Thomas Manns Ironie ist mehr ist als ein poetisches Werkzeug, mehr als eine poetologische Kategorie; sie ist ein spezifisches Weltverhältnis, das mit Manns politischen und moralischen Überzeugungen korreliert und sich unweigerlich niederschlägt in seinen Texten, die immer auch Reflexionen über seine eigene Person sind. Die Arbeit untersucht die polyphone Ironie in der Erzählung "Wälsungenblut" - vornehmlich an der Darstellung der berühmten Walküre-Szene.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Ironisierende Stilfiguren
3. Rollenbewußtsein und Illusionismus
4. Die Rolle des Erzählers
4.1. Kommentieren
4.2. Manipulieren
4.3. Kommunizieren
5. Exkurs: Überlegungen zur Mehrdeutigkeit
6. Ironisierende Wagner-Bezüge
6.1. Archaismen
6.2. Exkurs: Ironie in den Tropen
6.3. Das „germanische“ Moment
7. Adjektive
8. Das Ironische im Allgemeinen und bei Superlativen
9. Schlußwort
10. Bibliographie
1. Einleitung
Im Jahr 1934 schreibt Thomas Mann in seiner kurzen Schrift Noch einmal Wälsungenblut (über sich selbst in der dritten Person sprechend): „Die in guter Laune aus dem vollen geschöpfte Wagner-Aufführung, so findet er noch heute, hat es in sich.“ (GW XIII,34) Gemeint ist jener Erzählabschnitt in seiner 1905 entstandenen Novelle Wälsungenblut, der den Opernbesuch des Protagonistenpaares Siegmund und Sieglinde Aarenhold beschreibt, welcher Wagners Ring-Oper[1]Die Walküre gilt. Es stellt sich die Frage, wie Thomas Manns Äußerung genau zu verstehen ist, ob er, aus der Distanz von nunmehr fast 30 Jahren seit der Niederschrift, mit der Novelle als ganzer nichts mehr anzufangen wußte, oder ob andere Gründe dahinter stecken? Zwei Überlegungen scheinen mir von Belang: Zum einen sind es vielleicht die vielen humoristischen Elemente der Walküre -Travestie, die maßgeblich sind für Thomas Manns verhaltene Liebesbekundung an gerade diesen Textabschnitt (der noch dazu eine unmittelbare literarische Auseinandersetzung mit der Textdichtung, dem musikdramatischen Schaffen Richard Wagners und seinen Wirkungen bedeutet). Denn im Laufe von Thomas Manns langem Schriftstellerleben verschiebt sich sein persönlicher Geschmack, was die intendierte Wirkung seiner Werke betrifft, von der beißenden Ironie des Frühwerks immer mehr in Richtung Humor und einer versöhnlichen Ironie, wiewohl von Anfang an beide Phänomene in seiner literarischen Produktion zu finden sind.[2] Zum anderen sind die Äußerungen Thomas Manns zu Wälsungenblut über die Jahre hinweg durchwegs defensiv, was nicht zuletzt in der turbulenten Vorgeschichte der Novelle begründet liegen mag. Die brisante Thematisierung von Wagnerismus und Rassenbewußtsein war schon vor Veröffentlichung der Novelle bekannt geworden und hatte zu heftigen Turbulenzen in der Münchner Gesellschaft geführt, zumal man in der angeblich „antisemitischen“ Novelle die großbürgerliche jüdische Familie seiner Frau, Katja Pringsheim, kompromittiert sah. Das nötigte Thomas Mann zum Rückzug des Werks, das ursprünglich in der Jänner-Ausgabe der „Neuen Rundschau“ (1906) erscheinen sollte und das dann erstmals im Jahr 1921 in einem limitierten Privatdruck publiziert wurde. (vgl. Seitz 1981: 137-153) Dreißig Jahre später, nachdem die Wellen, die der Skandal geschlagen hatte, längst verebbt waren, schien es ihm dann womöglich legitim, die Stärken der Novelle herauszustreichen.
