Die Arbeit stellt die wichtigsten Grundlagen der Bindungstheorie, Endokrinologie, Immunologie und Epigenetik vor. Aufbauend darauf untersucht sie die spezifischen Auswirkungen von Kindheitstraumata auf die psychische und physische Gesundheit.
Immer mehr Menschen leiden an psychischen Erkrankungen wie Angststörungen und Depressionen. Doch auch die Zahl chronisch körperlicher Erkrankungen wie Diabetes, Osteoporose, Krebs und kardiovaskuläre Herzerkrankungen steigt in Deutschland stetig an. Immer mehr zeigen die aktuellen psychoneuroimmunologischen und epigenetischen Studienergebnisse einen Zusammenhang zwischen der Entstehung solcher gravierenden Erkrankungen und Kindheitstraumata.
Um langfristigen gesundheitlichen Traumafolgen vorbeugen zu können oder sie zumindest effektiv zu behandeln, wird im Rahmen der biopsychosozialen und psychoneuroimmunologischen Betrachtungsweise die interdisziplinäre Zusammenarbeit immer mehr gefordert. Im Fokus stehen hierbei medizinische und psychotherapeutische Kooperationen.
Von der Diskussion gänzlich ausgeschlossen ist bisher die Soziale Arbeit, welche sich jedoch durch die Kombination biopsychosozialer Aspekte in ihrer Arbeit erst definiert. Grundsätzlich kann also davon ausgegangen werden, dass die neuesten epigenetischen und psychoneuroimmunologischen Erkenntnisse auch dieses Arbeitsfeld beeinflussen.
Aus diesem Grund wird in der Arbeit der Frage nachgegangen, welche Bedeutung die psychoneuroimmunologischen und epigenetischen Auswirkungen von Kindheitstraumata auf das sozialarbeiterische Handeln haben können. Dabei liegt der Fokus auf Traumata, die durch negative Bindungserfahrungen bzw. durch den Verlust von Bindungspersonen hervorgerufen werden.
Inhaltsübersicht
1. Einleitung
2. Relevantes Grundlagenwissen
2.1 Definition „Kindheitstrauma“
2.2 Bindungstheoretische Grundlagen
2.3 Grundlagen der Stressreaktion
2.4 Immunologische Grundlagen
2.5 Grundlegende epigenetische Mechanismen
3. Der Weg vom Trauma zur traumainduzierten Erkrankung
3.1 Gesundheitsschädigendes Verhalten, Morbidität und Mortalität –
Ein Überblick über die möglichen Konsequenzen von Kindheitstraumata
3.2 Auswirkungen auf Bindung und Gesundheit
3.3 Die Veränderung der Stressreaktion
3.4 Immunologische Veränderungen
3.5 Epigenetische Veränderungen
4. Die Reversibilität psychoneuroimmunologischer und epigenetischer Veränderungen
5. Die Bedeutung psychoneuroimmunologischer und epigenetischer Erkenntnisse für das sozialarbeiterische Handeln
6. Fazit
7. Literatur
1. Kapitel
Einleitung
Bereits in der Zeit der Antike wurden Körper und Geist als untrennbare Einheit verstanden. So lehrte beispielsweise Hippokrates, dass die Voraussetzung für die körperliche Gesundheit eine ausgeglichene Lebensweise ist. Ferner stellte er die These auf, dass die Seele zur Genesung körperlicher Erkrankungen beitragen kann.
Diese Ansichtsweise veränderte sich jedoch in der abendländischen Welt des 16. und 17. Jahrhunderts. Orientiert an Descartes wurden allein logische und empirische Belege als Maßstab qualitativer Forschung anerkannt. Direkte Beobachtungen wurden also zur wichtigsten Norm der Wissenschaften. Infolgedessen wurde das körperliche Krankheitsgeschehen lange Zeit nur noch isoliert von der psychischen, damals objektiv nicht messbaren, Befindlichkeit eines Menschen betrachtet (vgl. Karr-Morse/Wiley 2013, S.50).
Viele Jahre scheint sich diese Herangehensweise bewährt zu haben, doch gegenwärtig stößt das biomedizinische Konzept wieder vermehrt mit dem erweiterten biopsychosozialen Paradigma als Erklärungsmodell für Gesundheit und Krankheit aufeinander: Während der biomedizinische Ansatz, im Sinne einer dualistischen Betrachtungsweise, Körper und Psyche nach wie vor als voneinander unabhängige Variablen begreift und komplexe biologische Phänomene ausschließlich mithilfe der Biologie und Chemie erklären möchte, beruht das biopsychosoziale Modell im Wesentlichen auf der von Niklas Luhmann geprägten Systemtheorie und seiner Anwendung im biologischen Kontext. Im Rahmen der biopsychosozialen Betrachtungsweise wird also davon ausgegangen, dass zwischen Körper, Geist und Umwelt eine komplexe Beziehung existiert. Aufgrund der miteinander in Wechselwirkung stehenden Systeme ist es nach biopsychosozialer Auffassung nicht bedeutend, auf welcher Ebene eine Störung entsteht, sondern welchen Schaden sie im eigenen bzw. in über- oder untergeordneten Systemen bewirken kann. Krankheit und Gesundheit sind daher stets als ein dynamisches Geschehen zu definieren (vgl. Schubert 2015b, S.1; vgl.Eggert 2005, S.3).
Obwohl gegenwärtig noch das biomedizinische Konzept das in der Medizin vorherrschende Paradigma ist, wurde Wissenschaftler*innen und Kliniker*innen in den letzten dreißig Jahren zunehmend deutlich, dass Psyche, Nervensystem, Hormonsystem und Immunsystem nicht unabhängig voneinander betrachtet werden dürfen. Vielmehr sind sie in Hinblick auf ihre vielfältigen Beziehungen zueinander zu erforschen. Dies hat sich die Psychoneuroimmunologie (PNI) zur Aufgabe gemacht. Sie beschäftigt sich mit der Frage, wie psychosoziale Faktoren über Aktivitätsveränderungen von Nerven-, Hormon- und Immunsystem Einfluss auf Gesundheit und Erkrankung nehmen (vgl.Schubert 2015b, S.3; vgl. Schubert 2015c, S.68).
Die gegenwärtigen Schwerpunkte der PNI-Forschung liegen in der Ergründung der sogenannten TH1/TH2-Dichotomie, der Funktionsstörung der HPA-Achse und dem vom Immunsystem bewusst erzeugten sickness behavior (vgl. Schubert 2015c, S.69).
Da für die Beantwortung dieser Forschungsfragen immer die Wechselwirkung und die gegenseitige Beeinflussung der immunopsychoneuroendokrinen Systeme ausschlaggebend ist, wird in dieser Arbeit kein Kapitel den Titel „Psychoneuroimmunologische Erkenntnisse“ o.Ä. tragen. Die psychoneuroimmunologischen Erkenntnisse ergeben sich vielmehr aus der Verbindung der einzelnen Kapitel zur Bindung, zur Stressreaktion und zur Immunologie bzw. deren Veränderungen infolge von Kindheitstraumata.
Immer mehr Menschen leiden an Aufmerksamkeitsdefizitstörungen, posttraumatischem Stress, Angststörungen und Depressionen. Weltweit sind somit beispielsweise 350 Millionen Menschen an einer Depression erkrankt; 2012 waren es noch 121 Millionen. 800.000 Suizide pro Jahr sind die Folge der Depression. Bei den 15- bis 29-Jährigen stellt der depressionsbedingte Suizid sogar die zweithäufigste Todesursache dar (vgl. WHO 2016).
Obwohl die Wahrscheinlichkeit eines Suizids mit den Lebensjahren ansteigt, zeigt sich in Deutschland 2014 schon in der Gruppe der unter 20‑Jährigen eine bedeutende Zahl an Suiziden. So nahmen sich in der Altersgruppe von 15 bis 20 Jahren insgesamt 192 junge Menschen das Leben. Auffällig hoch ist hierbei der Anteil männlicher Personen. Sie sind in 70Prozent aller Fälle betroffen. Mit 71 Prozent ähnlich hoch war 2014 der männliche Anteil der insgesamt 28 registrierten Suizide von Kindern und Jugendlichen zwischen dem 10. und 15. Lebensjahr (vgl. Statistisches Bundesamt 2014a).
Doch auch die Zahl chronisch körperlicher Erkrankungen wie Diabetes, Osteoporose, Krebs und kardiovaskuläre Herzerkrankungen steigt stetig an. Bereits 2009 waren 42,3 Prozent aller Männer bzw. 35,8 Prozent aller Frauen von mindestens einer chronischen Erkrankung betroffen (vgl. Statista 2016a). Bis 2050, so wird vermutet, erkranken insgesamt noch 1,4 Millionen Menschen mehr an einer Diabetes; die Zahl der Patient*innen mit Osteoporose soll sich um 2,1 Millionen Menschen erhöhen (vgl. Statista 2016b).
Herzerkrankungen und Tumorbildungen gehören indes bereits heute zu den häufigsten Todesursachen in Deutschland (vgl. Statistisches Bundesamt 2015, S. 4). Weltweit wurden 2012 1,4 Millionen Neuerkrankungen registriert. Die WHO geht jedoch davon aus, dass diese Zahl in den nächsten 20Jahren noch um 70 Prozent ansteigen wird. Als Ursache für die erhöhte Krebserkrankungszahl sieht die World Health Organisation die Verbindung einer genetischen Prädisposition mit physikalischen Faktoren (wie z. B. ultraviolettes Licht), mit chemischen Karzinogenen (wie z. B. Asbest, Tabak und verseuchte Lebensmittel) oder aber mit biologischen Aspekten (wie einer Infektion mit Viren oder Bakterien) (vgl. WHO 2015). Doch immer mehr zeigen die aktuellen psychoneuroimmunologischen und epigenetischen Studienergebnisse auch einen Zusammenhang zwischen der Entstehung solcher gravierenden Erkrankungen und Kindheitstraumata (vgl. Felitti/Anda/Nordenberg et. al. 1998; vgl. Gerhardt 2006, S.78; vgl. Bauer 2015, S.179). Aufgrund dessen sollen im Folgenden – nach einer Einführung in die wichtigsten Grundlagen der Bindungstheorie, Endokrinologie, Immunologie und Epigenetik – die spezifischen Auswirkungen von Kindheitstraumata auf die psychische und physische Gesundheit untersucht werden.
