Das journalistische Bonmot vom ‚Sport als schönster Nebensache der Welt‘ mag zunächst einladend und stimmig klingen. Nimmt man allerdings die Präsenz des Sports in unserer Gesellschaft genauer unter die Lupe, so stellt sich schnell heraus, daß Sport wesentlich mehr ist als eine zu vernachlässigende Nebensächlichkeit. Empirischen Untersuchungen zu folge treiben über die Hälfte der Menschen in diesem Land Sport, bzw. geben dies an1(vgl. Rittner, 1994). Der Sport hat nicht nur eine beachtenswerte Expansion hinter sich, - insofern sich Sporttreibende vermehrt, Vereins- und Verbandszahlen gestiegen sind und die organisatorische Komplexität gesteigert wurde - er hat sich auch in bezug auf seine qualitativen Inhalte gewandelt. Unter Sport fallen nicht mehr nur die traditionellen Disziplinen wie Fußball, Tennis, Schwimmen, Leichtathletik usf., sondern auch Extremsportarten, Meditations- und Kampfsportarten asiatischer Herkunft oder Darstellungskünste wie Jonglieren. Abgesehen von der schwierigen Frage der Sportdefinition ist festzustellen, daß im Zuge des gesellschaftlichen Wandels der Sport und seine Organisation Formen angenommen hat, der sich die wissenschaftliche Forschung, speziell in diesem Fall die Soziologie, stellen muß, da die Wechselwirkungen zwischen Gesellschaft und dem Sport immer mehr zunehmen. Kulturelle, politische und vor allem wirtschaftliche Phänomene sind mit der Entwicklung im Sport eng verknüpft und beeinflussen einander stark.
Inhalt
1. Einleitung
2. Theoretischer Ansatz
2.1. Systemtheorie
2.1.1. System-Umwelt Theorie
2.1.2. Codierung und Programmierung
3. Das Sportsystem
3.1. Entdeckung und Entwicklung des Sports
3.1.1. Autonomisierungsprozesse des Sports
3.1.2. Fortgeschrittener Wandel
3.2. Soziale Differenzierung/ Binnendifferenzierung
4. Der Körper als soziales Gebilde
4.1. Leib-Sein und Körper-Haben
4.2. Die soziale Formung des Körpers
4.3. Körper und gesellschaftliche Entwicklung
5. Körper und Sport
5.1. ‚Ich‘, der Körper
5.2. Körperdistanzierung
5.3. Körperthematisierung
5.4. Kultkörper des Sports
6. Schluß
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Das journalistische Bonmot vom ‚Sport als schönster Nebensache der Welt‘ mag zunächst einladend und stimmig klingen. Nimmt man allerdings die Präsenz des Sports in unserer Gesellschaft genauer unter die Lupe, so stellt sich schnell heraus, daß Sport wesentlich mehr ist als eine zu vernachlässigende Nebensächlichkeit. Empirischen Untersuchungen zu folge treiben über die Hälfte der Menschen in diesem Land Sport, bzw. geben dies an[1] (vgl. Rittner, 1994). Der Sport hat nicht nur eine beachtenswerte Expansion hinter sich, – insofern sich Sporttreibende vermehrt, Vereins- und Verbandszahlen gestiegen sind und die organisatorische Komplexität gesteigert wurde – er hat sich auch in bezug auf seine qualitativen Inhalte gewandelt. Unter Sport fallen nicht mehr nur die traditionellen Disziplinen wie Fußball, Tennis, Schwimmen, Leichtathletik usf., sondern auch Extremsportarten, Meditations- und Kampfsportarten asiatischer Herkunft oder Darstellungskünste wie Jonglieren. Abgesehen von der schwierigen Frage der Sportdefinition ist festzustellen, daß im Zuge des gesellschaftlichen Wandels der Sport und seine Organisation Formen angenommen hat, der sich die wissenschaftliche Forschung, speziell in diesem Fall die Soziologie, stellen muß, da die Wechselwirkungen zwischen Gesellschaft und dem Sport immer mehr zunehmen. Kulturelle, politische und vor allem wirtschaftliche Phänomene sind mit der Entwicklung im Sport eng verknüpft und beeinflussen einander stark.
Diese Prozesse deuten auf einen erfolgreichen Werdegang, so daß schon von der „‚success-story‘ des modernen Sports“ (Rittner, 1994, S.23) gesprochen wird.
