Im Folgenden soll die Frage beantwortet werden, wie und in welchen fachlichen Kontexten das Ereignis Totgeburt sowie die psychosozialen Belastungen der Mütter beschrieben werden und wie die Verfügbarkeit und Ausgestaltung vorhandener Angebote zu bewerten sind.
Laut dem Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (2017) traten im Jahr 2015 circa vier Totgeborene je 1000 Lebend- oder Totgeborenen in Deutschland auf. Darunter werden zum einen die bereits im Mutterleib verstorbenen Föten (stille Geburt), zum anderen die unter der Geburt verstorbenen Föten zusammengefasst.
Das heißt, dass vier von 1000 Müttern nach der Geburt die Klinik ohne ein Neugeborenes verlassen. Damit ist auch die Konfrontation mit diesem einschneidenden kritischen Lebensereignis eher selten und der Austausch mit gleichermaßen Betroffenen möglicherweise erschwert. Neben dem möglichen Mangel an Austauschmöglichkeiten können auf die Mütter, neben der Trauer, zusätzliche Belastungen zukommen, wenn sie im Rahmen der Geburtsnachsorge auf andere Mütter treffen.
Inhaltsverzeichnis
Zusammenfassung
Abstract
Abkürzungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
1 Einleitung
2 Definition und Epidemiologie der Totgeburt
2.1 Definition
2.2 Häufigkeit von Totgeburten und psychischen Folgen
2.3 Zusammenfassung
3 Forschungsstand zu psychosozialen Belastungen, Belastungsfolgen und Hilfebedarf
3.1 Inhaltlicher Fokus
3.2 Begründung der Auswahl der Fachdatenbanken
3.3 Quantitative Trefferanalyse
3.4 Vergleichende Analyse der relevanten Publikationen
3.4.1 Der Trauerprozess
3.4.2 Normaler vs. pathologischer Trauerverlauf
3.4.3 Klinisch relevante Folgen
3.4.4 Hilfebedarf der Frauen nach einer Totgeburt
3.5 Zusammenfassung
4 Fragestellung
5 Begründung und Darstellung der Methoden der Erhebung von Praxis- angeboten in Deutschland sowie der Sicht der Professionellen
5.1.1 Systematische Internetrecherche
5.1.1.1 Suchterme
5.1.1.2 Festlegung der Eingrenzung der Treffer
5.1.2 Experteninterviews
5.1.2.1 Vorstellung des Interviewleitfadens als Befragungsinstrument
5.1.2.2 Gewinnung der Experten
5.1.2.3 Durchführung
5.1.2.4 Darstellung der Auswertungsmethode
5.2 Ergebnisse
5.2.1 Vorstellung und vergleichende Analyse der im Internet identifizierbaren Angebote
5.2.2 Zusammenfassende vergleichende Analyse der Aussagen der Experten
5.2.2.1 Ergebnisse der qualitativen Inhaltsanalyse
5.2.2.2 Ergebnisdarstellung der Aussagen der Experten
5.3 Zusammenfassende Reflexion der Praxisangebote und Aussagen aus der Praxis
6 Die Wahrnehmung des Forschungsstandes und der Praxisangebote aus der Sicht der Betroffenen
6.1 Begründung und Darstellung des methodischen Vorgehens
6.1.1 Vorstellung des Interviewleitfadens als Befragungsinstrument
6.1.2 Darstellung der Auswertungsmethode
6.2 Gewinnung der Gesprächspartner/-innen
6.3 Durchführung der Interviews
6.4 Ergebnisse und Analyse der Aussagen der Betroffenen
6.4.1 Ergebnisse der qualitativen Inhaltsanalyse der Betroffeneninterviews
6.4.2 Ergebnisdarstellung der Aussagen der betroffenen Frauen
6.5 Zusammenfassung
7 Kritische Refl exion der Berücksichtigung der besonderen Situation der Frauen nach einer Totgeburt in Forschung und Praxis
8 Ausblick
Literaturverzeichnis
Anhang
Transkript des Interviews mit einer Betroffenen (B1)
Danksagung
An dieser Stelle möchte ich mich bei Prof. Dr. Irmtraud Beerlage für die sehr engagierte und konstruktive Erstbetreuung meiner Bachelorarbeit bedanken. Ihr Erfahrungsschatz und ihre wertvollen Ideen, waren Grundlage für das Entstehen dieser Arbeit.
Für die Zweitbetreuung bedanke ich mich bei Dipl.-Gesundheitswirtin/MBA Simone Holl- stein. Trotz Ihrer vielen Erstbetreuungen, haben sie ohne Zögern einer Zweitbetreuung meiner Arbeit zugestimmt.
Ein besonderer Dank geht an die Interviewpartner, welche für diese Arbeit unerlässlich waren. Durch die emotionalen, ehrlichen und ausführlichen Gespräche, haben Sie das Erarbeiten dieser Arbeit ermöglicht.
Des Weiteren möchte ich mich bei meinen Kommilitonen/-innen bedanken, die mir jeder- zeit bei Fragen geholfen haben, hilfreiche Tipps geben konnten und mich motiviert haben. Josi und Katja ihr seid großartig!
Ein weiteres Dankeschön geht an meine Familie und Freunde, die mich unterstützt und ausgehalten haben. Ganz besonders möchte ich meiner Mutti danken. Du bist einfach die beste Mama und Oma für Phillip, die ich mir wünschen kann!
Zum Schluss noch ein großes Dankeschön an meinen Partner, der mich ausgehalten und unterstützt hat, obwohl ich durch den Stress nicht immer die liebenswürdigste Freundin war.
Zusammenfassung
Ausgehend von der Lage, dass ca. vier von 1000 Kinder totgeboren werden und dies ein einschneidendes, kritisches Lebensereignis für die Frauen darstellt, war es Ziel der vorliegenden Arbeit, die psychosozialen Belastungen, Belastungsfolgen, den Hilfebedarf und die psychosozialen Hilfsangebote für Frauen nach einer Totgeburt zu erfassen.
Anhand einer systematischen Literaturrecherche wurde zunächst der aktuelle Forschungs- stand hinsichtlich der Fragenstellungen ermittelt. Anschließend erfolgten eine systematische Internetrecherche und die Durchführung von Experteninterviews, um die Angebotsstruktur der vorhandenen Hilfen in Deutschland zu kennzeichnen. Unter der Berücksichtigung von Forschungsstand und Praxisangeboten, wurde die Sicht von Betroffenen anhand narrativer Interviews erfasst.
Die daraus abgeleiteten Ergebnisse, weisen einen gut erforschten Hilfebedarf der Frauen und hilfreiche allgemeine und spezifische Angebote auf. Handlungsbedarf ergab sich vor allem im Bereich der Versorgung der Frauen.
Abstract
Based on the fact that approx. 4 out of 1000 children are stillborn, which is a tragic occur- rence in a woman's life, this essay intends to show the woman's psychosocial stresses and strains, the need of help and the psychosocial care after a stillbirth.
First of all the current state of research was determined in respect of the central issues by means of a systematic literature research. Subsequently a sytematic internet research and conducting interviews with experts helped to record the supply structure in Germany.
The viewpoint of the persons affected was gauged on the basis of narrative interviews in consideration of the current state of research and support offers.
Results of these analyses have shown a concrete need of help from those woman affected and the existence of helpful common and specific offers. An acute need for action still exists in regard to the proper medical support for woman.
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Überblick zur Definition der Totgeburt
Tabelle 2: Natürliche Bevölkerungsbewegung in den Jahren 2012 bis 2016 (Auszug aus Statistisches Bundesamt, 2018, o. S.)
Tabelle 3: Suchbegriffe der systematischen Literaturrecherche
Tabelle 4: Suchterme, Treffer und Trefferselektion in der Fachdatenbank PubPsych
Tabelle 5: Suchterme, Treffer und Trefferselektion in der Fachdatenbank Livivo
Tabelle 6: Suchterme, Treffer und Trefferselektion in der Fachdatenbank PsycARTICLES
Tabelle 7: Phasenmodelle des Trauerprozesses
Tabelle 8: Abgrenzung von pathologischer Trauer und depressiven Verarbeitungsmustern
Tabelle 9: Leilleitfaden für ein halbstandardisiertes Experteninterview mit Ärzten und Hebammen
Tabelle 10: Teilleitfaden für ein halbstandardisiertes Experteninterview mit Mitarbeitern einer Selbsthilfegruppe
Tabelle 11: Qualitative Auswertung der Experteninterviews mit Hebammen
Tabelle 12: Qualitative Auswertung des Experteninterviews mit einem Gynäkologe
Tabelle 13: Qualitative Auswertung des Experteninterviews mit einem Mitarbeiter einer Selbsthilfegruppe
Tabelle 14: Zusammenfassender, vergleichender Überblick der Aussagen der Interviewpartner
Tabelle 15: Teilleitfaden für ein halbstandardisiertes Interview mit betroffenen Müttern
Tabelle 16: Qualitative Auswertung der Betroffeneninterviews
1 Einleitung
Auf das Thema der hier vorgelegten wissenschaftlichen Arbeit wurde ich durch eine private Erfahrung gestoßen. Ein Familienmitglied erlitt völlig unerwartet eine Totgeburt.