Um langfristigen gesundheitlichen Traumafolgen vorbeugen zu können oder sie zumindest effektiv zu behandeln, wird im Rahmen der biopsychosozialen und psychoneuroimmunologischen Betrachtungsweise die interdisziplinäre Zusammenarbeit immer mehr gefordert. Im Fokus stehen hierbei medizinische und psychotherapeutische Kooperationen. Von der Diskussion gänzlich ausgeschlossen ist bisher die Soziale Arbeit, welche sich jedoch durch die Kombination biopsychosozialer Aspekte in ihrer Arbeit erst definiert. Grundsätzlich kann also davon ausgegangen werden, dass die neuesten epigenetischen und psychoneuroimmunologischen Erkenntnisse auch dieses Arbeitsfeld beeinflussen. Aus diesem Grund wird in der vorliegenden Arbeit schließlich der Frage nachgegangen, welche Bedeutung die psychoneuroimmunologischen und epigenetischen Auswirkungen von Kindheitstraumata, insbesondere wenn sie im ersten bis dritten Lebensjahr, also zuzeiten der intensiven Hirnentwicklung gemacht werden, auf das sozialarbeiterische Handeln haben können. Dabei liegt der Fokus auf Traumata, die durch negative Bindungserfahrungen bzw. durch den Verlust der Bindungsperson hervorgerufen werden. Diese Entscheidung wurde getroffen, da es insbesondere die Traumata in der Interaktion zwischen Kindern und primären Bindungspersonen sind, die am häufigsten hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die Gesundheit unterschätzt werden.
2. Kapitel
Relevantes Grundlagenwissen
2.1 Definition „Kindheitstrauma“
In der ICD-10, der International Classification of Deseases (10. Version), definiert sich das Trauma als ein kurz oder lang anhaltendes Ereignis bzw. Geschehen von außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophalen Ausmaßes, welches bei nahezu jedem Menschen tiefgreifende Verzweiflung auslösen würde (vgl. Dilling/Freyberger 2016, S.147). In dem traumatischen Augenblick erlebt die betroffene Person eine fundamentale Diskrepanz zwischen den vorliegenden bedrohlichen Situationsfaktoren und den individuellen Bewältigungsmöglichkeiten in Form von Schutz- oder Abwehrmechanismen. Die Grenzen der Belastbarkeit werden während des Geschehens deutlich überschritten, sodass die betroffene Person Hoffnungslosigkeit, Kontrollverlust, Entsetzen und Angst verspürt (vgl. Gahleitner 2010, S.46; vgl. Rauwald 2013, S. 21; vgl. Karr-Morse/Wiley 2013, S.44f.). Die betroffene Person hat Zweifel am eigenen körperlichen Überleben und am Überleben des psychischen Selbst (vgl. Gerhardt 2006, S.162). Das Selbst- und Weltverständnis wird durch die traumatisierende Erfahrung dauerhaft erschüttert (vgl. Unfried 2013, S.47).
Um präzise zu erfassen, welche Erfahrungen für Säuglinge und Kinder traumatisch sein können, bedarf es einer Erweiterung dieser Definition, denn was als Trauma empfunden wird, ist grundsätzlich auch abhängig von der Art, den Umständen und der Dauer des Ereignisses sowie von dem Entwicklungsstand des Opfers.
Als besonders gravierende Traumaformen gelten solche, die, von Menschenhand verursacht, im nahen sozialen Umfeld des Kindes geschehen. Solche Traumata werden auch als Komplex-Traumata bzw. Typ-II-Traumata bezeichnet (vgl. Gahleitner 2010, S.46).
Im Allgemeinen werden mit Typ-II-Traumata nur die offensichtlichen Traumaformen assoziiert, wie beispielsweise Kindesvernachlässigung oder verschiedene Arten der Gewalt. Solcher Erlebnisse bedarf es jedoch nicht, um Säuglinge und Kleinkinder zu traumatisieren (vgl. Karr-Morse/Wiley 2013, S.119).
Zweifellos durchleben Kinder ein Trauma, wenn sie einmalig, wiederholt oder in periodischen Abständen körperlicher, emotionaler oder sexualisierter Gewalt ausgesetzt sind oder sie in dysfunktionalen familiären Verhältnissen heranwachsen, d.h. in Familien mit Suchtproblematiken oder häuslicher Gewalt zwischen den Elternteilen. Ebenso können sich psychische Erkrankungen der primären Bindungspersonen traumatisierend auf Kinder auswirken (vgl. Karr-Morse/Wiley 2013, S. 28; vgl. Schubert 2015a, S. 83; vgl.Gerhardt 2006, S. 166). Doch aufgrund der noch frühen Entwicklungsphase der Kinder, besitzen auch die zunächst als „harmlos“ eingestuften Erfahrungen das Potenzial, kleine Kinder zu traumatisieren. Auch sie können den Weg in traumainduzierte Folgeerkrankungen bahnen. Dies gilt insbesondere dann, wenn sich die Ereignisse wiederholen oder die Kinder aufgrund einer genetischen Veranlagung eine besondere Vulnerabilität besitzen (vgl.Karr-Morse/Wiley 2013, S. 118).
Aus der Erwachsenenperspektive fällt es zunächst meist schwer, zu erkennen, dass es auch traumatisierend wirken kann, verbal beschimpft und als „unerträglich“ bezeichnet bzw. unbeaufsichtigt und allein gelassen zu werden (vgl. Gerhardt 2006, S. 162).
Wenn sich Kinder fürchten, wird ihr Bindungssystem aktiviert, sodass sie sich auf die Suche nach Trost, Beruhigung und Unterstützung begeben. Gerade in den ersten Lebensjahren senden Kinder in einer solchen Situation deutliche Signale aus, z. B. durch Schreien. Wenn niemand auf die Signale der Kinder reagiert und ihre Bedürfnisse nicht befriedigt werden, wirkt sich dies traumatierend aus, denn während ihrer frühen Entwicklung sind Kinder existenziell auf eine primäre Bindungsperson angewiesen, die ihnen Schutz und Unterstützung zusichert und ihnen hilft, ihre Gefühle zu verstehen und zu regulieren (vgl. ebd., S. 166).
Vor einigen Jahren wurden selbst aus bindungstheoretischer Sicht nur der Verlust bzw. die Trennung von der primären Bindungsperson und die Erfahrung von Gewalt durch dieselbe als Trauma anerkannt. Bereits haben die Wissenschaftler*innen die Definition jedoch erweitert, sodass nun auch in der Bindungstheorie prinzipiell alle Kindheitserfahrungen als traumatisch angesehen werden, bei denen die notwendige Fürsorge durch die primären Bindungspersonen nicht in adäquater Form geleistet wird (vgl. Gloger-Tippelt 2008, S.39).
Die meisten frühkindlichen Traumatisierungen sind eher beiläufige Ereignisse, welche in erster Linie durch Unwissenheit geschehen. Den meisten Eltern ist es ein wichtiges Anliegen, ihre Kinder zu beschützen und ihnen ausreichend zur Verfügung zu stehen, doch noch immer bestehen Unkenntnisse über die Entwicklung und Sensibilität des menschlichen Nervensystems (vgl. Karr-Morse/Wiley 2013, S. 119). So machen sich zwar viele Menschen Gedanken um die körperliche Unversehrtheit der von ihnen betreuten Kinder, doch sie unterschätzen dabei das Maß der emotionalen Verwundbarkeit. Oft gehen Erwachsene davon aus, dass insbesondere Säuglinge verbale Beschimpfungen, Wut, Frustration, Trauerreaktionen und Anspannung seitens ihrer Bezugspersonen nicht wahrnehmen oder zumindest nicht darunter leiden. In der Regel trifft jedoch das Gegenteil zu: Die Kinder reagieren in der frühen Entwicklungsphase mit einer besonders ausgeprägten Sensibilität gegenüber allen Außenreizen, mit denen sie konfrontiert werden (vgl. Karr-Morse/Wiley 2013, S.121). „Babys sind darauf programmiert, sowohl die positiven als auch die negativen Emotionen ihrer Bezugspersonen nicht nur sensibel wahrzunehmen, sondern sie buchstäblich in sich aufzusaugen.“ (ebd., S. 121). Ursächlich für die erhöhte Sensibilität von Säuglingen auf Rhythmen und Stimmungen in ihrem nahen Umfeld ist eine evolutionäre Disposition, die letztlich zur Sicherung des Überlebens der Kinder dient.
Aufgrund der starken Abhängigkeit der Kinder von ihren primären Bezugspersonen, können laut Alica Lieberman generell alle Situationen als traumatisierend bezeichnet werden, in denen Kinder sich nicht auf ihre Eltern verlassen können und aufgrund dessen in ein langfristiges physisches und psychisches Ungleichgewicht geraten (vgl. ebd., S.127).
Ob bereits die Scheidung der Eltern traumatisierend wirkt, ist abhängig von individuellen Faktoren der Kinder. Ist ein Kind besonders feinfühlig und hat es zusätzlich bereits zuvor Traumata erlitten, so steigt das Risiko, dass auch die Trennung der Bindungspersonen traumatisierend auf den kindlichen Organismus einwirkt (vgl. ebd., S.130ff.).
Der Tod eines Elternteils kann ein potenziell schweres Trauma sein, doch auch hier unterliegen die Auswirkungen individuellen Unterschieden. Steht den Kindern keine andere Bezugsperson verlässlich zur Verfügung, so werden sie stärker durch die Verlusterfahrung beeinflusst als Kinder, die den Verlust mithilfe einer anderen liebevollen Bindungsperson verarbeiten können oder die mit dem verstorbenen Elternteil keinen engen Kontakt pflegten (vgl. ebd., S. 134).
