In dieser Seminararbeit wird die "Opposition der jungen Generation im Dritten Reich" ausführlich behandelt.
Die Jugendopposition wurde vom NS-Regime sehr ernst genommen, systematisch verfolgt und Minderjährige sogar mit dem Tode bestraft. Der jugendliche Widerstand ist im Vergleich zu dem erfolglosen Putsch am 20. Juli 1944 gegen die NS-Diktatur und der Widerstandsbewegung "Weiße Rose" weniger bekannt, war aber ein nicht unerheblicher Bestandteil des deutschen Widerstandes.
Der Widerstand Jugendlicher gegen den Nationalsozialismus war nur teilweise politisch oder ideologisch untermauert bzw. von ethischen oder religiösen Werten getragen. Manchmal entstand er spontan, vor allem aber wehrten sich die Jugendlichen gegen die immer stärker werdende Unterdrückung durch den nationalsozialistischen Staat.
Abschließend wird versucht eine Erklärung für die teilweise sehr späte Anerkennung und Würdigung dieser Jugendgruppen in der Bundesrepublik Deutschland zu geben.
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1. Vorwort
2. Widerstand der Bündischen Jugend: Die Edelweißpiraten
2.1 Soziale Herkunft und Auftreten
2.2 Der Edelweißpirat Bartholomäus Schink
2.3 Ziele und Aktivitäten im Dritten Reich
3. Widerstand aus der Arbeiterklasse: Die Meuten
3.1 Soziale Herkunft und Entstehung
3.2 Verschiedene Meuten-Gruppen und deren Auftreten
3.3 Widerstand im Dritten Reich
4. Kultureller Widerstand: Die Swing-Jugend
4.1 Soziale Herkunft
4.2 Widerstand durch unangepasstes Auftreten
4.3 Verhaftungswelle und deren Folge
5. Deutsch-jüdischer Widerstand am Beispiel der Herbert-Baum-Gruppe
5.1 Der geschürte Judenhass
5.2 Der Widerstandskämpfer Herbert Baum und seine Gruppe
5.3 Brandanschlag und das Ende der Widerstandsgruppe
6. Nachwort
7. Literaturverzeichnis
7.1 Primärliteratur
7.2 Sekundärliteratur
8. Internetadressen
Abbildungsverzeichnis
Einband: Stufen abweichenden Verhaltens 1933-1945, entwickelt von dem Historiker Detlev Peukert. In: Regenhardt, H.-O., Tatsch, C., Forum Geschichte, Bd. 4, Cornelsen Verlag, Berlin 2003, S. 127 [entfernt]
Abb. 1: Lager der Bündischen Jugend in Berlin-Grunewald (1933). Bundesarchiv, Bild 102-14642, Bild ohne Ang., Mai 1933 [entfernt]
Abb. 2: Nazi-Propaganda im Dritten Reich. HJ-Bild (links): wissen-digital.de. Abgerufen am 1.10.2018 von https://www.wissen- digital.de/Hitlerjugend [entfernt] BDM-Bild (Mitte): Abgerufen am 1.10.2018 von https://www.pinterest.de/pin/ 327566572880849115/ [entfernt] Deutscher Student-Bild (rechts): Abgerufen am 1.10.2018 von https://www.pinterest.de/pin/528398968765155613/ [entfernt]
Abb. 3: Edelweißpiraten (links): Edelweißpiraten aus dem Stadtteil Köln/Sülz aus dem Jahr 1943. Jean Jülich/ NS-Dokumentationszentrum Köln. Abgerufen am 1.10.2018 von https://www. dubistanders.de/Fritz-Theilen/Wie-konnte-man-einen-Edelweisspiraten-erkennen bzw. http://www.spiegel.de/einestages/jugend-in-nazi-deutschland-mit- fahrtenmessern-gegen-den-fuehrer-a-948529.html [entfernt] Abzeichen der Edelweißpiraten (rechts): Abgerufen am 1.10.2018 von https://dieedelweispiraten-de.webnode.com/ fotogalerie/#a440545-jpg1 [entfernt]
