Die Arbeit besteht aus zwei zusammenhängenden Teilen. Im ersten Teil wird die Religionsphilosophie Ludwig Feuerbachs ausführlich thematisiert. Feuerbach beteiligte sich als Philosoph an den liberalen Bewegungen seiner Zeit. Wie sah diese von ihm vorgeschlagene liberale Philosophie aus? Warum empfand er es als unerlässlich, eine atheistische Position zu beziehen? Woraus bestand für ihn das Unvernünftige der Religion? Mit diesen Fragen befasst sich der erste Teil dieser Arbeit. Dabei werden kritische Anfragen an religionsphilosophische Konzepte, die seine atheistische Position nicht teilen, laut. Der zweite Teil baut auf daraus gewonnene Erkenntnisse auf. Die Errungenschaften Feuerbachs werden nicht widerlegt, sondern integriert. Die Philosophie Feuerbachs darf nicht übergangen werden. Diese Ausarbeitung basiert auf der Überzeugung, dass die Beiträge des Religionskritikers wertvoll für ein Verständnis des Menschen und deshalb auch richtungsweisend für die heutige Theologie und Religionsphilosophie sind. Zum einen verdeutlicht es, dass die Religionskritik Feuerbachs äußerst fruchtbar und anregend für theologisches und religionsphilosophisches Denken sein kann und zum anderen zeigt es, dass man den von Feuerbach eingeschlagenen Weg weiter gehen kann, ohne dabei eine atheistische Position beziehen zu müssen.
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
1 Einleitung
2 Die Religionsphilosophie Ludwig Feuerbachs
2.1 Stationen im Leben und Denken Ludwig Feuerbachs
2.1.1 Der Student
2.1.2 Der Philosophiehistoriker
2.1.3 Der Hegelkritiker
2.1.4 Der Religionskritiker
2.1.5 Der Naturphilosoph
2.1.6 Der Utilitarist
2.2 Das „sensualistische“ Prinzip
2.2.1 Der Anfang des Philosophierens
2.2.2 Der Weg zur Wahrheit
2.2.3 Das Denken
2.2.4 Der Begriff „Sinnlichkeit“
2.2.5 Die Differenz zwischen Denken und Wirklichkeit
2.2.6 Zusammenfassung
2.3 Das Wesen der Religion
2.3.1 Das Grundprinzip
2.3.2 Religion als Ausdruck der Kluft zwischen dem Subjekt und seinem Wesen
2.3.3 Religion als Ausdruck der menschlichen Abhängigkeit von der Natur
2.3.4 Religion als Ausdruck des menschlichen Glückseligkeitstriebes
2.4 Die Existenz Gottes
2.5 Diskussion
3 Überlegungen zu einer Theologie im Anschluss an Feuerbach
3.1 Theologische Grundrichtungen
3.1.1 Glaubenszentrierte Theologie
3.1.2 Anthropologisch gewendete Theologie
3.1.3 Existentielle Theologie
3.2 Die Archetypentheorie C. G. Jungs
3.2.1 Jungs Denken über die menschliche Psyche
3.2.2 Der Weg von der konkreten Erfahrung (Sinnlichkeit) zum Archetyp
3.2.3 Diskussion
3.3 Skizze zum religionsphilosophischen Konzept Drewermanns
3.3.1 Die Angst
3.3.2 Die Entwicklung des Individuums
3.3.3 Die Rolle der Religion und von Gott
3.3.4 Der Stellenwert Feuerbachs
3.3.5 Diskussion
4 Zusammenfassung und Diskussion
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Grafische Darstellung des „sensualistischen“ Prinzips
Abbildung 2: Grundprinzip des Wesens der Religion und der anthropologischen Philosophie
Abbildung 3: Schematische Darstellung von Jungs Modell der Psyche (Stevens, S. 51)
Abbildung 4: Schematische Darstellung der verschiedenen Formen der Angst, der zugehörigen Forschungsmethoden und der religiösen Antworten (Drewermann 1993, S. 354)
1 Einleitung
Wenn man die Sterne vom Himmel holt, dann verdunkelt sich der nächtliche Himmel und wo auf Erden Finsternis herrschte, stellt sich Licht und Sichtbarkeit ein. Die Orientierungslosigkeit der Nacht wandelt sich in ein alles durchflutendes Meer von Lichtquellen. Wie sollte einem dann noch irgendetwas entgehen, was auf Erden geschieht?