Adoptionen und Unterbringungen von Kindern in Pflegefamilien gehen ebenfalls mit einem erhöhten Traumapotenzial einher, denn obgleich die Herausnahme des Kindes aus seinem bisherigen Umfeld sinnvoll sein kann, beispielsweise bei Vorliegen dysfunktionaler Familienverhältnisse, bedeutet sie doch immer auch eine Trennung der Kinder von ihren primären Bezugspersonen. Diese ist immer schwer, selbst dann, wenn die Bindungspersonen ihrer Fürsorgepflicht nicht ausreichend nachgekommen sind oder die Fremdunterbringung unmittelbar nach der Geburt initiiert wird, denn schon im Mutterleib besitzen die Säuglinge ein sehr gutes Wahrnehmungs- und Empfindungsvermögen (vgl. ebd., S.128f.).
Ein Kindheitstrauma liegt also immer dann vor, wenn Kinder in einer beängstigenden Situation (wiederholt) nicht auf ihre primäre Bezugsperson zugreifen können und somit auf eine (vertraute) fürsorgliche, konsistente, schutzbietende und beruhigende Unterstützung verzichten müssen. Durch die entwicklungsbedingte Sensibilität von Säuglingen für die Reize ihrer Umwelt, können auch harmlos wirkende oder nur indirekt das Kind betreffende Situationen (wie Streitigkeiten der Eltern) traumatisierend wirken und die Säuglinge in ihrem physischen und emotionalen Gleichgewicht erschüttern. Aus diesem Grund beziehen sich alle folgenden Aussagen stets auch auf jene Kinder, die vergleichsweise „leichte“ Formen eines Traumas erlitten haben.
2.2 Bindungstheoretische Grundlagen
Erstmals formuliert wurde die Bindungstheorie von John Bowlby (vgl. Brisch 2014, S.15). Die Bindungstheorie verbindet entwicklungspsychologische, systemische und psychoanalytische Ansätze und beschäftigt sich mit den grundlegenden frühen Einflüssen von Bindung auf die emotionale Entwicklung des Kindes. Sie versucht dabei, die Entwicklung und die Veränderung von Bindungen zwischen Individuen zu erklären (vgl. Brisch 2015, S.35). Die Bindungstheorie postuliert, dass alle Menschen mit einem genetisch verankerten, motivationalen System geboren werden, welches direkt nach der Geburt aktiviert wird, sodass das Individuum in der Lage ist, soziale Bindungen aufzubauen und aufrechtzuerhalten. Besonders in der noch frühen Entwicklungsphase ist dies von zentraler Bedeutung für die Sicherung des Überlebens. Kinder sind auf die Fürsorge eines Erwachsenen existenziell angewiesen (vgl. Brisch 2014, S.15; vgl. Picardi/Tarsitani/ Tarolla 2015, S.158). Eine schutzspendende, zuverlässige Bindung ermöglicht die gesunde Entwicklung unter nahezu allen kulturellen Bedingungen und verringert die Wahrscheinlichkeit von Morbidität und Mortalität (vgl. Picardi/Tarsitani/Tarolla 2015, S.158; vgl. Gloger-Tippelt 2008, S. 41).
Für Säuglinge stellen aufgrund der genetischen Disposition und der Notwendigkeit einer Bindung zwecks Sicherung des Überlebens zunächst alle Menschen eine potenzielle Bindungsperson dar (vgl. Brisch 2014, S. 15). Mary Ainsworth, eine Mitarbeiterin von John Bowlby, konnte in diesem Zusammenhang feststellen, dass sich Säuglinge jedoch stets an diejenige Person binden, die auf ihre Signale und Bedürfnisse in einer besonders feinfühligen und altersangemessenen Weise reagiert (vgl. Brisch 2013, S.38; vgl. Brisch 2015, S.37). Nach Ansicht der Wissenschaftlerin kann eine primäre Bindungsperson dann als feinfühlig beschrieben werden, wenn sie die Fähigkeit besitzt, die Signale des Kindes mit größter Aufmerksamkeit wahrzunehmen und sie aus der Perspektive des Säuglings richtig zu interpretieren und angemessen zu befriedigen (vgl. Brisch 2015, S. 36, 44 f.). Biologisch bedingt wird somit meist die Mutter zur primären Bindungsperson von Säuglingen (vgl. Bowlby 2010, S.101). Da jedoch auch andere Personen weiblichen und männlichen Geschlechts zur primären Bezugsperson werden können, wird im Folgenden ausschließlich von den „Bindungs- bzw. Bezugspersonen“ und nicht explizit von der Mutter gesprochen.
Jeder Mensch entwickelt innerhalb des ersten Lebensjahres ein spezifisches Bindungsmuster, welches geprägt ist von den frühen Erfahrungen und Interaktionen mit der primären Bindungsperson. Die Feinfühligkeit der Bindungsperson für die kommunikativen Signale des Kindes erweist sich in diesem Zusammenhang als besonders einflussreiches Maß (vgl. Gloger-Tippelt 2008, S.41). Zur Entwicklung eines sicheren Bindungsstils ist es von Bedeutung, dass die Bindungsperson zeitnah auf die Bedürfnisse des Kindes reagiert (vgl. Brisch 2015, S. 36).
Der Bindungsstil spiegelt in erster Linie das Vertrauen eines Kindes in sich selbst und seine primäre Bezugsperson wider. Doch er wird auch durch individuelle Unterschiede, z.B. in der Emotionsregulation, beeinflusst (vgl.Picardi/Tarsitani/Tarolla 2015, S. 158).
Im Folgenden sollen die klassischen Bindungsstile von Säuglingen und Kindern vorgestellt werden: der sichere, der unsicher-ambivalente, der unsicher-vermeidende und der unsicher-desorganisierte Bindungsstil. Darüber hinaus wird kurz auf zwei weitere Bindungsstile eingegangen, welche von Patricia Crittenden entdeckt wurden und verschiedene Bindungsmuster in sich vereinen. Ferner werden Erkenntnisse zur Weitergabe von Bindungsmustern dargestellt.
Zunächst ist anzumerken, dass sich sowohl Kontinuitäten als auch Veränderungen des Bindungsstils zwischen dem ersten Lebensjahr und der Adoleszenz finden lassen konnten. Das Bindungsmuster der ersten Lebensjahre muss folglich nicht zwangsläufig auch die weitere Bindungsentwicklung determinieren. Es sind keine sicheren Vorhersagen bzgl. des zukünftigen Bindungsverhaltens möglich, da der Bindungsstil durch viele Faktoren beeinflusst werden kann (vgl. Brisch 2015, S. 72).
Säuglinge suchen insbesondere dann die Nähe ihrer primären Bindungsperson, wenn sie Angst empfinden. Eine solche Situation kann beispielsweise dann vorliegen, wenn die Kinder von ihrer primären Bezugsperson getrennt wurden oder sich von ihr getrennt fühlen. Aber auch unbekannte Situationen, die Anwesenheit fremder Menschen, Albträume und das Empfinden von körperlichem Schmerz sind klassische Faktoren, die das Bindungssystem der Kinder aktivieren. Je größer das Angst- oder Schmerzempfinden ist, desto eindringlicher und kompromissloser bestehen Säuglinge auf den Trost und den Schutz durch ihre primäre Bindungsperson. Bemühungen einer sekundären Bindungsperson schlagen in solchen Momenten, in denen das Bindungsbedürfnis des Kindes maximal aktiviert wird, fehl. Durch die Anwesenheit der primären Bindungsperson erhoffen sich die Säuglinge Schutz, Sicherheit und Geborgenheit. Häufig signalisieren Kinder ihren Wunsch nach der Nähe der primären Bindungsperson durch Blickkontakte, Nachfolge-Verhalten und der Herstellung eines körperlichen Kontakts (vgl. Brisch 2015, S.36 f.). Kinder mit einer sicheren Bindung zeigen ein solches Verhalten sehr deutlich. Sie haben die Erfahrung gemacht, dass ihnen mindestens eine Bezugsperson (insbesondere die primäre Bindungsperson) in Stress und Angstsituationen feinfühlig und schützend zur Seite steht (vgl. Bowlby 2010, S. 101). Sicher gebundene Kinder empfinden ihre Bezugsperson als eine zuverlässige und sichere Basis. Die Beziehung zwischen den Kindern und ihren Bindungspersonen ist durch Vertrauen, Gegenseitigkeit, Kontinuität und Fürsorge gekennzeichnet. Die Fürsorge wird dabei als besonders feinfühlig und unterstützend erlebt. Bei Kummer oder Angst suchen die Kinder aktiv und erfolgreich Körperkontakt und die emotionale Nähe zu ihrer Bezugsperson. Die durch das Wissen um zuverlässigen Rückhalt sicher gebundenen Kinder können sich nach einer Stresssituation schnell wieder der Exploration ihrer Umwelt zuwenden (vgl. Gloger-Tippelt 2008, S. 45; vgl. Gahleitner 2010, S.47; vgl. Bowlby 2010, S.101).
Mit dem Explorationsbedürfnis der Kinder steht dem Bindungssystem ein gleichstarkes motivationales System gegenüber. Obwohl Bindungssystem und Explorationssystem entgegengesetzten Motivationen entspringen, sind sie wechselseitig voneinander abhängig. Nach Bowlby können Kinder nämlich nur dann ihre Umwelt ausreichend erkunden und sich als selbsteffektiv und handelnd erleben, wenn sie von einer sicheren emotionalen Basis aus ihre Umwelt erkunden können. Kehren die Kinder von ihrem Erkundungsgang wegen zu großer Entfernung oder wegen angstmachender Entdeckungen zu ihrer primären Bindungsperson zurück, müssen sie sich von ihr emotional angenommen fühlen (vgl. Brisch 2015, S. 38 ff.; vgl. Gahleitner 2010, S.47). Kinder sollten daher die Möglichkeit erhalten, während der ersten Lebensjahre eine sichere emotionale Bindung zu ihrer primären Bindungsperson aufzubauen. Längere Trennungen, z.B durch den Besuch von Kindertagesstätten, sollten erst dann erfolgen, wenn die Kinder (meist am Ende des ersten und Anfang des zweiten Lebensjahres) eine emotional stabile, sichere Bindung zu ihrer Hauptbindungsperson entwickelt haben (vgl.Brisch 2015, S.77). Wenn die Kinder von ihren primären Bindungspersonen eine zuverlässige und liebevolle Fürsorge erfahren, entwickelt sich zwischen der primären Bezugsperson und dem jeweiligen Kind eine zunehmend zielkorrigierende Partnerschaft. Diese ist gekennzeichnet durch eine stabile Balance zwischen den Bindungsbedürfnissen und den Explorationswünschen und ermöglicht fortan das Aushandeln und Verhandeln gemeinsamer Ziele. Dabei können beide Personen die für sie wichtigen Ziele einbringen, die Meinung des bzw. der Anderen hören, sie reflektieren und schließlich durch partnerschaftliches verhandeln und korrigieren zu einem gemeinsamen Ziel gelangen. Diese Fähigkeit bildet die Grundlage für eine solide soziale Kompetenz (vgl. Brisch 2015, S. 40).
