Die vorliegende Arbeit setzt sich mit den verschiedenen Implementierungen von Sandboxes in der EU, sowie den korrespondierenden ablehnenden Haltungen, auseinander. Dabei werden die Ansätze anhand mehrerer Strömungen der sogenannten "positiven Regulierungstheorie" analysiert, um die jeweils treibenden Interessen herauszustellen und somit eine differenzierte Bewertung der Risiken und Chancen einer Sandbox zu ermöglichen. Der erste Teil der Arbeit legt mit den notwendigen Definitionen und Begriffserklärungen den Grundstein dafür, die jeweils benutzten Werkzeuge im Rahmen der Analyse besser nachvollziehen zu können.
Im Anschluss findet die Analyse der EU-Sandboxes statt, wobei der Fokus auf der tatsächlichen, sowie rechtlichen Ausgestaltung und der Rahmensetzung durch die EU gelegt wird. Zusätzlich werden dabei auch kleine Ausblicke in Sandbox-Modelle von Drittstaaten geworfen, um so eine umfassende Abschätzung der Risiken und Chancen zu gewährleisten. Im Anschluss sollen die Ideen der EU-einheitlichen Sandbox und der globalen Sandbox diskutiert werden. Zuletzt wird sich mit den Ansätzen zu einer Weiterentwicklung des Sandbox-Modells, welche im Zuge der Diskussion rund um "Smart Regulation" stattfindet, auseinandergesetzt und ein abschließendes Fazit vorgenommen. Insgesamt soll die Arbeit der Leitfrage folgen, inwiefern eine Sandbox dazu beiträgt, Fintechs und ihren Innovationen den Weg auf den Finanzmarkt zu ebnen, ohne dabei den Gefahren, wie sie im Rahmen der Weltwirtschaftskrise aufgetaucht sind, Tür und Tor zu öffnen.
Inhaltsverzeichnis
A. Einleitung
B. Begriffserklärungen und Zweckbestimmungen
I. „Fintech“
II. „Die Regulatorische Sandbox“
III. Regulierungstheorien
1. Public-Interest-Theorie (PIT)
2. Verhaltensweisentheorie
3. Chicago-Theorie
C. Fintech-Sandboxes in der EU
I. Ausgestaltung der Sandbox-Modelle
1. Grundlegende Gemeinsamkeiten
2. Ziele der Sandboxes
3. Regulatorische Erleichterungen in der Sandbox
4. Rechtsgrundlagen
5. Phasen innerhalb der Sandbox
a. Die Bewerbungsphase
b. Die Vorbereitungsphase
c. Die Testphase
d. Die Auswertungsphase
6. Annahme und Erfolg des Sandbox-Modells in der EU
II. Rahmensetzung seitens der EU
III. Chancen und Risiken einer regulatorischen Sandbox
1. Argumente der Befürworter
a. Rechtliche Chancen
b. Unternehmerische Chancen
c. Chancen für den Finanzmarkt
d. Chancen für die Aufsichtsbehörden
2. Argumente ablehnender Haltungen
a. Rechtliche Risiken
b. Hohes Kostenrisiko
c. Wettbewerbliche Risiken
d. Fehlende Transparenz und Interessenskonflikte
e. Notwendigkeit einer Sandbox
IV. Die regulatorische Sandbox weitergedacht
1. Die EU-Sandbox
2. Die globale Sandbox
3. Mit der Sandbox zur Smart Regulation
D. Thesen: Fazit und Ausblick
Literaturverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
A. Einleitung
„Meine Sicht kennen Sie: gleiches Geschäft, gleiches Risiko, gleiche Regel – und gleiche Aufsicht.“1,
So der Präsident der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) Felix Hufeld im Rahmen einer Rede zu der Einführung eines Sandbox-Modells für Fintechs in Deutschland auf einer Fachtagung der Hochschule der deutschen Bundesbank und der Universität Paderborn am 22. September 2017. Auch im Jahre 2018 bestätigt Hufeld seinen Standpunkt zu einer Sandbox in Deutschland:
„Eine mit der Umsetzung von Recht und Gesetz betraute Behörde kann nicht von der Anwendung einiger Paragrafen absehen“2
Die Diskussion um die Einführung einer Sandbox ist seit der ersten Etablierung im Jahre 2016 durch das Vereinigte Königreich (UK)3 allgegenwärtig. Doch worum geht es bei der Einführung einer Sandbox? Eine Sandbox stellt einen sicheren Raum dar, in dem Fintechs oder bereits etablierte Unternehmen ihre neuen Produkte oder Dienstleistungen auf dem Finanzmarkt testen können.4 Dabei werden ihnen von den jeweiligen Aufsichtsbehörden regulatorische Erleichterungen geschaffen, sodass aufstrebende Innovationen, aufgrund der hohen regulatorischen Anforderungen des Finanzmarkts, nicht schon im Keim erstickt werden. Man könnte sich nun fragen, woran es liegt, dass es neu aufstrebenden Unternehmen und Produkten auf dem Finanzmarkt so schwer gemacht wird überhaupt erst in den Markt einzutreten. Die Frage lässt sich beantworten, wenn man ein gutes Jahrzehnt zurückblickt. Die Weltwirtschaftskrise in den Jahren 2007 – 2008 hat zu einem breiten Konsens geführt: ein solches Ereignis dürfe sich nicht mehr wiederholen sollte. Dementsprechend wurde mit starker Regulierung des Finanzmarkts und der dort vorherrschenden Geschäftspraktiken reagiert. Neuerungen auf dem Finanzmarkt steht man seitdem zunächst grundsätzlich skeptisch gegenüber.5 Nun hat sich der Finanzmarkt in den letzten Jahren massiv gewandelt und es sind junge aufstrebende und vor allem digitale Unternehmen entstanden, die nicht nur Finanzprodukte und -dienstleistungen neu entwickeln, sondern auch völlig andere Geschäftsmodelle betreiben, als dies noch zu Zeiten der Weltwirtschaftskrise der Fall gewesen ist. Das Problem, welches durch die seither erlassenen Regulierungen entstanden ist, liegt darin, dass aufstrebende Fintechs zwar Akteure auf dem Finanzmarkt sind, allerdings nicht unmittelbar unter die bestehenden Regulierungen fallen, da sich letztere grundsätzlich auf die altbekannten Geschäftsmodelle beziehen.6 Diese grundlegende Problemstellung wird von Jurisdiktionen (mehr oder weniger) unterschiedlich behandelt. Die BaFin sieht lediglich, dass Fintechs ebenfalls am Finanzmarkt teilnehmen wollen oder dass man Produktinnovationen nicht unreguliert auf den Markt strömen lassen darf, folglich also für diese dieselben Regeln gelten müssen.7 Andere Nationen, allen voran UK, sehen diese Situation jedoch differenzierter. Viele Fintechs bringen neue nicht von der bisherigen Regulatorik erfasste Finanzprodukte auf den Markt. Zur Veranschaulichung kann beispielsweise das sogenannte „Crowdlending“ dienen. Es handelt sich hierbei um Online-Plattformen, auf denen Geld von privaten Investoren „gesammelt“ und anderen, die dort eine Kreditanfrage stellen, zur Verfügung gestellt wird, wobei grundsätzlich kleine Kredite gehandelt werden.8 Vor dem Hintergrund, dass eine Kreditvergabe stattfindet, könnte ein solches Unternehmen nun auch eine Bankenlizenz benötigen, obwohl das Unternehmen letztlich nur die Plattform für die privaten Geldgeber zu Verfügung stellt und eben nicht im Sinne einer klassischen Bank auftritt.9
