Die Lyrik ist neben der Epik und des Dramas eine der literarischen Gattungen. Daher nimmt die Auseinandersetzung mit Gedichten einen wichtigen Bestandteil im Deutschunterricht ein. Die Sprache innerhalb von Gedichten, welche sich auf einer Metaebene befindet, ist nicht unmittelbar zugänglich, sondern bedarf einer Interpretation.
Die Wortwahl, die verwendeten Metaphern und sprachlichen Gestaltungsmittel, die sich oftmals den Regeln der Grammatik entziehen, erzeugen differenzierte Emotionen und eine melodische Stimmung, welche die Gefühle und Gedanken eines Subjekts verstärkt zum Ausdruck bringen. Doch wie werden Gedichte tatsächlich in der Schule interpretiert, um die subjektiven Erlebnisse, Gefühle und Gedanken, welche in einem Gedicht thematisiert werden, für Schülerinnen und Schüler erfahrbar zu machen?
Die formale Analyse als Herangehensweise an die Interpretation von Gedichten habe ich in meinem Praxissemester also als besonders problematisch empfunden und möchte diese im Folgenden einer kritischen Reflexion unterziehen. Denn gerade die formale Heranführung hat dazu geführt, dass viel mehr distanziert über das Gedicht gesprochen wurde, anstatt mit dem Gedicht in ein Gespräch zu kommen.
Daher möchte ich mich im Folgenden mit der nachstehenden Fragestellung auseinandersetzen: Ist die formale Herangehensweise an Gedichte für den Unterricht wirklich sinnvoll? Welche alternative Heranführung ist möglicherweise geeigneter und ergiebiger?
Über die Heranführung an die Gedichtinterpretation in der Schule.
Die Lyrik ist neben der Epik und des Dramas eine der literarischen Gattungen. Daher nimmt die Auseinandersetzung mit Gedichten einen wichtigen Bestandteil im Deutschunterricht ein. Die Sprache innerhalb von Gedichten, welche sich auf einer Metaebene befindet, ist nicht unmittelbar zugänglich, sondern bedarf einer Interpretation. Die Wortwahl, die verwendeten Metaphern und sprachlichen Gestaltungsmittel, die sich oftmals den Regeln der Grammatik entziehen, erzeugen differenzierte Emotionen und eine melodische Stimmung, welche die Gefühle und Gedanken eines Subjekts verstärkt zum Ausdruck bringen.
Doch wie werden Gedichte tatsächlich in der Schule interpretiert, um die subjektiven Erlebnisse, Gefühle und Gedanken, welche in einem Gedicht thematisiert werden, für Schülerinnen und Schüler erfahrbar zu machen?
Während meines Praxissemesters konnte ich in einer 8. Klasse und in der Oberstufe einige Unterrichtsstunden zur Lyrik gestalten und eigenständig halten. Da ich zu dem Zeitpunkt noch keine Erfahrungen im Unterrichten hatte, orientierte ich mich in meiner Gestaltung der Unterrichtsstunden zunächst auf die klassische Herangehensweise an die Interpretation von Gedichten, wie ich sie in Hospitationen beobachten und aus Lehrbüchern entnehmen konnte, um die Schülerinnen und Schüler an die Grundlagen zur Gedichtinterpretation heranzuführen bzw. diese zu vertiefen. Kurz gefasst sah solch eine Gedichtinterpretation folgendermaßen aus: Zunächst wurde das Gedicht von der Lehrperson betont vorgetragen. Anschließend wurde im Plenum über die Stimmung des Gedichtes gesprochen, wobei die Schülerinnen und Schüler dabei eher wage Vermutungen äußerten und sich von der Stimmung des Gedichtes nur wenig berührt zeigten. Auf mich hat es offengestanden gewirkt, als handle es sich hierbei um eine Art Rätselfrage, welche denn nun die „richtige“, d.h. die vom Autor intendierte Stimmung sei, als wirklich ihr eigenes Erlebnis, ihre eigene Erfahrung der Stimmung nach dem Hören des Gedichtes wiederzugeben. Ich muss jedoch zugeben, dass auch ich als Lehrperson den Schülerinnen und Schülern nur wenig Raum gegeben