Laut dem Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (2017) traten im Jahr 2015 ca. vier Totgeborene je 1000 Lebend- oder Totgeborenen in Deutschland auf (o. S.). Darunter werden zum einen die bereits im Mutterleib verstorbenen Föten (stille Geburt), zum ande- ren die unter der Geburt verstorbenen Föten zusammengefasst.
Das heißt, dass vier von 1000 Müttern nach der Geburt die Klinik ohne ein Neugebore- nes verlassen. Damit ist auch die Konfrontation mit diesem einschneidenden kritischen Lebensereignis eher selten und der Austausch mit gleichermaßen Betroffenen möglicher- weise erschwert. Neben dem möglichen Mangel an Austauschmöglichkeiten können auf die Mütter, neben der Trauer, zusätzliche Belastungen zukommen, wenn sie im Rahmen der Geburtsnachsorge auf andere Mütter treffen.
Im Folgenden soll die Frage beantwortet werden, wie und in welchen fachlichen Kontexten das Ereignis Totgeburt sowie die psychosozialen Belastungen der Mütter beschrieben werden und wie die Verfügbarkeit und Ausgestaltung vorhandener Angebote zu bewerten sind.
Sie gliedert sich in folgende Unterfragen:
1. Psychosoziale Belastungen, Belastungsfolgen, Bedürfnisseund Hilfebedarf: Welche psychosozialen Belastungen, Bedürfnisse und Hilfebedarfe werden in der psychologischen und medizinischen wissenschaftlichen Literatur im Kontext „Totge- burt“ beschrieben? Wie hoch ist die Rate krankheitswertiger psychischer Störungen nach einer Totgeburt?
2. Inklusion: Wie werden die Belastungen und besonderen Bedürfnisse von Müttern nach einer Totgeburt im Rahmen der allgemeinen Geburtsnachsorge berücksichtigt?
3. Spezifische Psychosoziale Hilfen: Welche spezifischen und unspezifischen Angebote gibt es im deutschsprachigen Raum für Mütter nach einer Totgeburt?
Die Fragestellungen werden in folgenden Schritten bearbeitet:
Nach der Einleitung erfolgen im zweiten Kapitel die Definition der Totgeburt (2.1) und die Darstellung epidemiologischer und versorgungsbezogener Daten (2.2). Berücksichtigt werden darin neben der Anzahl von Totgeburten in einem Jahr auch mögliche vorliegende Daten zur Inanspruchnahme von medizinischen und psychosozialen Hilfsangeboten sowie zur Rate an krankheitswertigen psychischen Störungen nach einer Totgeburt.
Im dritten Kapitel wird der Forschungsstand zu psychosozialen Belastungen, Belastungs- folgen, Hilfebedarf anhand einer systematischen Literaturrecherche in Fachdatenbanken ermittelt. Dazu werden zunächst die Suchterme (3.1) und die Auswahl der Fachdatenbanken (3.2) vorgestellt und begründet. Die Treffer werden anschließende quantitativ ausgewertet (3.3). Mit der sich anschließenden vergleichenden Analyse der Quellen (3.4) soll nicht nur der Stand des Wissens inhaltlich beschreiben werden, sondern es soll zusammenfassend (3.5) auch möglicher Forschungsbedarf identifiziert werden.
Gegenstand des vierten Kapitels sind die aus dem Forschungsstand abgeleiteten Fra- gestellungen, welche in den folgenden Kapiteln bearbeitet werden.
Die in der Praxis verfügbaren spezifischen und unspezifischen Hilfsangebote bzw. Inklu- sionsmöglichkeiten der Betroffenen mit ihren spezifischen Bedürfnissen in allgemeine Hilfsangebote werden im fünften Kapitel behandelt. Besonderes Augenmerk wird auf Maßnahmen während des Krankenhausaufenthaltes, auf Angebote im Kontext der Rückbildungsgymnastik, Angebote von Gynäkologen und Hebammen sowie auf Selbst- hilfegruppen gelenkt. Um einen Überblick über bestehende Angebote zu erhalten, wer- den eine systematische Internetrecherche sowie Experteninterviews durchgeführt. Das methodische Vorgehen wird im ersten Teil des Kapitels vorgestellt und begründet (5.1). Im zweiten Teil (5.2) werden die Ergebnisse der Internetrecherche und die Ergebnisse der Experteninterviews zusammenfassend referiert, um das Angebotsspektrum schließlich zusammenfassend zu kennzeichnen (5.3).
Im sechsten Kapitel steht die Wahrnehmung der Betroffenen in Hinblick auf den For- schungsstand und der Praxisangebote im Vordergrund. Im Rahmen von narrativen Interviews wird zum einen erhoben, welche körperlichen, sozialen und psychischen Belastungen wahrgenommen wurden. Zum anderen wird die Frage nach erwünschten und erhaltenden Hilfsangeboten berücksichtigt.
Im siebten Kapitel sollen Forschungsstand, Praxisangebote und Bedürfnisse der Betrof- fenen vergleichend gegenübergestellt werden, um Forschungs- und Handlungsbedarfe abschließend zu identifizieren und ggf. Empfehlungen zur Optimierung der Versorgungs- lage auszusprechen.
Die Arbeit schließt im achten Kapitel mit einer Zusammenfassung der zentralen Ergebnisse, aber auch mit einem Ausblick und einer kritischen Reflexion des gewählten Vorgehens.
2 Definition und Epidemiologie der Totgeburt
Im folgenden zweiten Kapitel, werden die Definition einer Totgeburt und die damit ver- bundenen epidemiologischen Daten bearbeitet.
2.1 Definition
Ob eine Geburt als Totgeburt bezeichnet wird, richtet sich nach der Grenze der Lebensfä- higkeit, das heißt nach dem Geburtsgewicht des Kindes, der Dauer der Schwangerschaft sowie den erkennbaren Lebenszeichen. Die zu berücksichtigenden Lebenszeichen sind im internationalen Vergleich unterschiedlich beschrieben (Laubach, 2014, S. 3). Laut der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten (ICD 10) liegt eine Totgeburt vor, wenn kein Lebenszeichen (Herzschlag, pulsierende Nabelschnur, natürliche Lungen- atmung) erkennbar ist, das Geburtsgewicht über 500 g, die Körperlänge des Kindes über 25 cm beträgt und die 22. SSW vollendet ist (WHO, 2016, S.19).
Unter Berücksichtigung national unterschiedlicher Angaben zum „normalen“ Geburtsge- wicht, werden für den internationalen Vergleich epidemiologischer Daten, die Grenzwerte von Gewicht (>1000 g) und SSW (>28 Wochen) oder wenn letztere nicht genau bekannt ist, die Größe (>35 cm) heraufgesetzt, das heißt also auf reifere Kinder beschränkt (WHO, 2016, S.18). Für einen internationalen Vergleich sei kritisch darauf hingewiesen, dass die Einigung auf einen Parameter als sinnvoll erscheint, da beispielsweise die Auffassung eines „normalen“ Geburtsgewichtes sehr schwankt (ebenda).
In Österreich gelten die gleichen Kriterien wie in Deutschland (siehe Absatz 5), werden jedoch durch das Kriterium fehlender willkürlicher Muskelbewegungen als ein weiteres Lebenszeichen ergänzt (§8 Absatz 1 Hebammengesetz1 ).
Die Zivilstandsverordnung (Artikel 9) der Schweiz legt wiederum keine zu prüfenden Lebenszeichen fest, sondern gibt nur ein Mindestgewicht von 500 g oder die vollendete 22. SSW vor.
Da die vorliegende Arbeit die Situation der Betroffenen in Deutschland berücksichtigt, wird die Definition der Totgeburt nach dem bundesdeutschen Personenstandsgesetz zugrunde gelegt. In § 31 der Verordnung zur Ausführung dieses Gesetzes (PStV2 ), heißt es:
(1) Eine Lebendgeburt liegt vor, wenn bei einem Kind nach der Scheidung vom Mutterleib entweder das Herz geschlagen oder die Nabelschnur pulsiert oder die natürliche Lungenatmung eingesetzt hat.