Vielleicht lässt sich das Vorhaben Ludwig Feuerbachs mit diesen Worten bildhaft umreißen. Er trat an, um den Götterhimmel zu zerstören und um das Wesen des Menschen zu erhellen. Nicht länger sollte der Götterhimmel mit all seinen Implikationen dafür sorgen, dass der Mensch zu kurz kommt. Feuerbach war ein Kind seiner Zeit, das im Gefolge vieler anderer für die Befreiung des Menschen von gesellschaftlicher und religiöser Unterdrückung kämpfte. Seine Anhänger wussten dies entsprechend anzuerkennen. So richtete der Heidelberger Arbeiter-Bildungsverein folgende Worte der Dankbarkeit an Feuerbach: “Wir sind keine Gelehrte und wissen daher den wissenschaftlichen Wert Ihrer Vorlesung nicht zu würdigen; soviel aber fühlen und erkennen wir, daß der Trug der Pfaffen und des Glaubens, gegen den Sie ankämpfen, die letzte Grundlage des jetzigen Systems der Unterdrückung und der Nichtswürdigkeit ist, unter welcher wir leiden; und daß Ihre Lehre daher, die an die Stelle des Glaubens die Liebe, an die Stelle der Religion die Bildung, an die Stelle der Pfaffen die Lehrer setzt, einzig die sichere Grundlage derjenigen Zukunft sein kann, die wir anstreben […]“ (zitiert nach Küng 2001, S. 247). Feuerbach beteiligte sich als Philosoph an den liberalen Bewegungen seiner Zeit. Wie sah diese von ihm vorgeschlagene liberale Philosophie aus? Warum empfand er es als unerlässlich, eine atheistische Position zu beziehen? Woraus bestand für ihn das Unvernünftige der Religion? Mit diesen Fragen befasst sich der erste Teil dieser Arbeit. Dabei werden kritische Anfragen an religionsphilosophische Konzepte, die seine atheistische Position nicht teilen, laut.
Die vorliegende Arbeit wäre aus meiner Sicht unbefriedigend, wenn sie nicht den Versuch unternähme, diesen Fragen zu begegnen. Im zweiten Teil der Arbeit wird darum danach gefragt, ob Theologie im Anschluss an Feuerbach überhaupt noch sinnvoll möglich ist. Dabei sollen die Errungenschaften Feuerbachs nicht widerlegt, sondern integriert werden. Die Philosophie Feuerbachs darf nicht übergangen werden. Diese Ausarbeitung basiert – ganz im Sinne des oben angeführten Zitates - auf der Überzeugung, dass die Beiträge des Religionskritikers wertvoll für ein Verständnis des Menschen und deshalb auch richtungsweisend für die heutige Theologie und Religionsphilosophie sind. Obwohl dieses Vorhaben weit über den im Rahmen des Seminars zur Religionsphilosophie gehaltenen Vortrag hinausführt, erachte ich dieses Vorgehen als sinnvoll. Zum einen verdeutlicht es, dass die Religionskritik Feuerbachs äußerst fruchtbar und anregend für theologisches und religionsphilosophisches Denken sein kann und zum anderen zeigt es, dass man den von Feuerbach eingeschlagenen Weg weiter gehen kann, ohne dabei eine atheistische Position beziehen zu müssen. Vielleicht führt ja der von ihm eingeschlagene Weg – wenn man ihn konsequent weiter denkt - zur Religion und zu Gott? Vielleicht führt ja eine bis zum letzten durchgehaltene Zerstörung des Götterhimmels nicht zu einer Erhellung, sondern zu einer Verdunkelung des menschlichen Wesens? Eine vernünftige Klärung dieser Fragen ist in Kürze nicht zu leisten. Deshalb muss diesen Fragen ähnlich viel Platz wie den Ausführungen zu Feuerbach eingeräumt werden. Nicht in Vergessenheit geraten sollte dabei der Sachverhalt, dass die im dritten Kapitel diskutierte Religionsphilosophie ohne Feuerbach nahezu undenkbar wäre. Ein innerer Zusammenhang wird an vielen Stellen greifbar. Doch zunächst zu Feuerbach und seiner Religionsphilosophie.
2 Die Religionsphilosophie Ludwig Feuerbachs
Wem heute der Name Ludwig Feuerbach zu Ohren kommt, der denkt meist an seine vehemente Kritik am Christentum und an Religion überhaupt. Leicht geht dadurch verloren, dass er sich im Laufe seines Schaffens verschiedensten philosophischen Fragestellungen gewidmet hat. Hier interessiert jedoch vor allem das, was Feuerbach über die Religion geäußert hat. Dies lässt sich nicht von seinem philosophischen Gesamtkonzept trennen. Es ist also zunächst nach den Grundlinien Feuerbachscher Philosophie zu fragen, um dann in einem weiteren Schritt ganz gezielt auf die für seine Religionsphilosophie relevanten Punkte eingehen zu können. Im Anschluss daran kann dann das eigentliche Thema, nämlich seine Religionsphilosophie, fundiert entfaltet werden.