habe, ihre subjektiven Eindrücke zu formulieren. Auch ich habe schon nach wenigen Schülerbeiträgen zur nächsten Frage gedrängt, da immerhin noch ein ganzes Gedicht in all seine Einzelteile analysiert werden musste. Daraufhin wurde kurz über den Inhalt diskutiert, nur um sicher zu stellen, dass alle das Gedicht inhaltlich in einem gewissen Maße verstanden haben, welches bei der lyrischen Dichtung beim ersten und auch mehrmaligem Lesen durchaus nicht immer einfach zu verstehen ist. Und nun kam es schon in Partner- oder Gruppenarbeit zum Höhepunkt der Verunstaltung einer jeden Herangehensweise an ein Gedicht: Die Suche nach rhetorischen Mitteln. Dabei wurde besonders betont, dass es nicht bloß darum ginge, ein rhetorisches Mittel zu finden. Es sei von besonderer Wichtigkeit, auch die Funktion dessen zu benennen, um sich als Lehrperson letztlich doch mit der Schülerantwort zufrieden zu geben, dass alle gefundenen rhetorischen Mittel die Aufmerksamkeit auf einen bestimmten Vers im Gedicht lenken möchten. Bei zehn rhetorischen Mitteln in einem Sonett kann man durchaus meinen, dass anscheinend fast jeder Vers die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Doch was heißt das schon, die Aufmerksamkeit des Lesers auf einen Vers zu lenken, besonders dann, wenn diese Eigenschaft demnach fast jedem Vers zugeschrieben werden könnte. Sollten neuerdings die Verse hervorgehoben werden, die ohne Gestaltungsmittel ausgeschmückt sind? Anschließend folgten weitere Aufgaben zur Analyse. Betonte und unbetonte Silben erkennen, um das Metrum zu bestimmen, gefolgt vom Ratespiel mit 50%-iger Trefferquote um die Kadenz, dabei ist die Klasse noch nicht einmal so weit, das Gedicht überhaupt als eine Melodie verstanden zu haben, denn dazu gab es schließlich auch noch keine bzw. sehr wenig Gelegenheit. Die nächsten Fragen drängten weiterhin Richtung formalen Aufbau. Das Reimschema, sowie die Strophen- und Verszahl bestimmen, doch zu welcher Erkenntnis gelangen die Schülerinnen und Schüler nach solch einer Analyse?
Die Melodie, die Schönheit der Sprache, die eigentümliche Ausdrucksweise und besonders der subjektive Erlebnisgehalt des lyrischen Ichs gehen bei dieser Herangehensweise gänzlich zugrunde. Doch sind nicht gerade das die Themen, die beim Lesen von Gedichten wirklich interessieren? Wenn ich ein Gedicht lese, dann befasse ich mich schließlich auch nicht zuallererst damit, rhetorische Mittel zu finden oder das Versmaß zu bestimmen, sondern ich versuche zunächst einen Zugang zu dem Gedicht zu erhalten. Zu schauen, was das Gedicht mit mir macht.
Wenn also ich als Lehrende einen Graus davor empfinde, wie ich meine Schülerinnen und Schüler zu einer Gedichtinterpretation führe, wie soll ich da bloß erwarten, dass diese das Besondere an der Lyrik fühlen und zu verstehen lernen. Den Schülern also die wunderbare Sprache und den besonderen Inhalt von Gedichten näher zu bringen, sodass diese überhaupt ein Interesse dafür entwickeln, sich mit Gedichten auseinandersetzen zu wollen.
Die formale Analyse als Herangehensweise an die Interpretation von Gedichten habe ich in meinem Praxissemester also als besonders problematisch empfunden und möchte diese im Folgenden einer kritischen Reflexion unterziehen. Denn gerade die formale Heranführung hat dazu geführt, dass viel mehr distanziert über das Gedicht gesprochen wurde, anstatt mit dem Gedicht in ein Gespräch zu kommen. Daher möchte ich mich im Folgenden mit der nachstehenden Fragestellung auseinandersetzen: Ist die formale Herangehensweise an Gedichte für den Unterricht wirklich sinnvoll? Welche alternative Heranführung ist möglicherweise geeigneter und ergiebiger?