(2) Hat sich keines der in Absatz 1 genannten Merkmale des Lebens gezeigt, beträgt das Gewicht der Leibesfrucht jedoch mindestens 500 Gramm, gilt sie im Sinne des § 21 Abs. 2 des Gesetzes als ein tot geborenes Kind.
Die folgende Tabelle soll einen zusammenfassenden Überblick über die verschiedenen Grenzwerte bei der Definition einer Totgeburt geben.
Tabelle 1: Überblick zur Definition der Totgeburt
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
2.2 Häufigkeit von Totgeburten und psychischen Folgen
Wie einleitend beschrieben, traten im Jahr 2015 ca. vier Totgeborene je 1.000 Lebend- und Totgeburten auf (BiB, 2017, o. S.). Diese Aussage deckt sich mit Angaben des Sta- tistischen Bundesamtes, erhoben im Rahmen der jährlichen Erhebung zur natürlichen Bevölkerungsbewegung (Tabelle 2). Im Jahr 2015 traten demnach 2.787 Totgeburten auf. Daraus lässt sich eine jährliche Rate von 0,36 – 0,38 % Totgeborenen unter allen Geborenen ableiten.
Tabelle 2: Natürliche Bevölkerungsbewegung in den Jahren 2012 bis 2016 (Auszug aus Statistisches Bundesamt, 2018, o. S.)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Weltweit kamen im Jahr 2015 ca. 2,6 Millionen Neugeborene tot zur Welt, davon 98 % in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen, wie beispielsweise Afrika (Amouzou et al, 2016; Ärzte Zeitung, 2011). Die WHO fügt hinzu, dass die nationalen Unterschiede der Totgeburtenrate „von 2 pro 1000 Geburten in Finnland und Singapur (Deutschland: 2,4) bis hin zu 42 pro 1000 in Nigeria und 47 in Pakistan [reichen]“ (Ärzte Zeitung, 2011, S.4). Daraus geht hervor, dass Deutschland im internationalen Vergleich, zu den Ländern mit der geringsten Totgeburtenrate zählt.
Trotz des vergleichsweise seltenen Vorkommens von Totgeburten haben Menschen, welche den Verlust eines Kindes erleben, die höchste Prävalenz für einen komplizieren Trauerverlauf (Kersting, 2013, S. 61; Kuse-Isingschulte, 2000, S.23). Auf die genaue Trauerreaktion nach einer Totgeburt wird in Kapitel 3.4 näher eingegangen. Hier sei zunächst nur angemerkt, dass als Folge des Verlustes des Kindes eine Trauerreaktion mit unterschiedlichen Verlaufsformen, folgen kann.
Kersting et al. untersuchten in einer 14-monatigen Studie den Trauerprozess von Frauen nach diesem traumatischen Verlust. Von 62 Betroffenen wiesen 33,9 % nach dem Ereignis eine psychische Störung nach dem DSM IV auf (Kersting et al., 2007, S. 439). Davon zeigten 21% eine affektive Störung (sowohl Major Depression mit einzelner Episode oder rezidivierend, als auch dysthyme Störungen), 6,5 % eine Angststörung (Panikstörung, Zwangsstörung, somatoforme Störung) und 1,6 % eine stressbedingte Störung wie Anpas- sungsstörungen, akute Belastungsstörung oder PTBS. Nach 14 Monaten konnten noch 36 Frauen untersucht werden, von denen 16,7 % eine nach DSM IV klassifizierte psychische Störung aufwiesen (ebenda). In Bezug auf den Trauerverlauf wurde nach 14 Monaten bei 13,9 % der Frauen ein komplizierter Trauerverlauf diagnostiziert. Bei weiteren 5,6 % mit einer zusätzlichen psychologischen Störung nach DSM IV (Kersting et al., 2007, S. 439).
Weitere deutsche Studien belegen, die Depression als die am häufigsten vorkommende Folgebelastung für die Frauen nach einer Totgeburt (Beutel, 2002; Kuse-Isingschulte, 2000). Zudem zeigt sich eine signifikant konstant bleibende Depressivität im Zeitverlauf nach der Totgeburt. Direkt nach dem Erlebnis konnten 20 % der Frauen, und nach 6 bis 12 Monaten immer noch 12 – 13 %, als depressiv bezeichnet werden (Beutel, 2002, S. 79).
Wie bereits durch Kersting et al. belegt, wird jedoch nicht nur die Depressivität als psy- chische Belastungen referiert. In der britischen Listening to Parents Studie berichteten 68 % der Mütter, bis zehn Tage nach der Totgeburt, vier oder mehr negative psychische Beeinträchtigungen des Befindens. Nach neun Monaten gaben noch 35 % der Mütter ein eingeschränktes psychisches Wohlbefinden an (Bhutta et al., 2016, S. 606, Abs. 1).
Aufgrund der genannten psychischen Belastungen für die Frauen erscheint es geboten, die besonderen Belastungen der betroffenen Mütter (Vätern und Familien) in der allge- meinen Geburtsnachsorge, aber auch mit spezifischen Hilfsangebote zur Bewältigung des Verlustes aufzufangen. Inwieweit dies bereits geschieht, ist schwer zu ermitteln, da trotz der hohen Rate an krankheitswertigen psychischen Störungen nach einer Totge- burt, die Inanspruchnahme von medizinischen oder psychosozialen Hilfsangeboten nicht statistisch erfasst wird.
2.3 Zusammenfassung
Durch die PStV ist eine Totgeburt in Deutschland als eine Leibesfrucht mit einem Min- destgewicht von 500 g und ohne erkennbare Lebensmerkmale (pulsierende Nabelschnur, Herzschlag, natürliche Lungenatmung) definiert. Die Totgeburtenrate ist international sehr verschieden und hängt unter anderem vom Einkommen der Länder ab (Amouzou et al, 2016, S. 587). Mit ca. vier Totgeburten je 1.000 Lebend- und Totgeburten, gehört Deutschland zu den Ländern mit der geringsten Totgeburtenrate. Nigeria weist im Vergleich 42 Totgeborene je 1.000 Geburten auf (Ärzte Zeitung, 2011, S. 4). Dennoch oder gerade deswegen zeigen betroffene Mütter die höchste Prävalenzrate für einen komplizierten Trauerverlauf (Kersting, 2013, S. 61). Aus unterschiedlichen Studien geht hervor, dass depressive Störungen bei Frauen nach einer Totgeburt, mit ca. 20 % die am häufigsten vorkommende Folgebelastung ist (Beutel, 2002; Kersting et al., 2007). Wie Bhutta et al herausgefunden haben, spielen zudem negative psychische Auswirkungen von Trauer und Angst eine Rolle (2016, S. 606, Abs. 1). Unter der Berücksichtigung der beschriebenen psychischen Auswirkungen auf die Frauen nach der Totgeburt, kommt die Verfasserin zu der Aussage, dass die möglichen psychischen Folgebelastungen entsprechender Beach- tung bedürfen und professionelle Unterstützung erforderlich scheint. Wie viele Frauen Hilfsangebote tatsächlich in Anspruch nehmen, wird statistisch nicht erfasst.
3 Forschungsstand zu psychosozialen Belastungen, Belastungsfolgen und Hilfebedarf
Nach Vorstellung der Suchterme, der Begründung der Fachdatenbanken und der Darstel- lung der quantitativen Trefferanalyse, werden die relevanten Publikationen im folgenden Kapitel miteinander verglichen. Damit soll ein umfassender Überblick zum aktuellen Stand der Forschung zu psychosozialen Belastungen, Belastungsfolgen und Hilfebedarf der Frauen nach einer Totgeburt gegeben werden.
3.1 Inhaltlicher Fokus
Zur Ermittlung des aktuellen Forschungsstandes zu den psychosozialen Belastungen, Belastungsfolgen und Hilfebedarf der Mütter nach einer Totgeburt, wurde eine systema- tische Literaturrecherche in Fachdatenbanken durchgeführt, da diese die Möglichkeit bietet, sämtliche Aspekte des Wissensbestandes zu erfassen.
Tabelle 3 zeigt die zu Grunde gelegten Suchbegriffe der systematischen Literaturrecher- che. Da die ausgewählten Fachdatenbanken (siehe Kapitel 3.2), sowohl deutsche als auch englische Publikationen führen, wurden die Suchbegriffe ebenfalls auf Deutsch und Englisch festgelegt, um so ein großes Spektrum an Fachliteratur zu erfassen.
