Von Kindesbeinen an wird uns die Notwendigkeit des Gehorsams gegenüber Autoritätspersonen durch das soziale Umfeld vermittelt. Mit dem Schuleintritt lernen Kinder, dass Anweisungen ihrer Lehrer Folge zu leisten ist. Lehrer stellen im Schulkontext eine Autoritätsperson dar, sind für die Notenvergabe verantwortlich und erinnern Schüler gelegentlich an das Machtgefälle des Klassenverbands. Infolgedessen wird der Mehrheit von Schülern deutlich, dass die Erfüllung der ihnen aufgetragenen Pflichten des Lehrers eine notwendige Voraussetzung für Schulerfolg ist.
Gehorsames Verhalten kann jedoch unerwünschte Konsequenzen nach sich ziehen, die anderen Menschen Schaden zufügen. Der Psychologe Stanley Milgram setzte sich als Sohn jüdischer Eltern mit der Judenverfolgung in Deutschland auseinander. Wie viele andere konnte er die Grausamkeit der Nationalsozialisten nicht verstehen und suchte nach einer Erklärung. Er kannte Aschs Konformitätsstudie aus den 50er Jahren, kritisierte allerdings die Belanglosigkeit der Linien, dessen Länge von Versuchsteilnehmern beurteilt werden sollte.
Zur gleichen Zeit wurde der Kriegsverbrecher Adolf Eichmann angeklagt, der behauptete er habe nur Befehle ausgeführt. Die Philosophin Hannah Arendt verfolgte den Gerichtsprozess und betrachtete Eichmann als Exemplar für die Banalität des Bösen, da er dem Bild eines gewöhnlichen Bürokraten entsprach. Milgram nahm einen Zusammenhang zwischen den Gräueltaten der Nationalsozialisten und ihrer Ausprägung von Gehorsam an. Er wollte untersuchen, ob und inwieweit gewöhnliche Menschen den Anweisungen eines autoritären Versuchsleiters folgen würden, auch wenn sie in Kauf nehmen müssten anderen Menschen aktiv Schaden zuzufügen.
Inhaltsverzeichnis
Abstract
Einleitung
Theorie und Befunde bei Milgram
Theorie und Befunde bei Doliński et al
Implikationen
Literaturverzeichnis
Abstract
In den 60er Jahren führte der Psychologe Stanley Milgram eines der bekanntesten Experimente für die Sozialpsychologie in den Vereinigten Staaten durch. Viele Nazi-Führer des Dritten Reichs rechtfertigten ihr Handeln mit der Aussage sie hätten lediglich Befehle ausgeführt. Die Unscheinbarkeit dieser Straftäter und offensichtliche Banalität des Bösen (Arendt, 1963/1994: 252) beeinflusste Milgram bei der Gestaltung seines Gehorsamkeitsexperiments. Er fragte sich, ob und unter welchen Bedingungen gewöhnliche Versuchsteilnehmer den Befehlen des Versuchsleiters folgen würden, auch wenn sie ihren moralischen Vorstellungen zuwider handeln müssten. Für die Versuchsdurchführung rekrutierte er insgesamt 636 Freiwillige über die lokale Tageszeitung, die in der Rolle des Lehrers an den Experimenten teilnahmen. Die Variationen des Gehorsamkeitsexperiments zeigen, dass Gehorsam keine explizit deutsche Persönlichkeitsdisposition ist, sondern unabhängig von Herkunft, Alter, Hautfarbe oder ökonomischem Status auftritt. Die Experimentalbedingungen hatten unterschiedliche Auswirkungen auf die Ausprägung von Gehorsam und werden im Folgenden genauer erläutert. Eine Studie von Doliński et al. untersucht die Bedeutung des Geschlechts in Zusammenhang mit Gehorsam und belegt, dass Menschen auch im 21. Jahrhundert in hohem Maße gehorsam handeln.
Einleitung
Von Kindesbeinen an wird uns die Notwendigkeit des Gehorsams gegenüber Autoritätspersonen durch das soziale Umfeld vermittelt. Mit dem Schuleintritt lernen Kinder, dass Anweisungen ihrer Lehrer Folge zu leisten ist. Lehrer stellen im Schulkontext eine Autoritätsperson dar, sind für die Notenvergabe verantwortlich und erinnern Schüler gelegentlich an das Machtgefälle des Klassenverbands. Infolgedessen wird der Mehrheit von Schülern deutlich, dass die Erfüllung der ihnen aufgetragenen Pflichten des Lehrers eine notwendige Voraussetzung für Schulerfolg ist. Gehorsames Verhalten kann jedoch unerwünschte Konsequenzen nach sich ziehen, die anderen Menschen Schaden zufügen. Der Psychologe Stanley Milgram setzte sich als Sohn jüdischer Eltern mit der Judenverfolgung in Deutschland auseinander. Wie viele andere konnte er die Grausamkeit der Nationalsozialisten nicht verstehen und suchte nach einer Erklärung. Er kannte Aschs Konformitätsstudie aus den 50er Jahren, kritisierte allerdings die Belanglosigkeit der Linien, dessen Länge von Versuchsteilnehmern beurteilt werden sollte. Zur gleichen Zeit wurde der Kriegsverbrecher Adolf Eichmann angeklagt, der behauptete er habe nur Befehle ausgeführt. Die Philosophin Hannah Arendt verfolgte den Gerichtsprozess und betrachtete Eichmann als Exemplar für die Banalität des Bösen, da er dem Bild eines „gewöhnlichen Bürokraten“ entsprach (Reicher und Haslam, 2017). Milgram nahm einen Zusammenhang zwischen den Gräueltaten der Nationalsozialisten und ihrer Ausprägung von Gehorsam an. Er wollte untersuchen, ob und inwieweit gewöhnliche Menschen den Anweisungen eines autoritären Versuchsleiters folgen würden, auch wenn sie in Kauf nehmen müssten anderen Menschen aktiv Schaden zuzufügen.