Mit eben dieser Novelle, mit Wälsungenblut, werde ich mich im folgenden beschäftigen, wobei mich an dieser Erzählung insbesondere ihre vielschichtige Ironie interessiert. Ironie bei Thomas Mann ist ein höchst komplexes Phänomen, sie ausschließlich als „das eine sagen und das Gegenteil meinen“, als Verstellung zu definieren, deren Sinn eindeutig ist wie in der klassischen Rhetorik, greift in Hinblick auf den „ironische[n] Deutsche[n]“ (E. Heller, 1959; zit. nach Koopmann 1990: 845) zu kurz.[3] Seine Ironie ist die Reaktion auf eine vielschichtige und komplex erfahrene Wirklichkeit, die ihm ihrerseits ermöglicht, Wirklichkeit darzustellen als eine komplexe Formation, als „das unentschiedene und gleichzeitige Neben- und Übereinander von Verschiedenem“. (Karthaus 1994: 86) Wir sehen also: Thomas Manns Ironie ist mehr ist als ein poetisches Werkzeug, mehr als eine poetologische Kategorie; sie ist ein spezifisches Weltverhältnis[4], das mit Manns politischen und moralischen Überzeugungen korreliert (vgl. Betrachtungen eines Unpolitischen, Kapitel Ironie und Radikalismus) und sich unweigerlich niederschlägt in seinen Texten, die immer auch Reflexionen über seine eigene Person sind. Thomas Mann hat, angeregt durch Nietzsches Theorem von der „doppelten Optik“, die Ironie wiederholt als schwebende „Mitte“ zwischen den Extremen, zwischen Geist und Leben definiert.[5] Doch weist Kurzke (1985: 167-168) ganz richtig darauf hin, daß eine solche Bestimmung zu kurz greift: „Geist und Leben stehen nicht auf der gleichen begrifflichen Ebene. Es kann keine Mitte zwischen ihnen geben, so wenig es eine Mitte zwischen Methode und Ziel, zwischen Form und Inhalt, zwischen Sein und Meinen geben kann.“[6] (168) Weiters bemerkt Kurzke, daß das Kapitel Ironie und Radikalismus nicht von der „Mitte“, „von Souveränität und Überlegenheit, sondern von Selbstverrat, Unmoral, Erotik und Konservativismus“ (168) spricht. Wälsungenblut ist nun, wie alle Dichtungen Thomas Manns (die er auch „Musik“ oder „Partituren“ nennt), aus einer solchen ironischen Haltung heraus geschrieben und weist eine polyphone Ironie auf, die im konkreten Text verankert ist und also linguistisch untersucht werden kann. Bei der Untersuchung der Konstitution der Ironie erscheint es mir sinnvoll, zunächst „ganz unten“, d.h. auf der lexematischen Ebene anzusetzen, und erst in weiterer Folge und unter Einbeziehung diverser Kontexte die wie immer gearteten thematischen Schwerpunkte und Angriffslinien zu erschließen. Der Versuch, am konkreten Sprachmaterial ironische Oppositionen, lexematische Erwartungswidrigkeiten und sprachlich-stilistische Inkongruenzen festzumachen und in Hinblick auf eine „ironisch-normative Zielaussage“[7] bzw. auf ironisch-normative Aussagen des Textes zu bestimmen, erweist sich – so hoffe ich – als adäquate Analyse-Methode, um sich dem Phänomen der Ironie in Wälsungenblut anzunähern.[8] Denn es sind die (sprachlichen) Einzelheiten im Werk Thomas Manns (Namen, Wortprägungen, Redewendungen, Zitate, Landschaften, Gebärden, Einzelmotive, Motivgeflechte etc.), die, wie Walter Weiss in seinem Aufsatz über „Thomas Manns Kunst der sprachlichen und thematischen Integration“ darlegt, zwar selbständig bedeutend sind, immer aber auch in Hinblick auf das „geistige Themengewebe“ betrachtet werden müssen. Die Funktionalisierung des Einzelnen, seine „kompositionelle Deutungsfähigkeit“, sein Funktionswert, seine Durchsichtigkeit auf die Grundthemen und Grundmotive, auf das „Beziehungszentrum“ hin ist entscheidend. (cf. Weiss 1964: 52, 73)
