Zu Beginn des 21. Jahrhunderts sind in den wichtigsten und größten Staaten Westeuropas sozialdemokratische Parteien in Regierungsverantwortung. Die These, dass das sozialdemokratische Jahrhundert zu Ende gehe, scheint damit widerlegt worden zu sein. Das Gegenteil ist der Fall, in Großbritannien, Deutschland und Frankreich konnten die Sozialdemokraten ihre Stellung im Parteiensystem festigen und ausbauen. Die vorliegende Hausarbeit beschäftigt sich nun mit den Gründen für dieses Erstarken der Sozialdemokratie speziell in Großbritannien. Es geht dabei hauptsächlich um die ideologisch- programmatische, aber auch strukturelle Erneuerung der Labour Party seit ihren starken Verlusten am Anfang der 80er Jahre. Die neue Kommunikationsstrategie der Partei wird aus Platzgründen nur am Rande Beachtung finden. Die Untersuchung des Transformationsprozesses stützt sich vor allem auf das ideologische Grundgerüst, welches durch die Arbeiten des Soziologen Anthony Giddens geleistet wurde.
Nach einer Bestandsaufnahme über den Zustand der Labour Party zu Beginn der 80er Jahre des vorherigen Jahrhunderts, wird es im Hauptteil der Arbeit vor allem um den ideologischen Wandel innerhalb der Partei gehen, gestützt auf die zugehörigen Überlegungen Giddens in seinen „Third Way“ Abhandlungen. Im zweiten Teil wird dann auf die darauf folgenden programmatischen Veränderungen der Labour Party bis hin zum Wahlsieg 1997 eingegangen. Keine Rolle spielen dabei die verschiedenen anderen „Dritten Wege“ von Sozialdemokraten aus der Vergangenheit oder aus anderen Staaten Europas.
Diese Arbeit wird keine explizite Analyse des Wahlsystems Großbritannien geben. Stattdessen wird versucht werden, auf die Fragen nach den Motiven und Etappen des Transformationsprozesses der Partei eine Antwort zu finden. Des Weiteren versuche ich die Bedeutung der Transformation bestimmen zu können, vor allem im Hinblick auf die Frage, ob die Veränderungen eine Angleichung an Liberalismus bzw. Konservatismus sind, oder eine eigenständige politische Vision darstellen. Ziel ist es den Transformationsprozess von „Old Labour“ zu „New Labour“ auf den Ebenen von Programmatik, Organisation und Strategie in einen Gesamtkontext zu betten, ohne den Anspruch zu erheben, eine umfassende Analyse der inhaltlichen Ebenen in allen Policy-Bereichen der Partei vorzunehmen.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Was bedeutet „ Dritter Weg “ ?
3. Motive für einen „ Dritten Weg “ der Sozialdemokratie
4. Entwicklung der Labour Party bis in die 80er Jahre
5. Programmentwicklung und Strategien unter Neil Kinnock
5.1. Reformen in der Organisationsstruktur der Labour Party
5.2. Der Wandel zur modernen Medienpartei
6. Die programmatischen Veränderungen unter Tony Blair
7. Das Grundkonzept des „Dritten Weges “ nach Giddens
7.1. Herausforderungen an eine neue Politik
7.2. Der Dritte Weg
7.3. Kritik des Dritten Weges
7.4. New Labour und der Dritte Weg
8. Zusammenfassung
9. Literatur
1. Einleitung
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts sind in den wichtigsten und größten Staaten Westeuropas sozialdemokratische Parteien in Regierungsverantwortung. Die These, dass das sozialdemokratische Jahrhundert zu Ende gehe, scheint damit widerlegt worden zu sein. Das Gegenteil ist der Fall, in Großbritannien, Deutschland und Frankreich konnten die Sozialdemokraten ihre Stellung im Parteiensystem festigen und ausbauen.
Die vorliegende Hausarbeit beschäftigt sich nun mit den Gründen für dieses Erstarken der Sozialdemokratie speziell in Großbritannien. Es geht dabei hauptsächlich um die ideologisch- programmatische, aber auch strukturelle Erneuerung der Labour Party seit ihren starken Verlusten am Anfang der 80er Jahre. Die neue Kommunikationsstrategie der Partei wird aus Platzgründen nur am Rande Beachtung finden. Die Untersuchung des Transformationsprozesses stützt sich vor allem auf das ideologische Grundgerüst, welches durch die Arbeiten des Soziologen Anthony Giddens geleistet wurde.
