Wie diese Arbeit zeigen wird, befindet sich die deutsche Bundeswehr auf dem Weg zu einer Interventionsarmee. Am Anfang stand die Veränderung der Strategie. Der Feind aus dem Osten war verschwunden und somit die primäre Aufgabe der Landesverteidigung. Stattdessen wurde die Krisenprävention in konfliktträchtigen Ländern als oberstes Ziel definiert. Dies wurde jedoch nicht alleine von Deutschland beschlossen, sondern durch die NATO vorgegeben. Der Veränderung der Strategie folgte die Veränderung der Struktur. Personal wurde massiv abgebaut und die Armee professionalisiert. Deutsche Interessen werden nun zunehmend im Ausland verteidigt und zwar weltweit. Die Bildung von Krisenreaktionskräften, die speziell für diese Aufgaben ausgebildet werden, bildet die wichtigste Maßnahme bei der Umgestaltung der Bundeswehr. Schließlich erfolgt eine moderne Neubewaffnung der Bundeswehr.
Durch geschickte Imagekampagnen wird diese Entwicklung von der Öffentlichkeit aber kaum wahrgenommen. Sukzessive erhöhen sich die Auslandseinsätze. Noch gelingt es der Regierung die Interventionen unter humanitären Gesichtspunkten zu verkaufen.
Durch die Aufgabenverschiebung kann die Bundesregierung die Armee für ihre politischen Zwecke nutzen. Vorrangig kann hier das Streben nach einem Sitz im Sicherheitsrat genannt werden. Aber auch die Aufrechterhaltung eines geregelten wirtschaftlichen Handelns wird als wichtig erachtet.
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
1. Einleitung
2. Strategiewechsel nach dem Kalten Krieg
2.1. Neudefinierung der NATO
2.2. Militärische Emanzipation Deutschlands
3. Neustrukturierung der Bundeswehr
3.1. Die Reform der Bundeswehr bis zum Jahre 2010
3.2. Transformation der Bundeswehr
3.3. Bewaffnung der Bundeswehr
4. Außenpolitische Interessen der Bundesrepublik Deutschland
5. Zusammenfassung
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Sicherheitspolitik im Meinungsbild der Bevölkerung
Abb. 2: Entwicklung des Bundeswehrpersonals
1. Einleitung
Mit dem Fall der Berliner Mauer 1989/90 und dem Ende des Kalten Krieges hat sich die Welt grundlegend verändert. Die Blockkonfrontation hat sich aufgelöst und die ehemaligen Feinde leben heutzutage weitgehend friedlich nebeneinander. Die durch die Globalisierung entstandenen wirtschaftlichen Verflechtungen der Länder untereinander haben die Gefahr der Kriegserklärung eines Landes durch ein anderes stark vermindert. Doch nicht erst der 11. September 2001 mit den Anschlägen in New York und Washington hat der Welt vor Augen geführt, dass heute andere Gefahren den Weltfrieden bedrohen. Internationaler Terrorismus, ethnische und/oder religiöse Konflikte, Proliferation von Massenvernichtungswaffen, Migration und organisierte Kriminalität, um nur einige zu nennen, sind die Herausforderungen, denen sich die Welt am Anfang des neuen Jahrtausend gegenübersieht.
Auch die Bundesrepublik Deutschland wird als Mitglied der Europäischen Union (EU), der Northern Atlantic Treaty Organisation (NATO), der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und der United Nations Organization (UNO) seinen Beitrag leisten, um das Ausmaß der oben genannten Gefahren so gering wie möglich zu halten. Doch wie wird Deutschland den neuen Herausforderungen begegnen? Wie der jüngste Irakkrieg oder auch die Verhandlungen mit dem Iran über den Stopp seines Atomwaffenprogramms zeigen, setzen die Europäer, und insbesondere die Deutschen, auf den Dialog. Während die USA im Irak auf eine militärische Lösung drängten und auch im Falle des Irans schon wieder militärische Töne verlauten lassen, setzt die europäische Delegation auf Gespräche und Verhandlungen (Der Spiegel 4/2005: 10ff).
