Ganz nach dem Motto „Kleider machen Leute, aber das Herz macht den Menschen“ verläuft die Liebesgeschichte in Gottfried Kellers Novelle Kleider machen Leute. Neben der Verwechslung des Protagonisten Wenzel Strapinski steht dessen Romanze mit Nettchen im Vordergrund: Ein polnischer Graf verliebt sich in die Tochter eines Amtsrats. Der angebliche Graf ist dabei Wenzel Strapinski, welcher in Wirklichkeit ein einfacher Schneiderlehrling ist. Als seine wahre Identität zum Vorschein kommt, hält Nettchen trotzdem zu ihm. In dieser Arbeit wird die Frage behandelt, warum Nettchen sich ein zweites Mal für Wenzel entscheidet. Um deren Lebensumstände zu verstehen, wird zunächst der historische Hintergrund der Lektüre beleuchtet: der Biedermeier. Hierbei wird auf das zeitgenössische Frauenbild sowie die Liebesvorstellung eingegangen. Allerdings wurde die Novelle später verfasst, deshalb behandelt das darauffolgende Kapitel den poetischen Realismus. Der Schwerpunkt der Hausarbeit klärt auf, was für eine Frau Nettchen tatsächlich ist. Dabei wird der Einfluss des poetischen Realismus auf ihre Person als Frau des Biedermeiers geprüft. Zudem wird untersucht, wie sie die Liebesbeziehung zu Wenzel führt. Dies unterscheidet die Arbeit von bestehenden, da ausschließlich Nettchens Sichtweise auf die Beziehung untersucht wird. Mithilfe der gewonnenen Erkenntnisse wird im Schluss die Forschungsfrage beantwortet.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Frauenbild und Liebesvorstellung
2.1 Biedermeier Epoche
2.2 Kellers Ansicht als Poetischer Realist
3. Was für eine Frau ist Nettchen?
4. Eine zweifelhafte Liebesgeschichte
5. Schluss
6. Literaturverzeichnis
6.1 Primärliteratur
6.2 Sekundärliteratur
6.3 Internetquellen
1. Einleitung
Ganz nach dem Motto „Kleider machen Leute, aber das Herz macht den Menschen“1 verläuft die Liebesgeschichte in Gottfried Kellers Novelle Kleider machen Leute. Neben der Verwechslung des Protagonisten Wenzel Strapinski steht dessen Romanze mit Nettchen im Vordergrund: Ein polnischer Graf verliebt sich in die Tochter eines Amtsrats. Der angebliche Graf ist dabei Wenzel Strapinski, welcher in Wirklichkeit ein einfacher Schneiderlehrling ist. Als seine wahre Identität zum Vorschein kommt, hält Nettchen trotzdem zu ihm.
In dieser Arbeit wird die Frage behandelt, warum Nettchen sich ein zweites Mal für Wenzel entscheidet. Um deren Lebensumstände zu verstehen, wird zunächst der historische Hintergrund der Lektüre beleuchtet: der Biedermeier. Hierbei wird auf das zeitgenössische Frauenbild sowie die Liebesvorstellung eingegangen. Allerdings wurde die Novelle später verfasst, deshalb behandelt das darauffolgende Kapitel den poetischen Realismus.
Der Schwerpunkt der Hausarbeit klärt auf, was für eine Frau Nettchen tatsächlich ist. Dabei wird der Einfluss des poetischen Realismus auf ihre Person als Frau des Biedermeiers geprüft. Zudem wird untersucht, wie sie die Liebesbeziehung zu Wenzel führt. Dies unterscheidet die Arbeit von bestehenden, da ausschließlich Nettchens Sichtweise auf die Beziehung untersucht wird. Mithilfe der gewonnenen Erkenntnisse wird im Schluss die Forschungsfrage beantwortet.