Ungleiches nun also gleich zu regulieren würde dem Innovationscharakter von Fintechs und ihren Produkten entgegenstehen und letztlich die Fortentwicklung des Finanzmarkts allgemein hemmen. Wie soll allerdings eine solche Regulierung aussehen, wenn geltende Regulierungen nicht passen? Eine (Teil-)Antwort auf diese Frage liefert das hier behandelte Sandbox-Modell. UK hat schon im Jahre 2016 die Vorreiterrolle übernommen und verspricht sich im Rahmen dessen eine passende Regulierung für Fintechs und gleichzeitig die Förderung von Innovationen.10 In der Europäischen Union (EU) hat dieses Modell gleichsam seine Nachahmer gefunden und auch die europäischen Aufsichtsbehörden haben mittlerweile ein Sandbox-Modell auf ihre Agenda gesetzt und haben sich mehrfach zu dessen Implementierung geäußert.11 In der Literatur wird aktuell sogar die Idee einer einheitlichen EU-Sandbox, sowie einer globalen Sandbox diskutiert.12 Wie unlängst an den Zitaten des BaFin-Präsidenten zu erkennen, wird das Sandbox-Modell als Lösung der Frage nach der richtigen Regulierung von Fintechs und innovativen Produkten, ohne dabei gleichzeitig Innovationen zu unterdrücken, nicht in allen EU-Mitgliedstaaten geteilt. Vielmehr herrscht eine kontroverse Diskussion rund um die Einführung von Sandboxes.
Die vorliegende Arbeit setzt sich mit den verschiedenen Implementierungen von Sandboxes in der EU, sowie den korrespondierenden ablehnenden Haltungen, auseinander. Dabei werden die Ansätze anhand mehrerer Strömungen der sogenannten „positiven Regulierungstheorie“13 analysiert, um die jeweils treibenden Interessen herauszustellen und somit eine differenzierte Bewertung der Risiken und Chancen einer Sandbox zu ermöglichen. Der erste Teil der Arbeit legt mit den notwendigen Definitionen und Begriffserklärungen den Grundstein dafür, die jeweils benutzten Werkzeuge im Rahmen der Analyse besser nachvollziehen zu können (B. I-III.). Im Anschluss findet die Analyse der EU-Sandboxes statt, wobei der Fokus auf der tatsächlichen, sowie rechtlichen Ausgestaltung und der Rahmensetzung durch die EU gelegt wird (C. I-III.). Zusätzlich werden dabei auch kleine Ausblicke in Sandbox-Modelle von Drittstaaten geworfen, um so eine umfassende Abschätzung der Risiken und Chancen zu gewährleisten. Im Anschluss sollen die Ideen der EU-einheitlichen Sandbox und der globalen Sandbox diskutiert werden (C.IV.1-2). Zuletzt wird sich mit den Ansätzen zu einer Weiterentwicklung des Sandbox-Modells, welche im Zuge der Diskussion rund um „Smart Regulation“ stattfindet, auseinandergesetzt (C.IV.3) und ein abschließendes Fazit vorgenommen (D.). Insgesamt soll die Arbeit der Leitfrage folgen, inwiefern eine Sandbox dazu beiträgt, Fintechs und ihren Innovationen den Weg auf den Finanzmarkt zu ebnen, ohne dabei den Gefahren, wie sie im Rahmen der Weltwirtschaftskrise aufgetaucht sind, Tür und Tor zu öffnen.
B. Begriffserklärungen und Zweckbestimmungen
Zunächst sollen die relevanten Begriffe definiert werden, um eine einheitliche Verständnisgrundlage zu schaffen. Speziell sollen die Begriffe „Fintech“ und „Regulatorische Sandbox“, sowie die Strömungen der „positiven Regulierungstheorie“ kurz erläutert werden.
I. „Fintech“
Für den Begriff Fintech existiert zwar keine allgemeine Definition – sicher ist jedoch, dass sich dieser aus den Wörtern „Financial“ oder „Finance“ und „Technology“ zusammensetzt.14 Als Fintechs werden Unternehmen bezeichnet, die die Nutzung innovativer Technologien für die Entwicklung von Finanzprodukten verwenden oder mit Finanzdienstleistungen verbinden, wobei diese oftmals internetbasiert und mittels Smartphone genutzt werden können.15 Innovation soll dabei den Einsatz oder die Berücksichtigung neuer, aufstrebender Technologien oder die Neuausrichtung bestehender Technologien umfassen, mit dem Ziel Probleme zu lösen oder einen weitergehenden Nutzen zu schaffen.16 Zu den bereits erprobten Fintech-Modellen zählen Crowdfunding, P2P-Kredite, Robo-Advice, der Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) und maschinellem Lernen, digitale Handels- und Beratungssysteme, internetbasierte und mobile Zahlungen, Kryptowährungen, sowie die Nutzung der Blockchain-Technologie.17 Das Financial Stability Board (FSB) unterteilt Fintech-Aktivitäten zudem in fünf Kategorien finanzieller Dienstleistungen18: Erstens Zahlungen (wozu man Paypal, Alipay, sowie die Nutzung von Kryptowährungen als Zahlungsmittel zählt); Zweitens Einlagen, Kredite und Kapitalbeschaffungen (Crowdfunding; P2P-Kredite); Drittens Versicherungen (InsurTech); Viertens die Vermögensverwaltung (Robo-Advice) und fünftens Formen der Marktunterstützung (Smart Contracts).
An der Vielfalt der Beispiele wird deutlich, dass viele Verbraucher bereits mit einem der Produkte oder Dienstleistungen in Berührung gekommen sind. Gleichzeitig bedeutet dies, dass damit ein gesteigertes Bedürfnis der Gewährleistung eines gewissen Verbraucherschutzes einhergeht und somit auch Fintechs einer gewissen Regulierung unterworfen werden müssen, um Gefahren für Verbraucher minimieren zu können.