Mit dem Einsatz deutscher Soldaten ist nach dem Zweiten Weltkrieg nie gedroht worden. Wird das auch in Zukunft so bleiben? Werden deutsche Soldaten aktiv ins Kampfgeschehen eingreifen, dabei Menschen töten und möglicherweise selber Verluste zu beklagen haben? Ein zentraler Satz in den Koalitionsvereinbarungen zwischen der SPD und dem Bündnis90/Grüne lautet: „Deutsche Außenpolitik ist Friedenspolitik.“ (Koalitionsvertrag SPD Bündnis90/Grüne 1998). Dies impliziert, dass die Bundeswehr in naher Zukunft keine derartigen militärischen Einsätze führen wird.
Die vorliegende Hausarbeit soll aufzeigen, dass dies zumindest angezweifelt werden darf. Die Bundeswehr vollzieht seit ca. 15 Jahren, nahezu unbemerkt von der Öffentlichkeit, einen Paradigmenwechsel. Für die deutsche Bevölkerung war es immer eine Selbstverständlichkeit, dass deutsche Soldaten nach dem Zweiten Weltkrieg an keinen Auslandseinsätzen teilnehmen werden. Noch immer sind die Grauen des Dritten Reiches allgegenwärtig. Die Aufgabe der Bundeswehr besteht für sie in der Landesverteidigung. Dies bedeutet, dass deutsche Grenzen gegen konventioneller Angriffe geschützt werden. Das Grundgesetz äußert sich hierzu klar und deutlich. Doch im Rahmen internationaler Organisationen, in denen Deutschland eine gewichtige Rolle einnimmt, beginnt die Bundeswehr sich zu reformieren. In den Medien drückt sich die Emanzipation hauptsächlich durch die Schießung von Standorten und die wirtschaftlichen Konsequenzen im Zuge der Truppenreduzierung aus (Der Spiegel 45/04: 22ff). Aber dies ist nur ein kleiner Mosaikstein.
Beginnen wird diese Arbeit mit der Darstellung der neuen Rolle der NATO nach dem Wegfall der Blockkonstellation. Die deutsche Armee als Bündnispartner vollzieht sich in diesem Kontext einem Wandel, wie auch die übrigen Mitglieder. Die Neuausrichtung der Bundeswehr der vergangenen Jahre bis zum Jahre 2010 wird in diesem Zusammenhang näher untersucht. Dazu gehört die Strategie, die Struktur, die militärische Ausstattung wie auch die neuen Anforderungen an den einzelnen Soldaten.
Des Weiteren wird gezeigt, wie die Modernisierung und Neuausrichtung der Bundeswehr zu mehr Engagement im Ausland führen wird. Die Bundesregierung benutzt die deutsche Armee praktisch als verlängerten Arm ihrer wirtschaftlichen und außenpolitischen Interessen. Eine Zusammenfassung und ein Ausblick bilden den Schlussteil.
Stützen werden sich die Ausführungen auf die idealistische Sichtweise. Es ist nicht notwendig, dass deutsche Soldaten Aufgaben im Ausland übernehmen, vor allem keine militärischen Aufgaben. Im Gegenteil sollten Abrüstung und Entmilitarisierung die Ziele der Bundesregierung sein.
