Hätte man Rousseau zu Anbeginn der Aufklärung zum Fortschritt der Menschheitsgeschichte befragt und welche Entwicklung im Hinblick auf die Wissenschaften zu erwarten wäre, wäre sein Urteil vernichtend gewesen. Anders als die meisten Vordenker der Aufklärung sieht er die Menschheitsgeschichte als einen Prozess des Niedergangs und nicht des Fortschritts. In seiner Abhandlung über die Wissenschaften und Künste aus dem Jahr 1749 kritisiert er den Wissenschaftsfortschritt stark.
Er kommt zu dem Entschluss, dass die Wissenschaften die Menschheit nicht weiterbringen würden. Den gesellschaftlichen Niedergang sieht er nicht, weil die Wissenschaften die Menschheit an sich nicht weiterbringen würden, sondern vielmehr weil ihm der ethisch-soziale Aspekt des Wissenschaftsfortschritts missfällt. Im Gegensatz zur allgemein gängigen Auffassung der Aufklärung, dass die Menschen mit Hilfe der Wissenschaft zu Fortschritt gelangen, setzt Rousseau dieser These entgegen, dass die Natur die Menschen vor der Wissenschaft schützen wolle und dies auch müsse, da es sonst zu einer Verweichlichung des eigentlichen Charakters kommen würde. Beispielsweise durch allgemeine Höflichkeitsakte und Maximen.
Hätte man Rousseau zu Anbeginn der Aufklärung zum Fortschritt der Menschheitsgeschichte befragt und welche Entwicklung im Hinblick auf die Wissenschaften zu erwarten wäre, wäre sein Urteil vernichtend gewesen. Anders als die meisten Vordenker der Aufklärung sieht er die Menschheitsgeschichte als einen Prozess des Niedergangs und nicht des Fortschritts. In seiner Abhandlung über die Wissenschaften und Künste aus dem Jahr 1749 kritisiert er den Wissenschaftsfortschritt stark. Er kommt zu dem Entschluss, dass die Wissenschaften die Menschheit nicht weiterbringen würden. Den gesellschaftlichen Niedergang sieht er nicht, weil die Wissenschaften die Menschheit an sich nicht weiterbringen würden, sondern vielmehr weil ihm der ethisch-soziale Aspekt des Wissenschaftsfortschritts missfällt. Im Gegensatz zur allgemein gängigen Auffassung der Aufklärung, dass die Menschen mit Hilfe der Wissenschaft zu Fortschritt gelangen, setzt Rousseau dieser These entgegen, dass die Natur die Menschen vor der Wissenschaft schützen wolle und dies auch müsse, da es sonst zu einer Verweichlichung des eigentlichen Charakters kommen würde. Beispielsweise durch allgemeine Höflichkeitsakte und Maximen.
1 Seiner Auffassung nach wollte die Revolution, die in Europa herrschte, den Verstand der Menschen wiederbeleben und sie auf ihr natürliches Wesen zurückbesinnen lassen. Nach der Revolution folgte die Wissenschaft der Natur auf die Wissenschaft des Geistes. Zur Kunst des Schreibens kam die Kunst des Denkens. Regierung und Gesetze waren dafür verantwortlich, den Menschen ein Sicherheitsgefühl zu vermitteln und so für ihr Wohlergehen zu sorgen. Wissenschaft, Literatur und Künste waren „mächtige“ Kräfte, die „ihre Blumenkränze über die ehernen Ketten“ legten.2 Rousseau appelliert an die Völker diese Mächte zu pflegen, da diese wiederum die Talente pflegen würden. Nach seiner Auffassung haben erst die Künste die Manieren geformt. Dies stellt gleichzeitig seinen stärksten Kritikpunkt dar. Zuvor waren die Sitten der Menschen natürlich und rau und somit auch ihr Charakter. Die Entwicklung der Manieren würde jedoch dazu führen, dass man nicht mehr wisse, mit wem man es zu tun hätte, weil alle nach den gleichen Maximen handeln würden. Rousseau stellt die These auf, dass ein Fremder genau den gegenteiligen Eindruck der Sitten erlangen würde, wenn er Europa besuchen würde, als diese eigentlich bezwecken sollen.