Nach einer Bestandsaufnahme über den Zustand der Labour Party zu Beginn der 80er Jahre des vorherigen Jahrhunderts, wird es im Hauptteil der Arbeit vor allem um den ideologischen Wandel innerhalb der Partei gehen, gestützt auf die zugehörigen Überlegungen Giddens in seinen „ Third Way “ Abhandlungen.[1] Im zweiten Teil wird dann auf die darauf folgenden programmatischen Veränderungen der Labour Party bis hin zum Wahlsieg 1997 eingegangen. Keine Rolle spielen dabei die verschiedenen anderen „ Dritten Wege “ von Sozialdemokraten aus der Vergangenheit oder aus anderen Staaten Europas.
Diese Arbeit wird keine explizite Analyse des Wahlsystems Großbritannien geben. Stattdessen wird versucht werden, auf die Fragen nach den Motiven und Etappen des Transformationsprozesses der Partei eine Antwort zu finden. Des Weiteren versuche ich die Bedeutung der Transformation bestimmen zu können, vor allem im Hinblick auf die Frage, ob die Veränderungen eine Angleichung an Liberalismus bzw. Konservatismus sind, oder eine eigenständige politische Vision darstellen. Ziel ist es den Transformationsprozess von „ Old Labour “ zu „ New Labour “ auf den Ebenen von Programmatik, Organisation und Strategie in einen Gesamtkontext zu betten, ohne den Anspruch zu erheben, eine umfassende Analyse der inhaltlichen Ebenen in allen Policy-Bereichen der Partei vorzunehmen.
2. Was bedeutet „ Dritter Weg “?
Der Begriff des „ Dritten Weges “ steht allgemein für die Bezeichnung einer mittleren Alternative zwischen zwei Extrempositionen. Als Dritte Wege bezeichnet man die Zwischenform von Sozialismus und Kapitalismus, zum Beispiel den Konkurrenzsozialismus, oder neue Konzepte in Politik und Wirtschaft, zum Beispiel die Freiwirtschaft oder den Ordoliberalismus.[2] Daran sieht man, dass der Dritte Weg sich auf politische, wirtschaftliche aber auch kulturelle Aspekte beziehen kann, oder eine Gemengelage aus ihnen ist.[3]
Es gibt viele Definitionen für den so genannten Dritten Weg der Sozialdemokratie. Das liegt zum einen daran, dass die Diskussion über den Dritten Weg schon längere Zeit im Gange ist, und zum anderen hat es damit zu tun, dass sie nicht einheitlich geführt wird. Auch im Zusammenhang mit dem Eurokommunismus oder dem ,, Sozialismus mit menschlichem Antlitz" (Alexander Dubcek) des Prager Frühlings tauchte der Begriff auf. Gemeint war dabei allerdings immer ein Mittelweg zwischen Kapitalismus und real existierendem Sozialismus.
In den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts wurde der Begriff des ,, tredje vägen", also des Dritten Weges von Olof Palme, dem damaligen Ministerpräsidenten Schwedens, in der sozialdemokratischen Arbeiterpartei Schwedens geprägt[4]. Seitdem gibt es viele unterschiedliche Interpretationen und Definitionen darüber, was eigentlich der „ Dritte Weg “ der Sozialdemokratie ist. Der Begriff des Dritten Weges in seinem heutigen Gebrauch bezieht sich aber auf einen Mittelweg zwischen dem ungebändigtem Turbokapitalismus neoliberaler Prägung und dem Wohlfahrtsstaat keynesianischer[5] Prägung.