2.1 Stationen im Leben und Denken Ludwig Feuerbachs
Informationen zum Leben des fränkischen Philosophen klingen im Folgenden nur bedingt an. Der Fokus liegt ganz wesentlich auf den inhaltlichen Aspekten.
2.1.1 Der Student
Als Ludwig Feuerbach im Sommer des Jahres 1804 in Landshut das Licht der Welt erblickt, steht Napoleon Bonaparte an der Schwelle seiner politischen Glanzzeit. Erst 11 Jahre später erfährt die Karriere Napoleons in Waterloo ihr definitives Ende und Europa im Rahmen des Wiener Kongresses eine grundlegende, reaktionäre Neuordnung. Die Ideen und Ideale der Französischen Revolution sollen dadurch unschädlich gemacht und die einstmaligen politischen Eliten wieder dauerhaft in ihren vorrevolutionären Rang gehoben werden. In dieser heterogenen Mischung aus freiheitlichem und reaktionärem Gedankengut wächst der junge Feuerbach in Ansbach heran, bis dass er im Jahre 1823 in Heidelberg das Studium der Theologie aufnimmt. Dieses setzt er ein Jahr später in Berlin fort. Schnell wird ihm klar, dass die Theologie seiner nach Einheit, Entschiedenheit und Unbedingtheit verlangenden Seele zutiefst zuwider ist. In ihr sieht er lediglich einen Mischmasch von Freiheit und Abhängigkeit, Vernunft und Glauben gegeben (vgl. Weischedel 2001, S. 238). Ein Jahr später wechselt er deshalb – bereits unter dem Einfluss Hegels stehend - zur Philosophie. Daran und am Misstrauen der preußischen Geheimpolizei seiner Person gegenüber lässt sich unschwer erkennen, welcher politischen und geistigen Strömung sich Feuerbach gleich zu Beginn seiner Studentenzeit zurechnen lässt: der liberal gesinnten.
2.1.2 Der Philosophiehistoriker
Im Jahre 1825 schließt der angehende Philosophiedozent sein Studium an der Erlanger Universität ab und gleich im Anschluss daran verfasst er sowohl seine Doktorarbeit als auch seine Habilitationsschrift. Am Anfang seiner Publikationstätigkeit steht ein Werk zur Philosophiegeschichte, das ganz im Zeichen hegelschen Denkens steht. Darin arbeitet er die neuere Philosophie von Bacon bis Spinoza auf. Überhaupt wendet sich der inzwischen durch religionsfeindliche Gedanken bei der Obrigkeit in Missgunst geratene Privatgelehrte in dieser Schaffensphase verstärkt der Geschichte der Philosophie zu. Dabei treibt ihn wohl weniger der Wunsch an, seine akademische Karriere doch noch zu retten. „Feuerbach erkennt in der Philosophiegeschichte vielmehr ein Potential geschichtlich realisierter Theorien, auf deren Basis der eigene Standpunkt systematisch begründet werden kann“ (Weckwerth 2002, S. 34). Das Fundament seines Denkens macht zu dieser Zeit – zumindest vordergründig - ganz die Geistphilosophie seines Lehrers Hegel aus. So stellt er denn auch in seiner Philosophiegeschichte Hegel an die Spitze der behandelten Denker, und zwar deshalb, weil es nur ihm gelingt, Subjektivität und Objektivität überzeugend zusammenzudenken. Feuerbach favorisiert Zeit seines Lebens philosophische Denkkonzepte, die weder ganz einem einseitigen Rationalismus (ausgehend von Descartes) noch einem blinden Naturalismus (ausgehend von Bacon) verfallen (vgl. Weckwerth 2002, S 35-42). Seinem Denken zueigen ist, dass bei ihm beide Positionen in einem Punkt zusammenlaufen, d.h. Subjekt und Objekt letztlich in ein und demselben Prinzip gründen. Es wird deutlich, wie nahe Feuerbach diesbezüglich bei seinem Berliner Lehrer steht und zugleich, dass er sich von der Transzendentalphilosophie Kants, aber auch vom rein äußerlichen Materialismus Hobbes’ distanziert (vgl. ebd., S. 35 – 42). Der Pantheismus um Bruno, Böhme und Spinoza stellt für ihn den ersten vernünftigen Versuch dar, die beiden Realitätspole, nämlich die Welt drinnen und die Welt draußen, gedanklich angemessen zusammenzubringen. Diese Linie kulminiert in der Geistphilosophie Hegels in vollendeter Weise, so sinngemäß der junge Feuerbach (vgl. ebd., S. 42).