2. Frauenbild und Liebesvorstellung
2.1 Biedermeier Epoche
Gottfried Keller offenbarte nicht den genauen Zeitpunkt, in dem die Handlung seiner Novelle spielt. Da in der Geschichte Melchior Böhni auf die Schlachten von Praga und Ostrolenka andeutet, ist die Handlung von Kleider machen Leute den 1830er Jahren zuzuordnen2, der Blütezeit des Biedermeiers. Die Epoche dauerte von dem Ende der Napoleonischen Kriege 1815 bis zu den europäischen Revolutionen 1848 an3. Geprägt wurde diese Zeit von großen Veränderungen auf allen Gebieten der Technik, Industrie, Medizin, Wissenschaften, Justiz und Religion4. Dabei herrschte eine ständisch-patriarchalische Ordnung, in der die Schicht des Bürgers aufstieg5.
Im Hinblick auf diesen Umschwung und der sozialen Frage war der Bürger beunruhigt. Er flüchtete in eine kleine und private Welt: das Zuhause. „So gewann das traute Heim, die bürgerliche Wohnung, eine erhöhte Bedeutung als“6 Rückzugsort.
Auch die Frauen waren wie die gesamte Gesellschaft sozial voneinander getrennt. Es gab Damen des Adels und des Großbürgertums, bürgerliche Hausfrauen, Dienstmägde und Arbeiterinnen sowie Landfrauen7, wobei die Bürgerfrau das zeitgemäße Frauenideal verkörperte. Ständeübergreifend galt das autoritär-patriarchalische Familienmodell, in welchem der Mann als höchste und letzte Instanz fungierte8. Die Frau hatte in der Öffentlichkeit noch keine Rechte und nahm weder an den Interessen des Mannes noch am gesellschaftlichen Leben teil9. Emanzipierte Frauen zählten als Ausnahme und wurden als „Biederweib[er]“10 verspottet, denn Frauen waren überwiegend „Ehefrau, Hausfrau und Mutter“11. Die „Bestimmung des Weibes“12 fand sich im Inneren der Familie, dem Haushalt, wieder. Neben Putzen, Kochen, und Kindererziehung gehörten kleine Handarbeiten zu den Tätigkeiten der guten Hausfrau. Besonders die Mode spiegelte die soziale Abgrenzung der Biedermeierfrau wider. Während die adlige Frau Ausschnitt, Korsett, weiten Rock, Hut sowie viel Schmuck trug, wählte die Hausfrau einen biederen Kleidungsstil mit weniger figurbetonter Silhouette.
So wie einst Fürst von Metternich sagte: „Die Menschen heiraten, um Kinder zu haben, nicht aber, um das Verlangen des Herzes zu stillen“13, traf dies für die Liebesvorstellung der Biedermeierzeit zu. Persönliche Liebe, freie Partnerwahl und Liebesheirat bildeten die Ausnahme. Mädchen mussten oft schon mit 16 oder 17 Jahren14 „doppelt so alte Männer in gesicherter Position“15 heiraten. Im Vordergrund stand dabei die Versorgung und nicht die Liebe. Der „Brautstand“16 ist der beliebteste Stand, da unverheiratete Frauen wenig galten.
2.2 Kellers Ansicht als Poetischer Realist
Während Keller von 1865 bis 1873 an seinem Werk Kleider machen Leute arbeitete17, fand die Epoche des deutschen Realismus statt.
Dieser ist zeitlich nach dem Biedermeier einzuordnen, beide Epochen haben den gleichen gesellschaftlichen Hintergrund, wie in 2.1 beschrieben. Gottfried Keller teilte zwar die Grundeinstellungen der deutschen Realisten, weist dabei einen deutlichen poetischen Akzent vor18. Der poetische Realismus übt Kritik an generellen Themenstellungen, die den Menschen betreffen. Diese werden jedoch nicht explizit genannt, sondern poetisiert dargestellt.
Kellers persönliches Liebesleben sah eher nüchtern aus, er hatte „keine einzige echte, auf Wechselseitigkeit gegründete Liebesbeziehung erlebt“19. Schon in jungen Jahren verinnerlichte der Schriftsteller die typischen Rollenzuschreibungen des Geschlechterdiskurses20. Er hatte ein klares Bild davon, wie Frauen und Männer sein sollten: „Was für den Mann der wache Geist, ist für sie das schöne Gesicht“21. Den Mann prägte eine „geistige Selbstständigkeit als autonomes Subjekt“22, während die Frau auf ihr äußerliches Erscheinungsbild achtete. Im Mittelpunkt ihres Daseins stand dabei nicht sie selbst, sondern was ihre Reize bei den Männern weckte23. Ihre Bestimmung war es, sich auf den Mann auszurichten, wobei ihre eigene Bildung und Vervollkommnung in den Hintergrund traten24. Nach Gottfried Kellers Auffassung blieb die Frau dem Mann untergeordnet25. Über selbstbewusste und unabhängige Frauen äußerte sich der Schriftsteller abwertend26, denn für ihn hatten solche Frauen „abstoßende maskuline Züge“27.