Tabelle 3: Suchbegriffe der systematischen Literaturrecherche
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Aus den Suchbegriffen ergaben sich folgende Suchterme:
Suchterm 1„(stillbirthOR Totgeburt) AND („mental disorder“ OR „psychische Stö-rungen“)“ wurde gebildet um die psychosozialen Belastungen und Belastungsfolgen für die Frauen nach einer Totgeburt zu erfassen.
Suchterm 2„(stillbirthOR Totgeburt) AND psychoso?ial AND (need* OR Bedarf)“ wurde formuliert, um Publikationen im Zusammenhang mit den psychosozialen Bedürf- nissen und Bedarfen von Frauen nach einer Totgeburt zu ermitteln.
Suchterm 3„(stillbirthOR Totgeburt) AND „psychoso?ial support““ soll die vorhan- dene und erwünschte Unterstützung für die Mütter nach einer Totgeburt identifizieren.
Suchterm 4„(stillbirthOR Totgeburt) AND (midwi* OR Hebamme*)“ soll die Berück- sichtigung der besonderen Situation einer Totgeburt, im Rahmen der Geburtsnachsorge ermitteln.
3.2 Begründung der Auswahl der Fachdatenbanken
Nach der Festlegung der Suchterme, wurden die Fachdatenbanken für die systematische Literaturrecherche ausgewählt.
Da das Thema dieser Arbeit einen psychosozialen Fokus aufweist, wurde zuerst die Fach- datenbank PubPsych gewählt. Die Metadatenbank enthält derzeit 1.085.260 Datensätze (Stand: Juli 2018) aus Zeitschriften, Büchern, Buchkapiteln, Dissertationen, Interventions- programmen, Forschungsdaten sowie psychologischen und pädagogischen Testverfah- ren aus allen Bereichen der Psychologie. Das Open-Access Suchportal greift dafür auf neun verschiedene internationale Datenbanken mit europäischer Ausrichtung zu. Dazu zählen PSYNDEX, PASCAL, ISOC-Psicología, MEDLINE®, ERIC, NARCIS, NORART, PsychOpen und PsychData. PubPsych liefert dadurch einen umfassenden Bestand an spanischen, deutschen, englischen, norwegischen und niederländischen Publikationen mit psychologischen Schwerpunkt.
Da Fachzeitschriften eine große Rolle für eine systematische Literaturrecherche spielen, wurde, ergänzend zu PubPsych, auf die Fachdatenbank PsycARTICLES zugegriffen. Diese enthält begutachtete Artikel in Volltext, welche durch die APA und den dazugehö- rigen Zeitschriften veröffentlicht wurden. Derzeit gibt es 206.445 Datensätze (Stand: Juli 2018) in PsycARTICLES aus dem gesamten Spektrum der Forschung, auf dem Gebiet der Psychologie. Durch die aktuelle Berichterstattung und dem historischen Inhalt, können die internationalen (über Europa hinaus), englischsprachigen Publikationen einen Vergleich zu Deutschland ermöglichen oder europäische Ergebnisse untermauern.
Vor dem medizinischen Hintergrund einer Totgeburt wurde die systematische Literaturre- cherche zudem in der Fachdatenbank LIVIVO durchgeführt. Sie ist die größte Suchmaschine Europas für Literatur und Forschungsdaten, rund um die Lebenswissenschaften und wird von dem ZB MED - Informationszentrum Lebenswissenschaften bereitgestellt. Basierend auf mehr als 58 Millionen Datensätzen (Stand: Juli 2018), vereint diese die Fachgebiete Medizin und Gesundheitswesen, Ernährungs-, Umwelt- sowie Agrarwissenschaften. Zu den eingebundenen Datenquellen gehört beispielsweise auch die Datenbank MEDLINE (PubMed), weshalb diese für die systematische Literaturrecherche nicht einzeln berück- sichtigt wurde. LIVIVO arbeitet mit einer sprachübergreifenden Suchtechnologie, d.h. der eingebende Suchbegriff wird automatisch in verschiedene verfügbare Sprachen übersetzt und somit die Trefferliste vervollständigt. Auch Laien- und Expertenvokabular wird hierbei berücksichtigt. Dadurch ergibt sich ein breites Spektrum des aktuellen Forschungsstandes, der den psychologischen Schwerpunkt dieser Arbeit ergänzen und Erkenntnisse darüber liefern soll, wie das Thema „Totgeburt“ im medizinischen Kontext behandelt wird.
3.3 Quantitative Trefferanalyse
Tabelle 4: Suchterme, Treffer und Trefferselektion in der Fachdatenbank PubPsych
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 5: Suchterme, Treffer und Trefferselektion in der Fachdatenbank Livivo
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 6: Suchterme, Treffer und Trefferselektionin der Fachdatenbank PsycARTICLES
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
3.4 Vergleichende Analyse der relevanten Publikationen
Der Verlust eines Kindes wird zu den am schwierigsten zu bewältigenden Erlebnissen (Kersting, 2012, S. 1437) gezählt. Folgt man Ditz (2001), so wird dieser oft als gravieren- der wahrgenommen als der Verlust einer nahestehenden erwachsenen Person (S. 212). Andere Untersuchungen zum Angehörigenverlust kamen wiederrum zu dem Schluss, dass es keinen grundsätzlichen Unterschied zum Verlust eines nahestehenden Erwach- senen gebe (Kersting, 2013; Kuse-Isingschulte, 2000). Übereinstimmend wird von ver- schiedenen Autoren jedoch eine intensive Trauerreaktion als emotionale Antwort auf den schwerwiegenden Verlust angenommen (Ditz, 2001; Kersting, 2013; Kuse-Isingschulte, 2000; Scheidt, Waller, Wangler, Hasenburg & Kersting, 2006).
3.4.1 Der Trauerprozess
Trauer wird verstanden als „zeitlich begrenzte, funktionelle Störung mit phasischem Verlauf […], die durch spezifische Denk− und Verhaltensweisen geprägt ist und die der Integ- ration einer schweren Verlusterfahrung dient.“ (Scheidt, Waller, Wangler, Hasenburg, & Kersting, 2006, S. 5). Der Trauerprozess wurde in der Vergangenheit vielfach untersucht und in verschiedenen Modellen dargestellt. Diese sollen dazu dienen, den individuellen Trauerverlauf der Betroffenen nach einem Treffen, genauer einschätzen zu können, um so mögliche dysfunktionale („pathologische“) Bewältigungsmuster zu erkennen (Ditz, 2001, S. 213). Um die Phasen eines Trauerverlaufes zu verdeutlichen, zeigt die Tabelle 7 drei mögliche Modelle, welche für die Einschätzung zu Rate gezogen werden können. Die Autoren/-innen verstehen die Charakteristika der verschiedenen Phasen bzw. Aufgaben sehr ähnlich und nehmen alle einen vierphasigen Verlauf der Trauer an.
Tabelle 7: Phasenmodelle des Trauerprozesses
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Demnach sei die erste Phase durch einen emotionalen Schockzustand und einem Nicht-Wahrhaben-Wollen gekennzeichnet (Lavreysen, 2018, o. S.). In der zweiten Phase gehe es vor allem um das Zulassen des Schmerzes mit allen Facetten (Wut, Angst, etc.). Der dritte Abschnitt stehe für das Zurückfinden zum Leben, ohne dass der Verlust weiterhin im Vordergrund stehe, um dann in der letzten Phase den Trauernden wieder in der Lage zu versetzen, neue Beziehungen eingehen zu können (ebenda).
3.4.2 Normaler vs. pathologischer Trauerverlauf
Ein „normaler“ Trauerverlauf kann verstanden werden, als eine funktionale Bewältigung des Verlustes, welcher innerhalb der ersten sechs bis zwölf Monate stattfindet (Scheidt et al, 2006; Wischmann, 2016). Bowlby (1991, zit. n. Kuse-Isingschulte, 2000, S. 20) kommt zu dem Schluss, dass innerhalb des ersten Jahres zwar eine positive Veränderung der Trauerreaktion stattfinden sollte, ergänzt aber, dass die Dauer der individuellen Trauerre- aktion bis zur Wiederherstellung eines psychischen Gleichgewichts, zwischen zwei und drei Jahre dauern kann. Die Auffassungen über die Dauer eines normalen Trauerverlaufs sind demnach unterschiedlich und werden beispielsweise durch die Umstände des Todes, der kulturellen Gegebenheiten und der sozialen Faktoren beeinflusst (Wagner, 2016, S. 251). Das Erleben, wie intensive Traurigkeit, Trennungsschmerz, sozialem Rückzug und emotionaler Taubheit, kann ebenfalls als normal angesehen werden (Wagner, 2014; Wagner, 2016). Wo liegt also der Unterschied zum pathologischen Trauerverlauf?