II. „Die Regulatorische Sandbox“
Der Begriff Sandbox stammt ursprünglich aus dem Feld der Informationstechnologie. Eine Sandbox stellt hierbei eine virtuelle Umgebung dar, in der eine Software getestet werden soll.19 Diese Umgebung spiegelt wiederum ein Abbild der realen Umgebung wieder, in der die Software später Anwendung finden soll.20 In der Sandbox soll sich herauskristallisieren, welche Probleme durch die Software entstehen können und was es noch zu verbessern gilt.21
Die regulatorische Sandbox gilt als Methode, passgenaue Regulierung für Fintechs und innovative Finanzprodukte und -dienstleistungen zu finden. Die Implementierung einer regulatorischen Sandbox soll Fintech-Unternehmen ermöglichen ihre Innovationen zu testen, wobei zeitgleich regulatorische Erleichterungen gewährt werden.22 Zum Beispiel müssen im Rahmen einer regulatorischen Sandbox nicht alle Voraussetzungen einer etwaig notwendig werdenden Lizenz erfüllt werden.23 Man spricht auch von einem „safe space“24, in dem eine enge Zusammenarbeit zwischen Aufsichtsbehörde und Reguliertem stattfinden soll. Grundsätzlich erschafft die zuständige Aufsichtsbehörde eine regulatorische Sandbox und legt die „Spielregeln“ innerhalb der Sandbox fest.25 Dabei werden Beschränkungen für den Eintritt, die Laufzeit, Exit-Strategien, die Reichweite, sowie für das zu testende Produkt von der Aufsichtsbehörde festgelegt.26 Ziel einer regulatorischen Sandbox soll es sein, dass innovative Finanzprodukte und -dienstleistungen schneller auf den Markt gelangen und zeitgleich schrittweise regulatorische Maßnahmen für die Produkte anzupassen, um einen geregelten Eintritt in den Markt mit den notwendigen Schutzmechanismen zu gewährleisten.27 Die in der Sandbox agierenden Unternehmen, sowie die jeweiligen Aufsichtsbehörden sollen lernen, wie man Innovationen effektiv reguliert und wie Unternehmen diesen gerecht werden können.28 Letztlich zielt dieses Modell darauf ab, die bisherige Regulierungspraxis zu verändern und mit dem Wandel der Zeit zu gehen; Regulierungen sollen nicht mehr reagieren müssen, sondern vielmehr proaktiv agieren können, um eine dynamische und reaktionsfähige Regulierungspraxis für die Zukunft zu schaffen.29 Zur Veranschaulichung kann folgendes Beispiel dienen: Ein Unternehmen möchte eine innovative Marktplatzplattform, unter Anwendung von Peer-to-Peer, zur Kreditvergabe testen.30 Um an der Sandbox teilzunehmen, müsste das Unternehmen den jeweiligen Aufnahmekriterien entsprechen; später – nach Festlegung der Testparameter durch die Aufsichtsbehörde – kann die Testphase beginnen.31 Während der Testphase arbeitet das Unternehmen mit der Aufsichtsbehörde eng zusammen und arbeitet darauf hin, dass das Unternehmen nach der Testphase außerhalb der Sandbox am Finanzmarkt teilnehmen kann und gleichzeitig alle regulatorischen Anforderungen erfüllt. Kommt man insgesamt zu dem Schluss, dass das innovative Vorhaben gescheitert ist, muss der Betrieb eingestellt werden.32
III. Regulierungstheorien
Die Theorien wirtschaftlicher Regulierung versuchen die Hintergründe, sowie die treibenden Interessen hinter verschiedenen Regulierungsmaßnahmen aufzuzeigen. Dabei sollen der vorliegenden Arbeit vorwiegend die Strömungen der positiven Regulierungstheorie dazu verhelfen aufzuzeigen, welche Interessen mit der Einführung oder der Ablehnung des Sandbox-Modells einhergehen, um so letztendlich die Chancen und Risiken dieses Modells differenziert bewerten zu können. In diesem Zusammenhang werden drei in der Literatur diskutierte Theorien vorgestellt.
1. Public-Interest-Theorie (PIT)
Der erste theoretische Ansatz gilt als Vorreiter aller Regulierungstheorien und hat bis heute seinen Einfluss auf das staatliche Handeln.33 Hierbei wird davon ausgegangen, dass Regulierungen nichts kosten, da diese durch schlichtes gesetzgeberisches Handeln und ohne weiteren Umsetzungsakt vollzogen werden können.34 Hinsichtlich der Motive staatlichen Handelns geht die PIT davon aus, dass Regulierungen von eigenem Interesse befreit sind und ausschließlich im Sinne des öffentlichen Interesses gehandelt wird.35 Beispielsweise will man im Zuge einer Regulierungsmaßnahme ein Marktversagen ausgleichen oder dem Schutz hochwertiger Rechtsgüter dienen. Es gilt, dass die Legislative, sowie die Exekutive, sofern diese ordnungsgemäß geleitet werden, dazu geschaffen wurden dem öffentlichen Interesse Rechnung zu tragen und dieses stets anstreben.36 Zu beachten bleibt im Rahmen dieser Theorie, dass der Begriff des öffentlichen Interesses unbestimmt ist und der Auslegung bedarf.
Im Rahmen der folgenden Analyse sollen die einzelnen Maßnahmen und ihre unterschiedlichen Ausprägungen, hinsichtlich der Implementierung einer Sandbox, gerade vor dem Hintergrund der Wahrung des öffentlichen Interesses dargestellt werden.
2. Verhaltensweisentheorie
Der zweite theoretische Ansatz ist die Theorie der Verhaltensweisen. Zwar wurde diese Theorie zum US-amerikanischen Markt entwickelt und berücksichtigt einige Besonderheiten hinsichtlich der dortigen Aufstellung der Regulierungsbehörden; allerdings lassen sich die Grundaussagen der Theorie gut dafür nutzen, um die Hintergründe regulatorischen Handelns zu reflektieren.
Die Regulatoren innerhalb der Aufsichtsbehörden dienen hiernach nicht unmittelbar dem öffentlichen Interesse, sondern würden vielmehr aus eigennützigen Motiven bestimmte regulatorische Maßnahmen fördern.37 Man geht also davon aus, dass Regulatoren schlichtweg Menschen sind, die ihr Handeln an dem größtmöglichen Nutzen für sich selbst ausrichten.38 Dabei gelten Regulierungsmaßnahmen grundsätzlich als produzentenfreundlich, wobei allerdings angenommen wird, dass es drei Typen von Regulatoren gibt und der jeweils vorherrschende Typ innerhalb der Regulierungsbehörde das regulatorische Handeln maßgeblich beeinflusst.39 Zum einen können die Regulatoren unternehmensgerichtet sein, da sie versuchen ihre Amtszeit zu nutzen, um sich für eine Position in der regulierten Branche attraktiv zu machen.40 Neben diesem Typus gibt es den verbraucherorientierten Regulator, der möglichst lange seine Position halten will und versucht mit den Regulierten Kompromisse einzugehen, um den Verbraucherschutz im Rahmen der Regulierung nicht außer Acht zu lassen.41 Der dritte Typ will das öffentliche Interesse, im Sinne einer Allgemeinwohlförderung, durchsetzen.42 Mithin versucht jeder dieser Regulatoren seine Ziele durchzusetzen und somit den für sich am ehesten entsprechenden Nutzen zu erzielen.43 Letztlich beschreibt diese Theorie mehrere Möglichkeiten der Ausrichtung des regulatorischen Handeln einer Regulierungsbehörde.