Nicht-klinische Stichproben ergaben, dass etwa 60 Prozent der Säuglinge im Alter von zwölf Monaten in einer Trennungssituation von ihrer primären Bindungsperson eine sichere Bindung zu ihrer Mutter aufweisen. Fünfzig Prozent der Kinder hatten außerdem auch eine sichere Bindungsbeziehung zu ihrem Vater (vgl. Brisch 2014, S. 16 f.).
Der sicheren Bindung im Säuglingsalter wird eine protektive Funktion für den weiteren Entwicklungsverlauf der jungen Menschen zugesprochen (vgl.Brisch 2015, S.41; vgl. Gahleitner 2010, S.47). So führten mehrere Studien zu dem Ergebnis, dass es keinen besseren Schutz vor sozialen Schwierigkeiten und Verhaltensauffälligkeiten gibt, als die sichere Bindung. Statt aggressives Verhalten zeigen sicher gebundene Kinder vermehrt prosoziale Verhaltensweisen und soziale Kompetenzen (vgl. Karr-Morse/Wiley 2013, S.219; vgl. Brisch 2015, S. 41). Längsschnittstudien konnten darüber hinaus nachweisen: Wenn Kinder in der frühen Kindheit über einen längeren Zeitraum mit mindestens einer erwachsenen Person eine sichere Bindung pflegen, so ist dies ein entscheidender protektiver Schutzfaktor hinsichtlich der Entwicklung von Psychopathologien, und zwar selbst dann, wenn Kinder im weiteren Verlauf ihres Lebens ein Trauma erleiden (vgl.Brisch 2015, S. 41). Der Grund hierfür ist die Verankerung der sicheren Bindung in der psychischen Struktur. Sie unterstützt die Entwicklung einer gewissen psychischen Stabilität (einer wichtigen Ressource zur Entwicklung von Resilienz) (vgl. ebd., S.38, S.41).
Sicher gebundene Kinder sind gegenüber psychischen Stressoren jedoch nicht nur widerstandfähiger; sie weisen auch bessere Bewältigungsmöglichkeiten (sog. Coping-Strategien) auf. So fragen sie beispielsweise aktiv nach Hilfe, sie sind gerne mit anderen zusammen (sichern sich also soziale Unterstützung) und besitzen bessere Empathiefähigkeiten (vgl. Brisch 2014, S. 19).
Ferner ist die Bindungssicherheit eine wichtige Voraussetzung für emotionale und kognitive Lernprozesse (vgl. ebd., S. 15). Kinder mit sicheren Bindungen sind kreativer und aufmerksamer als anders gebundene Kinder. Sie besitzen eine größere Ausdauer, sind flexibler, wenn sie Aufgaben lösen müssen und auch ihre Lern- und Gedächtnisleistungen sowie die Sprachentwicklung sind stärker entwickelt (vgl. Brisch 2014, S. 20). Darüber hinaus konnten Forscher*innen in Tierexperimenten mit Affen zeigen, dass eine gute zwischenmenschliche Beziehung das am besten wirksame und völlig nebenwirkungsfreie Mittel gegen seelischen und körperlichen Stress darstellt (vgl. Bauer 2015, S. 12 f.).
Eine stabile Stressreaktion bietet sowohl in der Kindheit als auch im Erwachsenenalter eine Grundresistenz gegenüber zukünftigen Stressbelastungen. Die Stressreaktion wird maßgeblich durch die Qualität der Bindung zwischen primärer Bindungsperson und Kind beeinflusst. Eine angemessene Stressreaktion entsteht dann, wenn Kinder die Erfahrung machen, dass ihre primäre Bindungsperson ihnen dabei helfen kann, sich von Stresserlebnissen zu erholen. Wichtig scheint zu sein, dass der Organismus die Stressreaktion und die damit verbundenen Gefühle im richtigen Moment drosseln kann, ohne davon überflutet zu werden oder sie unterdrücken zu müssen. Deshalb besteht die konkrete Aufgabe der Bezugspersonen darin, die Kinder zeitnah in dem Bewusstsein zu unterstützen, dass Gefühle geäußert werden dürfen und dass es Möglichkeiten gibt, diese zu akzeptieren, zu ertragen und mit ihnen umzugehen, bspw. durch Trost und Zuspruch seitens der Bezugsperson (vgl. Gerhardt 2006, S. 100; vgl. Brisch 2015, S. 44 f.). Hierbei wirkt sich bei Säuglingen und Kleinkindern auch eine dialogische-rhythmische Sprache förderlich aus, welche die Empfindungen der Kinder benennt und so die zu Beginn des Lebens noch zu erlernende Differenzierung der unterschiedlichen Affekte erleichtert (vgl. Brisch 2014, S. 16).
Wie der kanadische Forscher Michael Meaney schon in den 1950er Jahren zeigen konnte, schützt die Erfahrung einer liebevollen Zuwendung in der Kindheit die Stressgene sogar noch im Erwachsenenalter vor einer Überreaktion (vgl. Bauer 2015, S. 177).
Meaney gelangte in seiner berühmten Studie zu der Erkenntnis, dass die Nachkommen von besonders fürsorglichen Rattenmüttern, die ihre Jungen intensiv leckten und pflegten, als Erwachsene besser herangewachsen, weniger gestresst und gesünder waren als die Jungen von Müttern, die sich weniger aufmerksam um ihren Nachwuchs kümmerten. Grund hierfür war, dass die überaus gründliche mütterliche Fürsorge ein Gen aktiviert, dass die Produktion des Stresshormons Cortisol steuert. Diese Aktivierung blieb bei Rattenjungen von Müttern, die ihren Nachwuchs nicht intensiv leckten, aus (vgl. Karr-Morse/Wiley 2013, S. 126). Inzwischen konnte der gleiche Effekt bei Säuglingen nachgewiesen werden: Frühgeborene, die dreimal täglich je 15 Minuten gestreichelt und massiert wurden, wuchsen um 50 Prozent schneller und entwickelten eine gesündere Stressreaktion als die Frühgeborenen der Kontrollgruppe, welche nicht auf die beschriebene Weise berührt worden sind (vgl. Rüegg 2014/2011, S. 119). Die primären Bindungspersonen fungieren, so kann geschlussfolgert werden, über die gemeinsamen Interaktionen mit den Säuglingen als psychobiologische Regulatoren (oder Dysregulatoren) des Cortisolspiegels der Kinder (vgl. Brisch 2015, S. 42).
Dies bestätigen auch Studien über die Bedeutung des Stillens von Säuglingen: Während des Stillens setzt die Amygdala der Mütter weniger des CRH frei, wodurch die Frauen während der Fütterung ihrer Kinder besser vor Stresseinflüssen geschützt sind. Die verringerte Ausschüttung von CRH hält, so wird vermutet, Gefühle von Angst und Besorgnis von der Mutter fern. Ferner sorgt das durch das Stillen gebildete Hormon Prolactin für ein Gefühl von Ausgeglichenheit. Diese durch das Stillen hervorgerufene Stimmungslage, erleichtert es Müttern, ihre Säuglinge zu beruhigen und die Stressreaktion der Kinder herunter zu regulieren. Auf die Anwesenheit der Mutter, das Stillen an sich und den Körperkontakt reagiert das Gehirn der Säuglinge mit der vermehrten Bildung von Cortisolrezeptoren. Ein Gehirn, dass reichhaltig mit Cortisolrezeptoren ausgestattet ist, ist eher in der Lage, das in Stresssituationen gebildete Stresshormon Cortisol zu binden und abzubauen, als das Gehirn eines vernachlässigten Kindes. Der Organismus des umsorgten Kindes besitzt somit die Fähigkeit, die stressbedingt vermehrte Cortisolproduktion nach Beseitigung der Stressursache schneller wieder einzustellen. Eine Überstimulierung des Stresssystems wird durch frühe positive Erfahrungen, wie dem Stillen, folglich verhindert (vgl. Gerhardt 2006, S. 135).
Weiterhin konnte in Studien nachgewiesen werden, dass gestillte Säuglinge, im Vergleich mit Kleinstkindern die über die Flasche gefüttert wurden, eine höhere Konzentration ungesättigter Fettsäuren aufweisen. Diese essenziellen Fettsäuren tragen zur Produktion von wichtigen Neurotransmittern wie Dopamin und Serotonin bei, die mitverantwortlich sind für die Stimmung und das Verhalten (vgl. ebd., S. 138).
Etwa 25 Prozent aller Säuglinge sind unsicher-vermeidend gebunden. Zur Ausbildung dieses Bindungsstils besteht eine höhere Wahrscheinlichkeit, wenn primäre Bindungspersonen auf die signalisierten Bindungsbedürfnisse ihrer Kinder mit Zurückweisung oder Ablehnung reagieren (vgl. Brisch 2014, S. 17). Durch ein solches Verhalten seitens der primären Bindungspersonen erleben sich die Kinder als nicht beachtenswert und liebenswürdig (vgl.Gloger-Tippelt 2008, S. 45). Als Antwort auf diese Erfahrungen entwickeln die Kinder ein unsicher-vermeidendes Bindungsmuster, welches als konkrete Verhaltensstrategie angesehen werden kann, um trotz der regelmäßigen Zurückweisungen mit den primären Bezugspersonen in Kontakt zu bleiben (vgl. Brisch 2015, S. 96).