Grund hierfür sind unter anderem die geänderten Einstellungen zum und Wahrnehmungen des hauptsächlichen ‚Instruments‘ des Sports, dem Körper. Unzählige Medien kommunizieren den Körper. „Streife ich sonntags durch den Wald und über die Felder, lese ich die Werbeanzeige für das x-te neueröffnete Fitneß- oder Bräunungsstudio am Ort, halte ich die erste Ausgabe des x-ten Magazins für ‚den Typ mit dem sportiven Lebenstil‘ in der Hand oder eine der Spezialzeitschriften für Body-Builder, Mountain-Biker, Rafter usw., erreicht mich die x-te Aufforderung, an einem Fitneß-, Trimm-Dich-, Diät (‚Welcher Fett-Typ sind Sie?‘) oder Raucherentwöhnungskurs der ‚Gesundheitskasse‘ teilzunehmen und im Shop derselben den Gymnastikball und die Gymnastikmatte zu erwerben, weiß ich: Der Körper hat Konjunktur. Die Arbeit an ihm, die Beschäftigung mit ihm, die Sorge um ihn, seine Verbesserung, Verschönerung und Veränderung sind das Gebot der Stunde“ (Handschuh-Heiß, 19.., S.167).
Der Körper macht also Karriere. Mit ihm befassen sich Fachleute von Medizinern bis Meditationskünstlern, nehmen ihn auseinander, zerlegen ihn und setzen ihn wieder neu zusammen. Bald soll es den geklonten Menschen geben. Für Erfolge im Sport werden Körper malträtiert und letzte Reserven von ihm mobilisiert. Das „Experimentieren bis zum Kollaps“[2] ist längst Realität und ist Ausdruck eines körperlich-technischen Wettrüstens um unbedingte Leistung. Dabei ist zu konzedieren: „Wir sind in vielen Disziplinen am Limit angekommen, und in einigen haben wir es bereits überschritten.“[3]
Der Anstieg des Interesses am Körper ist aber nicht vom Himmel gefallen, sondern findet seine Ursachen in zu untersuchenden Sachverhalten. Wie ist es zu erklären, daß der Körper trotz scheinbarer Unwichtigkeit angesichts immenser Rationalisierungs- und Technologisierungsprozesse, die den Roboter als Menschenersatz schon hervorgebracht haben, in der heutigen Gesellschaft eine solche Nachfrage erfährt? Welche Funktion erfüllt der Körper in unserer Gesellschaft und wie tut er das? Warum kann der Körper als Fluchtpunkt dienen?
Einer Analyse gesellschaftlicher Prozesse, die der Beantwortung dieser Fragen nützlich sein könnte, ist die vorliegende Arbeit gewidmet.
Es soll das Verhältnis von Körper und Gesellschaft unter der Bedingung fortgeschrittener Modernität nachgezeichnet werden. Dabei kommt dem Sport die Rolle zu, als soziales System entscheidender Einflußfaktor für moderne Körperlichkeit zu sein. Der Sport nimmt wie kein anderes Subsystem der Gesellschaft bezug auf den Körper. Aus der Perspektive der neueren soziologischen Systemtheorie sollen die Zusammenhänge zwischen Sport, Gesellschaft und Körper genauere Betrachtung erfahren. Dabei geht es zunächst darum, den theoretischen Hintergrund zu beleuchten und Verbindungen zwischen Sport und Gesellschaft herzustellen. Danach werden Ausführungen über die gesellschaftliche Determinierung des Körpers folgen, um die Intensität der körperlichen Bedingtheit vom Sozialen zu zeigen. Danach wird den Vorgängen der historischen Körperdistanzierung und der neuen Körperthematisierung nachgegangen. Zum Schluß soll die Frage nach der Faszination des bewegten Sportkörpers beantwortet werden
2. Theoretischer Ansatz
Die in dieser Arbeit zu beschreibenden Phänomene gesellschaftlicher Vorgänge und deren Bezug zum Sport und schließlich zum Körper werden mit Hilfe systemtheoretischer Begrifflichkeiten und Inhalten versucht zu erklären. Diese Gesellschaftstheorie gilt als äußerst abstrakt und häufig schwer zugänglich und ihr wird zusätzlich ein methodischer Antihumanismus vorgeworfen (vgl. Habermas, 1985), was ihn für die Untersuchung des Körpers als unfruchtbar erscheinen läßt. Der Mensch kommt in diesem Ansatz nicht als Ganzheit vor, sondern wird in Ausschnitten herangezogen, um systemische Imperative zu erfüllen. Am Schnittpunkt von biologischen, psychischen und sozialen Systemen erscheint er jeweils nur als Teil eines größeren und für ihn kaum zugänglichem Ganzen. Er ist Umwelt der Gesellschaft, und kann sogar froh darüber sein, da „Systeme, die dem Ideal der Kritiker entsprechen und den Menschen nicht als Umwelt behandeln, haben den Charakter totaler Institutionen (Gefängnis, Sekte etc.). Erst dadurch, daß der einzelne eben nicht mit Haut und Haaren und in der Gesamtheit seines Denkens, Handelns und Fühlens von einem einzigen System vereinnahmt wird, also Umwelt bleibt, können individuelle Freiheit und Subjektautonomie zustande kommen“ (Bette, 1999, S.50f.). Und weil Systembildung notwendigerweise passiert, wenn Kommunikation abläuft (vgl. Bette, 1999), kann nur ein als Ganzes erfaßter Mensch ‚Opfer‘ eines Systems werden, und somit antihumanen Behandlungen weit stärker ausgeliefert sein, als wenn ihm Umweltfreiräume zugestanden werden.[4]