Die Theorie ist, in Anbetracht der späteren Analyse der verschiedenen Sandbox-Modelle, insbesondere deshalb interessant, da grundsätzlich die Regulierungsbehörden in der EU für die Ausgestaltung der Sandboxes verantwortlich sind, diese also überwachen und die Regeln festlegen. Dementsprechend kann man anhand der Ausgestaltung, sowie der Aufnahme in die Sandbox erkennen, welche Interessen innerhalb der Regulierungsbehörden vorherrschen.
3. Chicago-Theorie
Als dritter theoretischer Ansatz für die Analyse soll die Chicago-Theorie Anwendung finden. Ihren Namen bekommt die Theorie von ihren Begründern, die aus dem Umfeld der University of Chicago stammen und als Vertreter der sogenannten „Chicago School“ gelten.44 Die Theorie geht ähnlich wie die Capture-Theorie45 davon aus, dass der Regulator auf verschiedenen Ebenen durch die Regulierten beeinflusst wird und sich die Regulierung mit der Zeit im Sinne der Regulierten ausrichtet.46 Anbieter von Regulierungsmaßnahmen sind hiernach politische Parteien, welche für den Erhalt von Wählerstimmen und finanzieller Unterstützung durch die Regulierten, diesen vorteilhafte Regulierungsmaßnahmen versprechen.47 Es setzt sich demnach der regulierte Sektor durch, der am fähigsten ist Wählerstimmen zu generieren und zeitgleich finanziell stark ist. Zusätzlich spielen die Organisation und Lobbyarbeit des Sektors bei der Frage, wer sich letztlich durchsetzt, eine Rolle. Je homogener die Interessen eines Sektors sind, desto eher setzt sich dieser durch und erlangt im Gegenzug wohlwollende Regulierungsmaßnahmen.48
Die Chicago-Theorie kann hinsichtlich der Idee der Einführung einer Sandbox dazu dienen, neben den Geschehnissen innerhalb der Aufsichtsbehörden, wie es die Verhaltensweisentheorie versucht, zusätzlich den politischen Einfluss widerzuspiegeln und herausarbeiten, was sich die einzelnen Mitgliedstaaten von der Förderung von Innovationen im Zuge der Implementierung einer Sandbox versprechen.
C. Fintech-Sandboxes in der EU
Auf Basis der vorbezeichneten Grundlagen werden sodann die Fintech-Sandboxes in der EU beleuchtet. Fintech-Sandboxes sind spätestens seit der Implementierung der ersten Sandbox durch das Vereinigte Königreich allgegenwärtig. Auf nationaler, sowie auf europäischer Ebene wird diskutiert wie man Innovationen auf dem Finanzmarkt am besten fördert und gleichzeitig nicht auf grundlegende Regulierungen verzichten muss. Die Federal Conduct Authority (FCA) hat im Jahre 2016 die erste „Regulatory Sandbox“ eingeführt.49 Seitdem haben sich andere Jurisdiktionen inner- und außerhalb der EU mit der Implementierung einer solchen Sandbox beschäftigt. Dem Vorreiter UK sind bisher folgende EU-Mitgliedstaaten nachgefolgt: die Niederlande50, Dänemark51, Litauen52, Polen53, Ungarn54, Spanien55, Österreich56, Norwegen57 und Estland58. Obwohl diese Mitgliedstaaten dem Grundsatz der FCA gefolgt sind, so bestehen noch einige Unterschiede zwischen den einzelnen Sandboxes. Litauen und Estland gelten dabei im Rahmen des Fintech-Marktes als fortschreitende Nationen in der EU und greifen neben dem erst seit kurzer Zeit verfolgten Sandbox-Modell zu verschiedenen Maßnahmen, um den Fintech-Sektor zu fördern.59 Zudem fällt auf, dass die wirtschaftsstärksten Nationen der EU, Deutschland und Frankreich, noch kein Sandbox-Modell etabliert haben. Die hiesige Arbeit soll sich gerade diesen unterschiedlichen Standpunkten und den dahinterstehenden Interessen widmen.
Der folgende Abschnitt beginnt mit der Ausgestaltung der einzelnen Sandboxes und stellt anhand von Beispielen die Unterschiede zwischen den Ländern dar. Im Anschluss werden die Grenzen, die die EU für die Implementierung einer Sandbox setzt, erläutert, woraufhin die Analyse anhand der Regulierungstheorien beginnt, um die Chancen und Risiken, die mit einer Sandbox einhergehen, zu beleuchten. Zuletzt werden die Denkansätze der Implementierung einer EU-einheitlichen, sowie globalen Sandbox diskutiert und beschrieben wie das Sandbox-Modell im Sinne einer Smart Regulation fortentwickelt werden kann.
I. Ausgestaltung der Sandbox-Modelle
Im Rahmen der jeweiligen Ausgestaltung wird deutlich, dass die Mitgliedstaaten eine gewisse gemeinsame Grundlage teilen, im Detail jedoch unterschiedliche Ansatzpunkte haben und verschiedene Aspekte ihrer Sandbox besonders betonen. Im Folgenden soll eine umfassende Darstellung der rechtlichen, sowie tatsächlichen Rahmenbedingungen der europäischen Fintech-Sandboxes aufgezeigt werden.