2.1.3 Der Hegelkritiker
Diese Überzeugung überdauert gerade einen Zeitraum von sechs Jahren. Ihr definitives Ende findet sie in (s)einer umfassenden Kritik an der spekulativen Philosophie Hegels. „Feuerbach durchschaut den actus purus der Philosophie des Absoluten als ein Stück rationalisierter Theologie“ (Schmidt 1976, S. 198). Hegel fasst das Denken als einen „sich selbst erzeugenden Denkprozess“ auf und geht folglich von einem abgeschlossenen Vernunftbegriff aus (Weckwerth 2002, S 54). Mit anderen Worten: Das hegelsche Denken ist nach Feuerbach weitestgehend von Anschauung und Sinnlichkeit abgeschnitten und sieht im Subjekt (Mensch) und Objekt (Welt) lediglich den zu sich selbst kommenden aktiven Geist. Die menschliche Existenz wird sämtlicher passiver Momente beraubt und verliert entschieden an „existentieller“ Härte. Das vom abstrakten Weltgeist ausgehende Denken verdeckt für Feuerbach das wahre Wesen des Menschen. Die damit einhergehende Logifizierung der Wirklichkeit abstrahiert in unzulässiger Weise vom konkret Erlebten. Für den jetzigen Hegelkritiker hingegen rückt der Menschengeist und die menschliche Natur in den Vordergrund. Oft liest man über Feuerbach, dass er maßgeblich daran beteiligt war, die Philosophie Hegels vom Kopf auf die Beine zu stellen. An diesem Punkt erfährt diese Behauptung eine überzeugende Bestätigung. Sein ist für den einstigen Hegelianer nicht mehr nur gedachtes, spekulatives Sein, sondern es bewegt sich zwischen den Polen von menschlichem Geist und Materie (Natur). Beide Pole sieht er als konstitutiv für das Sein des Menschen an. Den Schlusspunkt seiner Kritik bildet eben diese Umkehrung des hegelschen Geistkonzepts. Das Denken ist für ihn jetzt nur noch als aus dem Sein Abgeleitetes vorstellbar. An die Spitze seiner Philosophie tritt ein genetischer Ansatz, der den Versuch unternimmt, verschiedenste Denkrichtungen vom Wesen des Menschen her zu verstehen. Das Wesen des Menschen ist der neue Angelpunkt seines Denkens.
2.1.4 Der Religionskritiker
Im Jahre 1841 verfasst Feuerbach ein Werk, das eine vernichtende Kritik an jedweder Metaphysik und Religion übt: Das Wesen des Christentums. Sein Ansinnen, mit jeglicher Art spekulativer Philosophie zu brechen, konnte konsequenterweise gar nicht vor der (christlichen) Religion Halt machen. Er widmet sich darum der Religionsphilosophie und glaubt, alle Gegenstände des Glaubens durch die Beschaffenheit des menschlichen Wesens erklären zu können. Das religiöse Gefühl ist für ihn das Resultat der Schranken zwischen dem individuellen Menschen und dem Wesen des Menschen (der menschlichen Gattung). Diese Kluft schließt der Mensch mittels der Religion. In der Sehnsucht nach Gott sieht Feuerbach die Sehnsucht nach dem schrankenlosen Mensch- bzw. Gattungsein, die sich im konkreten „Du“ (Mitmensch) stillen lässt. Die Hingabe bzw. Liebe stellt für ihn das Zentrum der Religion und da Gott für ihn lediglich als Platzhalter des menschlichen Wesens fungiert, in letzter Konsequenz das Zentrum des menschlichen Wesens dar. Diese frühe Religionsphilosophie wird später nochmals gezielt aufzugreifen sein. Hier genügt zunächst, dass sich Feuerbach im Anschluss an seine Kritik des Christentums den Vorwurf einer einseitigen Subjektphilosophie gefallen lassen muss, weshalb er anschließend verstärkt über die Natur, d.h das objektiv Gegebene, nachdenkt und eine anthropologische Philosophie begründet, die sich intensiv mit der Sinnlichkeit des Menschen und deren Bezugsgegenstand (die Natur) auseinandersetzt.