Ich werde mich auf jene Seiten in Wälsungenblut konzentrieren, die den Opernbesuch (Die Walküre) des Protagonisten-Paares Siegmund und Sieglinde Aarenhold behandeln [319-325: s. A.]. Von diesem Textausschnitt ausgehend, möchte ich die Novelle interpretieren und dabei Wagners Walküre immer wieder komparatistisch hinzuziehen. Denn das Musikerlebnis, der gemeinsame Opernbesuch, bildet eine in sich abgeschlossene Einheit (auch wenn es im weiteren Verlauf der Erzählung schwerwiegende Folgen zeitigt) und liefert ein wenig bekanntes Beispiel für die ironische Behandlung, die Thomas Mann dem Werk Wagners und den Wagnerianern zuweilen angedeihen läßt. Seine Ironie hat hier nichts mit Sarkasmen und Zynismen gemeinsam, wie sie etwa Nietzsche im Fall Wagner praktiziert, sondern ist intellektuelle Reflexion und rationale Distanz im frühromantischen Sinn. Im Fall Wagner findet sich die Aufforderung, den mythischen Gehalt der Opern Richard Wagners zu travestieren.[9] Mit einer bürgerlichen Kontrafraktur zum 1. Akt der Walküre haben wir es in Wälsungenblut zu tun, einer „Geschichte zweier Luxuswesen, jüdischer Zwillinge des überfeinerten Berliner Westens [...], deren üppig-spöttisches Einsamkeitspathos sich den Ur-Inzest von Wagners Wälsungen-Geschwisterpaar zum Muster nimmt.“ (Thomas Mann, Noch einmal ´Wälsungenblut´; GW XIII,34)
2. Ironisierende Stilfiguren
Der erste Absatz [s. Anhang: S 319] behandelt die Eingangsszene der Walküre. Einige Andeutungen („Sturm, Sturm...“) genügen, um dem Leser Ort und Geschehen der Handlung in Erinnerung zu rufen. Anders als heute muß davon ausgegangen werden, daß zur Entstehungszeit der Novelle Wagners musikalische Dramen, und darum auch die Walküre, einem breiten Theaterpublikum und einem großen Teil der Leserschaft bekannt waren; zumal in Übereinstimmung mit der Décadence die Wagner-Schwärmerei, der sogenannte Wagnerismus, zur seelischen Grundbefindlichkeit der Epoche gehörte. Doch auch weniger eingefleischte Wagnerianer können der Opern-Handlung folgen, die Thomas Mann chronologisch wiedergibt und unter Einbeziehung der Wagnerschen Regieanweisungen „verwertet“, indem er sie für seine Zwecke interpretiert und ergänzt. Der emphatische Einstieg mit der Iteratio „Sturm, Sturm...“ bezieht sich auf Wagners einstimmende Worte in der Regieanweisung der Walküre: „Ein kurzes Orchestervorspiel von heftiger, stürmischer Bewegung, leitet ein. [...] Starkes Gewitter, im Begriff sich zu legen.“ (1997: 7) Bei Thomas Mann heißt es weiter: „Sturm und Gewitterbrunst, Wetterwüten im Walde.“ Bezeichnend hier das Kompositum „Gewitterbrunst“, das wir als ein Beispiel für Thomas Manns Stilmittel der ironischen Brechung durch Genauigkeit der Beschreibung werten dürfen. [vgl. „brotfarben“ und „kanariengelb“, S 20][10] Auffällig ist der Klangwert des obigen Zitates: Stabreim und Assonanz (4x „w“) schaffen ein düsteres Lautgewebe und nehmen wortspielerisch[11] den Wagnerschen Sprachduktus aufs Korn. Ein weiteres Beispiel für einen solchen parodistischen Seitenhieb auf Lautebene folgt einige Zeilen später: „Seine [Siegmunds] b lauen Augen unter den b londen B rauen, dem b londen Stirngelock seiner Perücke, waren ge b rochenen B licks, wie b ittend, auf den Kapellmeister gerichtet.“ Und am Beginn des nächsten Absatzes: „Eine Minute verging, ausgefüllt von dem s ingenden, s agenden, kündenden F luß der Musik, die zu den F üßen der Ereignisse ihre F lut dahinwälzte...“.