1. Grundlegende Gemeinsamkeiten
Zunächst verfolgen viele der EU-Sandboxes die gleichen Grundprinzipien. Die EU-Mitgliedstaaten sehen für die Teilnahme an der Sandbox grundsätzlich keine Kosten vor; es können lediglich Steuern oder im Rahmen von behördlichen Lizensierungsverfahren Gebühren anfallen.60 Weiterhin erfassen die Sandboxes alle Sektoren des Finanzmarktes und beschränken sich nicht auf bestimmte Bereiche.61 Somit können Fintechs Produkte und Dienstleistungen beispielsweise im Rahmen von Banking, Investments, Zahlungsdienste oder Versicherungen testen.62 Bei der Frage wer in eine Sandbox eintreten darf besteht ebenfalls Einigkeit. Es dürfen etablierte Unternehmen, Fintech-start-ups oder Unternehmen, die Regtech-Lösungen63 einführen wollen, an der Sandbox teilnehmen.64 Im Rahmen von Regtech verspricht man sich die Weiterentwicklung der Regulierungspraxis, was dazu dienen soll effektiver gegen Geldwäsche vorzugehen und gleichzeitig eigene Blockchain-basierte Regulierungssysteme zu entwickeln, um Compliance-Anforderungen besser überprüfen zu können, sowie die Sicherheit der Verbraucher im digitalen Markt zu stärken.65 Man ist also im Rahmen der Sandbox nicht nur auf Finanzprodukte oder -dienstleistungen beschränkt. Im Zuge der regulatorischen Erleichterungen soll jedoch keine Aktivität auf dem Markt stattfinden, ohne dass für Unternehmen, die eine bereits regulierte Tätigkeit ausüben, eine Lizenz oder eine besondere Autorisierung durch die Aufsichtsbehörde besteht.66 Grundsätzlich teilen die EU-Mitgliedstaaten diese Auffassung; Differenzen gibt es in der konkreten Ausgestaltung, welche Kriterien einer Lizenz zu erfüllen sind und welche in der Sandbox temporär ausgesetzt werden können. Weiterhin wird betont, dass es den Aufsichtsbehörden nicht möglich ist, Ausnahmen von EU-Recht und unabdingbarem nationalem Recht, wie beispielsweise Strafnormen, Anti-Geldwäsche-Vorschriften oder Vorschriften hinsichtlich Anti-Terror-Finanzierung, zu erlauben.67 Sofern ein solcher Verstoß vorliegt, dürfen die Aufsichtsbehörden jederzeit in die Testphase eingreifen und diese beenden.68 Bezüglich der Aufnahme in die Sandbox legen die EU-Mitgliedstaaten Zugangskriterien fest, die es den Unternehmen ermöglichen sollen zu bestimmen, ob sie zur Teilnahme berechtigt sind.69 Eine der gemeinsamen Voraussetzungen für den Zugang zur Sandbox ist die Notwendigkeit dieses Verfahrens, sodass ein Unternehmen eine echte Innovation hervorbringen kann.70 Hierbei gibt es einige Anhaltspunkte, was unter einer echten Innovation zu verstehen ist; allerdings nutzen hier die Aufsichtsbehörden auch ihren Ermessensspielraum, um auswählen zu können, wer in die Sandbox eintreten darf. Ferner müssen die Unternehmen bestimmten Prüfparametern, die seitens der Aufsichtsbehörden individuell je nach Produkt oder betroffenem Finanzsektor gestellt werden, zustimmen und einhalten.71 Letztlich haben die EU-Sandboxes gemeinsam, dass ein kontrollierter Austritt, während oder erst nach der Testphase, garantiert werden muss.72 Während des gesamten Verfahrens ist eine enge Zusammenarbeit mit der Aufsichtsbehörde unabdingbar.73
2. Ziele der Sandboxes
Man verspricht sich von der Etablierung eines Sandbox-Modells neben der Förderung von Innovationen auf dem Finanzmarkt insbesondere, dass das Verständnis für Fintechs und die Zusammenarbeit zwischen diesen und den jeweiligen Aufsichtsbehörden verbessert wird.74 Dabei soll das Verständnis der Aufsichtsbehörden und teilnehmenden Unternehmen hinsichtlich der Anwendbarkeit von bestehendem Recht auf innovative Geschäftsmodelle gefördert werden.75 Das damit einhergehend erlangte Wissen sollen die Aufsichtsbehörden dazu nutzen die Risiken und Chancen finanzieller Innovationen besser abschätzen zu können und ihre Regulierungspraxis anhand dessen auszurichten, um beispielsweise dem Verbraucherschutz im Zuge der Digitalisierung Rechnung zu tragen.76 Vereinzelt versprechen sich Aufsichtsbehörden auch eine Kostenreduzierung hinsichtlich des Markteintrittsprozesses für die Sandbox-Unternehmen.77 Fintechs sollen ihre Erfahrungen, die sie im Zuge der Sandbox gewinnen, dazu nutzen sich auf regulatorische Erwartungen einzustellen und somit zukünftig sogar fähig sind vorbeugend zu agieren.78 Letztlich soll durch die Implementierung und der damit erhofften Innovationsförderung primär ein Mehrwert für die nationalen Finanzmärkte der EU-Mitgliedstaaten geschaffen werden.79
3. Regulatorische Erleichterungen in der Sandbox
Im Zuge der Teilnahme eines Unternehmens an einer Sandbox versprechen die jeweils zuständigen Aufsichtsbehörden verschiedene exklusive regulatorische Erleichterungen. Generell versuchen die Aufsichtsbehörden den Unternehmen den größtmöglichen Spielraum im Rahmen der gesetzlichen Gegebenheiten zu ermöglichen und nutzen dabei ihren Ermessensspielraum, sowie die Möglichkeiten im Rahmen der Verhältnismäßigkeit aus.80 Es wird den Unternehmen beispielsweise zugesichert, dass die Behörden keine Durchsetzungs- oder Vollstreckungsmaßnahmen gegenüber diesen erlassen, solange sie sich in der Sandbox befinden.81 Die FCA nennt diese Erleichterung „No enforcement action letters“, wobei zu beachten ist, dass ein Einschreiten der Behörden bei zu erwartenden Schäden für Verbraucher oder für die Allgemeinheit stets vorbehalten wird.82 Ferner werden Ausnahmen bei einzelnen Berichterstattungspflichten, der Behandlung von Kundenbeschwerden oder Zahlungsregeln ermöglicht.83 Zudem kommt es zu schnellen und einfachen, wenn auch nur partiellen Lizenzerteilungen, sodass die Unternehmen in beschränkter Weise am Markt agieren können.84 Weiterhin stehen die Behörden bei rechtlichen, sowie regulatorischen Fragestellungen zur Verfügung und geben ihre Einschätzungen ab.85 Letztlich muss der Handlungsspielraum der Aufsichtsbehörden jedoch von Einzelfall zu Einzelfall bestimmt werden, da je nach zu testendem Produkt auch andere Anforderungen greifen. Deshalb sehen nahezu alle Sandbox-Modelle in der EU eine möglichst weite Ausnutzung des gesetzlichen Spielraums und des behördlichen Ermessens vor.
