Die Feldforschung zu der vorliegenden Arbeit fiel in eine Zeit, in der sich Indien in einer schweren wirtschaftlichen und politischen Krise befand. Eine für indische Verhältnisse sehr hohe Inflationsrate, vor allem für Grundnahrungsmittel, bestimmte die 18 Monate, in denen der Autor seine Befragungen in einer Fischersiedlung in der südindischen Metropole Madras durchführte. Die Arbeit beschäftigt sich vor allem mit der Frage, wie die Nahrungsmittelpreise stark in die Höhe schnellen konnten, obwohl - die Zeitungen berichteten ständig darüber - die Nahrungsmittelproduktion Indiens so hoch war wie nie zuvor. Sie versucht, diese Problematiken aus der Perspektive der Politischen Ökonomie zu beleuchten, d.h. mit Blick auf die in der indischen Gesellschaft bestehenden Machtstrukturen, die auch exogen beeinflußt werden. Sie beschäftigt sich in diesem Sinne mit Verflechtungen und Zusammenhängen zwischen Armut und Reichtum auf unterschiedlichen Ebenen.
Indien erlebt gegenwärtig den schwerwiegendsten wirtschaftlichen Transformationsprozeß seit seiner Unabhängigkeit. Liberalisierung, Exportorientierung und Globalisierung - das sind die Schlagworte, die die wirtschaftliche Elite des Landes auf ihre Fahnen geschrieben hat. Ausländische Unternehmen sehen in der 300 Millionen Menschen umfaßenden Mittelschicht einen Markt der Zukunft. Sechs Jahre nach Beginn der von IWF und Weltbank unterstützten Strukturanpassungspolitik, sind die wirtschaftlichen, politischen und sozialen Probleme des Landes nicht geringer geworden. Alleine zwischen 1990 und 1992 hat sich nach Angaben der staatlichen Statistikbehörde der Anteil der unter der Armutsgrenze lebenden Inderinnen und Inder von 35,5 auf 40,7 Prozent erhöht.
Hinter diesen fünf Prozentpunkten verbergen sich 57 Millionen Menschen. Die Congress-Partei, die nach ihrem Wahlsieg im Juni 1991 mit der Liberalisierung der Wirtschaft begonnen hatte, sieht sich politisch immer mehr in die Defensive gedrängt, da der von ihr versprochene wirtschaftliche und soziale Gesundungsprozeß bislang ausgeblieben ist. In mehreren Wahlen zu Länderparlamenten konnten sich inzwischen Parteien durchsetzen, die mit populistischen Maßnahmen - wie z.B. mit der starken Subventionierung von Grundnahrungsmitteln - die von vielen Wählerinnen und Wählern empfundenen Defizite in der Politik erfolgreich ansprachen. Nicht erst da wurde deutlich, daß Nahrung eine politische Dimension aufweist. Ungenügende Nahrungsversorgung kann zum Sturz von Regierungen führen.
Contents
Verzeichnis der Tabellen
Verzeichnis der Abbildungen
1 Einleitung
2 Entwicklungstheoretische Einbettung und Aufbau der Arbeit
2.1 Entwicklungs- und fachtheoretische Einbettung
2.1.1 Zur Ideologie von Entwicklung und Unterentwicklung
2.1.2 Die Perspektive von Entwicklung in der vorliegenden Arbeit
2.2 Der Aufbau der Arbeit
2.2.1 Die globale Systemebene
2.2.2 Die nationale Systemebene
2.2.3 Die bundesstaatliche Ebene Tamil Nadu
2.2.4 Die lokale Systemebene: Das Fischerdorf Nochikuppam
2.3 Die theoretische Einbettung der Untersuchungsergebnisse
3 Die globale Systemebene: Weltwirtschaftliche Strukturen im Wandel
3.1 Der weltwirtschaftliche Strukturwandel bis in die 80er Jahre: Anteile und Beziehungsstrukturen in der Weltwirtschaft
3.1.1 Die erste große Krise des fordistischen Akkumulationsmodells
3.1.2 Die globale Strukturkrise der Gegenwart
3.2 Von der internationalen zur globalen Wirtschaft
3.2.1 Die Dimension globaler Finanztransaktionen
3.2.2 Die weltwirtschaftliche Bedeutung von Transnationalen Unternehmen
3.2.3 Transnationale Konzerne und Nationalökonomien - zur Interessenlage
3.3 Der Staat und die Wirtschaft
3.3.1 Staat und Wirtschaft: Vom Keynesianismus zum Monetarismus
3.3.2 Supply-Side-Economics in den USA (Reaganomics): Die Praxis monetaristischer Wirtschaftspolitik
4 Die Integration sog. Entwicklungsländer in das globale Wirtschaftssystem
4.1 Die Verschuldung der sog. Entwicklungsländer
4.1.1 Die Konditionalität von Strukturanpassungskrediten
4.1.2 Erfahrungen mit Strukturanpassungsprogrammen in anderen Ländern als Indien
4.1.3 Strukturanpassung und Armut in den sog. Entwicklungsländern
4.2 Das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen
4.2.1 Ausnahmeregelungen und Schutzmaßnahmen im GATT
4.2.2 Die Uruguay-Runde des GATT
4.2.3 Die USA zwischen Bi- und Multilateralismus in Handelsfragen
5 Wirtschaftliche Entwicklung in Indien
5.1 Die Ordnungsprinzipien der indischen Wirtschaft
5.1.1 Indiens » mixed Economy « und die Phase des Self Reliance
5.1.2 Indien zwischen kapitalistischer und sozialistischer Welt
5.1.3 Zusammenfassung: Die Phase der importsubstituierenden Wirtschaftspolitik
5.2 Die Phase der Systemkrise: 1966-77
5.2.1 Neustruktuierung der gesellschaftlichen Machtverhältnisse
5.2.2 Der nationale Ausnahmezustand unter Indira Gandhi
5.3 Die Janata-Regierung von 1977-1979
5.4 Die Phase der beginnenden Globalisierung: 1980-1991
5.4.1 Die „Neue Wirtschaftspolitik“ in den 80er Jahren
5.4.2 Die Wirtschaftspolitik unter der Regierung Rajiv Gandhi
5.4.3 Die Organisierung einer indischen Bauernbewegung
5.5. Die Regierung der National Front
5.5.1 Die Wirtschaftspolitik unter V.P. Singh
5.5.2 Der Zerfall der politischen Kultur nach 1989: Mandal, Mandir und Macht
5.6 Die Regierung Chandra Shekhars (1990 - 91)
5.6.1 Die Wirtschaftspolitik der Janata Dal(S)-Regierung
5.7 Zusammenfassung: Entwicklung der Politischen Ökonomie (1966-1991)
6 Strukturanpassung in Indien
6.1 Strukturanpassung und Politische Ökonomie
6.1.1 Konkrete Maßnahmen der Strukturanpassung
6.2 "Staatsklassen", ihr Klientel und Strukturanpassung
6.2.1 Die Privatisierung indischer Staatsbetriebe.
6.3 Indien und die “Uruguay-Runde” des GATT
6.3.1 Die Ergebnisse im Bereich der Landwirtschaft
6.3.2 Die Auswirkungen auf das staatliche Nahrungsmittelverteilungssystem (PDS)
6.3.3 Die Regelung im Bereich handelsrelevanter Aspekte des Schutzes geistigen Eigentums
6.3.4 Die Ergebnisse im Textilbereich
6.3.5 Die Ergebnisse bei den handelsbezogenen Investitionsmaßnahmen (TRIMS)
6.3.6 Die Ergebnisse im Bereich des Dienstleistungshandels
6.4 Zusammenfassung: Wirtschaftliche Herausforderungen der 90er Jahre
7 Der Wandel in der Weltfischerei und seine Auswirkungen auf Indien.
7.1 Die Entwicklung des Weltfischfangs
7.2 Der Handel mit Fischereiprodukten
7.3 Die Fischereiwirtschaft in Indien - eine Übersicht
7.3.1 Expansionsmöglichkeiten in der indischen Meeresfischerei
7.4 Aspekte der Modernisierung der Fischerei: eine konfliktorientierte Betrachtung
7.4.1 Kleinfischer contra Trawler: Das Indisch-Norwegische Fischereiprojekt in Kerala (INP)
7.4.2 Kleinfischer contra Purse-Seiner: von Trawlern und Purse-Seinern eingekreist
7.4.3 Die Auswirkungen der Mechanisierung auf die Kleinfischer
7.4.4 Kleinfischer versus „big business“ - Der Segen der Aquakultur.
7.5 Zusammenfassung: Fischereientwicklung in Indien: Devisen vs Menschenrechte
8 Staatliche Agrarpreis- und Nahrungsverteilung: Das Public Distribution System in Indien
8.1 Der Beginn staatlicher Kontrollpolitik bei der Verteilung von Nahrungsmitteln
8.1.1 Die Anfänge des Public Distribution Systems 1942/43
8.1.2 Das PDS nach der Unabhänigkeit
8.2 Die Ziele indischer Agrarpolitik und das PDS
8.3 Funktionsweise und Struktur des PDS
8.3.1 Die Preisfestsetzung im PDS
8.3.2 Die Rolle der Bundesländer im PDS
8.4 Das PDS in Tamil Nadu
8.5 Auswirkungen des PDS auf Armutsgruppen
8.6 Das Public Distribution System in den 90er Jahren
8.6.1 Das PDS und die Politische Ökonomie Indiens
9 Die Bedeutung Sozialer Sicherungssysteme
9.1 Das System der Sozialen Sicherheit im formellen Sektor Indiens
9.1.1 Die Finanzierung des gesetzlichen Sozialversicherungsystems
9.1.2 Soziale Sicherheit und Strukturanpassung
9.2 Initiativen zur Sozialen Sicherheit im informellen Sektor Tamil Nadus
9.2.1 Alterspensionen für verschiedene Personengruppen
9.2.2 Weitere Maßnahmen zur Sozialen Sicherheit im informellen Sektor
9.3 Eine Bewertung der Programme zur Sozialen Absicherung in Tamil Nadu
9.3.1 Vergleich informeller vs formeller Sektor
9.3.2 Bewertung nach den erbrachten Leistungen
9.4 Probleme der Durchführbarkeit Sozialer Absicherungsprogramme
9.4.1 Die Finanzierbarkeit von Maßnahmen zur Sozialen Absicherung im informellen Sektor
10 Die Entwicklung des Politischen Systems in Tamil Nadu
10.1 Das Entstehen eines „drawidischen“ Nationalismus
10.1.1 Die Drawidische Bewegung und die Klassenfrage
10.1.2 Das Erstarken drawidischer Parteien in Tamil Nadu (1947-1967)
10.1.3 Die DMK an der Macht (1967-1977)
10.1.4 Kurzer Abriß der parteipolitischen Konstellationen nach 1977
10.1.5 Der Aufstieg MGRs und der Niedergang der politischen Kultur in Tamil Nadu
10.2 Zusammenfassung: Politische Kultur in Tamil Nadu
10.3 Die politischen Ereignisse während der Feldforschung
10.3.1 Die DMK-Regierung unter Karunanidhi (1989-1991)
10.3.2 Machtpolitik contra Verfassungsprinzipien: Die Absetzung der DMK-Regierung im Januar 1991
10.3.3 Die politische Kultur in Tamil Nadu nach Übernahme
11 Das Leben in einem Fischerdorf -Methodische Überlegungen
12 Nochikuppam - Ein „Fischerdorf“ im Herzen von Madras
12.1 Die „Geschichte“ von Nochikuppam
12.1.1 Christianisierung unter der Fischerbevölkerung
12.1.2 Die Rivalitäten unter den europäischen Kolonialmächten
12.1.3 Seehandel und Fischerei
12.2 Die Bevölkerung von Nochikuppam
12.2.1 Verflechtung von Beschäftigungsverhältnissen
12.2.2 Erwerbstätigkeit und Bildung
12.2.3 Beschäftigung in Exportunternehmen
12.2.4 Fast-Food-Vendor
12.2.5 Regierungsangestellte
13 Naturräumliche Bestimmungsfaktoren für die KleinFischer von Madras
14 Die Entwicklung der Kleinfischerei von Madras
14.1 Fischereifahrzeuge und Fischereigerät
14.1.1 Die „traditionelle“ Kleinfischerei an der Coromandelküste vor Einführung von Kunstfasernetzen
14.2 Die Arbeitsorganisation in der "traditionellen" Kleinfischerei
14.2.1 Die Aufteilung des Fischfangs
14.3 Der heutige Stand der Fischereitechnologie in der Kleinfischerei von Madras
14.3.1 Stand und Perspektiven hinsichtlich der Bootstechnologie
14.3.2 Stand und Perspektive der Netztechnologie in der Kleinfischerei
14.4 Verteilung von Booten und Netzen in Nochikuppam
14.5 Die gegenwärtige Arbeitsorganisation in der Kleinfischerei
14.5.1 Geschlechterspezifische Merkmale der Arbeitsorganisation
14.6 Zusammenfassung: Der Wandel in der Netztechnologie und die Arbeitsorganisation .
14.7 Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Landwirtschaft und Kleinfischerei
15 Die Analyse der Fangergebnisse im Zeitraum vom Mai 1991 - August 1992
15.1 Finanzierung der an der Untersuchung teilgenommenen Boote
15.2 Finanzierung der Netze
15.3 Darstellung der Ergebnisse der Fanguntersuchung Fangfahrten
15.4 Aufteilung der Fangerlöse
15.4.1 Arbeitskräfte- und Netzeinsatz während des Untersuchungszeitraums
15.4.2 Berechnung des durchschnittlichen Monatseinkommens eines Fischereiarbeiters
15.5 Subsistenzeinkommen
15.6 Zusammenfassung der Analyse der Fangeinkommen
15.7 Einkommen außerhalb der Fischerei
15.7.1 Renteneinkommen in den untersuchten Haushalten
16 Die Analyse der Haushaltsausgaben im Zeitraum vom Mai 1991 - August 1992
16.1 Untersuchungen zum Ausgabeverhalten von Fischerhaushalten in Tamil Nadu
16.2 Die Struktur der Haushaltsausgaben in Nochikuppam
16.2.1 Die Ausgaben für Nahrung
16.2.2. Das Ausgabenverhalten für Alkohol in Nochikuppam
16.2.3 Die Ausgaben für Kleidung
16.2.4 Die Ausgaben für Gesundheit
16.2.5 Haushaltsausgaben für Energie
16.2.6 Haushaltsausgaben für Transport
16.2.7 Sonstige Haushaltsausgaben
16.3 Vergleich der Haushaltsausgaben und -einnahmen
17 Selbsthilfe und staatliche Intervention
17.1 Der informelle Kreditsektor in der Kleinfischerei
17.1.1 Die Rückzahlung von Krediten während des Untersuchungszeitraums
17.1.3 Die Institition des Geldverleihs
17.2 Das Sparverhalten der Kleinfischer
18.2.1 Kollektive Spar- und Kreditkassen (Chit-funds)
17.2.2 Chit-Funds in Nochikuppam
17.2.3 Sparen durch Geldanlage in Sachwerten
17.2.4 Der Geldverleih als Mittel des Sparens
17.2.5 Die Dorfkasse in Nochikuppam
17.2.6 Entwicklung der Sparrücklagen während des Untersuchungszeitraums
17.3 Staatliche Intervention in sozialen Bereichen
17.3.1 Das Public Distribution System in Nochikuppam
17.3.2 Staatliche Programme für Kleinfischer und andere Berufsgruppen
18 Der Wandel in der politischen Struktur von Nochikuppam
18.1 Ein Tempelstreit als Ausdruck dörflicher Desintegration
18.2 Ein "Landkonflikt" als Ausdruck politischer Diversifizierung
18.2.1 Ein "Landverkauf" in Nochinagar
18.3 Die Bedeutung des "Middleman" im Dorfleben
18.4 Zusammenfassung: Der Wandel in der politischen Struktur Nochikuppams
19 Das Leben in einem Fischerdorf aus Sicht der Menschen selbst
19.1 Die Wahrnehmung der eigenen Lebenssituation
19.1.1 Die quantitative Dimension
19.1.2 Gründe für eine Verbesserung der Lebenssituation
19.1.3 Gründe für eine Verschlechterung
19.2 Zufriedenheit mit der eigenen Arbeit
20 Zusammenfassung und Theoretische Einbettung
20.1 Nahrungsunsicherheit und gesellschaftliche Verwundbarkeit: Ein kon-zeptioneller Rahmen
20.2 Analytische Zuordnung der Untersuchungsergebnisse
20.2.1 Politisch-Ökonomischer Bereich
20.2.2 Der verfügungsrechtliche Bereich
20.2.3 Der humanökologische Ansatz
Vorwort
Indien erlebt gegenwärtig den schwerwiegendsten wirtschaftlichen Transformationsprozeß seit seiner Unabhängigkeit. Liberalisierung, Exportorientierung und Globalisierung das sind die Schlagworte, die die wirtschaftliche Elite des Landes auf ihre Fahnen geschrieben hat. Ausländische Unternehmen sehen in der 300 Millionen Menschen umfaßenden Mittelschicht einen Markt der Zukunft.
Heute, sechs Jahre nach Beginn der von IWF und Weltbank unterstützten Strukturanpassungspolitik, sind die wirtschaftlichen, politischen und sozialen Probleme des Landes nicht geringer geworden. Alleine zwischen 1990 und 1992 hat sich nach Angaben der staatlichen Statistikbehörde der Anteil der unter der Armutsgrenze lebenden Inderinnen und Inder von 35,5 auf 40,7 Prozent erhöht. Hinter diesen fünf Prozentpunkten verbergen sich immerhin 57 Millionen Menschen. Die Congress-Partei, die nach ihrem Wahlsieg im Juni 1991 mit der Liberalisierung der Wirtschaft begonnen hatte, sieht sich politisch immer mehr in die Defensive gedrängt, da der von ihr versprochene wirtschaftliche und soziale Gesundungsprozeß bislang ausgeblieben ist. In mehreren Wahlen zu Länderparlamenten konnten sich inzwischen Parteien durchsetzen, die mit populistischen Maßnahmen wie z.B. mit der starken Subventionierung von GrundNahrungsmitteln die von vielen Wählerinnen und Wählern empfundenen Defizite in der Politik erfolgreich ansprachen.
Nicht erst da wurde deutlich, daß Nahrung eine politische Dimension aufweist. Politiken können dazu führen, daß Menschen den Zugang zu einer ausreichenden Nahrungsmittelversorgung verlieren. Eine ungenügende Nahrungsversorgung kann andererseits aber auch zum Sturz von Regierungen führen.
Die Feldforschung zu der vorliegenden Arbeit fiel in eine Zeit, in der sich Indien in einer schweren wirtschaftlichen und politischen Krise befand. Eine für indische Verhältnisse sehr hohe Inflationsrate, vor allem für Grundnahrungsmittel, bestimmte die 18 Monate, in denen der Autor seine Befragungen in einer Fischersiedlung in der südindischen Metropole Madras durchführte. Kein Thema wurde dabei von den Menschen häufiger angeschnitten, als die beständig ansteigenden Nahrungsmittelpreise und ihre tägliche Sorge um die Sicherstellung der Ernährung ihrer Familien. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit den von diesen Menschen aufgeworfenen Fragen. Sie beschäftigt sich vor allem mit der Frage, wie die Nahrungsmittelpreise derart in die Höhe schnellen konnten, obwohl - die Zeitungen berichteten ständig darüber - die Nahrungsmittelproduktion des Landes so hoch war wie nie zuvor. Sie versucht, diese Problematiken aus der Perspektive der Politischen Ökonomie zu beleuchten, d.h. mit Blick auf die in der indischen Gesellschaft bestehenden Machtstrukturen, die auch exogen beeinflußt werden. Sie beschäftigt sich in diesem Sinne mit Verflechtungen und Zusammenhängen zwischen Armut und Reichtum auf unter-schiedlichen Ebenen.
Der Forschungsaufenthalt, auf dem die vorliegende Arbeit basiert, fand zwischen November 1990 und Mai 1992 statt und wurde durch ein Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes und der Indischen Regierung ermöglicht, für deren finanzielle Unterstützung ich mich herzlich bedanken möchte. Nach meiner Rückkehr aus Indien wurde die Förderung von der Friedrich-Ebert-Stiftung fortgeführt, der ebenfalls mein Dank gebührt.
In Indien gilt mein besonderer Dank meinem Betreuer Herrn Dr. K. Rajaratnam sowie den Mitarbeitern des von ihm geleiteten Centre for the Research of New International Economic Order, in dem ich mit sehr viel Freundlichkeit aufgenommen wurde. An Stelle vieler sei hier besonders Herr Dr. P.J. Sanjeeva Raj genannt, dessen detailierte Kenntnisse über das marine Ökosystems Tamil Nadus mir eine große Hilfe waren.
Desweiteren möchte ich mich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bay of Bengal Programme for Small - Scale Fisheries Development in Madras für ihre wertvolle Unterstützung bedanken. Hier sei ganz besonders Frau Cathrine Joseph genannt, die mir bei meinen Literaturrecherchen überaus behilflich war.
Ebenfalls zu Dank verpflichtet bin ich Herrn Dr. S. Subbiah vom Geographischen Institut der Universität Madras, in dem ich immer einen geduldigen und kompetenten Gesprächspartner fand. Er öffnete mir durch seine Kontakte so manche Tür zu staatlichen Behörden, die ansonsten verschlossen geblieben wäre.
Großen Dank schulde ich auch Herrn James Melchior, Direktor des Indian Cultural Development Centres, mit dem mich über den wissenschaftlichen Rahmen hinaus eine mittlerweile langjährige Freundschaft verbindet.
Bei der Erhebung meiner Daten standen mir besonders Frau P. Padmini, Frau S. Shanti, Frau P. Nithya, Herr K. Ramesh, Herr K. Gunasekar, Herr B. Nagarajan, Herr K. Ravi, Herr P. Kamaraj, Herr P. Sivakumar und Herr R. Murali hilfreich zur Seite. In ganz besonderer Weise möchte ich mich bei Herrn Dr. V.M. Ramesh bedanken, der die Forschung in allen Phasen geduldig begleitete und mir durch sein besonderes Einfühlungsvermögen den Zugang zu den Menschen in Nochikuppam erleichterte. In Nochikuppam selbst war ich häufig zu Gast bei Herrn Dr. B. Subramanian und seiner Familie, die mir unschätzbare Einblicke in dorfinterne Angelegenheiten vermittelten.
Die Bewohner von Nochikuppam dürfen nicht unerwähnt bleiben. Ohne ihre Aufgeschlossenheit und geduldige Mitarbeit hätten die Feldstudie nicht durchgeführt werden können. Ich hoffe, daß die vorliegende Arbeit interessierten Leserinnen und Lesern einen Einblick in ihr Leben eröffnet, an dem sie mich so freundlich haben teilnehmen lassen. Ihnen möchte ich in großer Verbundenheit meinen Dank aussprechen.
In Deutschland möchte ich meinem Doktorvater Prof. Dr. H.-G. Bohle sehr herzlich danken, durch den meine wissenschaftlichen Arbeit entscheidende Anregungen erhalten hat. Als besonders angenehm empfand ich es, daß er mich einerseits vertrauensvoll gewähren ließ, mir aber andererseits stets mit Rat und Tat zur Seite stand, wenn es die Umstände erforderten.
Wichtige inhaltliche Anstöße und konstruktive Hilfe erhielt ich auch von Herrn Rainer Kruse von Brot für die Welt (Stuttgart), der sich schon seit vielen Jahren mit Problemen der indischen Fischereientwicklung beschäftigt. Ihm gilt mein in freundschaftlicher Verbundenheit ausgesprochener Dank.
Besonders gedankt sei auch Frau Ina Schneider, die nicht nur die Befragung der Frauen aus Nochikuppam durchführte, sondern auch einen Großteil der Datenflut in den Computer eintippte. Ohne ihre aktive Mitarbeit wäre die Untersuchung in vorliegender Form nicht möglich gewesen.
Ganz besonderen Dank gebührt meiner innig geliebten Frau Susanne van Dillen, der ich diese Arbeit widme. Sie hat mich wie kein anderer/keine andere bei der inhaltlichen Ausarbeitung des Manuskriptes kritisch und konstruktiv unterstützt und hat zusammen mit Herrn Dieter Wollbrink - auch ihm sei an dieser Stelle ganz herzlich gedankt - große Teile der sprachlichen und formalen Überarbeitung des Manuskriptes übernommen. Allerdings bin ich für Schwachstellen und verbliebene Fehler alleinig verantwortlich.
Verzeichnis der Tabellen
Tab. 1: Erfahrungen mit Strukturanpassungsprogrammen in ausgewählten Ländern
Tab. 2: Beschäftigung im formellen Sektor und Industrieproduktion
Tab. 3: Die weltgrößten Fischereinationen (1938, 1970 und 1993)
Tab. 4: Die zehn größten Exportländer von Fischereiprodukten (1992)
Tab. 5: Die zehn größten Importländer von Fischereiprodukten (1992)
Tab. 6: Entwicklung der Fischereiexporte Indiens (1960-1992)
Tab.7: Exporterlöse für Fischereiprodukte
Tab. 8 Fänge und geschätztes Potential nach Meerestiefen und Küstenabschnitten (in '000 Tonnen)
Tab. 9: Entwicklungspotential für Aquakulturen in Indien (in '000 ha)
Tab. 10: Entwicklung von procurement und issue price (1982/83 - 1994/95)
Tab. 11: Fair Price Shops in den indischen Bundesländern (1990)
Tab. 12: Entwicklung von issue price und Konsumentenpreisen für Nahrungsmittel in den Fair Price Shops
Tab. 13: Nahrungsmittel- und Kerosinpreise in den FPS von Tamil Nadu (1993)
Tab. 14: Die wichtigsten Gesetze zur Sozialen Sicherheit im formellen Sektor
Tab. 15: Pensionsprogramme in den verschiedenen Bundesländern (1988)
Tab. 16: Entwicklung der Anzahl der TeilnehmerInnen an verschiedenen Pensions-programmen in Tamil Nadu
Tab. 17: Verteilung der PensionsempfängerInnen nach Distrikten (1990)
Tab. 18: Soziale Sicherungsprogramme für den informellen Sektor in Tamil Nadu
Tab. 19: Direkte Einkommenstransfers im Haushaltsplan Tamil Nadus (1990-1993)
Tab. 20: Pensionszahlungen der Regierung Tamil Nadus an ihre Beschäftigten
Tab. 21: Erhöhung der Teuerungszulage (Dearness Allowance) für Pensionen (1991-93)
Tab. 22: Anzahl und Anteile der Arbeitskräfte in Tamil Nadu nach Sektoren (1991)
Tab. 23: Schätzungen zum Finanzvolumen eines Fish Workers Welfare Funds
Tab. 24: Entwicklung der Reispreise in den Fair Price Shops Tamil Nadus
Tab. 25: Die Erhöhung der Busfahrpreise im Oktober 1991
Tab. 26: Anhebung der Stromtarife im September 1991 und März 1993
Tab. 27: Zusammensetzung der Haushalte Nochikuppams nach Kaste bzw. Religionsgruppe
Tab. 28: Bevölkerung nach Kastengruppen und Geschlecht
Tab. 29: Heiratsalter nach Geschlecht und Altersgruppe
Tab. 30: Formaler Bildungsstand nach Kaste und Geschlecht
Tab. 31: Personen ohne jede Schulbildung nach Alter, Kaste und Geschlecht
Tab. 32: Personen mit höherem Bildungsabschluß (mind. 11. Klasse abgeschlossen)
Tab. 33: Erwerbstätigkeit nach Geschlecht und Kastenzugehörigkeit
Tab. 34: Individuelle Erwerbstätigkeit und Erwerbstätigkeit des Haushaltsvorstandes
Tab. 35: Individuelle Erwerbstätigkeit und Erwerbstätigkeit des Haushaltsvorstandes
Tab. 36: Formale Bildung nach einzelnen Berufsgruppen (Fischerkaste)
Tab. 37: Formale Bildung nach einzelnen Berufsgruppen (andere Kasten)
Tab. 38: Arbeiterinnen für Exportunternehmen: Alter und Familienstand
Tab. 39: Beschäftigung im staatlichen Sektor
Tab. 40: Aufteilung der Fänge zwischen Boots- und: Netzbesitzer (angenommener Fangwert 1000 Rs)
Tab. 41: Charakteristika der wichtigsten Kiemennetze in Nochikuppam
Tab. 42: Verteilung von Netztypen auf die Fischerhaushalte
Tab. 43: Finanzierung der Kattumarame der untersuchten Fischerteams
Tab. 44: Finanzierung der Netze der untersuchten Fischerteams
Tab. 45: Fangfahrten während des Untersuchungszeitraums
Tab. 46: Wert der vermarkteten Fänge nach Netztypen und Fischerteams (in Rs)
Tab. 47: Durchschnittlicher Wert der Fänge nach Netztypen (in Rs)
Tab. 48: Aufteilung der Fangergebnisse nach Netztyp und Wertegruppen
Tab. 49: Fangergebnisse nach Netztypen und Monate
Tab. 50: Fangergebnisse zwischen dem 27. November und 10. Dezember 1991 (in Rs)
Tab. 51: Fangergebnisse nach Anzahl der eingesetzten Netze und Arbeitskräfte (in Rs)
Tab. 52: Aufteilung der Fänge nach Besitzern von Produktionsmitteln und Arbeitskräfte
Tab. 53: Durchschnittliches Einkommen pro teilgenommener Fangfahrt (in Rs)
Tab. 54: Fanganteil der Fischereiarbeiter mit überdurchschnittlich vielen Fangfahrten
Tab. 55: Durchschnittliches Monatseinkommen aus Vermarktung und Subsistenzanteil
Tab. 56: Erwerbstätigkeit in den untersuchten Haushalten
Tab. 57: Zusammensetzung der Erwerbseinkommen der untersuchten Haushalte
Tab. 58: Ermitteltes Gesamteinkommen der untersuchten Haushalte (in Rs)
Tab. 59: Einkommen nach Anzahl der unterschiedlichen Einkommensarten
Tab. 60: Ausgabenstruktur von Fischerhaushalten in Tamil Nadu (Angaben in %)
Tab. 61: Ausgabenstruktur der untersuchten Haushalte
Tab. 62: Häufigkeit und Höhe der Ausgaben für Gesundheit (Fischerhaushalte)
Tab. 63: Häufigkeit und Höhe der Gesundheitsausgaben (Fischereiarbeiterhaushalte)
Tab. 64: Häufigkeit und Höhe der Ausgaben für Transport (Fischerhaushalte)
Tab. 65: Häufigkeit und Höhe der Ausgaben für Transport (Fischereiarbeiterhaushalte)
Tab. 66: Einnahmen und Ausgaben der Haushalte
Tab. 67: Überschuß bzw. Defizit durch unterschiedliche Einkommensarten
Tab. 68: Häufigkeit und Höhe der Kreditrückzahlungen (Fischereiarbeiterhaushalte)
Tab. 69: Häufigkeit und Höhe der Kreditrückzahlungen (Fischerhaushalte)
Tab. 70: Verwendung der rückbezahlten Kredite
Tab. 71: Kredite nach unterschiedlichen Quellen
Tab. 72: Häufigkeit und Höhe der Sparrücklagen (Fischerhaushalte)
Tab. 73: Häufigkeit und Höhe der Sparrücklagen (Fischereiarbeiterhaushalte)
Tab. 74: Gesamtausgaben für Nahrung und Nahrungskauf im Ration-Shop
Tab. 75: Kosten und Wert der Rationen
Tab. 76: Besitz von Ration-Cards in Nochikuppam
Tab. 77: "Alternativer" Verwendungszweck der Ration-Cards
Tab. 78: Kritik an den Ration-Shops
Tab. 79: Anzahl der bekannten Programme im sozialen und wirtschaftlichen Bereich
Tab. 80: Art der bekannten Programme im sozialen und wirtschaftlichen Bereich
Tab. 81: Teilnahme und Bewertung des Sparprogramms
Tab. 82: Unfallversicherung für Fischer
Tab. 83: Bestechungssummen bei der Unfallversicherung
Tab. 84: Angaben zum "Landverkauf" nach Ortsteilen
Tab. 85: Angaben zu Zahlungen im Zusammenhang mit dem "Landverkauf"
Tab. 86: Begründungen von Streitigkeiten in Nochikuppam
Tab. 87: Subjektive Einschätzung der Lebenssituation
Tab. 88: Lebenssituation nach Alter und Bildungsabschluß
Tab. 89: Lebenssituation und Erwerbsfähigkeit
Tab. 90: Begründungen für die Verbesserung der Lebenssituation
Tab. 91: Begründungen für die Verschlechterung der Lebenssituation
Tab. 92: Unterschied beim Heiratsalter
Tab. 93: Berufliche Mobilität in Nochikuppam
Verzeichnis der Abbildungen
Abb. 1: Entstehung eines Abwertungskreislaufs
Abb. 2: Anzeige in „THE HINDU“ 3.11.1991
Abb. 3: Die Organisation des Public Distribution Systems in Indien
Abb. 4: Entwicklung der Gemüsepreise zwischen dem 25.01. und 09.02.1991
Abb. 5: Entwicklung der Gemüsepreise zwischen dem 20.05. und 05.06.1991
Abb. 6: Entwicklung der Gemüsepreise vom 07.12.1991 bis 05.01.1992
Abb. 7: Bevölkerung nach Alter, Geschlecht und Erwerbsstatus
Abb. 8: Jahresgang der Beständigkeit des Windes an der Coromandelküste
Abb. 9: Anzahl der Wirbelstürme, die an Madras vorüberzogen (1877 - 1980)
Abb. 10: Konstruktionsschema eines Kattumarams
Abb. 11: Mada Valai (Hebenetz) beim Fang an einem Kambi
Abb. 12: Ein Thuri Valai (Schleppnetz) im Einsatz
Abb. 13: Funktionsweise eines Kiemennetzes
Abb. 14: Anzahl der Tage ohne Fangfahrten
Abb. 15: Entwicklung der Lebenshaltungskosten ausgewählter Gruppen
Abb. 16: Die Entwicklung der gesamten Haushaltsausgaben
Abb. 17: Entwicklung der Ausgaben für Nahrung (Fischerhaushalte)
Abb. 18: Entwicklung der Ausgaben für Nahrung (Fischereiarbeiterhaushalte)
Abb. 19: Entwicklung der Ausgaben für Zigaretten und Alkohol
Abb. 20: Entwicklung der Ausgaben für Kleidung
Abb. 21: Entwicklung der Ausgaben für Gesundheit
Abb. 22: Entwicklung der Ausgaben für Energie
Abb. 23: Entwicklung der Haushaltsausgaben für Transport
Abb. 24: Entwicklung der Kreditrückzahlungen
Abb. 25: Funktionsweise eines Chit-Funds (Beispiel)
Abb. 26: Entwicklung der Sparrücklagen in Chit-Funds
1 Einleitung
Als im Dezember 1991 Meldungen über Hungertote im indischen Bundesstaat Andhra Pradesh über die Titelseiten lokaler Tageszeitungen ihren Weg in die nationale Presse fanden, wurde deutlich, daß trotz beachtenswerter Fortschritte in der Nahrungsproduktion seit den späten 60er Jahren die Gefahr von Hungersnöten in Indien auch heute nicht vollkommen gebannt werden konnte (Nagaraj et al. 1991d: 58). Die gesicherte Ernährung der indischen Bevölkerung ist bei weitem noch nicht erreicht (Griffin 1987: 19).
An sich nichts Ungewöhnliches in einem Land wie Indien, in dem Hungersnöte Jahrhunderte lang zur gesellschaftlichen Realität gehörten. Nichts Ungewöhnliches auch in einem Land, das trotz aller technischen Verbesserungen in seiner Landwirtschaft nach wie vor von den Launen des Monsuns abhängig ist, dessen Ausbleiben bewirken kann, daß Rückschläge in der Nahrungsmittelproduktion niemals vollkommen ausgeschlossen werden können.
Nichts Außergewöhnliches also? Vielleicht doch. Denn analysiert man das Problem der Unter- bzw. Fehlernährung in Indien, tauchen alsbald Widersprüche auf, die in das altbekannte Schema von Hunger als Ausdruck einer Produktionskrise nicht so recht passen wollen.
Zeitgleich mit den Meldungen über die Hungertoten in Andhra Pradesh berichtete die indische Presse von der dritten Rekordernte hintereinander; trotzdem stiegen gerade in diesem Jahr die Preise für Nahrungsmittel stärker an als für andere Produkte. Bemerkenswert ist auch, daß bei keinem Produkt größere Exportsteigerungen zu verzeichnen waren als bei Reis. Es mag auch verwundern, daß die Opfer nicht in den trockenen und (agrar)wirtschaftlich wenig entwickelten Gebieten Andhra Pradeshs zu beklagen waren, sondern in den fruchtbaren und landwirtschaftlich hochentwickelten Delten des Godavari- und Krishna-Flusses. Und es fällt weiter auf, daß die Opfer ausschließlich einer einzigen Berufsgruppe angehörten, nämlich der der Handweber.
Die Ursachen für diese Tragödie sind schnell aufgezählt. Baumwollgarn, der Rohstoff für die Weber, wurde von den Herstellern häufiger ins Ausland exportiert, anstatt die heimische Nachfrage zu befriedigen. Die mächtige Spinnerei-Lobby hatte bei der indischen Regierung die Lockerung der Exportbeschränkungen für Baumwollgarne durchsetzen können. Als Folge davon hat sich das Exportvolumen für diese Produkte zwischen 1987 und 1990 fast verdreifacht. Schon Ende der 80er Jahre hatten sich die Rohstoffpreise für die Weber dadurch drastisch verteuert. Für einfaches Baumwollgarn stieg der Preis zwischen 1985 und dem Sommer 1991 um mehr als 260 Prozent. Bei solchen Preisen konnten die Weber nicht mehr rentabel wirtschaften, zumal der Markt mit billigeren Produkten aus der industriellen Fertigung überschwemmt wurde (Nagaraj et al. 1991c: 56). Parallel dazu stiegen die Lebenshaltungskosten in Indien sehr stark an, vor allem im Bereich der GrundNahrungsmittel.
Zur Hungerkatastrophe entwickelte sich die Situation der Weber, als Anfang Juli 1991 die indische Regierung - als erste Maßnahme ihrer vom Internationalen Währungsfond und der Weltbank „empfohlenen“ neuen Wirtschaftspolitik - die Abwertung der indischen Rupie um knapp 20 Prozent beschloß und gleichzeitig Exportbeschränkungen für Baumwollgarne vollständig abschaffte. In kurzer Zeit verlagerten sich die Warenströme für diese Produkte weiter auf den Exportmarkt, das Binnenangebot wurde weiter reduziert, und die Produktionskosten für die Weber schnellten abermals in die Höhe. Zuvor hatten die Weber sich und ihre Familien mit einem kärglichen Monatseinkommen von etwa 600 Rupien mehr schlecht als recht ernähren können, doch die verbleibenden 300 Rupien, die nun im Laufe eines Monats in die Haushaltskassen flossen, reichten bei weitem nicht mehr aus, um auch nur die wichtigsten Dinge des (Über)Lebens zu kaufen (Venkateswara Rao 1992: 82).
Daß sich die Maßnahmen zur Exportförderung verhängnisvoll für die Handweber auswirken konnten, hatte aber tieferliegende Ursachen. In ihnen kommt die gesellschaftliche Stellung der Weber zum Ausdruck, die bereits zuvor durch ihre Arbeit kaum genug verdienen konnten als sie zum Leben brauchten. Die Zuspitzung der Ereignisse im Sommer 1991 muß deshalb als vorläufiger „Höhepunkt“ einer Entwicklung angesehen werden. Die Konkurrenz durch die industrielle Massenfertigung von Textilien, veränderte Nachfragegewohnheiten der Verbraucher, aber auch die Stellung der Handweber im Kastensystem sind wichtige solcher tieferliegende Ursachen. Hinzu kommt aber auch, daß - nach Durchsicht der verschiedenen Berichte zu diesen Ereignissen1 - nicht alle Handweber aus der Region gleichermaßen betroffen waren.2
Hunger entpuppt sich aus dieser Perspektive nicht als ein Versagen des Produktionssystems im Nahrungsbereich, sondern als ein weitaus komplexeres, gesellschaftliches Phänomen.
„First of all, a crisis of this nature clearly has a long-term basis, closely related to the socio-economic relations which characterise the weaving community and also to long-term developmental policies pursued by the Government. These policies, shorn of official socialist rhetoric, essentially rely on a strategy of taxing the poor and pampering the rich. Secondly, such a crisis can be triggered by certain immediate developments which push a vulnerable community below the threshold of survival“ (Frontline, 6.12.1991: 52f.).
Hunger ist demnach nicht aus einer Rückständigkeit des landwirtschaftlichen Sektors zu erklären, sondern aus dem Zusammenwirken zwischen Produktion, Verteilung und Konsum von Nahrungsmitteln sowie den Rahmenbedingungen, unter denen sich diese Bereiche verändern. Diese Rahmenbedingungen werden in immer stärkerem Maße außerhalb der lokalen Ebene gesetzt; sie reichen hin bis in die Entscheidungsgremien multinationaler Institutionen.