Als besonders kritisch möchte ich anmerken, dass die rein formale Analyse als erste Heranführung an Gedichte meiner Meinung nach vom eigentlichen Sinn und von der Bedeutung von Gedichten ablenkt. Während meines Praxissemesters ist mir in Hospitationen und in meinem eigenen Unterricht rückblickend besonders aufgefallen, dass den Schülerinnen und Schülern kaum Zeit gelassen wurde, erste Eindrücke zu formulieren. Das Gedicht wirklich auf sich wirken zu lassen und zu versuchen, eine Verbindung herzustellen. Das heißt, den Schülerinnen und Schülern grundsätzlich erst einmal die Möglichkeit zu geben, ein Gefühl für das Gedicht zu entwickeln und über dieses nachzudenken, um eigene Gedanken zu dem persönlichen Verständnis eines Gedichtes zu bilden. Damit verbunden lässt sich erst ein Interesse für das Gedicht entwickeln, sodass die Schüler von sich aus etwas Fragwürdiges oder Interpretationsbedüftiges in einem Gedicht entdecken können. Denn ein Interesse, überhaupt etwas in einem Gedicht entdecken zu wollen, ist unabdingbare Voraussetzung, um eine Gedichtinterpretation überhaupt als sinnvoll betrachten zu können. Viel zu sehr steht im Fokus, dass die Lernenden zum Beispiel die lyrische Form von Gedichten benennen können, ohne dabei den eigentlichen Gegenstand, nämlich den Inhalt eines Gedichtes selbst, in den Vordergrund zu stellen. Ich hatte das Gefühl, dass es primär darum ging, dass die Schüler zwar die klassischen Grundlagen zur Gedichtinterpretation erlernen sollten, diese aber zum Verständnis des Gedichtes nicht beigetragen haben. Letztlich ging es darum, Klausuren zu schreiben und an Gedichten wurde nur geübt, wie man erfolgreich eine Klausur nach schulischen Maßstäben einer Gedichtinterpretation schreiben konnte. Dabei versuchten Schülerinnen und Schüler viel eher zu erraten, welche Intention der Autor in seinem Gedicht ausdrücken wollte oder wurden dazu ermutigt, epochentypischen Merkmale zu finden. Es wurde lediglich über das Gedicht gesprochen, aber nicht mit dem Gedicht. So wurde das Unterrichtsziel vielmehr darauf gelegt, inwiefern die Schülerinnen und Schüler Merkmale von den behandelten Gedicht benennen können und darauf aufbauend die Analyse formulieren, aber nicht, inwiefern die Schülerinnen und Schüler ihren Erlebnisgehalt nach einer tiefgreifenden Auseinandersetzung mit einem Gedicht für andere vermittelbar machen können. Gedichte werden somit nicht als eine Kunstform betrachtet, sondern von ihrer eigentlichen Bedeutung entfunktionalisiert und schulischen Analysemaßstäben unterzogen, die der Wertschätzung von Gedichten nicht gerecht wird. Gedichte beinhalten subjektive Ausdrucksformen von anderen Subjekten. Ähnlich wie auch andere Kunstformen, wie z.B. die Musik oder die Malerei, hat die Lyrik den Ausdruck subjektiver Erlebnisse zum Zentrum ihrer Form. Es geht darum, dass sich jemand ausdrücken möchte, darum, dass ein Subjekt eine außerordentliche Erregung fühlt, die in einer Form außerhalb des Selbst zum Ausdruck kommen muss. Ein Gefühl, ein Gedanke oder eine Idee, welches sich nicht innerhalb eines Selbst verarbeiten lässt, sondern etwas, das nach außen getragen werden muss, das sich verwirklichen muss. Im Fokus steht demnach die Auseinandersetzung eines Individuums mit sich selbst und der empfundenen Wirklichkeit. Es handelt sich also um besondere Gedanken und Gefühle, die nahezu unaussprechlich scheinen und sich in ihrem Inhalt nur durch eine Metasprache ausdrücken lassen. Diese in dichterischer Form wiederzugeben ist ein Versuch, diese Unaussprechlichkeit der inneren Zustände zum Ausdruck zu bringen. Sie entziehen sich dadurch jedoch der einfachen Verständigung, es bedarf einer Interpretation und intensiven Auseinandersetzung, um die