Nach Scheidt et al. (2005) bezieht sich eine pathologische Trauerreaktion auf intensive, gehemmte, verschobene oder verlängerte Reaktionen auf den Verlust (S. 5). Sowohl eine Forschergruppe um Horowitz als auch um Prigerson, versuchten zeitgleich diagnostische Kriterien für eine pathologische Trauerreaktion zu evaluieren (Kersting et al., 2001, Scheidt et al., 2007; Wagner, 2014). Im Rahmen der anstehenden Neuauflagen des ICD-11 und des DSM V, einigten sich die beiden Forschungsgruppen im Jahr 2009 auf die folgenden Diagnosekriterien, als Vorschlag für ein eigenständiges Krankheitsbild der pathologischen Trauer (Wagner, 2014, S.17):
Das diagnostische Kriterium für komplizierte Trauer […] ist dann erfüllt, wenn die Trauersymptomatik sich durch den Tod einer nahestehenden Person entwickelt hat und mindestens sechs Monate nach dem Tod aufgetreten ist. Zusätzlich müssen die folgenden drei Hauptkategorien erfüllt sein:
1. Trennungsschmerz: das Gefühl von starker Sehnsucht und Suchen nach der verstorbenen Person, welches sowohl ein körperliches und emotionales Leiden fast täglich hervorruft.
2. Kognitive, emotionale und behaviorale Symptome (mindestens fünf der fol- genden Symptome müssen täglich auftreten):
- Unsicherheit bezüglich der eigenen Gefühlen oder der Rolle im Leben
- Schwierigkeiten den Verlust zu akzeptieren
- Vermeidung von Erinnerungen an den Verlust
- Unfähigkeiten anderen Menschen seit dem Verlust zu vertrauen
- Gefühl von Verbitterung und Wut in Bezug auf den Verlust
- Schwierigkeit mit dem Leben voranzugehen
- Emotionale Taubheit
- Einsamkeitsgefühle und Sinnlosigkeit seit dem Tod
- Gefühl von Schock und Erstarrung seit dem Verlust
3. Psychosoziale Schwierigkeiten: Die Belastungen haben klinischen Krankheits- wert und behindern die betroffene Person in allen wichtigen Lebensbereichen.“ (Wagner, 2014, S.17 f.)
Es sei angemerkt, dass dieser Vorschlag zur pathologischen Trauer bisher nicht als eigenständiges Krankheitsbild in die bestehenden Kategorisierungssysteme (DSM, ICD) aufgenommen wurde, sondern als Unterkategorien anderer Krankheitsbilder (Wagner 2014; Wagner 2016).
Im DSM V wird die Trauer als Unterkategorie der Depressiven Störungen geführt (Falkai & Wittchen, 2015, S. 111 f.). Demnach besteht die Möglichkeit, bereits nach 2 Wochen einer ausgeprägten Trauer, eine Major Depression zu diagnostizieren. Die genaue Beschreibung lautet wie folgt:
Reaktionen auf erhebliche Verlustereignisse (z. B. Trauerfall, […]) können Gefühle intensiver Traurigkeit, Grübeln über den Verlust, Schlaflosigkeit, verminderten Appetit und Gewichtsverlust – wie in Kriterium A [zur Symptomatik der Major Depression beschrieben] – zur Folge haben, die einer depressiven Episode ähneln. Auch wenn diese Symptome nachvollziehbar und bezogen auf den Verlust angemessen erscheinen, sollte sorgfältig geprüft werden, ob nicht dennoch eine Episode einer Major Depression diagnostiziert werden sollte. (ebenda)
In Anbetracht dessen, dass Scheidt et al. (2005), Wischermann (2016) und Prigerson et al. (2009, zit. n. Wagner, 2014) für die Bewältigung des Verlustes mindestens sechs Monate für angebracht halten, erscheinen die zwei Wochen nach dem DSM IV als sehr problematisch in Bezug auf mögliche Fehldiagnosen.
Das ICD 10 ordnet die Trauer den „Faktoren [zu], die den Gesundheitszustand beeinflussen und zur Inanspruchnahme von Gesundheitsdiensten führen“ (Z63.4 ´Verschwinden oder Tod eines Familienangehörigen´)“ (Scheidt et al, 2007,S. 5). Pathologische Trauerreak- tionen werden unter Anpassungsstörungen als „längere depressive Reaktionen“ kodiert (Ladewig, 2010, S. 12).
Aufgrund der unterschiedlichen Perspektiven auf dysfunktionale Trauerverläufe, wird pathologische Trauer sehr unterschiedlich operationalisiert (Scheidt et al., 2007, S. 5). Im Vergleich zu den von Wagner beschriebenen diagnostischen Kriterien nach Horowitz und Prigerson (2009, zit. n. 2014), nennen Scheidt et al. (2007) folgende Erscheinungsformen einer pathologischen Trauerreaktion:
1. Zwanghafte Beschäftigung mit Gedanken an das tote Baby oder den Föten
2. Halluzinatorische Empfindungen „leerer Arme“
3. Ärger gegenüber klinischem Personal oder Mitgliedern der Primärfamilie
4. Schuld− oder Versagensgefühle
5. Verzweifelte Suche nach Erklärungen oder negative Gefühle beim Anblick lebender Babys. (S. 5).
3.4.3 Klinisch relevante Folgen
Ein problematischer Trauerverlauf kann sich manifestieren in klinisch relevanten Folgen wie Depressionen, PTBS, Angststörungen, somatoformen Beschwerden (beispielsweise undefinierbare Unterbauchbeschwerden) oder Suchtverhalten (Dietz, 2001; Scheidt et al, 2007). Wie bereits dargestellt (Kapitel 2.2), werden am häufigsten depressive Reaktionen als Folgebelastung aufgeführt. In Tabelle 8 wird einen Vergleich der Merkmale patholo- gischer Trauer und depressiver Symptome vorgenommen. Eine genaue Unterscheidung falle nach Einschätzung verschiedener Forscher im Kontext des Kindstodes aufgrund unterschiedlicher Untersuchungsmethoden zur Messung von Traurigkeit und Depressivität bisher schwer (Beutel, 2002; Ladewig, 2010). Beutel (2002) kam dahingehend zu dem Schluss, dass Traurigkeit mit der Zeit abnehme und positiv beeinflusst werden könne, beispielweise durch zuvor geborene Kinder (S. 88). Depressivität hingegen sei verän- derungsresistent (ebenda). Möglich seien aber auch kombinierte Reaktionen (Ladewig, 2010, S. 16).
Neben den psychischen und körperlichen Symptomen werden ebenfalls soziale Folge- belastungen berichtet. Der Verlust kann durch Rückzugverhalten, Wut, Ärger sowie ver- schiedenen Bewältigungsmustern zu negativen Auswirkungen auf den Beruf, die sozialen Beziehungen, den Partner bzw. der Familie führen (Läpple, 1991, S. 159). Auf Seiten der betroffenen Mütter scheint es daher wichtig, das Erlebte angemessen zu verarbeiten. Das soziale Umfeld, in Form von Angehörigen, Klinikpersonal und Therapeuten kann auf der anderen Seite versuchen, eine optimale Unterstützung zu gewährleisten. Dass dies nicht immer einfach sein dürfte, zeigt das Spektrum möglicher Folgebelastungen nach einer Totgeburt und die damit verbundenen individuellen Bedürfnisse der Frauen.
Tabelle 8: Abgrenzung von pathologischer Trauer und depressiven Verarbeitungsmustern
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
3.4.4 Hilfebedarf der Frauen nach einer Totgeburt
Angesichts der möglichen gravierenden psychosozialen Belastungen für die Frauen, erscheint es zunächst schwer nachvollziehbar, dass eine Totgeburt Ende der 60er Jahre als sogenanntes „Nichtereignis“ (Lewis & Page, 1978, zit. n. Beutel 2002; Bourne, 1968, zit. n. Kuse-Isingschulte, 2000) behandelt wurde. Die Annahme hierbei war, dass eine bessere Verarbeitung des Verlustes stattfinde, wenn die Konfrontation mit dem Verlust vermieden wird (Wehkamp, 1989, zit. n. Ladewig, 2010, S. 32). Das totgeborene Kind wurde der Mutter weder gezeigt, noch bekam es einen Namen oder ein Grab – die Geburt des Kindes wurde verleugnet (ebenda). Mittlerweile haben sich die Aussagen der Auto- ren/-innen dazu deutlich verändert. Der Verlust müsse erinnert werden können, um ihn erfolgreich zu verarbeiten (Beutel, 2002, S. 79). Von der Hude (2014) betont, dass den Eltern ermöglicht werden solle, „um das tote Kind und nicht um die verpasste Chance auf eine Beziehung zu ihm [zu] trauern.“ (S. 103).