2.1.5 Der Naturphilosoph
Die Sinnlichkeit wird zum Schlüsselbegriff der anthropologischen Philosophie Feuerbachs (vgl. Schmidt 1976, S. 188 – 198 und Weckwerth 2002, S. 87 ff). Ins Blickfeld seiner Ontologie und seiner Auffassung der menschlichen Erkenntnis geraten immer deutlicher Anschauung und sinnliche Wahrnehmung. Dies schlägt sich auch auf sein Denken über Religion nieder. Während er die Geburt des Religiösen früher im Spannungsfeld von Individuum und menschlicher Gattung ansiedelte, denkt er Religion jetzt verstärkt im Kontext der Natur. Der Begriff Natur beschreibt für ihn „allgemein den Bezirk einer außermenschlichen Wirklichkeit“ (Weckwerth 2002, S. 102). Dieser Physiswelt steht der Mensch aber nicht im Sinne eines Dualismus gegenüber, vielmehr ist er durch das Band des menschlichen Leibes, der natürlichen Ursprungs ist, mit ihr verbunden. Die Natur erhält den Status eines transobjektiven Seins und gilt ihm fortan als Ausgangspunkt seines Philosophierens. Alle Phänomene gründen in letzter Konsequenz in der Natur und mittels genetischen Denkens lässt sich dies anhand der (Welt-)Geschichte zeigen. Die Religion resultiert aus der Abhängigkeit des Menschen von der Natur, die sich in den alltäglichen Erfahrungen von Endlich- und Nichtigkeit widerspiegelt (vgl. ebd., S. 106). Die von Schleiermacher als unableitbare und schlechthinnig bezeichnete Abhängigkeit von Gott (vgl. Schleiermacher 1799, S. 27 – 89, hier: S. 40) wird bei ihm in eine Abhängigkeit von der Natur umgedeutet. Naturreligionen sind noch ganz in der Natur verhaftet und in diesem Entwicklungsstadium ein Bildungs- und Erziehungselement für Individuum und Gesellschaft. Den Übergang von Natur- zur Geistreligion denkt er sprunghaft, nicht evolutionär (vgl. ebd., S. 110). Zu diesem Zeitpunkt tut sich Feuerbach längst als Befürworter und Mitgestalter, wenn auch nur – zumindest politisch - in geringem Ausmaß, der 48er-Revolution hervor. Als er den Grundstein seiner Naturphilosophie im Rahmen seiner Vorlesungen und Ausarbeitungen zum Wesen der Religion legt, steht die Revolution schon längst vor der Tür bzw. bereits im Zentrum politischen Handelns und Denkens.
2.1.6 Der Utilitarist
Mit fortschreitendem Alter rückt beim Frontkämpfer des Linkshegelianismus der Glückseligkeitstrieb des Menschen als wesentlicher Zug der menschlichen Gattung und als Motiv des Glaubens in den Vordergrund. Dieser Aspekt war bereits in seinen ersten religionsphilosophischen Schriften angelegt (vgl. Feuerbach 1843), erhält nun jedoch einen weitaus höheren Stellenwert, was sich nicht zuletzt an seiner dem Utilitarismus nahe stehenden Schrift zur Moralphilosophie kurz vor seinem Tode ablesen lässt. Am 13. September 1872 stirbt Ludwig Feuerbach und wird kurze Zeit später unter der Anteilnahme zahlreicher Sozialdemokraten in Nürnberg beerdigt.
Dieser zügige Gang durch das Leben und Denken Feuerbachs wird seinem Gesamtwerk keinesfalls gerecht, dennoch ist mit Blick auf das Anliegen dieser Arbeit das Wesentliche gesagt, so dass im Weiteren auf einzelne, bisher nur knapp behandelte Themen, gezielt eingegangen werden kann. Die Religionsphilosophie Feuerbachs vollzog eine Entwicklung, im Kern blieb sie jedoch immer atheistisch. Das Zentrum der Feuerbachschen Philosophie macht seine Haltung zur Sinnlichkeit aus. In seiner Schrift zum Wesen des Christentums bleibt diese zwar noch eher im Verborgenen, wohingegen sie spätestens mit seinem Ansinnen, eine anthropologische Philosophie zu begründen, zur vollen Entfaltung kommt. Auf dieses von Schmidt 1976 als „sensualistisches“ Prinzip bezeichnete Fundament baut sein Denken über Gott und Religion (vgl. Schmidt 1976, S. 188).