Da Rousseau mit seiner Ansicht eine sehr polarisierende Position der Zeit einnimmt, bezieht er sich auf Persönlichkeiten, die er selbst als weise bezeichnet und die er bewundert, da sie sich nicht von der Flut der Massen mitreißen ließen. Eine Persönlichkeit, die laut Rousseau eine der bedeutendsten und unglücklichsten dieser Zeit war, ist Sokrates. Die Figur des Sokrates hat für Rousseau einen besonderen Stellenwert in seiner Dekadenzdiagnose, da Sokrates in Athen damit begonnen hat, „gegen jene arglistigen und spitzfindigen Griechen zu wettern, die die Tugend verführten und die Charakterfestigkeit ihrer Mitbürger verweichlichten“.3 Rousseau zitiert Sokrates in seinem Werk, wenn er über die Arbeit und den Einfluss der Dichter und Künstler seiner Zeit spricht.
„Ich habe die Dichter genau in Augenschein genommen und ich halte sie für Leute, die sich selbst und andere mit ihrem Talent beeindrucken, sich für weise ausgeben und auch dafür gehalten werden und dies doch am allerwenigsten sind“.4 Es ist zu vermuten, dass Rousseau Sokrates als vermeintlich perfekten Partner für die krasse Darstellung des gesellschaftlichen Niedergangsprozesses auswählt, da er eine noch zugespitzere Meinung zu der Wirkung der Künste hatte, als Rousseau selbst. Sokrates sagt über sich selbst, dass niemand so wenig von den Künsten verstehe wie er und er immer dachte, dass Künstler ein bestimmtes Geheimnis haben müssten. Er schlussfolgert, dass die Fleißigsten der Künstler wissen, was sie auf ihrem Fachgebiet tun und sich aus diesem Grund für die weisesten Menschen halten würden, es aber nicht sind.
Um den Grundgedanken Rousseaus und seine Bezugnahme auf die Denkweisen Sokrates´ besser nachvollziehen zu können, sind Auszüge aus dem Werk Politeia von Platon sehr hilfreich. Platon war ein Schüler Sokrates´ und vermittelte seine Lehren weiter, da Sokrates selbst zu Lebzeiten keine schriftlichen Werke hinterließ. Aus diesem Grund ist es nur möglich auf die Werke seiner Schüler Xenophon und Platon zurückzugreifen, um die Lehren Sokrates erfassen zu können.
Die Politeia handelt von den nach Sokrates´ Auffassung notwendigen Voraussetzungen für einen idealen Staat und ist ein in zehn Büchern ausgeführter Dialog, in dem Sokrates die Hauptfigur darstellt. Die Politeia stellt ebenfalls einen bedeutenden Teil der Staatsphilosophie dar. Zur Erörterung der Thematik dieses Essays werde ich mich auf das zweite, dritte sowie das zehnte Buch beziehen.
