Zum 125. Geburtstag des Erben von Bayreuth richtete ihm das Richard-Wagner-Museum im Haus Wahnfried eine Ausstellung unter dem Titel „Das Theater Siegfried Wagners“ aus. Doch der Titel führte in die Irre – behandelt wurde ausschließlich sein Wirken als Festspielleiter, das eigene Opernschaffen wurde bis auf Marginalien ausgegrenzt. Im Ausstellungsheft ist dazu zu lesen:
„Siegfried Wagners eigenes kompositorisches Schaffen, das unter anderem immerhin 15 vollendete Opern (!) umfasst, konnte in der Ausstellung nicht berücksichtigt werden. Es ist ein Thema für sich, das es nicht verdient, gleichsam als Appendix zu seinem Bayreuther Bühnenschaffen abgehandelt zu werden.“1
Auch anderweitig ist es schwierig, sich über das Opernschaffen Siegfried Wagners zu informieren – nehmen wir an, einem Dramaturgen würde eines von Siegfried Wagners Opernwerken zur Beurteilung vorgelegt werden, so kann dieser wohl im Normalfall kaum auf die nur schwer erreichbare Sekundärliteratur zurückgreifen.
1 Friedrich, Sven „Das Theater Siegfried Wagners. Eine Ausstellung des Richard-Wagner- Museums im Haus Wahnfried zu Siegfried Wagners 125. Geburtstag“, Bayreuth o. J. (1994), S. 3-4.
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Der Dramaturg und Siegfried Wagner
Eine Fallstudie, nicht nur am Beispiel der „Heiligen Linde“
Zum 125. Geburtstag des Erben von Bayreuth richtete ihm das Richard-Wagner-Museum im Haus Wahnfried eine Ausstellung unter dem Titel „Das Theater Siegfried Wagners“ aus. Doch der Titel führte in die Irre – behandelt wurde ausschließlich sein Wirken als Festspielleiter, das eigene Opernschaffen wurde bis auf Marginalien ausgegrenzt. Im Ausstellungsheft ist dazu zu lesen:
„Siegfried Wagners eigenes kompositorisches Schaffen, das unter anderem immerhin 15 vollendete Opern (!) umfasst, konnte in der Ausstellung nicht berücksichtigt werden. Es ist ein Thema für sich, das es nicht verdient, gleichsam als Appendix zu seinem Bayreuther Bühnenschaffen abgehandelt zu werden.“[1]
Auch anderweitig ist es schwierig, sich über das Opernschaffen Siegfried Wagners zu informieren – nehmen wir an, einem Dramaturgen würde eines von Siegfried Wagners Opernwerken zur Beurteilung vorgelegt werden, so kann dieser wohl im Normalfall kaum auf die nur schwer erreichbare Sekundärliteratur zurückgreifen.
Auch die dramaturgische Zuordnung der Bühnenwerke Siegfried Wagners ist kein leichtes Unterfangen. Daß das so vorschnell wie unausrottbar an ihn vergebene Signum „Märchenopernkomponist“ nicht zu halten ist, ist schnell belegbar, paßt doch diese Bezeichnung nur zu „Der Bärenhäuter, op.1“, „An allem ist Hütchen schuld, op. 11“ und „Das Flüchlein, das Jeder mitbekam, op.18“. Aber wie soll man die Opern dann benennen? Sind es überhaupt Opern oder womöglich musikdramatische Werke oder gar Bühnenfestspiele wie bei Wagner dem Älteren? Da von einer Aufführungstradition nicht die Rede sein kann, muß man sich oft damit begnügen, die Libretti für die Lösung dieser Frage heranzuziehen. Dabei ist allerdings zu beachten, dass Siegfried Wagner seine Libretti als eigenständige Dichtung erschienen ließ – oft bevor die Komposition abgeschlossen war. Daher können bei Libretto und der Fassung letzter Hand unterschiedliche Fassungen des Textes vorliegen, ohne dass deswegen eine von beiden nicht autorisiert ist.
Als Librettist gibt Siegfried Wagner dem Dramaturgen allerdings keinen Fingerzeig über die Art seiner Werke, so nennt er zwar „An allem ist hütchen schuld“ ein „Märchenspiel in drei Akten“ und das „Flüchlein, das jeder Mitbekam“ ein „Spiel aus unserer Märchenwelt“, beläßt es aber ansonsten bei einfachen Aktangaben.
Berücksichtigt man die Titelgebung seiner 18 abendfüllenden Bühnenwerke (einschließlich des Fragment gebliebenen op. 16) an, so stellt man eine Vorliebe für Substantive fest, die manchmal in Synästhesie zur Metapher gereiht werden (Sternen-Gebot, Schwarz-Schwanen-Reich) oder aus dem gleichen Sinnesgebiet stammen (Sonnen-Flammen, Liebes-Opfer). Den Titeln ist gemeinsam, daß sie keinen konkreten Hinweis auf den Inhalt der Oper geben, ja oft auf die falsche Spur locken - große Ausnahme ist dabei der Opernerstling, „Der Bärenhäuter“, bei welchem man Grimm erwartet und Grimm zu hören bekommt. Bei „Der Kobold“ könnte man eher eine komische Oper, bei „Herzog Wildfang“ eine Art heitere Operette erwarten. Eine Dietrich von Bern-Handlung vermuten hinter „Banadietrich“ wohl nur äußerst sattelfeste Germanisten[2], dagegen wird wiederum enttäuscht, wer bei „Bruder Lustig“ das entsprechende Grimm’sche Märchen erwartet. „Rainulf und Adelasia“ sind eben keine hehren Liebenden wie „Tristan und Isolde“, das scheinbar verbindende Wörtlein „und“, über das auch schon das Liebespaar beim Vater ins Grübeln kam, lockt beim Sohn schlichtweg auf die falsche Fährte - Adelasia liebt nämlich Osmund und Rainulf bestenfalls sich selbst! „Friedensengel“ könnte eine Münchner Stadtgeschichte erzählen und „Der Heidenkönig“ eben auch eine Art Vorgängeroper zu Norbert Schultzes Heidschnuckenrumantik in der 1936 uraufgeführten Oper „Der schwarze Peter“ (mit Heideglück und Erikapflänzchen, soweit das Auge blickt), darstellen. Dabei handelt es sich um die Auseinandersetzung zwischen Heidentum und Christentum an der Schwelle zu einer neuen Zeit!