Theorie und Befunde bei Milgram
In Folge einer Pilotstudie mit Studierenden der Yale Universität und gewöhnlichen Amerikanern stellte Milgram fest, dass eine bedeutsame Menge der Versuchsteilnehmer Elektroschocks bis zu 450 Volt verabreichte. Da er sich die Ergebnisse nicht anders erklären konnte, stellte Milgram die Hypothese auf, dass Menschen „mehr Aufmerksamkeit für die Aufgabe aufbringen, als dass sie die Konsequenzen ihres Handelns in Erwägung ziehen“ (Reicher und Haslam, 2017). Die Beobachtung von anständig erscheinenden Menschen mit gewöhnlichem Charakter und unauffälligem Aussehen, die auf bloßen Befehl einem Mitmenschen schaden, erforderte eine genauere Untersuchung und Erklärung. Milgram nahm an, dass die Versuchsteilnehmer sich bei der Ausführung in der Rolle eines Agenten (agentic state) befanden. Die Rolle erlaubt es ihnen sich ihren Moralvorstellungen zuwider zu verhalten, da sie die Verantwortung für die Konsequenzen ihrer Handlung abgeben. Als Agenten handeln die Versuchsteilnehmer nicht mehr im Sinne ihrer Überzeugungen, sondern mutieren zum Ausführorgan ihres Vorgesetzten oder Befehlshaber. Da der ‚all-or-nothing‘-Charakter des Agentenstatus keine verschiedenen Ausprägungen von Gehorsam zulässt, wurde dieser Mechanismus stark kritisiert (John Darley, 1992: 207). Er erklärt nicht den Gefühlszustand der Zerrissenheit der Teilnehmer (Reicher und Haslam, 2017, S. 118). Die Frage, wieso die Teilnehmer die Anweisungen des Versuchsleiters priorisieren und den ‚learner‘ (Lerner) letztlich ignorieren, bleibt unbeantwortet.
Da Milgram die genauen Bedingungen unter denen Menschen gehorsam handeln untersuchen wollte, modifizierte er die unabhängigen Variablen und führte insgesamt mehr als 18 verschiedene Variationen des Experiments durch. Als abhängige Variable maß er die Ausprägung des Gehorsams (die Anzahl der Teilnehmer, die total gehorsam waren und 450 Volt verabreichten). Von den 18 Variationen konzentriert sich diese Arbeit auf die Baseline-, die ‚proximity‘- (3.) und die ‚touch proximity‘ (4.) Bedingung und benennt auch die Ergebnisse der ‚ordinary man‘-, der ‚social support‘- und der ‚two teacher‘ Bedingung. Die Teilnehmer erhielten mithilfe eines getürkten Verfahrens stets die Rolle des Lehrers und sollten dem Lerner sukzessiv höhere Stromschläge verabreichen, sofern er die falsche Antwort gab. Der Schockgenerator hatte dreißig Schalter mit einem jeweiligen Abstand von 15 Volt und einer zusätzlichen Markierung wie ‚XXX‘ für 450 Volt oder ‚Danger Severe Shock‘ für 375 Volt. Der Lerner setzte sich im Beisein des Lehrers in einen Stuhl mit Elektroden. Dem Lehrer wurde versichert, dass kein permanenter Schaden des Gewebes entstehen würde. Einige Teilnehmer werden diesen Ausdruck möglicherweise sprichwörtlich verstanden haben, sodass sie in ihrer Handlungsweise enthemmt waren. In der Baseline Bedingung (5.) erwähnte der Lerner zusätzlich seinen Herzfehler. Der Lehrer befand sich in einem Raum mit dem Versuchsleiter und dem Schockgenerator. In einem angrenzenden Raum saß der Lerner. In der Baseline Bedingung war die Stimme des Lerners hörbar und bei einer Verabreichung von 150 Volt bat er um den Abbruch der Studie. Tatsächlich verabreichten 65% der Teilnehmer weiterhin Elektroschocks bis zu 450 Volt. Sobald der Lehrer mit dem Lerner und Versuchsleiter in einem Raum saß (3. und 4. Bedingung), nahm der Gehorsam ab und sank von 65% auf 40% und 30%. Die physische Nähe zwischen Lehrer und Lerner veränderte die Situation, da der Lehrer mit den visuellen Konsequenzen konfrontiert war. Die Bedingung eröffnete die Möglichkeit der gemeinsamen Verbündung gegen den Versuchsleiter.