Abb. 4: Bartholomäus Schink (27.11.1927 - 10.11.1944). Gedenkstätte Deutscher Widerstand. Abgerufen am 1.10.2018 von https://www.gdw-berlin.de/vertiefung/biografien/personenverzeichnis/biografie/ view-bio/bartholomaeus-schink/?no_cache=1 bzw. Goeb, A. (1985) Er war sechzehn, als man ihn hängte. Klett Verlag, Stuttgart, S.6 [entfernt]
Abb. 5: Wandgraffiti an der Hinrichtungsstätte in Köln-Ehrenfeld (links): Bild von Markoz vom 23.10.2013 (Urheber) mit freien Nutzungsrechten. Hier wurden am 25.10.1944 elf vom NS-Regime zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppte Bürger Polens und der UdSSR und am 10.11.1944 dreizehn Deutsche, unter ihnen jugendliche Edelweißpiraten aus Ehrenfeld so wie andere Kämpfer gegen Krieg und Terror, ohne Gerichtsurteil öffentlich durch Gestapo und SS gehenkt. [entfernt] Gedenktafel für Opfer des NS-Regimes (rechts): Bild von Christoph Rückert (Urheber), mit freien Nutzungsrechten [entfernt]
Abb. 6: Leipziger Meuten: Die Brüder Wolfgang u. Rudolf Schieweg, Mitglieder der Meute Reeperbahn (links): Flyer zur Buchvorstellung und Vortrag „Die Leipziger Meuten. Jugendopposition im Nationalsozialismus“ am 13.3.2012 von S. Lange, Passage Verlag, Leipzig; Abgerufen am 1.10.2018 von https://www.conne-island.de/plakat/nr2739.html bzw. „Kein Bock auf HJ“. Die Leipziger Meuten. Stationsarbeit der Universität Leipzig. Breitengraser, C., Hadenfeldt,J., Unrein, S., Zosgornik, N. (2016). Abgerufen am 1.10.2018 von https://oer.uni-leipzig.de/wp-content/files_mf/1488958761 Handreichung_Keinbock_neu.pdf [entfernt] Meyersdorfer Meute um 1943 aus dem Leipziger Südwesten (rechts): Lange, S. Die Leipziger Meuten. Jugendopposition während der NS-Zeit. Abgerufen am 1.10.2018 von https://leipzigermeuten.wordpress.com/geschichte/ [entfernt]
Abb. 7: Die Swing-Jugend beim Tanz. planet-wissen.de. Abgerufen am 1.10.2018 von https://www.planet-wissen.de/ geschichte/nationalsozialismus/kindheit_im_zweiten_weltkrieg/ pwiedieswingjugend100.html [entfernt]
Abb. 8: Diskriminierendes Plakat im Dritten Reich. Plakat von Ziegler aus der Düsseldorfer Ausstellung von 1938, zusammengestellt von A. Dümling, Berlin. Abgerufen am 1.10.2018 von http://www.duemling.de/ entartete-musik. Anlässlich der „Reichsmusiktage“ vom 22.5.1938, dem 125ten Geburtstag Richard Wagners, in Düsseldorf, eröffnete Ziegler, Generalintendant des Deutschen Nationaltheaters Weimar, die Propaganda-Ausstellung „Entartete Musik“. Als Vorbild diente ihm die Ausstellung „Entartete Kunst“ in München, 1937
Abb. 9: Antisemitische Losung 1933 (links). Brennende Synagoge in Essen, Pogromnacht 1938 (Mitte). Postkarte zur Ausstellung „Der ewige Jude“ 1938 (rechts). Alle 3 Bilder aus: Scriba, A. (23.6.2015), Deutsches Historisches Museum, Berlin. Ausgrenzung und Verfolgung der jüdischen Bevölkerung. Abgerufen am 1.10.2018 von https://www.dhm.de/lemo/kapitel/ns-regime/ausgrenzung-und-verfolgung.html#
Abb. 10: Herbert Baum (10.2.1912 - 11.6.1942).