3. Motive für einen „ Dritten Weg “ der Sozialdemokratie
Es stellt sich zunächst die Frage nach den Motiven für einen Dritten We g zwischen keynesianischer Politik und den ungezügelten Märkten des neoliberalen Modells. Wodurch wurde ein solcher Mittelweg der Sozialdemokratie notwendig? Anfang der 80er Jahre des vorherigen Jahrhunderts, sprach man in der Wissenschaft von einem Abstieg der europäischen Sozialdemokratie. Den Höhepunkt dieser Debatte bildete Dahrendorfs Formel von 1983, als er das „ Ende des sozialdemokratischen Jahrhunderts “ ankündigte.[6]
Nicht nur für die Sozialdemokraten in Großbritannien stellte sich die Frage, mit welchen Mitteln es wieder möglich wäre Wahlen zu gewinnen. Das klassische sozialdemokratische Modell, welches gekennzeichnet war durch eine liberale Demokratie, eine keynesianische Wirtschafts- und Finanzpolitik und einen entwickelten Wohlfahrtsstaat mit relativer gesellschaftlicher Gleichheit, wurde als nicht mehr der Zeit entsprechend, abgestempelt. Ein Hauptgrund für den Untergang der Sozialdemokratie wurde in der fortschreitenden Globalisierung ausgemacht, durch den sich der keynesianische Wohlfahrtsstaat zunehmend der Internationalisierung der Güter – aber auch der globalen Finanz – und Kapitalmärkte gegenübersah. Dadurch wurde ein Eingriff des Staates in den Markt mit makroökonomischen Instrumenten zunehmend schwieriger, da sich die Wettbewerbsbedingungen ändern würden.[7] Des Weiteren würde in der postindustriellen Gesellschaft sich die Sozialstruktur dahingehend ändern, dass der sekundäre Sektor in den ehemaligen westlichen Industrienationen schrumpfen und sich verlagern würde, zu Gunsten einer Zunahme des Dienstleistungssektors. Das Angestammte Wählermilieu der Sozialdemokratie, die Arbeiterschaft, würde dadurch Wegbrechen. Neben dem scheinbaren Verschwinden der sozialdemokratischen Stammwählerschaft, entwickelt sich außerdem ein Wettbewerb zwischen den unterschiedlichen nationalen Volkswirtschaften. Dies führt zu einer nicht mehr aufzuhaltenden Erosion des Wohlfahrtsstaates, auf dessen Sozialsysteme sich die ungünstige demographische Entwicklung noch zusätzlich auswirkt. Es wird dadurch befürchtet, dass sich durch einen unfairen Steuerwettbewerb der einzelnen Staaten, die öffentlichen Dienstleistungen für die einzelnen Bürger nicht mehr aufrechterhalten lassen.[8] Als Ergebnis dieser veränderten Rahmenbedingungen, wurde ein Verlust auf sozialdemokratischer Seite im Diskurs um Programme und Ideen genannt.
Der Untergang der Sozialdemokratie in Europa am Ende des 20. Jahrhunderts hat aber nicht stattgefunden. Ganz im Gegenteil erlebten sozialdemokratische Parteien einen ungeahnten Aufschwung in vielen Ländern der Europäischen Union. Der Grund für diesen neuen Boom liegt aber wohl nicht am festhalten an alten Ansichten und Programmen, sondern an der Wandlungsfähigkeit und der Transformation der sozialdemokratischen Parteien. Um den inhaltlichen Wandel der Labour Party aufzeigen zu können, war es jedoch notwendig, dass es auch zu einem ideologischen Wandel innerhalb der Partei kam.
4. Entwicklung der Labour Party bis in die 80er Jahre
Die Programmatik der Labour Party in der Geschichte zeigt einen grundsätzlichen Unterschied zu anderen sozialdemokratischen Parteien in Europa auf. Die britische Form der Sozialdemokratie kennzeichnete sich dabei durch einen Sozialismus fast ohne Ideologie, der Marxismus spielte fast keine Rolle. Stattdessen aber galt:
“Socialism is what a Labour government does “, wie es der ehemalige Labour Vorsitzende Herbert Morrison beschrieb.[9] Die Labour Party gilt als ein Musterbeispiel für sozialdemokratischen Revisionismus.[10] Begründung findet diese Haltung durch die pragmatische Ausrichtung auf die enge Bindung an die Gewerkschaften. Bis zur innerparteilichen Reformation in den 80er Jahren behielten die Gewerkschaften diese dominante Stellung innerhalb der Partei und betrachteten diese zeitweise als Instrument zur Umsetzung gewerkschaftlicher Positionen auf politischer Ebene.[11]
