Dieser Essay beschäftigt sich mit dem Phänomen "Social Freezing" und der Frage danach, ob das Einfrieren der eigenen Eizellen gegen eine Entschädigung (beispielsweise durchgeführt bei Facebook) einen Karrierebooster darstellt oder letztlich weitere Probleme verursacht.
Mit Wissenschaftler*innen wie Wetterer oder Boltanski und Chiapello wird soziologisch betrachtet, weshalb dieses Phänomen vorhanden ist und wie sich arbeitssoziologisch wie genderspezifisch die Kryokonservierung zusammenstellt.
Der Text wurde durchgehend gendersensitiv geschrieben.
„Eine Garantie ist „Social Freezing“ also nicht.
Aber für was gibt es die schon im Leben?“ (vgl. Internet 1)
Wer für Apple und Facebook arbeitet, scheint einen Arbeitsplatz gefunden zu haben, der ihm alles bieten kann, was man zum Leben braucht. Kulinarische Vielfalt wird großgeschrieben, kostenfreie Spielekonsolen, Fahrradmechaniker*innen innerhalb des Hauses und firmeninterne Fitnessstudios sorgen für einen vollkommenen Arbeitskomfort. Facebook und Apple scheinen verstanden zu haben: wer sich um die Sorgen und Bedürfnisse seiner Mitarbeiter*innen kümmert, bekommt Arbeitnehmer*innen, die Maximales leisten (vgl. Internet 2). Zu den Bedürfnissen vieler Menschen gehört auch das Gründen einer Familie. Trotz eines scheinbar perfekten Arbeitsalltags beschäftigt sich die Mehrheit der Mitarbeiter*innen im Laufe ihres Lebens damit, ihren Kinderwunsch zu erfüllen. Hier zeigte sich sowohl seitens der Arbeitgeber*innen als auch der Arbeitnehmer*innen ein klares Dilemma: Welche Priorität wird gesetzt? Wird es nach dieser Entscheidung überhaupt noch möglich sein, das Kind zuhause und das Baby „Arbeit“ zu schaukeln? Heißt der Anfang des Elternseins nun das Ende der Karriere? Gerade für Frauen, die nach einer langen Ausbildung einen Job innerhalb eines renommierten Unternehmens erhalten, stellt sich diese Frage, wenn zum Zeitdruck innerhalb des Berufs nun auch das Ticken der biologischen Uhr hinzukommt.
Apple und Facebook haben hier eine Lösung parat: Bis zu 20.000 Dollar „Baby Cash“ erhalten Mitarbeiterinnen der Firmen für das Entnehmen und Einlagern der Eizellen (vgl. Internet 3). Auf der biologischen Uhr wird die Schlummertaste gedrückt. Für die Top- Managerin von Facebook Sheryl Sandberg ist klar: Frauen greifen aus Sorge auf die spätere Vereinbarkeit von Beruf und Familie oft unbewusst nicht nach der nächsten großen Herausforderung- in ihren Augen eine der stärksten Karrierebremsen (vgl. Internet 3). Man könnte meinen, die Entscheidungsfreiheit vieler Frauen sei gewachsen, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf nun realistischer. An diesem Punkt stellt sich jedoch die Frage: Welches Steuerungsinstrument stellt das Phänomen „Social Freezing“ für die Arbeitgeber*innen dar? Und fungiert diese Methode für die Arbeitnehmerinnen als Entlastung der Entscheidung oder steigt der Druck der „Work - Life Balance“ hiermit erst auf ein neues Level?
Die deutsche Soziologin Angelika Wetterer beschreibt in der gemeinschaftlichen Abhandlung „Gesellschaft. Feministische Krisendiagnosen.“ den Zustand der gescheiterten feministischen Kritik. Wetterer sieht die Gefahr des Scheiterns vor allem im stillschweigenden Vorgehen, das hinter dem Rücken der Akteure vor sich geht und eine Identifikation dadurch erheblich erschwert. Während unter den Leitbildern der Frauenbewegung Gleichberechtigung und Selbstbestimmung zu den ausschlaggebenden Faktoren des Feminismus gehören sollten, sind die alten Geschlechterbilder weiterhin in der Gesellschaft vorhanden (vgl. Wetterer 2013: 246 ff.). Wetterer beschäftigt sich unter Anderem mit zwei elementaren Faktoren, die das Scheitern der feministischen Kritik herbeigeführt haben.