Diese Rahmenbedingungen werden auf unterschiedlichen gesellschaftlichen und quasiräumlichen Ebenen wirksam. Angefangen bei der globalen Systemebene, über die nationale, reichen sie bis auf die lokale Ebene und wirken sich dort als strukturelle Verteilungskrise aus. Auch wenn sich akute Hungerkrisen im Indien der Gegenwart sowohl zeitlich als auch räumlich eingrenzen lassen, ist Unter- und Mangelernährung keineswegs ein konjunkturelles Problem, das dadurch gelöst werden kann, indem staatliche Intervention den Nahrungsengpass zu überbrücken hilft. Einer solchen Sichtweise steht die Erfahrung entgegen, daß von Verteilungskrisen i.d.R. ganz bestimmte gesellschaftliche Gruppen betroffen sind, die auch dann noch ständig unter Hunger und Fehlernährung zu leiden haben, wenn die eigentliche Verteilungskrise - sei es durch staatliche Intervention oder Marktkräfte - behoben zu sein scheint.3 Konjunkturelle Faktoren verschärfen allerdings bestehende gesellschaftliche Ungleichgewichte erheblich.
Fehlentwicklung (in ihrer offensichtlichsten Form als Hunger) in Indien wird deshalb vom Autor als das Resultat des Zusammenwirkens zwischen Markt, Politik (Staat) und ziviler Gesellschaft verstanden, bei dem dem Begriff der „Macht“1 eine entscheidende Erklärungsfunktion zufällt.
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich nicht mit einer konkreten Hungersituation, sondern viel-mehr mit den Rahmenbedingungen, die zu einer latenten Krisenanfälligkeit führen. Die Annahmen, die dabei zugrunde gelegt werden, sind, daß Veränderungen im globalen Wirtschaftssystem auf verschiedene Ebenen eines Nationalstaates einwirken, dort auf endogene Strukturen treffen und mit diesen in Wechselwirkung treten. Dadurch entsteht ein vollkommen neuer Zustand, der nur durch die Vermischung exogener und endogener Faktoren erklärt werden kann.
Diese Veränderungen auf allen Ebenen sind nicht zufällig, sondern unterliegen bestimmten Interessen, die im Laufe dieser Arbeit aufgedeckt werden sollen. Unter dieser Prämisse kann deshalb auch „Markt“ nicht als unpolitische Kategorie verstanden werden, die nach eigenen Gesetzmäßigkeiten (Invisible Hand) funktioniert, sondern als Prinzip, in dem gesellschaftliche Machtstrukturen zum Ausdruck kommen und gefestigt bzw. verändert werden (Kurien 1992: 246; vgl. auch Griffin 1987).
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich demnach mit Strukturen und Wechselwirkungen unterschiedlichster Art: zum einem mit einem vertikalen Beziehungsgeflecht (global <==> national <==> bundesstaatlich <==> lokal), zum anderen aber auch mit einem horizontalen (Markt <==> Staat <==> konkurrierende Gruppen der Zivilen Gesellschaft).
Dabei können bei weitem nicht alle relevanten Wechselwirkungen aufgezeigt und analysiert werden. Es sollen vielmehr bestimmte, als besonders relevant erscheinende Bereiche in den Mittelpunkt gestellt werden.
Diese Schwerpunktsetzung ergibt sich aus sehr unterschiedlichen Motivationen. Eine zwischen Mai 1991 und Mai 1992 im Rahmen der Feldforschung zu der vorliegenden Arbeit durchgeführte Befragung in einer Fischersiedlung der südindischen Metropole Madras hatte ergeben, daß steigende Preise, niedrige Einkommen, dorfinterne Konflikte sowie fehlende Arbeitsalternativen von den befragten Menschen als vordringlichste Probleme empfunden wurden. Ausgehend von diesen Problembeschreibungen soll deshalb den Ursachen dieser Defizite auf den Grund gegangen werden.
Gleichzeitig nimmt diese Arbeit aber auch Bezug auf die Diskussion um entwicklungs- und wirtschaftspolitische Strategien. Seit zu Beginn der 80er Jahre immer mehr Nationen des Südens in eine „Verschuldungsfalle“ gerieten und in Folge davon ihre oftmals binnenorientierten Volkswirtschaften immer mehr dem Weltmarkt öffnen mußten, bestimmen Schlagworte wie „ Globalisierung “, „ Liberalisierung “, „ nachholende Industrialisierung “ und nicht zuletzt „ Entstaatlichung der wirtschaftlichen Sphären “ immer mehr diese Diskussion. Aus diesem Grunde ist es naheliegend, die Konsequenzen solcher Maßnahmen näher zu beleuchten und zwar sowohl in ihren konkreten Auswirkungen auf das Leben der Menschen im untersuchten Fischerdorf wie auch auf die indische Gesellschaft als Ganzes.
Folgende Aspekte werden deshalb die Schwerpunkte dieser Arbeit bilden:
a. die Entwicklung der Fischereiwirtschaft Indiens und ihre Auswirkungen auf die Entwicklungsdynamik in der Kleinfischerei des Landes. Diese Schwerpunktsetzung ergibt sich nicht zuletzt aus der Wahl der Untersuchungsgemeinde in Madras. Es wurde deshalb versucht, die Produktionsbedingungen in der Kleinfischerei und ihre Veränderungen exemplarisch an Hand dieser Fischersiedlung nachzuzeichnen und in Verbindung zu setzen zu der sozio-ökonomischen und politischen Dynamik dieser urbanen Siedlung. Aus der Synthese unterschiedlicher Betrachtungsweisen der dörflichen Wirtschaft, Gesellschaft und Politik wird der Handlungsspielraum von verschiedenen Gruppen im Produktionsprozeß herausgearbeitet. Von entwicklungspolitischem Interesse ist darüber hinaus, wie sich die Lebensbedingungen in einem wirtschaftlichen Sektor verändert haben, der schon sehr lange und sehr intensiv an den Weltmarkt angebunden ist. Bestimmte Produkte aus der Fischerei unterliegen keinerlei mengenmäßigen und kaum tarifären Zugangsbeschränkungen zu den Märkten der Industrienationen, und sie erzielen dort sehr hohe Preise. Beides hat dazu beigetragen, daß der Fischereisektor Indiens als wichtige „Devisenquelle“ des Landes angesehen wird. Es wird deshalb zu fragen sein, ob sich an Hand der Entwicklungen im Fischereibereich Rückschlüsse auf andere Sektoren der Wirtschaft ziehen lassen, in denen gegenwärtig der Trend zu einer intensiveren Ankopplung an den Weltmarkt unübersehbar ist. Dies trifft insbesondere auf den landwirtschaftlichen Sektor zu, dem - nicht zuletzt aufgrund der schwierigen Devisensituation Indiens- eine immer größere Bedeutung im indischen Außenhandel zugemessen wird.1 Auch diesbezügliche Veränderungen in außerlandwirtschaftlichen Sektoren dürfen dabei nicht außer Acht gelassen werden, wie dies das eingangs angeführte Beispiel der Weber in Andhra Pradesh verdeutlicht.
b. das Nahrungsverteilungssystem Indiens als solches, d.h. die Wechselwirkungen von staatlicher Verteilungspolitik und „freiem“ Markt im Nahrungsbereich und ihre Auswirkungen auf die Versorgung bestimmter gesellschaftlicher Gruppen. Die Auswirkungen selbst werden dabei an Hand der empirischen Daten problematisiert, die relevanten Dynamiken können jedoch nur aus den Wechselwirkungen weiterer gesellschaftlicher Gruppen und Sub-Gruppen verstanden werden. Dazu gehören die verschiedenen Gruppen der landwirtschaftlichen Produktion (Landarbeiter, subsistenz- und marktorientierte Landwirte), den unterschiedlichen Konsumentengruppen (ländliche/städtische Armutsgruppen, Mittelschichten und Eliten), sowie jenen Gruppen, die für die Verteilung von Nahrungsmitteln und anderen Produkten des Grundbedarfs zuständig sind.
c. die Prozesse und Strukturen des indischen Arbeitsmarktes als wichtigem Bereich gesellschaftlicher Entwicklung. Hier wird nach den Bedingungen zu fragen sein, unter denen Menschen ausserhalb des Fischereibereiches eine Beschäftigung finden können, um den bestehenden Ressourcendruck zu vermindern und den verbleibenden Fischern eine gesicherte Existenz zu ermöglichen.
d. die Motivation, Maßnahmen und Auswirkungen staatlicher Intervention im Bereich der sozialen und wirtschaftlichen Absicherung gesellschaftlich verwundbarer Gruppen.
Die Betrachtungsweise selbst ist die der Politischen Ökonomie, d.h. es wird versucht werden, bestimmte Machtkonstellationen in ihren Auswirkungen auf die oben umrissenen Problemfelder herauszuarbeiten. Dabei wird es unumgänglich sein, in Bereiche vorzustoßen, die auf den ersten Blick mit den konkreten Fragestellungen wenig zu tun haben. Sie erweisen sich schließlich aber als unverzichtbar, wenn es darum geht, die Dynamiken und Strukturen zu verstehen, die zur Perpetuierung von Armut und der Entstehung gesellschaftlicher Verwundbarkeit beitragen.
2 Entwicklungstheoretische Einbettung und Aufbau der Arbeit
2.1 Entwicklungs- und fachtheoretische Einbettung
Geographische Beschäftigung mit sogenannten Entwicklungsländern hat in den vergangenen 25 Jahren eine starke Akzentverschiebung erfahren. Dieser Richtungswechsel hat nicht zuletzt seine Ursache in der Diskussion über Entwicklungstheorien, die zunächst außerhalb der Geographie geführt wurde (Leng 1979: 21). Ohne diese Diskussion im Einzelnen nachvollziehen zu wollen (vgl. u.v. Bohnet (Hrsg.) 1971; Menzel 1993, Hurtienne 1984, Nohlen/Nuscheler (Hrsg.) 1974, 1982, 1992) bleibt festzustellen, daß sie seit Anfang/Mitte der 70er Jahre auch sehr stark in die Geographie hineinwirkte und dort zu einem Paradigmenwechsel geführt hat: das Selbstverständnis, die Forschungsschwerpunkte und -methoden haben sich dadurch grundlegend geändert.
Vor allem in der Sozialgeographie hatte diese Umorientierung tiefgreifende Konsequenzen. Verstand sich die Geographische Entwicklungsländerforschung, die vor 1970 betrieben wurde, noch explizit als Raumwissenschaft, so fand nun eine Hinwendung zu den Gesellschaftswissenschaften statt (Blenck 1979).
Die Vertreter der Geographischen Entwicklungsländerforschung gingen in ihren Arbeiten vielfach nach dem Länderkundlichen Schema vor (Stewig (Hrsg.) 1979; Wardenga 1987; Wirth 1978). Die Bemühungen des Wissenschaftlers bestanden darin, ein bestimmtes Land in seiner Individualität (naturräumliche Ausstattung, kulturelle, wirtschaftliche, soziale Rahmenbedingungen) darzustellen und gegebenenfalls noch zu analysieren. Sofern Aspekte der „Unterentwicklung“ überhaupt problematisiert wurden, geschah dies zumeist in der Tradition der Modernisierungstheorien, die die Gründe von „Unterentwicklung“ als intern verursacht betrachteten, d.h. durch die naturräumliche Ausstattung und den kulturellen, wirtschaftlichen, sozialen und naturräumlichen Rahmenbedingungen eines bestimmten Landes (Blenck 1979).
Dahingehend hatte es sich die Geographische Entwicklungsforschung zur Aufgabe gemacht, nicht vordergründig den Raum (sprich das individuelle „Entwicklungsland“ oder Teilgebiete davon) in das Zentrum der Betrachtung zu stellen, sondern nun wurden verstärkt Prozesse und Strukturen untersucht, die das Phänomen der Entwicklung aus den mannigfaltigen Verflechtungen zwischen Industrie- und Entwicklungsländern zu erklären versuchten. Bei dieser Betrachtungsweise kam auch die Analyse der historischen Genese des kapitalistischen Weltsystems hinzu und ihre Auswirkung auf die Kolonien bzw. die inzwischen unabhängig gewordenen Nationen (Leng/Taubmann (Hrsg.) 1988).
„Da der Prozess der Entwicklung als unteilbar betrachtet wird, ist die Geographische Entwicklungsforschung gleichermaßen an Entwicklungsprozessen in Entwicklungsländern wie in Industrieländern, besonders aber auch an deren Interdependenzen interessiert. Sie steht damit der Dependenztheorie, der Theorie des peripheren Kapitalismus näher als modernisierungstheoretischen Vorstellungen“ (Blenck et al.. 1985: 69; vgl. Blenck 1979: 15).
Seit Beginn der 80er Jahre sind jedoch die Dependenztheorien ihrerseits heftiger Kritik ausgesetzt. Ihre einseitige Konzentration auf externe Erklärungsfaktoren für die Entstehung von „Unterentwicklung“ hatte dazu geführt, daß interne Faktoren fast vollkommen außer Acht gelassen wurden. So wurden die nationalen Eliten der sog. Entwicklungsländer vielfach zu bloßen „Marionetten“ der Industrienationen degradiert, denen eigenständige Interessen und eigenständiges Handeln und damit auch Eigenverantwortung abgesprochen wurden (vgl. kritisch dazu: Schmidt-Wulffen 1987: 131; Menzel 1991: 22). Es wurde auch zu wenig bedacht, daß die von Entwicklungsland zu Entwicklungsland variierenden Realitäten (sowohl was historische, sozio-ökonomische, kulturelle als auch naturräumliche Rahmenbedingungen betrifft) viel zu mannigfaltig sind, als daß es möglich sei, eine allgemeingültige „Theorie der Unterentwicklung“ zu entwerfen.
So ist es kein Zufall, daß das „ Ende der Entwicklungstheorien “ in etwa zeitgleich mit dem „ Ende der Dritten Welt “ festgestellt wird (Menzel 1983, 1991). In den neueren entwicklungstheoretischen Veröffentlichungen kommt dieser Sachverhalt unverblümt zum Ausdruck (Altvater 1989; Hirschmann 1989; Marmora/Messner 1989; Wallerstein 1988; Boeckh 1985, 1992); die allgemeine Wahrnehmung dabei ist, daß die Entwicklungstheorien keineswegs sich in einer Krise befänden, sondern sie werden schlicht und unwiederbelebbar für tot erklärt.
Offensichtlich wurde das Scheitern der Globaltheorien aus zwei Hauptgründen: den Abhängigkeitstheorien hat der Erfolg der jungen ostasiatischen Schwellenländer, die heute das Paradebeispiel für die Befürworter „nachholender Industrialisierung“ sind, das Genick gebrochen, weil er mit einer Wirtschaftspolitik erzielt wurde, die nach den Annahmen der Dependencia geradewegs in die Entwicklungskatastrophe hätte führen müssen. Für das Scheitern der Modernisierungstheorien bieten sich nach wie vor die lateinamerikanischen Staaten an, deren wirtschaftlicher Niedergang ja schon zum Entstehen der Abhängigkeitstheorien geführt hatte. Seit spätestens Mitte der achtziger Jahre sind es aber auch die Vereinigten Staaten selbst, die zeigen, daß das Konzept der Modernisierung nicht unwiderruflich den Wohlstand für alle hervorgebracht hat, der vor wenigen Jahrzehnten noch als „Ziel und Endpunkt“ von Entwicklung betrachtet wurde (Boeckh 1992: 115).
Die geographische Entwicklungsforschung ist von diesem „Scheitern der großen Theorien“ (Menzel 1992) nicht verschont geblieben, hatte sie sich doch an der Theorieentwicklung orientiert, die außerhalb ihres Faches vorangetrieben wurde. Auch in den geographischen Disziplinen gibt es gegenwärtig keine Theorien, die in einem umfassenderen Sinne als „Theorien der Unterentwicklung“ angesehen werden können.
Was es gibt sind bestimmte Ansätze, die Teilbereiche des Phänomens der „Unterentwicklung“ zum Gegenstand der wissenschaftlichen Betrachtung nehmen, wie etwa der Verflechtungsansatz, der seine Wurzeln in der Produktionsweisendiskussion1 hat, die Konzepte der Nachhaltigen Entwicklung2 (sustainable development) und zum Ressourcen-Mangament sowie die Ansätze einer erweiterten Agrargeographie,3 die sich u.a. stark mit Nahrungssystemen beschäftigen und dabei die Erklärung von Nahrungskrisen4 ins Zentrum der Untersuchung rücken.
Wenn wir also heute feststellen müssen, daß es keine gültige (Gesamt-)Theorie zur Erklärung von Unterentwicklung gibt, so muß dies aber nicht automatisch bedeuten, daß in den bisherigen Theorien und Ansätzen nicht auch „Wahrheitsfunken“ enthalten waren. Eine „neue“ Theorie kann es nicht mehr geben, sondern höchstens eine Vielzahl von Theorien, die für sich weder Globalität beanspruchen können noch sich einseitig auf interne oder externe Erklärungsfaktoren von Unterentwicklung beschränken, und die Entwicklung erheblich weiter als ökonomisches Wachstum fassen. Die Anforderung, die einer umfassenden Betrachtung von Entwicklungsprozessen gerecht wird,
„liegt in der Kombination von hausgemachten und von "exogenen" [...] Faktoren, die für jeden Einzelfall anders gemischt werden müssen.[...] Unterentwicklung ist ein komplexer Zustand und Prozeß, der nicht mit griffigen Formeln erfaßt werden kann. Monokausale Erklärungen, die den Krankheitszustand der Unterentwicklung auf einzelne Ursachen - sei es auf den Kolonialismus, den Weltmarkt oder Einstellungen und Verhaltensweisen der "Unterentwickelten" - zurückführen, bringen allenfalls vereinfachende Halbwahrheiten hervor. Solche Halbwahrheiten sind verführerisch, weil sie leichter zu handhaben sind als umständliche Bemühungen, das ganze Problem der Unterentwicklung in den Griff zu bekommen.“ (Nuscheler 1991: 92ff)
2.1.1 Zur Ideologie von Entwicklung und Unterentwicklung
Viele der Ansätze und Theorien, die bislang versucht haben, die Entstehung von Entwicklung bzw. Unterentwicklung zu erklären, lassen sich nur schwer miteinander verbinden. Nicht, weil eine Integration nicht wünschenswert oder nicht möglich wäre, sondern weil es ideologische Sichtweisen immer wieder vortrefflich verstanden haben, diese unterschiedlichen Ansätze gegeneinander zu stellen (vgl. Kostner 1993: 348).
Es kann nicht geleugnet werden, daß die Formulierung von Entwicklungstheorien nie in einem ideologisch freien Raum stattgefunden hat, sondern bei Entwicklungstheorien handelte es sich auch immer um „gesellschaftspolitische Entwürfe“ (Boeckh 1992: 115), die immer eindeutig vom Ost-West-Konflikt, d.h. vom ideologischen Kampf zwischen Kapitalismus und Sozialismus geprägt waren. Durch das Ende des Ost-West-Konfliktes endete auch dieser ideologische Kampf um den Entwicklungsbegriff und -weg, nicht jedoch die ideologische Betrachtung von Entwicklung und Unterentwicklung selbst. So muß die Frage gestellt werden, ob es in der gegenwärtigen Situation tatsächlich möglich geworden ist, sich nun ideologiefrei mit den Problemen von Entwicklung und Unterentwicklung auseinanderzusetzen, oder ob nicht vielmehr das Verschwinden dieser Bipolarität dazu geführt hat, daß der „Sieger“ im ideologischen Kampf gleichzeitig auch für sich beansprucht, die Normen dafür zu setzen, was Entwicklung ist und wie sie erreicht werden kann (vgl. Klingebiel 1993: 437f; Kostner 1993: 352f).
Die Hochkonjunktur monetaristischer Wirtschaftskonzepte, wie sie in den Strukturanpassungsprogrammen von Internationalem Währungsfond und der Weltbank zum Ausdruck kommen, ist ein deutlicher Beleg dafür, daß wieder in althergebrachter Tradition versucht wird, Modernisierung voranzutreiben, und man gleichzeitig hofft, daß zumindest langfristig dies auch zu den einkommensschwachen Gruppen durchsickern wird. Das Grundverständnis von Entwicklung/Unterentwicklung vollzieht sich dabei wieder in dualistischen Sichtweisen, d.h. wieder wird verkannt, daß Entwicklung gleichzeitig Unterentwicklung hervorbringen kann und wird. Im Gegensatz zu den Modernisierungstheorien „alter“ Prägung hat sich jedoch die Rolle, die dem Staat im Entwicklungsprozeß zugeschrieben wird, vollständig gewandelt. Wurde er unter den „alten“ Modernisierungstheorien noch als Initiator von Modernisierung betrachtet, so gilt er heute vielfach als wesentliche Ursache für die Entstehung von Unterentwicklung und deshalb eher als „Bremse“ denn als „Motor“ der Modernisierung.
2.1.2 Die Perspektive von Entwicklung in der vorliegenden Arbeit
Aus der Konzeption der vorliegenden Arbeit ergibt sich, daß eine ausschließlich „nationale“ Betrachtungsweise von Entwicklungsprozessen nicht sinnvoll ist, sondern daß Veränderungen auf vielerlei Ebenen betrachtet werden müssen. Die Perspektive dabei ist aber eindeutig. Untersucht wird, wie sich Strukturen und Prozesse, die auf unterschiedlichen Ebenen wirksam werden, auf das Leben von Menschen auswirken. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, daß Wirtschaft und Gesellschaft keinen Zweck in sich darstellen, sondern in Bezug zu Menschen und ihren Schicksalen gestellt werden müssen.
Die eigentliche Perspektive der Untersuchung ist deshalb eine lokale, d.h. die Menschen im untersuchten Fischerdorf stehen im Mittelpunkt der Betrachtung, auch wenn dabei Vorgänge angesprochen werden müssen, die weit von ihnen entfernt stattfinden.
Diese Feststellung ist zentral für das Erkenntnisinteresse dieser Arbeit. Es kann nicht darum gehen, „Entwicklung“ von Volkswirtschaften oder Regionen zu untersuchen, sondern im Zentrum der Untersuchung muß der Mensch stehen. Damit soll nicht ausgeschlossen werden, daß positive Beziehungen zwischen der Verbesserung von Indikatoren auf der Makroebene und den Verhältnissen auf der Mikroebene bestehen, doch als zwangsläufig wird eine solche gleichgerichtete Veränderung nicht angesehen. Auch wenn eine „gesunde“ Volkswirtschaft eine notwendige Grundlage für „Entwicklung“ darstellt, reicht die Verbesserung von makroökonomischen Indikatoren nicht aus, um „Entwicklung“ zu diagnostizieren.
„We must realize that food stocks with the Government is not something which the people eat, the savings rate is not something which you wear and one cannot sleep under the roof of foreign exchange. These are just the instruments, which have to be translated to basic needs. That did not happen in India. This is a puzzle not only about the Indian performance but in what it says about economic theory and development economics“ (Basu 1990: 108).
Ob „Entwicklung“1 auch tatsächlich stattfinden kann, hängt nicht zuletzt von der Machtverteilung auf verschiedenen Ebenen des System ab: der Machtverteilung zwischen unterschiedlichen Interessensgruppen in den Industrienationen, zwischen den Industrienationen und den Entwicklungsländern und der Machtverteilung in den Entwicklungsländern selbst und zwar sowohl auf der nationalen wie auch auf untergeordneten Ebenen.
Mit der skizzierten, sehr breit angelegten Auswahl des Untersuchungsrahmens wurde der Forderung Rechnung getragen, sowohl mögliche interne als auch externe Ursachen von Unterentwicklung bei der Untersuchung zu berücksichtigen. Aus mehreren Gründen ist es jedoch in der vorliegenden Arbeit nicht möglich, alle Analyseebenen gleichgewichtig zu behandeln. Wenn Strukturen angefangen vom Internationalen Währungsfond bis hin zu der Machtverteilung in einem Fischerdorf -untersucht werden, dann kann es nicht ausbleiben, daß die Analyse der einzelnen Komponenten zwangsläufig in den Hintergrund treten muß zugunsten der Analyse der Wechselwirkungen zwischen diesen Einzelkomponenten.
Ebenso vermissen wird man die historische Tiefendimension, die viele dependenztheoretische Arbeiten noch aufwiesen. Der analytische Zeitrahmen der Arbeit reicht selten in die koloniale Zeit Indiens zurück, der Schwerpunkt der Untersuchung noch nicht einmal bis in die Jahre vor 1980.
Viele Leser mögen jetzt, und zwar zu Recht, einwenden, daß Unterentwicklung in Indien nicht erst ein Problem des vergangenen Jahrzehnts ist, und daß eine Arbeit, die einen Beitrag zum besseren Verständnis zur Genese von Unterentwicklung erbringen will, diese historische Dimension nicht außer Acht lassen dürfe. Auch wenn bereits angemerkt wurde, daß sich die Dependenztheorien in einer Krise befinden, ist es sicherlich legitim, sich nach wie vor auf Ergebnisse dieser Disziplin zu berufen, die zwar nicht unwidersprochen sind, denen sich der Autor aber verbunden fühlt, und die die Ursachen der Unterentwicklung in Indien in ihrer historischen Dimension hinreichend analysiert haben (vgl. u.v. Dutt 1960; Naoroji 1901; Ranade 1983; Keller 1977). Das Dilemma der Dependenztheorien besteht ja nicht vordergründig darin, daß sie uns nicht brillante Analysen zur Entstehung von Unterentwicklung durch die koloniale Deformierung von Gesellschaften geliefert hätten, sondern daß sie sich als nicht fähig gezeigt haben, die wirtschaftliche und politische Differenzierung der Länder der Dritten Welt in der jüngeren Vergangenheit hinreichend zu erklären (vgl. Menzel 1983; 1991). Hier eine weitere Analyse der historischen Genese von Unterentwicklung hinzuzufügen, würde sicherlich keine weiteren Erkenntnisse hervorbringen, sondern lediglich die kontroverse Diskussion nachzeichnen können.
Ebenso wird sich das Analyseraster von der globalen zur lokalen Ebene hin erheblich verfeinern müssen. Damit soll keineswegs die besondere Bedeutung der lokalen Ebene vorweggenommen werden, sondern es soll darin dem Umstand Rechnung getragen werden, daß das Wissen über globale und nationale Strukturen in der Regel viel fundierter vorhanden ist als das Wissen über lokale/regionale Strukturen und Interdependenzen.
2.2 Der Aufbau der Arbeit
Nicht nur in Ländern der Dritten und Vierten Welt kann festgestellt werden, wie unterschiedliche Ebenen eines staatlichen Gebildes sich wechselseitig beeinflussen und von internationalen Entwicklungen beeinträchtigt werden. Auch in den Industrienationen sind ständig solche Strukturen und Prozesse zu beobachten. In den Zeitungen lesen wir von Haushaltsdefiziten, von Sparplänen der Bundesregierung, Rationalisierung, von Stellenabbau und Arbeitslosigkeit; wir bemerken, daß Gesundheits- und Pflegedienste immer teurer werden, und daß die Krankenkassen einen immer größeren Anteil der Kosten auf die Versicherten abwälzen. Viel ist auch die Rede von der internationalen Konkurrenzfähigkeit der einheimischen Wirtschaft, die es zu wahren gilt. Wir nehmen wahr, daß französische Bauern importierte Nahrungsmittel vernichten, daß Interessensvertetungen mit zähem Atem um jedes Komma z.B. bei TarifVerhandlungen ringen; wir registrieren, wie Bundesregierung, Landesregierungen und Kommunen sich um die Finanzierung bestimmter Aufgaben streiten.
Vieles davon wird uns auch bei der Lektüre dieser Arbeit immer wieder begegnen, doch auch wenn manche Strukturen und Prozesse ähnlich erscheinen mögen, sollten wir doch nicht vergessen, daß die Konsequenzen dieser Prozesse in den Industrienationen (noch ?) nicht mit jenen in Indien und anderen Entwicklungsländern gleichgesetzt werden dürfen.
Einschnitte ins soziale Netz z.B. sind nur dort möglich, wo ein solches zuvor in einem nennenswerten Umfang aufgebaut worden war. Es sollte allerdings nachdenklich stimmen, wenn im Zusammenhang mit dieser Entwicklung in den Industrienationen immer häufiger das Schlagwort einer „Dualisierung der Gesellschaft“ fällt. Gemeint ist damit, daß Arbeitslosigkeit und Sozialabbau inzwischen solche Dimensionen angenommen haben, daß von einer „Neuen Armut“ gesprochen werden muß, die in manchen Fällen nicht nur die soziale Existenz von Mitgliedern der Gesellschaft, sondern auch ihre physische bedroht. Mit der Überschrift „Immer mehr Deutsche müssen in Armut leben“ berichtet die Badische Zeitung am 15. Juli 1994 auf ihrer Titelseite davon, daß 1992 7,5 Prozent der westdeutschen und 14,8 Prozent der ostdeutschen Haushalte mit einem Einkommen unterhalb der Armutsgrenze auskommen mußten und kommentiert:
„Fast lautlos öffnet sich die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter. [...] Noch wird nichts Einschneidendes unternommen gegen immer mehr Armut und Obdachlosigkeit. [...] Keine der politischen Parteien ist bereit, sich für die Armen einzusetzen. Denn in der Zweidrittelgesellschaft ist das untere Drittel nicht nur materiell benachteiligt. Es hat auch keine politische Stimme, keine Chance, Interessen zu artikulieren, geschweige denn durchzusetzen. Wer Arbeit und Wohnung verliert, verliert auch politisches Gewicht. Wen störte es schon, wenn Sozialhilfeempfänger streikten ?“ (Badische Zeitung, 15.07.1994).
2.2.1 Die globale Systemebene
Ohne Zweifel sind heute alle Nationen der Erde integraler Teil eines kapitalistischen Weltssystems, in dem die einzelnen Nationen der systemimmanenten Logik der Kapitalakkumulation unterworfen sind (Frank/Frank 1990: 7). Die Existenz eines solchen Systems ist nicht zu leugnen, kontrovers diskutiert wurde und wird allerdings die Bedeutung dieses Systems für seine Subsysteme.
Autoren wie Wallerstein und Frank interpretieren den Kapitalismus als ein „Weltsystem“ von monopolistisch geprägten, asymmetrisch strukturierten Austauschbeziehungen, die bewirken, das in den Peripherieländern erzielte Mehrprodukt abzuschöpfen und in die imperialistischen Zentren zu transferieren (Matis/Stiefel 1991: 228). Einer derartigen Sichtweise jedoch haften genau jene Schwachstellen an, die bei der Kritik der Dependenztheorien angeführt wurden, denn letztlich erweist sich ein solches Verständnis von einem kapitalistischen „Weltsystem“ auch nicht in der Lage, die Dynamik dieses Systems hinreichend zu erklären. Gleichzeitig muß festgestellt werden, daß in den Subsystemen des „Weltsystems“ selbst polarisierende Tendenzen zum Tragen kommen.
Zwei Meldungen, die am 25.01.1994 in verschiedenen deutschen Tageszeitungen erschienen, verdeutlichen diesen Trend. In der ersten erfährt der Leser aus einem Beitrag mit der Überschrift „Die Armut in Deutschland wächst - und die Politik schaut zu“, daß es nach Angaben des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes mehrere Millionen Arme in Deutschland gäbe, deren Anzahl beständig zunehme (Badische Zeitung 25.01.1994). In der zweiten, diesmal mit der Überschrift „Deutschlands Reiche werden immer reicher: Zahl der Millionäre steigt“, informiert das Statistische Bundesamt, daß sich die Gruppe der Personen mit einem Jahreseinkommen von über 10 Millionen DM innerhalb von drei Jahren fast verdoppelt und die Gruppe jener, die jährlich mindestens 1 Millionen DM verdienen, ebenfalls stark vergrößert habe (Badische Zeitung 25.01.1994).1
Solange man also eine Analyse des kapitalistischen „Weltsystems“ vornimmt, und dabei Nationalstaaten als analytische Einheit herangezogen werden, verschwinden diese polarisierenden Tendenzen in der hohen Aggregatsdichte des Analysematerials. Eine Analyse des globalen Wirtschaftssystems kann deshalb bei der Interpretation der Struktur nicht stehen bleiben, sondern muß berücksichtigen, daß sich ständig Veränderungen in seinen Subsystemen vollziehen.
In einem ersten Abschnitt der vorliegenden Arbeit sollen deshalb wesentliche Veränderungen in den Industrienationen zur Sprache kommen. Es wird zu zeigen sein, wie sich aus den „Wirtschaftswundergesellschaften“ der Nachkriegszeit krisengeschüttelte Wohlstandsnationen entwickelt haben, deren Wirtschafts- und Gesellschaftsstruktur sich sehr stark verändert haben. Diese Veränderungen haben erhebliche Auswirkungen auf die Wahrnehmung von Problemen in den sog. Entwicklungsländern zur Folge und führen zu einer ganzen Reihe von Abwehrmechanismen, angefangen von verschärften Einwanderungs- bzw. Asylgesetzen, Reglementierungen bei der Wareneinfuhr (Protektionismus) und von den Industrienationen dominierten Initiativen der internationalen Gemeinschaft zu globalen Umweltproblemen bis hin zu den Versuchen, auf die Wirtschaftspolitiken der sog. Entwicklungsländer direkt Einfluß nehmen zu können. Strukturanpassungsprogramme der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds sowie die Neuordnung des Welthandelssystems durch die Uruguay-Runde des GATT versuchen, sich einer veränderten weltwirtschaftlichen Situation zu stellen. In den Vordergrund rücken dabei nicht selten die Interessen von multinationalen Konzernen aus den Industrienationen. Anders als vor Beginn der 80er Jahre, als von diesen Direktinvestitionen in sog. Entwicklungsländer zur Senkung der Produktionskosten vorgenommen wurden, kommt nun der Aspekt der Erschließung neuer Massenmärkte hinzu. In der vorliegenden Arbeit soll und kann jedoch die Entwicklung des kapitalistischen Weltsystems im 20. Jahrhundert weder ausführlich nachgezeichnet noch analysiert werden. Angesprochen werden sollen lediglich einige Aspekte dieser Entwicklung, die zum Verständnis sich wandelnder wirtschaftlicher Konzepte in Bezug auf die sog. Entwicklungsländer unbedingt notwendig sind.
2.2.2 Die nationale Systemebene
Indien unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht von anderen Staaten, die ebenfalls als Entwicklungsländer bezeichnet werden. Es kann inzwischen auf eine fast 50-jährige demokratische Tradition zurückblicken, die sich trotz aller Krisen als lebensfähig erwiesen hat. Im Gegensatz zu vielen Entwicklungsdiktaturen ist Indien ein äußerst pluralistisches Land, in dem Meinungsfreiheit und andere unveräußerliche Rechte sehr viel gelten. Im wirtschaftlichen Bereich ist es dem Land gelungen, eine stark diversifizierte Industrie aufzubauen, was sich auch in der Diversifizierung des Außenhandels niederschlägt. Gleichzeitig muß auch hervorgehoben werden, daß das unabhängige Indien bislang von Hungersnöten mit afrikanischen Ausmaßen verschont blieb, was einerseits einem starken Wachstum der landwirtschaftlichen Produktion, andererseits aber auch einer aktiven staatlichen Intervention in Krisenzeiten zuzuschreiben ist.
Gleichzeitig ist Indien die Nation, die die größte Anzahl an unter- bzw. vor allem mangelernährten Menschen beherbergt, eine Nation, die nach den USA und der ehemaligen Sowjetunion die meisten ausgebildeten Nuklearwissenschaftler vorweisen kann, obwohl die Alphabetisierungsquote gerade einmal 36 Prozent beträgt (Sen 1990: 9).
(The Indian system) „permits endemic malnutrition and hunger that is not acute, so long as these happen quietly; it does not permit a famine both because it would be too acute and because it cannot happen quietly. It permits the injustice of keeping a large majority of the people illiterate while the elite enjoys the benefits of vast system of higher education [...] The elections, the newspapers, and the political liberties work powerfully against dramatic deprivations and new sufferings, but easily allow the quiet continuation of an astonishing set of persistent injustices“ (Sen 1990: 20f)
Unter- und Fehlernährung in Indien kann nicht aus einer Mangelsituation heraus verstanden werden, sondern als das Ergebnis einer ungenügenden und ungerechten Verteilung gesellschaftlichen Reichtums. Diese gesellschaftliche Ungleichheit vollzieht sich vor dem Hintergrund spezifischer wirtschaftlicher, politischer und kultureller Rahmenbedingungen, die im zweiten Abschnitt dieser Arbeit untersucht werden.
Bohle (1992) weist auf verschiedene Zusammenhänge zwischen Hunger und anderen gesellschaftlichen Problemfeldern hin. So etwa auf den Zusammenhang zwischen Hunger und Armut, Waffen, (Bürger)-Kriege, Umweltzerstörung, gesellschaftliche Diskriminierung und Entwicklungspolitik (Bohle 1992: 79f.). Weiterhin besteht ein enger Zusammenhang zwischen monetaristischen Strukturanpassungspolitiken und Hunger, sowie zwischen Internationalen Handelspolitiken bzw. -praktiken und Hunger (Kent 1980, 1984).
Ausgehend von der Wirtschaftsentwicklung (sowohl der realen Wirtschaft als auch ihrer Ordnungsprinzipien) soll dargestellt werden, welche Auswirkungen eine stärkere Integration Indiens in das Weltsystem hat.
Durch das Strukturanpassungsprogramm, das 1991 mit dem Internationalen Währungsfond ausgehandelt wurde, ist eine solche verstärkte Integration in vielen Bereichen inzwischen (ordnungspolitisch) weit vorangeschritten und hat dazu geführt, daß sich die indische Wirtschaftspolitik - und dadurch ausstrahlend auf andere Politikbereiche (Sozialpolitik, Umweltpolitik, Außenpolitik) - in kurzer Zeit stark verändert hat. Neben dem Anpassungsdruck, der bei diesen Entscheidungen von außen auf die indischen Entscheidungsträger gewirkt hat, ist es notwendig, die Aufgabe grundsätzlicher wirtschafts- und gesellschaftspolitischer Positionen auch aus einer innerindischen Dynamik heraus zu erklären.
In diesem Zusammenhang müssen zweierlei Aspekte berücksichtigt werden. Erstens der Klassencharakter der indischen Gesellschaft, d.h. die Konflikte, die aus Interessenskonflikten zwischen produktionsmittelbesitzenden und produktionsmittellosen Schichten herrühren. Zweitens aber auch die Konflikte um unterschiedliche Interessen innerhalb dieser gesellschaftlichen Gruppen. Aus diesem Grund ist es wenig zweckmäßig, von einer Dichotomie der tatsächlichen Interessenslagen im marxistischen Sinne auszugehen. Die unterschiedlichen Sozialgruppen im Produktionsprozeß sind in sich selbst so heterogen, daß ein Analyserahmen einer zweigliedrigen Klassengesellschaft zu grobmaschig ist, um die gesellschaftliche Realität auch nur annähernd wiedergeben zu können. Viele Konflikte lassen sich auch nicht dadurch erklären, daß produktionsmittelbesitzende und produktionsmittellose Gruppen sich in einem Klassenkampf miteinander befinden, sondern vielmehr dadurch, daß unterschiedliche privilegierte Gruppen um die gesellschaftliche (Vor)-Macht konkurrieren. Am deutlichsten wird dies im Interessensgegensatz zwischen industriellen und landwirtschaftlichen Eliten. Eine weitere Differenzierung ist auch deshalb notwendig, da mit der staatlichen Bürokratie eine weitere wichtige Gruppe berücksichtigt werden muß, die sich nicht über den Besitz von Produktionsmitteln definiert.
In diesem Zusammenhang erhält die Frage nach der Politischen Kultur 1 eine besondere Bedeutung. Wenn oben ein enger Zusammenhang zwischen politischen Instabilitäten in Form von Kriegen bzw. Bürgerkriegen und Hunger angesprochen wurde, dann wird gleichzeitig die Frage aufgeworfen, wie solche Instabilitäten entstehen, welchen Zielen sie dienen und in welcher Weise sie die Nahrungssicherheit von Menschen beeinträchtigen.
In den letzten Jahren macht sich in Indien eine besorgniserregende politische Instabilität bemerkbar. Die Anzeichen auf nationaler Ebene sind unsichere Mehrheitsverhältnisse im Parlament und daraus resultierend eine zeitweise Handlungsunfähigkeit der nationalen Regierung. Einhergehend damit ist eine Umstrukturierung der Parteienlandschaft, charakterisiert durch die Zersplitterung bestehender Parteien und der Bedeutungszuwachs ehemals kleinerer, häufig lediglich regional auftretender Parteien. Auch während der Feldforschung zu der vorliegenden Arbeit durchlebte Indien eine schwere innenpolitische Krise. Auf nationaler Ebene wurden in dieser Zeit insgesamt drei Regierungen ins Amt eingeführt, zweimal als Resultat von Wahlen, die von schwerwiegenden Gewalttätigkeiten und Wahlmanipulationen begleitet waren. Daneben prägten gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen unterschiedliche Kasten und unterschiedlichen Religionsgemeinschaften die innenpolitische Atmosphäre. Die Ermordung des früheren Ministerpräsidenten Rajiv Gandhi im Mai 1991 nahe Madras war ein vorläufiger Höhepunkt dieser Wellen von Gewalt. Gleichzeitig muß festgestellt werden, daß die Einhaltung bestimmter verfassungsmäßig garantierter Rechte (Menschenrechte, Pressefreiheit) einer zunehmenden Erosion ausgesetzt sind.