3. Was für eine Frau ist Nettchen?
Nettchen ist eine „junge Dame“28, welche im Laufe der Handlung volljährig wird. Sie lebt in der kleinen Stadt Goldach und ist dort als Einzelkind bei ihrem Vater, welcher Amtsrat ist, aufgewachsen. Ihr gesellschaftlicher Stand als Kleinstädterin ist daher gut. Nettchens Aussehen ist so dargestellt, wie es mit Kellers Frauenvorstellung übereinstimmt: ein „hübsches Fräulein“29. Sie achtet auf ihr äußeres Erscheinungsbild und spielt gerne mit ihren Reizen, um den Männern zu imponieren.
Deshalb ist sie „äußerst prächtig, etwas stutzerhaft“30 gekleidet und ihre Frisur „abenteuerlich reizend“31. Dank ihres wohlhabenden Vaters kann sie modische Kleidung tragen und „mit Schmuck reichlich verziert“32 sein, was im Biedermeier nicht selbstverständlich ist.
Nettchen ist eine reife und selbstbewusste junge Frau, welche eine „angeborene Lebensklugheit“33 besitzt. Da ihre Mutter relativ früh gestorben ist, musste sie schon als Kind viele Aufgaben alleine bewältigen und selbstständig entscheiden. Dies hat auch seine Schattenseite, da Nettchen ein wichtiges Vorbild und eine Bezugsperson in ihrer Entwicklung fehlte. Vor Fremden spricht sie „hastig und schnell und vieles“34, aber sie weiß auch „stundenlang über gesellschaftliche Verstöße zu plaudern“35. Ihr Vater hat geringen oder gar keinen Einfluss auf sie und daher genießt Nettchen viele Freiheiten: sie kann anziehen was sie möchte36, eine Kutsche selbst fahren37 oder abends ausgehen38.
Sie ist eine Person, die sich von ihren Gefühlen leiten lässt und auf ihre Meinung beharrt.
Ihr Vater versucht seit längerem Nettchen mit einem reichen Goldacher zu verheiraten, doch sie hat nichts für Geschäftsmänner und Handelsleute, wie Melchior Böhni, übrig. Früh entwickelt das Fräulein eigene Vorstellungen von ihrem zukünftigen Ehemann. Exotisches an Männern gefällt ihr: „Schon als Schulkind behauptete sie fortwährend nur einen Italiener oder einen Polen, einen großen Pianisten oder einen Räuberhauptmann mit schönen Locken heiraten zu wollen“39. Nettchen möchte nicht nur irgendeinen Mann zu ihrer Versorgung heiraten, denn sie hat „ein Zug zum Geheimnisvollen und Abenteuerlichen inne“40, was sie in der Liebe zu finden mag.
Ihre Einstellung gegenüber der Gesellschaft ist daher ungewöhnlich für den Biedermeier. Diese beruht auf ihrer Menschenkenntnis und der „Fähigkeit, menschlichen Wert höher zu schätzen als den sozialen Stand.“41.
Nettchens Ideale stehen somit im Kontrast zu ihrem sozialen Umfeld, denn „[w]ährend in der gesellschaftlichen Regelwelt allein Rang und Name gelten, hält Nettchen an Werten fest, auf denen das […] Glück bauen soll – Treue und Liebe“42.
4. Eine zweifelhafte Liebesgeschichte
Schon ab der ersten Begegnung ist Nettchen Wenzel verfallen, da er bestens ihren Vorstellungen entspricht. Wenzel ist ein Pole und dazu noch ein wohlhabender Graf. Außerdem verhält er sich ganz anders als die Männer von Goldach:
[...]
