweisung oder auch aufgrund der gängigen Zensurpraxis in der DDR, die zwar nicht kraft Gesetzes festgeschrieben war, faktisch aber in der Handhabe der Druckgenehmigung lag. Als Beispiel soll hier die wohl bekannteste DDR-Schriftstellerin Christa Wolf dienen, die sich zunächst aktiv in der SED engagierte, dieser jedoch im Wendejahr 1989 den Rücken kehrte.
Anhand der Betrachtung verschiedener Ereignisse zwischen 1981 und 1989, an denen Schriftsteller der DDR aktiv beteiligt waren, soll verdeutlicht werden, welchen Beitrag zur Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten sie tatsächlich zu leisten imstande waren. Hier sollen bewusst nicht nur die wichtigen Begebenheiten wie der Schriftstellerkongress vom November 1987 und die Protestdemonstration auf dem Alexanderplatz am 4. November 1989 angeführt werden, sondern auch weniger wichtige Aktionen wie etwa die Berliner Begegnung zur Friedensförderung im Dezember 1981. Gerade letztere zeigen, wie viele Forderungen von den Intellektuellen oft nur halbherzig bzw. nicht konsequent genug vertreten wurden. Ob dies an den Bedrohungen durch das Regime oder an der Elfenbeinturmmentalität der Intellektuellen lag ist eine Frage, die es in der Hausarbeit zu klären gilt. Hat das Volk in der Zeit der rasanten Entwicklungen in den Jahren 1989/1990 seine eigenen „Vordenker“ überholt? Und konnten die Intellektuellen den Anforderungen, die an sie gestellt wurden überhaupt ausreichend gerecht werden?
2 Schriftsteller und Liedermacher in der DDR
Im diesem Kapitel soll zunächst auf die Funktion der Literatur eingegangen werden und dabei insbesondere auf die Vorstellungen der SED über die Inhalte und Wirkungen von Büchern und Texten. Daran anschließend soll die politische Literatur in der DDR genauer betrachtet werden. Welche Schriftsteller und Werke sind besonders bekannt, welche Inhalte, Interessen und Ziele waren zu finden und wurden verfolgt? Wie trotz aller Einschränkungen der Mythos des „Leselandes DDR“ erwachsen konnte, soll im Kapitel 2.3 geklärt werden.
2.1 Die Bedeutung der Literatur in der DDR
Nach den Vorstellungen der SED galt Literatur in der DDR als „unabdingbare Voraussetzung für den Sieg des Sozialismus.“[2] Ihre Funktion war es, „formend Einfluss auf Charakter, Lebensgefühl und Lebensweise aller Werktätigen zu nehmen und dazu beizutragen, sozialistische Grundüberzeugungen zu vertiefen, indem sie aus sozialistischer Sicht Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft erfasst.“[3] Nicht jeder Inhalt war in diesem Zusammenhang erwünscht, die Zensur von Büchern, die diesen Ansprüchen nicht gerecht wurden, war an der Tagesordnung, denn die Regierung wusste „um den Missbrauch, der mit dem gedruckten Wort getrieben werden kann.“[4]
Den oppositionellen Autoren in der DDR blieben nur die Alternativen, sich dem System zu beugen, es zu überlisten und zwischen den Zeilen zu schreiben oder es zu umgehen – zum Beispiel durch Veröffentlichungen im Westen. Bei offenem Zuwiderhandeln setzten sie sich allerdings bewusst den Repressalien der Staatsicherheit aus und wurden nicht selten mit Ausweisung, Arrest oder Haft bestraft. Die Übergänge zwischen Zensur und Selbstzensur waren aus diesem Grunde fließend. Die Zensur der Titel lag faktisch in der Handhabe der Druckgenehmigung. Die "Hauptverwaltung Verlage und Buchhandel" des Ministeriums für Kultur war der Dreh- und Angelpunkt der Literaturproduktion. Sowohl die Lizenzierung als auch die Anleitung der Verlage, die Koordination und Kontrolle der thematischen Jahres- und Perspektivplanung und die Begutachtung der Manuskripte wurde vom Ministerium für Kultur ausgeübt.[5] Vor diesem Hintergrund erscheint eine Aussage Erich Honeckers eher lächerlich:
„Wir hatten keine Zensur… Bei uns gab es sie nur kraft Bewusstseins… Wir waren das einzige sozialistische Land, das die Dinge laufen ließ.“[6]
Viele Schriftsteller waren jedoch nicht grundsätzlich gegen das System der DDR eingestellt. Ihr Ziel war zunächst die Beseitigung der Missstände und eine Reformierung der DDR-Gesellschaft in der Illusion einer Möglichkeit eines 3. Weges. Sie forderten keine Problemlösungen außerhalb der sozialistischen Gesellschaft, sondern eine neue Form des demokratischen Sozialismus, da die meisten unter ihnen den marktwirtschaftlichen Lösungen und dem bürgerlichen Parlamentarismus skeptisch gegenüberstanden.[7] Aber selbst diese Kritik am herrschenden System war der SED häufig zu viel, auch solchen Schriften folgten nicht selten Ausschlüsse aus der Partei oder Verhaftungen. Um Repressalien zu entgegen, versuchen viele Schriftsteller Begriffe und Redewendungen aus dem kommunistischen Wortschatz zu verwenden. Die Möglichkeiten des Protestes wurden dadurch natürlich immens eingeschränkt.