2. Strategiewechsel nach dem Kalten Krieg
2.1. Neudefinierung der NATO
Mit Ende des Kalten Krieges haben sich der Ost- und der Westblock aufgelöst. Den Warschauer Pakt gibt es nicht mehr und so steht die NATO nun ohne Gegner da. Kritiker sagten schon das Ende der NATO voraus. Daher ist die Flexibilität und der Überlebenswille der NATO beachtlich (Varwick/Woyke 2000: 13). Auf dem NATO-Gipfeltreffen 1990 on London, 1991 in Rom, über den Gipfel 1999 in Washington und zuletzt 2002 in Prag hat die NATO ihr Aufgabengebiet und somit ihre Existenzberechtigung neu definiert. War die Hauptaufgabe ehemals Abschreckung der Gegner und spiegelte somit eine eher defensive Grundeinstellung wider, so bringen die aktuell veränderten Geschehnisse in der Welt andere Prioritäten mit sich. Zum einen versteht sich die NATO zunehmend als politischer Zusammenschluss, der auch den Kontakt mit Nicht-Bündnispartnern sucht und seine Zusammenarbeit mit der UNO vorantreibt. Die NATO hat beispielsweise beschlossen, der UNO, der UNO Zugriff auf ihre Truppen zu gestatten. Zum anderen sieht das Bündnis nun Krisen- und Konfliktbewältigung als seine wichtigsten Aufgaben an (Ebd.: 92). Krisenbewältigung hat dabei einen eher aktiven Charakter. Das Eingreifen in fremde Länder wird somit nicht nur nicht ausgeschlossen, sondern indirekt schon ‚angekündigt’. Zu diesem Zweck wurden am 7./8. November 1991 in Rom und im Juni 1996 auf der Berliner NATO-Ministerratstagung zwei wichtige Änderungen der bisherigen Strategie vereinbart. Erstens wurde eine Umstrukturierung der Streitkräfte beschlossen. Die Einteilung erfolgte in Hauptverteidigungskräfte (Main Defence Forces /MDF), Ergänzungskräfte (Augmentation Forces / AF) und Krisenreaktionskräfte (Intermediate and Rapid Reaction Forces / RF) (Ebd.: 83).
Die Bildung der Krisenreaktionskräfte bildete die wichtigste Maßnahme im Kampf gegen die neuen Herausforderungen. Sie beinhaltet Elemente des Heeres, der Luftwaffe und der Marine. Die militärische Ausbildung wird hochwertiger sein als zuvor, ebenso die militärische Ausrüstung. Die Truppen werden besonders flexibel und mobil und innerhalb weniger Tage einsatzbereit sein (Ebd.: 83). Götz Neuneck bemerkt hierzu, dass für „rein friedenserhaltende Maßnahmen (...) die Eingreiftruppen jedoch eindeutig überdimensioniert [sind]. Es liegt die Vermutung nahe, daß die reaktiven multinationalen Kontingente eher für Kampfeinsätze außerhalb des NATO-Gebietes geeignet und bemessen sind.“ (Neuneck 1993: 92).
Weitere Schritte sehen eine Reduzierung der Armeeumfänge vor und eine generelle Umstellung auf Multinationalität (Varwick/Woyek 2000: 83).
Zweitens wurde in Berlin die Vereinbarung getroffen, das Konzept der Alliierten Streitkräftekommandos (Combined Joint Task Forces / CJTF) einzuführen, „... bei dem trennbare, jedoch nicht getrennte militärische Fähigkeiten geschaffen werden sollen, die sowohl durch die NATO als auch durch die Westeuropäische Union genutzt werden können.“ (Varwick 1999: 77). Für die Bundeswehr bedeutet dies mehr Einsätze, da sie in verschiedenen Organisationen eingesetzt werden kann.
Anhand dieses Konzeptes wird auch deutlich, dass der Trend zur Modularisierung geht. Verbände und Organisationsstrukturen werden standardisiert. Truppenteile können somit nach dem Baukasten-Prinzip ausgetauscht und ersetzt werden und zwar multinational (Haltiner/Klein 2002: 10).
Dabei ist das Konzept, zukünftig verstärkt in multinationalen Verbänden zu agieren, nicht neu. Gerade Einsätze im Rahmen von UNO-Missionen sind schon seit einiger Zeit durch Soldaten aus verschiedenen Ländern geprägt. Das Novum besteht in der gemeinsamen militärischen Führungs- und Organisationsstruktur (Borkenhagen 1997: 191f).
Auslöser der Reformanstrengungen der Bundeswehr war also ein Strategiewechsel der NATO und keine eigenmächtige Entscheidung. Als Konsequenz ergibt sich, dass die Armeen der Mitgliedsländer homogen gestaltet werden und die verschiedenen Organisationen sich im Bedarfsfall, der Zustimmung der Länder vorbehalten, die benötigten Truppen zusammenstellen können.
