Auf den ersten Blick scheint zwischen der Thematik „Müll, Abfall und Wegwerfen“ und der Wissenschaft Volkskunde kein bedeutender Zusammenhang zu bestehen. Die Verantwortung der Untersuchung und Analyse des Umgangs mit scheinbar wertlos gewordenen Produkten und der daraus resultierenden Problematik des Mülls, sollten die Naturwissenschaftler und Ökonomen dennoch nicht alleine tragen.
Für Volkskundler ist der Müll insofern ein interessantes Forschungsgebiet, als der Umgang mit ihm Kultur widerspiegelt.
Einerseits steht die „Beschäftigung mit Rohstoffen, mit Müll oder der Wiederverwertung von stofflichen Materialien von volkskundlicher Seite […] erst in den Anfängen“, aber andererseits ist das Sammeln und Retten von Dingen, die von ihren Eigentümern als nicht mehr aufhebenswert und damit als wertlos eingeschätzt werden, sozusagen die „Urmethode“ der Volkskunde. Ohne „Müll“, der gesammelt und gerettet wurde, sind Museen praktisch undenkbar. Daraus resultiert die Frage: Was ist Müll, bzw. Abfall? Sonja Windmüller fordert einen dynamischen Abfallbegriff, da der Abfallstatus den Dingen nicht von innen her zukommt, sondern von der Gesellschaft zugeschrieben wird.3Was als Wegzuwerfendes bewertet wird ist somit subjektiv und hängt von sozialen Wertesystemen einer Kultur ab.
Weiterhin heißt es bei Windmüller, dass Abfall ein modernes Phänomen und Problem industrialisierter Gesellschaften sei.
Infolge der Industrialisierung hat sich die Müllproblematik zweifelsohne verändert. Die Schlussfolgerung, dass Abfall nur ein Problem industrialisierter Gesellschaften sei, ist jedoch problematisch.
Wie und ob die Thematik des Wegwerfens in Grimms Märchen eine Rolle spielt, soll die vorliegende Arbeit untersuchen.
Inhalt
1. Einleitung
1.2. Gliederung und Fragestellung der Arbeit
1.3. Märchen
1.4. Die Brüder Grimm
1.5. Die Romantik
1.6. Die Quellen und Methoden der Brüder Grimm
1.7. Forschungsstand
2. Der Froschkönig oder der eiserne Heinrich oder der eiserne Heinrich
2.1. Emanzipation vom Vater
2.2. Überwindung sexueller Ängste
2.3. Fazit
3. Prinzessin Mäusehaut
3.1. Die Prüfung
3.2. Der Ring
3.3. Die Krone
3.4. Fazit
4. Zusammenfassung
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Auf den ersten Blick scheint zwischen der Thematik „Müll, Abfall und Wegwerfen“ und der Wissenschaft Volkskunde kein bedeutender Zusammenhang zu bestehen.
Die Verantwortung der Untersuchung und Analyse des Umgangs mit scheinbar wertlos gewordenen Produkten und der daraus resultierenden Problematik des Mülls, sollten die Naturwissenschaftler und Ökonomen dennoch nicht alleine tragen.
Für Volkskundler ist der Müll insofern ein interessantes Forschungsgebiet, als der Umgang mit ihm Kultur widerspiegelt.[1]
Einerseits steht die „Beschäftigung mit Rohstoffen, mit Müll oder der Wiederverwertung von stofflichen Materialien von volkskundlicher Seite […] erst in den Anfängen“[2], aber andererseits ist das Sammeln und Retten von Dingen, die von ihren Eigentümern als nicht mehr aufhebenswert und damit als wertlos eingeschätzt werden, sozusagen die „Urmethode“ der Volkskunde. Ohne „Müll“, der gesammelt und gerettet wurde, sind Museen praktisch undenkbar. Daraus resultiert die Frage: Was ist Müll, bzw. Abfall?
Sonja Windmüller fordert einen dynamischen Abfallbegriff, da der Abfallstatus den Dingen nicht von innen her zukommt, sondern von der Gesellschaft zugeschrieben wird.[3] Was als Wegzuwerfendes bewertet wird ist somit subjektiv und hängt von sozialen Wertesystemen einer Kultur ab.