Kinder mit einem unsicher-vermeidenden Bindungsstil signalisieren ihren Bindungspersonen ihre Bindungsbedürfnisse in einer Notsituation nur geringfügig, da sie wissen, dass ihre Bindungswünsche von der primären Bezugsperson nur unzureichend beantwortet werden (vgl. Brisch 2014, S. 17). Die Kinder versuchen auf die Fürsorge und Hilfestellung durch ihre Bindungspersonen zu verzichten und streben stattdessen nach psychischer Unabhängigkeit (vgl. Bowlby 2010, S. 101). Sie probieren also, ihre Gefühle schon in der Zeit ihrer frühesten Entwicklung selbstständig zu regulieren und zu kontrollieren. Die vermeidende Strategie scheint für die betroffenen Kinder wie auch für ihre Bezugspersonen am besten geeignet zu sein, um den durch das inkonsistente Bindungsverhalten hervorgerufenen Stress zu mindern (vgl. Brisch 2015, S. 96). Eine unsicher-vermeidende Bindung stellt jedoch immer auch einen Risikofaktor für die weitere Entwicklung der Kinder dar. So wird z.B der Erwerb einer angemessenen Stressreaktion verhindert, da die aufkommenden Gefühle in einer als bedrohlich empfundenen Situation in der Regel nicht ohne eine zuverlässige, erwachsene Bezugsperson differenziert und verarbeitet werden können (vgl. Gahleitner 2010, S.47; Brisch 2013, S.38 f.).
Wenn primäre Bezugspersonen Kindern psychische oder physische Schmerzen zufügen, gehen Verletzung und Trost eine folgenschwere Verbindung ein – die normalerweise sicherheitsspendende Bezugsperson wird zur Ursache des Leidens. Dies bildet die Grundlage für die Entwicklung einer unsicher-ambivalenten Bindung (vgl. Karr-Morse/Wiley 2013, S.163).
In Deutschland weisen etwa 10 Prozent aller Kinder einen solchen Bindungsstil auf (vgl. Gloger-Tippelt 2008, S. 45; vgl. Brisch 2014, S. 17 f.). Die betroffenen Kinder leben in einem dauerhaften Zustand der Ungewissheit, ob und wenn ja, wann die Bindungsperson angemessen auf ihre Bedürfnisse reagiert. Die meisten unsicher-ambivalent gebundenen Kinder zeigen nur selten Explorationsdrang (vgl. Bowlby 2010, S. 101). Stattdessen reagieren die mit unsicher-ambivalentem Bindungsstil ausgestatteten Kinder auf Trennungen mit einer intensiven Aktivierung ihres Bindungssystems. Sie weinen lautstark und klammern sich intensiv an ihre Bindungsperson. Es fällt ihnen schwer, sich wieder zu beruhigen, auch wenn die Bindungsperson bei ihnen ist und mit ihnen interagiert. Andererseits präsentieren die Kinder aggressives Verhalten. Wenn sie etwa bei der Bindungsperson auf dem Arm sind, strampeln sie und treten nach derselben (vgl. Brisch 2014, S. 17 f.). Die unsicher-ambivalente Bindungsentwicklung ist ebenso wie die unsicher-vermeidende Bindung ein Risikofaktor für die weitere Entwicklung. Häufig verfügen die betroffenen Kinder über eine mangelhafte Stress- und Emotionsregulation (vgl. Brisch 2014, S. 19; vgl. Picardi/Tarsitani/Tarolla 2015, S.158). Trotzdem werden nicht nur der sichere Bindungsstil, sondern auch die unsicheren Bindungsstile als organisierte Bindungsmuster beschrieben. Dies ist darin begründet, dass sowohl die sicher als auch die unsicher gebundenen Kinder aus den vielen gesammelten Interaktionserlebnissen innerhalb des ersten Lebensjahres ein Modell entwickeln, welches das Bindungsverhalten und die erlebten Affekte in einen kausalen Zusammenhang bringt. Dieses Modell wird auch als inneres Arbeitsmodell bezeichnet (vgl. Brisch 2014, S. 18; vgl. Brisch 2015, S. 37 f.; vgl. Lammel 2014, S. 164).
Für jede einzelne Bezugsperson werden jeweils eigenständige Arbeitsmodelle entwickelt (vgl. Brisch 2015, S. 38). Sie werden in den Nervenzellnetzwerken des Gehirns eingespeichert und nehmen Einfluss darauf, wie die Umwelt eingeschätzt und interpretiert, eine Beziehung gestaltet und mit Herausforderungen umgegangen wird (vgl. ebd., S.177).
Ein inneres Arbeitsmodell ist anfangs noch sehr flexibel, im weiteren Verlauf der Entwicklung wird es jedoch zunehmend stabiler und entwickelt sich zu einer psychischen Repräsentanz, die als Bindungsrepräsentation bezeichnet wird. Diese kann wie die Arbeitsmodelle teils bewusst, teils unbewusst sein (vgl. ebd., S. 38).
Das entwickelte innere Arbeitsmodell wird auch im Kontakt mit Personen außerhalb des persönlichen familiären Nahraums angewandt und ab dem Schulalter auf verschiedenste Weise überprüft, um es anschließend bewusst zu übernehmen oder durch ein neues zu ersetzen (vgl. Gerhardt 2006, S. 167). Des Weiteren kann die Bindungsrepräsentation durch bedeutungsvolle Bindungserfahrungen mit anderen Bezugspersonen oder aber auch durch einschneidende Erlebnisse wie Verluste in eine unsichere oder sichere Richtung verändert werden. Die Anpassung von Arbeitsmodell bzw. Bindungsrepräsentation an neue Erfahrungen wird mit zunehmendem Alter jedoch immer schwieriger (vgl. Brisch 2015, S. 38).
In massiv dysfunktionalen Verhältnissen kann die Angst vor der Zurückweisung durch die primäre Bindungsperson in regelrechte Furcht vor derselben übergehen. Dies ist das klassische Charakteristikum des unsicher-desorganisierten Bindungsstils (vgl. Gerhardt 2006, S. 163). Die desorganisierte Bindung von Kindern spiegelt höchstwahrscheinlich die Erfahrung von emotional gegensätzlichen, nicht zu einem einheitlichen Muster integrierbaren Bindungserlebnissen wider. So könnten primäre Bindungspersonen bspw. gleichzeitig als sicherer emotionaler Hafen und als eine Quelle von Angst und Bedrohung fungieren. Dies geschieht bspw. dann, wenn die Bezugspersonen in Bindungssituationen regelmäßig dissoziative Verhaltensweisen wie das Einfrieren von Bewegungen oder eine ungewöhnlich steife, ggf. von Angst und Panik gekennzeichnete Mimik und Gestik aufweisen. Ferner können Kinder durch die Äußerung von Drohgebärden und Aggressionen verunsichert werden. Darüber hinaus können widersprüchliche Verhaltensweisen durch eine Rollenumkehr entstehen, bei der die Bindungspersonen den Kindern unterwürfig begegnen bzw. Angst vor ihnen zeigen (vgl. Brisch 2013, S.39; vgl. Gloger-Tippelt 2008, S. 56).
Von den Kindern, die durch ihre Bindungspersonen Vernachlässigung, Misshandlung oder sexualisierte Gewalt erfuhren, zeigen bis zu 80 Prozent desorganisierte Verhaltensweisen. In Stichproben mit gesunden Kindern und psychosozial unbelasteten Eltern finden sich nur bei ca. 12 bis 20 Prozent desorganisierte Bindungsmuster (Brisch 2013, S.39; vgl. Brisch 2014, S. 18; vgl. Karr-Morse/Wiley 2013, S. 233).
Besonders oft betroffen vom unsicher-desorganisierten Bindungsstil sind auch Kinder von Bindungspersonen, welche ein Trauma erlitten und dieses bisher nicht verarbeiten konnten. Nun wirkt sich die Traumaerfahrung auf die vorliegende Betreuungssituation aus. Denn die traumatisierten Bindungspersonen sind jene, welche die oben dargestellten dissoziativen und verängstigenden Verhaltensweisen aufzeigen, meist durch das Schreien des Säuglings getriggert (vgl. Brisch 2014, S. 30). Die Kinder, die mit solchen Bindungspersonen interagieren, zeigen keine einheitlichen, adaptiven Bewältigungsstrategien, um den kontinuierlichen Kontakt zu ihren Bezugspersonen zu gewährleisten und ihren Stress zu regulieren (vgl. Gerhardt 2006, S. 163). Vielmehr deuten ihre Verhaltensweisen darauf hin, dass ihnen in der Bindungssituation kein adäquates Verhaltensmuster zur Verfügung steht (vgl.Brisch 2015, S.96).
Studien konnten darüber hinaus das vermehrte Auftreten des unsicher-desorganisierten Bindungsstils bei Kindern von Eltern nachweisen, welche mit hohen sozialen Risiken und Belastungen wie Armut, Gewalt und schlechten Wohnbedingungen konfrontiert waren. Die betroffenen Eltern zeigten ein vermehrt feindliches und hilfloses Verhalten gegenüber ihrem Nachwuchs (vgl. ebd., S. 60).
Desorganisiert gebundene Kinder reagieren auf die Bindungssituation mit Sequenzen von stereotypem Verhalten. Manchmal halten sie auch im Ablauf ihrer Bewegungen inne und erstarren für einen kurzen Augenblick. Dies ist bspw. zu beobachten, wenn die Kinder nach einer Trennungssituation zunächst auf ihre primäre Bindungsperson zulaufen, dann jedoch innehalten und wieder in die entgegengesetzte Richtung gehen (vgl. Brisch 2014, S. 18).
Das unsicher-desorganisierte Bindungsmuster kann bei den drei zuvor dargelegten Bindungsstilen als zusätzliche Codierung vergeben werden, da selbst sicher gebundene Kinder in kurzen Sequenzen desorganisierte Verhaltensweisen aufzeigen können (vgl. Brisch 2015, S. 52).