Gedenkstätte Deutscher Widerstand. Abgerufen am 1.10.2018 von https://www.gdw-berlin.de/vertiefung/biografien/personenverzeichnis/biografie/view-bio/herbert-baum/?no_cache=1 bzw. http://herbertbaumgroup.blogspot.com/ [entfernt]
Abb. 11: Ausstellungsplakat „Das Sowjet-Paradies“ vom Mai/Juni 1942. Badrnejad, K. Spiegel Geschichte Nr. 5, 2012, S. 90. Dieser Tod passt zu mir. Spiegel Verlag, Hamburg [entfernt]
Abb. 12: Berliner Gedenkstein im Lustgarten (links): Herbert-Baum-Memorial, Lustgarten Berlin, mit der Inschrift: „Unvergessen die mutigen Taten und die Standhaftigkeit der von dem Jungkommunisten Herbert Baum geleiteten antifachistischen Widerstandsgruppe", Bild von Seth Schoen, mit freien Nutzungsrechten. Abgerufen am 1.10.2018 von https://commons. wikimedia.org/wiki/file:Herbert_Baum_Memorial_2528670399.jpg [entfernt] Gedenktafel für Sala und Martin Kochmann, am Haus Gipsstr.3 in Berlin (rechts): Inschrift: „In diesem Hause wohnten Widerstandskämpfer der Gruppe Baum. Sala Kochmann von den Faschisten in Plötzensee am 18.8.1942 hingerichtet. Martin Kochmann von den Faschisten im Sept. 1943 hingerichtet. Ihr Kampf ist auch unser Kampf!“, Bild von OTFW, Berlin, mit freien Nutzungsrechten. Abgerufen am 1.10.2018 von https://www.buyimages.tk/filew/Gedenktafel_Gipsstr_3_ Martin_Kochmann.JPG [entfernt]
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Vorwort
Widerstand gegen das Nationalsozialistische Regime (NS-Regime), im Deutschen Reich und in von der Wehrmacht besetzten Staaten, vor und während der Zeit des Nationalsozialismus, geleistet von Einzelpersonen, Gruppen bzw. Institutionen, erfolgte von ganz unterschiedlichen Menschen. Die Widerstandskämpfer hatten unterschiedliche Herkunft, weltanschauliche Prägung und Motivation. Der Widerstand formierte sich sowohl unkoordiniert in Einzelaktionen als auch professionell vorbereitet. Der Nationalsozialistische Staat (NS-Staat) verfolgte mit seinen Organen wie Geheime Staatspolizei (Gestapo), Abwehr und Sicherheitsdienst der Schutzstaffel (SS) innenpolitische Gegner und Widerstandsgruppen. Viele Widerstandskämpfer wurden inhaftiert, gefoltert und getötet. Schon vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten entwickelte sich Widerstand durch verschiedenste Gruppen. In der Zeit des Nationalsozialismus selbst beschränkte sich dann der Widerstand, der immer mit Lebensgefahr verbunden war, auf kleine Minderheiten in der deutschen Bevölkerung. Die Motivationen für den Widerstand waren politisch, religiös sowie ethisch begründet.[1]
Viele Jugendgruppen, die aus der 1933 verbotenen bündischen Jugend entstanden, hatten ihre Wurzeln in der 1899 entstandenen Wandervogelbewegung.[2] 1913 wurden diese Jugendgruppen zur Freideutschen Jugend zusammengeschlossen. 1926 war jeder zweite deutsche Jugendliche Mitglied in einem Bund.[3] Ende der 20er Jahre änderte sich diese Art von Lebensform. Der Einzelne verlor an Bedeutung. Die uniformierte Masse stand immer mehr im Vordergrund. Im Dritten Reich wurden die bündischen Gruppen verboten.