Weiterhin heißt es bei Windmüller, dass Abfall ein modernes Phänomen und Problem industrialisierter Gesellschaften sei.[4]
Infolge der Industrialisierung hat sich die Müllproblematik zweifelsohne verändert. Die Schlussfolgerung, dass Abfall nur ein Problem industrialisierter Gesellschaften sei, ist jedoch problematisch.
Wie und ob die Thematik des Wegwerfens in Grimms Märchen eine Rolle spielt, soll die vorliegende Arbeit untersuchen.
1.2. Gliederung und Fragestellung der Arbeit
Im Folgenden sollen die Fragen beantwortet werden, ob das Problem des Abfalls, Mülls und Wegwerfens in Grimms Kinder- und Hausmärchen aufgegriffen wird und welche Funktion, bzw. Bedeutung diese Thematik in den Märchen hat und welche Rückschlüsse, den Alltag der Rezipienten der Kinder- und Hausmärchen im 19. Jahrhundert betreffend, gegebenenfalls gezogen werden können.
Der Schwerpunkt dieser Arbeit liegt somit auf dem Alltagsleben der Rezipienten der Kinder- und Hausmärchen des 19. Jahrhunderts.
Um sich der Fragestellung zu nähern, wird zunächst die Gattung „Märchen“ definiert und der politische und sozialgeschichtliche Hintergrund, vor dem die Kinder- und Hausmärchen gesammelt und aufgeschrieben wurden, skizziert.
In diesem Zusammenhang ist es wichtig die Methode der Brüder Grimm und den Umgang mit ihren Quellen zu problematisieren.
Daran anschließend wird der Forschungsstand dargestellt.
Darauf folgt eine exemplarische Untersuchung der Märchen „Der Froschkönig oder der eiserne Heinrich“ und „Prinzessin Mäusehaut“. Anhand dieser beiden Märchen soll versucht werden die Motive „Müll, Abfall und Weggeworfenes“ herauszustellen, zu analysieren und zu interpretieren.
Von besonderem Interesse ist die Frage was die Rezipienten des 19. Jahrhunderts von den untersuchten Märchen und der oben genannten Thematik für ihre persönliche Situation lernen konnten, bzw. wie sie die Märchen verstehen durften und ob die behandelten Themen und Motive auf ihr Alltagsleben übertragbar waren.
1.3. Märchen
Das deutsche Wort „Märchen“ ist das Diminutiv von „Mär“ und bezeichnete ursprünglich eine kurze Erzählung. Durch die Diminutivform unterlag die Bezeichnung einer Bedeutungsverschlechterung und wurde somit auf erfundene und unwahre Geschichten angewendet.[5]
Heutzutage ist der Gebrauch der Bezeichnung „Märchen“ uneinheitlich. Einerseits wird eine unglaubliche Geschichte mit Unterhaltungswert im allgemeinen Sprachgebrauch als „Märchen“ bezeichnet.[6] Andererseits ist der Begriff „Märchen“ ein Terminus technicus innerhalb der Literaturwissenschaft und Volkskunde, womit man das Märchen von anderen Gattungen unterscheiden kann[7] Dennoch ist eine eindeutige Definition der Gattung „Märchen“ insofern problematisch, als weder
„formale, noch inhaltliche Kriterien erlauben eine konkrete und präzise Beschreibung des „Märchens“, das amöbenhaft seine Gestalt wechseln kann und als Terminus mehr durch ein Korsett am Zerfließen verhindert als zur festen Form gestaltet wird.“[8]
Nach Röhrich ist das Märchen „diejenige Form von Dichtung, mit der der Mensch am frühesten in Berührung kommt“ und folglich sei „der Einfluss, den das Märchen auf die Entwicklung des einzelnen hat nicht zu unterschätzen“.[9]
1.4. Die Brüder Grimm
1.5. Die Romantik
Die Germanisten[10] Jakob und Wilhelm Grimm waren Vertreter der politischen Romantik. Zu den Romantikern gehörte eine kleine Gruppe von Schriftstellern, die zwischen den 1790er und 1830er Jahren von einer bestimmten Zeitströmung getragen wurden und diese gleichzeitig auch beeinflusst hat.