Bereits vor einigen Jahren erkannte Patricia Crittenden zwei weitere, nicht näher bezeichnete Bindungsstile, die insbesondere in Zusammenhang mit ungelösten, traumatischen Erlebnissen auftraten (vgl. Brisch 2014, S.19). Bei der ersten Variante handelt es sich um ein Verhaltensmuster, das sich als eine Mischung aus einem unsicher-vermeidenden und einem ambivalenten Bindungsverhalten interpretieren lässt. Der zweite Bindungsstil verbindet Elemente von Vermeidung und Desorganisation. In Extremfällen kann bei beiden Gruppen ein falsches Affekterleben bzw. eine falsche Kognition entstehen (vgl. Brisch 2015, S. 97).
Häufig weisen Kinder ähnliche Bindungsstile wie ihre Bindungspersonen auf: Längsschnittstudien, sowohl in Deutschland, als auch in den USA und England, konnten belegen, dass mit einer fünfundsiebzigprozentigen Übereinstimmung sicher gebundene Mütter auch Kinder mit einem sicheren Bindungsstil haben. Mütter mit einer unsicheren Bindungshaltung haben analog dazu häufiger unsicher gebundene Kinder. Ähnliche Zusammenhänge (ca. 65 Prozent Übereinstimmung) existieren bzgl. der Bindung zum Vater (vgl.Brisch 2014, S.18 f.). Eine erbgenetische Weitergabe von komplexen Bindungsmustern wird von der Bindungsforschung weitestgehend ausgeschlossen. Wahrscheinlicher ist es, dass Prozesse des Beobachtungslernens Einfluss auf den Bindungsstil haben (vgl. Gloger-Tippelt 2008, S. 54).
Bei der Transmission eines unsicher-desorganisierten Bindungsstils spielt Angst eine entscheidende Rolle. Die furchterregenden, ängstigenden und desorganisierten Verhaltensweisen der ggf. traumatisierten Bindungspersonen überfordern Kinder immens und verhindern, dass sie Strategien zur Regulation ihrer Gefühle entwickeln können. Sie befinden sich kontinuierlich im Stress, da sie nicht einschätzen können, wie ihre Bindungsperson im nächsten Moment reagieren wird. Da ihnen aufgrund der widersprüchlichen Verhaltensweisen der Bindungsperson keine effektiven Handlungsspielräume zur Verfügung stehen, zeigen auch die Kinder schließlich vermehrt desorganisierte Verhaltensweisen (vgl. Gloger-Tippelt 2008, S. 56; vgl. Brisch 2014, S.29).
Ferner belegen Studien kontinuierlich, dass das Fürsorgeverhalten der Mutter großen Einfluss auf das Fürsorgeverhalten der nächsten Generation ausübt. So kann sowohl ein wenig fürsorgliches Verhalten als auch eine sehr liebevolle Zuwendung immer wieder an die nächsten Kinder weitergegeben werden (vgl. Brisch 2014, S. 32; vgl. Brisch 2015, S.40).
2.3 Grundlagen der Stressreaktion
Das menschliche Nervensystem kann in zwei große Hauptbereiche unterteilt werden: Zum einen in das zentrale Nervensystem (ZNS), welches sich aus dem Gehirn und dem Rückenmark aufbaut, und zum anderen in das periphere Nervensystem, welches das zentrale Nervensystem mit den Sinnesorganen, den Eingeweiden und der Muskulatur verbindet. Auch die Haut, die Blutgefäße und die Drüsen werden durch das periphere Nervensystem mit dem zentralen Nervensystem verbunden (vgl. Karr-Morse/Wiley 2013, S.53).
Das periphere Nervensystem wiederum besteht aus dem somatischen (willkürlichen, bewussten) Nervensystem und dem vegetativen (autonomen, unbewussten) Nervensystem (vgl. Karr-Morse/Wiley 2013, S. 53; vgl. Rüegg 2014, S. 54).
In jeder neuen Situation werden die Außenreize zunächst als bioelektrische Signale über die fünf Sinne aufgenommen (vgl. Bauer 2015, S.35). Anschließend werden die gesammelten Informationen an den Locus coeruleus weitergeleitet, welcher sich im Hirnstamm befindet. Der Locus coeruleus setzt nach Erhalt der Informationen augenblicklich, durch die situationsbedingte Aktivierung von Genen (wie z.B. dem Tyrosin-Hydroxylase-Gen), Noradrenalin frei und aktiviert das limbische System, insbesondere die Amygdala (auch bekannt als „Mandelkern“) (vgl. Karr-Morse/Wiley 2013, S. 52, vgl. Bauer 2015, S.240). Bei der Amygdala handelt es sich um eine tief unter der Hirnrinde gelegene, sehr kleine Hirnregion („das Angstzentrum“) , welche über Nervenbahnen mit dem Frontalhirn verbunden ist (vgl. Rüegg 2014, S. 55). Die über die Sinne eingehenden, neuen Signale werden innerhalb kürzester Zeit zu einem inneren Bild zusammengefasst. Unter Rückgriff auf gespeicherte Gedächtnisinhalte wird dieses innere Bild der vorliegenden Situation nun im limbischen System (dem „emotionalen Zentrum“ des Gehirns) einer emotionalen Analyse unterzogen und hinsichtlich seines Gefahrenpotenzials bewertet (vgl. Bauer 2015, S. 35; vgl.Karr-Morse/Wiley 2013, S. 52). Die Bewertung der neuen Situation ist dabei abhängig von den bereits bestehenden, im Laufe des Lebens gesammelten, individuellen Vorerfahrungen eines Menschen (vgl. Bauer 2015, S. 37). Alle Erfahrungen, sowohl positiver als auch negativer Art, werden in Nervenzellnetzwerken der Großhirnrinde und des limbischen Systems zu Gedächtnisinhalten addiert und als solche abgespeichert. Sie entscheiden darüber, ob ein Mensch einer neuen Situation eher zuversichtlich und vertrauensvoll oder aber ängstlich und hoffnungslos entgegenblickt (vgl. Bauer 2015, S.40).
Der Abgleich eines eingehenden neuen Reizes mit den bisherigen Erfahrungen erfolgt innerhalb von etwa 400 bis 600 Millisekunden. Danach ist die erste Bewertung der eingehenden Information bzw. der vorliegenden Situation beendet (vgl. ebd., S. 36, S. 42).
Als gefährlich werden Gegebenheiten eingeschätzt, die früheren Situationen gleichen, welche von den Betroffenen oder von bedeutsamen Bezugspersonen nicht zu bewältigen waren oder bei denen die Betroffenen keine Hilfe von anderen erhielten respektive Bezugspersonen deutlich gemacht haben, dass sie den Betroffenen eine Bewältigung der Situation nicht zutrauen. Aversive, d. h. unangenehme und angstbesetzte Ereignisse, werden dabei besonders intensiv eingeprägt und in der Amygdala implizit abgespeichert.
Wenn die Nervenzellnetzwerke des limbischen System durch den Vergleich der aktuellen Situation mit ähnlichen früheren Erfahrungen zu dem Ergebnis kommen, dass eine Gefahrensituation vorliegt, wird über die Amygdala umgehend eine Notreaktion ausgelöst (vgl. ebd., S. 40 ff.). Dabei wird eine tiefergehende und detailliertere Verarbeitung und Bewertung der sensorischen Information über den Cortex (die Großhirnrinde) umgangen, um zunächst das Überleben des Organismus zu sichern. Erst nach Einleitung der Stressreaktion kann die Situation auch einer gründlicheren Analyse unterzogen und ggf. hinsichtlich der Einschätzung ihres Gefahrenpotenzials korrigiert werden (vgl. Karr-Morse/Wiley 2013, S.52).
Die Koordinierung bzw. Regulierung der Gefahrenabwehr erfolgt mithilfe des vegetativen Nervensystems, welches durch Alarmsignale der Amygdala und des Locus coeruleus aktiviert wird. Das vegetative Nervensystem besteht aus drei Teilen: dem enterischen, dem sympathischen und dem parasympathischen Nervensystem (vgl. Karr-Morse/Wiley 2015, S. 53 f.; vgl.Rüegg 2014, S. 54).
Das enterische Nervensystem verläuft von der Speiseröhre bis zum Anus und stoppt augenblicklich nach seiner Aktivierung die Weiterleitung von Energie an den Verdauungstrakt. Die Aktivität der am Verdauungsprozess beteiligten Organe wird vorübergehend eingestellt und der Schließmuskel zieht sich zusammen. Ferner wird das Fortpflanzungssystem gedrosselt. Darüber hinaus erteilt das enterische Nervensystem mithilfe von Nervenbahnen im Herzen, in der glatten Muskulatur und in den Drüsen dem Gehirn kontinuierlich Auskunft über die Vorgänge in den Eingeweiden, im Herzen und in den übrigen Organen. Somit ist das Gehirn stets über die aktuellen Geschehnisse im Körper informiert.
Parallel dazu aktiviert die Amygdala das sympathische Nervensystem, indem sie die Gene im Hypothalamus durch die Freisetzung von Glutamat über die gegenwärtige Gefahrensituation informiert und aktiviert (vgl. Karr-Morse/Wiley 2015, S. 53 f.; vgl. Bauer 2015, S. 240). Ferner kommuniziert die Amygdala nach dem Ergebnis der Situationsanalyse mit dem Hippocampus, dem Zentrum des deklarativen (bewussten, verbalen) Gedächtnisses, um die dort eingespeicherten emotionalen Erfahrungen zu aktualisieren, sodass sie zu einem späteren Zeitpunkt für neue Abgleiche genutzt werden können (vgl. Karr-Morse/Wiley 2013, S.52f.).
Wurden die Gene im Hypothalamus durch das freigesetzte Glutamat der Amygdala aktiviert, sendet der Hypothalamus zwei Botschaften aus: Die erste Botschaft wird vom Hypothalamus an die Nebennierenrinde gesendet, sodass diese mit der Produktion von Adrenalin beginnt, welches für die unverzügliche Stimulation des kardiovaskulären Systems und der Nervensysteme erforderlich ist. Sowohl das Herz als auch die Lunge und die großen Muskelgruppen von Armen und Beinen werden aktiviert: Herzschlag und Blutdruck steigen und versorgen die Muskeln mit Blut, sodass sowohl Kampf als auch Flucht möglich sind. Gleichzeitig erweitern sich die Bronchialwege, um die Sauerstoffversorgung zu optimieren. Die Blutgefäße hingegen verengen sich, um eventuell auftretende Blutungen zu verlangsamen. Die Drüsen wandeln Kohlenhydrate in energiespendenden Blutzucker um; die Pupillen weiten sich. Sogar das Immunsystem wird aktiviert. So heften sich weiße Blutkörperchen an die Wände der Blutgefäße, was ihnen den schnellen Transport an verletzte Körperstellen ermöglicht (vgl. Karr-Morse/Wiley 2013, S. 54; vgl. Rüegg 2014, S.76).