Wo Siegfried Wagner scheinbar mehr andeutet, wenn er nämlich längere Operntitel wählt, verrät er eben doch nichts, sondern macht nur neugierig: „An allem ist Hütchen schuld“ - aber was für ein Hütchen? Und woran ist die Kopfbedeckung schuld? Oder was ist das für ein „Flüchlein, das Jeder mitbekommen hat“, möchte man sich fragen - und ist mitten in der Handlung angekommen, gleichsam vom Titel hineinverlockt. Als Titelgeber ist Siegfried Wagner nicht zu trauen...
Dafür helfen sprechende Namen durch das Operndickicht, Figuren namens „Hans Kraft“, „Melchior Fröhlich“, „Liebhold“, „Friedelind“, „Fritigern“ kann man unbesorgt vertrauen, der Reinhart hat eben auch ein reines Herz und manchmal, wie beim „Schneider Zwick“ oder beim „Gärtner Zupfer“ (benannt nach dem Wahnfriedgärtner Hupfer) steckt im Namen ein Schmunzeln. Wegweiser sind auch die Namen des Personals aus der übernatürlichen Sphäre: „Das Wurzelweib vom Hahnenkamm“, „Galgenmännchen“ (im Volksaberglauben entsteht aus dem Samen eines Gehängten ein zauberkräftiges Wurzelwesen dieses Namens), „Frau Urme“, „Raunerath“, „Flederwisch“ - hier ist Vorsicht geboten.
Dazu gibt es auch namenlose, nur durch ihr Handeln charakterisierte Figuren: „Der böse Jäger“, „Die Stimme des Herrn“, „Der Versucher“ oder gar „Eine böse Zunge“ lassen sich auf den Besetzungslisten ausmachen.
Die Sprache des Librettisten erscheint oft von Archaismen geprägt, er macht sie sich auf altdeutsch anmutende Weise für die Musik „passend“, mischt verschiedene Strophen- und Reimformen sowie gereimte, ungereimte, kurze und lange Verse innerhalb seines Textes bunt, wie es ihm paßt - und nicht „nach der Regel“ oder, wenn doch, dann getreu nach Hans Sachs: „Ihr stellt sie selbst und folgt ihr dann“[3].
Siegfried Wagners Libretto-Sprache irritiert –und das nicht nur den heutigen Zuhörer, so schrieb Julius Korngold:
„Und was für Verse, was für Deutsch! Zu den Geheimnissen der Oper muß auch irgendein Zaubertrank gehören, der Tristan mit Buschs ‚frommer Helene‘ zusammengebracht hat. Es wimmelt von verstümmelten Verkürzungen, geschraubten Wortzusammensetzungen (Traumwetterwolken, Mutterzank, Wolkenherz, Minnewonnengeck usf.) in diesem Libretto.“[4]
Vor der Qualität anderer Opernlibretti muß sich sein dichterisches Werk allerdings nicht verstecken, wenn man sie sich auch wahrlich nicht als Lesedrama zu Gemüte führen wollte! Doch wer möchte beispielsweise den Beginn von „Rheingold“ als ernstgemeinte Lesung hören?
Natürlich ist es sakrosankt, vertonte Sprache ohne die Musik bewerten zu wollen, und so wird auch für den kritischen Dramaturgen manches, was sich zweifelhaft liest, beim Zuhören zum sinnvollen Element der Operndichtung. Als Beispiel mag das Lied der Urme aus „Bruder Lustig“ gelten:
[...]
[1] Friedrich, Sven „Das Theater Siegfried Wagners. Eine Ausstellung des Richard-Wagner-Museums im Haus Wahnfried zu Siegfried Wagners 125. Geburtstag“, Bayreuth o. J. (1994), S. 3-4.
[2] So gibt es z. B. bei Vernaleken, Theodor „Mythen und Sagen des Volkes in Österreich“, Wien 1859 als Sage Nr. 19 die Sage von Dietrich von Bern als verdammten „Banadietrich“.
[3] So Hans Sachs in III,2 von „Richard Wagner „Die Meistersinger von Nürnberg“.
[4] Korngold, Julius „Deutsches Opernschaffen der Gegenwart. Kritische Aufsätze“, Leipzig und Wien 1921, S. 52.
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- Dr. Sabine Busch-Frank (Autor), 2001, Der Dramaturg und Siegfried Wagner - Eine Fallstudie, nicht nur am Beispiel der 'Heiligen Linde', Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/49785
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