Den Repräsentanten der Romantik war gemein, dass sie ihre Kritik der Gegenwart, die sich gegen die Aufklärung, gegen das Naturrecht und gegen den neuzeitlichen Rationalismus wandte, als ein rückwärtsgewandtes Wunschbild entfalteten und auf das Mittelalter übertrugen. Sie forderten eine Rückkehr zu historischen Traditionen, Sitten, Herrschafts- und Gesellschaftsformen.[11] Die politische und gesellschaftliche Gegenwart war gekennzeichnet von Staatenpluralismus, absolutistischem Ständestaat, französischer Hegemonie und Pauperismus.[12] Vor diesem Hintergrund ist die Sehnsucht nach einer als heil geglaubten Vergangenheit zu sehen. Diese Wendung zur Geschichte, zum historischen Denken, setzte sich zunächst in der historischen Schule der Rechtswissenschaften durch.[13]
Savigny, der hier als Vertreter dieser neuen Richtung zu nennen ist, sah das Recht als ein Ausdruck des „Volksgeistes“, welcher im geschichtlichen Leben aufgesucht und von sachkundigen Gelehrten zusammengefügt werden musste. Dieser „Volksgeist“ entsprach der Auffassung vom Staat als Organismus in der vermeintlich natürlichen Form der Monarchie.[14] In diesem Sinne wurde Savigny zum Anreger der Brüder Grimm. Sie hatten ein umfassendes Interesse an der gesamten Volkskultur, vor allem an der Volkspoesie.
1.6. Die Quellen und Methoden der Brüder Grimm
Die Arbeit der beiden Brüder im Bereich der Volksprosa setzte um 1807 ein. Im Jahr 1810 sandten sie eine erste Sammlung an Brentano, der eine Märchensammlung angeregt hatte.
Die ersten Ausgaben der Kinder- und Hausmärchen erschienen 1812 und 1815. Weitere, umgearbeitete Ausgaben erschienen 1819, 1837, 1840, 1843, 1850 und 1857.
Die Vielzahl der Auflagen weist einerseits daraufhin, dass die Kinder- und Hausmärchen einen Angelpunkt in der Geschichte des Märchens im europäischen Raum bedeuteten. Andererseits wurden die zahlreichen Überarbeitungen der Brüder Grimm für das Märchen und die Märchenforschung ein „problematisches Model“.[15]
Die Fragen nach dem Verhältnis der Grimmschen Märchentexte zu ihren Quellen und Vorlagen sind so alt, wie die ersten Veröffentlichungen der Kinder- und Hausmärchen selbst.
Während die frühen Kritiker den Brüdern Grimm vorwarfen, dass die Texte zu wenig überarbeitet und somit nicht genügend poetisiert seien, hieß es im 20. Jahrhundert, dass ungerechtfertigte Eingriffe, vollzogen worden seien.[16]
Trotz der Devise den Inhalt der Märchen möglichst nicht zu verändern durchliefen die Texte einen „Filter“. Sozialkritisches, Politisches, sowie sexuelle Anspielungen wurden aus den Texten entfernt. Die Brüder Grimm kreierten ihren eigenen, unverwechselbaren Sprachstil.
[...]
[1] Scharfe: Müllkippen, S. 15.
[2] Schrutka-Rechtenstamm: Vom Wegwerfen, S. 129.
[3] Windmüller: Die Kehrseite, S. 30.
[4] Ebd.: S. 33.
[5] Lüthi: Märchen, S. 1.
[6] Röhrich: Erzählforschung, S. 525.
[7] Karlinger: Grundzüge einer Geschichte, S. 1.
[8] Ebd.: S. 1.
[9] Röhrich: Erzählforschung, S. 525.
[10] Unter „Germanisten“ verstand man jene Wissenschaftler, die sich mit dem deutschen Recht, deutscher Geschichte und Sprache beschäftigten.
[11] Wehler: Gesellschaftsgeschichte, S. 409 f.
[12] Sievers: Volkskundliche Fragestellung, S. 37 und Wehler: Gesellschaftsgeschichte, S. 285.
[13] Sievers: Volkskundliche Fragestellung, S. 37.
[14] Wehler: Gesellschaftsgeschichte, S. 410 f.
[15] Karlinger: Gründzüge, S. 48 f.
[16] Rölleke: Grimms Märchen, S. 7.
- Citation du texte
- Nora Banaim (Auteur), 2005, Weggeworfenes im Märchen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/50470
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