2.2.3 Die bundesstaatliche Ebene Tamil Nadu
Indien ist eine föderalistische Nation. Wichtige Bereiche (Bildung, Landwirtschaft, Transport, Gesundheit, u.a.) fallen in den Zuständigkeitsbereich der Landesregierungen. Neben der nationalen Regierung treten diese zudem auch als Wirtschaftssubjekte auf, d.h. sie unterhalten Staatsbetriebe und sind deshalb in vielfältiger Weise für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung des jeweiligen Bundesstaates verantwortlich, wobei sie allerdings auf die Unterstützung der Nationalregierung angewiesen sind. Durch die Existenz eines weiteren (politischen und wirtschaftlichen) Akteurs wird das Macht- und Entscheidungsgefüge noch komplexer. Durch eine starke fiskale Abhängigkeit der Landesregierungen werden viele Entwicklungsdefizite vom Zentralstaat auf die Gliedstaaten verlagert, die ihrerseits in hohem Maße verschuldet und dadurch handlungsunfähig sind. Dies führt dort ebenfalls zu politischen Instabilitäten und verschärft gleichzeitig auch Spannungen, die zwischen der nationalen Regierung und den Länderregierungen bestehen.
Die Untersuchung der bundesstaatlichen Ebene muß deshalb diese beiden Aspekte berücksichtigen. Erstens das Spannungs- und Interessenverhältnis zwischen Nationalstaat und seinen föderativen Gliedern (in der vorliegenden Arbeit also zwischen Indien als Nation und Tamil Nadu als einem Bundesland innerhalb dieser Nation); zweitens gilt es, die internen Interessenslagen im Bundesstaat selbst zu beleuchten, also den Konflikt zwischen unterschiedlichen Interessensgruppen auf der Landesebene. Stärker noch als bei der Analyse der nationalen Ebene kommt hierbei der Aspekt der Politischen Kultur zum Tragen, die in ihrem regionalen Charakter zu beleuchten ist.
2.2.4 Die lokale Systemebene: Das Fischerdorf Nochikuppam
Machtkonstellationen, Politiken und Maßnahmen auf den bislang beschriebenen Systemebenen sind dann als bedeutungslos anzusehen, wenn festgestellt wird, daß sie auf das Leben der Menschen keinen Einfluß haben. Zu dieser Feststellung kann es aber nicht kommen, weil es sich bei der lokalen Ebene nicht um eine autonome Einheit handelt. Ziel der Untersuchung kann es also nicht lediglich sein, einen solchen offensichtlichen Zusammenhang herzustellen, sondern es wird notwendig sein, die Wirkungsmechanismen der Verflechtung zu analysieren und die Ergebnisse einer solchen Verflechtung zu bewerten.
Die Feldforschung für die vorliegende Arbeit wurde in einem Fischersiedlung der südindischen Metropole Madras durchgeführt. Zum großen Teil sind die Menschen dieses Fischerdorfes auch heute noch in der Fischerei beschäftigt und zwar in jenem Bereich, der als „Kleinfischerei“ oder im Englischen als „ Small-Scale-Fishery “ bezeichnet wird.
Fischer sind, wie andere Armutsgruppen auch, in vielfältiger Weise Veränderungen ausgesetzt, die außerhalb ihrer Entscheidungssphäre gefällt werden, die aber auf ihr Leben einen großen Einfluß ausüben. Sie sind in Strukturen eingebunden, die oftmals auf den ersten Blick überhaupt keinen Einfluß auf ihr Leben zu haben scheinen, die sich dann aber bei genauerer Betrachtung doch als relevant erweisen. Die Untersuchung ist deshalb weniger eine klassische Dorf-/Slumstudie, in der die untersuchte Gemeinschaft isoliert von der „Restgesellschaft“ unter die Lupe genommen wird.
In den diesem Kapitel vorausgehenden Abschnitten wurden diese exogenen Prozesse untersucht, ohne bislang die Frage beantwortet zu haben, wie sie das Leben von Menschen beeinflussen, die von Außenhandelsdefizit, Meistbegünstigungsklauseln, dem Handelsstreit zwischen Japan, EG und den USA etc. noch nicht viel gehört haben. Für diese Menschen stellt ihre unmittelbare Umwelt das Zentrum ihres Lebens dar, d.h. das empirische Ergebnis einer solchen Studie wird in erster Linie lediglich endogene Strukturen und Prozesse zu Tage fördern, die dann zu den übergeordneten Dynamiken in Beziehung gesetzt werden müssen. Manche dieser Prozesse sind augenscheinlich mit dem Leben der Kleinfischer verbunden, z.B. die Auswirkungen von exportfördernden Maßnahmen bei Meeresprodukten. Aufgabe einer Analyse wird deshalb lediglich sein abzuschätzen, ob eine solche Politik die Kleinfischer eher begünstigt, weil sie für ihre Produkte von den Exportagenturen hohe Preise erhalten, oder benachteiligt, weil die hohen Profiterwartungen in diesem Bereich Veränderungen bewirken, die den Kleinfischern ihre Wirtschafts- und damit auch ihre Lebensgrundlage rauben.
Aus der Wahl der Untersuchungsgemeinde ergibt sich zunächst, daß in der Arbeit Aspekte des Wirtschafts- und Sozialwandels im indischen Fischereisektor analysiert werden. Die Menschen im Fischerdorf sind jedoch nicht nur Produzenten, sondern auch Konsumenten. Für ihr Leben wichtig sind eine ganze Reihe von Ereignissen, die sie als Konsumenten betreffen, etwa die Preisentwicklung von grundlegenden Gütern und Dienstleistungen, die Bereitstellung von Infrastruktur, die Unterstützung in Not- und Krisenzeiten durch den Staat etc.
Ein erstes Herantasten an die Lebenssituation eines Teils der Menschen im Fischerdorf wird der Produktionsbereich sein, konkret die Veränderungen in der Fischerei, die charakterisiert ist durch natürliche Faktoren (Wetterverhältnisse, Meeresströmungen, Fischvorkommen und daraus resultierend eine Saisonalität der Fischfänge und der Einkommen), durch technische Innovationen und - dadurch beeinflußt - die Veränderung der Arbeitsorganisation. Ebenfalls Bestandteil des Produktionsbereichs stellt die Verteilung der Produktionsmittel (bzw. Produktionsfaktoren) dar, also der Besitz von Booten und anderem Fischereigerät.
Mit diesem Aspekt wird der Produktionsbereich auch schon verlassen, und die anschließende Untersuchung gilt der sozial-ökonomischen Schichtung im Fischerdorf und ihrer Dynamik. Hier sollen zunächst unterschiedliche Gruppen herausgearbeitet werden, die sich aufgrund bestimmter Faktoren voneinander unterscheiden. Dabei wird untersucht, wie diese unterschiedlichen Gruppen auf eine sich ändernde Umwelt reagieren (können), d.h. ob es für sie Verhaltensmuster gibt, um die für sie spezifischen Probleme besser meistern zu können. Ebenfalls Bestandteil der Untersuchung der sozial-ökonomischen Schichtung wird die Frage sein, wie sich lokale Macht legitimiert, und wofür sie gebraucht wird.
2.3 Die theoretische Einbettung der Untersuchungsergebnisse
Es mag ungewöhnlich sein, die theoretische Einbettung einer solchen Arbeit an ihr Ende zu stellen. Wenn dies dennoch geschieht, dann hat dies seine ganz spezifischen Gründe. Zum ersten ist es schwierig geworden, in einer Zeit, in der viel vom „Ende der Theorien“ gesprochen wird, eine theoriegeleitete Arbeit vorzulegen. Die Unsicherheit, was denn heute überhaupt noch theoretisch als gesichert betrachtet werden kann und was inzwischen längst überholt und obsolet geworden ist, ist auch beim Autor nicht spurlos vorübergegangen. Ein Vorgehen, bei dem zunächst die Beschreibung und Analyse von realen Vorgängen im Vordergrund steht, ohne sich dabei vorab bereits in seiner Theorie festlegen zu wollen, kann jedoch auch als Tugend verstanden werden. Ein induktiver Forschungsansatz hat zudem den großen Vorteil, daß es dem Wissenschaftler viel leichter möglich ist, im Laufe der Untersuchung auftauchende neue Gesichtspunkte mit in die Betrachtung aufzunehmen. Darin besteht aber gleichzeitig ein großer Nachteil einer induktiven Vorgehensweise: nämlich die Gefahr, daß die Zielrichtung der Untersuchung dadurch verwässert wird.
Nun wird sich aber auch ein Wissenschaftler, der sich für ein induktives Vorgehen entschieden hat, nicht fern von jeglicher Theorie an die Arbeit machen. Aus der Absicht, verschiedene Analyseebenen in die Betrachtung einer Fischergemeinschaft mit einzubeziehen, bietet sich ein Ansatz an, der im deutschsprachigen Raum unter der Bezeichnung des „Bielefelder Verflechtungsansatzes“ bekannt wurde (vgl. Schmidt-Wulfen 1987). In der theoretischen Betrachtung der Untersuchungsergebnisse soll deshalb auf Kernaussagen dieses Ansatzes zurückgegriffen werden, um erstens die vertikale Verflechtung verschiedener Analyseebenen theoretisch einzubetten, zweitens aber auch, um das Handeln von Gruppen bzw. Individuen als Konsequenz des Wirksamwerdens solcher unterschiedlichen Ebenen zu verstehen.
Gleichzeitig sollen aber auch Theorien verarbeitet werden, die bislang zur Erklärung des Entstehens von Hungerkrisen herangezogen wurden, die sich aber auch dazu eignen, Prozesse von Unterentwicklung zu erklären, die nicht unbedingt in einer Hungerkatastrophe enden müssen. Verfügungsrechtliche Ansätze sind hierfür ebenso geeignet wie Ansätze zu Erklärung von Krisenanfälligkeit gesellschaftlicher Systeme.
Die vorliegende Arbeit behandelt das Spannungsverhältnis zwischen Markt, Staat und ziviler Gesellschaft. Sie erhebt nicht den Anspruch, dieses Spannungsverhältnis in all ihren Facetten beleuchten zu wollen. Ein sektorspezifischer Schwerpunkt liegt bei der Kleinfischerei, wobei andere Wirtschaftsbereiche - wenngleich weniger intensiv - ebenfalls angesprochen werden sollen. Eine weitere thematische Einengung wird in der Form vorzunehmen sein, daß besonders die soziale Absicherung von gesellschaftlichen Gruppen angesprochen wird: einerseits die Formen der sozialen Absicherung außerhalb von staatlicher Intervention, andererseits aber auch gerade die staatlichen Maßnahmen, die zum Ziel haben, unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen sozial abzusichern.
3 Die globale Systemebene: Weltwirtschaftliche Strukturen im Wandel
Die Reformen in der indischen Wirtschaftspolitik stellen u.a. einen Versuch dar, die Wirtschaft des Landes, die seit der Unabhängigkeit (1947) durch eine Politik der Importsubstituierung von externen Einflüssen - wenngleich nicht vollkommen - abgeschottet war, wieder näher an den Weltmarkt heranzuführen. Ohne zunächst Bezug darauf zu nehmen, welchen gesellschaftlichen Gruppen eine solche Internationalisierung der indischen Wirtschaft zugute kommt, wird einleitend die Frage zu behandeln sein, wie das globale Wirtschaftssystem strukturiert ist, und welche Machtkonstellationen in ihm zum Ausdruck kommen. Es sollen in diesem Zusammenhang besonders zwei Aspekte angesprochen werden:
1. die sich wandelnde Bedeutung von Volkswirtschaften im globalen kapitalistischen System, die vor allem in einer zunehmenden Transnationalisierung der Kapitalakkumulation ihren Ausdruck findet.
2. die Antworten, die staatliche und multinationale Wirtschaftspolitiken auf die sich ändernden Bedingungen der Kapitalakkumulation geben konnten. In diesem Zusammenhang wird - bezogen auf die Industrienationen - der Wandel von keynesianischen zu monetaristischen Wirtschaftspolitiken anzusprechen sein. Anschließend soll dann geprüft werden, wie diese neoliberalen Konzepte in Form von Strukturanpassungsprogrammen und der Neuordnung des Welthandelssystems auch auf sog. Entwicklungsländer übertragen werden.
3.1 Der weltwirtschaftliche Strukturwandel bis in die 80er Jahre: Anteile und Beziehungsstrukturen in der Weltwirtschaft
Bis in die 80er Jahre hinein vollzog sich ein bedeutender Strukturwandel in der Weltwirtschaft. Während 1950 die USA noch 61 Prozent der Wertschöpfung im OECD-Raum erwirtschafteten, war dieser Anteil 1987 auf 38 Prozent zurückgegangen. Der Anteil Japans hat sich in dieser Zeit verneunfacht (von 2,5 auf 21 Prozent), und auch der Anteil der westeuropäischen Industrienationen konnte sich - wenngleich weniger drastisch - von 31 auf 38 Prozent erhöhen (Christl 1990: 22). Außerhalb der OECD konnten vor allem einige ostasiatische Nationen wie Südkorea, Taiwan, Hong-Kong und Singapur ihre Stellung in der Weltwirtschaft stark ausweiten (Menzel 1988: 79-91; Weidmann 1990: 42). In dieser Zeit stieg das Welthandelsvolumen um knapp das Fünfzigfache an (Christl 1990: 22). Die Weltwarenströme flossen zum großen Teil zwischen den Industrienationen, was Senghaas (1992) zu der Aussage veranlaßte, die Weltökonomie sei in Wirklichkeit eine OECD-Ökonomie (Senghaas 1992: 1071). Josling (1987) verweist zwar darauf, daß die sog. Entwicklungsländer zwischen 1970 und 1980 ihren Anteil am Warenhandel um fast 10 Prozent (von 18 auf 27,5 Prozent) erhöhen konnten, führt aber anschließend diesen Prozeß in erster Linie auf den starken Preisanstieg für Rohöl zurück. Hauptsächlich die erdölexportierenden Staaten dürften daher für den größeren Welthandelsanteil dieser Ländergruppe verantwortlich sein (Josling 1987).
„Die hohe Wachstumsdynamik der metropolitanen Massenkonsumgütermärkte wies den externen Märkten eine neue Rolle zu: während der Außenhandel der Industrieländer vor dem 2. Weltkrieg als komplementärer Austauschprozess zu zwei Drittel auf Agrar- und Rohstoffländer ausgerichtet war, verschob er sich in dem fordistischen Nachkriegsboom auf den substitutiven interindustriellen Austausch zwischen Industrieländern [...] Dementsprechend sank der Anteil der agrarischen Primärgüter am Welthandel von fast der Hälfte 1913/17 auf ein Fünftel 1970“ (Hurtienne 1986: 89).
Beim Handel mit Dienstleistungen ist die Konzentration auf Industrienationen noch ausgeprägter, wobei die USA eine unbestrittene Führungsposition einnehmen (GATT-IT 1992a: 12). Der Handel mit Dienstleistungen wuchs in den 80er Jahren schneller als der Warenhandel. Von 1984 bis 1990 nahm letzterer um 83 Prozent zu, wohingegen der Dienstleistungshandel einen Zuwachs von 97 Prozent zu verzeichnen hatte. So wurden z.B. in den USA, Großbritannien und Frankreich zwischen 40 und 50 Prozent der Gesamtausfuhren im Dienstleistungsbereich getätigt (Schultz 1987: 157).
Trotz dieser Strukturdaten ist nicht davon auszugehen, daß Weltwirtschaft und Welthandel immer mehr zu den Angelegenheiten einiger weniger Industrienationen werden. Die in ihnen zum Ausdruck kommende Dynamik verdeutlicht jedoch, wie es mit den Realisierungschancen von Strukturanpassungsprogrammen (SAP) bestellt ist, die darauf abzielen, die sog. Entwicklungsländer intensiver in die Weltwirtschaft einzubinden. Diese sehen sich nun der Situation ausgesetzt, daß in den Industrienationen - durch ein geringes Bevölkerungswachstum in Verbindung mit einer starken Rezession - die Märkte heute erheblich langsamer wachsen als in den 50er und 60er Jahren (Schütz-Müller 1993: 442).
Drei weitere wichtige Aspekte, die einer wachsenden Beteiligung der sog. Entwicklungsländer am Welthandel entgegenstehen, seien hier noch kurz erwähnt:
- erstens schotten die Industrienationen ihre Märkte immer mehr gegen ausländische Konkurrenten ab, wobei die Handelsschranken gegenüber Entwicklungsländer höher sind als gegenüber andere Industrienationen (vgl. FES 1992: 47; Hartwig 1991).
- zweitens ist die Zahl der Entwicklungsländer, die in den letzten Jahren durch Strukturanpassungsprogramme stärker in den Weltmarkt eingebunden wurden, sehr groß geworden.1 In der Folge findet immer mehr ein Verdrängungswettbewerb unter ihnen statt: die Preise ihrer Exportsprodukte - meist agrarische und andere Rohstoffe - sinken.
- drittens wird seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion gleichzeitig die Integration einer großen Anzahl ehemals sozialistischer Länder - einst der sog. Zweiten Welt zugerechnet - in den Weltmarkt vorangetrieben. Ihre augenblicklich noch sehr geringe Wirtschaftskraft2 bedroht zwar die Exportchancen der sog. Entwicklungsländer noch nicht akut, doch werden Strukturanpassungsmaßnahmen in Verbindung mit umfangreichen Auslandskrediten sie bald zu höheren Exportleistungen zwingen und damit zu Konkurrenten der sog. Entwicklungsländer machen (Hetmeier 1993: 48f; Klingenbiel 1993: 429). Es ist jedoch sehr fraglich, ob sie in absehbarer Zeit auch zu Märkten für Produkte aus den sog. Entwicklungsländer werden können (vgl. Chahoud 1992).3
In den vergangenen 50 Jahren haben sich nicht nur die Beziehungsstrukturen zwischen den Industrie- und sog. Entwicklungsländern verändert. Auch die Branchenstrukturen der Volkswirtschaften in den Industrieländern haben sich gewandelt.
Wenn für den Handel mit Dienstleistungen ein stärkeres Wachstum festgestellt wurde als für den Warenhandel, kommt darin auch ein veränderter volkswirtschaftlicher Stellenwert dieser Bereiche zum Ausdruck. Die Rolle des Dienstleistungssektors ist dabei sogar noch bedeutender, als es ihr Anteil am Außenhandel vermuten läßt (Schultz 1987: 156). Während der primäre und sekundäre Sektor einen erheblichen Bedeutungsverlust hinnehmen mußten, wird vom tertiären Sektor nicht nur ein immer größerer Anteil der gesamten Wertschöpfung erzielt, sondern auch ein immer größerer Anteil von Arbeitsplätzen gestellt. Der Trend zur Dienstleistungsgesellschaft ist in den Industrienationen unübersehbar (Tertiärisierung). In diesem Zusammenhang ist es wenig verwunderlich, daß im Rahmen der Uruguay-Runde des GATT besonders die USA dem Dienstleistungsbereich eine herausragende Bedeutung zumaßen. Gleichzeitig darf aber auch nicht übersehen werden, daß die Landwirtschaft - obwohl sie in den Industrienationen sowohl hinsichtlich ihrer Bedeutung für die Wertschöpfung als auch der Beschäftigung eine immer geringer werdende Rolle spielt nach wie vor durch hohe Importbarrieren vor ausländischer Konkurrenz geschützt wird.
3.1.1 Die erste große Krise des fordistischen Akkumulationsmodells
1 Das fordistische Akkumulationsmodell ist eng verbunden mit den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen in den USA seit Beginn dieses Jahrhunderts. Das Zusammenwirken der bereits gegen Ende des letzten Jahrhunderts von Frederick Taylor entwickelten „wissenschaftlichen Betriebsführung“ - d.h. der Zergliederung des Arbeitsprozesses in einfachste Teiloperationen und des von Henry Ford 1913 eingeführten mechanischen Fließbandes waren Voraussetzung für die Massenproduktion langlebiger Konsumgüter. Diese betriebswirtschaftlichen Innovationen führten durch „Zerstückelung“ und „Standardisierung“ des Produktionsprozesses zu erheblichen Steigerungen der Arbeitsproduktivität bei gleichzeitigem Rückgang der Produktionskosten (Hirsch 1985: 167). Da die Arbeiterlöhne auf diese Weise angehoben werden konnten und die Preise für die Produkte der Massenproduktion gleichzeitig sanken, entwickelte sich eine schnell anwachsende Nachfrage nach langlebigen Konsumgütern wie z.B. Autos, Waschmaschinen, Kühlschränke, Radios, etc. In den 20er Jahren dieses Jahrhunderts (golden twenties) erlebten nicht nur diese neuen Produktionsmethoden einen Durchbruch, sondern mit ihnen entstand - zunächst in den USA - die Massenkonsumgesellschaft. Die anfänglich nahezu unstillbare Nachfrage bot Gewähr für eine andauernde Ausweitung industrieller Produktionskapazitäten und historisch einmaliger Gewinne (Hurtienne 1984 Bd-2: 273-285). Es konnten jedoch nicht alle gesellschaftlichen Gruppen gleichermaßen an diesem Massenkonsum teilhaben, und ungeachtet des „Konsumrausches“ entwickelte sich zunehmend eine Ungleichverteilung der Einkommensverhältnisse. Während zwischen 1923 und 1929 die Löhne der gesamten Arbeiterschaft um lediglich elf Prozent anstiegen, erhöhten sich die Gewinne aus der Industrie um 62 Prozent und die aus Dividenden um 65 Prozent (Hurtienne 1984 Bd-2: 295). Ab 1926 war die Erstnachfrage der kaufkräftigen Gesellschaftsschichten befriedigt und ein starker Nachfragerückgang setzte ein.
„Ein zunehmender Teil der wachsenden Profitmasse und Kapitaleinkommen wurde nicht mehr von den Unternehmen produktiv investiert oder von Vermögenshaushalten in zur Investitionsfinanzierung dienende Industrieaktien angelegt, sondern floß in einen rasch wachsenden Spekulationsmarkt von Wertpapieren aller Art“ (Hurtienne 1984 Bd-2: 305).
Durch den „Börsensturz“ an der Wall Street am 23. Oktober 1929 (Schwarzer Freitag) wurden die Eskalationen im Spekulationsgeschäft jäh abgebrochen, was zunächst das amerikanische und infolgedessen auch das europäische Bankensystem zum Einsturz brachte. Die sich anschließende Weltwirtschaftskrise führte in den meisten Industrienationen zu einem erheblichen Produktionsrückgang (vgl. Galbraith 1988; Hurtienne 1984 Bd-2: 265; Rothermund 1992). Der Verlust an Welthandelsdynamik führte zu einem Abwertungswettlauf bislang unbekannten Ausmaßes. Um ihre Waren günstiger auf dem Weltmarkt anbieten zu können, übertrafen sich die unterschiedlichen Regierungen bei der Abwertung ihrer Währungen, schotteten aber gleichzeitig ihre eigenen Märkte gegen ausländische Konkurrenten ab.
„1938 erreichte der Welthandel nur wenig mehr als zwei Drittel seines Umfangs von 1913, und 1948 lag der europäische Handel noch einmal 15 Prozent unter diesem bescheidenen Niveau. Seit Beginn der industriellen Revolution hatte es keinen derartigen Rückschlag gegeben“ (Hobsbawm 1981: 43).
Die Krise des Kapitalismus in den 20er Jahren dieses Jahrhunderts bewirkte auch, daß die Regierungen der Industriestaaten neue wirtschafts- und sozialpolitische Wege beschreiten mußten, um die wachsende Unzufriedenheit großer Bevölkerungsgruppen kontrollieren zu können.
„In den daraus hervorgehenden populistischen Reformkoalitionen des nordamerikanischen New Deal und der Volksfront in Frankreich wurden die wohlfahrtsstaatlichen Innovationen der Weimarer Republik (staatlich-rechtlich geregelte kollektive Arbeitsbeziehungen mit Tarifverträgen, Kündigungsschutz, Minimallöhnen, Streikrecht, institutionelle Risikoabsicherung gegen Arbeitslosigkeit, Invalidität und Alter, steigende staatliche Regulierungen des ökonomischen Prozesses) gegen den erbitterten Widerstand der Mehrheit der Unternehmen zu den Grundstrukturen einer neuen, die Dynamik der Massenkaufkraft auch bei Konjunktureinbrüchen oder hoher Arbeitslosigkeit garantierenden Regulierungsweise weiterentwickelt“ (Hurtienne 1986: 82f).
Die mit Ende des Zweiten Weltkrieges einsetzende Prosperitätsphase in den Industrieländern (Wirtschaftswunder) war wiederum das Ergebnis einer steigenden Arbeits- und Kapitalproduktivität und der Ausweitung der Massenkonsumgesellschaft, diesmal sowohl in den USA als auch - bedeutend stärker als in den 20er Jahren - in Europa.
Anders als während der wirtschaftlichen Hochphase in den USA der 20er Jahre war der wirtschaftliche Wiederaufbau Europas von Anfang an verbunden mit der Ausweitung staatlicher Wohlfahrt. Die Zeit bis zum Ende der 60er Jahre war sowohl von einer hohen Profitrate für die Unternehmen als auch durch den raschen Anstieg der Reallöhne für die Arbeiterschaft gekennzeichnet (Hirsch 1985: 166f). In dieser Phase verlor der traditionelle Klassenkonflikt an Bedeutung.
„Trotz hoher [...] jährlicher Reallohnsteigerungen 1950/73 von 4-5% stieg die Arbeitsproduktivität noch schneller, so daß die realen Lohnkosten sanken und die Profitquote bei hohen zyklischen Fluktuationen sich im Trend geringfügig verbesserte. Da gleichzeitig die Kapitalintensität der Industrie in der Bundesrepublik bis 1955/60, in Frankreich bis 1970 langsamer zunahm als die Arbeitsproduktivität, erhöhte sich in diesen Zeiträumen die Kapitalproduktivität und damit auch die industrielle Profitrate“ (Hurtienne 1986: 84).
3.1.2 Die globale Strukturkrise der Gegenwart
Mit dem Beginn der 70er Jahre geriet das fordistische Akkumulationsmodell abermals in eine strukturelle Krise, von der es sich im Prinzip bis in die 90er Jahre hinein nicht erholen konnte. Bestand gegen Ende der 20er Jahre die Ursache der Krise darin, daß die Produktivitätsentwicklung der Industrie schneller voranschritt als der Reallohnanstieg der Arbeiterschaft - also in einem Kaufkraftdefizit großer gesellschaftlicher Gruppen - so war das nunmehr auftretende Nachfrageproblem nicht mehr durch staatliche Interventionsmaßnahmen mit dem Ziel der Kaufkrafterhöhung zu bewältigen. Inzwischen hat der Massenkonsum in den westlichen Industrienationen nahezu alle gesellschaftlichen Gruppen - wenngleich auf verschiedenen Niveaus - erreicht, d.h. die Erstnachfrage nach den gängigsten langlebigen Konsumgütern ist in weiten Bereichen gedeckt (Geißler 1992: 45; Hauck 1990: 77f). Wachstumsindustrien im Konsumgüterbereich finden sich jedoch vor allem in jenen Branchen, in denen vollkommen neue, massenkonsumfähige Produkte auf dem Markt eingeführt werden, wie im Bereich der Computerindustrie und der Unterhaltungselektronik.
Da der Binnenmarkt für viele industrielle Produktionsbereiche - trotz noch so gezielten Marketings - dennoch keine ausreichenden Absatz- und damit Wachstumsperspektiven bieten kann, werden die Märkte jener Nationen, in denen ein enormer „Nachholbedarf“ an Konsumgütern zu vermuten ist, immer bedeutender. Mit dieser Strategie der Erschließung neuer Absatzgebiete geht in vielen Fällen auch eine Verlagerung der Produktionsstätten selbst einher. Ein großer Anteil der Direktinvestitionen konzentriert sich daher auf Länder, die sowohl über kaufkräftige Mittelschichten als auch über qualifizierte bzw. rasch qualifizierbare Arbeitskräfte, die dann in Betrieben mit hoher Arbeitsproduktivität eingesetzt werden können, verfügen. Es sind dies gegenwärtig vor allem die Märkte der Länder des ehemaligen Ostblocks, aber auch die derjenigen sog. Entwicklungsländer, die bereits - in absoluten Zahlen - über große konsumorientierte und fähige Käuferschichten verfügen. Waren Betriebsauslagerungen in sog. Entwicklungsländer früher zumeist durch den „komparativen Standortvorteil“ der Billiglöhne motiviert - zwecks Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit auf den Märkten der Industrieländer - ist inzwischen immer mehr die Durchdringung der Märkte bestimmter sog. Entwicklungsländer selbst zum Motiv von Unternehmensentscheidungen geworden.
3.2 Von der internationalen zur globalen Wirtschaft
„Die alte Weltordnung baut auf dem modernen Territorial- bzw. Nationalstaat auf, dessen ökonomisches Komplement eine territorialstaatlich organisierte Volkswirtschaft (Nationalökonomie) ist, die über den Welthandel mit anderen Volkswirtschaften im Austausch steht. Nationale Souveränität ist gewissermaßen das Markenzeichen der wesentlichen Akteure in dieser überkommenen Ordnung. Demgegenüber werden die Rahmenbedingungen für die neue Weltordnung durch eine sich herausbildenden „Weltökonomie“ gesetzt. In ihr findet Weltproduktion statt. Das heißt, die Investitionsprospektierung findet vor allem von Seiten multinationaler bzw. von Weltfirmen weltweit statt“ (Senghaas 1992: 1069f).
Eine wichtige Grundlage der internationalen Wirtschaft war, daß die handelnden Einheiten in nationalen Grenzen verstanden werden konnten, d.h. die Beziehungen bestanden zwischen Nationalstaaten bzw. zwischen in nationalen Grenzen agierenden Unternehmen. Die Beziehungen der „alten Weltordnung“ beruhten hauptsächlich auf dem Warenhandel. Um das reibungslose Funktionieren dieses Austausches zu gewährleisten, bedurfte es eines Austauschmediums, das den Wert der Waren auf beiden Seiten exakt ausdrücken konnte. Es sind - zusammengefaßt - demnach drei wichtige Merkmale, durch die internationale Wirtschaftsbeziehungen charakterisiert werden können:
- nationale Volkswirtschaften sind die maßgeblichen Einheiten
- ihr Verhältnis zueinander ist durch den Austausch von Gütern bestimmt
- dieser Austausch wird über ein anerkanntes Währungsmedium getätigt
Angesichts dieser Kriterien wird deutlich, daß es die hier skizzierte Art der internationale n Wirtschaft heute nicht mehr gibt. Sie wurde von einer globalen Wirtschaft abgelöst. In Anlehnung an obige Kriterien stützt sich die globale Wirtschaft auf folgende Pfeiler:
- ohne daß die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen verschiedenen Volkswirtschaften hinfällig geworden wären, findet eine zunehmende Transnationalisierung der Kapitalakkumulation statt. Produktion, Handel und andere wirtschaftliche Aktivitäten überschreiten zunehmend nationale Grenzen, ohne dabei den Einflußbereich eines bestimmten wirtschaftlichen Unternehmens zu verlassen.
- wenngleich Warenproduktion und -handel nach wie vor einen wichtigen Bereich der Kapitalakkumulation darstellen, haben andere Bereiche inzwischen erheblich an Bedeutung gewonnen, wie z.B. Produktion und Handel mit Dienstleistungen oder Finanztransaktionen und Spekulationen unterschiedlichster Art.
- während in der internationalen Wirtschaft „Währung“ ein Medium des Austausches war - und es auch in der globalen Wirtschaft noch ist - wird diese jedoch zunehmend selber zur Quelle der Kapitalakkumulation.
Ein internationales Wirtschaftssystem gab es schon vor dem Ersten Weltkrieg. Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges erhielt dieses System jedoch eine neue Qualität (Weidmann 1990: 42). Nach 1945 setzte ein ungebremstes Wachstum der Weltwirtschaft und eine zunehmende Verflechtung der Akteure ein, die erst durch die Rezession zu Beginn der 70er Jahren abgeschwächt wurde (Ölpreiskrise). Die Ursachen des Wandels von der internationalen zur globalen Wirtschaft sind sowohl in der wirtschaftlichen Boom phase von 1945 bis 1973 wie auch in der wirtschaftlichen Rezession nach 1973 zu sehen. In der ersten Phase konnten aufgrund des günstigen Investitionsklimas finanzkräftige - und damit sehr mächtige - Unternehmen in den Industrienationen entstehen. Nach 1973 sahen sich diese Unternehmen dann dazu gezwungen, neue Wege zu beschreiten, um weiterhin günstige Bedingungen der Kapitalakkumulation sicherzustellen. Darüberhinaus sorgten Verbesserungen in Kommunikation und Transport dafür, daß der Reichweite wirtschaftlicher Aktivitäten kaum noch Grenzen gesetzt sind.
In der internationalen Wirtschaft waren Kapitalismus und Nationalstaat eng miteinander verbunden. Es war so durchaus sinnvoll, von einem britischen, einem deutschen oder einem amerikanischen Kapitalismus zu sprechen, die jeweils eigene Charakteristika und Interessen aufwiesen. Heute bestehen zwar in vielen Bereichen weiterhin enge Verbindungen zwischen Nationalstaat und einer spezifischen Ausprägung des Kapitalismus. Kapitalismus als Wirtschaftsordnung kann jedoch nicht mehr an geographischen Grenzen festgemacht werden. Die Globalisierung des Kapitalismus ist nicht zuletzt das Resultat einer Umstruktuierung der Eigentumsverhältnisse. Inzwischen hat sich die zu Beginn dieses Jahrhunderts noch vorherrschende national-kapitalistische Unternehmensstruktur gewandelt und ist de facto und de jure transnational geworden. Kapitaleigner aus unterschiedlichen Nationen haben sich dabei in ein und demselben Unternehmen zusammengeschlossen, welches in verschiedenen Ländern der Erde gleichzeitig „beheimatet“ ist (Friedmann 1993: 49; Kurien 1992: 99 Senghaas 1993: 51).
Diese neuen Produktionsstrukturen haben weitreichende Folgen für die Weltwirtschaft. Dadurch, daß die Produktionsstätten für die verschiedenen Komponenten einer einzigen Ware zunehmend über den Erdball verstreut sind, hat sich die Bewegung von Gütern über nationale Grenzen hinweg drastisch erhöht und den Eindruck eines gewaltigen Welthandelswachstums entstehen lassen (Friedmann 1993: 51; Hein 1991: 78).
„Dieser Handel ist jedoch häufig nicht die Bewegung von Fertiggütern von einem Land in ein anderes, sondern es handelt sich dabei um den Transport von Komponenten eines einzigen Endproduktes aus einer Werkstatt eines riesigen Unternehmens in eine andere. Nicht selten sind die meisten von ihnen (den Transnationalen Konzernen, der Verf.) Weiterverarbeiter, oft bis hin zum Endprodukt und können so den gesamten Produktionsprozeß kontrollieren. Ihr Kapitalkraft macht es ihnen weiter möglich, auf den Rohstoffbörsen und im Warentermingeschäft Weltmarktpreise zu beeinflussen, was direkte Konsequenzen für die Exportländer hat, bzw. deren private oder staatliche Firmen“ (Haude 1985: 14).
Auch wenn die Produktionsstätten solcher Transnationaler Konzerne (TNK) in den Rechtsbereich unterschiedlicher Nationalstaaten fallen, sind die Güterbewegungen in hohem Maße „intern“. Der Produktionsprozeß kann so als eine Art „nationale Grenzen überschreitende Fertigungsstraße“ (Broll 1993: 55) verstanden werden.
Die Standortentscheidungen der einzelnen Unternehmen richten sich gemäß den Bedingungen der Kapitalakkumulation nach einer Vielzahl unterschiedlichster Überlegungen. Dazu gehören z.B. Lohn- und Transportkosten, Arbeitsproduktivität, Markt- und Rohstoffnähe, Wechselkurse, evtl. staatliche Einflußnahme in den Wirtschaftsprozeß, politische Stabilität etc. (vgl. Broll 1993: 54ff; Haude 1985: 11). Je nachdem, wie sich diese Bedingungen ändern, ändern sich auch die Präferenzen für bestimmte Standorte. Damit wird von Transnationalen Unternehmen den staatlich vorgegebenen Bedingungen, unter denen Produktionsverlagerungen durchgeführt werden können, große Bedeutung zugemessen (Kurien 1992: 100).
Umstritten ist, wie intensiv die Entwicklungsländer in die hier beschriebene Transnationalisierung der Kapitalakkumulation einbezogen sind, und welche Konsequenzen sich daraus ergeben. Während aus einer dependenztheoretischen Perspektive die Transnationalen Konzerne als Inbegriff kapitalistischer Ausbeutung der Entwicklungsländer angesehen wurden, hat sich die Einschätzung in der neueren Entwicklungstheorie - nicht nur der neoliberalen Richtung - diesen Unternehmen gegenüber vielfach geändert (Lall 1991: 14, 13-36; Windfuhr 1993: 493).
Während bis in die frühen 80er Jahren noch 25 bis 40 Prozent der ausländischen Direktinvestitionen in Entwicklungsländer gingen, hatte sich ihr Anteil zum Ende des Jahrzehnts auf 10 bis 15 Prozent verringert. 95 Prozent dieser Investitionen kamen aus den Industrienationen (Jungnickel 1993:1
In den verschiedenen Zeiträumen konzentrierte sich ein beträchtlicher Anteil der Direktinvestitionen in Entwicklungsländer auf eine Handvoll von Staaten. In den 70er Jahren waren dies vor allem lateinamerikanische Länder, während in den 80er und Anfang der 90er Jahre der ost- und südostasiatische Raum die meisten Direktinvestitionen anziehen konnte. Aus globaler Perspektive sind alle anderen Regionen in der Dritten Welt hinsichtlich der in ihnen getätigten Direktinvestitionen unbedeutend (Jungnickel 1993).
„Trotzdem kann von einer „Zwangsabkoppelung“ nicht einmal in bezug auf Afrika die Rede sein. Denn in den schwachen Ökonomien der Zweidrittelwelt haben bereits kleine Anteile große Wirkungen auf wirtschaftliche Abläufe. Liegt bei den entwickelten Ländern der Anteil der Auslandsinvestitionen an den Gesamtinvestitionen von 1985 bis 1987 im Schnitt bei 3,4 Prozent, ist dieser Anteil in den Entwicklungsländern mit 6,1 Prozent beinahe doppelt so hoch, in Afrika liegt er sogar bei 9 Prozent“ (Pentzlin 1993: 318)
Nach einem Rückgang in den 80er Jahren nehmen heute Direktinvestitionen in den sog. Entwicklungsländern einen bislang unerreichten Stand ein (Hein 1991: 77). Vor allem 1993 sind die Direktinvestitionen nach einer Untersuchung der Konferenz für Welthandel und Entwicklung der Vereinten Nationen (UN-Conference on Trade and Development, UNCTAD) sehr stark angestiegen. Die sog. Entwicklungsländer konnten dabei mit einem Anteil von 40 Prozent der getätigten Investitionen erheblich besser abschneiden als in den Jahren zuvor. Eindeutig an der Spitze lag dabei China mit einem Investitionsvolumen von 26 Mrd. US-Dollar (Chandrasekhar 1994: 108).
3.2.1 Die Dimension globaler Finanztransaktionen oder: Die Bedeutung nicht-warengebundener Kapitalakkumulation
Die Kapitalverwertungsstrategien transnational agierender Unternehmen verlagern sich immer mehr in Bereiche außerhalb der Warenproduktion. Mehrwert kann zwar nach wie vor durch die Aneignung von Arbeitskraft (Produktion) erzielt und durch Handel realisiert werden, für eine ganze Reihe von Unternehmen ist die Produktion jedoch keine notwendige Voraussetzung für Kapitalbildung. Dies ist z.B. bei Handelsgesellschaften der Fall; die höchsten Renditen werden jedoch mittlerweile bei Finanz- und Währungsspekulationen oder auch mit Unternehmensbeteiligungen erzielt.
„Mit privaten Investitionen ist seitdem nur noch zu rechnen, wenn die zu erwartende Rendite das Realzinsniveau auf den internationalen Finanzmärkten übersteigt“ (Messner/Meyer-Stamer 1993: 99).
Der Umfang des internationalen Devisenhandels übersteigt inzwischen den Güterhandel wertmäßig bei weitem (Christl 1990: 21). 1988 betrug z.B. der Tagesumsatz (!) im Devisenhandel 660 Mrd. US-Dollar und überstieg damit den Jahreswert der Güterströme zwischen den USA, Westeuropa und Japan (600 Mrd. US-Dollar) (Bonder/Röttger 1993: 67). 1991 hatten die täglichen Währungstransaktionen bereits etwa 900 Mrd. US-Dollar erreicht. Auch der internationale Handel mit Obligationen (bonds) boomt: 1982 betrug der Wert internationaler Schuldverschreibungen noch 259 Mrd. US-Dollar. Bis 1991 war dieser Wert auf 7,5 Trillionen US-Dollar gestiegen (Kurien 1993: 101).