Im zweiten Buch wird zuerst der Inhalt der Dichtung kritisiert, da Kinder und junge Heranwachsende nicht differenzieren können, was eine Allegorie ist, und was nicht. Aus diesem Grund sollen alle unwahren Dichtungen sowie deren Abbilder durch die Malerei verboten werden und nur Wahres gedichtet werden, damit die nächste Generation des Staates kein verfälschtes Bild über die Götter bekommt und dementsprechend die Unwahrheit darüber hinaus nicht weiterverbreitet wird. Zu der inhaltlichen Kritik kommt Sokrates im dritten Buch zur moralischen Kritik an der Dichtung. Auch hier sieht Sokrates insbesondere im Bereich des Dramas schlimme Entwicklungen der jüngsten Generation, da im Drama ebenfalls tragische Ereignisse gespiegelt werden, dessen Illusionen nicht mehr aus den Köpfen der jungen Menschen gelöscht werden könne und dessen Anlage sie ihr Leben lang in sich tragen werden. Auch diese Kunst soll aufgrund dessen verboten werden, um eine dramatische Entwicklung der Lebensführung zu verhindern.5
Im zehnten Buch, welches den Titel Staat und Dichtung im Lichte der Ideenlehre trägt, kommt Sokrates auf die Problematik der Dichtung zurück. Nach seiner Analyse der letzten Bücher, insbesondere nach der Analyse der Seelenteile, kommt er zu dem Entschluss, dass Dichtung eine verdorbene Kunst sei und in einem ordentlich reglementierten Staat nichts zu suchen hätte. Er begründet seinen Entschluss zudem auf seiner Ideenlehre, auf die hier jedoch nicht weiter eingegangen wird.6
Ein weiterer Kritikpunkt Sokrates ist, dass beispielsweise in Gedichten die Klage der Götter über den Tod nahestehender Personen dazu führen würde, dass die jüngste Generation verweichlicht wird. Die konkrete Kritik ist, dass die jungen Menschen den Staat später schützen sollen und hierzu nicht mit einem verweichlichten Charakter im Stande seien. Dieser Kritikpunkt schließt ebenfalls einen Bogen zur Kritik Rousseaus an der Menschheitsentwicklung. Auch er sieht eine Verweichlichung des Charakters als wenig förderlich.
Ein weiterer Aspekt, den Sokrates anführt, ist die Unwissenheit. Er lobt die Unwissenheit, da er sieht, dass er sich somit nicht im Zweifel befindet, da er weiß, dass er nichts weiß. Dichter, Künstler, Redner, etc. hingegen würden jedoch alle glauben, etwas zu wissen. Sein Fazit dazu ist, dass aber niemand weiß, was gut und wahr ist.
Für Rousseau ist die „trefflichste“ Art Menschen zu unterrichten das Beispiel der Tugenden zu hinterlassen. Auch hier bezieht er sich auf Sokrates, da er seiner Meinung nach genauso handeln würde und gleichzeitig die Wissenschaften weiterhin verachten würde.
Schlussendlich stellt Rousseau in seiner Abhandlung über die Wissenschaften und die Künste ein durchaus aktuelles Thema seiner Zeit dar. Jedoch ist er nicht wie die meisten Denker seiner Zeit der Überzeugung, dass die Entwicklung einen Fortschritt der Menschheit impliziert, sondern den Niedergang. Dies macht ihn zu einem Gegenläufer seiner Zeit, da die Aufklärung besonders in den Wissenschaften und Künsten den nötigen Fortschrittsprozess sahen. Die Annahmen liegt also nahe, dass Rousseau bei seiner Ausführung zum einen auf Sokrates zurückgreift, weil dieser das Dekadenz-Phänomen bereits zu einem früheren Zeitpunkt erkannte und ebenfalls damit als Revolutionär seiner Zeit galt. In der Abhandlung über die Wissenschaften und die Künste wird darüber hinaus deutlich, dass Rousseau ihn für seine persönliche Stärke und seine Zielstrebigkeit, entgegen der allgemeinen Masse zu leben, bewunderte.
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1 Vgl. Jean-Jacques Rousseau: Discours sur les sciences et les arts/Abhandlung über die Wissenschaften und Künste. Hrsg. von Béatrice Durand. Ditzingen 2012. S. 21f.
2 Rousseau: Abhandlung über die Wissenschaften und Künste, S. 19.
3 Vgl. Rousseau: Abhandlung über die Wissenschaft und Künste, S. 37.
4 ebd., S. 35.
5 Vgl. Platon: Der Staat/Politeia. Griechisch – Deutsch. Hrsg. von Thomas Szlezák. Düsseldorf 2000. S. 102-185.
6 ebd., S. 804-890.
- Quote paper
- Annie Münzberg (Author), 2019, Die Bedeutung der Figur des Sokrates für Rousseaus Dekadenzdiagnose, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/501526