Für die Freizeitgestaltung der Jugendlichen bedeutete dies, dass es als einzige Möglichkeit nur noch die NS-Jugendorganisationen gab. Dort sollte die nationalsozialistische Idee durch die Jugendlichen für die Zukunft gesichert und die Jugend ertüchtigt werden, um im Krieg als tatkräftige Soldaten zu dienen. Der Eintritt in die Hitlerjugend (HJ) erfolgte anfangs durch „freiwilligen Zwang", ab 1939 wurde sie per Jugenddienstpflichtverordnung zur Pflicht.[4] In dieser Verordnung, ein Werk Baldur von Schirachs, war alles bis ins Kleinste reglementiert.[5] Wer sich der Gleichschaltung widersetzte, wurde verfolgt und bestraft. Mädchen mussten dem Bund Deutscher Mädchen (BDM) beitreten.[6]
Der Widerstand bzw. die Opposition unangepasster Jugendlicher gegen das Dritte Reich war vielfältig und hatte unterschiedliche Motive bzw. Ursachen. Teilweise entwickelte er sich spontan. Ein Teil der Jugendlichen wünschte sich eine freiere Jugendkultur, andere lehnten den Staat aus ethischen, politischen oder religiösen Gründen ab. Der Widerstand äußerte sich beispielsweise durch zivilen Ungehorsam wie der Nichtteilnahme am HJ-Dienst, der Aufrechterhaltung traditioneller Gemeinschaften, der Ablehnung von NS-Normen und zum Teil durch aktiven Widerstand wie Sabotage oder Flugblattverteilung. Lenelotte Möller definiert und schränkt Widerstand im engeren Sinne, unter Berufung auf Forschungsergebnisse von Ian Kershaw[7], wie folgt ein: „Nicht zum Widerstand gehören demnach reine Abwehrversuche gegen nationalsozialistische Vereinnahmung [...].“[8] Die Jugendopposition wurde vom NS-Regime sehr ernst genommen, systematisch verfolgt und Minderjährige sogar mit dem Tode bestraft. Der in dieser Arbeit beschriebene jugendliche Widerstand ist im Vergleich zu dem erfolglosen Putsch am 20. Juli 1944 gegen die NS-Diktatur und der Widerstandsbewegung Weiße Rose weniger bekannt, war aber ein nicht unerheblicher Bestandteil des deutschen Widerstandes.[9]
Im Folgenden werden einige oppositionelle Jugendgruppen näher betrachtet:[10]
1. Jugendliche mit bündischen Wurzeln: Hierzu zählt die Widerstandsgruppe der so genannten Edelweißpiraten.[11]
2. Widerstand aus der Arbeiterklasse: Die sogenannten Meuten waren Gruppen von Jugendlichen aus der Arbeiterklasse, vor allem aus der Stadt Leipzig. Sie lehnten die bürgerlichen Moral- und Ordnungsvorstellungen ab.[12]
3. Kultureller Widerstand: Dieser zeigte sich beispielsweise in der Swing-Jugend. Sie kamen aus großstädtisch-bürgerlichem Umfeld und hatten einen konträren Lebensstil.[13]
4. Jüdischer Widerstand: Er erfolgte u.a. durch die Herbert-Baum-Gruppe, zuerst gewaltfrei, später bei zunehmender Verfolgung auch gewaltsam.[14]
2. Widerstand der Bündischen Jugend: Die Edelweißpiraten
Edelweißpiraten waren informelle Gruppen deutscher Jugendlicher mit unangepasstem, teilweise oppositionellem Verhalten.[15] Ihre Zahl wird auf viele Hunderte[16] bis mehrere Tausende[17] geschätzt. Kurt Schilde sieht in den Edelweißpiraten „eine großstädtische Erscheinungsform, einer überwiegend als oppositionell anzusehenden Jugendsubkultur in den letzten Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft“ und bezeichnet diese als Widerstandskämpfer, nicht jedoch als Widerstandsbewegung.[18] Äußerlich erkennbar waren sie an ihrer Kleidung. Neben den Edelweißpiraten hatten einige Mitglieder der Widerstandsgruppe Weiße Rose ebenfalls einen bündischen Hintergrund und waren vor dem Verbot in der dj.1.11[19], aktiv. Ein Kontakt zwischen beiden Gruppen bestand jedoch nicht.[20] Des Weiteren engagierte sich beispielsweise der Hitlerattentäter Claus Schenk, Graf von Stauffenberg, in seiner Jugendzeit bei den bündisch geprägten Neupfadfindern.[21]
2.1 Soziale Herkunft und Auftreten