Die Reaktionen der Frauen nach der Feststellung des Todes ihres Kindes, können von Schock, über Verleugnung bis hin zu Ohnmacht reichen (Beutel, 2002; Kuse-Isingschulte, 2000). Es ist anzunehmen, dass die Anforderung, Entscheidungen über den Umgang mit dem verstorbenen Kind zu treffen, einer Überforderung seitens der Mütter darstellen kann.
Dennoch gelte die Festigung der Bindung zum Kind als Voraussetzung für den Trauer- prozess (Säflund et al., 2004, zit. n. Ladewig, 2010, S. 30). Sowohl Kuse-Isingschulte (2000, S. 28), Säflund et al. (2004, zit. n. Ladewig, 2010, S. 30) als auch Beutel (2002, S. 84) kamen zu dem Schluss, dass das medizinische Personal großen Einfluss auf den Trauerverlauf haben kann. Vor allem Ärzte/-innen und Hebammen könnten informierend, beratend und unterstützend zur Seite stehen (Parkes, 1977, zit. n. Ladewig, 2010, S. 28). Von der Hude (2014) spricht dahingehend von der Möglichkeit, den Betroffenen einfühl- sam entgegentreten und ihnen jederzeit die Chance einzuräumen, über ihre Gefühle zu sprechen (S. 104). Eine persönliche Anteilnahme des Klinikpersonals, das Sehen und Halten des Kindes und die Möglichkeit der Beerdigung wurden bei den Müttern als sehr hilfreich empfunden (Beutel, 2002; Kuse-Isingschulte, 2000). Dadurch können sie Abschied nehmen und dem Kind einen Platz in der Familie geben. Es kann demnach ratsam sein, die Frauen zu einem Kontakt mit ihrem verstorbenen Kind zu ermutigen und ihnen genug Zeit für den Abschied einzuräumen. Zudem haben die Frauen oft das Bedürfnis nach Informationen und Gesprächen rund um das Geschehene und das noch Kommende (beispielsweise die Bestattung) (Ditz, 2001; Kuse-Isingschulte, 2000).
Es ist kein Geheimnis, dass auch für die Geburtshelfer die Geburt eines toten Kindes trau- matisch sein kann und so möglicherweise die Betreuung der betroffenen Mütter erschwert wird. Sie müssen eventuell ebenfalls schmerzhafte Gefühle zulassen und akzeptieren, um dann ein effektives Unterstützungssystem zu gewährleisten (Parkes, 1988, zit. n. Ladewig, 2010, S. 29). Folgende sechs Qualitäten konnten, in einer qualitativen Studie, in Bezug auf positives Verhalten seitens der Helfer ermittelt werden:
Unterstützungim Chaos [Support in Chaos]: strukturierte Informationen (bezüglich Geburt und Kontakt mit dem Kind), Schritt für Schritt gegeben, mildern Verzweif- lung und stärken die Bindung zum Kind.
Unterstützung bei dem Kontakt mit und dem Verabschieden des Kindes [Support in Meeting with and Separating from the Baby]: Hilfe und Vorbereitung bezüglich der Gestaltung des Kontaktes mit dem Kind, Ängsten und Wünschen der Eltern Raum geben, das Kind ansehen, kleiden, halten, sich Zeit nehmen, den Abschied gestalten: die Qualität der gemeinsamen Zeit mit dem Baby ist entscheidend, nicht die Länge der Zeit – die ist grundsätzlich zu kurz.
Unterstützungim Trauerprozess [Support in Bereavement]: nochmals und wiederholt mit dem behandelnden Arzt/der Hebamme reden können, die Erlaubnis zu trauern bekommen, sich nicht im Stich gelassen fühlen, sondern weiterhin begleitet, Aus- tausch zwischen den Eltern fördern sowie Gespräche zu Angehörigen anbieten. Erklärung für die Totgeburt [Explanation of the Stillbirth]: Diagnose, um der Mutter Schuldgefühle und Ängste bezüglich erneuter Schwangerschaft zu nehmen.
Organisation von weiterführender Betreuung [Organisation of the Care]: Krank- schreibung solange wie benötigt, Möglichkeit von behandelndem Arzt/Hebamme in erneuter Schwangerschaft betreut zu werden, sofern diese als empathisch erlebt wurden.
Verstehen der eigenen Trauer [Understanding the Nature of Grief]: den Verlust und die dazugehörige Trauer anerkennen. Erinnerungsstücke wie Fotos, Fußab- druck etc. und das Kind gehalten zu haben, helfen zu verstehen, was passiert ist und worum die Eltern trauern. (Säflund et al, 2004, zit. n. Ladewig, 2010, S. 29 f.)
Folglich ist anzunehmen, dass das Klinikpersonal den Trauerverlauf stark beeinflussen könnte. Vor diesem Hintergrund scheint eine gegensätzliche Aussage von Kersting (2012) sehr interessant. Sie nimmt Bezug auf zwei Studien, welche referieren, dass „Frauen, die ihr Kind gesehen hatten, […] signifikant höhere Raten posttraumatischer Belastung, Angst und Depression aufweisen […]. Frauen, die ihr verstorbenes Kind im Arm gehal- ten hatten, waren signifikant depressiver als Frauen, die ihr Kind nur gesehen hatten. Die geringsten Depressionswerte fanden sich bei Müttern, die keinen Kontakt hatten“ (Kersting, 2012, S. 1438). Die genannten Aspekte der Hilfestellung erscheinen demnach nur vor dem Hintergrund der individuellen Bedürfnisse der Mütter sinnvoll. Möchte eine betroffenen Frau ihr Kind auch nach mehrmaligem Angebot beispielsweise nicht auf den Arm nehmen, sei dies zu respektieren (Ditz, 2001, S. 216). Nach dem Klinikaufenthalt sind weitere Gesprächsangebote als hilfreich anzusehen (Kuse-Isingschulte, 2000, S. 62), sei es durch den Gynäkologen, dem Psychotherapeut oder in Form von Selbsthilfegruppen.
Neben den situativen und sozialen Einflussfaktoren während der Behandlung werden indi- viduelle Voraussetzungen betroffener Frauen für die Verarbeitung des Verlustes berichtet. Genannt werden hier das Vorhandensein weiterer Kinder, das soziale Umfeld, psychische Vorbelastungen und die Partnerschaft (Beutel, 2002; Kuse-Isingschulte 2000). Besonders die Bedeutung weiterer Kinder wird hervorgehoben. In der Studie von Kuse-Isingschulte (2000) gaben 91,4 % der betroffenen Frauen eine Erleichterung durch vorhandene Kin- der an (S. 54). Bei Beutel (2002) gaben 70% der Mütter an, dass es dadurch leichter war, mit dem Verlust zurecht zu kommen (S. 88). Auch wenn Mütter und Väter durchaus unterschiedliche Coping-Strategien aufweisen können (Kersting, 2013, S. 61), so stelle der Partner trotzdem eine große Hilfe dar (Beutel, 2002, S. 88). Vorausgesetzt, es besteht eine Gesprächsbereitschaft. Wie Beutel (2002) berichtet, wirke es auch im sozialen Umfeld als hilfreich, wenn der Verlust nicht totgeschwiegen würde (S. 89). Viele Freunde und Angehörige wüssten jedoch nicht wie sie mit der Situation umgehen sollen, was bei den betroffenen Frauen in Enttäuschung oder Kränkung münden kann (Beutel, 2002, S. 89).
3.5 Zusammenfassung
Im Ergebnis der Ermittlung des aktuellen Forschungsstandes zu psychosozialen Belas- tungen, Folgebelastungen und Hilfebedarf für Frauen nach einer Totgeburt zeigte sich, dass dieses kritische Lebensereignis zu den am schwersten zu verarbeitenden Verlusten gezählt wird. Dabei zeigt sich die Schwierigkeit einen „normalen“ von einem pathologi- schen Verlauf der Trauer zu differenzieren. Für den deutschen Versorgungsbereich ist die Übertragbarkeit des DSM 5, nach der eine anhaltende Trauerreaktion mit spezifischen Merkmalen, als eine Unterform der Depression diagnostiziert werden kann, für die Bereit- stellung therapeutischer Interventionen nicht gegeben.