2.1. Systemtheorie
Die Systemtheorie ist als eine Theorie selbstreferentieller Systeme konzipiert worden.[5] Im Mittelpunkt der Theorie steht die Idee der Selbstorganisation und zirkulären Selbstreproduktion von Systemelementen. Dabei erzeugen komplexe, selbstbezüglich orientierte Systeme jene Elemente, aus denen sie bestehen, mit Hilfe der Elemente, aus denen sie bestehen. Da dieser Rekurs auf sich selbst immer nur auf sie selbst gerichtet ist, sind die Systeme notwendigerweise geschlossen. Man nennt sie deshalb auch autopoietische Systeme, also Systeme der Selbstherstellung.
2.1.1. System-Umwelt Theorie
Ein weiterer entscheidender Punkt der Systemtheorie ist die Differenzbildung. Diese ist nötig, um Informationen zu verarbeiten, um Welt zu verstehen, da die Komplexität (die hohe Zahl und Vielfalt möglicher Ereignisse) in modernen Gesellschaften als derart hoch angesehen wird, daß ohne deren Reduktion die Systeme kollabieren würden. Dies geschieht anhand von Differenzbildungen wie Subjekt/Objekt, Teil/Ganzes, Mann/Frau oder schnell/langsam. „Nur dadurch, daß ein System vergleicht, Differenzen setzt, kann es Regelmäßigkeiten, Gleichheiten und Ungleichheiten ausmachen und voneinander abgrenzen (Bette, 1999, S. 28). Die zentrale Unterscheidung der neueren Systemtheorie ist die Differenz von System und Umwelt. Beides ist aufeinander komplementär bezogen, denn ohne Umwelt kein System und umgekehrt. Dabei steht die Idee der Selbstreferenz und Geschlossenheit nicht im Widerspruch zur Differenzierung. Umweltanpassung ist hier nicht die Operation, die Systeme beeinflußt, sondern strukturelle Kopplung. Die Binnenorientierung von Systemen meint nicht die autarkische, radikale Abschottung nach außen, sondern die trotz Nichtpenetrierbarkeit wichtige Funktion der Umwelt für den Erhalt von Systemen. Die Asymmetrie von System und Umwelt schafft die Möglichkeit, alles zu verarbeiten, was gerade relevant ist, aber nur unter der Voraussetzung, daß man angibt, was System und was Umwelt ist. Dies soll ein Beispiel verdeutlichen. Aus der Perspektive der ökonomischen Systems ist der Sport ein Teil der wirtschaftlich bedeutsamen Umwelt. Aus dem Blickwinkel des Sports ist die Wirtschaft ein wichtiger Faktor der sportrelevanten Umwelt. Welche Abhängigkeiten und Wechselbeziehungen zwischen diesen Systemen bestehen, ergibt sich immer aus der Perspektive der Beobachtung, d.h. was System ist und was Umwelt. Eine homogene Sichtweise auf die Welt ist dort unmöglich, wo viele Funktionssysteme ausdifferenziert sind. Was für ein Teilsystem Innenwelt ist, ist für einen anderen Sozialzusammenhang Außenwelt.
Im Unterschied zu anderen Systemen (bspw. Maschinensystemen) funktionieren Sozialsysteme auf der Basis von Sinn. Dies setzt den Gebrauch von Kommunikation voraus, aus der Gesellschaft besteht. Kommunikation wird in jeweiligen Systemen durch symbolisch generalisierte Steuerungsmedien (Macht, Geld, Liebe) vereinfacht und unterstützt. Die durch Kommunikation ermöglichte Sinngebung ist eine Form der Erlebnisverarbeitung, die einen Rahmen zur Verfügung stellt, der vor einer Überlastung durch Komplexität schützt und ein basales Vertrauen schafft. Sinn erfüllt dabei eine Selektions- und Ordnungsfunktion, die Dazugehörigkeit zu den jeweiligen Systemen bestimmt. Damit erfolgt eine Einschränkung von Möglichkeiten (Kontingenzen), und somit kanalisieren systemische Bedingungen Erwartungszusammenhänge und Handlungen. Ein Patient, der einen Arzt aufsucht, möchte nicht über die Situation des Aktienmarktes sprechen, sondern entsprechend seiner gesundheitlichen Verfassung behandelt werden.