Durch die erste Botschaft des Hypothalamus werden also alle Abwehrmechanismen aktiviert, die an der so genannten Kampf-Flucht-Reaktion beteiligt sind (vgl. Karr-Morse/Wiley 2013, S.54).
Die zweite Botschaft des Hypothalamus reguliert die Aktivierung der Kampf-Flucht-Reaktion und trägt auf diese Weise dafür Sorge, dass der Körper auch anderen lebenswichtigen Aufgaben, wie z.B der Überprüfung des Organismus auf eine Infektion, nachkommen kann. Bei einer Daueraktivierung der Kampf-Flucht-Reaktion sind solche Tätigkeiten andernfalls gehemmt. Die Rückregulierung der Angstreaktion erfolgt mithilfe der sogenannten „Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse“ (engl. kurz HPA-Achse) (vgl. Karr-Morse/Wiley 2013, S. 42, S. 53 f.).
Die HPA-Achse ist ein wesentlicher biologischer Vermittler zwischen der Umgebung und dem menschlichen Organismus. Sie dient der Aufrechterhaltung bzw. Wiederherstellung der Homöostase (vgl. Schubert/Exenberger 2015, S. 117). Unter der Homöostase wird die gesundheitsschützende Ausgewogenheit unseres zentralen Nervensystems mit dem Immunsystem und dem Hormonsystem verstanden.
Durch ein System der wechselseitigen Regulation und des Austausches, der Aktivierung bzw. Deaktivierung lebenswichtiger chemischer Botenstoffe, versetzt die HPA-Achse den Körper in die Lage, auf eine wahrgenommene Gefahr zu reagieren und anschließend in den Zustand der Homöostase zurückzukehren (vgl. Karr-Morse/Wiley 2013, S. 41 f.).
Um dieser Aufgabe nachkommen zu können, ist die HPA-Achse mit verschiedenen Subsystemen des Körpers verbunden. Beispielhaft genannt werden können hier die Geschlechts- und Wachstumsorgane, die Schilddrüse und auch das Immunsystem. Gemeinsam bilden die Subsysteme das sogenannte Stresssystem, da sie alle bei Anpassungen des menschlichen Organismus an innere und äußere Veränderungen (also bei Stress), in ihrer Aktivität verändert werden (vgl. Schubert/Exenberger 2015, S. 117).
Durch das von der Amygdala ausgeschiedene Glutamat wurde in den Neuronen (Nervenzellen) des Hypothalamus das Corticoesteron-releasing-Hormon-Gen (CRH-Gen) aktiviert. Dieses führt nun zur Bildung von CRH. Anzumerken ist an dieser Stelle, dass die Herstellung des CRH nicht nur durch Stress oder Emotionen, sondern auch tagesrythmisch beeinflusst werden kann. Kurz vor dem Aufwachen ist die Bildung des CRH am intensivsten; am Abend am geringsten (sog. „zirkadianer Rhythmus“). Nach der Produktion des CRH, wird dieses in die Blutbahn abgegeben und erreicht innerhalb kürzester Zeit die Hirnanhangsdrüse, auch Hypophyse genannt. Durch das CRH wird die Hypophyse nun dazu angeregt, adrenocorticotropes Hormon (ACTH) auszuschütten (vgl. Karr-Morse/Wiley 2013, S.54; vgl. Bauer 2015, S.43; vgl. Rüegg 2014, S.76ff.). Wie das CRH ist auch das Hormon ACTH ein Peptid. Es wird in Schüben gepulst in die Blutbahn abgegeben und gelangt durch die Blutzirkulation bis in die Nebennierenrinde, wo es die Synthese von Cortisol stimuliert (vgl. Rüegg 2014, S. 78; vgl.Schubert/Schüssler 2015, S. 153).
Das Hormon Cortisol zählt wie Corticosteron, das Cortisoläquivalent bei Tieren, zu den Glucocorticoiden. Glucocorticoide sind Hormone, die in der Nebennierenrinde aus Cholesterin gebildet werden und den Glukosestoffwechsel beeinflussen. Das ACTH stimuliert die Synthese des Glucocorticoids Cortisol, indem es die Aufnahme von Cholesterin in die hormonproduzierenden Drüsenzellen der Nebennieren fördert und die Aktivität eines Enzyms erhöht, welches in den Zellen den ersten Schritt zur Biosynthese von Cortisol einleitet. Entsprechend erhöht das ACTH die Geschwindigkeit der Cortisolherstellung, abhängig von seiner eigenen Konzentration im Blut (vgl.Rüegg 2014, S. 80).
Cortisol ist in der Lage, die Wirkung des Adrenalins zu dämpfen, welches die Nebennieren durch die Stimulation des Hypothalamus (erste Botschaft) in der Stresssituation fortwährend produzieren. Cortisol ist ferner in der Lage, die zeitgleiche, ebenfalls stressbedingte, Erhöhung der Immunaktivität zu dämpfen. Cortisol hat also auch eine immunsuppressive Wirkung.
Durch seine Reaktion auf die akuten Stresssituationen wirkt Cortisol lebensrettend. Es gibt jedoch Erkrankungen, bei denen Cortisol infolge einer Über- oder Unterstimulierung dem Organismus auch Schaden zufügen kann. Eine Überproduktion bzw. ein Mangel an Cortisol können zu Aktivierungsstörungen, zu Beeinträchtigungen des Denkens und Fühlens sowie zu Funktionsstörungen des Immunsystems führen (vgl. Karr-Morse/Wiley 2013, S. 54). Beim gesunden Menschen wird eine gesundheitsschädliche Überproduktion von Cortisol durch einen spezifischen Rückkopplungsmechanismus vermieden: Wann immer der Blutspiegel des Hormons auf irreguläre Werte ansteigt, reagiert es verstärkt mit Cortisolrezeptoren an den Zellmembranen der ACTH-synthetisierenden Drüsenzellen der Hypophyse oder aber mit Cortisolrezeptoren auf den CRH-bildenden Neuronen des Hippocampus. Der Hippocampus dämpft daraufhin die Stressreaktion, indem er die Fortsetzung der CRH-Produktion hemmt und den weiteren Anstieg von Cortisol im Blut verhindert. Dieser Rückkopplungsmechanismus wird häufig auch als „Rückkopplungsschleife“ oder „Feedbackschleife“ bezeichnet (vgl.Rüegg 2014, S.78, S.83).
Der dritte Zweig des vegetativen Nervensystems, das parasympathische Nervensystem, wird aktiviert, sobald die Sinnesorgane registrieren, dass die Gefahr vorüber ist. Das parasympathische Nervensystem dämpft daraufhin die sympathischen Funktionen, die während der akuten Gefahrensituation aktiv waren. Dies geschieht jedoch auch in Reaktion auf die Cortisolausschüttung im Organismus. Die parasympathischen Nervenzellen verlangsamen durch die Freisetzung von Acetylcholin die Herzfrequenz. Ferner sorgen sie für die Erweiterung der Blutgefäße, die Senkung des Blutdrucks, die Kontraktion der Pupillen und des Verdauungsapparates. Darüber hinaus werden das Fortpflanzungssystem und der Urogenitaltrakt wieder stimuliert (vgl. Karr-Morse/Wiley 2013, S.55; vgl. Rüegg 2014, S.110f.). Indem der Parasympathikus den Blutdruck, die Herzfrequenz und den Energieverbrauch wieder senkt und den Organismus zurückversetzt in einen Zustand der Homöostase, schützt er ihn vor einer körperlichen, ggf. sogar lebensbedrohlichen, Überbeanspruchung. Die Aktivitäten von Sympathikus und Parasympathikus sind bei gesunden Menschen stets ausgewogen (vgl. Rüegg 2014, S. 56).
2.4 Immunologische Grundlagen
Evolutionär eingerichtet wurde das Immunsystem zur Erkennung und Entfernung von körperfremden Substanzen organischer oder anorganischer Herkunft aus dem Organismus, bevor diese Organschädigungen hervorrufen und den Organismus vielleicht sogar tödlich schädigen können (vgl. Malarkey/Tafur/Rutledge et. al. 2015, S.50).
Die Abwehr von in den Organismus eingedrungenen Fremdkörpern erfolgt in mehreren Stadien. Zunächst wird die angeborene Immunabwehr aktiviert. Diese reagiert auf das körperfremde Erbmaterial (DNA und RNA) der eingedrungenen Substanzen, indem es die Eindringlinge (z. B. Bakterien) mithilfe von Phagozyten (d. h. mithilfe von Makrophagen, dendritischen Zellen oder neutrophilen Granulozyten) attackiert. Das angeborene Immunsystem greift jedoch auch entartete Zellen (Tumorzellen) an und vernichtet sie.
Bei den Granulozyten handelt es sich um die zahlen- und funktionsmäßig wichtigsten Zellen des angeborenen Immunsystems. Granulozyten sind hochbeweglich. Durch Diapedese (Durchquerung der Blutgefäßwand) können sie die Blutbahn verlassen und im gesamten Organismus Bakterien durch Phagozytose (Aufnahme des extrazellulären Erregers in das Zellinnere) zerstören. Sie werden hierbei durch die eingedrungenen Fremdkörper chemotaktisch angelockt. Tumorzellen werden von den Granulozyten durch direkte Zytotoxizität vernichtet (vgl. Malarkey/Tafur/Rutledge et. al. 2015, S.55 f.; vgl. Rüegg 2014, S.103).