Dieser grenzenüberschreitende Kapitalverkehr ist zwar z.T. an eine Warenproduktion gekoppelt, entwickelt aber in zunehmendem Maße eine eigene Akkumulationsdynamik: die hier erwähnten, zweifellos gewaltigen Umsätze an gehandeltem Kapital können immense Profite abwerfen, ohne daß auch nur eine einzige Produktionsstätte errichtet oder eine einzige Schraube gefertigt worden wäre. Viele dieser gewinnträchtigen Geschäfte sind nur durch die geschickte Ausnutzung der vorhandenen weltwirtschaftlichen Disparitäten möglich, wie sie z.B. in Währungsunterschieden zum Ausdruck kommen.
3.2.2 Die weltwirtschaftliche Bedeutung von Transnationalen Unternehmen
Was hinsichtlich der Direktinvestitionen in Form von Zahlen wiedergegeben wurde, bedeutet natürlich, daß quasi überall auf der Welt ständig neue Unternehmen entstehen, bzw. daß bestehende Unternehmen in den jeweiligen Ländern zunehmend von ausländischen Eigentümern (mit)besessen werden. Diese Entwicklungen sind bezeichnend für die steigende Bedeutung transnational agierender Konzerne im globalen Wirtschaftsgeschehen.
Nationale Unternehmen beliefern ihre Auslandmärkte durch Exporte. Bei stagnierenden Inlandsmärkten können sie so den Doppelcharakter der Löhne - einerseits als niedrig zu haltender Kostenfaktor und andererseits als hoch zu haltendes Nachfrageaggregat - auflösen: Für das exportierende Unternehmen sind Löhne nur noch Kosten, die mit allen Mitteln zu drücken sind (Huffschmid 1994). Durch die Errichtung Transnationaler Unternehmen tritt zunehmend eine Alternative zum internationalen Handel in den Vordergrund (Broll 1993: 54). Diese besteht darin, daß die Produktion selbst in Marktnähe durchgeführt wird. Das ist vor allem dann interessant, wenn eine ähnlich hohe Arbeitsproduktivität bei bedeutend niedrigeren Lohnkosten erreicht werden kann (Lall 1991: 36).
Einige dieser Transnationalen Konzerne sind so groß und mächtig geworden, daß ihre Umsätze das Bruttoinlandsprodukt vieler Länder übersteigen. Nach einer Schätzung der Wirtschaftszeitung The Economist stellen die 100 größten Unternehmen etwa ein Sechstel der „productive assets“ der Welt und halten zwischen 40 und 50 Prozent der transnationalen Aktiva. General Motors verfügte z.B. 1990 über ein Vermögen an Produktionsstätten und Geldkapital in einer Höhe von über 180 Mrd. US-Dollar. Diese Konzentrationsprozesse kommen z.T. in einer monopolartigen Marktbeherrschung zum Ausdruck. Im Bereich der Produktion langlebiger Konsumgüter erzielten z.B. 1992 die fünf größten Unternehmen 70 Prozent des gesamten Weltumsatzes; in der Automobil- und Luftfahrtindustrie waren es immerhin knapp 60 Prozent (The Economist 27.03.1993). Fast ein Drittel des gesamten Welthandelsvolumens wird von den machtvollen transnationalen Unternehmen abgewickelt. Bereits 1978 betrug der Handelsanteil der jeweils 15 größten TNK bei folgenden Produkten über 85 Prozent: Kakao, Tabak, Tee, Kaffee, Weizen, Baumwolle, Kupfer, Eisenerz und Bauxit (Haude 1985: 13).
3.2.3 Transnationale Konzerne und Nationalökonomien - zur Interessenlage
Die Interessen von (transnationalen) Wirtschaftsunternehmen unterscheiden sich in deutlicher Weise von denen nationaler Volkswirtschaften. Das Interesse eines Wirtschaftsunternehmens besteht in erster Linie darin, vorhandenes Kapital möglichst gewinnbringend anzulegen. Dies geschieht - wie bereits erwähnt - z.B. durch die Produktion von Waren, durch Handel, mittels Kapitalgeschäften und Spekulationen etc. Das Unternehmen versucht, dabei die Bedingungen der Kapitalakkumulation möglichst optimal zu gestalten. Bei Tätigkeiten außerhalb des Stammlandes eines Unternehmens ist es z.B. besonders wichtig, unter welchen Bedingungen Kapital aus dem Produktionsland in andere Länder transferiert werden kann.
Weiterhin darf angesichts der zunehmenden Globalisierung der Wirtschaft der Prozeß der Branchenstrukturdiversifizierung nicht aus den Augen verloren werden. Transnationale Unternehmen sind in vielen unterschiedlichen Wirtschaftsbereichen gleichzeitig tätig, in denen sie sich - orientiert an der konjunkturellen Lage - u.U. auch wechselnd, also nicht unbedingt dauerhaft, engagieren (Haude 1985: 14).1 Viele Unternehmen suchen nach einträglichen Tätigkeiten außerhalb der Warenproduktion - wie beim Handel mit Dienstleistungen oder im Bereich der Finanztransaktionen - die sehr viel höhere Profitraten versprechen. Eine ähnliche Anpassungsfähigkeit liegt hinsichtlich der Standortentscheidungen vor, die sich flexibel am Investitionsklima festmachen lassen.
Es ist also im globalen Wirtschaftsgeschehen insgesamt ein deutlicher Trend zu einer Konzentration der Eigentumsverhältnisse festzustellen, dem eine Diversifizierung der Aktivitäten gegenübersteht.
Die Interessen einer Volkswirtschaft sind im Vergleich zu denen eines Wirtschaftsunternehmens vielschichtiger strukturiert. Die im „magischen Viereck“ des Stabilitäts- und Wirtschaftsgesetzes beschriebenen gesamtwirtschaftlichen Ziele - Preisniveaustabilität, hoher Beschäftigungsstand, außenwirtschaftliches Gleichgewicht, Wirtschaftswachstum - sind bei den TNK ebenso von untergeordneter Bedeutung wie andere gesellschaftsrelevante Aspekte wie z.B. Umweltschutz oder Verteilungsgerechtigkeit. In vielen Fällen behindern sie sogar akkumulationsrationale Entscheidungsfindungsprozesse von Unternehmen. Kein Staat aber kann Profitmaximierung zu seinem einzigen oder auch nur wichtigsten Anliegen machen; er muß darüberhinaus Aufgaben wahrnehmen, die unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten unrentabel sind. Volkswirtschaften müssen dabei ein komplexes Gefüge von Faktoren wie Ressourcenausstattung, Produktion, Beschäftigung, Sozial- und Umweltverträglichkeit, Wohlfahrt etc. in ihren Entscheidungen berücksichtigen (Hein 1993: 53).
Ein Wirtschaftsunternehmen investiert nicht um der Produktion sondern um des Profites willen. Investitionen während einer wirtschaftlichen Krise sind vor allem Rationalisierungsinvestitionen - d.h. betriebliche Maßnahmen zur Verbesserung der Rentabilität - und häufig mit einem Verlust von Arbeitsplätzen verbunden (Buhbe et al. 1984: 21). So führen Produktivitätssteigerungen und Kapazitätsabbau („Gesundschrumpfen“) zu einer verbesserten Kapitalverwertung. Dadurch wird zwar einerseits die Konkurrenzfähigkeit des Unternehmens verbessert, andererseits aber die Nachfrage gedrosselt.
Ein Staat kann sich seiner „unproduktiven“ Bereichen nicht so einfach entledigen, ohne dadurch in eine Legitimationskrise zu geraten. Eine monetaristische Wirtschaftspolitik, die Nationalstaaten fast wie Unternehmen begreift, die - um ihre Probleme zu lösen - lediglich ihre Bilanzen ins Reine bringen müssen, wird vor allem dort großen gesellschaftlichen Schaden anrichten, wo besonders viele der im wirtschaftlichen Sinne eher als „unproduktive Elemente“ betrachteten Menschen leben.
3.3 DER STAAT UND DIE WIRTSCHAFT
3.3.1 Staat und Wirtschaft: Vom Keynesianismus zum Monetarismus
Die kurz skizzierten Krisen des fordistischen Akkumulationsmodells - und damit des kapitalistischen Wirtschaftsansatzes - mußten zwangsläufig zu einer Krise des „Interventions- und Sozialstaates“ führen. Mit der Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation in den Industrieländern in den 70er Jahren - stagnierende Produktion, Beschäftigungsrückgang etc. - waren die Regierungen nicht mehr fähig, die bestehenden strukturellen Defizite durch staatliche Intervention im nötigen Umfang abzufangen. Die Zeit der hohen Wirtschaftswachstumsraten, die auch die staatlichen Kassen füllten, war vorüber. Durch die wirtschaftliche Strukturkrise wurde der „Interventions- und Sozialstaat“ - vor allem von neoliberalen Wirtschaftswissenschaftlern und Arbeitgeberverbänden - als kontraproduktiv angesehen. Weitere Zugeständnisse an die Arbeitnehmerschaft in Form konsumptiver Staatsausgaben konnten ihrer Auffassung nach nur zu einem forcierten Abbau der Wettbewerbsfähigkeit führen.
„Entscheidende Ursache der Krise sind die über Jahre hinweg überzogenen Lohnerhöhungen, verbunden mit einer extremen Ausdehnung der "konsumptiven" (d.h. im weiteren Sinne sozialstaatlichen) Staatsausgaben und der damit einhergehenden Staatsverschuldung. Weiter verteuert wurde der "Faktor Arbeit" durch kostenträchtige wirtschafts- und sozialpolitische Entscheidungen des Staates (Ausbau der Sozialversicherungssysteme, Arbeits- und Kündigungsschutz usf.)“ (Hirsch 1985: 160; vgl. Huffschmid 1994).
Volkswirtschaftliche Dynamik verläuft nicht linear sondern konjunkturell; d.h. Phasen hoher Produktion und Nachfrage wechseln sich mit Phasen des Produktions- und Nachfragerückgangs ab. Eine Rezessionsphase bedeutet nicht nur einen Produktions- sondern auch einen Beschäftigungsrückgang. Die Zahl der Arbeitslosen steigt, das Konsumniveau dieser Menschen sinkt, und es tritt ein Nachfragerückgang ein. Wirtschaftswissenschaftler sprechen in diesem Zusammenhang von „zyklischen Schwankungen der wirtschaftlichen Aktivität“ (Olsson/Piekenbrock 1993: 178). Überlagert werden diese konjunkturellen Schwankungen des Wirtschaftsgeschehens vom Auftreten sogenannter „Langer Wellen“ der kapitalistischen Entwicklung. Diese bringen weniger eine Konjunktur - als vielmehr eine Struktur krise zum Ausdruck. Solche strukturellen Krisen treten dann auf,
„ [...] wenn es im Rahmen einens gegebenen Akkumulationsmodells und einer Hegemonialstruktur nicht mehr möglich ist, ausreichende Gegentendenzen zum Fall der Profitrate zu moblisieren, und die weitere Kapitalverwertung eine Transformation dieser Struktur, d.h. die Durchsetzung einer neuen kapitalistischen Formation verlangt“ (Hirsch 1985: 163).
Eine solche strukturelle Krise bewirkt eine Neudefinition der politisch-ökonomischen Kräfteverhältnisse. An dieser Stelle soll weniger auf wirtschaftstheoretische Erklärungsmodelle1 dieser Phänomene eingegangen werden, als vielmehr die Handlungsspielräume des Staates als Bestandteil dieses politisch-ökonomischen Kräftefeldes untersucht werden.
Nach den Vorstellungen des britischen Ökonomen John Maynard Keynes (1883-1946) besteht die wichtigste Aufgabe der Wirtschaftspolitik in der Beeinflussung der Gesamtnachfrage einer Volkswirtschaft und der Stabilisierung des Investorenverhaltens. Dies gilt besonders dann, wenn von privater Seite diesen Aufgaben nicht nachgekommen wird (Kromphardt 1987: 170). Wird in einer Rezession das Wirtschaftsgeschehen ausschließlich den Marktkräften überlassen, sind Arbeitslosigkeit und Lohnrückgang die Folge. Der damit einhergehende Rückgang der Binnennachfrage betrifft nicht nur Konsumgüter, sondern beeinflußt „je nach Reaktion des Preisniveaus und des Zinssatzes“ auch die Investitionsgüternachfrage (ders. 1987: 171). Dem Staat fällt also die Aufgabe zu, in seiner Wirtschaftspolitik antizyklisch zu agieren, d.h. vor allem dann Investitionen anzuregen oder selbst zu tätigen, wenn die Investitionsbereitschaft auf privater Seite niedrig ist und eine Rezession droht. Eine solche, auf das Beschäftigungsproblem fixierte Wirtschaftspolitik, ist jedoch inflationsfördernd. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn die konsumptiven Staatsausgaben schneller wachsen als die Wirtschaft; einem Mehr an Kaufkraft kein angemessenes Mehr an Waren und Dienstleistungen gegenüber steht.
Die Wirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg war eine Boom wirtschaft. Nicht Arbeitslosigkeit, sondern vielmehr Arbeitskräftemangel prägten das Bild jener Zeit. Nicht Marktsättigung, sondern zunehmender Konsum und damit wachsende Produktion sorgten dafür, daß keynesianische Konzepte sich beinahe von selbst bestätigten. Verbunden mit der wirtschaftlichen Wachstumsphase war auch ein zunehmender Lebensstandard der Arbeiterschaft. Neben erheblichen Reallohnzuwächsen verbesserte sich auch die soziale Absicherung deutlich.
In der wirtschaftlichen Rezession der frühen 70er Jahre - verschärft durch den Erdölpreisschock von 1973 - veränderten sich nicht nur die Bedingungen der Kapitalakkumulation, sondern auch Möglichkeiten des Staates, auf wirtschaftliche Prozesse einwirken zu können. Stagnierende Produktion und ausufernde Staatsdefizite führten dazu, daß das Sozialprodukt langsamer zunahm als die Geldmenge. Bis in die zweite Hälfte der 60er Jahre war Inflation kein Problem der westlichen Industrienationen. Ab 1966 begannen jedoch die Inflationsraten allmählich zu steigen, um bereits in der ersten Hälfte der 70er Jahre auf Nachkriegsrekordwerte zu klettern (Galbraith 1988: 320).
So wie der Keynesianismus aus den Erfahrungen der Weltwirtschaftskrise (1929-1933) und dem damit verbundenen Ruf nach regulierenden Eingriffen des Staates in das Wirtschaftsgeschehen erklärt werden kann, kann der Neoliberalismus als direkte Antwort auf ein teilweises Versagen staatlicher Globalsteuerung - besonders hinsichtlich der Preisstabilität - verstanden werden (vgl. Franz 1985: 241). Eine nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik, die über staatliche Fiskalpolitik - d.h. durch zunehmende Staatsverschuldung - das Wirtschaftsgeschehen ankurbeln will, begünstigt inflationäre Prozesse und wird damit selbst zur Ursache von Konjunkturkrisen (Kromphardt 1987b: 193-198).
Das unter dem Einfluß von Milton Friedman (geb. 1912) entwickelte monetaristische Wirtschaftskonzept rückt deshalb von der nachfrageorientierten Wirtschaftspolitik keynesianischer Prägung ab und fordert eine Stärkung der Angebotsseite, d.h. eine Stärkung jener, die den Produktionsprozeß in Gang bringen: den Unternehmern.
Man vertraut wieder dem Say'schen Gesetz, wonach sich das Angebot eine entsprechende Nachfrage selber schafft (Kromphardt 1987b: 198). Es wird von einer solchen angebotsorientierten staatlichen Wirtschaftspolitik lediglich erwartet, daß sie die Handlungsspielräume der Unternehmen nicht durch staatliche Reglementierungen einschränkt. Vielmehr soll sie „staatlichen Ballast“ über Bord werfen; Unternehmen sollen wieder aktiv das Wirtschaftsgeschehen beeinflussen können (Franz 1985: 247). Entscheidend ist dabei, daß die Geldmenge in einer Volkswirtschaft nicht mehr das Resultat staatlicher Intervention sein darf, sondern sich an der langfristigen Zunahme des Sozialproduktes orientiert (Olsson/Piekenbrock 1993: 129). Das Ziel staatlicher Wirtschaftspolitik muß es deshalb sein, die Geldmenge zu begrenzen und sie nicht etwa durch „unproduktive Investitionen“ weiter zu vergrößern, da besonders sie die Geldmenge erhöhen, ohne jedoch zum Wachstum des Sozialproduktes beizutragen. Nach Auffassung neoliberaler Wirtschaftsexperten führen alle Versuche des Staates, sich und seine Bürger von Unsicherheit und Risiko zu schützen, letztlich nur dazu, „daß das ganze System in Gefahr gerät“ (Franz 1985: 247). So wendet sich der Monetarismus gegen die seit 1945 erfolgte Ausweitung des Sozial- und Wohlfahrtsstaats, dem eine massive »öffentliche Verschwendung« und damit ein Betrug am Steuerzahler vorgeworfen wird (Matis/Stiefel 1991: 172).
Es versteht sich von selbst, daß eine monetaristische Politik die Verwertungsinteressen des Kapitals begünstigt; die Verbesserung der Bedingungen auf der „Angebotsseite“ meint schließlich die Verbesserung der Produktionsbedingungen der Unternehmen. Mit der geforderten Schwächung wirtschaftsfremder Motivationen werden nichts weniger als die sozialen Errungenschaften der zivilen Gesellschaft seit Mitte des 19. Jahrhunderts aufs Spiel gesetzt. Im gleichen Zuge sind z.B. auch ökologisch motivierte staatliche Interventionen in Frage gestellt; mehr Markt und weniger Staat bedeutet ja auch mehr Marktpreise anstelle staatlich beeinflußter Preise z.B. für Bildung, Gesundheit, Wohnen, Arbeit, Umwelt etc. So laufen die angebotsökonomischen Ansätze darauf hinaus,
„ [...] die Leistungsstarken noch stärker zu belohnen und den Leistungsschwachen soziale Hilfen zu entziehen, um sie zur Leistung zu zwingen. Die damit verbundene Umverteilung von den ökonomisch Erfolglosen zu den ökonomisch Erfolgreichen (in Schlagworten: Von Arm zu Reich) wird von Angebotsökonomen häufig damit begründet, auf Dauer würden die höheren Leistungen der Erfolgreichen auch den Erfolglosen zugute kommen („trickle down“-Effekt), da auf Dauer von einer gestiegenen volkswirtschaftlichen Gesamtleistung alle Bewohner profitieren“ (Kromphardt 1987b: 207).
3.3.2 Supply-Side-Economics in den USA (Reaganomics): Die Praxis monetaristischer Wirtschaftspolitik
Die späten 60er und frühen siebziger Jahre brachten wichtige Einschnitte in den weltwirtschaftlichen Entwicklungen nach dem Zweiten Weltkrieg mit sich. Im vorausgehenden Kapitel wurde bereits erwähnt, daß in dieser Zeit das in Bretton Woods geschaffene Währungssystem zusammenbrach und durch ein System freier Wechselkurse abgelöst wurde. Es wurde in diesem Zusammenhang ebenfalls darauf hingewiesen, daß sich darin auch die abnehmende Dominanz der USA bzw. der Bedeutungszuwachs westeuropäischer Staaten und Japans im Welthandel widerspiegelte. Es soll nun auf einen weiteren Wandel hingewiesen werden, der sich in dieser Zeit in vielen westlichen Industrienationen abzeichnete und der mit den bereits beschriebenen Prozessen in enger Beziehung steht. Es ist dies der Wechsel von einer an Keynes orientierten Wirtschaftspolitik hin zu einer Politik, die in starkem Maße von der Lehre Milton Friedmans oder - allgemeiner ausgedrückt - von neoliberalen Wirtschaftskonzeptionen beeinflußt ist, wie sie in einigen wenigen Grundzügen im vorangegangenen Kapitel bereits skizziert wurde.
Die Schilderung der wirtschaftspolitischen Reformen in den USA der 80er Jahre ist notwendig, da die Art der Reformmaßnahmen in Form von Strukturanpassungsprogrammen (SAP) wiederzufinden sind, die von IWF und Weltbank in vielen sog. Entwicklungsländern „angeregt“ wurden. Diese Programme und Maßnahmen basieren auf demselben wirtschaftstheoretischen Hintergrund wie die angebotsorientierte Wirtschaftspolitik, die seit Beginn der 80er Jahre schon in den westlichen Industrienationen strukturelle Massenarbeitslosigkeit und eine „Neue Armut“ hat entstehen lassen.
Mit dem erfolgten Wiederaufbau Europas und Japans geht eine beispiellose weltwirtschaftliche Wachstumsphase zu Ende. Nicht nur die Interessen des Kapitals konnten sich ungestört entfalten, sondern es wurde auch das Lebens- bzw. - genauer - das Konsum niveau der Arbeiterschaft in den westlichen Industrienationen erheblich gesteigert. Mit der wirtschaftlichen Rezession ab den 70er Jahren geriet das keynesianische Wirtschaftskonzept immer mehr in Widerspruch zu den Bedingungen der Kapitalakkumulation; die zunehmende Verschuldung der öffentlichen Haushalte ließ eine offensive Konjunktursteuerung durch den Staat nicht mehr zu.
So hatte die Staatsverschuldung im Falle der USA einen Umfang erreicht, wie sie nicht nur von der Regierung nicht weiter hingenommen werden konnte, sondern gleichzeitig die gesamte Weltwirtschaft in eine tiefe Krise stürzten. Das dramatische Ansteigen des Zinsniveaus brachte vor allem viele der sog. Entwicklungsländer an den Rand des wirtschaftlichen Zusammenbruchs. Ab Mitte der 70er Jahre begann sich in den USA daher eine in zunehmendem Maße von monetaristischer Sichtweise geprägte Wirtschaftspolitik die Bahn zu brechen. Nachdem Ronald Reagan 1981 das Präsidentenamt angetreten hatte, gewannen diese angebotsorientierten Konzepte und Strategien endgültig die Oberhand. Neue Rahmenbedingungen sollten durch die folgenden Maßnahmen geschaffen werden.
1. Durch eine restriktive Geldpolitik sollte die Inflation - deren Rate bis 1980 auf 14 Prozent geklettert war (de Thier 1988: 15) - in den Griff bekommen werden.
2. Die Ausgaben im öffentliche Bereich sollten zurückgedrängt und den Privatinitiativen größerer Freiraum eingeräumt werden. Dies sollte bes. erreicht werden durch:
a. den Abbau von Steuern und Abgaben und die dadurch verbesserte private Nachfrage. Diese Steuerreform1 begünstigte de facto die Bezieher hoher Einkommen, die Besitzer großer Vermögenswerte sowie die Wirtschaftsunternehmen (de Thier 1988: 18,21; Moore 1982: 281f), „während für die wenig Verdienenden relativ wenig Vorteile heraussprangen, zumal gleichzeitig für Arbeitnehmer die Sozialabgabesätze leicht erhöht wurden“ (Kromphardt 1987a: 212). Durch Steuerreduzierungen und verbesserten Abschreibungsmöglichkeiten sollte der Anstieg der Realzinsen kompensiert werden, um die Renditen auf Investitionen ansteigen zu lassen.
b. den Abbau von Sozialleistungen. Davon waren vor allem die Menschen betroffen, die z.B. Sozialhilfe empfingen, arbeitslos oder krank waren sowie auch Kinder. Die Sozialausgaben wurden auf eine minimale Grundversorgung reduziert (de Thier 1988: 22).
c. die Verringerung der Staatsquote - über den Abbau staatlicher Sozialleistungen hinaus - durch die Privatisierung wenig profitabler öffentlicher Unternehmen. Ausgenommen von diesen Maßnahmen wurde lediglich der Rüstungsbereich, der sogar noch ausgeweitet wurde (de Thier 1988: 17; vgl. Moore/Kroszner 1988).
d. die Verringerung der Staatsverschuldung, basierend auf der Senkung der Staatsusgaben und der gleichzeitigen Erhöhung der Steuereinnahmen. Ebenso wurden auch etliche Aufgaben an die Einzelstaaten und Gemeinden „delegiert“, was wesentlich zur nationalen Haushaltsentlastung beitragen sollte (New Federalism) (Guterman 1984; Keynes 1984; de Thier 1988: 17) 1.
3. Die Spielräume der Unternehmer sollten ausgeweitet werden. Über eine Schwächung der Gewerkschaften wurde eine „Mäßigung“ in der Lohnpolitik zu erreichen versucht, um die Preisstabilität zu erhöhen. Investitionshemmnisse, vor allem bezüglich der Umweltverträglichkeit, des Arbeitsschutzes, der Arbeitssicherung usw. sollten abgebaut und die staatliche Kompetenz in diesen Fragen zurückgedrängt werden (Kromphardt 1987a: 193ff).
Die zurückgehende Wirtschaftsakivität des Staates (Punkt 1.) sollte durch die Punkte 2. und 3. kompensiert werden und insgesamt zu einer steigenden Investitionsbereitschaft und der Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze führen.2
Die Erwartungen, die in diese angebotsorientierte Wirtschaftspolitik gesetzt wurden, konnten sich jedoch zunächst nicht erfüllen. Die restriktive Geldmengenpolitik führte schon sehr bald zu extrem hohen Zinssätzen und ließ die Investitionsbereitschaft weiter sinken (Galbraith 1988: 329).3 Einzig die Inflation konnte unter Kontrolle gebracht werden, während das Sozialprodukt für das Jahr 1982 um 2,1 Prozent zurückging und die Zahl der Beschäftigten um 1,6 Prozent sank (Moore 1982: 307). Eine Verringerung des Staatsdefizits konnte jedoch nicht erreicht werden, weil sich neben den Rüstungsausgaben auch die Sozialausgaben - trotz schärfster Kürzungen - erhöhten, da durch die verschlechterte wirtschaftliche Entwicklung die Zahl der Leistungsempfänger emporschnellte (Kromphardt 1987a: 213). Daneben belasteten die Agrarsubventionen die öffentlichen Haushalte stärker als erwartet (de Thier 1988: 22).
Nach 1982 trat in einigen Bereichen der amerikanischen Wirtschaft eine gewisse Erholung ein; dies jedoch nur, weil wichtige Prinzipien der monetaristischen „Wirtschaftsideologie“ über Bord geworfen wurden, allen voran die staatliche Haushaltsdiziplin. Die Einschnitte in das Sozialsystem oder die Steuerreform zugunsten der Besserverdienden wurden nicht zurückgenommen. Man kann daher ohne Übertreibung feststellen, daß die wirtschaftliche Krise der USA in den 80er Jahre aus einer verfehlten monetaristischen Wirtschaftspolitik und die zwischenzeitliche wirtschaftliche Gesundung aus der selektiven Anwendung „nachfrageorientierter“ Konzepte erklärt werden kann (vgl. Franz 1985: 256, 260).4 In der zweiten Hälfte der 80er Jahre entwickelte sich die wirtschaftliche Situation der USA zwar insgesamt etwas günstiger, doch nahezu durchweg aufgrund der Rückgriffe auf nachfrageorientierte Maßnahmen. Das wird u.a. schon daran ersichtlich, daß das Ziel der Regierung Reagan, das Haushaltsdefizit bis zum Jahr 1984 vollkommen abzubauen, nicht verwirklicht werden konnte. Es stellte sich, im Gegenteil, zwischen 1981 und 1986 mehr als eine Verdreifachung des Defizits - von 64.300 Mio. auf 220.698 Mio. US-Dollar - ein (de Thier 1988: 22; Guterman 1984: 87). Das negative Wirtschaftswachstum konnte überwunden werden, und innerhalb von sieben Jahren wurden mehr als 17 Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen; es muß jedoch zu denken geben, daß das Pro-Kopf-Einkommen der Bürgerinnen und Bürger im Jahr 1986 auf den Stand von 1968 zurückgefallen war und daß Armut in den USA eine vollkommen neue Dimension angenommen hat.
„Daß jeder achte Amerikaner in Armut lebt, auf der anderen Seite aber 17 Millionen neue Arbeitsplätze entstanden sind, erscheint auf den ersten Blick widersprüchlich. Einen entscheidenden Beitrag hierzu hat jedoch das Stagnieren des gesetzlichen Mindestlohnes geleistet. Seit 1981 beträgt der Mindestlohn, der nicht einmal der Inflationsrate angepaßt wurde, 3,35 US-Dollar pro Stunde. Ein überproportionaler Teil der neuen Jobs bewegt sich in diesem unteren Bereich“ (de Thier 1988: 23).
Schließlich darf auch nicht vergessen werden, daß der „New Federalism“ dazu geführt hat, daß die dezentralen Körperschaften, die noch zu Beginn der 70er Jahre Haushaltsüberschüsse aufwiesen, inzwischen vielfach rote Zahlen schreiben. Es waren schlichtweg zu viele staatliche Aufgaben - vor allem im Sozialbereich - auf sie abgewälzt worden (de Thier 1988: 23; Keynes 1984: 13-17).
4 Die Integration sog. Entwicklungsländer in das globale Wirtschaftssystem
Bislang wurde der globale Kapitalismus weitgehend in bezug auf Veränderungen betrachtet, die in den Industrienationen stattgefunden haben. Probleme der Kapitalverwertung dort haben dazu geführt, daß das Verhältnis zwischen Staat und Wirtschaft neu definiert wird mit der Folge einer „Dualisierung und Segmentierung der Gesellschaft“ (Hirsch 1985).
„Innerhalb des Kerns der weltmarktverflochtenen "modernen" Industrie-, Finanz- und Dienstleistungssektoren erweitert sich die Trennung zwischen "stabilisierten" Lohnabhängigen mit qualifizierten, hochbezahlten und relativ sicheren Beschäftigungsverhältnissen und den "destabilisierten" Arbeitern in den einfachen, flukturierenden und unsicheren Jobs, in Zeit- und Leiharbeitsverhältnissen ohne "Betriebsbindung", bis hin zu den in die formelle Selbsttätigkeit abgedrängten Quasi-Lohnabhängigen. Gleichzeitig ist mit einem weiteren enormen Ansteigen der Arbeitslosigkeit zu rechnen. Auf ihrer Grundlage bildet sich ein marginalisierter Produktions- und Dienstleistungssektor heraus“ (Hirsch 1985: 176)
Da die Inlandsnachfrage in den Industrienationen kein kontinuierliches Wachstum mehr gewährleisten kann und die Produktionskosten dort erheblich gestiegen sind, richtet sich das Unternehmensinteresse immer mehr auf die Erschließung neuer oder bislang weniger beachteter Märkte und Produktionsstandorte. „Nachholende Entwicklung“ - verstanden als Durchkapitalisierung sog. Entwicklungsökonomien und Einführung von Massenkonsum in Entwicklungsgesellschaften - wird dadurch zum ureigensten Interesse des Kapitalismus. Aus bereits erläuterten Gründen wird eine solche Durchdringungsstrategie vor allem in jenen Ländern ansetzen, die bevölkerungsreich sind und über kaufkräftige Mittelschichten verfügen (Marktbereich), die geeignet sind, „moderne“ Technologien sinnvoll einzusetzen und dennoch ein Lohnniveau deutlich unter jenem der Industrienationen aufweisen (Produktionsbereich).
Zu diesen Zwecken müssen die Wirtschaftspolitiken und rechtlichen Bestimmungen, die Produktion, Handel, Finanztransaktionen etc. betreffen, global angeglichen werden. Da die Industrienationen - allen voran die USA - maßgeblich die Normen einer solchen Angleichung vorgeben, führt dies innerhalb der sog. Entwicklungsökonomien zu einer Zurückdrängung staatlicher Einflußmöglichkeiten im Wirtschaftsgeschehen und damit notwendigerweise auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen. Wie in den Industrienationen findet auch dort eine Neudefinition der Beziehungen zwischen Staat und Wirtschaft statt und bewirkt damit eine Umstrukturierung der Machtverhältnisse im Bereich der Politischen Ökonomie. Dieser Aspekt soll jedoch zunächst zurückgestellt und erst bei der Analyse des Strukturanpassungsprogrammes in Indien wieder aufgenommen werden.
An dieser Stelle soll zunächst dargestellt werden, wo und wie eine Strategie zur strukturellen Neuordnung sog. Entwicklungsökonomien ansetzt. Im Mittelpunkt stehen dabei die Strukturanpassungsmaßnahmen von IWF und Weltbank und die Liberalisierung des Welthandels durch die Ende 1993 abgeschlossenen achte Verhandlungsrunde des GATT und der Schaffung der Multinationalen Handelsorganisation (MTO).
4.1 Die Verschuldung der sog. Entwicklungsländer
Den meisten Strukturanpassungsprogrammen geht eine hohe Verschuldung des „anzupassenden“ Landes voraus; ein Land sieht sich dann dazu veranlaßt, beim IWF und Weltbank um „Anpassungskredite“ nachzufragen. Nicht selten haben Struktur und Umfang der Verschuldung eine Größe erreicht, bei der dem betreffenden Land - unter Inkaufnahme der damit verbundenen Bedingungen - eigentlich nur noch dieser Schritt zu tun bleibt. Spätestens wenn die Devisenzuflüsse - aus Exporteinnahmen, Überweisungen und Krediten aus dem Ausland - zusammen mit den eigenen Devisenreserven nicht mehr zur vereinbarten Leistung des Schuldendienstes ausreichen, tritt eine Überschuldung ssituation1 ein. Nicht nur eine defizitäre Handelsbilanz läßt eine solche Situation entstehen, auch der Abzug von Devisen aus einem Land über in- und ausländische Anleger (Kapitalflucht) können zum gleichen Ergebnis führen. In der Realität tritt beides zumeist parallell auf; die gleichen Gründe, weshalb sich Geschäftsbanken und private Anleger scheuen, Geld in einem bestimmten Land anzulegen, führen auch zum Abfluß von angelegtem Geld aus ebendiesem Land. Ein einmal hochverschuldetes Land mit „ungünstigem Investitionsklima“ kann kaum damit rechnen, daß Privat banken und -anleger weiterhin Kredite geben oder Investitionen tätigen (Erbe 1985: 271ff).
Die Ursachen, die zu der Überschuldung eines Landes führen, können sowohl interner als auch externer Art sein. Durch die Ölpreiserhöhungen in den 70er Jahren stieg der Kapitalbedarf vieler sog. Entwicklungsländer einzig zur Begleichung ihrer Importkosten für Öl erheblich an. Zugute kam ihnen dabei, daß sie auf den internationalen Kreditmärkten Kredite zu günstigen Konditionen erhalten konnten (Perumal 1994: 127; Schröder 1988: 8). Selbst wenn diese Kredite - außer zur Begleichung der gestiegenen Ölkosten und anderer konsumptiver Ausgaben - auch in industrielle Produktionsanlagen investiert wurden, führte der zunehmende Protektionismus der Industrienationen dazu, daß die realisierbaren Exporteinnahmen sanken. Der durch die Hochzinspolitik der USA ab 1979 ständig steigende Schuldendienst war so in vielen Fällen nicht mehr zu erbringen. Als wichtige „interne“ Ursache der Schuldenkrise werden häufig wenig produktive Investitionen in den betreffenden Ländern angeführt. Inwieweit diese „interne“ Ursache auch „externe“ Aspekte aufweist, kann nur in der Einzelfallanalyse ermittelt werden. Wenn man jedoch einmal von den (hinreichend beklagten) teuren „Prestigeobjekten“ in den sog. Entwicklungsländern absieht, sollten zumindest zwei Argumente angeführt werden, die den rein endogenen Charakter dieser Fehlinvestitionen relativieren:
1. es kann zweifellos davon ausgegangen werden, daß Waffenkäufe durch die Regierungen vieler sog. Entwicklungsländer einen beträchtlichen Teil der zur Verfügung stehenden Devisen verschlungen haben. Die Waffenexporteure saßen bzw. sitzen jedoch zumeist in den westlichen Industrienationen bzw. der früheren Sowjetunion. Weder die dortigen Regierungen noch die Rüstungsunternehmen scheinen ein Interesse daran gehabt zu haben, genau diese „fehlinvestierten“ Devisen produktiver als in Waffen angelegt zu sehen.
2. selbst wenn man unterstellt, daß viele der Kredite unwirtschaftlich angelegt wurden, bleibt die Frage bestehen, weshalb die betreffenden Kreditinstitute dies nicht bemerkten. Schließlich werden Kredite vor ihrer Vergabe - den Gepflogenheiten des Gewerbes entsprechend - sog. Rentabilitätsprüfungen unterworfen (Schröder 1988: 9).
4.1.1 Die Konditionalität von Strukturanpassungskrediten
Kredite, die von IWF und Weltbank vergeben werden, sind in aller Regel mit wirtschaftspolitischen Auflagen verbunden. Diese Konditionalität besteht nicht nur in Bezug auf Strukturanpassungskredite, sondern setzt bereits vorher ein.1 Lediglich die Reserve-tranche, die von dem betreffenden Land zuvor in Devisen eingezahlt wurde, wird ohne Auflagen ausgezahlt. Mit der Inanspruchnahme der ersten Kredittranche sind jedoch bereits wirtschaftspolitische Auflagen „von gemäßigter Natur“ verbunden (Sandner/Sommer 1992: 46). Bei den drei oberen Kredittranchen sind diese Auflagen schon deutlich umfangreicher und härter. Wie die oberen Kredittranchen gilt die Erweiterte Fondsfazilität als „bedingt verfügbare Liquidität“ und ist ebenfalls mit wirtschaftspolitischen Auflagen verbunden (Deutsche Bundesbank 1992: 25; Jayaraj 1994: 178-81; Mukherjee 1994: 78; Singh 1994: 53).
Die in Abstimmung zwischen IWF und Weltbank „angeratenen“ Strukturanpassungsprogramme1 umfassen in der Regel zwei Hauptkomponenten:
1. Maßnahmen, die das betreffende Land enger in die Weltwirtschaft einbinden und damit helfen sollen, das Handelsbilanzdefizit abzubauen.
2. Maßnahmen, die die staatlichen Ausgaben reduzieren und damit die interne Staatsverschuldung vermindern sollen.
Die i.d.R. „vorgeschlagenen“ konkreten Schritte sind:
- die Abwertung der inländischen Währung zur Verbesserung der internationalen Konkurrenzfähigkeit.
- die Abschaffung von Exportbeschränkungen oder -verboten, um die durch die Abwertung verbesserte Exportfähigkeit nicht durch staatliche Restriktionen zu erschweren.
- die Reduzierung bzw. Abschaffung von Importbeschränkungen und Zöllen, um die Versorgung der einheimischen Industrie mit technologisch hochwertigen Investitionsgütern zu verbessern.
- die Abschaffung von Bestimmungen, die den Zugang ausländischer Unternehmen und ihre Tätigkeit im „Gastland“ erschweren.
- Subventionsabbau, vor allem in jenen Bereichen, die als „unproduktiv“ gelten (Bildung, Gesundheit, Ernährung etc.).
- die Schließung oder Sanierung unrentabler und die Privatisierung der rentablen oder sanierten Staatsbetriebe.
- arbeitspolitische Maßnahmen zur Begrenzung von Lohnsteigerungen.
- die Einschränkung des Geldmengewachstums und Veränderung der Zinspolitik.
- die Reformierung des Steuersystems (vgl. Bajpai1990).
Wie der IWF betont auch die Weltbank, daß bei den Bedingungen zur Vergabe solcher Kredite die jeweiligen nationalen Rahmenbedingungen berücksichtigt werden. Betrachtet man jedoch die regelmäßige Wiederkehr bestimmter Reformforderungen, muß dies in Zweifel gezogen werden.
4.1.2 Erfahrungen mit Strukturanpassungsprogrammen in anderen Ländern als Indien
Um eine Bewertung des Strukturanpassungsprogrammes in Indien vornehmen zu können, ist es aufschlußreich, auf die Erfahrungen anderer Länder mit solchen Programmen zu blicken. Untersuchungen über die Auswirkungen von Strukturanpassungsmaßnahmen beschränken sich sehr häufig auf den makroökonomischen Bereich. Angaben zu sozialen Auswirkungen nehmen allenfalls einen sehr geringen Raum ein.