2.2. Militärische Emanzipation Deutschlands
Die Bundesrepublik Deutschland ist integrativer Bestandteil der NATO. Mit den Beschlüssen auf den NATO-Gipfeln wird also auch Deutschland verpflichtet den Vereinbarungen nachzukommen.
Bereits im Februar 1992 begann die damalige Regierung unter Kanzler Helmut Kohl die Richtlinien der NATO-Beschlüsse umzusetzen. Heraus kam ein Papier mit dem Namen ‚ Militärpolitische und Militärstrategische Grundlagen und konzeptionelle Grundrichtung der Neugestaltung der Bundeswehr’. In der Öffentlichkeit fand das Papier Einzug unter dem Namen Stoltenberg-Papier. Dieses Papier definiert neue deutsche Sicherheitsinteressen und mündete schließlich im November 1992 in den Verteidigungspolitischen Richtlinien (VPR), vorgelegt vom damaligen Verteidigungsminister Volker Rühe (Pflüger 1997: 13f).
Die VPR dienen als Grundlage für die neuen strategischen Ausrichtungen der Bundeswehr. Wichtigste Leitlinien in diesem Papier waren die folgenden Punkte: „Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt im Rahmen einer gerechten Weltwirtschaftsordnung.“ (BMVg 1992: Punkt 8). Interessant hierbei ist, dass wirtschaftliche Interessen erstmals in den Vordergrund gerückt werden. Lühr Henken bringt diese Richtlinie auf den Punkt: „Deutsches Militär soll für deutsche Wirtschaftsinteressen eingesetzt werden.“ (Henken 2000: 116). Weiter heißt es: „Einflussnahme auf die internationalen Institutionen und Prozesse im Sinne unserer Interessen und gegründet auf unsere Wirtschaftskraft, unseren militärischen Beitrag und vor allem unsere Glaubwürdigkeit als stabile, handlungsfähige Demokratie.“ (BMVg 1992: Punkt 8). Mit der Einflussnahme auf internationale Organisationen ist der Wunsch nach einem ständigen Sitz im UNO-Sicherheitsrat gemeint. Weiter unten wird darauf noch eingegangen. Und bereits 1992 wird das erste Mal erwähnt, dass sich „... Sicherheitspolitik weder inhaltlich noch geographisch eingrenzen [lässt]“ (Ebd.: Punkt 24). Diese in der Öffentlichkeit kaum diskutierten Aspekte gaben erste Hinweise, in welche Richtung die Bundeswehr steuern wird. Parallel zum Paradigmenwechsel in der NATO vollzieht sich also auch in der Bundesrepublik nahezu unbemerkt eine Aufgabenverschiebung der Bundeswehr. War nach dem Zweiten Weltkrieg vorgesehen, dass sich die deutsche Armee ausschließlich auf die Verteidigung des Landes zu konzentrieren hat, wird mit oben genannten Punkten erstmals deutlich, dass die Bundeswehr auch verstärkt außerhalb der Landesgrenzen zum Einsatz kommen kann und wird.
Sicherlich gab es schon Auslandseinsätze der Bundeswehr vor 1992, beispielsweise 1990 beim Golfkrieg, als Minensuchboote im Persischen Golf im Einsatz waren (Clement 2004: 40) oder als von April bis Juni 1991 deutsche Soldaten im Rahmen der Aktion „Kurdenhilfe“ nach dem Ende des Golfkrieges Hilfsgüter sowie Ärzteteams in die Krisenregion brachten (Borkenhagen 1997: 195). Doch diese Einsätze waren defensiver Natur. Deutsche Soldaten nahmen nicht aktiv an den Kampfhandlungen teil, sondern waren eher unterstützend und Hilfe leistend an der Peripherie der Kriegsgeschehnisse tätig. Daher auch der Ruf der Deutschen, sie würden eine ‚Scheckbuch-Diplomatie’ betreiben (Meyer 2004: 3).
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- Quote paper
- Florian Buntin (Author), 2005, Von der Bundeswehr zur Interventionsarmee, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/50306
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