Es kann zwischen neutrophilen, basophilen und eosinophilen Granulozyten unterschieden werden. Neutrophile Granulozyten haben die Aufgabe, vor allem bakterielle Infektionen im Organismus aufzuspüren und die verantwortlichen Mikroorganismen zu phagozytieren. Nach der Phagozytose töten sie die Bakterien in intrazellulären Versikeln durch bakterizide Substanzen. Während das Aufgabengebiet der neutrophilen Granulozyten bereits gut untersucht worden ist, besteht hinsichtlich der Funktion basophiler und eosinophiler Granulozyten noch Forschungsbedarf. Die Hauptaufgabe der beiden Granulozytenformen scheint jedoch in der Abwehr wurmartiger Parasiten zu bestehen (vgl. Kruse 2015, S.5).
Makrophagen, eine andere Art der Phagozyten, werden in nahezu allen Geweben des menschlichen Körpers gefunden. Zu ihren Aufgaben gehört neben der Phagozytose die Präsentation von Antigenfragmenten und, nach entsprechender Stimulation, die Produktion von immunstimulierenden Interferonen, Zytokinen (insbes.Chemokine) und Komplementfaktoren (vgl. Malarkey/Tafur/Rutledge et. al. 2015, S.56).
Ergänzt wird die Immunantwort durch natürliche Killerzellen und dendritische Zellen. Dendritische Zellen arbeiten als Vermittler zwischen dem angeborenen und dem adaptiven (erworbenen) Immunsystem. Sie informieren sogenannte T-Lymphozyten über Ort, Art und Stärke einer Infektion und entscheiden, welche Immunantwort letztlich aufgebaut werden soll. Dendritische Zellen sind ebenso wie Makrophagen hochaktive Produzenten von Zytokinen, welche die Einwanderung weiterer Immunzellen in das infizierte Gewebe herbeiführen und sie dabei aktivieren (vgl. Kruse 2015, S.5).
Natürliche Killerzellen sind wiederum große Lymphozyten (weiße Blutkörperchen), welche sich auf die unspezifische Sofortabwehr von Viren und Krebszellen spezialisiert haben. Im Gegensatz zu den Lymphozyten der adaptiven Immunabwehr, verfügen die natürlichen Killerzellen, als Zellen des angeborenen Immunsystems, nicht über einen spezialisierten Rezeptor gegen ein Antigen. Sie haben stattdessen eine Vielzahl von Rezeptoren, die entweder zur Erkennung von Zielzellen (Tumor- oder virenbefallene Zellen) dienen oder aber die zytotoxischen Eigenschaften der Zellen aktivieren. Einige Rezeptoren wirken auch inhibierend, um intakte Zellen zu verschonen. Wurden die natürlichen Killerzellen durch die Bindung an eine Zielzelle aktiviert, perforieren sie mithilfe von Giftstoffen die Zellwände der (teils von Viren befallenen) Zellen, wodurch diese (ggf. mitsamt der innewohnenden Viren) absterben (vgl. Haase 2015, S.46; vgl.Rüegg 2014, S.103 f.; vgl.Malarkey/Tafur/Rutledge et. al. 2015, S.56).
Das angeborene Immunsystem besitzt kein Gedächtnis und ist genetisch weitgehend fixiert. Innerhalb weniger Stunden steht es für eine Abwehr körperfremder Mikroorganismen zur Verfügung. Da die Zellen des angeborenen Immunsystems über keine erregerspezifischen Rezeptoren verfügen, kann die angeborene Immunantwort jedoch nur stereotyp (unspezifisch) auf immer dieselben Strukturen reagieren. Das adaptive Immunsystem benötigt demgegenüber bis zu fünf Tage, um auf den Kontakt mit einem unbekannten Antigen angemessen zu reagieren (vgl. Malarkey/Tafur/Rutledge et. al. 2015, S.55 ff.). T- und B-Zellen sind nicht an der unspezifischen Sofortabwehr beteiligt. Als Zellen der adaptiven, von Antikörpern und Interleukinen gesteuerten Immunabwehr, beteiligen sie sich erst dann an der Abwehrreaktion, wenn das Immunsystem gelernt hat, die fremden Eiweißkörper (Antigene) zu erkennen und dagegen Antikörper zu bilden. Diese Immunabwehr wird also erst durch den Kontakt mit Antigenen erworben (vgl. Rüegg 2014, S.104). Dafür ist die adaptierte Immunantwort jedoch spezifisch für das Antigen und sie steigert ihre Spezifität sogar noch im weiteren Verlauf der Auseinandersetzung mit dem Antigen durch genetische Differenzierungsvorgänge an den Rezeptoren der B- bzw. T-Zellen. Darüber hinaus ist das erworbene Immunsystem in der Lage, bei einem erneuten Antigenkontakt, schneller zu reagieren, denn es entwickelt nach dem ersten Kontakt mit dem Antigen persistierende (überdauernde) Antikörper und immunologische Gedächtniszellen. Erkrankungen können infolge dessen bei einem wiederholten Antigenkontakt zuverlässiger abgemildert, wenn nicht gar verhindert werden (vgl.Malarkey/Tafur/Rutledge et. al. 2015, S.57 f.). Des Weiteren weist das adaptive Immunsystem eine genetische und epigenetische Variabilität auf (vgl. ebd., S.55).
Im Folgenden werden die Vorgänge im menschlichen Immunsystem leicht vereinfacht dargestellt.
Es beginnt im Knochenmark, wo sich aus hämatopoetischen Stammzellen 1 myeloide (knochenmarkartige) und lymphoide Vorläuferzellen entwickeln. Aus ihnen gehen wiederum zwei Zellreihen hervor: die myeloide Zellreihe und die lymphatische Zellreihe. Aus den Vorläuferzellen der myeloiden Zellreihe entwickeln sich die meisten Zellen des angeborenen Immunsystems: eosinophile, basophile und neutrophile Granulozyten, Mastzellen, dendritische Zellen und Monozyten, aus welchen sich in den Geweben Makrophagen entwickeln. T-Lymphozyten und B-Lymphozyten, natürliche Killerzellen und eine weitere Form der dendritischen Zellen sind wiederum die Zellenarten, welche aus der lymphoiden Zellreihe hervorgehen. Während nahezu alle anderen Immunzellen ihre Reifung im Knochenmark vollenden, wandern Vorläuferzellen der zukünftigen T-Zellen aus dem Knochenmark. Sie zirkulieren im Blut und begeben sich im Anschluss, angezogen von chemischen Lockstoffen, in den Thymus, ein lymphatisches Organ über dem Herzen und unter dem Brustbein gelegen (vgl. Kruse 2015, S.7; vgl.Malarkey/Tafur/Rutledge et. al. 2015, S.58).
Wie bereits angemerkt, sind T-Zellen ebenso wie B-Zellen an der adaptiven Immunantwort beteiligt. Als CD4+-T-Helferzellen fungieren T‑Lymphozyten proinflammatorisch (entzündungsfördernd in Form von TH1‑Zellen), antiinflammatorisch (entzündungshemmend in Form von TH2‑Zellen) oder regulierend als regulatorische Helferzellen. Als Letztgenannte steuern sie die Aktivierung von antigenpräsentierenden Zellen wie Makrophagen und B‑Lymphozyten. Als zytotoxische CD8+-T-Zellen überprüfen T-Lymphozyten darüber hinaus kernhaltige Körperzellen auf die Produktion von Fremdantigenen und treiben derartige Zellen in die Apoptose (den selbstinduzierten Zelltod).
Die T-Zellrezeptoren werden durch genetische Rekombination (Fachbegriff „somatische Rekombination“) auf das Vielfältigste gestaltet. Im Thymus wird darüber hinaus im Rahmen der Reifung der T-Lymphozyten geprüft, ob die T-Zellrezeptoren major histocompatibility complex -(MHC)‑Moleküle erkennen können (vgl. Malarkey/Tafur/Rutledge et. al. 2015, S.58). Können die T-Lymphozyten mithilfe ihres Rezeptors keine MHC‑Moleküle erkennen, sterben sie apoptotisch ab. Es überleben also nur solche T-Zellen, die an MHC-Moleküle binden können (positive Selektion) (vgl. Kruse 2015, S.9). Wichtig ist dies, da die T-Zellrezeptoren nur Antigene erkennen, die im MHC-I bzw. MHC-II präsentiert werden.
MHC-I-Moleküle sind auf allen kernhaltigen Körperzellen vorhanden, MHC-II-Moleküle nur auf antigenpräsentierenden Zellen (vgl. Malarkey/ Tafur/Rutledge et. al. 2015, S.58). Die MHC-I-Moleküle präsentieren Antigenfragmente (in der Regel Peptide), die im Zytosol (der Zellflüssigkeit) der Zellen auftreten. Das können Fragmente von Viren, im Zytoplasma (dem Zellinneren) lebende Bakterien oder Tumorantigene sein. Die MHC‑I‑Moleküle zeigen dem Immunsystem, ob eine Zelle infiziert ist oder nicht. Peptidfragmente, die in MHC-I-Moleküle eingebaut sind, werden zytotoxischen T‑Zellen präsentiert.
Die MHC-II-Moleküle kommen ausschließlich auf den antigenpräsentierenden Zellen vor. Das sind beispielsweise Makrophagen, dendritischen Zellen der lymphoiden Zellreihe und B-Zellen. Sie präsentieren Peptidfragmente von Substanzen, die sie aus der extrazellulären Flüssigkeit aufgenommen haben. Bei den Substanzen kann es sich um gealterte, ggf. abgestorbene körpereigene Zellen, aber auch um Bakterien, Viren, Gifte sowie Antigene von Würmern oder Tumorzellen handeln. MHC-II-Moleküle, welche ein Peptidfragment präsentieren, zeigen dem Immunsystem an, dass sich extrazelluläre Krankheitserreger im Körper befinden (vgl. Kruse 2015, S.7 f.).
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1 Die als Erythrozyten (rote Blutkörperchen) und Leukozyten (weiße Blutkörperchen) bezeichneten Immunzellen haben nur eine begrenzte Lebenszeit und müssen fortwährend neu gebildet werden. Diesen Prozess der Blutzellbildung bezeichnet man als Hämatopoese. Sie findet beim erwachsenen Menschen vorwiegend im Knochenmark statt (vgl. Kruse 2015, S.7).
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