[12] Eine musische Qualität, ein „melodisches Fließen“ zeichnet diesen Satz zusätzlich aus und bringt auf formaler Ebene Inhaltliches zum Ausdruck. Thomas Manns musikalische Meisterschaft ist unbestritten; sie zeigt sich exemplarisch am Rhythmus des Satzes: „Wotans Zorn, fürchterlich herannahend, fegte die Schwestern hinweg, stürzte sich allein auf Brünnhilde, machte sie fast zunichte, tobte sich aus und besänftigte sich langsam, langsam zu Milde und Wehmut.“ (324)[13] Der Satz beginnt bewegt, steigert sich stürmisch und fällt im Schlußteil sodann in ein breites Legato. Verbunden mit der Rhythmusbeschleunigung ist eine progressive Stimmhebung, die im Wort „aus“ gipfelt; nach einer Zäsur, vor der Konjunktion „und“, sinkt die Tonkurve gegen das Satzende hin wieder herunter. Dieses Können, diese Meisterschaft meint Oskar Seidlin, wenn er von der „völlige[n] Übereinstimmung von Sinn und Ausdruck, jene[m] völlige[n] Zusammenfallen von Sprachgebung und Bedeuten (und das ist ja Stil)“ spricht, das „die unvergleichliche Größe und den einmaligen Zauber des Thomas Mannschen Werkes“ ausmache. (1963: 153)[14] In Augenblicken besonderer Erregung setzt Thomas Mann Polysyndeta ein, etwa wenn Sieglinde „außer sich“ (322) und im aufgeregten katalektischen daktylischen Vierheber singt, daß Siegmund es sei, den sie „meine und kenne und gramvoll ersehne“ (322), oder wenn sich die Walküren am Beginn des 3. Aktes unter „Sturmwind und Wolkenritt und heidnisch verzerrte[m] Jauchzen“ versammeln (324). Asyndetisches Sprechen begegnet uns in den Phrasen „umtänzelt, umzüngelt, umzaubert (von dem berauschenden Klingklang und Schlummerlied des Feuers)“ (324), „singende[r], sagende[r], kündende[r] Fluß der Musik“ (319) und „tosende[r], brausende[r], schäumende[r] Wirbel reißender Leidenschaft“ (322); es bewirkt mit Hilfe von Pausen vor und hinter den Worten nachdrückliche Hervorhebung, aber auch lebhafte Beschleunigung. Die „tausend Leute“ (323) im Publikum können als Hyperbel gelesen werden, und Siegmunds Äußerung: „´Das ist mir nicht vollständig unbekannt´“ (321) erfolgt in Form einer Litotes; er macht sie während der Opernaufführung, in Reaktion auf seine Schwester, deren Aussage „´Sie kommt gleich wieder zurück zu ihm´“ eine völlig überflüssige Information für ihn, Siegmund Aarenhold, darstellt, der sich über den Fortgang der Handlung im klaren ist. Insofern müssen die Worte seiner Schwester anders motiviert sein, z.B. als sie Sieglinde ermöglichen, mit dem geliebten Bruder in Kontakt zu treten. Siegmunds Erwiderung: „Das ist mir nicht vollständig unbekannt“ liefert uns ein charakteristisches Beispiel für den preziösen Umgangston der Zwillinge, die untereinander eine Konversation von künstlicher Distanziertheit pflegen.[15] Das Prinzip des Stabreims zieht sich durch den ganzen Text: „blasend geblähte Backen“ (323), oder: Töne, die „weich und warm aus ihrem weißen Kehlkopf emporstiegen (und die sie mit der Zunge, dem beweglichen Munde, gestaltete...)“ (319). Nicht übersehen werden dürfen die drei Punkte am Ende des letztzitierten Satzes und vieler weiterer Sätze der Novelle. Denn mit den Satzgrenzen sind keineswegs die gedanklichen Grenzen markiert, im Gegenteil: Das Ausgesparte, die Leerstellen machen Ahnungen Platz, die im Vergleich mit der bekannten Vorlage, Wagners Walküre- Dichtung, Gestalt annehmen, das eben Vernommene wird mit individuell verfügbaren Wissensbeständen ergänzt, der Bewußtseinsstrom durchbricht die lineare Zeitregie, die die Erzählung strukturiert... Dabei bewegen wir uns aber in einem höchst hypothetischen Bereich, über den nichts weiter ausgesagt werden kann.