4. Rechtsgrundlagen
Betrachtet man die Rechtsgrundlagen in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten so wird deutlich, dass hier einige Unterschiede bestehen. Allerdings rechtfertigen die Länder die Einführung einer Sandbox grundsätzlich mit den gleichen legitimen Zielen. Insbesondere in den Niederlanden, Polen, Dänemark, Litauen, Ungarn, Spanien und UK werden dabei die Förderung der Finanzmarktwirtschaft unter Einhaltung der Finanzmarktstabilität und des Verbraucherschutzes, als gesetzliche Ziele genannt.86 Außerdem steht die Verbesserung des behördlichen Handelns insgesamt im Vordergrund.87 Zusätzlich sieht UK in der Implementierung einer Sandbox die Förderung des Wettbewerbs, was als allgemeines Verbraucherinteresse deklariert wird.88 In einigen der eben genannten Ländern bestand grundsätzlich nicht die Notwendigkeit einer gesetzlichen Anpassung; vielmehr operieren die dortigen Aufsichtsbehörden innerhalb ihrer bestehenden Kompetenzen oder kooperieren mit anderen Aufsichtsbehörden, um eine umfassende Handlungsfähigkeit zu gewährleisten.89 Als besonderes Beispiel kann man hier die Niederlande hervorheben. Hier haben sich die „De Nederlandsche Bank“ (DNB) und die „Autoriteit Financiële Markten“ (AFM) zusammengeschlossen und die Sandbox im Rahmen einer gemeinsamen Aufsicht eingeführt.90 Dabei beaufsichtigt die DNB speziell den Bankensektor und die AFM ist für die sonstigen Finanzdienstleistungen zuständig, sodass eine umfassende Kompetenz gegeben ist.91 In Litauen und Ungarn überwachen die Nationalbanken das Geschehen, welche mit umfassenden Kompetenzen im gesamten Finanzsektor betraut sind.92 Die FCA arbeitet in Kooperation mit mehreren Behörden, sodass auch hier eine umfassende Aufsicht über alle Sektoren des Finanzmarkt garantiert ist.93 Auf der anderen Seite ist in Spanien und Österreich eine Gesetzesänderung notwendig gewesen, da den jeweilig zuständigen Aufsichtsbehörden keine umfassende Kompetenz im Hinblick auf die Innovations- und Wettbewerbsförderung vorgelegen hat.94 Allerdings zeigt sich hierdurch auch, dass sich der Staat als Gesamtheit für den Fortschritt des Finanzmarktes einsetzt.
Das Sandbox-Modell in den EU-Mitgliedstaaten unterscheidet sich weiterhin deutlich von der normalen Regulierungspraxis. Es werden Zugangskriterien festgelegt und daraufhin Prüfparameter jeweils in Zusammenarbeit mit den Unternehmen bestimmt, was insgesamt einen höheren zeitlichen, sowie personellen Aufwand erfordert.95 Bei bereits regulierten Aktivitäten, die getestet werden sollen, erlauben es die Modelle allerdings nicht, ohne Lizenz oder besondere Autorisierung durch die Aufsichtsbehörden zu agieren.96 Man ist sich demnach einig, dass nicht der Eindruck entstehen darf, dass man in der Testphase von allen regulatorischen Anforderungen befreit wird, sondern, dass vielmehr die normalen Befugnisse und Instrumente der Aufsichtsbehörden gelten und gleichzeitig nicht gegen geltendes EU- oder nationales Recht verstoßen werden darf. Ferner müssen die Unternehmen in der Sandbox nachweisen, dass sie zwingenden Anforderungen gerecht werden; etwa, dass die Mitglieder in der Führungsabteilung mit angemessener Erfahrung und Knowhow ausgestattet sind oder eine angemessene innergesellschaftliche Organisation garantiert ist.97 Ferner bedarf es der Einführung von Kontrollregelungen, um etwaig entstehende Risiken minimieren zu können.98 Erfüllt ein Unternehmen die Anforderungen, werden im nächsten Schritt die Testparameter mit der Aufsichtsbehörde festgelegt und Einschränkungen hinsichtlich der Lizenz vereinbart.99 Hält sich ein Unternehmen hingegen nicht an diese Vorgaben, so kann die Aufsichtsbehörde jederzeit eingreifen und die Testphase beenden.100 Die Handlungsbefugnisse der einzelnen Aufsichtsbehörden stützen sich dabei bisher ausschließlich auf nationales Recht, eine direkte Ableitung der behördlichen Kompetenzen aus dem EU-Recht erachteten die Mitgliedstaaten bisher nicht für gegeben.101
5. Phasen innerhalb der Sandbox
Im Rahmen des Berichts der ESA wurde festgestellt, dass die Unternehmen innerhalb der Sandbox bestimme Phasen durchlaufen müssen.102 Diese Phasen finden sich nicht nur in den dort beschriebenen Sandboxes, sondern lassen sich auch in den erst seit kurzem eingeführten Sandbox-Modellen wiederfinden. Man erkennt eine Bewerbungs-, eine Vorbereitungs-, eine Test- und letztlich eine Auswertungsphase.103 In jeder dieser Phasen legen die einzelnen Aufsichtsbehörde fest, welche Kriterien die Sandbox-Unternehmen zu erfüllen haben. Hier zeigen sich einige Unterschiede zwischen den einzelnen EU-Mitgliedstaaten und stellen somit standortspezifische Besonderheiten innerhalb er EU dar.