2.2 Das „sensualistische“ Prinzip
Dass die Philosophie Feuerbachs’ im Laufe seines Lebens einer stetigen Entwicklung unterlag, hebt der vorhergehende Abschnitt deutlich hervor. Dies gilt vor allem auch hinsichtlich seiner Auffassung bezüglich der menschlichen Erkenntnis und der Wahrheitsfrage. Weckwerth 2002 durchläuft das Leben des Marxschen Wegbereiters chronologisch und liefert dafür den Beleg (vgl. Weckwerth 2002, S. 81 – 115). Wichtig ist hier aber nicht, die Entwicklungslinien nachzuzeichnen und die unterschiedlichen Ansichten der einzelnen Feuerbachkenner gegeneinander abzuwägen, sondern es kommt darauf an, einen Weg hin zum Verständnis seiner Religionsphilosophie zu bahnen. Auch wenn seine Ausführungen zum Wesen des Christentums das menschliche Verhältnis zur gegenständlichen (nicht menschlichen) Natur noch weitestgehend unreflektiert lässt (vgl. z. B. Weckwerth 2002, S. 101), so stehen spätere Überlegungen dazu nicht prinzipiell quer, sondern stellen ein Fortschreiten in bereits eingeschlagener Richtung dar. Eine Gesamtdarstellung, die zwar die angesprochenen Entwicklungen ausblendet, die wesentlichen Elemente des „sensualistischen“ Prinzips aber geschlossen darstellt, findet sich bei Schmidt 1976. Dieser wird im Weiteren weitgehend gefolgt.
2.2.1 Der Anfang des Philosophierens
Das „sensualistische“ Prinzip lässt sich nur als Reaktion auf Hegel verstehen. Nicht Denken und Geist sind Angelpunkt jeglichen Philosophierens, vielmehr geht es darum, der Sinnlichkeit zu ihrem Recht zu verhelfen. „Von Anbeginn empfindet es Feuerbach als unredlich, von ’voraussetzungslosem’ Denken zu sprechen“ (Schmidt 1976, S. 190). Das Denken gründet in der Sinnlichkeit, d. h. nicht der Geist bestimmt die Welt, sondern Sinnlichkeit und Natur den Geist bzw. das Denken. Damit erfährt neben der Sinnlichkeit auch die Natur eine Aufwertung. Gleichzeitig grenzt Feuerbach seine Sicht der Dinge von der Transzendentalphilosophie Kants ab. Unser Denken über Natur und Welt ist nicht ein Produkt unserer Erkenntnis, d.h. es ist nicht schon durch die transzendentale Beschaffenheit unseres Erkenntnisapparates vorgeformt, sondern korrespondiert in irgendeiner Weise mit der Natur. Nicht die menschliche Erkenntnis strukturiert das Weltchaos, die Naturdinge selbst weisen eine Eigenstruktur und Gesetzmäßigkeiten auf (vgl. ebd., S. 196). Damit kommt Feuerbach sowohl dem Positivismus als auch dem französischen Materialismus nahe, ohne sich jedoch diese Positionen unkritisch zu Eigen zu machen. Ihm bleibt eine Reduktion des Menschen auf eine mechanische Seinsweise fremd (vgl. Weckwerth 2002, S. 36). Der Mensch ist nicht einfach eine Modifikation der Materie, vielmehr erblickt er in ihm etwas qualitativ Neues, nämlich neben der organischen auch eine geistige Sphäre (vgl. Schmidt 1976, S. 190 und Weckwerth 2002, S. 36). Wie denkt Feuerbach über den Zusammenhang von Natur, Mensch, Denken und Sinnlichkeit?
2.2.2 Der Weg zur Wahrheit
„Feuerbachs ‚sensualistisches Prinzip’ ist […] zunächst gegenstandstheoretischer Realismus. Aller Kontakt mit dem objektiv Wirklichen basiert letztlich auf der Sinnlichkeit“ (Schmidt 1976, S. 192). Die Anschauung reißt den Menschen aus der denkerischen Selbstbezogenheit heraus (vgl. Hüsser 1993, S. 83). Mit anderen Worten: Während das Denken problemlos völlig isoliert um sich selbst kreisen und sich in spekulativen (Schein-)Wirklichkeiten versteigen kann, dient die Anschauung als Korrektiv, ja, sogar als einzige Quelle der Wahrheit. Im Gegensatz zu Kant geht Feuerbach davon aus, dass das methodisch Erste das Denken (vgl. ebd., S. 83), das genetisch Erste die Anschauung ist (vgl. Schmidt 1976, S. 193). Das heißt, dass der Mensch zwar mit dem Denken beginnt, durch Anschauung aber erst zum Kern der Wahrheit vordringt. Dies sieht vor allem der jüngere Feuerbach in einer liebevollen Hingabe an den Mitmenschen verwirklicht (Weckwerth 2002, S. 88 – 89). Die Sinnlichkeit stellt also die Brücke zum Seienden dar.