Aus dieser Sicht müssen Individuen angemessen wirtschaftlich, ökonomisch oder sportlich zu handeln lernen. Dieses Fluktuieren zwischen den systemischen Handlungsimperativen schreibt sich in die Innenwelt des Einzelnen ein, der wiederum der Kontingenz (der Möglichkeit des Andersseins) mit vereinfachten Bildern von der Wirklichkeit sozialer Systeme und Situationen begegnet. Man kann kaum an die Kompliziertheit der modernen Wirtschaft beim Kauf eines Joghurts denken.
2.1.2. Codierung und Programmierung
Wie nun die Systeme ihre Selbstreferenz ausbilden und zu einer operativen Geschlossenheit gelangen, soll im folgenden geklärt werden. Jedes Sozialsystem besitzt seinen eigenen Code, seinen eigenen Operationsmodus. Diese Codes strukturieren die Kommunikation der jeweiligen Systeme, die dadurch nicht mehr beliebig, sondern den Systemen eindeutig zugeordnet werden kann. Die Systeme operieren mit binären Codes, die immer unter dem Leitmotiv Position/Negation stehen. So ist der Code des Rechtssystem Recht/Unrecht, der der Politik Macht/keine Macht oder Regierung/Opposition, der der Wirtschaft Haben/Nicht-Haben und der der Wissenschaft Wahr/Unwahr. Der Sport, sofern er einen eigenen Code besitzt, stützt sich auf die Kommunikation von Sieg und Niederlage. Unter diesen Orientierungsregeln werden bei jeweiligen Akteuren der Systeme Situationen hergestellt, die Erlebtes korrelieren lassen und anhand dessen Differenzen (innerhalb der Systeme) erzeugen. Die Codes stellen also eine Art Filter dar, die der Steuerung von System-Unwelt-Relationen dienen.
Die operative Schließung auf der Ebene von Codes versetz Systeme in die Lage, auf Ebene seiner Programme offen zu sein. Programmierung bedeutet, „daß die Leitdifferenz von Sieg und Niederlage operationalisiert wird durch eine Reihe von Handlungsschemata, die für den Primärcode von Bedeutung sind. Hierfür ein Beispiel: Das Dual des Rechtssystems ist der Code von Recht und Unrecht. Die programmatischen Differenzen wären schuldfähig/nicht schuldfähig; betrunken/nicht betrunken, zurechnungsfähig/nicht zurechnungsfähig etc. All diese Unterscheidungen werden mitberücksichtigt, wenn es um die Feststellung der Schuldfrage geht. Es macht in der Bestrafung einen Unterschied, ob jemand zum Zeitpunkt einer Straftat betrunken oder nicht betrunken war.“ (Bette, 1999, S.39).
Soziale Systeme beobachten alle von außen kommenden Informationen daraufhin, ob sie nach Maßgabe interner Kommunikationsmöglichkeiten verwertbar sind. Nur Themen, die für das jeweilige System von Nutzen sind, wird Aufmerksamkeit geschenkt. Das heißt, daß Umwelteinflüsse nicht abgelehnt werden und sich daß System radikal abschottet, sondern daß externe Informationen durch interne Filter laufen, die Umwelteinflüsse selektiv wahrnehmen und systemdeterminierend wirkt.
Diese Ausführungen sollen zunächst reichen, um den theoretischen Rahmen abzustecken. Im Anschluß wird das Sportsystem unter diesem Blickwinkel betrachtet. Dabei geht es vor allem darum, zu zeigen, wie sich diese Teilsystem intern strukturiert und welche Entwicklungen festzustellen sind.