Aber selbst wenn man nur die makroökonomischen Ergebnisse der Strukturanpassungsprogramme betrachtet, sieht die Bilanz eher düster aus. Bei vielen Ländern ist am ehesten noch ein günstiges Ergebnis auf das Wirtschaftswachstum festzustellen. Es muß dabei allerdings offen bleiben, ob dies ohne die Strukturanpassungsprogramme nicht auch der Fall gewesen wäre; für eine Reihe der betroffenen Länder1 war nicht fehlendes Wirtschaftswachstum das eigentliche Problem, sondern ein wachsendes Zahlungsbilanzdefizit. Viele Länder erzielten in der zweiten Hälfte der 70er Jahre Wachstumsraten, die z.T. deutlich über denen der Industrienationen lagen; allerdings war dieses Wirtschaftswachstum in nicht wenigen Fällen durch Auslandskredite finanziert worden, was durch Hochzinspolitik, Protektionismus und den Verfall der Rohstoffpreise in die Verschuldungskrise führte. Strukturanpassungsprogramme, die nicht gleichzeitig eine Anpassung der Industrieländerökonomien vorsehen, werden deshalb in ihren außenwirtschaftlichen Zielen scheitern müssen (Lingnau 1993: 450; Massarrat 1993: 30; Petersmann 1988: 61). Vor allem die mit Strukturanpassungsprogrammen häufig einhergehende Abwertung der inländischen Währung kann das Verschuldungsproblem verschärfen, da sie nicht immer zu einer Verbesserung der Handelsbilanz des jeweiligen Landes führt. Die Währungsabwertung führt nicht selten dazu, daß die Weltmarktpreise für manche Produkte der sog. Entwicklungsländer weiter sinken, da viele Nationen mit vergleichbaren Produkten auf den Weltmarkt drängen. Da gleichzeitig aber die Preise für Importe ansteigen, haben es diese Länder noch schwerer, ihre Exportstruktur zu diversifizieren. Die Folge von diesem Mechanismus ist nicht selten ein Abwertungskreislauf, der dazu führt, daß das Exportvolumen zwar deutlich ausgeweitet werden kann, die Exporterlöse aber denoch stagnieren oder sogar zurückgehen.
Die binnenwirtschaftlichen Anpassungsziele wie Inflationsbekämpfung, Deregulierung der Wirtschaft, Subventionsstreichungen etc. sind zwar in einigen Fällen erreicht worden, dabei mußte jedoch vielfach eine Erosion sozialer Indikatoren hingenommen werden. Verbunden mit den Anpassungsprogrammen sind deshalb vielfach Einkommensumverteilungen, der Abbau staatlicher Sozialleistungen und in Folge die Zunahme von Armut und nicht selten auch die Destablisierung der politischen Ordnung. So berichtet Siebold (1989) von diesbezüglichen Folgen des Strukturanpassungsprogramms in Ghana:
„Um das Programm durchzusetzen, bedarf es eines repressiven Regimes. Anders gesagt, eine Demokratie nach westlichem Muster oder auch eine sozialistisch-basisdemokratisch verfaßte Gesellschaft, ist mit dem Programm nicht vereinbar [...] Damit allerdings [...] verlor das Regime seine ursprünglichen Stützen: Arbeiter, untere Lohnbezieher und Marginalisierte. Das Regime sah sich sogar genötigt, gegen diese Schichten und ihre Interessenorganisationen, vor allem gegen den Gewerkschaftsdachverband TUC repressiv vorzugehen.“ (Siebold 1989: 29f).
Tab. 1: Erfahrungen mit Strukturanpassungsprogrammen in ausgewählten Ländern
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
„Nach Berechnungen des IFO-Instituts haben die realen (d.h. um Inflations- und Wechselkurseinflüsse bereinigten) Rohstoffpreise ihre Talfahrt fortgesetzt und Anfang 1992 den tiefsten Stand der Nachkriegszeit erreicht“ (Hetmeier 1993: 40).
Erfolgreich waren die Programme häufig bei der Durchsetzung „marktgerechter“ Preise und bei der Reduzierung öffentlicher Ausgaben durch Stillegung wenig profitabler Staatsbetriebe bzw. Entlassung „überzähliger“ Arbeitskräfte (Chahoud 1988: 51). Für ausländische Unternehmen verbesserten sich oftmals die Bedingungen, häufig allerdings auf Kosten der heimischen Produzenten. So mußte z.B. die Elfenbeinküste im Jahr 1987 die Zahlungen an seine Gläubiger einstellen.
„Die auferlegte Liberalisierung der Importe hatte zahlreiche einheimische Unternehmen ruiniert, gegenüber den niedrigen Preisen der einströmenden Importwaren konnten sie nicht länger konkurrieren“ (Chahoud 1988: 53).
Durch den Verfall der Rohstoffpreise seit Beginn der 80er Jahre1 gingen die Exporteinnahmen vieler Länder zurück. Die von der Anpassungspolitik geforderte Exportsteigerung führte zu einem weiteren Sinken der Rohstoffpreise. Der Preisverfall für Rohstoffe und Strukturanpassungsprogramme in Ländern mit ähnlichen Exportstrukturen hängen häufig ursächlich zusammen und führen dazu, daß durch die geringen Rohstoffpreise ein Süd-Nord-Einkommenstransfer stattfindet (Hetmeier 1993; Massarrat 1993; Rolf 1993 für Uganda; Willenborg 1993 für Kenia).
Gerade in den nicht realisierbaren Exporterlösen kommt ein makroökonomisches Dilemma der Strukturanpassungsprogramme deutlich zum Vorschein. Um das vorhandene Zahlungsbilanzdefizit möglichst schnell auszugleichen und damit die Auslandsschulden abtragen zu können, werden auf Anraten von IWF und Weltbank die traditionellen Exportgüter gefördert. Durch die Abwertung der Währung gelingt es zwar häufig, das Exportvolumen zu steigern, die Exporterlöse gehen trotzdem vielfach zurück. So haben die Weltmarktpreise z.B für Kakao inzwischen nicht zuletzt deshalb einen historischen Tiefstand erreicht, weil mehrere Erzeugerländer - in diesem Falle Ghana, Elfenbeinküste, Malaysia und Nigeria - ihre Exportanstrengungen verstärkt haben, und es dadurch zu einem Überangebot für Kakao auf dem Weltmarkt gekommen ist (Siebold 1989: 27-28).
4.1.3 Strukturanpassung und Armut in den sog. Entwicklungsländern
Bei den ersten Strukturanpassungsprogrammen der Weltbank spielten soziale Faktoren überhaupt keine Rolle. Es ging lediglich um die Verbesserung makroökonomischer Indikatoren. Erst als Weltbank und IWF wegen ihren armutsverursachenden Auflagenpolitiken immer mehr in die Kritik der Öffentlichkeit gerieten, wurde den sozialen Auswirkungen der Programme größere Aufmerksamkeit geschenkt.
Inzwischen gesteht die Weltbank ein, daß Strukturanpassungsprogramme sozial differenzierend wirken,1 und es in vielen Ländern zu erheblichen innenpolitischen Problemen gekommen ist. Diese Erkenntnis hat jedoch bislang nicht zu einer Änderung der Auflagenpolitik geführt. Vielmehr versucht die Weltbank in Zusammenarbeit mit anderen UN-Organisationen seit Mitte der 80er Jahre, die Auswirkungen dieser Maßnahmen auf Armutsgruppen durch die Anregung und (finanzielle) Unterstützung kompensatorischer Sozialmaßnahmen in den betroffenen Ländern abzumildern (Bohe et al. 1990; Fues/Unmüßig 1988; Siebold 1990; Siegler/Theis 1993; Zuckermann 1991). In vielen der von der Weltbank im Jahr 1986 untersuchten Ländern hat die Arbeitslosigkeit deutlich zugenommen und zum Sinken des Lebensstandards geführt (vgl. Siegler/Theis 1993: 75ff). Daß man gerade diese Effekte erzielen wollte, wird in der Studie keineswegs verschwiegen:
„Allerdings[...] sollte nicht vergessen werden, daß Einkommensverluste sowie ein gewisses Maß an Arbeitslosigkeit durchaus beabsichtigte Ziele der Anpassungsprogramme waren“ (Weltbank, zit. in: Chahoud 1988: 52).
In der Türkei gingen die Reallöhne drastisch zurück, ohne daß dadurch die Anzahl der Beschäftigten nennenswert erhöht werden konnte. Gleichzeitig kam es zu erheblichen Vermögensumschichtungen (Wolf 1989: 39f).
„By 1985 real wages in manufacturing had dropped to their 1965 level. Real wages and salaries as a share of nonagricultural factor income were estimated to have fallen from 52 percent in 1977 to 22 percent in 1986. [...] Agricultural labor experienced a similar deteriorating trend in income. According to recent estimates, the agricultural terms of trade [...] deteriorated by 53 percent during 1976-86. Such a dramatic relative price change is unique in the postwar history of Turkey“ (Khan 1991: 455f).
Aus Chile und Mexiko wird von ähnlichen Auswirkungen berichtet. Trotz der wirtschaftlichen Erholung in Chile in den späten 80er Jahren, haben besonders die unteren Lohngruppen starke Einkommensverluste hinnehmen müssen. Während sich die Profitrate zwischen 1980 und 1987 deutlich verbesserte, gingen zwischen 1982 und 1987 die durchschnittlichen Reallöhne um 13 Prozent und die Mindestlöhne sogar um 44 Prozent zurück (Mora 1991: 485). In Mexiko sind die Reallöhne zwischen 1982 und 1988 um 40 Prozent gefallen, und die Arbeitslosigkeit hat trotz niedrigerer Löhne zugenommen (Nash 1991). Selbst wenn man berücksichtigt, daß Bezieher fester Einkommen und Staatsbedienstete in der Regel nicht zu den ärmsten gesellschaftlichen Gruppen gehören, verbirgt sich in diesen Zahlen ein gehöriges soziales und politisches Konfliktpotential.
Erfahrungen mit Strukturanpassungsmaßnahmen aus Peru zeigen, daß sich auch im Verlauf der 90er Jahre Armut und Verelendung in den sog. Entwicklungsländern durch die Anpassungspolitik (wahrscheinlich) eher vergrößern werden. Dort wurden 1990, nach dem Wahlsieg von Präsident Fujimori, Wirtschaftsreformen nach Strukturanpassungsauflagen von IWF und Weltbank eingeleitet. Bislang konnten die gesteckten Ziele einer Stabilisierung der Makroindikatoren der Volkswirtschaft nicht erreicht werden. Dafür aber sind - abgesehen von einer verschwindend kleinen Elite - nahezu alle anderen gesellschaftlichen Gruppen negativ von den Maßnahmen betroffen. Das Reformprogramm setzte in ähnlichen Bereichen1 an, wie ein Jahr später in Indien (vgl. Kapitel „Strukturanpassung in Indien“). Die negativen Auswirkungen dieser Reformen sind nach Ansicht des kanadischen Ökonomen Chossudovsky einzigartig in der „Geschichte“ der Strukturanpassungspolitik von IWF und Weltbank. Anstatt die peruanische Inflation einzudämmen, stiegen die Preise für viele Produkte des täglichen Bedarfs ins Grenzenlose. Von einem auf den anderen Tag verteuerten sich im August 1990 z.B. Treibstoffe um fast 3000 Prozent und der Preis für Brot um 1150 Prozent. In einem einzigen Monat betrug die Inflationsrate für Nahrungsmittel 446 Prozent (Chossudovsky 1992: 341). Da gleichzeitig die Indizierung der Löhne aufgegeben wurde, mußten die meisten Lohnempfängerinnen und Lohnempfänger einen Rückgang ihrer Reallöhne um weit mehr als 60 Prozent hinnehmen.2 Eine 1991 ausgebrochene Choleraepidemie mit 200.000 Krankheitsfällen und mehr als 2000 Toten sowie ein epidemieartiges Ansteigen von Tuberkuloseerkrankungen sollen direkte Auswirkungen der Wirtschaftsreformen gewesen sein (vgl. Herf/Recknagel 1991: 62f,; Knauth 1991). Die Wirtschaft Perus schlitterte in eine tiefe Rezession, da durch den Abbau der Zollbarrieren ausländische Produkte ungehindert auf den Markt drängen konnten; das Zahlungsbilanzproblem Perus verschärfte sich weiter.
So wie monetaristische Wirtschaftspolitiken in den Industrienationen die Verwertungsinteressen des Kapitals auf Kosten einer zunehmenden Polarisierung der Gesellschaften gestärkt haben, kann dies auch in den Entwicklungsländern festgestellt werden. Dort sind jedoch die Auswirkungen erheblich schwerwiegender, da die sozialen Errungenschaften westlicher Industrienationen erst rudimentär vorhanden sind und durch den auferlegten Sparzwang im Bereich der öffentlichen Körperschaften auch nicht weiter ausgebaut werden können.
Die wirtschaftliche Elite der betreffenden Länder, d.h. das moderne Unternehmertum, konnte zwar vielfach die Bedingungen der Kapitalakkumulation durch die Senkung der Lohnkosten und ggf. den Wegfall staatlicher Konkurrenz verbessern, sieht sich gleichzeitig aber auch immer mehr ausländischer Konkurrenz gegenüber, sei es, weil Importrestriktionen abgebaut oder der Marktzugang für ausländische Investoren erleichtert wurde. Für diese haben sich die Bedingungen (theoretisch) verbessert; vielfach wurden Restriktionen hinsichtlich des Kapitaltransfers abgebaut, Investitionsbeschränkungen aufgehoben, die Lohnkosten reduziert, das Wettbewerbsrecht geändert etc. Für die Produzenten von Agrarprodukten haben sich vielfach die Produktionsbedingungen verbessert, vor allem, wenn sie Exportprodukte anbauen. Ob damit eine Verbesserung der Einkommenslage und der Ernährungssituation im betreffenden Land einhergeht, kann letztlich nur in differenzierten Einzelfallanalysen beurteilt werden.
Durch den Ausbau der Exportproduktion fallen zunehmend Flächen weg, die bislang für lokale bzw. inländische Märkte (bes. zur Nahrungsmittelproduktion!) genutzt wurden. Je lukrativer die Exportproduktion ist, desto rapider verläuft dieser Wandel der Landnutzungs- und Anbaumuster. Somit werden (theoretisch) auch die Anbaubedingungen für Produzenten des lokalen Marktes günstiger, da ihre Produkte knapper werden. Fehlende Kaufkraft drängt aber viele, vor allem landlose (Konsumenten)-Gruppen vom Markt, was hinsichtlich ihrer Ernährungssituation durch den parallel verlaufenden Abbau von Nahrungssubventionen zusätzlich bedeutsam wird. Insgesamt nimmt durch einkommenssenkenden Maßnahmen im formellen Sektor und einen allgemeinen Rückgang der Beschäftigtenzahlen die aggregierte Kaufkraft der Bevölkerung ab, und die bäuerlichen Familien können u.U. - trotz günstigerer Produzentenpreise - eher weniger als mehr erwirtschaften. Für Zambia z.B. stellt Rauch fest:
„Die IWF-Strukturanpassungspolitik führte in Zambia zwar zu einem Abbau des ,urban bias'. Angesichts der eher auf Beschränkung als auf Förderung von Massenkaufkraft außerhalb der Landwirtschaft ausgerichteten Strategie ist der Markt für Agrarprodukte jedoch zu begrenzt, als daß die Masse der Kleinbauern die verbesserten Einkommenschancen nutzen könnte. Da der Zugang zum Markt sozial und regional selektiv ist, wird die Differenzierung der kleinbäuerlichen Bevölkerung verstärkt und das Problem der ländlichen Armut eher verschärft“ (Rauch 1990: 25).
Weiterhin muß berücksichtigt werden, daß die Liberalisierung des Außenhandels i.d.R. zu einem Abbau von Importkontrollen bzw. -verboten im agrarischen Bereich führt, und die Märkte vieler Länder mit importierten Nahrungsmitteln überschwemmt werden. So hat z.B. Präsidentin Aquino auf den Philippinen gleich nach ihrer Amtsübernahme im Jahr 1986 die Liste der Produkte mit Importbeschränkungen erheblich reduziert, darunter auch viele Agrarprodukte.
„Seit 1987 hat die Regierung ihre Importe von Reis und Mais gesteigert, zum Schaden der lokalen Produzenten. In einer Situation der Unterversorgung bleiben die Erzeugerpreise für Palay und Mais wegen des fortgesetzt hohen Imports dieser Waren auf niedrigem Niveau. [...] Es ist deshalb kein Zufall, daß die ReisProduktion zu einem unrentablen Geschäft geworden ist. Wachsende Kosten und viel zu niedrige Preise lassen für die lokalen Erzeuger keine komparativen Kostenvorteile gegenüber anderen asiatischen Erzeugern und den übermächtigen nordamerikanischen Exporteuren zu“ (Lara 1991: 125).
Strukturanpassungsprogramme von IWF und Weltbank sollen helfen, die Volkswirtschaften der betroffenen Länder (wieder) auf Wachstumskurs zu bringen. Es wird dabei (offensichtlich) angenommen, daß dies mittels der Stärkung privater Initiative bei gleichzeitiger intensiver Weltmarkteinbindung auch erreicht werden kann. Der entscheidende Ansatzpunkt für Reformen wird demnach in den betroffenen Ländern selbst gesehen. Es wird dabei schlichtweg verkannt, daß die Entwicklungen in diesen Ländern über die zunehmende Anbindung an das globale Wirtschaftssystem von den dort herrschenden Strukturen und Prozessen beeinträchtigt werden. Weltbank und IWF vergeben Kredite und sorgen dafür, daß auch andere Banken das betreffende Land (wieder) als kreditwürdig erachten. Weitere Kredite folgen. Die Rückzahlungen dieser Kredite hängt letztlich davon ab, wie weit das betroffene Land seine Exporte gegenüber den Importen ausweiten kann, um genügend Devisen zum Schuldendienst zu erwerben. Die Prioritäten sind mithin gesetzt.
4.2 Das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen
Das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen (General Agreement on Tariffs and Trade, GATT) trat am 1. Januar 1948 in Kraft. Ziel von GATT ist die schrittweise Liberalisierung des Welthandels durch den Abbau von Handelsschranken zwischen den Nationen. Bislang wurden im Rahmen des GATT acht Verhandlungsrunden abgeschlossen, die jüngste von ihnen - die sog. „Uruguay-Runde“ - nach mehr als sieben Jahren Verhandlungsdauer im Dezember 1993.
Der wichtigste Grundsatz, denen sich die Vertragsparteien des GATT verpflichten, sind: Handel ohne Diskriminierung. Dieser Grundsatz ist in der sog. Meistbegünstigungsklausel niedergelegt, die jegliche Diskriminierung im internationalen Handel untersagt (GATT Art.I 1986: 371). Nach diesem Grundsatz hat keine Vertragspartei das Recht, einer anderen besondere Handelsvergünstigungen gegenüber anderen Vertragsparteien einzuräumen.
Um eine Tranzparenz der Marktzugangsbedingungen herzustellen, legt das GATT fest, daß Schutzmaßnahmen auf Zölle zu beschränken sind und jegliche Art nicht-tarifärer Handelshemmnisse,1 „sei es in Form von Kontingenten, Einfuhr- und Ausfuhrbewilligungen oder in Form von anderen Maßnahmen weder erlassen noch beibehalten werden dürfen“ (GATT Art.XI 1986: 384). Die Vertragsparteien verpflichten sich dadurch also nicht zu einem vollständigen „Freihandel“, sondern erkennen zunächst lediglich den Anspruch der formalen Transparenz bei Handelsbeschränkungen an. Dieses „tariffs-only“-Prinzip vereinfacht den schrittweisen Abbau von Handelshemmnissen, da „nur noch“ über Zollsenkungen verhandelt werden muß. Zusätzlich wird durch das GATT eine Zollbindung festgelegt, in der vereinbart wird, daß ein durch Verhandlungen einmal erreichtes Zollniveau nicht wieder erhöht werden darf (Gröner/Schüller 1989).
Als weiteres wichtiges Prinzip kommt das der Reziprozität hinzu. Das Prinzip der Gegenseitigkeit besagt im wesentlichen, daß alle Staaten, denen von anderen Vertragsparteien des GATT Zugeständnisse eingeräumt werden, gleichwertige Gegenleistungen zu erbringen haben (Ipsen/Haltern 1991: 27). Dadurch soll gewährleistet werden, daß die im Rahmen von Zollverhandlungen gemachten Zugeständnisse in einem Bereich durch Vorteile in einem anderen Bereich ausgeglichen werden. Das Prinzip der Gegenseitigkeit leistet jedoch einem Bilateralismus Vorschub, da die Ausgleichsregelungen immer nur im konkreten Fall zwischen den betroffenen Nationen ausgehandelt werden. Dabei erweist es sich nicht selten als zutreffend, daß Nationen von „gewichtiger Verhandlungsmasse“ einseitig profitieren. Aus diesem Grund wurde das Prinzip der Gegenseitigkeit vor allem von seiten der sog. Entwicklungsländer in Frage gestellt. Diese sahen darin nichts anderes, als ein Druckmittel der - hinsichtlich des Handels - starken Nationen zu Lasten der schwachen Staaten (Senti 1986: 66).
4.2.1 Ausnahmeregelungen und Schutzmaßnahmen im GATT
Schon der im vorigen Abschnitt angeführte Hinweis auf eine Vielzahl heute bestehender, dem Geiste des GATT widersprechender nichttarifärer Handelshemmnisse, läßt im Vertragswerk des Abkommens eine ganze Anzahl von „Hintertüren“ vermuten. Oppermann/Baumann sehen in diesen sog. Ausnahmeregelungen eine Erhöhung der Flexibilität des GATT, um der unterschiedlichen Wirtschaftslage und -struktur der Vertragsparteien besser gerecht werden zu können (dies. 1991: 104). Dem muß allerdings entgegengehalten werden, daß diese „Flexibilität“ letztlich das Eingeständnis bedeutet, daß ein liberaler Welthandel nur dann erwünscht ist, wenn er nationale Wirtschaftsinteressen nicht bedroht. Ausnahmeregelungen1 sollen die Auswirkungen der Strukturanpassung auf die Beschäftigungslage oder das Wirtschaftswachstum abfedern.
4.2.1.1 Die Sonderstellung der sog. Entwicklungsländer im GATT
2 Das GATT verzichtet in seinen Vertragsbestimmungen auf eine nähere Definition der Bezeichnung „Entwicklungsland“ und versteht darunter jene Vertragsparteien, „deren Wirtschaft nur einen niedrigen Lebensstandard zuläßt und sich in den Anfangsstadien der Entwicklung befindet“ (GATT-ART. XVIII: 1; 1986: 394). Genauere Bestimmungen, wie sie z.B. IWF, Weltbank oder auch die OECD vornehmen, sind im GATT nicht zu finden. Verschiedene Regelungen des GATT bewirken, daß die sog. Entwicklungsländer innerhalb des Vertragswerkes in Bezug auf die Bereiche der Gegenseitigkeit und Meistbegünstigung eine Sonderstellung einnehmen (Ipsen/Haltern 1991: 30ff; Oppermann/ Baumann 1991: 104f; Senti 1986: 312ff). Bereits die Havanna-Charta aus dem Jahr 1947 gewährte den Entwicklungsländern einen solchen Sonderstatus; da diese Charta nie zur ursprünglich beabsichtigten - Gründung einer Internationalen Handelsorganisation (ITO) führte, wurden diese Bestimmungen auch nicht wirksam (Engels 1991: 61; Seitz 1989: 21; Seitz/Windfuhr 1989: 96; Senti 1990: 21). In den späteren Verhandlungsrunden wurden immer wieder Arbeitsgruppen eingerichtet, die Vorschläge zu einer Sonderbehandlung der Entwicklungsländer ausarbeiten sollten, doch bis Mitte der 60er Jahre konnten für diese Länder keine wesentlichen Verbesserungen erreicht werden (Senti 1990: 22). Zwar hatte sich mit der Zeit die Mitgliederstruktur des GATT zugunsten der Entwicklungsländer erheblich verbessert,3 doch nur allmählich konnten die Entwicklungsländer zumindest formell eine Sonderbehandlung im GATT erringen. 1966 wurde unter Druck des damaligen Generalsekrätärs der UNCTAD, Raul Prebisch, ein neuer Bereich in das GATT-Vertragswerk eingefügt, der ausschließlich den Status der Entwicklungsländer im GATT zum Inhalt hat (vgl. Engels 1991: 62; Ipsen/Haltern 1991: 30ff; Senti 1986: 312ff; Langhammer 1987: 120ff; Müller 1983: 50ff). In diesem neuen Teil des GATT-Abkommens wird vor allem das Prinzip der Gegenseitigkeit von Maßnahmen in Bezug auf die Entwicklungsländer aufgehoben (GATT-Art. XXXVI).
Mit Ausnahme dieses Verzichtes auf Reziprozität beinhaltet der eingefügte Teil zum Status der Entwicklungsländer keine substantiellen Verbesserungen, sondern „ähnlich einer Gesetzespräambel werden allgemeine Zielvorstellungen und Grundsätze festgehalten, ohne dabei [...] bis zu normativen Bestimmungen vorzustoßen“ (Senti 1986: 314). Schultz sieht in der Nicht-Reziprozität sogar eine Benachteiligung für die Entwicklungsländer. Vor allem bezüglich der Ergebnisse der Tokio-Runde (1973-1979) stellt er fest, daß - während die Zölle für gewerbliche Produkte weiter reduziert wurden - die Zollsenkungen für Produkte, an denen vor allem Entwicklungsländer ein Exportinteresse hatten, deutlich geringer ausfielen (ders. 1990: 14). Mit Abschluß der Tokio-Runde im Jahr 1979 wurden dann die sog. Entwicklungsländer einseitig vom Prinzip der Meistbegünstigung ausgenommen. Die sog. enabling clause legt fest:
„Ungeachtet des Artikels I des GATT können die Vertragsparteien den Entwicklungsländern eine differenzierte und günstigere Behandlung gewähren, ohne diese Behandlung den anderen Vertragsparteien zu gewähren“ (GATT 1990: 23).
Dabei handelt es sich also um eine legalisierte, GATT-konforme Ausnahme vom Prinzip der Meistbegünstigung, die den Entwicklungsländern gewährt werden kann. Bevor diese Bestimmung in das GATT-Vertragswerk aufgenommen wurde, bedeutete eine solche Ausnahme von dem Prinzip der Meistbegünstigung ein Verstoß gegen die Grundsätze des GATT, bzw. es mußten durch sog. Waiver (s.u.) im Einzelfall Genehmigungen erteilt werden. Abgesehen davon, daß der Verzicht auf das Prinzip der Meistbegünstigung in diesem Fall lediglich auf einer „Kann“-Bestimmung beruht, muß ihre Bedeutung auch noch in der Form relativiert werden, daß der in den Genuß von Präferenzen kommende Welthandelsanteil relativ klein ist, schätzungsweise drei bis vier Prozent des vom GATT erfaßten Welthandels (Senti 1986: 317). Darüberhinaus besteht bei den Industrienationen die Neigung, solche Präferenzabkommen mit sog. Entwicklungsländern vorrangig für solche Produkte abzuschließen, die keine Konkurrenz für einheimische Produzenten bedeuten (Senti 1990: 23). Die zwischen der EG und den AKP-Staaten abgeschlossenen Präferenzvereinbarungen im Rahmen der verschiedenen Lomé-Abkommen bezogen sich deshalb schwerpunktmäßig auf nichtkonkurrierende, tropische Anbauprodukte, während für konkurrierende Produkte quantitative und saisonale Begrenzungen immer noch die Regel sind (Michelsen et al. 1991: 85ff). Dabei bedient sich die EG besonders häufig des sog. „freiwilligen Selbstbeschränkungsabkommens“, einer Variante der nicht-tarifären Handelshemmnisse, bei der sich die Exportländer freiwillig dazu verpflichten, nur die zwischen den Regierungen ausgehandelte Menge bestimmter Produkte in das Importland auszuführen (Bender 1990). Ipsen/Haltern (1991) nennen die “Freiwilligkeit“ bei dieser Form des „ negotiated protectionism “ eine Farce, da die Produzenten regelmäßig mit der Androhung von Importverboten zum Abschluß gezwungen werden (dies. 1991: 38). Diese Art von Exportabkommen sind überdies besonders schwer durch das GATT zu überwachen, weil sie seine Kontrollmechanismen unterlaufen, die ohne eine Beschwerde nicht aktiviert werden können (dies. 1991: 38ff).
Generell zeigte sich in den 60er und verstärkt den 70er Jahren, daß die traditionellen Schutzmechanismen der Zölle immer mehr durch die flexibleren und vom GATT bis dahin nicht behandelten nicht-tarifären Handelshemmnisse abgelöst wurden („neuer Protektionismus“) (vgl. Senti 1990: 26f). Zwar gilt die den Entwicklungsländern gewährte Ausnahme von der Meistbegünstigung auch für diesen Bereich, d.h. daß auch bei nicht-tarifären Handelshemmnissen den sog. Entwicklungsländern eine „großzügigere“ Behandlung zukommen soll. Da dieser Bereich aber weitaus schwieriger zu überwachen ist als Zollbestimmungen, haben sich die Zugangschancen der sog. Entwicklungsländer zu den Märkten der Industrienationen auch durch die Ausnahme von der Meistbegünstigung nicht verbessern können (Schultz 1990: 16). Neben diesen wichtigsten Bestimmungen, die den sog. Entwicklungsländern formell einen besonderen Status im GATT einräumen, gibt es weitere Ausnahmeregelungen und Schutzbestimmungen, die für alle Vertragsparteien in gleicher Weise gelten.
4.2.1.2 Sondergenehmigungen (waiver)
In Art. XXV des Vertragswerkes ist es vorgesehen, daß eine Vertragspartei unter besonderen, im GATT-Vertragswerk nicht näher umschriebenen Umständen von den ihr durch das GATT auferlegten Verpflichtungen befreit werden kann (GATT ART. XXV: 5; 1986: 407). Im Grunde genommen stellen diese waiver nichts anderes als eine Möglichkeit dar, die im GATT-Abkommen niedergelegten Grundsätze zu umgehen. Dadurch werden „Vertragsverletzungen, Maßnahmen und Vorkehrungen, die offenkundig gegen den Geist des GATT verstoßen, zugelassen und legalisiert“ (Senti 1986: 283).
Seit Bestehen des GATT nehmen die waiver einen großen Stellenwert ein, wobei seit den 70er Jahren ihre Bedeutung nachzulassen scheint (Senti 1986: 284). Darin eine Abnahme von protektionistischem Verhalten zu sehen, wäre allerdings verfehlt. Es ist vielmehr zu vermuten, daß mit der anhaltenden Rezession ab den 70er Jahren verstärkt protektionistische Maßnahmen ergriffen wurden, ohne daß dafür Sondergenehmigungen von den Vertragsparteien vergeben worden wären. Die beträchtlichsten Sondergenehmigungen, die bis heute fortbestehen, betreffen bestimmte Produkte1 der Landwirtschaft in den Vereinigten Staaten. Diese Bereiche dürfen mit Zustimmung des GATT seit 1955 durch Subventionen und Importerschwerungen geschützt werden (Oppermann/Beise 1991: 455).
4.2.1.3 Unterscheidung zwischen Industriegütern und Rohprodukten
In mehreren Bestimmungen des GATT-Abkommens werden Industriegüter und Rohprodukte unterschiedlich behandelt. So sind Exportsubventionen für Industriegüter verboten, nicht aber für Grundstoffe (GATT ART. XVI). Dadurch werden die Exportländer für Rohprodukte - zu denen i.d.R. besonders die sog. Entwicklungsländer gehören - benachteiligt, da subventionierte Rohprodukte aus den Industrienationen ihre Wettbewerbschancen auf dem Weltmarkt schmälern. Nach Art. XI werden Produkte aus Landwirtschaft und Fischerei unter bestimmten Umständen auch aus dem Verbot mengenmäßiger Importbeschränkungen ausgenommen, so daß sich - aufgrund ihrer Produktionsstruktur - auch aus dieser Bestimmung tendentiell eine Benachteiligung der sog. Entwicklungsländer gegenüber den Industrienationen ergibt.
4.2.1.4 Schutzmaßnahmen
Eine große Anzahl weiterer Bestimmungen erlauben es den Vertragsparteien, von Prinzipien des GATT-Abkommens abzuweichen, wenn die Erfüllung einzugehender Verpflichtungen ihrer Wirtschaft ernsthaften Schaden zufügen würde (GATT Art XIX). Da die Bestimmungen der Schutzklauseln recht großen Raum für unterschiedliche Interpretationen lassen, sind sie bestens dazu geeignet, im „Notfall“ das GATT-Abkommen einfach außer Kraft zu setzen und sich bilateralen Handelspraktiken zuzuwenden. Dies wird vor allem in Zeiten der Rezession relevant, wie in den letzten Jahren eine wachsende Inanspruchnahme der Schutzbestimmungen des GATT - vor allem durch die Industrienationen - verdeutlichte (vgl. Senti 1986: 199f). In Art. XIX, auch als Schutzklausel (escape clause) bezeichnet, wird festgelegt:
„Wird infolge unvorhergesehener Entwicklungen und der Auswirkungen der von einer Vertragspartei auf Grund dieses Abkommens eingegangenen Verpflichtungen, einschließlich der Zollzugeständnisse, eine Ware in das Gebiet dieser Vertragspartei in derart erhöhten Mengen und unter derartigen Bedingungen eingeführt, daß dadurch den inländischen Erzeugern gleichartiger oder unmittelbar konkurrierender Waren in diesem Gebiet ein ernsthafter Schaden zugefügt wird oder zugefügt zu werden droht, so steht es dieser Vertragspartei frei, ihre hinsichtlich einer solchen Ware übernommene Verpflichtung ganz oder teilweise aufzuheben oder das betreffende Zugeständnis zurückzunehmen oder abzuändern, soweit und solange dies zur Verhütung oder Behebung des Schadens erforderlich ist“ (GATT Art. XIX; 1986: 400f).
Eine weitere Schutzmaßnahme betrifft die Landwirtschaft, die von dem allgemeinen Verbot mengenmäßiger Beschränkungen faktisch ausgenommen wurde. Vor allem Art. XI erlaubt die Anwendung nicht-tarifärer Handelshemmnisse zum Schutz der eigenen Agrarpolitik (GATT-Art. XI: 2c 75). Die Umstände, unter denen die Anwendung solcher Maßnahmen in Frage kommen, sind ausgesprochen vielfältig interpretierbar. Sie konnten dazu führen, daß die Landwirtschaft der Industrienationen seit Bestehen des GATT de facto aus den Prinzipien des Vertragswerkes ausgeschlossen ist. Senti bezeichnet deshalb Art. XI (2c) als einen „der schwächsten Artikel des gesamten Vertragswerkes, nicht nur, weil er dem Protektionismus zugunsten der Landwirtschaft Tür und Tor öffnet, sondern weil er in direktem Widerspruch zu den Zielsetzungen des GATT steht“ (ders. 1986: 257). Art. XII und XVIII erlauben schließlich handelsbeschränkende Maßnahmen zum Schutz der Zahlungsbilanz.
4.2.2 Die Uruguay-Runde des GATT
„The Uruguay Round is an attempt to change the nature of the GATT in ways which give rise to great concern. For it is an attempt to restructure and refashion the rules of the international trading system in accordance with the interests and concerns of the major trading nations“ (Südkommission, zitiert nach Ipsen/Haltern 1991: 1).
„Die Uruguay Runde ist vielleicht einer der seltenen Orte, wo Geschichte nicht bloß aus der Summe kleiner unscheinbarer Ereignisquanten abgesondert wird, sondern wo sie sich als Ganzes erfassen und steuern, sicher aber beeinflussen ließe. [...] Mit ihren Ergebnissen könnte sie wirtschaftlichen Spannungen vorbeugen und somit auch Konflikte verhindern. In diesem Sinne ist die Uruguay Runde mindestens so wichtig wie weit mehr beachtete Bemühungen, vorhandene Konflikte als solche zu entschärfen und die verheerendsten Mittel ihrer Austragung zu ächten, denn sie befaßt sich unmittelbar mit einer der eigentlichen Ursachen der Bedrohung“(Balz 1988: 125).
Wie die oben angeführten Zitaten verdeutlichen, werden die Auswirkungen der Achten Verhandlungsrunde des GATT, die im Jahr 1986 in Punta del Este (Uruguay) eingeleitet und im Dezember 1993 in Brüssel abgeschlossen wurde, recht unterschiedlich eingeschätzt. Beide Sichtweisen sind dabei wahrscheinlich zutreffend, beziehen sich aber jeweils nur auf einen bestimmten Aspekt des Welthandelssystems. Als tatsächlich besorgniserregend stellen sich die zu erwartenden Auswirkungen des Vertragswerkes auf die Stellung der sog. Entwicklungsländer im Welthandel dar, wie es von der Südkommission formuliert wurde. Der im zweiten Zitat angesprochene Aspekt der Konfliktvermeidung bezieht sich hauptsächlich auf das Verhältnis der Industrienationen zueinander und dabei vor allem auf das Verhältnis zwischen den Nationen der Europäischen Union, den USA und Japan. Diese drei Wirtschaftsblöcke haben die Verhandlungen in weiten Teilen bestimmt und gehören zu den voraussichtlichen Gewinnern einer weiteren Liberalisierung des Welthandels. Schätzungen gehen davon aus, daß durch die Ergebnisse der Uruguay-Runde zu Beginn des kommenden Jahrhunderts das Welthandelsvolumen jährlich um über 200 Mrd. US-Dollar ansteigen wird. Über 66 Prozent der Zunahmen soll dabei auf die Industrienationen entfallen, während unter den sog. Entwicklungsländern vor allem China und die Schwellenländer Asiens profitieren werden. Für den afrikanischen Kontinent wird sogar ein Rückgang des Welthandelsvolumens vorausgesagt.
Schon die Verhandlungszeit von über sieben Jahren, in denen die abschließenden Verhandlungen mehrmals verschoben wurden, verdeutlichen, wie verschieden die Interessen der teilnehmenden Staaten bei den Verhandlungen waren. Erschwert wurden die Verhandlungen dadurch, daß eine ganze Reihe von Themen aufgenommen worden waren, die bislang vom GATT nicht behandelt worden waren oder einen Sonderstatus hatten.
„Bereiche wie Landwirtschaft, Dienstleistungen (im Bank-, Versicherungs-, Telekommunikations-, Verkehrs-, Tourismusbereich ebenso wie bei Management, Ingenieur- und Planungsleistungen), handelsbezogene Aspekte des Schutzes “Geistigen Eigentums“ und handelsrechtliche Aspekte internationaler Investitionen tauchten - vor allem aufgrund US-Initiative - neben den bisherigen Verhandlungsthemen erstmals als verhandlungswürdige Materie auf“ (Oppermann/Baumann 1991: 106).
Die Vertragsparteien waren untereinander die Vereinbarung eingegangen, daß ein Abschluß nur dann zu erreichen sei, wenn alle zur Verhandlung anstehenden Fragen geregelt sind. Es war also nicht möglich, lediglich einzelnen Verhandlungsergebnissen in einigen Bereichen zuzustimmen, sondern den Nationen blieb nur übrig, dem ausgehandelnden Vertragswerk beizutreten oder aber aus dem GATT auszuscheiden (MAY 1993: 463). In letzterem Falle hätten sie alle Vorteile, die sich aus einer Zugehörigkeit zum GATT ergeben, aufgeben müssen. Dieser Grundsatz des „take it or leave it“ - in der Literatur auch als „kuhhandelsähnliche Vorgehensweise“ bezeichnet (vgl. Oppermann/Baumann 1991: 106) - brachte vor allem die sog. Entwicklungsländer in arge Bedrängnis (Ipsen/Haltern 1991: 47).
Auf der einen Seite wollten sie auf die in Aussicht gestellten verbesserten Zugangsmöglichkeiten ihrer Agrarprodukte und Textilien auf die Märkte der Industrienationen nicht verzichten, auf der anderen Seite sahen sie in den neuen Verhandlungsbereichen eine ernsthafte Bedrohung ihrer nationalen Souveränität, zumal die voraussichtlichen Gewinne nur sehr schwer abzuschätzen waren. Dies wurde umso folgenreicher empfunden, da Vertragsverletzungen in einem Bereich mit Sanktionen in einem vollständig anderen Bereich geahndet werden können (Cross Retaliation; vgl. Stewart/Callahan 1994: 2802f).
4.2.2.1 Die Bedeutung des Agrarbereiches für die Uruguay-Runde
1 Schon bald nach Beendigung der Siebten Verhandlungsrunde des GATT im Jahr 1979 (Tokio-Runde) unternahmen die USA den Versuch, eine neue Verhandlungsrunde einzuberufen, die bereits im Jahr 1982 beginnen sollte (Ipsen/Haltern 1991: 45).
„So hat die Regierung Reagan Anfang der achtziger Jahre mit großem Aufwand versucht, eine neue GATT-Runde einzurichten, doch wurden diese Bemühungen jahrelang verzögert - zum einen von der Europäischen Gemeinschaft, die den Agrarhandel nicht in das GATT integrieren wollte, und zum andern von Entwicklungsländern, vor allem Indien und Brasilien, die gegen die neuen Bereiche und vor allem gegen die Einbeziehung der Dienstleistungen waren“ (May 1993: 468).
Mit ihrer Agrarpolitik greift die EG/EU marktverzerrend in den Handel mit Agrarprodukten ein. Sie begibt sich damit in einen Konflikt zu anderen Nationen, die zwar komparative Kostenvorteile bei der Produktion von Nahrungsmittel haben, ihre Produkte aber - trotzdem sie die günstigsten Anbieter sind - nicht in den Ländern der Europäischen Union absetzen können. Das Gegenteil ist der Fall: durch die Überschüsse der EG/EU, die hochsubventioniert auf den Weltmarkt gelangen, kommt es dort zu einem Preisverfall. Selbst wenn ein Markt also nicht direkt durch protektionistische Maßnahmen abgeschottet ist, können diese günstigsten Anbieter keine realen (d.h. kostendeckenden) Preise für ihre Produkte erzielen. Dadurch wurden die Weltmarktpreise für bestimmte Agrarprodukte wie z.B. Zucker, Milchprodukte, Getreide und Rindfleisch regelrecht zerstört (Walter 1994). Die EG hat im Jahr 1986 z.B. Rindfleisch zum Preis von 1 DM/kg nach Brasilien exportiert; die dabei bezahlten Exportsubventionen überstiegen den erzielten Erlös um das Dreifache. Gegen diese aggressive Preispolitik hatten die einheimischen Erzeuger keine Chance - deren Produktionskosten lagen bei 2,60 DM/kg (Michelsen et al. 1991: 64; vgl. Tangermann 1987).