Nach dem Zusammenbruch der DDR unterteilte Jens Reich, der sich selbst als Molekularbiologe dem ideologischen Druck in der DDR weitgehend entziehen konnte, die DDR-Intelligenz in vier Gruppen[8]:
- die überzeugten Anhänger des Systems, eine relativ große Gruppe,
- die an sich überzeugten, aber zur „Umkristallisation“[9] bereitstehenden
- die Gruppe derer, die angepasstes bis unpolitisches Verhalten zeigten
und damit die größte Gruppe bildeten, sowie
- die aktiven Dissidenten und Reformer, die nur eine Minderheit darstellten.
In seiner Abrechnung kurz nach der Wende geht Reich sogar noch einen Schritt weiter und bezeichnet die größeren Gruppen, also die der angepassten und Mitläufer und die der Anhänger des Systems, als „Komplizen eines doktrinären Sozialismus“, die Verrat an ihrer eigenen Sache und an der des Volkes begangen hätten.
Bei dieser Kritik dürfen jedoch jene nicht vernachlässigt werden, die zu den kleineren Gruppen gehörten und deren Einsatz bis heute zeigt, dass sich nicht alle Intellektuellen verbiegen ließen. Im folgenden Kapitel soll nun näher auf die politische Literatur in der DDR eingegangen und drei Schriftsteller und ein Liedermacher mit ihren Werken vorgestellt werden, die großen Einfluss auf die Entwicklung und das Denken über den Sozialismus und das System der DDR hatten.
2.2 Politische Lieder und Literatur
Wie oben erwähnt war bis in den Herbst 1989 die häufigste Forderung nicht etwa die nach einer Wiedervereinigung mit der BRD oder einer Auflösung der sozialistischen Gesellschaft, sondern vielmehr der Ruf nach einem demokratischen und besseren Sozialismus. Viele Autoren hofften und glaubten an eine Möglichkeit des 3. Weges. Zu den bekanntesten Werken über den Marxismus und Sozialismus in der DDR zählen Robert Havemanns „Fragen, Antworten, Fragen. Aus der Biographie eines deutschen Marxisten.“ Von 1970, Rudolf Bahros „Die Alternative“ von 1979 sowie Rolf Henrichs “Der vormundschaftliche Staat. Vom Versagen des real existierenden Sozialismus“, das erst kurz vor der Wende 1989 erschien.[10] Wolf Biermanns Liedtexte weisen in eine ähnliche Richtung, seine Ausbürgerung zog vielfältige Protestaktionen nach sich, an denen sich sogar vom System privilegierte Intellektuelle beteiligten.
2.2.1 Robert Havemann
Der im Jahre 1982 verstorbene promovierte Chemiker Robert Havemann engagierte sich in den Nachkriegsjahren zunächst sehr für den Aufbau der DDR und stand als geheimer Informator mit dem Ministerium für Staatsicherheit in Verbindung. Schon 1956 begann er allerdings, die ideologische Bevormundung durch die SED als Hemmnis der Wissenschaften zu kritisieren und forderte öffentliche Diskussionen, Informations- und Meinungsfreiheit. Nach einer aufsehenerregenden Vorlesungsreihe an der Humboldt-Universität 1963/64 wurde er aus der SED ausgeschlossen und erhielt Berufs- und Publikationsverbote – seine Auffassung des Begriffes der Freiheit des einzelnen innerhalb des Sozialismus waren der SED ein Dorn im Auge. Havemann blieb fortan aber keineswegs stumm, außerdem weigerte er sich bis zu seinem Lebensende, die DDR zu verlassen.[11] Sein Einsatz für eine legale Opposition setzte sein Bleiben voraus, das er dem Regime gegenüber auch mit seiner grundsätzlichen Parteinahme für die DDR begründete.
[...]
[1] Vgl. Veen, Hans-Joachim, 2000, S. 33.
[2] Haid, Bruno, 1972, S. 9.
[3] Ebenda, S. 8.
[4] Ebenda, S. 9.
[5] Vgl. http://www.mdr.de/damals-in-der-ddr/lexikon/1519929-hintergrund-1518934.html
[6] Glaser, Hermann, 1997, S. 360.
[7] Vgl. Lindner, Bernd, 2001, S. 7 ff.
[8] Vgl. Reich, Jens, 1992, in: Glaser, Hermann, 1997, S. 271.
[9] Der Begriff entstammt Rudolph Bahros „Alternative“.
[10] Vgl. Lindner, Bernd, 2001, S. 15.
[11] Vgl. Veen, Hans-Joachim, 2000, S. 176.
- Citation du texte
- Nina Butzke (Auteur), 2005, Schriftsteller und Liedermacher in der DDR - Vom Fall Biermann bis zur Wende, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/50600
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