[...]
[1] Der Einfachheit halber bleibe ich bei „Oper“, wenngleich Wagner seine Werke als „musikalische Dramen“ verstanden und benannt wissen wollte.
[2] Vgl. z.B.: „Ironie, wie mir scheint, ist der Kunstgeist, der dem Leser oder Lauscher ein Lächeln, ein intellektuelles Lächeln [...] entlockt, während der Humor das herzaufquellende Lachen zeitigt, das ich als Wirkung der Kunst persönlich höher schätze und als Wirkung meiner eigenen Produktion mit mehr Freude begrüße als das erasmische Lächeln, das durch die Ironie erzeugt wird.“ Thomas Mann im Beitrag zu einer Rundfunkdiskussion (1953); GW XIII,303.
[3] „[...] eine Ironie, die ´keinen Augenblick mißverständlich´ ist, - was wäre das denn für eine Ironie, frage ich in Gottes Namen, wenn ich schon mitreden soll?“ Hans Castorp, Der Zauberberg (2000: 307)
[4] Zur Ironie als einem spezifischen Weltverhältnis vgl. Settembrini im Gespräch mit Hans Castorp (Der Zauberberg, Kapitel Freiheit): „Ach ja, die Ironie! Hüten Sie sich vor der hier gediehenen Ironie, Ingenieur! Hüten Sie sich überhaupt vor dieser geistigen Haltung! Wo sie nicht ein gerades und klassisches Mittel der Redekunst ist, dem gesunden Sinn keinen Augenblick mißverständlich, da wird sie zur Liederlichkeit, zum Hindernis der Zivilisation, zur unsauberen Liebelei mit dem Stillstand, dem Ungeist, dem Laster. Da die Atmosphäre, in der wir leben, dem Gedeihen dieses Sumpfgewächses offenbar sehr günstig ist, darf ich hoffen und muß fürchten, daß sie mich verstehen.“ (2000: 306)
[5] Z.B.: „Da aber Kunst nicht radikal sein kann, so wäre sie also ironisch? Sicher ist, daß ihre Mittel- und Mittlerstellung zwischen Geist und Leben ihr das Ironische zu einem sehr heimatlichen Elemente macht, und wenn ich nicht sage, daß Kunst immer ironisch sein müsse, so nenne ich Ironie doch, im Gegensatz zum Radikalismus, ein künstlerisches Element; denn der Geist wird in ihr konservativ und erotisch, während er in jenem nihilistisch und selbstsüchtig bleibt.“ (1988: 564-565) Das Prinzip der Ideologiefreiheit als das „Pathos der Mitte“ (Thomas Mann; zit. nach Karthaus 1994: 89), als Ironie, ist immer wieder in Manns essayistischem und ästhetischem Werk anzutreffen. Eine besonders eindrückliche Konkretisierung erfährt es in der Gestalt Hans Castorps (Der Zauberberg), der in seiner Unentschiedenheit zwischen den Extremen Naphta und Settembrini steht, die sich aufgrund ihrer Radikalität letztlich selbst vernichten.
[6] Vgl. Kierkegaards Ausführungen zur Ironie, die Thomas Mann wohl gekannt hat und die für die Triftigkeit von Kurzkes Behauptung bürgen könnten: „Die Ironie ist als das Negative der Weg, - nicht die Wahrheit sondern der Weg. Jeder, der da ein Ergebnis als solches besitzt, besitzt es gerade nicht; denn er hat den Weg nicht.“ (1991: 332)
[7] „Ironie [ist] immer bewertender Natur. Gleiches gilt für Normen. [...] Mit normativen Zielaussagen ´werden Handlungen, Personen oder Ereignisse getadelt, beschworen oder zurückgewiesen´. Mit normativen Zielaussagen wird also etwas bewertet oder gutgeheißen. Faktive Zielaussagen betreffen ´die Frage nach der Existenz eines Sachverhalts´.“ (Kohvakka 1997: 64-65)
[8] Ich bin mir bewußt, daß auch solche Texte, in denen keine besonderen sprachlich-stilistischen Merkmale zu finden sind, als ironisch interpretiert werden können; dann nämlich, wenn außersprachliche Wissensbestände (enzyklopädisches Wissen, Handlungswissen, konzeptuelle Deutungsmuster) berücksichtigt werden.