Die „wilden Jugendgruppen“ hatten Namen wie Harlem-Club, Navajos, Rotes-X und Edelweißpiraten, die größte Gruppe mit dem Schwerpunkt im Rhein-Ruhr-Gebiet.[22] Die Jungen und Mädchen im Alter von 14 bis 17 Jahren in gemeinsamen Cliquen hatten kein politisches Konzept und keine gemeinsame Organisation. Neben unangepasstem Verhalten und Kleidung, Durchführung gemeinsamer Fahrten, sang man Lieder mit regimekritischen Aussagen. Man wollte sich in seiner Freiheit nicht durch den Staat und die Gesellschaft einschränken lassen. Neben einem Edelweiß als Erkennungszeichen, trug man Manchesterhosen, Jacken mit vielen Reißverschlusstaschen, buntkarierte Hemden, weiße Kniestrümpfe, schwere Stiefel und ein Fahrtenmesser am Gürtel. Die Mädchen trugen oft weiße Blusen, blaue Röcke und weiße Söckchen.[23]
Der Namensteil „Piraten“ leitet sich von den Kittelbachpiraten ab, einer bis 1933 bestehenden rechtsradikalen Gruppe in Düsseldorf. Die Vermengung der Begriffe „Edelweiß“ und „Piraten“ war daher anfänglich eine Provokation für diese Jugendlichen, erfolgte 1939 durch die Gestapo, wurde aber gegen Ende des Krieges als Selbstbezeichnung gewählt. Ein großer Teil der Jugendlichen war im Geiste der Arbeiterbewegung aufgewachsen bzw. erzogen worden.[24]
2.2 Der Edelweißpirat Bartholomäus Schink
Bartholomäus Schink wurde am 27.11.1927 in Köln geboren. Er stammte aus einer Arbeiterfamilie, wurde vom Vater streng antifaschistisch erzogen und machte nach der Volksschule eine Ausbildung zum Dachdecker. Er war HJ-Mitglied. Später lernte er die Edelweißpiraten und Hans Steinbrück, den Anführer der Ehrenfelder-Gruppe, kennen, die aktiv Widerstand gegen das Dritte Reich leisteten. Er schloss sich, genannt Barthel, den Edelweißpiraten an. In den Gruppen war es üblich sich nur beim Vornamen zu kennen und zu nennen, was ein Schutz bei Verhören war.[25] Motive für sein Handeln mögen neben seiner elterlichen Erziehung in der mutmaßlichen Kenntnis von Schlägen eines jüdischen Freundes der Familie durch einen SA-Mann während der Reichskristallnacht, die Tage später zu dessen Tod führten, liegen.[26] Der aktive Widerstand von Schink begann erst in der Ehrenfelder-Gruppe. Sie versteckten Zwangsarbeiter und Deserteure, verübten Dieb-stähle, um die Versteckten mit Lebensmitteln und Geld versorgen zu können.[27] Zudem verteilten Sie Flugblätter und versuchten andere auf ihre Seite zu holen. Sie sammelten Waffen und Sprengstoff, für Partisanenkämpfe. Befreundet war Schink mit einer Zwangsarbeiterin Wanja aus der Ukraine und erfuhr von ihr von den unwürdigen Arbeitsbedingungen in den Arbeitslagern.[28] Am 10.11.1944 wurde Bartholomäus Schink öffentlich im Alter von 16 Jahren zusammen mit anderen in Köln erhängt.[29] Die Leichen der Erhängten blieben den ganzen Tag zur Abschreckung der Bevölkerung hängen.[30]
2.3 Ziele und Aktivitäten im Dritten Reich
Die Edelweißpiraten wurden vom NS-Regime als „verlottert“, „sittlich verwahrlost“ und „kriminell“ bezeichnet.[31] Ihr Widerstand gegen das NS-Regime war anfangs die Durchführung verbotener Fahrten und Zeltlager. Ein HJ-Streifendienst kontrollierte ob Fahrtenerlaubnisscheine vorhanden waren, was die Edelweißpiraten missachteten. Man traf sich mit anderen Gruppen, zeltete zusammen und sang verbotene, bündische Lieder. Ein Zusammentreffen mit dem HJ-Streifendienst führte zu Konflikten und Verhaftungen. Nach 1941 erfolgten Verurteilungen wegen verbotener „Bündischer Umtriebe“[32]. Eine andere Form der Verweigerung war das Schwänzen des HJ-Dienstes oder ein provozierter Rausschmiss aus der HJ, was Schwierigkeiten in der Schule bzw. bei der Suche nach einer Lehrstelle zur Folge hatte. 1942 machten sie Flugblattaktionen mit Parolen wie:
„Macht endlich Schluss mit der braunen Horde! / Wir kommen um in diesem Elend. / Diese Welt ist nicht mehr unsere Welt. / Wir müssen kämpfen für eine andere Welt, / wir kommen um in diesem Elend.“ bzw. „So braun wie Scheiße, so braun ist Köln. /Wacht endlich auf!“ [33]
Die Flugblätter waren nicht unterzeichnet und enthielten auch umfunktionierte Parolen der Wehrmacht. Eine solche Parole findet sich in die Mauer einer Gefängniszelle eines Hauses in Köln, indem Edelweißpiraten inhaftiert, verhört und gefoltert wurden, eingraviert:
„Kinder müssen kommen in den Krieg / Räder müssen rollen für den Sieg / Köpfe müssen rollen nach dem Krieg“ und direkt darunter „Ihr könnt mich nicht, wenn ich nicht will!“.[34]
1943 entschlossen sich einige Edelweißpiraten aus dem Kölner Arbeiterstadtteil Ehrenfeld, der so genannten Ehrenfelder Gruppe, in die Illegalität zu gehen und Kontakt zur politischen Opposition aufzunehmen. Sie nahmen Verbindung mit der größten Kölner Widerstandsorganisation, dem Nationalkomitee Freies Deutschland (NKFD), auf.[35] Gebildet hatte sich die Ehrenfelder Gruppe um den geflohenen und untergetauchten Konzentrationslager (KZ)-Häftling Hans Steinbrink, genannt Bombenhans, da er im KZ Buchenwald Bomben entschärfen musste.[36] Zu der Ehrenfelder Gruppe gehörten nun auch Bartholomäus Schink und dessen Freunde. Die ersten Aktivitäten der Gruppe bestanden darin, geflohene Zwangsarbeiter, Deserteure und Juden zu verstecken. Aus diesem Grunde verübten sie Diebstähle, um die Versteckten mit Lebensmittel und Geld zu versorgen. Später begann man Waffen zu sammeln, die man sich auf dem Schwarzmarkt besorgte und in einem Unterschlupf der Gruppe lagerte. Zu den bewaffneten Aktionen der Ehrenfelder Gruppe gehörten Anschläge auf Gestapo- und NS-Funktionäre.[37] Das NS-Regime verstärkte seine Kontroll- und Repressionsmaßnahmen in dem Maße, wie der jugendliche Widerstand zunahm und besonders als sich der Kriegsverlauf verschlechterte. Das NS-Regime bestrafte die oppositionellen Jugendlichen nach Verhaftung, Verhören, Folterung mit Fürsorgeerziehung, Gefängnis, Jugend-KZ und schreckte auch vor der Todesstrafe nicht zurück. Eine Versetzung zu einem Strafbataillon an der Kriegsfront, beispielsweise zum Räumen von Minenfeldern, kam einer Ermordung gleich.[38]
Als aktive Widerstandskämpfer der Edelweißgruppe seien einige namentlich aufgeführt:[39] Hans Steinbrück, genannt „Bombenhans“, Bartholomäus Schink, genannt „Barthel“,Gertrud Koch (geb. Kühlem), genannt „Mucki“, Günther Schwarz, genannt „Büb“ bzw. „Bube“, Bruno Bachler, Jean Jülich bzw. Fritz Theilen.
Am 10.11.1944 wurden im Kölner Stadtteil Ehrenfeld 13 Edelweißpiraten erhängt, darunter der 16-jährige Bartholomäus Schink sowie Hans Steinbrück.[40] Die genaue Zahl der insgesamt ermordeten Edelweißpiraten ist unbekannt. Eine offizielle Anerkennung der Edelweißpiraten als Widerstandskämpfer erfolgte erst 2005.[41]
3. Widerstand aus der Arbeiterklasse: Die Meuten
Der diffamierend gemeinte Name Meute für Jugendgruppe entstammt dem nationalsozialistischen Sprachgebrauch.[42]
3.1 Soziale Herkunft und Entstehung
Die Meuten hatten wie die Edelweißpiraten oft einen bündischen Hintergrund. Sie waren sozialdemokratisch oder kommunistisch geprägte Jugendliche aus der Arbeiterklasse, meist aus Leipzig, aber teilweise auch aus anderen Städten wie Erfurt.[43] Ungefähr 500 rekrutierten sich aus verbotenen bzw. aufgelösten sozialistischen bzw. kommunistischen Jugendgruppen bzw. hatten Kontakt zur kommunistischen Widerstandsbewegung. Erste Meuten bildeten sich um 1936.[44] Zu dieser Zeit waren bereits fast 100 Prozent der Gymnasiasten Mitglied in der Hitlerjugend, wobei die HJ-Pflicht erst ab 1939 erfolgte.[45]
[...]