Zum Einen spricht sie von der rhetorischen Modernisierung, welche sie als fundamentalen Bestandteil der gescheiterten Kritik sieht. Gerade in den individualisierten Milieus, welche sie als „gut ausgebildete urbane Mittelschicht“ bezeichnet, sei es ein alltäglicher Zustand, dass das Gefühl der Gleichberechtigung zwar gegeben sei, die tatsächlichen Zustände dem allerdings nicht entsprechen (vgl. Wetterer ebd.). Als Beispiel hierfür nennt sie den Tatbestand, dass zwar Frauen sowie Männer gleichwohl in den Partnerschaften dem eigenen Berufsleben nachgehen, meist im Privaten jedoch die Aufgabenverteilung immer noch den heteronormativen Geschlechterrollen angepasst ist (vgl. Wetterer 2013: 253). Bezieht man die rhetorische Modernisierung auf das Phänomen des „Social Freezings“ zeigen sich Parallelen. Innerhalb vieler Unternehmen werden junge Frauen sofort mit dem Bild junger Mütter assoziiert, welches die Chance des Aufstiegs auf der Karriereleiter zügig mindert. Betrachtet man junge Männer innerhalb des Berufslebens, zeigt dies das Bild eines jungen Karriereanfängers, der im Fall des Familienzuwachses „zu Hause schon eine [hätte], die sich darum kümmert“ (Wetterer 2013: 258). Diesem Zustand wollen berufstätige Frauen ein Ende setzen. Durch die Möglichkeit, den Kinderwunsch durch das Einfrieren der Eizellen in ferne Zukunft zu schieben, können Frauen schier ohne Zeitfenster das Stigma der Vereinbarkeitsproblematik ablegen.
Zum Anderen sieht Wetterer die Problematik innerhalb der Gesellschaft in der symbolischen Verschleierung der männlichen Herrschaft. Hierbei unterscheidet sie den alten Schleier der tradierten Geschlechtergewissheiten vom neuen Schleier einer „postfordistischen Ideologie von Freiheit und Individualisierung“ (Wetterer 2013: 262). Durch das Verschleiern der traditionell angesehenen Geschlechterrollen durch den neuen Schleier können diese gewahrt werden und ein Fortbestehen der männlichen Herrschaft garantieren (vgl. Wetterer 2013: 262). Erst durch das Lüften des daraufgelegten Vorhangs könne ein tatsächlicher Fortschritt gewährleistet und das Modell der traditionellen Verteilung überarbeitet werden (vgl. Wetterer 2013: 263). Ähnliches zeigt sich hier am Beispiel des Einfrierens der Eizellen. Es mag stimmen, dass durch die Kyrokonservierung Zeit für die Karriere und Familienplanung gewonnen wird. Wie geht es aber weiter, wenn sich die betroffene Frau entscheidet, nun schwanger zu werden? Zwar liegt die Möglichkeit nahe, die Karriere innerhalb der Zeit der Aufbewahrung gepusht zu haben, doch sobald der Kinderwunsch präsent wird, stellt sich auch die Frage, wer denn nun beim Nachwuchs bleibt. Zwar steigen die Zahlen von Männern, die das Angebot des Vaterschaftsurlaubs annehmen, doch solange der neue Schleier den Alten verdeckt, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es die Mutter sein wird, die sich um das Kind kümmert.
Man kann mit Sicherheit erkennen, dass der Wunsch, der Karriere Vorrang zu gewähren, eine Option für die Mitarbeiterinnen ist- jedoch keinerlei Garantie mit sich bringt. Legt man den Fokus nun auf das Unternehmen, zeigt sich, dass alles gut ist, was Erfolg verspricht. Ein Modell, das der Kapitalismus nach der Wirtschaftswissenschaftlerin Ève Chiapello und dem Soziologen Luc Boltanski schon immer für sich genutzt hat. „Die Kapitalismuskritik ist so alt wie der Kapitalismus“ (Boltanski/ Chiapello, 2001: 464) selbst und habe es schon immer vollbracht, sich den Gegebenheiten anzupassen. Dies zeigt sich in ausschlaggebenden Merkmalen. Boltanski und Chiapello sprechen hier vom Kreislauf des Kapitalismus: Kapital muss investiert werden, um es danach zu vergrößern (vgl. Boltanski/ Chiapello, 2001: 461). Hier gibt sich das Einfrieren der Eizellen als gutes Beispiel. Das Unternehmen ist sich bewusst, dass Kapital nur durch die Lohnarbeit seiner Mitarbeiter*innen erwirtschaftet werden kann. Fiele eine gute Mitarbeiterin aufgrund einer Schwangerschaft für Monate oder gar Jahre aus, während sie in beruflicher Höchstform ist, könnte dies dem Unternehmen schaden und das Kapital verringern. Es wird ein neuer Anreiz geschaffen- die Kryokonservierung. Gegen eine finanzielle Aufmerksamkeit erklären sich Mitarbeiterinnen bereit, die Familienplanung vorerst aus dem Karrierealltag zu streichen. Aus einem unkalkulierbaren Risiko wird eine vorhersehbare Lösung. Zufriedene Mitarbeiter*innen produzieren effektvier und erwirtschaften das Kapital, dass soeben noch für das „Baby Cash“ investiert wurde.
Weiter setzt sich die Argumentation von Boltanski und Chiapello mit dem Bild verschiedener Cités fort, welche die Pluralität der legitimen Ordnung innerhalb des kapitalistischen Systems darstellen.
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- Citation du texte
- Constanze Wischnewski (Auteur), 2016, Ein Ei für den Kapitalismus. "Social Freezing" für die Liebe "Karriere", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/501949