Wie beträchtlich die Subventionen für die Landwirtschaft z.B. in der BRD sind, verdeutlichen die Zahlen, die von der Bundesregierung - anläßlich einer Großen Anfrage der SPD zu den GATT-Verhandlungen im Dezember 1991 - genannt wurden. Die Subventionen, die den deutschen Landwirten im Jahr 1990 von EG, Bund und Ländern ausgezahlt wurden, beliefen sich auf insgesamt 18,1 Mrd. DM. Bei 961.000 Erwerbstätigen im landwirtschaftlichen Sektor „errechnet sich an Subventionen ein Betrag von 18.835 DM pro Erwerbstätigem in diesem Sektor“ (Deutscher Bundestag 1991, Drucksache 12/1745: 7).
Wenngleich die EG/EU-Agrarpolitik gerne als „subventionierte Unvernunft“ bezeichnet wird, wäre es falsch, sie als „irrational“ zu charakterisieren (OPPERMANN/BEISE 1993: 6); sie ist - im Gegenteil - auf eine ganze Reihe nachvollziehbarer Ursachen zurückzuführen: In der BRD waren im Jahr 1992 lediglich rund 1,2 Millionen Menschen in der Landwirtschaft beschäftigt, was einem Anteil an der Gesamtzahl der Erwerbstätigen von 3,4 Prozent gleichkommt (Agrarbericht 1994: 10). Von den 6,2 Millionen exportabhängigen Arbeitsplätzen in der BRD sind lediglich 200.000 (unmittelbar) in der Landwirtschaft angesiedelt (Oppermann/Beise 1993: 5). Hinter diesen Zahlen verbirgt sich ein erhebliches Konfliktpotential, da sich der überwiegende Teil dieser Landwirte in einem freien Wettbewerb gegenüber ausländischer Konkurrenz nicht behaupten könnte. Paradoxerweise verursachte gerade der hohe technologische Standard dieser Landwirtschaft auch ihre Konkurrenz un fähigkeit; der hohe Einsatz betriebsfremder Produktionsmittel hat die Produktionskosten inzwischen derart ansteigen lassen, daß eine „ungeschützte“ Landwirtschaft unweigerlich einer Strukturanpassung zum Opfer fallen und viele der direkt und indirekt in der Landwirtschaft Beschäftigten arbeitslos werden lassen würde. So wären schließlich nicht nur die unmittelbar im landwirtschaftlichen Produktionsbereich Beschäftigten, sondern auch die in den von diesem Sektor abhängigen vorgelagerten Produktionsbereichen betroffen. Dazu gehören z.B. die chemische Industrie mit Produkten wie Düngemitteln und Pestiziden etc. oder auch der Landmaschinenbau.
Neben diesen beiden - hauptsächlich ökonomisch und arbeitsmarktpolitischen - Motiven, darf ein anders motiviertes Interesse nicht übersehen werden: eines der wichtigsten Ziele nationaler Agrarpolitik besteht in der Versorgungssicherheit mit Nahrungsmitteln. Dieses Ziel wurde durch die Gemeinsame Agrarpolitik der EG/EU ohne Zweifel erreicht; heute hat die EG/EU für nahezu alle Agrarprodukte, die in diesem Wirtschaftsraum produziert werden, einen Selbstversorgungsgrad von über 100 Prozent erreicht (vgl. Statistisches Bundesamt 1994: 61). Durch eine Liberalisierung der Agrarmärkte würden bedeutend mehr Agrarprodukte aus Drittstaaten auf den EG/EU-Markt gelangen und heimischen Produkte verdrängen. Es würde dann spiegelbildlich das eintreten, was bislang Billigexporte der EG/EU in anderen Ländern angerichtet haben, nämlich die Behinderung bzw. Zerstörung der inländischen Produktion mit dem Ergebnis einer verstärkten Abhängigkeit von ausländischen Nahrungsmittellieferungen. Ökonomisch wäre dies von der EG/EU leicht zu bewältigen, zumal die Konsumentenpreise für Agrarprodukte dadurch sinken würden. Doch politisch gesehen ist eine verstärkte Abhängigkeit in einem derart existentiell bedeutsamen Bereich sicherlich nicht erwünscht. Die Macht der „Agrarlobby“ ist also weitaus größer, als es die volkswirtschaftliche Bedeutung des Agrarsektors vermuten läßt.
In wesentlichen Aspekten unterscheiden sich sowohl die Interessen als auch die Methoden der US-Agrarpolitik nicht allzu sehr von denen der EG/EU. Bislang haben sich die USA keineswegs durch eine „Freihandelspolitik“ im Agrarbereich ausgezeichnet; ihre Landwirtschaft ist in hohem Maße subventioniert und gegen Einfuhren abgeschottet. Doch die USA sind eher in der Lage, auf dieses umfangreiche und kostenzehrende Stützungssystem zu verzichten, da sie im Vergleich zur EG letztlich die wettbewerbsfähigere Produktionsstruktur besitzen (Ipsen/Haltern 1991: 77). Hier steht die hohe Kapitalintensität in einem weitaus besseren Verhältnis zur Produktionsstruktur, was die Landwirtschaft der USA konkurrenzfähiger und weniger anfällig gegenüber möglichen Importen macht. Trotzdem werden auch hier durch die Liberalisierung des Agrarhandels Strukturanpassungsprozesse erwartet:
„Ein völliger oder weitgehender Abbau der nationalen Beihilfen ist auch in ihrem eigenen Land (den USA, d.Verf.) nicht durchsetzbar. Bestimmte Bereiche wie Zucker, Erdnüsse und Milch genießen hohen Importschutz. [...] Auf jeden Fall würde ein substantielles GATT-Reformpaket auch weitreichende Anpassungsmaßnahmen in der amerikanischen Landwirtschaftsgesetzgebung nötig machen. Insbesondere die Importquoten, das im Vergleich zu Europa bescheidene Exportförderungsprogramm und die Höhe der nationalen Beihilfen stehen zur Disposition. Zudem müssen die Vereinigten Staaten Konzessionen gegenüber den effizienteren Produzenten der Cairns-Gruppe (s.u., d. Verf.) und der Entwicklungsländer machen, die Kosten für amerikanische Produzenten mit sich bringen werden“ (Falke 1991: 196).
Dennoch ist zu erwarten, daß eine Liberalisierung des Agrarhandels den Landwirten in den USA weniger abverlangen wird als ihren Kollegen in der EG/EU. Marktanteile, die die USA an andere Länder verlieren, können z.T. durch eine Ausweitung ihres Handels mit der EG kompensiert werden.
Als dritte Wirtschaftsmacht, die die GATT-Verhandlungen stark beeinflußt hat, ist Japan zu nennen. Anders als die USA und die EG/EU ist Japan ein Netto-Nahrungsmittelimporteur. Einem Exportwert in Höhe von 1,7 Mrd. US-Dollar steht ein Importwert von 21 Mrd. US-Dollar gegenüber (Surendra 1993: 57). Gemessen an den Nettohandelsströmen für Agrarprodukte ist Japan der größte Nahrungsmittelimporteur der Welt (Tangiguchi 1991: 72). Wie in der EG/EU oder den USA bestimmt auch in Japan die Subventionierung einer kapitalintensiven - und damit teuren - landwirtschaftlichen Produktion die Agrarpolitik, die den Landwirten so eine Teilhabe am gesellschaftlichen Wohlstandsgewinn ermöglichen soll. Als eine Nation, deren eigene Landwirtschaft kaum komparative Vorteile aufzuweisen hat und die in hohem Maße von Nahrungsmittellieferungen aus dem Ausland abhängig ist,1 hat Japan kaum Interesse an einer Liberalisierung des Agrarhandels. Dies ist besonders aus zwei Gründen der Fall:
- erstens würde eine Liberalisierung die Preise für die importierten Nahrungsmitteln für Japan erhöhen
- zweitens müßte Japan seinen Reismarkt - d.h. den einzigen Bereich im landwirtschaftlichen Sektor, in dem es Selbstversorger ist - für Importe öffnen.
Am zweiten Punkt sind vor allem die USA interessiert. Sie sehen darin eine Möglichkeit, ihr Handelsdefizit mit Japan zu verringern (Tangiguchi 1991: 78).
4.2.2.2.1 Die divergierenden Interessen der sog. Entwicklungsländer im Agrarbereich
Neben den USA trat vor allem die sog. Cairns-Gruppe für eine Liberalisierung des Welthandels mit Agrarprodukten ein. Dabei handelt es sich um einen heterogenen Verbund von 14 Nationen,2 deren landwirtschaftlichen Kapazitäten jeweils weit über die Befriedigung des Eigenbedarfs hinausgehen. Wegen ihrer relativ niedrigen Produktionskosten versprechen sie sich aus der Liberalisierung des Agrarhandels starke wirtschaftliche Impulse. Auch wenn in der Cairns - Gruppe einige Entwicklungsländer vertreten sind, steht der Großteil dieser Nationen einer Liberalisierung des Agrarhandels mit eher gemischten Gefühlen gegenüber und sieht sich aus verschiedenen Gründen vor eine problematische Situation gestellt.
Auf der einen Seite nehmen Agrarexporte i.d.R. einen großen Teil des Außenhandelsvolumens sog. Entwicklungsländer ein; sie könnten daher durch Handelsliberalisierung und (damit) steigende Preise für Agrarprodukte den Wert ihrer Exporte erhöhen. Höhere Weltmarktpreise könnten auch den Produzenten in den betreffenden Ländern durchaus zugute kommen und die inländische Produktion u.U. dynamisieren.
Auf der anderen Seite bedeutet die Liberalisierung jedoch auch, daß die staatliche Interventionskompetenz im Produktions- und Verteilungsbereich verringert bzw. aufgegeben werden muß. Die Durchführung vieler z.B. sozialpolitisch motivierter Programme könnten dadurch erschwert oder gar unmöglich gemacht werden (Hein 1994). Gleichzeitig kann ein Ansteigen der Weltmarktpreise für Agrarprodukte - in Verbindung mit einem uneingeschränkten Zugang zu den Märkten in Europa und den USA - auch dazu führen, daß eine verstärkte Exportorientierung zu einer inländischen Verknappung von Nahrungsmitteln führt. Es würde sich dann zwar u.U. die volkswirtschaftliche Bilanz dieser Länder verbessern, was jedoch auf Kosten einer weiteren sozialen Differenzierung und der Nahrungssicherheit geschähe.
Viele (besonders der afrikanischen) Staaten sind augenblicklich jedoch noch weit davon entfernt, gesicherte Überschüsse für den Export produzieren zu können (Hein 1994: 73). Obwohl sie den Großteil ihrer Exporteinnahmen durch Agrarprodukte erzielen, sind etliche von ihnen gleichzeitig immer noch Netto-Importeure von Agrarerzeugnissen (Ipsen/Haltern 1991: 78). Ein Ansteigen der Weltmarktpreise für Agrarprodukte würde (vermutlich) nicht nur ihre Handelsbilanzen negativ beeinflussen, sondern zusätzlich noch die soziale Differenzierung vorantreiben und die nationale Handlungsfähigkeit weiter einschränken.
Unter den sog. Entwicklungsländern nehmen die AKP-Staaten eine besondere Position ein. Zumindest für tropische Agrarprodukte hatten diese Nationen praktisch einen zollfreien Zugang zum EG/EU-Markt. Mit dem „neuen“ GATT-Abkommen wird diese Vorzugsbehandlung aufgegeben. Die AKP-Staaten müssen sich, sobald die Liberalisierung der Agrarmärkte abgeschlossen ist, der Konkurrenz anderer Produzenten stellen, die dann ebenfalls einen uneingeschränkten Zugang zum EG/EU-Markt haben werden (Windfuhr 1989: 31).
Trotz der erheblichen sachlichen Divergenzen bestand ein gemeinsames Interesse von EG/EU und den USA darin, dem Agrarbereich bei den Verhandlungen eine derart zentrale Position einzuräumen, die andere Verhandlungsgebiete in den Hintergrund treten ließ (Westerhoff 1993: 453ff). Vor allem die vom GATT erstmals behandelten Bereiche wie Dienstleistungen, Investitionen oder handelsrelevante Patentfragen (s.u.) konnten so leichter verhandelt werden.
„Der Agrarhandel ist nicht das Fundament, sondern die Klammer für eine im Rahmen der Uruquay-Runde angestrebte “große Paketlösung“: nur so war eine genügend große Verhandlungsmasse vorhanden, um einen Kompromiß auszuarbeiten, dem alle Teilnehmerstaaten zustimmen könnten. [...] Ohne eine Einbeziehung des Agrarhandels hätte der amerikanische Kongress nicht das erforderliche Verhandlungsmandat erteilt, ohne eine Reform des Weltagrarhandels ist ein erfolgreicher Abschluß der Uruguay-Runde nicht möglich, weil viele Entwicklungsländer und Agrarexporteure dies als Gegenleistung für Zugeständnisse in den “neuen“ Verhandlungsbereichen verlangen“ (Engels 1991: 49f; vgl. May 1993: 464).
Dadurch, daß eine Zustimmung zu den Verhandlungsergebnissen nur insgesamt möglich war, bliebt - wie erwähnt - jenen Ländern, die sich aus einem erfolgreichen Abschluß der Verhandlungen positive Effekte auf ihren Handel mit Agrarprodukten versprachen, nichts anderes übrig, als auch die Ergebnisse in den „neuen“ Bereichen zu akzeptieren, selbst wenn sie z.B. ihren Dienstleistungsbereich aus verschiedenen Gründen auch weiterhin lieber vor ausländischen Konkurrenten geschützt sähen.
4.2.2.3 Der Textilbereich
Bereits lange bevor der Textilbereich im Jahr 1974 zum Bestandteil des GATT-Abkommens wurde und dort eine weitreichende Sonderbehandlung erfuhr, hatten die Industrieländer - aus Furcht vor der wachsenden ausländischen Konkurrenz - bereits damit begonnen, ihn zu schützen (Hauser/Schanz 1995; Hurewitz 1993).
Das Multifaserabkommen (MFA) ist ein Sonderabkommen im Rahmen des GATT. Es trennt den Textilbereich aus den GATT-Bestimmungen heraus und unterwirft ihn eigenen Regeln. Das Abkommen steht allen Vertragsparteien des GATT, aber auch anderen Ländern offen. Bis Mitte der 80er Jahre wurde es von 41 Ländern unterzeichnet, die einen Welthandelsanteil im Textilbereich von etwa 95 Prozent aufwiesen (Senti 1986: 290). Das MFA ist ein Rahmenabkommen, das durch bilaterale Verträge ergänzt wird. Den Unterzeichnerstaaten ist es nach diesem Abkommen gestattet, zur Vermeidung von „Marktzerrüttung“ bestimmte Schutzmaßnahmen für die nationale Textil- und Bekleidungsindustrie zu erlassen (Windfuhr 1994: 77). Diese Schutzmaßnahmen bestehen i.d.R. in bilateralen Abkommen über Quoten für den Import von Textil- und Bekleidungsprodukten. Diese Abkommen zwischen einzelnen Nationen gelten jeweils für ein Jahr, und die zugestandenen Quoten dürfen das Niveau des Vorjahres nicht unterschreiten.1
Auch wenn dadurch der Welthandel mit Textilien mengenmäßigen Beschränkungen unterworfen wurde, stimmten auch die sog. Entwicklungsländer immer wieder einer Verlängerung des MFA zu. Eine Weigerung hätte wahrscheinlich zur Aushandlung noch ungünstigerer „Selbstbeschränkungsabkommen“ geführt. Da durch das MFA jedoch zumindest die Genehmigung der Ausfuhrmengen des Vorjahres garantiert wird, friert es den Protektionismus auf einem erreichten Stand ein. Nachteile entstehen den sog. Entwicklungsländern bes. dadurch, daß das MFA eine Marktausweitung verhindert. ErweiterungsInvestitionen im Textilbereich werden dadurch praktisch unmöglich gemacht (Senti 1986: 308).
Einer in der Uruguay-Runde angestrebten Rückführung des Textilbereichs in den Regelkomplex des GATT wird somit von allen beteiligten Nationen mit gemischten Gefühlen entgegengesehen. Die Industrienationen bangen um den Bestand ihrer nationalen Industrien, und die im MFA etablierten sog. Entwicklungsländer sehen sich bei einer Liberalisierung der Konkurrenz von Nationen gegenüber, die bislang zwar nur geringe Quoten hielten, aber nach Abschaffung der Quotierung vermutlich relativ schnell konkurrenzfähige Unternehmen aufbauen könnten.
4.2.2.4 Der Handel mit Dienstleistungen
„Ein Beitrag in der Sondernummer der Zeitschrift Trade and Development zum 20-jährigen Bestehen der UNCTAD führt den beziehungsreichen Titel Transnational Corporations and Services: The Final Frontier. Offenkundig beziehen sich seine Verfasser auf den US-amerikanischen Mythos von der »frontier« als Ausdruck für eine der historischen Formen imperialer »Landnahme« der natürlichen und der gesellschaftlichen »Umwelt« durch das moderne Weltsystem. Die Verfasser möchten die gegenwärtige Expansion der transnationalen Konzerne im Dienstleistungssektor als unwiderruflich letztmöglichen Akt solcher Landnahme verstanden wissen“ (Starnberger Institut 1988: 7).
In der Uruguay-Runde wurde der Dienstleistungsbereich zum ersten Mal auf Drängen der USA und gegen den Widerstand vieler sog. Entwicklungsländer im Rahmen des GATT behandelt (Hauser/Schanz 1995; Reyna 1993). Mit der Aufnahme dieses Bereiches in die GATT-Verhandlungen ergab sich zunächst einmal ein definitorisches Problem. Welche Bereiche waren überhaupt unter dem Begriff „Handel mit Dienstleistungen“ zu verstehen? Die bisherigen Bestimmungen des GATT waren eindeutig auf den Handel mit Waren ausgerichtet, und Dienstleistungen fanden darin nur dann Erwähnung, wenn sie als „unsichtbares“ Beiwerk des Warenhandels betrachtet wurden (Ipsen/Haltern 1991: 84, 88). Durch Entwicklungen auf Gebieten wie der Telekommunikation und der Computertechnologie sowie durch den Bedeutungsgewinn der Servicekomponenten im Güterhandel sind Dienstleistungen inzwischen zu einem wichtigen Element im Welthandel geworden. Wichtige Bereiche, die beim Dienstleistungshandel erfaßt werden sollten, waren z.B. Transport, Banken und Versicherungen, Finanzwesen, Kommunikation, Tourismus, professionelle Dienstleistungen etc. (Reinhardt et al. 1989). So war z.B. die Frage zu klären, ob mit „grenzüberschreitenden Dienstleistungen“ nur die Leistungen selbst gemeint sind, oder ob in einer Definition auch Aspekte der Niederlassungs- und Investitionsfreiheit der Dienstleistungsanbieter miteinbezogen werden sollen, wodurch - entgegen den Absichten der USA - politisch hochsensible Themen wie Arbeitnehmerfreizügigkeit1 angesprochen werden.
Entsprechend der Bedeutung des Dienstleistungssektors für die Volkswirtschaften, aber auch durch die ordnungspolitische Bedeutung, die einzelne Staaten diesem Bereich zumessen - man denke z.B. an jene Nationen, in denen der Banken- und Versicherungsbereich verstaatlicht ist - gehen Hoffnungen und Befürchtungen bei einer Liberalisierung des Dienstleistungshandels weit auseinander.
Vor allem jene Entwicklungsländer, die einen z.T. durchaus modernen Dienstleistungssektor haben - allen voran Brasilien und Indien - wehrten sich lange gegen die Liberalisierung des Dienstleistungshandels (Clairmonte 1991; Schultz 1990). Durch die Öffnung des Dienstleistungssektors für ausländische Anbieter könnten die eigenen Anbieter von Dienstleistungen nicht nur vom Markt gedrängt werden, sondern es müßten u.U. auch strategisch wichtige Bereiche staatlicher Souveränität an ausländische Unternehmen abgegeben werden (Keppler 1990: 58).
Selbst wenn einige der sog. Entwicklungsländer in einigen Dienstleistungssparten den Industrienationen gegenüber konkurrenzfähig sind - z.B. im Bausektor2 - muß dennoch davon ausgegangen werden, daß eine Liberalisierung des Dienstleistungsverkehrs für die Entwicklungsländer vorwiegend negative Auswirkungen hätte (Starnberger Institut 1988: 34). Es steht zu befürchten, daß die Aktivitäten ausländischer Konzerne zunehmen werden, ohne daß eine entsprechende Ausweitung der Inlandsnachfrage stattfindet. Generell ist anzunehmen, daß das Angebot der (extern eingebrachten) Dienstleistungen weniger speziell auf den inländischen Bedarf zugeschnitten sein wird. Nach marktwirtschaftlicher Logik werden hauptsächlich solche Dienstleistungen angeboten werden, die auf eine kaufkräftige Nachfrage treffen. Es wird auch befürchtet, daß durch die Liberalisierung des Dienstleistungshandels der Kapitaltransfer aus sog. Entwicklungsländern ansteigen wird und damit deren Verschuldungsprobleme nur noch verschlimmert (Starnberger Institut 1988: 42).
4.2.2.5 Handelsrelevante Aspekte des Schutzes geistigen Eigentums
Während mit der Aufnahme des Dienstleistungsbereiches ein bislang unberücksichtigter Wirtschaftssektor Eingang in die GATT-Verhandlungen gefunden hat, wird mit der Aufnahme „Handelsrelevanter Aspekte des Schutzes geistigen Eigentums“ (Trade Related Intellectual Property Rights; TRIPS) ein bislang unberücksichtigter „Produktionsfaktor“ vom GATT behandelt: das technologische Vermögen.1
Wie bereits der Dienstleistungssektor wurde auch dieser Bereich von den USA als Verhandlungsgegenstand ins GATT eingebracht. Hier stand jedoch nicht etwa eine fortschreitende Liberalisierung bei der Weitergabe technologischen Wissens auf der Verhandlungsagenda sondern - im Gegenteil - eine striktere staatliche Überwachung im Bereich des Technologietransfers in Form strengerer Patent- und Urhebergesetze.
Von den Befürwortern strengerer Urheberrechte wird angeführt, daß ein ungenügender Schutz geistigen Eigentums einer Subventionierung gleichkäme: da bei der Nutzung „fremden geistigen Eigentums“ Forschungs- und Entwicklungskosten wegfallen, können Güter billiger produziert werden, was einer Verzerrung des Marktes entspräche. Gleichzeitig verringere sich die Bereitschaft von Unternehmen, ihre Produktionsanlagen in bestimmten Ländern mit dem neuesten Stand der Technik auszustatten. Es sei schließlich zu befürchten, daß über eine technische Zusammenarbeit Produktionsgeheimnisse offengelegt werden, gegen deren Mißbrauch kein hinreichender Schutz bestünde. Unzureichende Regelungen in diesem Bereich könnten den Technologietransfer erschweren und dazu führen, daß den sog. Entwicklungsländern moderne Technologien vorenthalten würden. Nicht zuletzt aus diesen Gründen seien einheitliche Schutzstandards anzustreben, die sich (am besten) an den bestehenden einschlägigen Gesetzen der Industrienationen orientieren sollen. Grundsätzlich müßten möglichst alle Produktionsbereiche urheberrechtlich geschützt werden, wobei Produktpatente mit langer Laufzeit den Produktionspatenten, 2 wie sie in vielen der sog. Entwicklungsländer bereits existieren, vorzuziehen seien.
Von den Gegnern eines verschärften Schutzes geistigen Eigentums wird darauf verwiesen, daß von ihren Regierungen sehr wohl Patentgesetze und andere Gesetze zum Schutz geistigen Eigentums erlassen wurden. Weiterhin sei es auch in ihrem Sinne, daß das Verbot der „Produktpiraterie“ Bestandteil der GATT-Rechtsordnung werden solle. Alle Regelungen, die darüber hinausgehen, werden von ihnen jedoch energisch abgelehnt. Sie schnitten die sog. Entwicklungsländer von den technologischen Neuerungen der Industrienationen ab bzw. führten zur Forderung hoher Lizenzgebühren von jenen Unternehmen, die die moderne Technologie bei der Produktion einsetzen wollten. Damit würden die sog. Entwicklungsländer unweigerlich weiter in die Verschuldung getrieben (Ipsen/Haltern 1991: 105). Durch ein strengeres Recht beim Schutz geistigen Eigentums würden die Industrienationen bzw. ihre Transnationalen Konzerne den erreichten technologischen Vorsprung weiter ausbauen können, und die Kluft zwischen den entwickelten und unterentwickelten Nationen würde sich weiter vergrößern (vgl. Engels 1994).
In dem Bemühen der Industrienationen, die Gesetze zum Schutz geistigen Eigentums überall auf das dort bestehende Niveau anzuheben, ist eine Versuch zu sehen, vehement in die Souveränität der einzelnen Vertragsparteien des GATT eingreifen zu wollen. Die Kompetenz der Staaten bei der Durchsetzung eigener Gesetze zu Fragen des Mißbrauchs von Eigentumsrechten soll damit beschnitten und die Interessen einzelner Unternehmen über wichtige gesellschaftliche Schutzinteressen1 gestellt werden.
4.2.2.6 Handelsrelevante Investitionsmaßnahmen
Unter handelsrelevanten Investitionsmaßnahmen (Trade Related Investment Measures; TRIMs) versteht man „Bedingungen, die Regierungen Investoren auferlegen und die (die) Handelsströme künstlich verändern“ (Ipsen/Haltern 1991: 110; vgl. Engels 1993, 1994; Fennel/Tyler 1993; Hauser/Schanz 1995). Dazu gehört z.B. die Auflage, daß bei der Produktion ein bestimmter Teil der „inputs“ aus dem Gastland stammen müssen (local content requirements), oder auch, daß ein bestimmter Anteil der Produktion exportiert werden muß (export performance requirements), oder daß die von einer Regierung genehmigten Importmengen vom Wert exportierter Produkte abhängig gemacht werden (trade balancing requirements). Ebenfalls in den Bereich „Handelsrelevanter Investitionsmaßnahmen“ fallen Bestimmungen, nach denen bestimmte Ausgangsprodukte im Gastland selbst zu produzieren sind (manufacturing requirements) bzw. nicht im Gastland produziert werden dürfen (manufacturing limitations). Auch die Regelung bzw. Beschränkung von Unternehmensbeteiligungen - z.B. in der Form, daß ein bestimmter Aktienanteil von inländischen Investoren gehalten werden muß - fallen ebenso in diesen Bereich wie Devisenbeschränkungen oder die Beschränkungen des Gewinntransfers in das Mutterland des Unternehmens.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, daß die Industrienationen -allen voran die USA und Japan - mit der rechtlichen Einschränkung von TRIMs durch das GATT die Handlungsspielräume ihrer Transnationalen Unternehmen vergrößern wollen, während dieser Versuch von verschiedenen sog. Entwicklungsländern als ein empfindlicher Schlag gegen ihre nationale Souveränität gewertet wird. Sie sehen sich dadurch des Rechtes beraubt, multinationale Unternehmen kontrollieren zu können, wodurch sie wichtige Entscheidungsbefugnisse hinsichtlich ihrer Wirtschafts- und Sozialpolitik hätten aufgeben müssen (Ipsen/Haltern 1991: 113f).
4.2.3 Die USA zwischen Bi- und Multilateralismus in Handelsfragen
2 Die USA gehörten zwar zu den wichtigsten Initiatoren der Uruguay-Runde, und sie brachten dort die neuen Verhandlungsthemen auch am nachdrücklichsten vor, haben aber gleichzeitig auf bilateraler Ebene versucht, Positionen, die sie in den GATT-Verhandlungen durchzusetzen gedachten, voranzutreiben. Dieser zweigleisige Weg muß als eine Strategie verstanden werden, in der über bilateralen Druck die Position (der USA) in den GATT-Verhandlungen gestärkt werden sollte. Die US-Regierung machte auf diesem Wege deutlich, daß ihr - auch im Falle eines für sie unbefriedigenden Ausgangs der GATT-Verhandlungen - ausreichende Machtmittel zur Verfügung stünden, um ihre Interessen notfalls auch bilateral durchzusetzen.
„Abschnitt 301 (des us-amerikanischen Handelsgesetzes, d. Verf.) erlaubt es der US-Regierung, gegenüber Handelspartnern, die “unfaire Handelspraktiken“ angewandt haben sollen, Sanktionen anzudrohen und anzuwenden“ (Hauser/Schanz 1995: 245).
Das Lavieren der USA zwischen Bi- und Multilaterismus folgt durchaus einer konsequenten Logik. Einerseits konnte sich die US-Regierung bis zum Ende des Jahres 1993 nie vollkommen sicher sein, daß die GATT-Verhandlungen in allen wichtigen Teilen tatsächlich auch zu ihren Gunsten abgeschlossen werden würden. Bilateraler Druck wurde also schon deshalb ausgeübt, um Interessen (notfalls) auch in „Einzelverhandlungen“ mit bestimmten Nationen realisieren zu können. Es ist zu beachten, daß sich viele Nationen - schon während der laufenden Verhandlungsrunde des GATT - dem Druck der US-Regierung beugen mußten; d.h. es wurden von diesen Ländern auf bilateraler Ebene Zugeständnisse gemacht, die in manchen Bereichen die Verhandlungsergebnisse des GATT vorwegnahmen. Daher konnten diese Länder in den GATT-Verhandlungen nicht mehr in Opposition zur amerikanischen Verhandlungslinie auftreten. So ist es auch wenig verwunderlich, daß sich gerade jene Staaten, die während der GATT-Verhandlungen als hardliner in ihren Beziehungen zu den USA aufgetreten waren, einem besonderem Druck ausgesetzt sahen.
So wurde z.B. Brasilien 1989 mit Handelssanktionen nach dem amerikanischen Handelsgesetz bedroht, weil es nach Ansicht der US-Regierung ein unzulängliches Patentrecht hatte, das den Interessen der chemischen, pharmazeutischen und agraren Industrie der USA widersprach. Um die Sanktionen abzuwenden, wurde 1990 das brasilianische Patentrecht entsprechend abgewandelt. Die EG und Australien wurden mit Sanktionen bedroht, weil sie in ihren Gesetzgebungen den Zugang amerikanischer audiovisueller Medien auf die entsprechenden Märkte erschwerten. Aus Gründen des Patentrechts und der Marktzugangsbeschränkungen in unterschiedlichen Bereichen fanden sich im Jahr 1990 19 Handelspartner der USA auf einer „ Watch List for special attention “ wieder, darunter Argentinien, Chile, Deutschland, Japan, Südkorea, Taiwan. Die Entwicklungen in diesen Staaten wurden vom US-Handelsbeauftragten besonders intensiv verfolgt, um im Bedarfsfall Sanktionen anordnen zu können. Drei Nationen, die sich als besonders widerspenstig erwiesen - Brasilien, Indien und Thailand - sowie die Staaten der ehemaligen Sowjetunion wurden in einer „ Priority Watch List “ geführt (USIS 1991: 93). Wie Anfang 1995 China wurden den Nationen auf dieser „ Priority Watch List “ Handelssanktionen angedroht, sofern sie sich nicht bereit zeigten, den us-amerikanischen Forderungen nachzukommen.
Unter diesen Bedingungen wurde der erfolgreiche Abschluß der GATT-Verhandlungen zum ureigendsten Interesse so manch eines Staates, der kurz zuvor noch als vehementer Kritiker dieser Verhandlungen aufgetreten war. Das Interesse dieser Länder war es nun, die Verpflichtungen, die sie bereits im Zuge von Strukturanpassungsprogrammen und auf bilateralen Druck seitens der USA hin eingegangen waren, möglichst auch für andere Nationen verbindlich zu machen, und damit ihre eigene schlechte Situation - zumindest relativ - zu verbessern.
Soweit ein kurzer Überblick zur Entstehung des GATT und zu den unterschiedlichen Interessen, die mehr als sieben Jahre lang die Verhandlungen im Rahmen der Uruguay-Runde geprägt hatten. Diese Verhandlungsrunde wurde im Dezember 1993 abgeschlossen, und im April 1994 wurden die Vertragstexte im marokkanischen Marrakesch von 115 Nationen unterzeichnet. Eine Bewertung der Verhandlungsergebnisse soll an dieser Stelle nicht vorgenommen werden, da dies ohne die Berücksichtigung der jeweils bestehenden Rahmenbedingungen einer Volkswirtschaft nicht zweckdienlich erscheint. Dies wird an anderer Stelle am Beispiel Indiens nachgeholt werden.
5 Wirtschaftliche Entwicklung in Indien
Wenn von Beobachtern das Jahr 1991 als wichtiger Wendepunkt in der indischen Wirtschaftspolitik bezeichnet wird, dann meinen sie vor allem die nach der Wiederwahl der Congress-Partei einsetzende Liberalisierung. Betrachtet man sich jedoch die Entwicklung der Politischen Ökonomie des Landes genauer, dann wird deutlich, daß die indische Wirtschaftsordnung bereits Mitte der 80er Jahre keineswegs jener zu Beginn der 50er Jahre mehr ähnlich war (Ghose 1990: 171). Es hatten seither erhebliche Veränderungen stattgefunden, die sowohl für die Wirtschaftsstruktur des Landes, ihre Ordnungsprinzipien, aber auch für die jeweils vorherrschenden Machtkoalitionen bedeutsam waren.
Zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit war der industrielle Sektor des Landes relativ unbedeutend und zu einem großen Teil auch von ausländischem, vorwiegend britischem Kapital dominiert (vgl. Kidron 1965). Dort, wo sich Industrien in indischen Händen befanden, handelte es sich vor allem um „agro-based industries and repair shops“ (Swamy 1994: 39). Eine nationale Schwerindustrie nennenswerten Umfangs gab es ebensowenig wie eine Konsumgüter- oder Investitiongsgüterindustrie. Die Landwirtschaft war größtenteils von feudalistischen Strukturen geprägt, und ihr Produktionsniveau war auf einem extrem niedrigen Stand.
In den 90er Jahren weist Indien eine diversifizierte Wirtschaftsstruktur auf (vgl. Ahluwalia 1988; Betz 1988); die Industrie deckt nahezu alle Branchen bis hin zur Weltraum- und Computerindustrie ab. Die Produktionssteigerungen in der Landwirtschaft waren groß genug, um nicht nur das Bevölkerungswachstum zu kompensieren, sondern Indien ist inzwischen vom Importeur zum Exporteur von Nahrungsmitteln geworden.
Trotz dieser auf den ersten Blick positiven Entwicklung muß zu Beginn der 90er Jahre festgestellt werden, daß das Problem der Armut, Unter- und Mangelernährung für einen Großteil der indischen Bevölkerung noch keineswegs als gelöst gelten kann und daß sich die indische Wirtschaft in ihrer bislang schwersten Krise befindet; und dies, obwohl das vorausgegangene Jahrzehnt ein bislang unerreichtes Wirtschaftswachstum gebracht hatte, und Indien seine Exporte so stark steigern konnte wie zu keinem Zeitpunkt zuvor (Mehta 1988: 208ff).
Wenn 1991 die Rufe nach Anbindung der indischen Wirtschaft an den Weltmarkt, nach Zurückdrängung staatlichen Einflusses aus der Wirtschaft und nach Reduzierung von Subventionen von vielen Seiten immer lauter wurden, dann kann die Ursache solcher Forderungen nur aus der historischen Genese der Politischen Ökonomie verstanden werden, d.h. aus der Entwicklung der Machtkonstellationen zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen.
5.1 Die Ordnungsprinzipien der indischen Wirtschaft
Die indische Wirtschaftsordnung entspricht der einer „gemischten Wirtschaft“ (mixed economy), d.h. ihre Ordnungsprinzipien enthalten sowohl privat- als auch planwirtschaftliche Elemente. Die Anfänge einer solchen Ordnung können bis in die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg zurückverfolgt werden, wobei der Krieg selbst als der entscheidende Wegbereiter für eine solche Entwicklung anzusehen ist. Die Kriegswirtschaft begünstigte einen interventionistischen Staat, und wichtige Elemente indischer Entwicklungskonzeptionen sind während der Zeit zwischen 1939 und 1945 entstanden.
Zwei wichtige Prinzipien indischer Ordnungspolitik haben in dieser Zeit ihren Ursprung, ein weiteres reicht in seiner Entstehung noch weiter in die Vergangenheit zurück:
1. durch den „ Bombay Plan “1, der 1944 vom indischen Großunternehmern entworfen wurde, erhielt der Staat die Rolle zugewiesen, Wirtschaftsbereiche abzudecken, die zumeist sehr kapitalintensiv und kurz- bis mittelfristig als wenig renditeträchtig angesehen wurden. Die privaten Unternehmen sollten dagegen in solchen Bereichen agieren können, die gute Gewinne auch kurzfristig zuließen.
2. durch die Versorgungsengpässe mit Nahrungsmitteln, die 1943 u.a. zur großen Hungerkatastrophe von Bengalen führte (vgl. Sen 1981), begann eine systematische staatliche Intervention bei der Nahrungsmittelversorgung der Bevölkerung der hauptsächlich städtischen Zentren. Von der indischen Zentralregierung und einzelnen Provinz-regierungen wurde mit dem Aufbau eines staatlichen Interventionsapparates im Nahrungsbereich begonnen, der im unabhängigen Indien weiter ausgebaut wurde.
3. die politische und administrative Ordnung Indiens wurde bereits erheblich früher in die Wege geleitet. Mit der Verfassungsreform von 1935 (Government of India Act) wurde in großen Teilen die politische Ordnung des unabhängigen Indiens vorweggenommen.
5.1.1 Indiens » mixed Economy « und die Phase des Self Reliance
Bei der Gestaltung der Wirtschaftsordnung im unabhängigen Indien konnten sich die Vertreter des indischen Großunternehmertums weitgehend durchsetzen. Mit dem „Cripps-Bevin-Plan“ hatten die Briten 1942 eine Schwerpunktsetzung bei der indischen Landwirtschaft erreichen und die industrielle Entwicklung darauf aufbauend durch staatliche und private Unternehmen vorantreiben wollen. Obwohl dieser Plan bereits eine gemischte Wirtschaftsordnung vorwegnahm, wurde er niemals veröffentlicht, sondern vom Vizekönig fallengelassen (Rothermund 1985: 147). Innerhalb des Indischen Nationalkongresses konnten sich die Vorstellungen von Mahatma Gandhi und seinen Anhängern ebenfalls nicht durchsetzen, die der Förderung der Landwirtschaft und des Dorfhandwerks erste Priorität einräumen wollten (Madan 1989; Rao 1992). Während 1944 die wichtigsten Repräsentanten des Indischen Nationalkongresses inhaftiert waren, wurde von führenden Vertretern der indischen Wirtschaft ein Fünfzehnjahresplan (Bombay-Plan) vorgelegt, in dem die Schwerpunkte der späteren Wirtschaftspolitik bereits enthalten waren. Kernstück dieses Planes war die rasche Industrialisierung Indiens, wobei die Investitionen in der Schwerindustrie von staatlicher und die der Konsumgüterindustrie von privater Seite bereitgestellt werden sollten. Der landwirtschaftliche Sektor sollte das Wachstum der Industrie unterstützen (Ghose 1990: 173ff; Rothermund 1985: 148).
Im landwirtschaftlichen Sektor waren die ersten Jahre nach der Unabhängigkeit von dem Versuch geprägt, die feudalen Verhältnisse in der Landwirtschaft zu zerschlagen. Von staatlicher Seite wurde dies jedoch nur halbherzig angegangen und von Seiten der feudalen Landlords durch vielerlei Strategien umgangen (Baru 1990; Bhalla 1990).
Mit dem eingeschlagenen Wachstumskonzept sollten vor allem die Bedingungen der Kapitalakkumulation verbessert werden. Spar- und Investitionsraten sollten erheblich gesteigert werden, denn zum Aufbau einer funktionierenden Infrastruktur, einer modernen Industrie und Landwirtschaft und eines modernen Sozialsystems war Kapital in einer Höhe notwendig, das bei Erlangung der Unabhängigkeit nicht zur Verfügung stand (Chakravarty 1990; Kabra 1990; Krishnaswamy 1991; Krishnamurthy et al. 1990; Lucas 1988). Die Schwierigkeiten bei der Steigerung von Investitions- und Sparrate bestanden in erster Linie darin, daß sich sowohl die industrielle als auch die agrare Elite hohe, schnelle und risikolose Gewinne auf ihre Investitionen erhoffte, die jedoch aufgrund des hohen Investitionsbedarfs und der geringen Kaufkraft großer Teile der indischen Bevölkerung kaum erreichbar waren. Investitionen wurden daher nur zögerlich vorgenommen (Kabra 1990: 156; Sen 1982: 91). Unter den gegeben Bedingungen wurde es von den politischen Entscheidungsträgern als unerläßlich angesehen, daß neben der privaten Wirtschaft der Staat selbst als Investor auftrat sowohl was den Ausbau der Infrastruktur als auch den der Industrie betraf (Tendulkar 1990).