a. Die Bewerbungsphase
Die Bewerbung für die Teilnahme an der Sandbox ist in Litauen, Polen, Dänemark und den Niederlanden, jederzeit möglich, da es den Unternehmen möglich sein soll sich zu dem Zeitpunkt an die Aufsichtsbehörde zu wenden, in dem sie bereit sind an der Sandbox teilzunehmen.104 In UK und Ungarn hingegen werden bestimmte Bewerbungstermine festgelegt.105 UK teilt diese dann in sogenannte „cohorts“106 ein, wobei zwei sechsmonatige Testzeiträume pro Jahr vorgesehen sind.107
Die jeweiligen Aufsichtsbehörden legen dabei bestimmte Auswahlkriterien fest, die öffentlich zugänglich und somit transparent für alle Bewerber einsehbar sind.108 Dänemark, Litauen, Ungarn, Spanien und UK halten folgende Kriterien für notwendig: Welche Reichweite hat der Innovationsvorschlag, also stellt dieser eine bereits regulierte Finanzdienstleistung dar oder unterstützt der Vorschlag lediglich eine solche? Weiterhin werden die Innovationsfähigkeit der jeweiligen Finanzdienstleistungen und die Kundenvorteile, die durch diese generiert werden können, in Betracht gezogen.109 Der Kundennutzen kann sich dabei direkt, beispielsweise durch Zeitersparnis beim Eröffnen eines Bankkontos oder indirekt in Form von Regtech-Lösungen ergeben, die dazu beitragen Produktkosten im Entstehungsprozess insgesamt zu senken und somit letztlich günstiger an die Verbraucher weitergegeben werden können.110 Gleichzeitig muss ein Test in der Sandbox notwendig sein, was bedeutet, dass das Unternehmen darlegen muss, wieso ein Test in der Sandbox für das jeweilige Produkt unabdingbar ist.111 Zuletzt muss das jeweilige Unternehmen für einen Test im realen Finanzmarkt bereit sein. Hierfür haben die Bewerber einen Businessplan zu erstellen, sowie eine angemessene interne Führung und einen Risikokontrollrahmen darzulegen.112
Die Niederlande nimmt weniger Kriterien im Rahmen des Bewerbungsverfahrens auf. Die AFM / DNB verlangen, dass die Innovationen des Unternehmens zumindest einem der Ziele des Finanzaufsichtsrechts zugute kommt, wie beispielsweise der Finanzmarktstabilität.113 Zweitens muss das Unternehmen vor reellen Hindernissen mit ihrer Innovation stehen, die außerhalb der Sandbox nicht vernünftig lösbar sind, obwohl die Innovation grundsätzlich den gesetzlichen Vorgaben entspricht.114 Auch hier kann man von einer Notwendigkeitsprüfung sprechen. Zuletzt verlangen AFM / DNB, dass die Unternehmen zugleich so organisiert sind, dass eine gewisse Beständigkeit des Unternehmens, sowie ein grundlegender Verbraucherschutz gewährleistet ist.115
Polen bestimmt folgende Kriterien für die Aufnahme in die Sandbox: Zunächst muss es sich um ein Finanzprodukt oder -dienstleistung handeln, die unter die Aufsicht der „Komisja Nadzoru Finansowego“ (KNF) fällt, um so eine direkte Unterstützung durch die Behörde garantieren zu können.116 Die KNF betont ebenfalls die Innovationsfähigkeit des Produktes zur Unterstützung des lokalen Finanzsektors, sieht aber gleichzeitig die Möglichkeit, dass sich das Produkt lediglich von anderen auf dem Markt bestehenden Produkten unterscheiden kann, um den Anforderungen zu genügen.117 Zusätzlich hält Polen gleichsam eine Notwendigkeitsprüfung für erforderlich. Das Unternehmen muss dabei darlegen, dass das Inverkehrbringen des jeweiligen Produktes mit erheblichen Kosten verbunden ist und die Kosten nicht auf andere Weise kompensiert werden können.118 Ferner gilt es zu erläutern, weshalb die zu testende Innovation nicht in den bestehenden Rechtsrahmen passt.119 Die KNF fügt hinzu, dass es den Unternehmen im Rahmen der Sandbox nicht erlaubt ist finanzielle Unterstützung von den testenden Kunden oder andere finanzielle Vorteile anzunehmen.120 Letztlich verlangt die KNF, dass das Unternehmen ebenfalls bereit ist, das Produkt im realen Markt zu testen und ordnet gleichzeitig Kontrollen durch die Aufsichtsbehörde an.121 Hierbei setzt die KNF auch voraus, dass die Unternehmen vor der Sandbox Businesspläne erstellt haben und ein gewisses Knowhow besitzen.122
[...]
1 Hufeld, Rede 2017.
2 Hufeld, BaFin-Tech 2018.
3 Vgl. FCA.
4 FCA, Rn. 1.2 ff.; ESMA, Rn. 24.
5 Arner, Regtech, S. 47 f.; Arner, CFA, S. 1; Bromberg, S. 315.
6 ESMA, Rn. 1.1.
7 Siehe Fn. 1, 2.
8 Hartmann, Rn. 245; Söbbing, 360, 364.
9 Hartmann, Rn. 250 ff.; Söbbing, 360, 364 f..
10 FCA, Rn. 2.1 ff.; BSG, S. 8.
11 Fintech-Aktionsplan S. 10 f.; EBA Roadmap, Rn. 64 ff.; ESA Report, Rn. 31 ff..
12 Ringe, Handelsblatt; Truby, S. 5; ESMA, Rn. 72; ESA Report, Rn. 119.
13 Neben der positiven Regulierungstheorie gibt es die normative Regulierungstheorie, welche staatliche Maßnahmen aus der ex-ante Perspektive beobachtet und zu erklären versucht, wann eine staatliche Maßnahme von regulatorischer Natur ist (Pigou, Part II, Ch. 12 f.); Die Arbeit fokussiert sich auf die positiven Regulierungstheorie, da hier aus der ex-post Perspektive die Interessen hinter Regulierungsmaßnahmen herausgestellt werden können (Schnitker, S. 11 f.).
14 Dorfleitner, S. 4; Taeger, Kahlert, S. 579.
15 Dorfleitner, S. 4.; Arner, The Evolution of Fintech, S. 6.
16 Kálmán, S. 3.
17 Arner, The Evolution of Fintech, S. 40.
18 FSB, S. 8.
19 Bromberg, S. 319; Gerlach, S. 13.
20 Vgl. Oktavianto, S. 5 ff.; Wahbe, Rn. 3.2.
21 Siehe Fn. 20.
22 ESA Report, Rn. 31.
23 Bromberg, S. 318.
24 BSG, S. 3; FCA, Rn. 1.2.
25 BCBS, S. 41; BSG, S. 6.
26 BCBS, S. 41; BSG, S. 7.
27 FCA, Rn. 2.3 ff..
28 ESA Report, Rn. 32.
29 Bromberg, S. 327.
30 Bromberg, S. 318.
31 BSG, S. 8.
32 Siehe Fn. 31.
33 Posner, S. 335.
34 Posner, S. 336.
35 Behrends, S. 76.
36 Posner, S. 337.
37 Hilton, S. 48.
38 Hilton, S. 47.
39 Siehe Fn. 37.
40 Russel, S. 49.
41 Siehe Fn. 40.
42 Siehe Fn. 40.
43 Behrends, S. 79.
44 Croley, S. 56.
45 Laut der Capture-Theorie wird die Regulierungsbehörde, im Zuge ihrer Arbeit mit den Regulierten, von diesen „eingefangen“; Folglich wird die Denkweise der Regulierten übernommen und somit Regulierungsmaßnahmen im Sinne der Regulierten erlassen (Bernstein, S. 83 f.).
46 Posner, S. 343.
47 Stigler, S. 12.
48 Peltzman, S. 213f..
49 FCA lessons, Rn. 2.1.
50 Implementiert im Dezember 2016 (DNB, S. 2.).
51 Implementiert im Oktober 2017 (FSA, FT Lab).
52 Implementiert am 19.09.2018 (Vgl. BoL).
53 Implementiert am 25.10.2018 (Vgl. KNF).
54 Implementiert im Januar 2019 (MNB, Innovation Hub).
55 Implementiert am 22.02.2019 (Mineco, S. 1 ff.).
56 Vgl. FMABG Gesetzesentwurf; Dieser soll am 31.07.2019 in Kraft treten.
57 Das norwegische Finanzministerium hat die norwegische Finanzaufsichtsbehörde (Finanstilsynet) mit der Implementierung einer Sandbox beauftragt; erwartet wird diese im Laufe des Jahres 2019 (NMF, S. 15; Winther, SVW).