3. Das Sportsystem
Der Sport erlangt in der neueren soziologischen Systemtheorie nicht den Status eines gesellschaftlichen Primärsystems, da es kein autonomes Steuerungsmedium besitzt. Es wird angenommen, „daß der auf virtuose Körperleistung ausgerichtete Spitzensport sich in bestimmten Belangen in einer durchaus mit den dominanten gesellschaftlichen Primärsystemen vergleichbaren Weise ausdifferenziert hat, in einem wichtigen Aspekt aber eine Autonomie nicht durchsetzen konnte: er hat kein eigenständiges symbolisch generalisiertes Steuerungsmedium ausprägen können. Er hat damit nicht jene Qualität erreicht, die Wirtschaft, Politik, Familie und Wissenschaft durch die Existenz ihrer Medien Geld, Macht, Liebe und Wahrheit etablieren konnten. Es scheint, daß der Sport keine für den gesamtgesellschaftlichen Reproduktionsprozeß unverzichtbare Funktion ausübt, sondern seine Systemqualität vornehmlich als Leistungsträger für andere Sozialbereiche gewinnt.“ (Bette, 1989, S.169). Existentielle Bedeutung kommt dem Sport also nicht zu. Trotzdem verstärkt er seine Bezüge zur systemeigenen Leistung selbstreferentiell und erhält eine zunehmend autonome Position.
Wird also über Sport als gesellschaftliches Teilsystem gesprochen, sind diese Erkenntnisse zu bedenken. Die Abhängigkeit von den Medien Geld, Macht, Wissen und Liebe bleibt bestehen und zeigt die Begrenztheit der Ausdifferenzierung des Sportsystems. Das heißt allerdings nicht, daß der Sport überhaupt nicht als wesentliches soziales System zu betrachten wäre, da er ja immerhin einen spezifischen Code ausgebildet hat.
Es soll nun aufgezeigt werden, welchen Verlauf die Ausdifferenzierung des Sportsystems genommen hat, d.h. in welcher Weise sich das Gesamtsystem gewandelt hat als auch den Gründen nachgespürt werden, die diese Entwicklungen vorangetrieben haben.
3.1. Entdeckung und Entwicklung des Sports
3.1.1. Autonomisierungsprozesse des Sports
Der Sport als relativ eigenständiger Teil der Gesellschaft existiert noch nicht sehr lang. Die Abhängigkeit von Bewegungsspielen zu anderen sozialen Bereichen war in älteren Gesellschaften wesentlich ausgeprägter. Edward Shorter (1993) beschreibt das Aufkommen ‚aerobischer‘ Sportarten zwischen 1870 und 1900. Seine These besagt, „daß diese Epoche zum Anfangszeitalter des aerobischen Sports wurde, weil die Verbesserung der Volksgesundheit ein neues, positives Körperimage ermöglichte. Die aktive Teilnahme am Sport, vor allem am aerobischen, wurde dann zu einer logischen Folge dieses gesundheitsbedingten körperlichen Selbstimages“ (Shorter, 1993, S.15). Im Verlauf seines Artikels stellt er fest. „Das Aufkommen des aerobischen Sportes am Ende des 19. Jahrhunderts stellt sich also als ein größeres Geflecht von kulturellen, sozialen und medizinischen Strömungen eingebettet dar“ (Shorter, 1993, S.28f.). Auch die Literatur verarbeitet in Person Robert Musils die trennschärfere Ausgestaltung des Sports. „Es hatte damals schon die Zeit begonnen, wo man von Genies des Fußballrasens oder des Boxrings zu sprechen anhub. (...) Nun haben aber noch dazu ein Pferd und ein Boxmeister vor einem großen Geist voraus, daß sich ihre Leistung und Bedeutung einwandfrei messen läßt und der Beste unter ihnen auch wirklich als der Beste erkannt wird und auf diese Weise sind der Sport und die Sachlichkeit verdientermaßen an die Reihe gekommen, die veralteten Begriffe von Genie und menschlicher Größe zu verdrängen“ (Musil, 1930, S. 44f.).
[...]
[1] Da Sport oder sportliche Bewegung ein positiv bewertetes Handeln ist, verzerren sich Umfragen leicht insofern, als Befragte den Wunsch nach sportlicher Betätigung mit tatsächlichem sportlichen Handeln gleichsetzen.
[2] So die Überschrift eines Spiegel-Artikels in der letzten Ausgabe vor den olympischen Spielen 2000 in Sydney.
[3] Wolfgang Baumann, Professor für Biomechanik in Köln, in selbiger Spiegel-Ausgabe.
[4] Zur detaillierteren Begründung der Nützlichkeit systemtheoretischer Ansätze für Körper und Sport siehe Bette, 1999, S.49-103
[5] Die Rede ist hier von der neueren soziologischen Systemtheorie, wie sie von Luhmann (1984, 1990) entwickelt wurde. Die Darstellung der Vorläufer dieser Theorie (Parsonsche Systemtheorie) würde den Rahmen der Arbeit sprengen.
- Quote paper
- Martin Beinhauer (Author), 2001, Fluchtpunkt Körper - Zur Entwicklung von Sport und Körper in der Moderne, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/50590
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