Der Gehorsam sank auf 20 %, sobald der Versuchsleiter anstelle eines Forscherkittels gewöhnliche Kleidung trug und einen Freiwilligen darstellte. Dieser Befund unterstreicht die Annahme, dass die Teilnehmer aufgrund ihrer Einstellung gegenüber Forschern und der ihnen zugesprochenen Wichtigkeit gehorsam sind. In den Medien werden Forscher überwiegend als schlau, überlegen und einflussreich dargestellt. Der Verlust dieser vorgestellten Eigenschaften kann möglicherweise dazu geführt haben, dass die Teilnehmer keinen agentic shift vollzogen. Die Begegnung mit dem Freiwilligen auf Augenhöhe könnte die Teilnehmer ermutigt haben ungehorsam zu sein und ihren eigenen Moralvorstellungen zu folgen.
In der ‚social support‘ Bedingung der Gruppeneffekte verteilten drei Lehrer, zwei davon Konföderierte, die Elektroschocks. Nachdem beide Schauspieler das Experiment abbrachen, entschloss sich der Versuchsteilnehmer für einen Abbruch bei 210 Volt (Reicher und Haslam, 2017). In dieser Bedingung waren nur 10% total gehorsam. Anders verhält es sich, wenn die Teilnehmer einen Assistenten die Schalter bedienen lassen konnten. In diesem Szenario sind 92,5% bereit ganze 450 Volt zu verabreichen.
Theorie und Befunde bei Doliński et al.
Das Gehorsamkeitsexperiment war als Lern- und Gedächtnisexperiment getarnt. Da eine „Täuschung über die wahren Ziele der Untersuchung“ stattfand (Musahl, Stolze & Sarris, 1995, S. 130-132), warf die Studie Fragen der ethischen Durchführbarkeit und Richtlinien auf. Auch wenn 87,3% der Teilnehmer froh waren an der Studie teilgenommen zu haben, schließt dies Langzeitschäden nicht definitiv aus. Die Replizierung der Originalstudie gestaltete sich demnach als schwierig. Als alternatives und ethisch unbedenkliches Versuchsdesign schlug Burger (2009) vor den Schockgenerator auf zehn Schalter und 150 Volt zu beschränken. Die Mehrheit der abbrechenden Teilnehmer in Milgrams Paradigma stieg bei der 150 Volt Markierung aus. Die Verabreichung von 150 Volt kann daher als Indikator für totalen Gehorsam betrachtet werden.
Die Forscher Doliński et al. griffen diese Idee auf und nutzten Burgers Ausführungen als ethische Rechtfertigung für ihre Experimentaldurchführung. An der Studie von Doliński et al. nahmen 80 Versuchspersonen teil, von denen 40 männlich und 40 weiblich waren. Der Versuchsablauf ähnelte der 2. Bedingung Milgrams, die der Baseline Bedingung entspricht und als einzigen Unterschied keinen Herzfehler erwähnt. Zusätzlich variierten die Forscher das Geschlecht des Lehrers und des Lerners und nahmen an, dass die Teilnehmer bei einem weiblichen Geschlecht des Lerners weniger gehorsam sein würden. In der Studie bedienten 90% der Teilnehmer den 10. Schalter. Diese Ergebnisse sind vergleichbar mit den Ergebnissen des 2. Milgram Experiments, in welchem 85 % der Teilnehmer den 10. Schalter bedienten (Doliński et al., 2017). Nur acht von insgesamt 80 Teilnehmern brachen das Experiment ab, von denen wiederum sechs weiblich sind. Zwei der abbrechenden Frauen sind mit 58 und 44 Jahren überdurchschnittlich alt (M=27.36). Vorausgesetzt, dass jene Frauen dem dreißigjährigen (und nicht fünfzigjährigen) Versuchsleiter folgen sollten, könnte auch das Alter eine Rolle bei der Entscheidung zum Gehorsam oder Ungehorsam gespielt haben. In Bezug auf das Geschlecht des Lerners erzielte die Studie keine signifikanten Ergebnisse (Doliński et al., 2017). Dennoch lassen die Ergebnisse darauf schließen, dass Bewohner westlicher bzw. europäischer Länder insgesamt ähnlich gehorsam handeln wie vor über 50 Jahren.
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- Citation du texte
- Anne-Sophie Dieterle (Auteur), 2018, Gehorsames Verhalten und unerwünschte Konsequenzen. Milgrams Gehorsamkeitsexperiment, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/501031
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