Die programmatische Ausrichtung gestaltete sich auf dieser Grundlage. Der Staat sollte als Akteur des wirtschaftlichen Handelns die wirtschaftlichen Ungleichheiten und Lebensbedingungen verbessern helfen. Dies sollte durch die Verstaatlichung von Schlüsselindustrien, wie Stahl, Bergbau, Energie und Transport, geschehen.[12] Ausdruck fand diese Möglichkeit zur Verstaatlichung in Artikel IV der „ Party Constitution “ von 1918, was zumindest symbolisch die antikapitalistische Haltung der Partei betonen sollte. In der Partei gab es jedoch auch gemäßigte Strömungen, welche am Kapitalismus rein moralische Kritik äußerten. Die dominante Ideologie, mit welcher diese verschiedenen Denkrichtungen vereint werden konnten hieß „ social revolution without political revolution “.[13] Nach 1945 kam es jedoch zu einer programmatischen Neuausrichtung, welche bis zur Wende der 80er Jahre prägend sein sollte. Persönliche Freiheit, Wohlfahrt, soziale Gerechtigkeit und Gleichheit wurden zu den Leitmotiven der damaligen britischen Sozialdemokratie. Die Verstaatlichung von Industrien spielte in der Realpolitik keine Rolle mehr.[14]
Schaubild 1: Sozialdemokratische Politikziele und Instrumente in der Nachkriegszeit[15]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
In Vorbereitung auf die Wahl 1983 konnten sich innerhalb der Labour Party sozialistische linke Kräfte etablieren und der Wahlprogrammatik ihren Stempel aufdrücken. Die wirtschaftspolitischen Vorstellungen sahen so zum Beispiel staatliche Planung und ein hohes Maß an staatlicher Steuerung vor. Gleichzeitig sollten wiederum Verstaatlichungen von Betrieben, Importkontrollen und ein größeres Maß an Mitbestimmung für die Gewerkschaften, mehr Gerechtigkeit im Land schaffen. Die Reformen des Wohlfahrtsstaates der konservativen Vorgängerregierung sollten wider rückgängig gemacht werden.[16] Das House of Lords sollte abgeschafft werden. Außenpolitisch wurde ein Isolationskurs angestrebt. So sollte Großbritannien aus der EWG wieder austreten, die nukleare Abrüstung einseitig einleiten und sämtliche Militärbasen schließen.[17] Das Ende der Dominanz der Parteilinken begann mit dem Wahldebakel zur Unterhauswahl 1983. Die Niederlage ergab sich aus dem Programm der Partei, welches als das längste „Selbstmordschreiben “[18] der Parteiengeschichte eingegangen ist, jedoch auch aus der vorangegangenen Abspaltung eines rechten Flügels der Labour Party, der SDP. Ein weiteres Handicap war, dass gegen die Siegerin des Falkland-Konfliktes angetreten werden musste.[19]
[...]
[1] Vor allem: Giddens, Anthony: Jenseits von Rechts und Links, Frankfurt/M, 1997. ; Giddens, Anthony: Der dritte Weg. Die Erneuerung der sozialen Demokratie, Frankfurt/M, 1999.
[2] Vgl. Gallus, Alexander; Jesse, Eckhard: Was sind Dritte Wege?, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 16-17, 2001, S. 8 f.
[3] Vgl. Jesse Eckhard: Artikel: Dritter Weg, in: Weidenfeld, Werner; Korte, Karl-Rudolf(Hrsg.): Handwörterbuch zur Deutschen Einheit, Frankfurt/M, 1992, S. 252-257.
[4] Leick, Romain, ,,Wir sind die neuen Radikalen", in: Der Spiegel Nr. 44, 1999, S.160-166.
[5] Vgl. Esser, Josef: Artikel: Keynesianismus, in: Nohlen, Dieter(Hrsg.): Kleines Lexikon der Politik, München, 2001, S. 230 f.
[6] Dahrendorf, Ralf: Die Chancen der Krise. Über die Zukunft des Liberalismus, Stuttgart, 1983, S. 16 ff.
[7] vgl. Jun, Uwe: Der Wandel von Parteien in der Mediendemokratie. SPD und Labour Party im Vergleich, Frankfurt/M, 2004, S. 200.
[8] Vgl. Müller, Klaus: Globalisierung, Frankfurt/M, 2002, S. 52 f.
[9] zit. nach Hörnle, Micha: What’s left?. Die SPD und die British Labour Party in der Opposition, Frankfurt/M, 2000, S. 376.
[10] Vgl. Hillmann, Karl Heinz: Wörterbuch der Soziologie, Stuttgart, 1994, S. 737.
[11] Der ursprüngliche Name der Partei war „ Labour Representation Committee “. Vgl. Hörnle: What’s left?, S. 377 u. 379.
[12] Vgl. Jun, Uwe: Der Wandel von Parteien in der Mediendemokratie. SPD und Labour Party im Vergleich, Frankfurt/M, 2004, S. 225.
[13] Zit. nach Hörnle: What’s left?, S. 379.
[14] Vgl. Jun: Wandel von Parteien, S. 226.
[15] Schaubild aus: Seelaib-Kaiser, Martin: Neubeginn oder Ende der Sozialdemokratie, in: Politische Vierteljahresschrift, Nr. 44, 2002, S. 482.
[16] Vgl. Jun: Wandel von Parteien, S.229 f.
[17] ausführlich zur Disskussion um den Programmpunkt des EWG-Austritts Binzenbach, Georg: Die Social Democratic Party im politischen System Großbritanniens, Münster, 1993, S. 45 ff.
[18] vgl. Harmer, Harry: The Labour Party 1900-1998, London, 1999, S. 125.
[19] vgl. Hirscher, Gerhard; Sturm, Roland(Hrsg.): Die Strategie des „ Dritten Weges “. Legitimation und Praxis sozialdemokratischer Regierungspolitik, München, 2001, S. 34.
- Citation du texte
- Jan Richter (Auteur), 2004, Die ideologisch-programmatische Modernisierung der Labour Party, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/50566
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