2.2.3 Das Denken
Dahinter verbirgt sich allerdings keine generelle Geistfeindlichkeit, eher ist darin eine Abkehr von Hegel zu sehen, der den Geist verabsolutiert. Deshalb verwundert auch die Feststellung von Schmidt 1976 nicht, dass „die Sinnlichkeit als ‚wahre, nicht gedachte und gemachte, sondern existierende Einheit des Materiellen und Geistigen bei Feuerbach anzusehen ist (Schmidt 1976, S. 193). Die Sinnlichkeit wird also von beiden Sphären, nämlich der geistigen und der materiellen, bestimmt. In jenem Moment, in dem der Mensch die Natur zu beherrschen beginnt, verliert die Sinnlichkeit ihre Gewissheit. Der Mensch hebt den einzelnen, sinnlich wahrgenommenen Gegenstand aus seinem Kontext heraus, macht ihn zu einem Verstandesgegenstand und verknüpft anschließend einzelne Sinneswahrnehmungen denkerisch. Diesen Endpunkt bezeichnet Feuerbach als Denken. Die Differenz von Wesen und Erscheinung erfährt folglich weder eine positivistische Einebnung noch eine Aufspaltung in ein Reich des Denkens und ein Reich der Gegenstände, vielmehr ist sie Resultat einer denkerischen Synthese (vgl. ebd., S. 194). Der Weg zurück zur Sinnlichkeit hebt die Differenz auf; Wesen und Erscheinung sind in der Sinnlichkeit eins.
2.2.4 Der Begriff „Sinnlichkeit“
Um dies besser verstehen zu können, ist ein Blick auf die Bedeutung des Begriffs „Sinnlichkeit“ bei Feuerbach hilfreich. Zunächst steht die Sinnlichkeit für das Unzweifelhafte, „Sonnenklare“ (vgl. Weckwerth 2002, S. 90). Andererseits betont der Religionskritiker, dass das Sinnliche nicht als das auf der Hand liegende, also nicht als selbsterklärend aufzufassen ist. Nach Weckwerth 2002 löst sich dieser Widerspruch dann auf, wenn man den Begriff „Sinnlichkeit“ nicht als bloßen Gefühlszustand und Affekt versteht, sondern als Prozess, der vom methodisch Ersten, also dem Denken, zum genetisch Ersten, der Sinnlichkeit, führt (vgl. ebd., S, 90). Den Weg zur Wahrheit betritt man dann, wenn man sich aus seinem „alltagspraktischen, interessegeleiteten Dasein (Sphäre der Vorstellungen und Phantasien) zur Ebene eines liebenden, leidenschaftlichen Bezugs (Sphäre der Anschauung) erhebt“ (ebd., S. 90). Wie bereits erwähnt, verfällt er dabei keinem mechanischen Naturalismus. Wichtig sind ihm neben den äußeren Sinnen auch die inneren Sinne, das heißt die innere Wahrnehmung und Lebendigkeit des Menschen. Es erfolgt keine Reduktion auf biologische Gesetzmäßigkeiten und materielle Prozesse. Das Wesen des Menschen, das für ihn durch Vernunft, Wille und Herz gekennzeichnet ist, (vgl. Feuerbach 1843, S. 39), erhält seinen eigenen Wert und seine eigene Würde. Ist diese Beschränkung auf die Sinnlichkeit, d.h. auf die konkrete Anschauung überhaupt in der Lage allgemeine Aussagen hervorzubringen?