[1] Möller, L. (2013). Widerstand gegen den Nationalsozialismus von 1923 bis 1945. Marixwissen. Marix Verlag, S. 13-18. Steinbach, P., Tuchel, J. (1994). Lexikon des Widerstands 1933-1945. Reihe 1061. C.H.Beck, S. 205f. Nürnberger, C. (2012). Mutige Menschen. Widerstand im Dritten Reich. Gabriel Verlag, S. 9-21
[2] Scriba, A. (6.9.2014). Die Wandervogelbewegung. Abgerufen am 10.7.2018 von https://www.dhm.de/lemo/kapitel/weimarer-republik/alltagsleben/wandervogelbewegung.html
[3] Lutteroth, J., Stambolis, B. (9.10.2013). Erster Freideutscher Jugendtag. Woodstock auf Wilhelminisch. Spiegel online. Abgerufen am 18.7.2018 von http://www.spiegel.de/einestages/erster-freideutscher-jugendtag-1913-maedchen-und- knaben-miteinander-a-951067.html. Schweigmann-Greve, K. (20.12.2015). Die Bündische Jugend. Abgerufen am 14.12.2017 von https://www.globkult.de/geschichte/rezensionen/1062-die-buendische-jugend
[4] Posert, A. (2015). Zeitschrift: Totalitarismus und Demokratie, Nr. 13/2015, Freiwilligkeit und Verpflichtung – Widersprüche der nationalsozialistischen Jugendorganisationen in ihrer Entwicklung, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen, S.195. Führer, R., Kriegskinder, Kinder im Krieg. Wehrerziehung in der Hitlerjugend. Abgerufen am 10.7.2018 von https://www.volksbund.de/fileadmin/redaktion/BereichInfo/BereichPublikationen/Reihe_Allgemeine_Reihe/ Erweiterungen/0180_Band_18/Band18_Internet_S41-48.pdf, S. 41-46
[5] Krajewski, A. (9.4.2018). Hitlerjugend (HJ). Abgerufen am 10.7.2018 von: www.zukunft-braucht-erinnerung.de/hitlerjugend-hj/. Seidel, I. (12.6.2013), Widerstand und Verweigerung von Jugendlichen gegen den Nationalsozialismus, LaG-Magazin, Heft 6/2013, Agentur für Bildung – Geschichte, Politik und Medien e.V., Berlin, S. 6
[6] Kleinhans, B. (4.4.2018). Bund deutscher Mädel (BDM). Abgerufen am 11.7.2018 von: http://www.zukunft-braucht-erinnerung.de/bund-deutscher-maedel-bdm/
[7] Kershaw, I. (2006), Der NS-Staat. Geschichtsinterpretationen und Kontroversen im Überblick. Hamburg, S. 313
[8] Möller, L. (2013), S. 15
[9] Henze, P. (12. 7 2013). Jugend und jugendlicher Widerstand im Nationalsozialismus – Ein Einblick. Abgerufen am 14. 12 2017 von http://lernen-aus-der-geschichte.de/Lernen-und-Lehren/content/11277
[10] Benz, W. (9.4.2005). Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg. Jugend- und Studentenopposition. Abgerufen am 14.12.2017 von http://www.bpb.de/geschichte/nationalsozialismus/dossier-nationalsozialismus/39562/ studentenopposition?p=all
[11] Schilde, K. (2007). Jugendopposition 1933-1945. Lukas Verlag, Berlin, S. 136-150
[12] Lange, S. (15.3.2012). Der vergessene Widerstand: Leipzigs Jugend gegen Hitler. Abgerufen am 12.7.2018 von https://blog.zeit.de/stoerungsmelder/2012/03/15/der-vergessene-widerstand-leipzigs-jugend-gegen-hitler_8255
[13] Stölzle, A., Trost, G. (29.5.2018). Kindheit im Zweiten Weltkrieg. Die Swing-Jugend. Abgerufen am 12.7.2018 von https://www. planet-wissen.de/geschichte/nationalsozialismus/kindheit_im_zweiten_weltkrieg/pwiedieswingjugend100.html
[14] Benz, W. (2014). Der deutsche Widerstand gegen Hitler. C.H.Beck, München, S. 45-51. Steinbach, P., Tuchel, J. (1994), S.20
[15] Schilde, K. (2007), S. 137
[16] Klönne, A. (2013). Jugendliche Opposition im „Dritten Reich“. Landeszentrale für politische Bildung Thüringen. Abgerufen am 1.10.2018 von https://www.lzt-thueringen.de/files/ugendlicheopposition.pdf, S. 29
[17] Strauch, D. (2006). Ihr Mut war grenzenlos. Widerstand im Dritten Reich. Verlagsgruppe Beltz & Gelberg, Weinheim/Basel, S.122.