Zudem führten auch sicherheitsrelevante Aspekte dazu, daß die Bereiche der Rüstungsindustrie und große Teile der Schwerindustrie der staatlichen Domäne zugeschrieben wurden. Gleichzeitig wurde eine Agrarreform geplant, um die quasifeudalen Zustände in der indischen Landwirtschaft zugunsten einer kapitalistischen Landwirtschaft zu verändern, in der Kapitalakkumulation und Reinvestition stattfinden konnte. Dabei sollten nicht nur die Produktionsverhältnisse modernisiert werden, sondern als sehr wichtig wurde auch die Abschaffung der ländlichen Geldverleiher angesehen. An deren Stelle sollte ein formeller ländlicher Kreditsektor rücken, der notwendig für die Kapitalisierung der Landwirtschaft angesehen wurde, aber auch mithelfen sollte, die Sparquote in ländlichen Regionen anzuheben (Randhawa 1986-IV: 216ff).
Mit der so vorgenommenen Zuteilung einzelner „Aufgabenbereiche“ im Rahmen der wirtschaftlichen Entwicklung Indiens konnte die indische Unternehmerschaft leben (Kabra 1990: 158; Madan 1989: 135).
Der industrielle Sektor wurde in drei Kategorien eingeteilt, wobei Kategorie A jene Zweige umfaßte, die ausschließlich staatlicher Betätigung vorenthalten bleiben sollten; Kategorie B waren solche Zweige, in denen Betriebsneugründungen vornehmlich von öffentlicher Hand vorgenommen werden sollten, Privatunternehmen jedoch auch zugelassen waren. Die restlichen Zweige sollten weitgehend von privaten Unternehmen betrieben werden (Bellinghausen 1966; Chenoy 1990; Dhar 1988; Kapila 1990).
Mit der Zweiteilung der wirtschaftlichen Ordnung (staatlich/privat) wurden auch eine Wirtschaftsplanung und eine Investitionskontrolle notwendig. Der Einfluß des Staates beschränkte sich nicht nur darauf, daß er selbst als Unternehmer tätig wurde und die Infrastruktur für die privaten Unternehmen aufbaute, sondern ihm fiel auch die Rolle eines Koordinators des Wirtschaftsprozesses zu. Er tat dies einerseits in Form von Wirtschaftsplänen (Fünf-Jahres-Plänen), in denen ein Orientierungsrahmen für die wirtschaftliche Entwicklung festgelegt und den einzelnen Wirtschaftsbereichen Haushaltsmittel zugewiesen wurden. Andererseits versuchte er durch ein aufwendiges Lizenzierungsverfahren, Kontrolle über die private Wirtschaft zu erhalten (Lucas 1988).
5.1.2 Indien zwischen kapitalistischer und sozialistischer Welt
So wie Indien in seiner Wirtschaftsordnung versuchte, sozialistische und kapitalistische Elemente zu verknüpfen, hat es auch bei seinen Außenbeziehungen vermieden, feste Position in Bezug auf die beiden rivalisierenden Weltmächte zu beziehen (Kidron 1965: 113ff). Da der ehrgeizig geplante Aufbau einer staatlichen Industrie nicht ohne ausländische Kapital- und Technologiehilfe verwirklicht werden konnte, wandte sich der indische Staat zuerst der Sowjetunion und anderen Ostblockstaaten zu (Swamy 1994: 51).
Erst als Indien gegen Ende der 50er Jahre seine erste Wirtschaftskrise nach der Unabhängigkeit durchlebte, suchte es auch verstärkt Hilfe in der kapitalistischen Welt (Kidron 1965: 119ff; Paranjape 1986: 60; Srinivasan 1992: 138). Ein starker Rückgang der Devisenreserven hatte dazu geführt, daß die Investitionen im staatlichen Wirtschaftsbereich stark eingeschränkt werden mußten.1 Indien fragte deshalb bei westlichen Industriestaaten und der Weltbank um Kredite nach (Dhar 1988: 6). Gleichzeitig versuchte die indische Regierung, westliche Investoren zu ermutigen, in Indien Betriebe zu errichten. Um seiner privaten Industrie Investitionsanreize zu geben, wurden Wirtschaftsbereiche, die bislang ausschließlich staatlichen Investitionen offenstanden, für die private Wirtschaft geöffnet (Kidron 1965: 143-51). Die Weltbank, der IWF und das Aid India Consortium 2 erklärten sich bereit, Indien einen Kredit in Höhe von 600 Millionen US-Dollar zu geben, allerdings nur unter der Bedingung, daß das Land seine Zugangsbeschränkungen für ausländische Investoren weiter lockerte. Erst als Indien sich dem westlichen Druck beugte, erhielt es den Kredit.
Auch wenn die Kreditbewilligungen durch das Aid India Konsortium in den folgenden Jahren aus politischen Gründen3 hinter den gemachten Zusagen zurückblieben, konnten ausländische Unternehmen ihre Präsenz in Indien stark ausweiten. Während 1948 der Anteil bei der Industrieproduktion ausländischer Unternehmen bei 28 Prozent lag, konnte er sich bis 1961 auf 38 Prozent erhöhen (Swamy 1994: 62).
Als schwerwiegendste Probleme der Wirtschaftsentwicklung stellten sich jedoch immer deutlicher das geringe Wachstum der KonsumgüterIndustrie und die ungenügende Nahrungsmittelproduktion der indischen Landwirtschaft heraus. Verursacht wurde das geringe Wirtschaftswachstum nicht etwa durch ungenügende industrielle Kapazitäten, sondern durch die geringe Nachfrage nach Konsumgütern (Ahluwalia 1988; Kalecki 1965).
Die Landreform war fehlgeschlagen, und die verfügbaren Ressourcen flossen zum größten Teil in den Ausbau der Industrie anstatt in die Landwirtschaft (Parthasarathy 1990). Das niedrige Produktionsniveau der Landwirtschaft blieb so zunächst bestehen, und geringe Erzeugerpreise führten zusätzlich dazu, daß die Mehrheit der indischen Bevölkerung weiterhin unter der Armutsgrenze lebte und schon deshalb kaum langlebige Konsumartikel erwerben konnte. Auch ein weiterer Versuch einer Landreform in den 60er Jahren wurde von der ländlichen Elite zur Wirkungslosigkeit verurteilt, die Unterstützung von der Weltbank und der Ford Foundation bekam, die bereits 1958 in der Landreform keine Lösung des Problems einer ungenügenden Produktion von Nahrungsmitteln sahen. Sie traten vielmehr für eine technologische Modernisierung der Landwirtschaft ein.
Mitte der 60er Jahre erlebte Indien eine neuerliche Finanzkrise. Der Indisch-Chinesische Krieg (1962) hatte die Rüstungsausgaben weit über die Zuweisungen im Fünf-Jahres-Plan hinausschießen lassen (Dhar 1988: 6) und die Produktionsergebnisse der staatlichen Unternehmen blieben deutlich hinter den gesteckten Erwartungen zurück. Die wirtschaftliche weitete sich bald zur politischen Krise aus, die damit begann, daß die Planungskommission von mehreren Seiten heftig kritisiert wurde. Von der ländlichen Elite, weil sie den größten Teil der Ressourcen für die Industrialisierung anstatt zur Modernisierung der Landwirtschaft bereitstellte. Kritik von Seiten der privaten Unternehmer an der Planungskommission kam auf, weil diese in ihr den Grund sah, daß das wirtschaftliche Wachstum in Indien hinter seinen Potentialen zurückblieb. Von ausländischen Investoren wurde zusätzlich kritisiert, daß die Planungskommission ihre Entfaltungsmöglichkeiten behinderte.
Die Weltbank sah in der wirtschaftlichen und politischen Krise die Gelegenheit, die indische Wirtschaftsordnung erneut in Frage zu stellen, vor allem die staatlich dominierten Bereiche (Ganguly 1992). Als Indien 1965 um einen Kredit in Höhe von 1,6 Mrd. US-Dollar bei der Weltbank nachfragte, bestand diese (a) auf einer Veränderung der nationalen Agrarpolitik, d.h. statt Landreform sollte der Modernisierung der Landwirtschaft Vorrang eingeräumt werden, (b) auf die Liberalisierung der Industriepolitik, vor allem auf die Abschaffung des Lizenzsystems und (c) auf eine Abwertung der indischen Währung (Ganguly 1992; Swamy 1994: 76-88). Zunächst zeigte die indische Regierung wenig Interesse, sich diesem Druck zu beugen und die Forderungen zu erfüllen.
Als durch den Indisch-Pakistanischen Krieg (1965) von den USA sämtliche Entwicklungsgelderzusagen an Indien (und Pakistan) eingefroren wurden, in Indien aufgrund einer schweren Dürre die Nahrungsmittelproduktion stark zurückging und die Preise für Nahrungsmittel erheblich anstiegen, verstärkte sich der Druck auf die indische Regierung (Dhar 1988: 6f). Die amerikanische Regierung zögerte, mit Weizenlieferungen die schlechten Ernteergebnisse in Indien auszugleichen. In Indien selbst setzten die ländliche Elite und die privaten Unternehmer die Regierung heftig unter Druck. Unter diesem Druck wurde von der Regierung der Vierte Fünf-Jahres-Plan ausgesetzt und ein Plan für 1966/67 verabschiedet, in dem die Modernisierung der Landwirtschaft und die Liberalisierung der Importpolitik eingeleitet wurde.
Von der Weltbank war errechnet worden, daß mit einem Kredit von 900 Millionen US-Dollar Importe zum Aufbau weiterer Industriekapazitäten durchgeführt werden könnten, die das Land durch die empfohlene Abwertung seiner Währung befähigen sollte, sein Exportvolumen beträchtlich auszuweiten. Eine von der indischen Regierung in Auftrag gegebene Studie ergab jedoch, daß das Wachstum der indischen Industrieproduktion nicht von mangelnden Kapazitäten behindert wurde, sondern durch eine fehlende Nachfrage, die dazu führte, daß noch nicht einmal die bestehenden Industriekapazitäten voll ausgeschöpft waren (Chakravarty 1979: 1241; Lucas 1988: 190; Mehta 1988: 206).
Auf Drängen der Weltbank wurde die Importliberalisierung dennoch beschlossen, wobei die indische Regierung zunächst weniger die Beschränkungen für Warenimporte verminderte, sondern ausländischen Unternehmen den Zugang erleichterte. Vor allem in den Bereichen Dünge- und Schädlingsbekämpfungsmittel konnten sich ausländische Unternehmen engagieren, wobei ihnen von der indischen Regierung sogar Sonderkonzessionen eingeräumt wurden (Swamy 1994: 80).
Zwei Bedingungen der Weltbank (Umorientierung in der Agrarpolitik; Importliberalisierung) waren damit erfüllt. Die dritte, nämlich die Abwertung der indischen Rupie, wurde jedoch weiter hinausgezögert. Erst als die Weltbank und die amerikanische Regierung weitere Kredite von einer Abwertung abhängig machten, wurde im Juni 1966 die indische Rupie gegenüber dem amerikanischen Dollar um 36,5 Prozent abgewertet (Agarwal 1970; Salam 1994: 214; Srinivasulu 1994: 220; Srinvasan 1992: 139). Nur zehn Tage danach nahmen die USA und die Weltbank die Wirtschaftshilfe an Indien wieder auf (Swamy 1994: 82). Trotz der Abwertung gingen 1966-67 die Exporteinnahmen gegenüber dem Vorjahr um acht Prozent zurück (Dhar 1988: 7).
Wie schon in den 50er Jahren ging die amerikanische Wirtschaftshilfe an Indien bald wieder deutlich zurück, und bis zum Jahr 1972 hatte sich sogar ein Nettokapitalabfluß von 120 Millionen US-Dollar eingestellt (Dhar 1988: 8; vgl. Muralidharan 1994).
5.1.3 Zusammenfassung: Die Phase der importsubstituierenden Wirtschaftspolitik
Mit der Umorientierung der Agrarpolitik und einer immer weiter gehenden Liberalisierung der Importpolitik ging Mitte der 60er Jahre die eigentliche Phase der importsubstituierenden Wirtschaftspolitik im Grunde genommen bereits zu Ende (vgl. Kabra 1990; 167ff.; Sen 1982: 629f.). Die zur Modernisierung der Landwirtschaft benötigten Inputs (Düngemittel, Pestizide, Saatgut) mußten trotz bemerkenswerter Erfolge beim Aufbau eigener Industrien zu beträchlichen Teilen jahrelang noch importiert werden (vgl. für Düngemittel: Agrawal 1993: 133; Economic Survey 1993-94: S-27;S-87 - S-89).
Mit dieser Entscheidung wurde auch die Durchführung einer Landreform endgültig aufgegeben. Der Widerstand der ländlichen Elite und der häufig mit ihr verbündeten Landesregierungen machte eine Umverteilung von Land an Landlose sowie die Errichtung von Genossenschaften wirkungslos (Lakdawala 1991). Nach 1966 wurden die Planzuweisungen für die Landwirtschaft viel stärker gesteigert als jene für die industriellen Bereiche, wobei die Mittel hauptsächlich der ländlichen Oberschicht zuflossen.
Die zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit bestehende Interessenallianz zwischen Staat und privater Wirtschaft begann langsam zu zerbrechen. Die „gemischte Wirtschaftsordnung“ wurde von den privaten Unternehmern immer mehr in Frage gestellt und mit Unterstützung der Weltbank zunehmend verwässert. Der staatliche Einfluß auf das Wirtschaftsgeschehen hatte inzwischen eine neue Elite hervorgebracht. Da durch den Planungsprozeß die Ressourcen jeweils bestimmten Wirtschaftsbereichen zugewiesen wurden, konnten jene Bürokraten, die mit der Vergabe von Lizenzen betraut waren, aus ihrer Machtposition ein zusätzliches (illegales) Einkommen erwirtschaften. Mit der Durchführung staatlicher Entwicklungsaufgaben wurde auch eine Entwicklungsbürokratie geschaffen, bei der ebenfalls ein Teil der vorgesehenen Gelder „zweckentfremdet“ wurde. Eine weitere Nische wurde von Mittelmännern eingenommen, die ihr Wissen und ihre Kontakte zu staatlichen Behörden profitabel umsetzen konnten (Swamy 1990; 1994). Da diese Klassen eine großen Teil ihres Einkommens der starken Stellung des Staates in der Wirtschaft verdankten, standen (und stehen) sie einer Zurückdrängung des staatlichen Einflußes auf die Wirtschaft ablehnend gegenüber.
Mit dem Jahr 1966 ging auch die Zeit der unangefochtenen politischen Dominanz der Congress-Partei zu Ende. In mehreren Bundesstaaten büßte die Partei 1967 erstmals ihre Mehrheit ein, und die vom Congress geführte Zentralregierung sah sich fortan immer häufiger einer Opposition in vielen Bundesstaaten gegenüber.
5.2 Die Phase der Systemkrise: 1966-77
Mit dem Einfluß, den die USA als wichtiger Nahrungslieferant erworben hatten, nahmen die Bemühungen Indiens zu, in der Nahrungsmittelversorgung unabhängiger zu werden (Bhatia 1990: 207f). Mit der Modernisierung der Landwirtschaft wurde jedoch die Abhängigkeit Indiens von Nahrungsmittelimporten lediglich hin zu Importen landwirtschaftlicher Betriebsmittel verlagert. Dies verstärkte die Abhängigkeit, weil nun nicht mehr nur das Produktionsdefizit in Dürrejahren eine Außenabhängigkeit darstellte, sondern die produktivsten Agrarregionen Indiens und damit ein bedeutender Teil der NahrungsmittelProduktion (ob in guten oder schlechten Jahren) von außen beeinflußt werden konnte.
Insgesamt wuchs die indische Industrie nach 1966 bedeutend langsamer als zwischen 1951 und 1966, wobei die privaten Unternehmen stärker als zuvor expandieren konnten. Der staatliche Anteil ging hingegen zurück, sowohl was das Wachstum der Investitionen als auch der Produktion betraf. Industrielle Massenprodukte fanden sich nun auch immer häufiger auf ländlichen Märkten, wo sie von der Oberschicht, deren Kaufkraft durch die Modernisierung der Landwirtschaft erheblich gestiegen war, den Produkten der lokalen Produktion vorgezogen wurden (Vaidyanathan 1991: 134).
5.2.1 Neustruktuierung der gesellschaftlichen Machtverhältnisse
Mit der Grünen Revolution wurde die Stellung der ländlichen Elite gefestigt. Bereits zuvor hatten sie die Genossenschaften und lokalen Körperschaften (panchayats) unter ihre Kontrolle bringen können und damit auch den Fluß der Entwicklungsgelder für den landwirtschaftlichen Bereich (Parathasarathy 1991). Mit den landwirtschaftlichen Produktionssteigerungen wurde auch das industrielle Wachstum positiv beeinflußt, nicht zuletzt deshalb, weil die notwendigen Produktionsmittel der Landwirtschaft auch ein Wachstum in den vorgelagerten Industriebereichen mit sich brachte.
Die Privatunternehmen, die sich nun immer deutlicher gegen den staatlichen Industriebereich aussprachen, konnten jedoch ohne die Mithilfe der Bürokratie nicht expandieren. Sie waren nach wie vor auf die Vergabe von Lizenzen angewiesen. Von den privaten Unternehmen wurde daher zunächst gefordert, daß der staatliche Sektor sich zukünftig nur noch aus seinen Gewinnen finanzieren sollte und die Mittelzuweisungen aus den öffentlichen Haushalten stark gekürzt werden müssten.
Im Jahr 1967 hatten diese Forderungen, die vor allem von der Swatantra Partei, einer Koalition der privaten Großindustrie und ländlichen Oberschicht, zur Wahlniederlage der Congress-Partei in neun Bundesländer geführt (Swamy 1994: 123). Um die Allianz zwischen privater Großindustrie und der Swatantra Partei zu zerstören, verbot Indira Gandhi 1967 Parteispenden durch Unternehmen. Die feudalen Repräsentanten (Maharajas) verloren ihre Privilegien und waren fortan einer strengen Überwachung durch die Finanzbürokratie ausgesetzt.
Steigende Arbeitslosigkeit und Armut, die durch die Wirtschaftskrise noch verschärft wurden und eine hohe Inflation führten dazu, daß die politische Ordnung Indiens in Unruhe geriet.
„The misery caused by the deepening economic crisis, and the fact that as State patronage to the rural rich increased, they became more and more oppressive. [...] Since that time there have been widespread revolts of the rural poor in the plains and the tribals in the forests“ (epw 23.03.1985: 499).
Zunächst schien es, als ob die regierende Congress-Partei auf diese Herausforderung mit einem „Linksruck“1 reagieren würde, doch schon sehr bald zeigte sich, daß Indira Gandhi bereit war, darauf mit autoritären Mitteln zu reagieren. Sie konnte zwar in den Wahlen von 1971 durch eine populistische Politik, die die Beseitigung der Armut in den Mittelpunkt rückte (Garibi Hatao = fort mit der Armut), ihre Machtposition noch einmal stabilisieren, mußte aber in den folgenden Jahren zu immer drastischeren Mitteln greifen, um die wachsende Unzufriedenheit in Indien unter Kontrolle halten zu können.
Durch die Dürre von 1972 verarmten viele der Landwirte, die noch wenige Jahre zuvor durch die Grüne Revolution profitieren konnten. Sie konnten ihre Situation auch nicht verbessern, als ab 1974 die Ernteergebnisse wieder stark zunahmen. Die Kostensteigerung für landwirtschaftliche Betriebsmittel (Düngemittel, Treibstoffe, Pestizide) und landwirtschaftliche Kredite führten dazu, daß trotz erheblicher Subventionen die in der Landwirtschaft erwirtschafteten Profite nach 1973 zurückgingen (vgl. Swamy/Gulati 1986; Rao 1991; Vaidyanathan 1991: 134).
Als Indira Gandhi im Frühjahr 1973 den Großhandel mit Nahrungsgetreide verstaatlichen wollte, wurde dies von der ländlichen Oberschicht als direkter Angriff gewertet und führte bei Landwirten und Händlern zu heftigen Protesten und Boykottmaßnahmen, die die Nahrungsmittelpreise heftig ansteigen ließen. Im September 1973 mußte Indira Gandhi ihre Entscheidung beim Reis und im März 1974 beim Weizen wieder zurücknehmen (Swamy 1994: 141f; vgl. Bapna 1990).
Die Finanzsituation der indischen Regierung hatte sich ebenfalls wieder stark verschlechtert. Die schlechten Ernteergebnisse von 1972 und 1973, der dritte Indo-Pakistanische Krieg von 1971, die Ausgabensteigerungen, die durch die populistische Politik Indira Gandhis verursacht wurden (Nahrungsmittelsubventionen, Teuerungszuschlag für Beschäftigte im staatlichen Sektor) und der Ausbau der Polizeikräfte hatten die Staatsausgaben stark ansteigen lassen und verschärften die inflationären Tendenzen in Indien. Verschlimmert wurde die Situation dadurch, daß die USA nach dem Indo-Pakistanischen Krieg von 1971 ihre Wirtschaftshilfe an Indien eingestellt hatten und sich durch die Ölpreiskrise 1973/74 das Zahlungsbilanzdefizit Indiens deutlich verschlechterte (Thornton 1992).1 Weiner (1989) beschreibt die politische und wirtschaftliche Situation Indiens 1974 wie folgt:
„The business community was able to make its profits, create untaxed wealth, and protect itself against stringent taxation, but it had not been free enough to play an expansive role in the economy. The bureaucracy had not demonstrated that it could run the public sector profitably or productively, but it could impose restrictions on the expansions of the private sector, limit the investment of larger industrial houses, and with the support of the left, threaten to nationalise industries. The peasant proprietors (the middle and rich farmers), at least those who lived in areas with assured irrigation, demonstrated their ability to substantially raise agricultural productivity, but they were politically able to resist efforts to impose an agricultural income tax. It was this balance of forces that created limits on India's capacity to tax, to raise the rate of savings, expand investment, and thereby substantially increase economic growth. And it was the same balance of forces that limited the capacity of the government to achieve a more equitable distribution of wealth and income“ (Weiner 1989: 283f).
Wie schon bei den Wirtschaftskrisen zuvor suchte Indien auch diesmal die Hilfe der westlichen Industrienationen, und auch diesmal wurde diese Hilfe nicht ohne Bedingungen gegeben. Als Indien 1974 beim Internationalen Währungsfond um einen Kredit nachfragte, wurde dieser mit folgenden Auflagen bewilligt:
1. Indien sollte seine Importe weiter liberalisieren und die Exporte durch eine weitere Abwertung der indischen Rupie ausweiten.
2. die indischen Staatsausgaben sollten eingefroren werden.
3. die indische Regierung sollte Investitionsanreize für die private Industrie schaffen, die Löhne auf dem damaligen Stand einfrieren sowie ein Streikverbot erlassen.
Die indische Regierung stellte ihre Entschlossenheit, das Investitionsklima in Indien zu verbessern, sehr bald unter Beweis, als sie im Mai 1974 einen Streik der Eisenbahnergewerkschaft verhinderte, indem sie 50.000 streikwillige Arbeiter und Gewerkschaftsfunktionäre inhaftierte (Schmitt 1982: 150). Im Juli 1974 wurden die Löhne der staatlichen Bediensteten eingefroren, eine verschärfte Geldpolitik beschlossen, Importbeschränkungen für viele Produkte abgeschafft bzw. verringert und das Lizenzierungsverfahren weiter vereinfacht und beschleunigt (Swamy 1994: 147).
5.2.2 Der nationale Ausnahmezustand unter Indira Gandhi
1971 war Indira Gandhi mit dem Motto zur Wahl angetreten, einen erbitterten Kampf gegen die Armut und auch gegen die indische Großindustrie und ausländische Unternehmen in Indien führen zu wollen. Während in einer Zeit, in der das wirtschaftliche Wachstum stagnierte, die großen Unternehmen (sowohl indische als auch ausländische) in Indien ihre Umsätze und Profite deutlich vergrößern konnten, verschärften sich die sozialen Gegensätze jedoch immer mehr. Bereits 1973 kam es in vielen Städten Indiens zu gewalttätigen Ausschreitungen von Studenten, Unberührbaren und Landarbeitern. Auch 1974 kam Indien nicht zur Ruhe. Die Inflationsrate kletterte auf über 30 Prozent, und überall machte sich Unmut gegen die Regierung breit. Im Bundesstaat Gujarat wurden Lagerhäuser geplündert, und die Regierung konnte nur mit Hilfe der Armee wieder „Ruhe und Ordnung“ herstellen. In Bihar brach ein Aufstand gegen die dortige Congress-Regierung aus, der ebenfalls nur mit Hilfe der Armee niedergeschlagen werden konnte. Zum größten Teil wurden die Unruhen von Studenten getragen, denen sich jedoch große Teile der übrigen Bevölkerung anschlossen. Unter Führung des angesehenen Gandhianers Jayaprakash Narayan (J.P.)1, stellten die Studenten folgende Forderungen:
1. Änderung der Entwicklungspolitik: Statt Industrialisierung Grundbedürfnisbefriedigung.
2. Beseitigung der Arbeitslosigkeit durch Föderung der Landwirtschaft.
3. Bekämpfung der Korruption.
4. Bekämpfung der Inflation durch harte Bestrafung der Nahrungsmittelspekulation.
5. Rücktritt von Indira Gandhi und Einsetzung einer „Volksregierung“ (Janata Government), bei der lokale Körperschaften die politische Macht ausüben (Narayan 1975).
Als Narayan im Juni 1975 weitere Demonstrationen ankündigte und die Armee dazu aufrief, die Ausführung verfassungsfeindlicher Befehle zu verweigern, rief Indira Gandhi den Nationalen Notstand aus und ließ zwischen 175.000 und 200.000 Personen ohne Gerichtsverfahren inhaftieren (Frank 1977: 465).1
Indira Gandhi versuchte nun, die Defizite ihrer Politik durch populistische Maßnahmen zu verdecken. In einem 20-Punkte-Programm machte sie Versprechungen wie z.B.:
- Senkung der Preise für Grundnahrungsmittel
- Wiederaufnahme und konsequente Durchführung der Landreform
- Annulierung der Schulden der Kleinbauern
- Bereitstellung von Bauland für die ärmeren städtischen Schichten
- Abschaffung der Schuldknechtschaft
- Ausbau des Bewässerungssystems
- Verbesserung der Stromversorgung und des Transportwesens (Schmitt 1982: 151).
In der Realität war die Regierung Indira Gandhis jedoch alles andere als populär. Sie verfolgte eine Politik im Interesse der privaten Industrie und der indischen Mittel- und Oberschicht und erfüllte in weiten Bereichen die ein Jahr zuvor geäußerten Forderungen des IWF und der Weltbank. Als erste Maßnahme beschloß sie ein generelles Streikverbot, senkte die Löhne der Industriearbeiter und verlängerte die Arbeitszeit (vgl. Frank 1977: 465ff).
„Kein Wunder, daß da der Chef einer deutsch-indischen Pharmazeutikfirma äußerte: "Zum ersten Mal seit 17 Jahren waren wir bei den Verhandlungen vor dem Schlichtungsausschuß nicht mehr in der Defensive". Eine Angehörige der Millionärsfamilie Oberoi schwärmte: "Der Ausnahmezustand ist wundervoll. Früher hatten wir dauernd Probleme mit den Gewerkschaften, heute werden diese eingesperrt" (Schmitt 1982: 152; vgl. auch: Frank 1977: 465; Swamy 1994: 153 und Business Standard 29.08.1975).
J.R.D. Tata, einer der bedeutendsten Vertreter der indischen Industrie, begrüßte den Ausnahmezustand:
„Things had gone too far. You can't imagine what we have been through here - strikes, boykotts, demonstrations. [...] The parlamentary system is not suited to our needs“ (zit. nach: Frank 1977: 465).
Der privaten Wirtschaft wurden Steuererleichterungen, Investitionsanreize und Importerleichterungen zugestanden, Lizenzbestimmungen wurden aufgehoben und Importzölle gesenkt. Die Bedingungen für ausländische Unternehmen wurden mit der Liberalisierung des „ Foreign Exchange Regulation Acts (FERA)“ verbessert, der höhere ausländische Beteiligungsanteile zuließ. Gleichzeitig erhielten sie Steuererleichterungen und konnten Gewinne besser in ihr Mutterland transferieren (epw, 04.12.1976: 1884).
Weltbankpräsident Robert McNamara sah darin einen entscheidenden Durchbruch in der indischen Wirtschaftspolitik. Während eines einwöchigen Aufenthaltes in Indien sagte er vor Journalisten:
[...] import policy has been relaxed, a variety of generous subsidies and concessions have been extended to exports, foreign companies are being encouraged to expand under the liberal provisions of FERA, personal income tax and indirect taxes have been cut and there is confident expectation of a cut in the rates of corporation taxation in the next budget. In other words, major advances have been made in the direction of an open, free market, private enterprise economy. The World Bank has never made a secret of the fact that these are the policies it favours. Private businessmen, whether American or British, have sought to conceal their preferences even less. So there is really no reason for the Finance Minister to be bashful“ (epw 20.11.1976: 1909f).
Der Einkommenssteuerhöchstsatz wurde von 77 auf 66 Prozent gesenkt, ebenso die Vermögenssteuer und die Steuer auf Luxusartikel wie Kühlschränke, Fernsehgeräte und PKWs. Während die Zahl der durch Streiks verlorenen Arbeitstage drastisch zurückging (von 11,8 Millionen Arbeitstagen 1971 auf 2,8 Millionen 1976), nahm im selben Zeitraum sowohl die Zahl der Aussperrungen zu (von 4,7 Millionen verlorenen Arbeitstagen auf 9,9 Millionen) (Agrawal et al. 1993: 188) als auch die betriebliche Unfallrate „ which reflect the intensity of work under bad working conditions “ (Swamy 1994: 153). Den meisten Unmut unter der armen Bevölkerung lösten jedoch die Zwangssterilisationen und die brutalen Maßnahmen gegen Slumbewohner aus, von denen hunderttausende Menschen betroffen waren (Schmitt 1982: 64; vgl. auch iz3w, Nr.54(1987): 31).
Noch unter der Regierungszeit von Indira Gandhi konnte die wirtschaftliche Rezession überwunden werden (Ahluwalia 1988: 156; Nayyar 1990; Rangarajan 1988: 257). Gute Ernteergebnisse in den Jahren 1975 und 1976 hatten dafür gesorgt, daß Nahrungsmittelimporte stark verringert werden konnten, daß die staatlichen Getreidevorräte auf 18 Millionen Tonnen angewachsen und die Preissteigerungsraten deutlich zurückgegangen waren. Durch die Entlastungen bei den Nahrungsmittelimporten konnte Indien 1976 sogar einen Außenhandelsüberschuß von 77 Millionen US-Dollar erzielen und bei seinen Währungsreserven, die sich gegenüber dem Vorjahr verdoppelten, mit über 3 Mrd. US-$ einen neuen Höchststand erreichen (Economic Survey 1993-94: S-86, S-74).
Die makroökonomische Gesundung und die autoritäre Herrschaft Indira Gandhis fallen demnach zusammen (Kulke/Rothermund 1982: 352) und verdeutlichen, daß wirtschaftliche Indikatoren keine zuverlässigen Aussagen über den Entwicklungsstand eines Landes machen können. Während die Wirtschaft zu einer bislang unbekannten Blüte aufstieg, saßen hunderttausende Oppositionelle in indischen Gefängnissen, war die Pressefreiheit aufgekündigt, wurden Streiks von Polizei und Militär blutig niedergeschlagen, wurden hunderttausende Slumbewohner in Bombay, Neu Delhi, Kalkutta und anderen Städten gewaltsam aus ihren Behausungen vertrieben1 und Millionen Männer und Frauen von der Polizei zur Durchführung von Zwangssterilisationen abgeführt.2 Zwischen 1971 und 1977 stieg die Anzahl der Menschen unter der Armutsgrenze nicht nur um 66 Millionen Personen an, sondern die Armutsquote erhöhte sich ebenfalls, vor allem im ländlichen Indien (Agrawal et al. 1993: 55).
5.3 Die Janata-Regierung von 1977-1979
Als Moraji Desai 1977 das Amt des Premierministers übernahm, gestützt durch eine Koalitionsregierung, die von der extremen Linken bis zur extremen Rechten große Teile des indischen Parteienspektrums abdeckte, wurde der wirtschaftliche Aufschwung keineswegs als Anlaß zur Zufriedenheit empfunden, denn Arbeitslosigkeit und Armut waren in Indien so stark verbreitet wie selten zuvor. Mit einer Wirtschaftspolitik, die sich nach Aussage ihres Schöpfers Charan Singh stark an den Vorstellungen Mahatma Gandhis orientierte, wollte die neue Regierung die sozialen Probleme des Landes überwinden (Singh 1978).
Die Kernpunkte des von Singh entworfenen Wirtschaftskonzeptes räumten der Förderung der Landwirtschaft und des ländlichen Raumes einen größeren Stellenwert ein als der Industrie und den städtischen Zentren. Der staatliche Bereich sollte gegenüber der privaten Wirtschaft wieder gestärkt werden. Außerdem sollten die kleinen Industrie- und Handwerksbetriebe gegen die Konkurrenz aus der Großindustrie besser geschützt werden, indem die für sie reservierten Produktionsbereiche stark ausgeweitet und für die private Großindustrie ein Einfrieren der Kapazitäten beschlossen wurde (Datt 1987: 295f).
Bereits an der Person Charan Singhs, dem Architekten dieser Wirtschaftsreform und mächtiger Bauernführer, wird deutlich, daß die Förderung der Landwirtschaft den erneuten Versuch einer Landreform nicht beinhalten konnte. Dazu war die Regierung viel zu heterogen und vor allem zu sehr von der agraren Elite dominiert. So schreibt Singh (1978):
„Anyway, the believe that distribution of surplus land available on imposition of ceilings was going to solve the problem of the Harijans, the landless or the marginal farmers and thus remove the poverty of the rural society to any appreciable degree, has proved a delusion. [...] The ultimate solution of the economic problem not only of agricultural labourers but also of tens of millions of other poor or unemployed and underemployed persons in the country will depend, by and large, on development of non-agricultural resources. [...] The Janata Party and its government should now create such conditions that all those who are unemployed and underemployed including agricultural labourers and the very small farmers as also the educated unemployed are attracted to cottage and small-scale industries and other small non-agricultural enterprises“ (Singh 1978: 24).
Im Grunde genommen enthielt das „alternative“ Wirtschaftskonzept Singhs alle Elemente, die auch bislang bezeichnend für die indische Wirtschaftsordnung gewesen waren: staatliche und private Unternehmen existieren parallel, ausländische Unternehmen haben eine vom Staat kontrollierte Berechtigung, Agrarpolitik bedeutet Modernisierungspolitik, jedoch keine Umverteilungspolitik etc. Das wirklich Neue an diesem Wirtschaftskonzept war, daß die einzelnen Bereiche neu gewichtet wurden, vor allem das Verhältnis zwischen Industrie und Landwirtschaft. Gemessen an der ideologischen Basis der „Janata“-Regierung war auch wenig anderes zu erwarten. Zu großen Teilen reflektierte dieses Parteienpotpourri den Versuch der ländlichen Elite, die Macht der privaten Großindustrie zu brechen und den Staatsapparat zur Durchsetzung der Ziele der Agrarelite einzusetzen. Die Politik der Janata-Regierung
„kam natürlich insbesondere der reichen und mittleren Bauernschaft zugute, deren Exponent Charan Singh war. Desai, der ein Jahrzehnt zuvor als Finanzminister in Indira Gandhis Kabinett eine Agrarvermögenssteuer konzipiert hatte, um endlich einmal die reichen Bauern, die vom Fiskus bisher ungeschoren gelassen wurden, zur Kasse zu bitten, war nun als Janata-Premier ganz anderer Meinung und wollte von diesem kühnen Plan nichts mehr wissen. Die bewährte indirekte Besteuerung der großen Masse der Bevölkerung wurde beibehalten, statt durch direkte Steuern einflußreiche Schichten zu reizen“ (Kulke/Rothermund 1982: 355).
Die in der Janata-Partei vertretenen ideologischen Gegensätze ließen schon nach etwas mehr als zwei Jahren die Regierung zusammenbrechen, als Charan Singh mit der Janata Party (S) seine eigene Partei gründete und Premierminister Desai daraufhin zurücktrat. Singh wurde vom indischen Präsidenten Sanjiva Reddi zwar mit der Regierungsbildung beauftragt, doch das Amt des Premierministers hatte er nur wenige Monate inne, weil die erste Minderheitsregierung Indiens politisch handlungsunfähig war (Kulke/Rothermund 1982: 356). Ein Mißtrauensvotum durch die ihn bislang unterstützende Congress-Partei brachte im August 1979 seine Regierung zu Fall (vgl. Malhotra 1990: 278).
Nicht eine neue Beliebtheit, sondern eine zerstrittene Opposition verhalfen Indira Gandhi dazu, bei den Wahlen von 1980 wieder die politische Macht in Indien zu erringen. Hinzu kamen eine erneute Wirtschaftskrise und die Zuspitzung gewalttätiger Ausschreitungen von Landbesitzern gegen Harijans, die von der Janata-Regierung nicht energisch unterbunden wurden (Malhotra 1990: 279). So erlebte Indien 1979 den stärksten Ernterückgang seit der Unabhängigkeit,1 und die Preissteigerungsrate für Nahrungsmittel nahm wieder beträchtlich zu, konnte von der Congress-Regierung jedoch durch Intervention auf dem Getreidemarkt gedämpft werden (Agrawal et al. 1993).
Externe Faktoren hatten die neuerliche Wirtschaftskrise Indiens verschärft. Durch den sowjetischen Einmarsch in Afghanistan erlebte der Rüstungswettlauf zwischen Indien und Pakistan einen neuen Höhepunkt. Pakistan konnte die Militärhilfe durch die USA erheblich ausweiten, und Indien versuchte, in diesem Bereich mit Unterstützung durch die Sowjetunion nachzuziehen (Cohen 1992). Innerhalb zweier Jahre (von 1980 - 82) stiegen in Indien die Rüstungsausgaben um mehr als 20 Prozent. Mit den Ölpreissteigerungen 1979 wurde das wirtschaftliche Wachstum ebenfalls beeinträchtigt. Zwischen 1970 und 1980 waren die Ausgaben für Ölimporte von 180 Millionen auf 6,6 Mrd. US-Dollar angestiegen, obwohl sich die Einfuhrmenge noch nicht einmal verdoppelt hatte (Rangarajan 1988). Während 1970 für Ölimporte etwa neun Prozent der Exporteinnahmen aufgewendet werden mußten, waren es im Wirtschaftsjahr 1980/81 fast 80 Prozent (berechnet nach: Economic Survey 1993/94).
Das kurze Regierungsintermezzo der Janata-Partei konnte wegen der ideologischen Zerstrittenheit für Indiens Wirtschaftspolitik keine neuen Akzente setzen. Der Versuch der ländlichen Eliten, sich gegenüber der privaten Großindustrie zu etablieren, war damit fehlgeschlagen.
5.4 Die Phase der beginnenden Globalisierung: 1980-1991
Durch das beträchtliche Ansteigen der Ölpreise und vermehrte Rüstungsimporte verschlechterte sich das Zahlungsbilanzdefizit Indiens nach 1980 erheblich (Nayyar 1988). Zwar nahmen Geldüberweisungen von InderInnen, die in den Golfstaaten Arbeit gefunden hatten, stark zu,1 doch sie reichten bei weitem nicht aus, das zunehmende Handelbilanzdefizit auszugleichen. Die Zahlungsbilanzprobleme konnten während der gesamten 80er Jahre nicht behoben werden, sondern verschlimmerten sich auch dann noch, als die Rohölpreise deutlich zurückgegangen waren. (vgl. Gulati 1982: 727; Economic Survey 1993-94: S-74;S-75f). Wie schon in der Vergangenheit waren besonders die USA auch diesmal dazu bereit, Indien mit Krediten zur Seite zu stehen; hatten sie doch durch den sowjetischen Einmarsch in Afghanistan und den Veränderungen im Iran ein verstärktes Interesse daran, ihren Einfluß in der Region zu stärken.
5.4.1 Die „Neue Wirtschaftspolitik“ in den 80er Jahren
Halbherzige Reformversuche der indischen Wirtschaft hat es nach 1974 immer wieder gegeben. In den 80er Jahren wurden Wirtschaftsreformen jedoch zielstrebiger und vor allem radikaler angegangen (Mehta 1988: 210ff). Der IWF-Kredit von 1981 hat diesen Trend beschleunigt, jedoch keineswegs ausgelöst, denn bereits zu diesem Zeitpunkt waren indische Interessensgruppen stark genug, um eine Liberalisierung der Wirtschaftspolitik voranzutreiben. Der vom IWF 1981 an Indien vergebene Kredit im Rahmen der Erweiterten Fond Fazilität war der bislang größte vom IWF unter diesem Programm vergebene Einzelkredit. Auch wenn Indien den zugesagten Kreditrahmen nicht voll ausschöpfte, war an die Kreditvergabe eine Reihe von Bedingungen geknüpft, die zu einer weiteren Zurückdrängung der staatlichen Industrie und der Aufwertung ausländischer Unternehmen in Indien führte.