2.2.5 Die Differenz zwischen Denken und Wirklichkeit
Weckwerth 2002 kritisiert Feuerbach dahingehend, dass er ihr zufolge auf der Ebene von Einzelaussagen stehen bleibt und keinen Weg zum Allgemeinen aufzeigt. (vgl. Weckwerth 2002, S. 94) Schmidt 1976 hingegen sieht bei Feuerbach durchaus eine Vermittlung beider Ebenen. Die Kluft zwischen Denken (Allgemeinheit) und Wirklichkeit (Individualität) schließt sich seiner Meinung nach durch eine direkte Verbindung von der Anschauung zum Denken. So wie das Salz etwas an sich hat, das beim Menschen zu einem sauren Geschmack führt, so hängt auch das Denken mit dem gegebenen Sein zusammen. (vgl. Schmidt 1976, S. 197) Die Sinnlichkeit bietet den Ausgangspunkt des Denkens und beeinflusst somit das Denken. Zwar wird auf diese Weise Außermenschliches in menschliche Worte gepackt, weshalb es zu einem „Verlust“ an Wahrhaftigkeit kommt, andererseits wurzelt die subjektive Wahrnehmung in einer objektiven Gegebenheit – ähnlich wie eben eine objektive Beschaffenheit des Salzes einen sauren Geschmack beim Menschen hervorruft. Dieser Widerspruch, „dass die Natur sich jedem menschlichen Maßstab entzieht und dennoch nur vermöge unausrottbar anthropomorpher Kategorien angeeignet wird, muß, mit Hegel zu reden, ‚ausgehalten’ werden“ (ebd., S. 197). Dem Denken obliegt folglich die Aufgabe, der Anschauung beim Reden über Wahrheit den zentralen Stellenwert einzuräumen. Denken und Wirklichkeit sind durch die Sinnlichkeit miteinander verbunden. Deshalb kann Schmidt 1976 ganz im Sinne des fränkischen Denkers behaupten: „Unserer Vorstellung objektiver Gesetzmäßigkeiten korrespondiert Wirkliches; sie ist keine bloße Projektion“ (ebd., S. 197). Insofern bekämpft er jeden Agnostizismus (vgl. ebd., S. 197). Durch das Denken werden sinnvolle Theorien und sinnvolles Reden über die Welt dann möglich, sofern dabei an der Sinnlichkeit Maß genommen wird.
2.2.6 Zusammenfassung
Die entscheidenden Problemkreise des „sensualistischen“ Prinzips sind nun umrissen. Unten stehende Abbildung fasst dies nochmals graphisch zusammen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Grafische Darstellung des „sensualistischen“ Prinzips
Deutlich wird, dass Feuerbach unter Natur einerseits die außermenschliche Wirklichkeit versteht und er andererseits den Menschen als Teil der Natur sieht, und zwar „als deren entfaltetstes Produkt“ (Weckwerth 2002, S. 103). Eine Verbindung mit der Natur ist durch die leibliche Existenz des Menschen gegeben. Selbst die inneren Sinne beziehen sich somit auf die Natur. Die Vermittlung von Leib, Denken, Mitmensch und außermenschlicher Wirklichkeit obliegt der Sinnlichkeit (Anschauung), dem Kern Feuerbachscher Philosophie. Das Denken ermöglicht dann allgemeine Aussagen, wenn es an der Sinnlichkeit Maß nimmt. Der erkenntnistheoretische Prozess verläuft vom methodisch Ersten (Denken) zum genetisch Ersten (Sinnlichkeit) und wieder zurück zum Denken (allgemeine Aussage). Das Zentrum nimmt dabei die Sinnlichkeit ein.
Mittels dieses Schemas lassen sich die nachfolgenden religionsphilosophischen Ansichten verstehen und analysieren.
2.3 Das Wesen der Religion
Schon Feuerbachs erstes Studienfach unterstreicht sein Interesse an religiösen Inhalten. Auch später, als er der Theologie schon längst den Rücken gekehrt hat, steht häufig die Religion im Zentrum seines Schaffens. Sein religionsphilosophisches Konzept erfährt eine Reihe von Erweiterungen und Vertiefungen. Das Grundprinzip hingegen bleibt sich gleich.
2.3.1 Das Grundprinzip
Entfaltet man die Religionsphilosophie des fränkischen Denkers vom Kern seiner Philosophie her, nämlich dem „sensualistischen“ Prinzip, dann ist vor allem auf die Rolle der Sinnlichkeit bei religiösen Phänomenen zu achten. Stark auf die geistige Ebene fixiert konnte Hegel – so zumindest Feuerbach - problemlos von einer Synthese von Welt und Transzendenz ausgehen, und zwar deshalb, weil seinem Denken der in der Welt zu sich selbst kommende absolute Geist (Gott) zugrunde liegt. Das Grundprinzip der Feuerbachschen Religionsphilosophie bestreitet im Gegensatz dazu die Vernünftigkeit einer Gottesvorstellung (vgl. Abbildung 2).
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- Arbeit zitieren
- Stephan Abele (Autor:in), 2005, Die Religionsphilosophie Ludwig Feuerbachs und Überlegungen zu einer Theologie im Anschluss an Feuerbach, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/49934
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