Kuffner, A. (20.11.2009), Jugend in Nazi-Deutschland. Mit Fahrtenmessern gegen den "Führer". Abgerufen am 14.12.2017 von http://www.spiegel.de/einestages/jugend-in-nazi-deutschland-mit-fahrtenmessern-gegen-den-fuehrer-a-948529.html
[18] Schilde, K. (2007), S. 148
[19] Ruether, M., Deutsche Jungenschaft 1.11 (dj.1.11.). Abgerufen am 12.7.2018 von https://jugend1918-1945.de/portal/jugend/thema.aspx?bereich=projekt&root=26635&id=5316&redir=
[20] Schilde, K. (2007), S. 146
[21] Nürnberger, C. (2012), Kap. Claus von Stauffenberg. Hochverrat aus Gewissensgründen, S. 48-74
[22] Strauch, D. (2006), S. 107. Schilde, K. (2007), S. 136-150. Möller, L. (2013), S. 147-149
[23] Goeb, A. (1985). Er war sechszehn, als man ihn hängte. Klett Verlag, Stuttgart, S. 5.
Koch, G. (2006), Edelweiß. Meine Jugend als Widerstandskämpferin. Rowohlt Taschenbuchverlag, Reinbek, S.89
[24] Schilde, K. (2007), S. 142
[25] Koch, G. (2006), S. 17
[26] Obert, M. (15.7.2004). Jean Jülich sieht sich doch nicht als Widerstandskämpfer. Frankfurter Rundschau. Abgerufen am 1.10.2018 von http://www.fr.de/politik/zeitgeschichte/zeitgeschichte/von-edelweisspiraten-jean-juelich-sieht-sich-doch-nicht-als- widerstandskaempfer-a-1199545
[27] Strauch, D. (2006), S. 125f.
[28] Goeb, A. (1985), S. 40 mit Bild von Wanja
[29] Koch, G. (2006), S. 240. Goeb, A. (1985), S. 96-100
[30] Strauch., D. (2006), S. 130
[31] Fleermann, B., Jakobs, H. (2014). Die Edelweißpiraten. Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf. Abgerufen am 1.10.2018 von http://www.zakk.de/edelweisspiratenfestival/styled-6/index.html. Struck, B. (13.5.2015). Deutsches Historisches Museum, Berlin. Edelweißpiraten. Abgerufen am 1.10.2018 von https://www.dhm.de/lemo/kapitel/der-zweite-weltkrieg/widerstand-im-zweiten-weltkrieg/edelweisspiraten.html
[32] Klönne, A. (2013), S. 26
[33] Möller, L. (2013), S. 148. Koch, G. (2006), S. 97, S. 105
[34] Koch, G. (2006), S.98 und Bild links oben von S. 129
[35] Strauch, D. (2006), S. 124ff.
[36] Koch, G. (2006), S. 235
[37] Strauch, D. (2006), S. 129
[38] Halak, M. (20.8.2018). Arbeitskreis Zukunft braucht Erinnerung, Berlin. Die Jugend des Dritten Reiches im Widerstand. Abgerufen am 1.10.2018 von https://www.zukunft-braucht-erinnerung.de/die-jugend-des-dritten-reiches-im-widerstand/
[39] Goeb, A. (1985). Koch, G. (2006), mehrere Bilder von Gertrud Kühlem S. 128ff.
[40] Möller, L. (2013), S. 148. Strauch, D. (2006), S. 130
[41] Koch, G. (2006), S.253
[42] Schilde, K. (2007), S. 147
[43] Lange, S. (15.3.2012). Benz, W. (2014), S. 47
[44] Schilde, K. (2007), S.147
[45] Lange, S. (15.3.2012)
- Citation du texte
- Tobias Hollwege (Auteur), 2018, Opposition der jungen Generation im Dritten Reich, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/497459
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