subjektiven Gefühle und Gedanken des lyrischen Ichs greifbar zu machen. Die Lyrik bietet dabei also eine Möglichkeit, Empfindungen auszusprechen und sie mithilfe von Interpretationskenntnissen für andere erfahrbar zu machen. Diese Kunstform bildet somit eine Verbindung zwischen den subjektiven Erlebnissen und der Welt außerhalb eines Selbst. Da die Außenwelt keinen Zugriff auf subjektive Erlebnisse hat, kann sie sich subjektive Gedanken und Emotionen nur im Ausdruck derer erschließen und zugänglich machen. Gedichte bilden daher ein Verbindungsglied intersubjektiver Verständigung, die jedoch nicht bloß darauf zielen, einen Informationsgehalt auszudrücken. Sie laden dazu ein, in einen Dialog zu gehen, zwischen den subjektiven Wahrnehmungen des Dichters, der einen Gedanken, eine Idee oder eine subjektive Betrachtungsweise der Welt zum Ausdruck bringen möchte und der Lesenden und ihrer subjektiven Welt. Bei der Interpretation von Gedichten sollte es also primär darum gehen, diesen Dialog zwischen dem lyrischen Inhalt und dem Eindruck des Lesenden zu formulieren und wiederum für andere nachvollziehbar zu machen.
Eine rein formale Heranführung wird der Wertschätzung von Gedichten als Kunstform, als Ausdruck subjektiver Erlebnisse, nicht gerecht, sondern untergräbt gerade diese und entzieht sich dem Dialog zwischen dem Gedicht und dem Lesenden.
Darauf aufbauend ist es auch nicht verwunderlich, warum es den Schülerinnen und Schülern immer wieder schwer fällt Gedichte zu interpretieren. Denn wenn eine Annäherung an ein Gedicht mit einer rein formalen Analyse beginnt, wird den Schülerinnen und Schülern der Zugang zum Gedicht erschwert, da der Inhalt durch den Fokus auf die formale Analyse vernebelt wird. Meiner Erfahrung nach empfand die Mehrheit der Schülerschaft die Interpretation von Gedichten als überaus anstrengend. Um ehrlich zu sein war es langweilig und schwermütig. Wie soll auch ein Austausch mit Gedichten interessant sein, wenn das einzige Ziel darin besteht, die Intention des Autors herauszufinden und ein Gedicht in seinem formalen Aufbau auseinanderzunehmen. Dadurch, dass der eigentlichen Meinung der Schülerinnen und Schüler kein Raum gegeben wird, sondern diese bloß versuchen das zu erraten, was die Lehrperson als richtig und gut bewerten würde, erschöpft sich eine formale Analyse oft in Langeweile. Es sollte die Möglichkeit gegebenen werden, dass die Schülerinnen und Schüler ihren Leseeindruck formulieren können, anstatt dass diese glauben müssen, das Richtige zu erraten. Ein Schüler hatte einmal während des Unterrichts gefragt, was er in der Klausur tun soll, wenn er sich nicht sicher sei, ob seine Interpretation richtig sei und er möglicherweise falsch interpretiere. Ob er die Funktion der Stilmittel richtig bestimmen oder den Inhalt richtig deuten könne. Eine Interpretation sollte jedoch immer ihre Berechtigung haben, solange sie begründet werden kann und sie für andere nachvollziehbar ist. Den Schülerinnen und Schülern sollte die Möglichkeit gegeben werden, dass diese die Zeichen und Symbole in Gedichten subjektiv beschreiben und deuten können, ohne gleich zu Beginn darauf zu achten, ob diese mit der Intention des Autors deckungsgleich sind. Sie sollten ihren persönlichen Leseeindruck und ihre Meinung formulieren können und nicht das Gefühl haben, dass sie eine Interpretation für jemand anderes schreiben, der ihr Verständnis eines Gedichtes anschließend nach richtig und falsch bewertet.
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- Barbara Lampert (Author), 2019, Die Heranführung an die Gedichtinterpretation in der Schule, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/500319
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