[9] „ – Aber der G e h a l t der Wagnerischen Texte! Ihr mythologischer Gehalt!´ – Frage: wie prüft man diesen Gehalt, diesen ewigen Gehalt? – Der Chemiker antwortet: man übersetzt Wagnern in´s Reale, in´s Moderne, – seien wir noch grausamer! in´s Bürgerliche! Was wird dabei aus Wagner? – Unter uns, ich habe es versucht. Nichts unterhaltender, Nichts für Spaziergänge mehr zu empfehlen als sich Wagnern in v e r j ü n g t e n Proportionen zu erzählen: zum Beispiel Parsifal als Candidaten der Theologie, mit Gymnasialbildung (– und letztere als unentbehrlich zur r e i n e n T h o r h e i t ). Welche Überraschung man dabei erlebt!“ Nietzsche; KS VI,34
[10] Seitenzahlen in eckiger Klammer beziehen sich auf diese PS-Arbeit.
[11] Literatur-Brockhaus (1988: 700-701): Wortspiel = „Spiel mit der Doppel- und Mehrfachbedeutung von Wörtern oder dem Gleichklang bzw. der Klangähnlichkeit verschiedener Wörter zur Erzielung überraschender oder witziger Effekte.“
[12] Hervorhebungen von mir (wie alle weiteren Kursivsetzungen in Folge).
[13] Alle Seitenzahlen [= 319-325] ohne zusätzliche Angaben (Autorenname, Erscheinungsjahr der Publikation) beziehen sich auf den Textausschnitt (aus Wälsungenblut) im Anhang.
[14] Dazu Adorno pointiert in der Ästhetischen Theorie: „Ästhetik der Form ist möglich nur als Durchbruch durch die Ästhetik als der Totalität dessen, was im Bann von Form steht. Davon hängt ab, ob Kunst überhaupt noch möglich sei. Der Formbegriff markiert die schroffe Antithese der Kunst zum empirischen Leben, in welchem ihr Dasein ungewiß ward. Kunst hat soviel Chance wie die Form, und nicht mehr.“ (2000: 213)
[15] „Ich verhehle dir nicht [...]“ (1963: 317); „Ich stehe nicht an, zu behaupten [...]“ (317); „Du kannst dich versichert halten [...]“ (317). Ihrer Sprache kommt die Funktion des Schutzes vor Kommunikation zu. Anderen gegenüber benutzen sie sie wie eine Waffe, das Vokabular rekrutiert sich oftmals aus dem militärischen Bereich: So sprechen die Geschwister „im Angriff“ (307), „aus eingeborener Abwehr“ (307), gilt das Wort als „Rüstzeug“ (314) und der Sprachwitz als „Wehr“ (307). Da, wo die Sprache – im entscheidenden Augenblick zwischen Siegmund und Sieglinde, als sich der Inzest abzuzeichnen beginnt – die Ebene der Konversation verläßt, ist sie anakoluthisch, nicht mehr funktionsfähig und versagt schließlich ganz (328-329). Die Kommunikation zwischen den Zwillingen erfolgt hauptsächlich außersprachlich: Sie halten sich beständig an den Händen und ihre Blicke finden sich in einem „Einvernehmen, zu dem es von außen nicht Wege noch Zugang“ (309) gibt. Ihr intensiver Blickkontakt und die sprechenden Augen verweisen auf Wagner. (vgl. 1997: 9, 10, 14, 20)
- Citation du texte
- Kristina Werndl (Auteur), 2000, Zur Ironie in Thomas Manns 'Wälsungenblut', Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/50237
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