Die Häufigkeit eines pathologischen Trauerverlaufs wird nicht genau angegeben. Häufig genannte Beeinträchtigungen waren emotionale Taubheit, Schuldgefühle, zwanghafte Gedanken an das tote Kind und Trennungsschmerz. Die krankheitswertigen psychischen Folgestörungen reichen von Depressionen bis PTBS. Umstritten ist die Frage nach der Neudefinition einer spezifischen Diagnosekategorie für pathologische Trauer. Hier scheint ein Bedarf an klinisch-psychologischen bzw. psychiatrische Forschungsarbeiten der spe- zifischen Trauer nach Totgeburt zu bestehen.
Hinsichtlich des Umgangs mit dem verstorbenen Kind bzw. der Ermöglichung einer Abschiednahme vom Leichnam des Kindes, hat es in den letzten Jahren einen deutlichen Wandel gegeben. Während anfangs der Verlust als „Nicht-Ereignis“ verleugnet wurde, wird heute die Position vertreten, es sei hilfreich eine Bindung zum Kind aufzubauen. Hinsichtlich der durchschnittlich ermittelten bewältigungsfördernden bzw. -unterstützenden Effekte liegen jedoch widersprüchliche empirische Daten vor, so dass angenommen werden kann, dass das Angebot der Abschiednahme nicht immer den individuellen Wünschen entsprach. Fraglich ist auch, ob und ggf. in welcher Form die Abschiednahme durch z. B. Krankenhausseelsorger, speziell psychosozial geschultes Pflegepersonal o. ä. begleitet werden konnte.
Als sehr hilfreich werden insgesamt Gespräche mit Gynäkologen, Hebammen, Psycho- therapeuten, Partner, Familie und Freunden berichtet, während dem „Totschweigen“ eher negative Effekte zugeschreiben werden.
Vergleichsweise wenig oder kontrovers interpretierte Daten liegen zur Berücksichtigung der Bedürfnisse der Mütter während der Geburtsnachsorge und des Klinikaufenthaltes vor. Zur Nachsorge wurde lediglich der Gesprächsbedarf ermittelt, jedoch nicht in wel- chem Rahmen dieser befriedigt werden solle und welche weiteren spezifischen Angebote es für die Mütter geben sollte. In Bezug auf den Klinikaufenthalt legen die berichteten Daten nahe, dass das Personal (vor allem Ärzte und Hebammen) großen Einfluss auf den weiteren Verlauf der Trauer seitens der Frauen hat. Daten zum Umsetzungsstand der daraus hervorgehenden notwendigen Unterstützung wurden jedoch nicht berichtet.
4 Fragestellung
Auf der Basis des in Kapitel 3.5 dargestellten Forschungsbedarfs, werden die Fragestel- lungen der empirischen Arbeit wie folgt konkretisiert:
1. Themenfeld: Belastungen der Frauen nach einer Totgeburt:
Welche Belastungen werden unmittelbar nach der Totgeburt in der Nachsorge der Geburtshilfe und in der medizinischen Behandlung sowie in der Klinik, im unmittel- baren sozialen Umfeld und im Zusammenhang mit dem Begräbnis wahrgenommen?
Welches Spektrum an Belastungen wird im Zeitverlauf in Bezug auf die körperlichen Veränderungen und die Rückbildung, in Familie und Partnerschaft, im Familien- und Freundeskreis, im Zusammenhang mit Kostenübernahmen, in Bezug auf den Arbeit- geber und Arbeitskollegen/-innen sowie im Austausch mit anderen Müttern, deren Kinder lebend geboren wurden, wahrgenommen?
2. Themenfeld: Versorgung der Frau nach der Totgeburt:
Wie haben die betroffenen Frauen die medizinische Behandlung sowie die Arbeit der Hebammen, allgemeine Angebote für Frauen nach der Geburt sowie spezifische Angebote für Frauen und Familien nach Totgeburt erlebt?
3. Themenfeld: Bedürfnisse und Wünsche
Was würden sich Hebammen, Ärzte und betroffene Frauen wünschen, damit den Müttern und ihren Familien nach einer Totgeburt, noch besser geholfen werden kann?
5 Begründung und Darstellung der Methoden der Erhebung von Praxisangeboten in Deutschland sowie der Sicht der Professionellen
Es konnte gezeigt werden, dass vergleichsweise wenige Studien die psychosozialen Belastungen und Belastungsfolgen sowie den Hilfebedarf der Frauen (und Familien) nach einer Totgeburt behandeln. Jedoch ist davon auszugehen, dass nicht alle Praxis- angebote, welche die spezifische Situation der Frauen berücksichtigen, auch beforscht werden. Daher soll ergänzend auf der Basis einer Recherche von Angeboten im Internet ein breiteres Bild der Praxis in Deutschland abgebildet werden. Im Anschluss wird die Sicht von Betroffenen und Professionellen auf ihre Situation und bestehende Angebote vertiefend in halbstrukturieren qualitativen Interviews erhoben. In diesem Kapitel wird das methodische Vorgehen begründet und dargestellt.
5.1 Begründung und Darstellung des methodischen Vorge- hens der Erhebung der gegenwärtigen Praxisangebote in Deutschland
Die Erhebung möglicher Praxisangebote erfolgt durch eine systematische Internetre- cherche. Die Praxis wird zudem aus der Sicht der Betroffenen und Professionellen in Experteninterviews beleuchtet. Die Wahl der Methoden und deren Durchführung, wird nachfolgend begründet und dargestellt.
5.1.1 Systematische Internetrecherche
Da mittlerweile viele Hilfen auch im Internet dargestellt werden, wurde zunächst eine sys- tematische Internetrecherche durchgeführt. Die Recherche erfolgte in der Suchmaschine Google® mit folgenden Suchtermen und festgelegten Treffereingrenzungen.
5.1.1.1 Suchterme
Folgende Suchterme wurden für die Internetrecherche festgelegt:
TotgeburtUND Frau* UND Hilfsangebot* NICHT Fehlgeburt:
Begründung: Es sollen allgemein Hilfsangebote nach einer Totgeburt (nicht Fehlgeburt) erfasst werden.
TotgeburtUND Betreuung UND (Hebamme* ODER Arzt ODER Gynäkolog*ODER Perinatal* ODER Krankenhaus ODER Klinik*) NICHT Fehlgeburt:
Begründung: Der Suchterm dient zur Erfassung des Standes der Betreuung durch Heb- ammen und Ärzte, sowie der Betreuung im Krankenhaus allgemein.
Die Formulierung der Suchterme erfolgte ausschließlich auf Deutsch, da sich diese Arbeit, aus unterschiedlichen rechtlichen Rahmenbedingungen einer Totgeburt, nur auf Praxis- angebote in Deutschland bezieht.
5.1.1.2 Festlegung der Eingrenzung der Treffer
Aufgrund der Vielzahl der Treffer bei einer Internetrecherche in einer Suchmaschine wie Google wurde die Trefferanalyse auf die ersten 100 angezeigten Webseiten eingegrenzt. Zudem wurden Links zu Fehlgeburten, Folgeschwangerschaften, Risiken einer Totgeburt, Fehlbildungen, Migration und chronischen Erkrankungen ausgeschlossenen. Es werden ausschließlich Links berücksichtigt, die Hilfsangebote und Betreuungsmaßnahmen für Frauen nach einer Totgeburt beschreiben.
5.1.2 Experteninterviews
Die qualitative Erhebungsmethode ermöglicht, die subjektive Sicht aller Beteiligten bei einer Totgeburt zu berücksichtigen. Die gewonnenen Aussagen sollen zur Vertiefung des Verständnisses der Situation der Betroffenen und Helfer beitragen. Die halbstandardisier- ten Experteninterviews bieten die Möglichkeit, aus der Fachliteratur abgeleitete, definierte Themenkomplexe zu erheben. Dem Interviewpartner wird so ermöglicht, trotz festgelegter Fragestellungen, offen und in selbstgewählter Reihenfolge und Gewichtung zu antworten. Nachfolgend werden der Leitfaden als Befragungsinstrument, die Gewinnung der Exper- ten, die Durchführung und die Auswertungsmethode dargestellt.