1 https://www.sprueche-suche.de/kleider-machen-leute/sprueche-kleider-machen-leute-aber-das-herz-macht-den-menschen/ (zuletzt abgerufen am 09.04.2019, 09:39).
2 Vgl. Kittstein, Ulrich: Gottfried Keller – Ein bürgerlicher Außenseiter. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2019. S. 169.
3 Vgl. Bernhard, Marianne: Hermes Lexikon; Das Biedermeier – Kultur zwischen Wiener Kongreß und Märzrevolution. Düsseldorf: ECON Taschenbuch Verlag GmbH 1983. S. 7.
4 Vgl. ebd.
5 Vgl. Weber-Kellermann, Ingeborg: Frauenleben im 19. Jahrhundert – Empire und Romantik, Biedermeier, Gründerzeit. München: C.H. Beck’sche Verlagsbuchhandlung 1991. S. 46.
6 Vgl. Weber-Kellermann, Ingeborg: Frauenleben im 19. Jahrhundert. S. 46.
7 Vgl. ebd. S. 9.
8 Vgl. Bernhard, Marianne: Hermes Handlexikon; Das Biedermeier. S. 62.
9 Vgl. Weber-Kellermann, Ingeborg: Frauenleben im 19. Jahrhundert. S. 49.
10 Ebd. S. 58.
11 Ebd. S. 14.
12 Ebd. S. 49.
13 Ebd. S. 55.
14 Vgl. ebd. S.56.
15 Ebd.
16 Ebd. S. 57.
17 Rothenbühler, Daniel: Königs Erläuterungen Band 184 – Textanalyse und Interpretation zu Gottfried Keller Kleider machen Leute. Hollfeld: Bange Verlag 2012. S.21.
18 Rothenbühler, Daniel: Königs Erläuterungen – Kleider machen Leute. S. 17.
19 Kittstein, Ulrich: Gottfried Keller – Ein bürgerlicher Außenseiter. S. 247.
20 Vgl. ebd. S. 272.
21 Ebd. S. 271.
22 Ebd.
23 Vgl. ebd.
24 Vgl. ebd. S. 271-272.
25 Vgl. ebd. S. 272.
26 Vgl. ebd.
27 Ebd.
28 Keller, Gottfried: Kleider machen Leute. In: Gottfried Keller Sämtliche Werke Historisch-Kritische Ausgabe – Band 5 Die Leute von Seldwyla Zweiter Band. Hrsg. von Walter Morgenthaler. Basel und Frankfurt am Main: Stroemfeld Verlag; Zürich: Verlag Neue Zürcher Zeitung 2000. S.26. Im Folgenden abgekürzt mit
Sigle KG und Seitenzahl im Text. KG, 27.
29 KG, 26.
30 KG, 26.
31 KG, 27.
32 KG, 26.
33 Von Loewenich, Caroline: Gottfried Keller – Frauenbild und Frauengestalten im erzählerischen Werk. Würzburg: Verlag Königshausen & Neumann GmbH 2000. S. 106.
34 KG, 26.
35 KG, 27.
36 Vgl. KG, 26.
37 Vgl. KG, 33.
38 Vgl. KG, 35.
39 KG, 37.
40 Friedrichsmeyer, Erhard: Strapinskis Krise in Kellers Kleider machen Leute – Eine Komplementärperspektive. In: The German Quarterly. Vol. 40, No.1 (Jan., 1967). S. 1-13. Online abrufbar unter: https://www.jstor.org/stable/pdf/403041.pdf?ab_segments=0%2Fdefault-2%2Fcontrol&refreqid=search%3A5dfaf3b5a18d404faac00ae3df6a7f33 (zuletzt abgerufen am 09.04.2019, 09:39). S. 6.
41 Von Loewenich, Caroline: Gottfried Keller – Frauenbild und Frauengestalten im erzählerischen Werk.
S. 110.
42 Von Loewenich, Caroline: Gottfried Keller – Frauenbild und Frauengestalten im erzählerischen Werk.
S. 110.
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- Anonym,, 2019, Sie liebt mich, sie liebt mich nicht, sie liebt mich! Eine Liebesgeschichte mit Hindernissen in Gottfried Kellers "Kleider machen Leute", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/504430
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