58 Estland hat die Implementierung einer Sandbox im Februar 2019, in Zusammenarbeit mit der European Bank for Reconstruction and Development (EBRD), angekündigt, allerdings ist noch kein endgültiges Konzept erschienen (Bell, EBRD).
59 Peyton, BankingTech; Krumina, Sifted.
60 KNF governing rules, Rn. 2.8; DNB, S. 6; FMABG Erläuterungen, zu Abs. 8.
61 ESA Report, Rn. 37 a.
62 KNF, S. 2; DNB, S. 2; FSA, Criteria, S. 1; FCA, Rn. 3.4.
63 Regtech setzt sich aus „regulatory“ und „technology“ zusammen und nutzt neue Technologien, um die Regulierungspraxis aus der informationstechnologischen Perspektive zu unterstützen, um damit den mit der Digitalisierung einhergehenden Geschwindigkeiten und Veränderungen Schritt halten zu können (Krämer, Banking Hub).
64 FCA, Rn. 1.8; DNB, S. 3; FMABG Erläuterungen, zu Abs. 1, 2.
65 Arner, Smart Regulation, S. 93; Krämer, Banking Hub; Weber, S. 339.
66 FCA, 3.8 ff.; BoL, sec. 15.2, 24.3.
67 DNB, S. 7; FCA, Rn. 3.10; BoL, S. 1; Mineco, S. 2.
68 FCA, Rn. 3.16 ff.; BoL, Rn. 24 ff.; FMABG Erläuterungen, zu Abs. 4, 5; DNB, S. 5; KNF governing rules, Rn. 5.7.
69 FCA, Rn. 3.3 f.; Vgl. FSA, Criteria; DNB, S. 4; KNF governing rules, Rn. 3; BoL, Rn. 11 ff..
70 FSA, Criteria, S. 1; FCA, Rn. 3.4; KNF selection rules, Rn. 3.1 f.; BoL, Rn. 11 ff..
71 FCA, Rn. 3.13; DNB, S. 5; KNF selection rules, Rn. 3.11; FSA FT Lab; BoL, Rn. 21.3.
72 FSA FT Lab; KNF selection rules, Rn. 4. 11; FCA lessons, Rn. 2.17; DNB, S. 4, 10; BoL, Rn. 15.7.
73 DNB, S. 6; KNF selection rules, Rn. 1; FCA, Rn. 3.13; BoL, Rn. 10.1.
74 ESA Report, Rn. 32; EBA Roadmap, Rn. 63; FMABG Erläuterungen, zu Abs. 6.
75 ESA Report, Rn. 39; FMABG Erläuterungen, zu Abs. 1.
76 Siehe Fn. 79.
77 FCA, Rn. 2.3; KNF, S. 2.
78 FCA, Rn. 1.2, 2.3; KNF, S. 1; FMABG Erläuterungen, zu Abs. 1.
79 FMABG Erläuterungen, zu Abs. 2 Nr. 2 c; Vgl. MNB Sandbox; BoL, Rn. 3 ff.; KNF, S. 2; FCA, Rn. 2.3; DNB, S. 1.
80 DNB, S. 6; BoL, Rn. 10.2; Mineco, S. 4.
81 BoL, Rn. 10.3; FCA, Rn. 3.13; FMABG Erläuterungen, zu Abs. 2.
82 Siehe Fn. 85.
83 Vgl. MNB Sandbox.
84 DNB, S. 8; FCA, Rn. 3.8; KNF, S. 2.
85 KNF governing rules, Rn. 5; BoL, Rn. 10.1; FCA, Rn. 3.13.
86 FCA, Rn. 1.1, 1.3; BoL, Rn. 3, 10.2, 11.2; KNF, S. 2; DNB, S. 2, 4; FSA FT Lab; MNB Overview of FT, S. 44; Mineco, S. 2.
87 ESA Report, Rn. 39.
88 FCA, Rn. 1.3, 2.2.
89 DNB, S. 8; FCA, Rn. 3.2; KNF, S. 1.
90 DNB, S. 8.
91 Siehe Fn. 94.
92 MNB Innovation hub, MNB Overview of FT, S. 45 ff.; BoL, Rn. 1.
93 FCA, Rn. 3.2; die Kompetenzen der FCA stützen sich vor allem auf den Financial Services and Markets Act (FSMA) aus dem Jahre 2000 (FCA, Rn. 3.2).
94 Vgl. Mineco, S. 1 ff.; Vgl. FMABG Gesetzesentwurf.
95 ESA Report, Rn. 54 ff..
96 FCA, Rn. 3.8 ff.; BoL, Rn. 15.2; KNF governing rules, Rn. 6.
97 FCA, Rn 3.4; DNB, S. 4, 10; KNF selection rules, Rn. 3.3, 3.8; BoL, Rn. 11.4, 15.
98 Siehe Fn. 101.
99 Siehe Fn. 101.
100 FCA, Rn. 3.16 ff.; BoL, Rn. 24 ff.; FMABG Erläuterungen, zu Abs. 4, 5; DNB, S. 5.; KNF governing rules, Rn. 5.7.
101 ESA Report, Rn. 50.
102 ESA Report, Rn. 54 ff.; BSG, S. 11 ff..
103 ESA Report, Rn. 54.
104 BoL, Rn. 15.2; KNF selection rules, Rn. 2; DNB, S. 5; FSA FT Lab.
105 MNB Overview of FT, S. 45; FCA lessons, Rn. 2.2.
106 FCA lessons, Rn. 2.6.
107 FCA lessons, Rn. 2.2.
108 ESA Report, Rn. 56.
109 FSA, Criteria, S.1; BoL, Rn.11 f.; MNB Overview of FT, S. 45; FCA, Rn. 3.4; Mineco, Art. 5, S. 10.
110 ESA Report, Rn. 57 c.
111 FCA, Rn. 3.4; FSA, Criteria, S. 1; BoL, Rn. 11.3.
112 BoL, Rn. 11.4; FCA, Rn. 3.4; MNB Overview of FT, S. 45.
113 DNB, S. 4.
114 Siehe Fn. 118.
115 Siehe Fn. 118.
116 KNF selection rules, Rn.1.
117 KNF, S. 2.
118 Siehe Fn. 122.
119 Siehe Fn. 122.
120 KNF governing rules, Rn. 5.3.
121 KNF, S. 2 f..
122 KNF selection rules, Rn. 3.3 ff.; KNF governing rules, Rn. 3.1.
- Citation du texte
- Gianluca Frey (Auteur), 2019, Fintech-Sandboxes in der EU im Lichte verschiedener Regulierungstheorien, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/504003
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