5.1.2.1 Vorstellung des Interviewleitfadens als Befragungsinstrument
Der eigens entwickelte, halbstandardisierte Interviewleitfaden stellt das Erhebungsinstru- ment der empirischen Untersuchung dieser Arbeit dar. Er dient als theoriegeleitetes Gerüst für das Interview und bietet dem Interviewer damit die Möglichkeit, weitgehend darüber zu entscheiden, wann welche Frage gestellt wird (Gläser & Laudel, 2009, S. 142). Zudem soll der Leitfaden davor schützen, aufgrund subjektiver Schlussfolgerungen die Fragen umzuformulieren und so möglicherweise den Informationsgehalt zu verringern oder die Durchführungsobjektivität zu gefährden (Gläser & Laudel, 2009, S. 143). Der Leitfaden wurde in den professionellen Interviews den unterschiedlichen Tätigkeiten der Experten angepasst, um so der erforderlichen Spezifität und der Erfassung des persönlichen Kon- texts nachzukommen (Gläser & Laudel, 2009, S. 151).
Der folgende Leitfaden (Tabelle 9 und 10) wurde den Interviews mit Ärzten und Hebammen sowie dem Interview mit Mitarbeitern einer Selbsthilfegruppe zugrunde gelegt. In Kapitel 6.1.1 wird der Teilfaden für die Interviews mit betroffenen Müttern vorgestellt.
Tabelle 9: Leilleitfaden für ein halbstandardisiertes Experteninterview mitÄrzten und Hebammen
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 10: Teilleitfaden für ein halbstandardisiertes Experteninterview mit Mitarbeitern einer Selbsthilfegruppe
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
5.1.2.2 Gewinnung der Experten
Vor der Kontaktaufnahme wurde eine Eingrenzung der relevanten professionellen Arbeits- felder vorgenommen. Berücksichtigt wurden hierbei Hebammen, Gynäkologen und pro- fessionellen Begleitern von Selbsthilfegruppen. Die Auswahl erfolgte über Empfehlungen, Internetrecherche oder über bestehende Netzwerkkontakte. Der Kontakt zu den infrage kommenden Experten, wurde mit Ausnahme des Kontaktes zu einer persönlich bekannten Hebamme per E-Mail hergestellt. Dies bot die Möglichkeit, direkt zu Beginn umfassend über das Vorhaben zu informieren, indem beispielsweise das Exposé mit verschickt wurde. Der Zweitkontakt erfolgte telefonisch, um entsprechende Termine festzulegen. Die Bereitschaft und das Einverständnis der Experten zu einem Interview wurden ohne Bedenken gegeben. Ausschlaggebend war hierfür die Relevanzeinschätzung der Frage- stellung. Insgesamt wurden vier Experteninterviews durchgeführt.
5.1.2.3 Durchführung
Die Hälfte der Interviews wurden im privaten Rahmen der Gesprächspartner, face-to-face durchgeführt, da dadurch auch szenische Informationen (Gefühlsausdruck, Reaktionen auf Fragen) berücksichtigt werden konnten und das Gespräch umfassender beeinflusst werden konnte. Aufgrund von Zeit- und Kostengründen, sowie auf Wunsch der Gesprächspartner, wurde die andere Hälfte telefonisch durchgeführt. Unter Berücksichtigung der geringeren Kontrolle über das Gespräch, wurden die Interviewpartner vorab darum gebeten, sich möglichst nur auf das Gespräch zu konzentrieren, ohne Nebentätigkeiten (Bedienung von PC oder Mobiletelefon, etc.). Die Gespräche fanden im Zeitraum vom 14.06. – 20.06.2018 statt und nahmen einen zeitlichen Rahmen von 25 – 45 Minuten in Anspruch.
Die Durchführung der Interviews orientierte sich am Leitfaden, welcher in Kapitel 5.1.2.1 vorgestellt wurde. Die Gesprächspartner wurden mit den offenen Impulsfragen konfron- tiert, welche sie ohne Zeitdruck beantworten konnten. Wurde ein, anhand der Unterfragen festgelegter Schwerpunkt nicht selbst von den Experten erwähnt, wurde diese Thematik noch einmal angesprochen (Vertiefungsfragen). Mit dem Angebot der Übermittlung der Ergebnisse und einem Dank endeten die Interviews.
5.1.2.4 Darstellung der Auswertungsmethode
Nach Durchführung der Interviews, wurden diese anhand der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring (2015) ausgewertet. Dieser beschreibt den Grundgedanken der Methode wie folgt:
Der Grundgedanke einer qualitativen Inhaltsanalyse, wie sie hier vorgeschlagen wird, besteht darin, die Systematik der klassischen quantitativ orientierten Inhaltsanalyse zu erhalten und damit die qualitativen Analyseschritte bei der Textinterpretation in den Mittelpunkt zu stellen. So sollen vorschnelle Quantifi- zierungen vermieden werden, trotzdem aber systematisch, regelgeleitet und an Gütekriterien orientiert ausgewertet werden, auch ohne den Weg zu quantitativen Aussagen zu verbauen. (Mayring, 1994, S. 164)
Nach Mayring (2015) handelt es sich um ein systematisches, regel- und theoriegeleitetes Vorgehen, bei dem die Aussagen der Interviewten, zu geordneten Daten in Form eines Kategoriesystems als zentrales Instrument (S. 51) verdichtet werden. Von Bedeutung ist dabei, dass Textstellen mit wichtigen Informationen herausgefiltert und, daraus erstellten, Kategorien zugeteilt werden. Liegen bereits theoretische Vorüberlegungen vor, welche in den Leitfaden eingegangen sind, so existiert bereits eine grundlegende Ordnung, die durch die Aussagen der Interviewten differenziert werden (Mayring, 2015, S. 68).
Zur Kategorisierung der Aussagen bedarf es nach Mayring (2015) drei Grundtechniken der qualitativen Inhaltsanalyse:
1. Zusammenfassung: Das vorliegende Gesprächsmaterial wird so reduziert, dass die wichtigsten Informationen bestehen bleiben. Füllwörter oder rhetorische Elemente werden durch zwei Stufen der Paraphrasierung eliminiert, so dass nur noch die Ker- ninformation abgebildet werden kann.
2. Explikation: Unklare Textstellen werden durch zusätzliche Informationen ergänzt, die zu einer allgemeinen Verständlichkeit führen.
3. Strukturierung: Das Ziel besteht darin, bestimmte Kriterien herauszufiltern, welche die Gesamtheit des Datenmaterials vollständig abbilden sollen. (S.67)
Anfangs wurde ein Betroffeneninterview vollständig transkribiert (siehe Anhang). Die Aus- sagen des Interviewpartners und die Paraphrasen konnten gut den zugrunde gelegten Themenkomplexen zugeordnet werden, so dass die Folgeinterviews nicht vollständig transkribiert, sondern durch Abhören relevanter Ausschnitte, als Zitat direkt in die theore- tisch abgeleiteten Oberkategorien übertragen werden konnten. In der vorliegenden Arbeit wurden zunächst Oberkategorien aus den Aussagen und theoriegeleiteten Themenfeldern abgeleitet und die Aussagen diesen zugeordnet. Nicht eindeutige Aussagen wurden aus dem Gesprächszusammenhang oder durch fachliche Recherche expliziert. Erste und zweite Paraphrase wurden formuliert. Die zweiten Paraphrasen wurden kategorisiert. Das so entstandene Kategoriesystem wurde abschließend auf alle Interviews angewendet, um eine Vollständigkeit der Analyse und Vergleichbarkeit der Ergebnisse herzustellen und so Unterschiede und Parallelen vergleichend darzustellen.
5.2 Ergebnisse
5.2.1 Vorstellung und vergleichende Analyse der im Internet identifizier- baren Angebote
Dass der Trauerverlauf individuell sehr verschiedenen sein kann, wurde bereits in Kapitel 3.4 referiert. Genauso unterschiedlich können möglicherweise die Wege der betroffenen Frauen sein, um an hilfreiche Informationen über weiterführende Angebote zu gelangen. Einige Frauen befragen eventuell regelmäßig den Gynäkologen oder die Hebamme, andere wollen womöglich schnell nach Hause und selber im WorldWideWeb Informati- onen sammeln.
[...]
1 „Hebammengesetz vom 4. Juni 1985 (BGBl. I S. 902), das zuletzt durch Artikel 17b des Gesetzes vom 23. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3191) geändert worden ist“
2 „Personenstandsgesetz vom 19. Februar 2007 (BGBl. I S. 122), das zuletzt durch Artikel 2 Absatz 2 des Gesetzes vom 20. Juli 2017 (BGBl. I S. 2787) geändert worden ist“
- Citation du texte
- Juliane Denning (Auteur), 2018, Psychosoziale Belastungen und Bedürfnisse von Betroffenen nach einer Totgeburt und psychosoziale Angebote, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/505623
-
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X.