Bereits im März 1980 wurde beschlossen, daß die staatlichen Unternehmen zukünftig keine Haushaltszuweisungen mehr erhalten sollten, sondern ihre Investitionen durch ihre eigenen Rücklagen bzw. durch Kreditaufnahmen am Markt aufzubringen hätten. Im Rahmen dieser Maßnahmen wurden auch staatlich festgesetzte Preise angehoben, etwa bei den Düngemitteln, die im Mai 1980 von Rs. 1.450 auf 2.350 je Tonne anstiegen. Mit der Anhebung der Preise im Eisenbahnverkehr, der Elektrizitätserzeugung und dem Postwesen wurde gleich eine ganze Reihe staatlicher Dienstleistungen verteuert (vgl. Gulati 1982).
Im Juli 1980 verkündete die Regierung Indira Gandhis ihre neue Industriepolitik. Datt (1987) faßt die wichtigsten Punkte wie folgt zusammen:
- optimale Auslastung bestehender Kapazitäten. Illegal aufgebaute Kapazitäten (d.h. durch Umgehung von Lizenzauflagen) werden legalisiert. Außerdem können bestehende Kapazitäten automatisch um 25 Prozent ausgeweitet werden.
- Steigerung von Produktion und Produktivität bei gleichzeitiger Steigerung der Beschäftigung.
- Beseitigung räumlicher Disparitäten durch bevorzugte Betriebsneugründungen in wenig industrialisierten Regionen.
- Förderung von Exportindustrien.
- die Landesregierungen werden angehalten, unrentable Betriebe mit dem Ziel zu übernehmen, diese zu sanieren.
- Aufhebung der Unterscheidung zwischen Klein- und Großindustrie (Datt 1987: Lucas 1988) .
„To sum up, the new Industrial Policy (1980) is motivated more by considerations of growth than by those of enlarging employment or curbing monopoly. It intends to liberalise licensing for large and big business houses. In the name of integrating the interests of small and large units, in a very shrewd way, it promotes the interests of big business at the cost of small enterprises. Thus instead of adopting policies of economic decentralization, the new Industrial Policy will result in the promotion of a capital-intensive pattern of development“ (Datt 1987: 301).
Die Liste der Produkte, die ohne Lizenz importiert werden konnten (Open General Licence, OGL) wurde für Investitionsgüter zwischen 1981 und 1984 von 343 auf 761 erweitert, vor allem für Produkte aus der Elektro- und Textilindustrie. Ebenfalls stark erweitert wurde die entsprechende Liste für Grund- und Rohstoffimporte (vgl. Lucas 1988; Srinivasan 1992). Unternehmen, die ausschließlich für den Export produzierten, konnten ihre Rohstoffe und Investitionsgüter nun vollständig aus dem Ausland beziehen. Ausländischen Unternehmen wurde es gestattet, ihre Kapitalbeteiligung in Indien zu erhöhen. In Bereichen mit hohen Exportpotentialen und solchen, in denen moderne Technologien eingesetzt wurden, wurde ausländische Alleinbeteiligungen zugelassen. Bereiche, die ausländischen Investoren bislang verschlossen waren, wurden geöffnet, und die in vielen Branchen bestehenden Verpflichtungen zum vollständigen Export der produzierten Waren gelockert.1
Um das Produktivitätsniveau zu steigern, wurde den Betrieben ein Produktivitätsrabatt in Form einer 10 bis 20 Prozentigen Ermäßigung auf den jeweiligen Verbrauchssteuersatz eingeräumt, sofern ihre Produktion das jeweilige Vorjahresniveau um 10 Prozent überschritt. Durch diese Maßnahme wurde vor allem die Produktion von Gütern angeregt, die mit hohen Verbrauchssteuern belegt waren, da für solche Produkte der gewährte Produktivitätsrabatt am höchsten war (vgl. Gulati 1982: 731).
Die neuen Bestimmungen wurden vom internationalen Kapital mit Wohlwollen zur Kenntnis genommen. Die Zusammenarbeit ausländischer Unternehmen mit der privaten Großindustrie in Indien nahm nach 1980 einen stetigen Aufschwung. Während 1979 267 solcher Kollaborationen beschlossen wurden, hatte sich die Zahl der neuen Vertragsabschlüsse bis zum Jahr 1985 auf 1024 erhöht (Kurien 1989: 793). Innerhalb von fünf Jahren nahm die Summe der jährlichen Investitionen ausländischer Firmen um mehr als das vierzehnfache zu (von 89 Millionen Rs 1980 auf 1,26 Mrd. Rs 1985; Mehta 1988: 211).
Tab. 2: Beschäftigung im formellen Sektor und Industrieproduktion
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quellen: Agarwal et al. 1993: 146; Economic Survey 1993/94: S-53; S-54
Mit der neuen Wirtschaftspolitik erlebte der staatliche Wirtschaftsbereich einen weiteren Einbruch. Statt staatlicher Schwer- und Investitionsgüterindustrie wurde die private Chemie- und Konsumgüterindustrie in den 80er Jahren zu den wichtigsten Wachstumsindustrien (Kurien 1989: 794). Ermöglicht wurde dieser Strukturwandel vor allem dadurch, daß in den 80er Jahren eine schnell wachsende Mittelschicht in Indien entstehen konnte, die verstärkt nach hochwertigen (d.h. westlichen) Konsumgütern nachfragte. Diese Mittelschicht war weniger aus erfolgreichen Umverteilungsmaßnahmen des Volkseinkommens entstanden, als vielmehr dadurch, daß die Bediensteten des staatlichen Sektors überproportionale Einkommensverbesserungen zu verzeichnen hatten. Während zwischen 1971 und 1992 der Verbraucherpreis-Index um etwas mehr als 500 Prozent anstieg, erhöhten sich die Einkommen im staatlichen Sektor um fast 1000 Prozent (Economic Survey 1993-94: S-55).
Die Produktion von Kühlschränken, Klimaanlagen etc. nahm in den 80er Jahren jährlich um durchschnittlich 12 Prozent, die von Radio- und Fernsehgeräten um durchschnittlich 29 Prozent und die von Motorrädern und -rollern um durchschnittlich 19 Prozent zu. Insgesamt wuchs die Produktion langlebiger Konsumartikel um durchschnittlich 14,7 Prozent pro Jahr (Kelkar/Kumar 1990: 211; vgl. auch: Coondoo et al. 1993: M-45; Narayana/Joseph 1993). Bezeichnend ist, daß sich die hohen Wachstumszahlen bei der Industrieproduktion kaum auf die Anzahl der dort Beschäftigten niederschlugen.
Die Liberalisierung der Importpolitik und der daraus erwachsene Transfer moderner Fertigungsanlagen nach Indien hatte dazu geführt, daß das Produktionswachstum zum großen Teil durch eine Erhöhung der Arbeitsproduktivität erreicht wurde. Zur Lösung des Problems der Arbeitslosigkeit vermochte dies nichts beizutragen.
5.4.2 Die Wirtschaftspolitik unter der Regierung Rajiv Gandhi
Die Politik der Importliberalisierung wurde auch nach der Ermordung Indira Gandhis von ihrem Sohn Rajiv - vor allem während seiner beiden ersten Regierungsjahre - mit Nachdruck weiterverfolgt (vgl. HarrisS 1987). Bei der Industriepolitik wurde der Lizenzierungszwang in 25 Sektoren aufgehoben, wobei es sich hauptsächlich um Produktionsbereiche der Elektrokonsumgüterindustrie (Farbfernseher, Video- und Kasettenrekorder) handelte (Kumar 1985: 718). Mit der Lockerung des Antimonopolgesetzes (MRTP-Gesetz) wurde die Zahl der Großbetriebe erheblich reduziert (Betz 1988; Chenoy 1990; Krishna 1990; Tandon 1993).1 Um die Lizenzvergabe zu vereinfachen und zu beschleunigen, wurden für 29 Industriebranchen sogenannte Breitbandlizenzen eingeführt, wodurch nicht mehr die Produktion für eine bestimmte Ware beantragt und genehmigt werden mußte, sondern die Lizenzen wurden für ganze Produktionsbereiche ausgestellt (Rieger 1989: 85). Exportbeschränkungen wurden reduziert bzw. abgeschafft. Für eine ganze Reihe von Branchen, vor allen für solche, für die ein hohes Exportpotential vermutet wurde, wurden Importlizenzen zur Einfuhr von Investitionsgütern vollkommen abgeschafft und die Einfuhrzölle drastisch reduziert (Wadhva 1988: 1331). Um einen weiteren Anreiz zur Exportproduktion zu schaffen, wurde auf die Profite der Exportproduktion ein Steuerrabatt von 50 Prozent gewährt. Nach 1988 wurden die Profite aus Exportgeschäften sogar ganz von der Besteuerung befreit. Einfuhrverbote wurden in vielen Fällen durch Zölle ersetzt, bestehende Tarife drastisch reduziert bzw. für Maschinen und Anlagen zur Düngemittelerzeugung und Kraftanlagen ganz abgeschafft. Weitere Bereiche, die bislang dem staatlichen Sektor vorbehalten waren, wurden für private Unternehmen geöffnet, darunter die Telekommunikation. Die Anwendung des Foreign Exchange Regulation Acts wurde gegenüber Joint Ventures liberaler gehandhabt, vor allem wenn es sich um exportorientierte oder high-tech Unternehmen handelte. 17 neue Branchen wurden für Großunternehmen und für Kooperationen mit ausländischen Unternehmen geöffnet. Kapazitätserhöhungen durch Modernisierung wurden bis zu 49 Prozent automatisch genehmigt.
Um die Inlandsnachfrage anzuregen, wurde der Spitzensteuersatz bei der privaten Einkommenssteuer von 62 auf 40 Prozent gesenkt. Die anderen Steuersätze wurden ebenfalls um 12 bis 15 Prozentpunkte reduziert und das steuerfreie Nettoeinkommen von 15.000 auf 18.000 Rs angehoben, wodurch ein Bruttoeinkommen von etwa 30.000 Rs steuerfrei blieb (Jhaveri 1985: 725; Kumar 1985: 717).
„Out of about four million income tax payers, one million are becoming entirely tax-free, while the remaining three million will pay substantially less than at present (Datta 1985: 694).
Gleichzeitig wurde die Registrierungsgebühr für Radio- und Fernsehgeräte abgeschafft (Basu 1985: 715) und die Körperschaftssteuer-, Grund- sowie die Vermögenssteuersätze erheblich gesenkt und auf fünf Jahre festgeschrieben (Rieger 1989; Swamy 1994).
Um den Steuerausfall teilweise auszugleichen, wurde eine Reihe von Verbrauchssteuern und Einfuhrzöllen angehoben, wie z.B. auf Rohölimporte, Gemüse und Zigaretten, und auch die Eisenbahnfrachttarife wurden erhöht (Baru 1985: 703f; Jhaveri 1985: 725f; Kumar 1985: 718). Durch diese Maßnahmen verteuerten sich die Produkte mit hohen Transport- und/oder Energieanteilen besonders stark (Basu 1985: 715f).
„The basic fact behind all this is that on the net balance the rich will benefit from the tax reliefs and the poor will bear the burden of the tax-pushed rise in prices“ (Datt 1985: 697; vgl.: Patnaik 1985: 699).
Oder wie es Basu (1985) ausdrückt:
„The Union Budget, 1985-86, should make everybody happy. The highly paid company executive should be happy because he will have to pay less income tax, less wealth tax and no estate duty. The industrialist should be happy because the corporate tax has been lowered by 5 per cent and there is assurance that it will be lowered further in the years to come. The rural capitalist should be happy because he will continue to be exempt from income tax and he can now have insurance against crop failures. Finally, the poor should be happy seeing so much happiness all around! This seems to be the essential philosophy behind this year's Budget“ (Basu 1985: 715).
5.4.2.1 Der Widerstand gegen die „Neue Wirtschaftspolitik“
Widerstand gegen die Wirtschaftsreformen der 80er Jahre kam vor allem von jenen Gewerkschaften, die nicht eng mit der Congress-Partei liiert waren. Da Mitte der 80er Jahre mehr als 70 Prozent der im organisierten Sektor Beschäftigten auf den staatlichen Bereich entfielen, sahen die Gewerkschaften in der versuchten Zurückdrängung des staatlichen Sektors einen Angriff auf ihre Machtposition. Dies war vor allem auch deshalb der Fall, weil arbeits-, tarif- und streikrechtliche Bestimmungen im staatlichen Sektor leichter durchzusetzen sind als im privaten (Malhotra 1990: 135f).
Kritik an der neuen Wirtschaftspolitik kam aber auch aus Teilen der privaten Industrie und aus der regierenden Congress-Partei selbst und führte schließlich dazu, daß nach 1986 einige Reformmaßnahmen (vor allem die Senkung von Importzöllen) teilweise wieder zurückgenommen wurden. Der Abbau von Zollschranken in vielen Bereichen hatte nämlich dazu geführt, daß viele indische Unternehmen gegen die Importe ausländischer Anbieter nicht konkurrieren konnten. Diese Unternehmer mußten nun feststellen, daß sie unter den hohen Importzöllen nicht etwa gelitten, sondern vor ausländischer Konkurrenz geschützt expandieren konnten. Sie setzten Rajiv Gandhi immer mehr unter Druck, er solle die Importzölle wieder erhöhen. Im Haushaltsplan 1987-88 gab der Premierminister diesem Druck schließlich nach und erhöhte die Einfuhrzölle für alle Investitionsgüter auf 85 Prozent (zuvor 55%). Die Einfuhrzölle auf Anlagen zur Energiegewinnung wurden auf 35 Prozent (zuvor 25%) und zur Düngemittelherstellung auf 15 Prozent (zuvor 0%) erhöht (Budget 1987-88).
Es war immer deutlicher geworden, daß die indische Industrie in ihren Strukturen und Technologien hoffnungslos veraltet war und lediglich ausländische und kapitalkräftige indische Unternehmen konnten den nun einsetzenden Verdrängungswettbewerb zu ihren Gunsten entscheiden. Zwischen 1980 und März 1992 hatte die Anzahl der hochverschuldeten Industriebetriebe von knapp 25.000 auf über 240.000 Betriebe zugenommen, wobei 1992 mit 99,6 Prozent fast ausschließlich Kleinbetriebe (small-scale-industries) betroffen waren (Economic Survey, verschiedene Jahrgänge). Am stärksten stieg die Zahl hochverschuldeter Betriebe zwischen 1981 und 1982 an, als innerhalb eines Jahres die Anzahl der „kranken“ Betriebe um 125 Prozent zunahm (Agrawal et al. 1993: 153).
Da durch das indische Industriegesetz (Industrial Disputes Act) Unternehmen mit mehr als 100 Beschäftigten Betriebsschließungen nur mit Zustimmung der jeweiligen Landesregierung vornehmen konnten, die mindestens 90 Tage vor der beabsichtigten Schließung einzuholen war, wurden viele „kranke“ Privatunternehmen in Staatsunternehmen umgewandelt oder einfach illegal geschlossen (Garg 1992: 134).1 Weitgehend verschont von dieser „behinderten“ Konkurswelle waren die indischen Großbetriebe. Die 20 größten Privatunternehmen konnten zwischen 1981 und 1988 ihr Betriebsvermögen um fast 400 Prozent und ihre Umsätze um 325 Prozent steigern (CMIE 1981, 1988-89).
Entlassungen und Betriebsschließungen haben in den 80er Jahren das Beschäftigungswachstum in der organisierten Wirtschaft stark abgeschwächt. Während die private Wirtschaft kaum neue Arbeitsplätze schaffen konnte, hat die staatliche Wirtschaft wenigstens eine leichte Zunahme verzeichnen können. Inwieweit in diesen beiden Trends die staatliche Übernahme privater „kranker“ Betriebe zum Ausdruck kommt, kann aufgrund fehlender Daten nicht analysiert werden. Anzeichen deuten darauf hin, daß viele Beschäftigungsverhältnisse vom organisierten in den informellen Sektor verlagert wurden (Swamy 1994: 203; vgl. Lucas 1988: 189f.).
Daneben führten Inflation und zurückgehende Realeinkommen sowohl in der privaten Industrie wie auch in der Landwirtschaft verstärkt zu sozialen Spannungen. Die staatliche Bürokratie sprach sich ebenfalls immer deutlicher gegen eine Fortsetzung der Liberalisierungsmaßnahmen aus, da sie um ihre „Nebeneinkommen“ aus den Lizenzierungsverfahren bangte.
Am deutlichsten zeigte sich jedoch die Wirtschaftskrise, die sich allmählich zur politischen Krise ausweitete, bei den Staatsfinanzen und der Außenverschuldung. Eine ungenügende Steigerung der Staatseinnahmen bei gleichzeitig starker Zunahme der Ausgaben hatten dazu geführt, daß das Haushaltsdefizit immer größer wurde (Lakdawala 1991: 263f). Drei Gründe waren hauptsächlich für diese Entwicklung verantwortlich:
Erstens blieben die direkten Steuereinnahmen hinter den Erwartungen zurück und konnten auch nicht durch die Anhebung verschiedener Verbrauchssteuern ausgeglichen werden. Zweitens nahmen die Rüstungsausgaben vor allem in der zweiten Hälfte der 80er Jahre überproportional zu.2 Drittens nahmen unterschiedlichste Subventionen noch schneller zu, wobei vor allem Subventionen für Düngemittel (in den 80er Jahren um durchschnittlich 41 Prozent pro Jahr), Exportsubventionen (20 Prozent pro Jahr) und Nahrungsmittelsubventionen (16 Prozent pro Jahr) am schnellsten wuchsen (Swamy 1994: 214).
Zum steigenden Haushaltsdefizit kam hinzu, daß sich die Schere zwischen Importausgaben und Exporteinnahmen immer mehr ausweitete. Die Importliberalisierung hatte dazu geführt, daß immer mehr ausländische Waren nach Indien strömten, es jedoch nicht gelungen war, im gleichen Ausmaß Exportmärkte zu erschließen. Weiterhin machte sich die zunehmende Auslandsverschuldung Indiens immer deutlicher bemerkbar. Mehr als 25 Prozent der Deviseneinnahmen aus Exportgeschäften mußten inzwischen zum Schuldendienst aufgebracht werden (Economic Survey 1992-93).
5.4.3 Die Organisierung einer indischen Bauernbewegung
Durch die Konzentration auf die industrielle Entwicklung und der damit einhergehenden Vernachlässigung der Landwirtschaft fühlte sich die ländliche Elite immer mehr von der Regierung zurückgesetzt (Padmanabhan 1988a).
Während die landwirtschaftliche Produktion zwischen 1970 und 1984 um über 40 Prozent angestiegen war, hatte das durchschnittliche Nettoeinkommen der Produzenten um weniger als acht Prozent zugenommen. Das lag daran, daß die Kosten für landwirtschaftliche Betriebsmittel fast 2,5 mal so schnell gestiegen waren wie die landwirtschaftlichen Erzeugerpreise (Frontline 12.11.1988: 16; Dantwala 1991; Nadkarni 1991).
In den Jahren von 1986 bis 1988 erlebte Indien in den meisten Bundesstaaten die schwerste Dürre seit der Unabhängigkeit, die den Forderungen der mittleren und größeren Landwirte nach stärkerer staatlicher Berücksichtigung weiter Nachdruck verlieh. Trotz einiger Zugeständnisse an die ländlichen Eliten,1 fühlten sich diese auch weiterhin benachteiligt (Rath 1988: 735).
Bislang war die indische Bauernschaft auf nationaler Ebene nur wenig organisiert. Es gab zwar in vielen Bundesstaatenstarke Bauernverbände, die auch großen Einfluß auf die jeweiligen Landesregierungen hatten, doch eine einflußreiche nationale Bauernbewegung konnte sich nur langsam entwickeln. Die Janata-Regierung wurde zwar von vielen Bauernführern unterstützt und hatte mit Charan Singh den anerkannten Führer der indischen Agrarelite in ihren Reihen, doch erst nach dem Zusammenbruch der Regierung formierte sich unter seiner Führung ein gesamtindischer Bauernverband (Bharatyia Kisan Union, BKU), der jedoch nur mäßigen Erfolg hatte (Roy 1988b).
Bald nach Charan Singhs Tod (1987) übernahm Mahendra Singh Tikait, ein 52-jähriger Großbauer aus Uttar Pradesh, die Führung in der BKU, die kurz vor ihrer Auflösung stand. Ein Jahr später hatte er den indischen Bauernverband zu einer ernstzunehmenden Interessensvertretung der Agrarelite aufgebaut. Schon als Sekretär der BKU hatte er in den Jahren 1986 und 1987 mit Massenversammlungen die Rücknahme einer bereits beschlossenen Stromtariferhöhung für die Landwirtschaft von der Regierung in Uttar Pradesh erzwingen können. Um weitere Forderungen durchzusetzen, belagerte Tikait mit über 50.000 Bauern im Januar/Februar 1988 25 Tage lang die nordindische Stadt Meerut (Uttar Pradesh) (Roy 1988a). Bereits im Oktober 1988 war Tikait in Neu Delhi. Zusammen mit zehntausenden Bauern belagerte er sieben Tage lang das Parlamentsgebäude, um seinen Forderungen Nachdruck zu verleihen. Tikait vermied bei beiden Aktionen, Verbündete unter den politischen Parteien zu suchen. Sowohl der Congress-Partei als auch den Oppositionsparteien, die ihre Unterstützung anboten, erteilte er eine Absage (Varadarajan 1988; Roy 1988b).
Durch diese Aktionen stieg sein Einfluß innerhalb der Bauernbewegung beträchtlich. Bis zu den Bundestagswahlen im Spätjahr 1989 gewann die indische Bauernbewegung weiterhin an Profil. Erfolgreich versuchte sie, die Unterstützung der Kleinbauern und Landarbeiter zu gewinnen, indem Maßnahmen wie die Anhebung der Mindestlöhne und Verkürzung der täglichen Arbeitszeit für Landarbeiter, die Abschaffung der Mitgift, die Bekämpfung der Korruption u.a. in den Forderungskatalog aufgenommen wurden (Singh/Sahni 1989). Wie schon 1977 gelang es damit der ländlichen Elite, die Klassengegensätze auf dem Land dadurch zu verschleiern, daß die Hauptkonfliktlinien zwischen der Landwirtschaft (ländliches Indien) und der Industrie (städtisches Indien) gezogen wurden.
Gleichzeitig gelang es, über 30 regionale Bauernverbände - zunächst unter der Führung der BKU - zu einem schlagkräftigen Dachverband zu vereinen (All India Kissan Coordination Committe, AIKCC).
Bei den indischen Bundestagswahlen im Jahr 1989 unterstützten der BKU und andere Bauernvereinigungen die Janata Dal, auch wenn von allen anderen Parteien in deren Wahlprogrammen den Landwirten ebenfalls großzügige Versprechungen gemacht worden waren. Mit dem späteren stellvertretenden Premierminister Devi Lal, einem mächtigen Bauernführer aus Haryana und mit Ajit Singh, dem späteren Industrieminister, war die einflußreiche Jat-Kaste, der auch Tikait angehörte, in der Janata Dal mit einflußreichen Persönlichkeiten vertreten.
So konnte die ländliche Elite mit Unterstützung der Klein- und Marginalbauern sowie der Landlosen der Congress-Partei in NordIndien eine empfindliche Wahlniederlage beibringen. Von den 218 Parlamentssitzen, die die Congress-Partei bei den Wahlen des Jahres 1984 in NordIndien erringen konnte, blieben ihr 1989 gerade noch 31. Der Mandatszuwachs im Süden (von 68 auf 103) konnte die Wahlniederlage der Congress-Partei nicht abwenden (Agrawal/Aggarwal 1990: 196). Die größten Verluste erlitt die Congress-Partei bei den Wählern aus den Reihen der Scheduled Castes and Tribes und bei der muslimischen Wählerschaft (India Today 15.12.1989: 73).
Mit V.P. Singh wurde zum dritten Mal in der indischen Geschichte ein Politiker Premierminister, der nicht aus den Reihen der Congress-Partei kam. Er war allerdings auf die Unterstützung der BJP und der Kommunisten angewiesen, die der Regierung zwar nicht beitraten, sie jedoch „von außen“ unterstützen.
5.5. Die Regierung der National Front
Die Regierung der National Front war eine Minderheitsregierung, die nur durch die Unterstützung des äußersten rechten und des äußersten linken Flügels des nationalen indischen Parteienspektrums zustande kam und daher äußerst instabil war. Die beiden schärfsten Konkurrenten innerhalb der Janata Partei waren Premierminister V.P.Singh und sein Stellvertreter Devi Lal.
V.P. Singh, der frühere Finanzminister Rajiv Gandhis und Architekt seiner Wirtschaftsreformen, stand einer Regierung vor, die in ihrem Wahlkampf dafür eingetreten war, den Belangen des ländlichen Indiens bedeutend mehr Aufmerksamkeit zu schenken als dies bislang der Fall gewesen war. Ihm zur Seite stand Devi Lal, mächtiger Großgrundbesitzer im Bundesstaat Haryana und politischer Führer der nordindischen Bauernschaft. Der Interessenskonflikt zwischen „Bharat“, dem ländlichen Indien und „India“, dem städtischen, an industrieller Entwicklung orientiertem Indien, war also in der Führung der Janata-Regierung personell zugegen.
Unterstützt wurde diese Regierung von der Bharatiya Janata Partei, die eine zweite Konfliktlinie einbrachte, nämlich den Konflikt zwischen Moslems und Hindus. Von der „linken“ Seite her wurde die Regierung noch von den beiden kommunistischen Parteien ergänzt. Diese repräsentierten eine dritte Konfliktlinie, nämlich den Konflikt zwischen produktionsmittelbesitzenden Klassen und solchen ohne Produktionsmittel.
Diese drei nur schwer miteinander in Einklang zu bringenden Konfliktfelder, prägten die ideologischen Auseinandersetzungen in den 11 Monaten, in denen V.P. Singh die Regierungsgeschäfte wahrnahm und führten schließlich Anfang November 1990 zu seinem Sturz. Mehr noch, 1990 sollte für Indien ein Jahr werden, in dem Gewalt und Terror das Land an den Rand eines Bürgerkrieges brachten. Die angesprochenen Konfliktlinien, vor allem die beiden erstgenannten, waren dafür ausschlaggebend. Sie führten dazu, daß sich die regierende Janata Dal zerfleischte und die BJP die Regierung von außen zum Sturz brachte. Die Congress-Partei ihrerseits tat ihr Bestes, um die politische Kultur des Landes von der Oppositionsbank aus zu schwächen, indem sie geschickt die ideologischen Gegensätze innerhalb der Janata Dal schürte.
5.5.1 Die Wirtschaftspolitik unter V.P. Singh
1990 war ein Jahr, in dem von der neuen Regierung wirtschaftspolitische Initiativen erwartet wurden, hatte sie doch die Reformpolitik unter Rajiv Gandhi immer wieder scharf angegriffen. Auf der anderen Seite ließen die ideologischen Differenzen in der Regierung selbst und mit den Kräften, die sie von außen stützte, wenig Spielraum für einen radikalen Wandel. Die einzelnen Kräftegruppen innerhalb des Regierungsbündnisses waren mehr damit beschäftigt, sich auf eine „Zeit nach dieser Regierung“ vorzubereiten als konstruktive (wirtschafts)politische Initiativen einzuleiten. Das einzige wirtschaftspolitische Dokument der V.P. Singh-Regierung ist der im April 1991 eingebrachte Finanzhaushalt. Obwohl mit Spannung erwartet, wurde darin die Chance versäumt, strukturelle Veränderungen in der indischen Ökonomie und Gesellschaft einzuleiten (Paranjapa 1990; Rath 1990).
Mit der Anhebung des steuerfreien Nettoeinkommens auf jährlich 22.000 Rs wurde eine weitere Million Erwerbstätiger von der Einkommenssteuer befreit (Nayak 1990: 885).1
Um diese Zugeständnisse finanziell zu kompensieren, wurden die indirekten Steuern für eine Reihe von Luxuskonsumgütern erhöht, aber auch die Einfuhrzölle für Rohölimporte und die Abgabepreise für Benzin und Diesel angehoben. Gerade diesen beiden letzten Maßnahmen sowie der Erhöhung der Frachttarife bei der Eisenbahn, hafteten vermutlich inflationäre Folgeerscheinungen an (Datta 1990: 858, 863). Die Gewerbesteuer wurde von 50 auf 40 Prozent reduziert, gleichzeitig jedoch einige Abschreibungsmöglichkeiten gestrichen, so daß sich das Steuereinkommen aus diesem Bereich erhöhte (Datta 1990: 858; Lakdawala 1990: 871; Paranjape 1990: 877). Wie schon unter der Regierung Rajiv Gandhis stiegen die Rüstungsausgaben weiter, diesmal um 21,5 Prozent (Datta 1990: 859). Das Wahlversprechen der Janata-Dal, die Ausgaben für Landwirtschaft und Ländliche Entwicklung bedeutend auszuweiten, spiegelte sich nicht im Haushaltsplan wider oder wenigstens so unscharf, daß man von einer neuen Schwerpunktsetzung kaum sprechen konnte. Der Anteil der Planausgaben für ländliche Belange stieg im Vergleich zum vorjährigen Haushaltsplan zwar von 44 auf 49 Prozent an (Nayak 1990:885), ging jedoch - bezogen auf die gesamten Haushaltsausgaben - von 11,2 auf 10,8 Prozent zurück, da die Nichtplan-Ausgaben (Schuldendienst, Subventionen, Rüstung) ungleich stärker zunahmen (Kurien 1990: 867).
Mit der Einführung eines Employment Guarantee Schemes in Dürregebieten und Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit (Nayak 1990: 885) wurde zwar das Wahlversprechen konkretisiert, ein „Recht auf Arbeit“ in Indien zu verwirklichen, zusätzliche Haushaltsmittel wurden dafür jedoch nicht ausgewiesen (Rath 1990:882). Mit dem Erlaß von landwirtschaftlichen Schulden bis zu einer Höhe von 10.000 Rs wurde ein weiteres Wahlversprechen eingelöst. Entgegen der Ankündigung im Wahlprogramm konnten nicht nur Klein- und Marginalbauern, Dorfhandwerker und Landlose, sondern alle Landwirte von diesem Schuldenerlaß profitieren. Nayak (1990:883), Paranjape (1990:875) und Rath (1990:881) weisen darauf hin, daß von dieser Maßnahme vor allem die mittleren und größeren Bauern profitierten, da Klein- und Marginalbauern oder Landlose nur selten als kreditwürdig angesehen wurden. Sinnvoller (und billiger) wäre es z.B. gewesen, die Maßnahme nur auf diese Gruppen zu beschränken, oder Kreditmöglichkeiten für solche Gruppen zu schaffen, die bislang von formellen Krediten ausgeschlossen waren/sind.
Wesentliche Veränderungen an der wirtschaftspolitischen Zielsetzung hat der erste Haushaltsentwurf der Janata Dal-Regierung nicht gebracht. Viele Programme der alten Regierung mußten übernommen werden, ebenso wie auch viele wirtschaftliche Probleme. So lassen sich die Haushaltsausgaben nicht beliebig umschichten oder gar erhöhen, da ein beträchtlicher Anteil der Staatsausgaben gebunden ist; einerseits scheint eine drastische Reduzierung dieser festen Ausgaben politisch nicht durchführbar (Rüstung, Subventionen), andererseits sind diese Mittel auch gar nicht verfügbar (Schuldendienst). Dennoch darf man von einer Partei, die mit einem ausgesprochen auf „Armutsbeseitigung“ ausgerichteten Programm zur Wahl angetreten und die von vielen Wählern aus ärmeren gesellschaftlichen Gruppen gewählt worden war, erwarten, daß sie in ihrer ersten Haushaltsvorlage deutlichere Akzente zur Beseitigung von Armut setzt, als es die Janata Dal tat.
So muß sich die Janata Dal-Regierung den gleichen Vorwurf gefallen lassen, den sie zuvor selbst immer wieder an die Congress-Partei gerichtet hatte, als diese noch die Regierungsverantwortung hatte: Sie rede viel von der Beseitigung der Armut, doch verfolge eine Politik, die die Reichen begünstige. Besonders deutlich wird dies bei der Steuerpolitik, durch die weiterhin die Bezieher gesicherter und hoher Einkommen Zugeständnisse erhielten, während die ärmeren Bevölkerungsgruppen in zunehmendem Maße die Steuerausfälle auszugleichen und die Haushaltslücken zu stopfen hatten.
Vielleicht hätte der zweite Haushaltsplan dieser Regierung deutlichere Akzente gesetzt, doch dazu sollte es nicht mehr kommen. Die Gründe dafür sollen in den folgenden Kapiteln ausführlicher analysiert werden. Es wird dabei deutlicher werden, warum eine armutsorientierte Politik in Indien selbst dann sehr problematisch ist, wenn eine Regierung neben den Vertretern der Bauernelite auch eine beträchtliche Anzahl angesehener Sozialisten (z.B. den Finanzminister Dandavate) in ihren Reihen hat und von den beiden kommunistischen Parteien Indiens unterstützt wird, aber eben auch von der BJP. Die eben beschriebene Konstellation bewirkt, daß sich Politiker mit unterschiedlichem ideologischen Hintergrund als Interessensvertreter unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen verstehen und sich dadurch gegenseitig blockieren. Ein weiteres Problem ergibt sich aber auch aus der Tatsache, daß in Indien die ärmeren Bevölkerungssegmente zwar die Mehrheit der Wählerschaft bilden, jedoch keineswegs eine homogene Gruppe darstellen und durch die Betonung anderer Konfliktlinien (Kaste, Religion, Stadt <=> Land) leicht auseinander zudividieren sind. Und schließlich muß auch noch darauf hingewiesen werden, daß Politik in Indien häufig eine „Privatangelegenheit“ einzelner Politiker bzw. ganzer Dynastien zu sein scheint, die der eigenen Entwicklung bedeutend mehr Gewicht beimessen als z.B. der Verringerung von Armut (vgl. India Today 30.11.1989: 182-90). Sofern sich beides vereinbaren läßt, ist dies nicht unwillkommen; zumeist besteht allerdings zwischen beiden Bestrebungen ein unüberwindlicher Zielkonflikt. Das Jahr 1990 ist bestens dazu geeignet, diesen Charakter indischer Politik exemplarisch darzustellen.
5.5.2 Der Zerfall der politischen Kultur nach 1989: Mandal, Mandir und Macht
Korruption, Patronagewirtschaft und politische Gewalt sind schon seit langem Bestandteil der politischen Verhältnisse in Indien. In ihrem Wahlkampf hatte die Janata Dal diesen Verhältnissen einen erbitterten Kampf angesagt, und mit V.P. Singh hatte ein Politiker das Amt des Ministerpräsidenten übernommen, der ein integres Image vorzuweisen hatte.1
In einer demokratischen Gesellschaft, die wie die indische in viele ethnische, religiöse, sprachliche und sozio-ökonomische Gruppen fragmentiert ist, müssen die politischen Parteien bestrebt sein, in ihren Ideologien und Politiken Themen anzuschneiden, die über Gruppengrenzen hinweg möglichst viele Wähler ansprechen. Eine Partei, die die Regierungsverantwortung inne hat, wird sich schwer tun, alle Interessen gleichermaßen in ihrer Politik zu berücksichtigen. Sie muß allerdings bestrebt sein, keine wichtige Gruppe so zu vernachlässigen, daß diese in den nächsten Wahlen die Gefolgschaft verweigert.
Die Repräsentanten einer Partei sind demnach bestrebt, ihre Wählerschaft (vote bank)1 bei „guter Laune“ zu halten, vor allem dann, wenn die nächsten Wahlen nicht mehr fern sind.
Sachzwänge, Unfähigkeit oder auch Interessenkollisionen führen nicht selten dazu, daß sich reale Politik nicht an den Wünschen und Bedürfnissen der jeweiligen Wählerschaft ausrichtet. Trotzdem muß ein Politiker bestrebt sein, sich ein „Image“ aufzubauen. Er tut dies, wenn er - aus welchen Gründen auch immer - nicht fähig ist, eine Politik im Interesse seiner ursprünglichen Wählerschaft durchzusetzen, mittels symbolischer Gesten, die - Geschenken gleich - die Bindung zur Wählerschaft aufrechterhalten helfen, ohne im eigentlichen Sinne ihre Interessen zu vertreten. Solche populistischen Politiken sind nicht neu in Indien. Schon viele Politiker und Parteien sind mit dem Versprechen an die Macht gekommen, die Armut zu beseitigen und haben dennoch de facto Politiken verfolgt, die die soziale Polarisierung in Indien verschärft haben.
Als im Dezember 1989 die Regierung der National Front ins Amt eingeführt wurde, war es äußerst zweifelhaft, ob sie die volle Regierungszeit die Amtsgeschäfte würde durchführen können. Genauso zweifelhaft war es auch, ob die heterogene Janata Dal selbst langfristig überleben könnte. Die wichtigsten Politiker waren deshalb von Anfang an bestrebt, ihr „Image“ bei der Wählerschaft zu festigen, bzw. sich ein solches „Image“ zu schaffen. V.P. Singh war dabei um ein soziales „Image“ bemüht, d.h. er versuchte, aus den unter-privilegierten Klassen, Kasten und Gruppen ein stabiles Wählerpotential aufzubauen.
5.5.2.1 Reservierungspolitik oder: Wie ein Premierminister seine Regierung stützt
Am 7. August 1990 erklärte V.P. Singh, daß seine Regierung beabsichtige, die Empfehlungen der Mandal-Kommission aus dem Jahre 1980 umzusetzen. So sollten (a) 27 Prozent der Arbeitsstellen im Staatsdienst für benachteiligte Kasten, die bislang nicht in den Genuß früherer Reservierungsquoten gekommen waren (Other Backward Communities/Classes OBCs), reserviert werden. Die gleiche Reservierungsquote sollte (b) bei der Vergabe von Studienplätzen in allen Hochschulen der Zentral- und Landesregierungen gelten (Radhakrishnan 1990).
Es ist zwar nach wie vor richtig, daß soziale Ungleichheit in Indien auch heute noch weitgehend in der Kastenzugehörigkeit ihren Ausdruck findet. Während die Angehörigen der Other Backward Classes (OBCs) einen Anteil von 52 Prozent an der Gesamtbevölkerung einnehmen, sind sie mit knapp 13 Prozent der Beschäftigten bei Einrichtungen der Zentralregierung deutlich unterrepräsentiert und nehmen dort vor allem die niedrig bezahlten Arbeitsplätze ein (epw 13.01.1990: 83). Bei den Scheduled Castes and Tribes (SC/ST) beträgt der Anteil an der Gesamtbevölkerung 22,5 Prozent. Sie stellen knapp 19 Prozent der Beschäftigten der Zentralregierung (Choudhary 1990: 1930).2
Eine Illusion ist es dennoch zu glauben, daß durch eine Politik der positiven Diskriminierung das Problem der Armut dieser Gruppen nachhaltig gelöst werden kann. Erstens ist die Gesamtzahl der Arbeits- und Ausbildungsplätze, um die es letztlich geht, verschwindend gering. 1992 wurde die Anzahl der Beschäftigten in Indien auf 301 Millionen Menschen geschätzt (Economic Survey 1993-94:156). 19 Millionen davon waren in Bereichen beschäftigt, für die die Reservierungsquoten relevant sind. Bei einer Reservierungsquote von 50 Prozent (23% für SCs/STs und 27% für OBCs) entfallen auf diese Gruppen gerade 9,5 Mill. Arbeitsplätze. Die jährlich neu zu besetzenden Stellen nehmen einen Bruchteil dieser Zahl ein.1
Zweitens schafft eine Reservierungspolitik keine neuen Arbeitsplätze, sondern ordnet lediglich die Verteilung der staatlichen Arbeitsplätze neu. Drittens ist mit der Arbeitsaufnahme in staatlichen Bereichen zumeist ein höherwertiger Bildungsabschluß verbunden. Auch wenn im Bildungsbereich ebenfalls Reservierungsquoten bestehen und es für unterprivilegierte Gruppen im universitären Bereich vielfältige Förderprogramme gibt, setzt ihre Inanspruchnahme bereits einen bestimmten sozio-ökonomischen Status voraus. In der Regel erreichen die Mitglieder der ärmsten Gruppen der Gesellschaft noch nicht einmal einen Hauptschulabschluß und scheiden daher sowohl für die Förderprogramme in höheren Bildungsbereichen wie auch für die Arbeitsplatzreservierung im staatlichen Sektor aus.2 Die Folge davon ist, daß in der Regel lediglich die Eliten der unterprivilegierten Gruppen von der Reservierungspolitik profitieren. Viertens gibt es in Indien durchaus eine Reihe von Gruppen, die zwar einen niedrigen Kastenstatus haben, ökonomisch aber durchaus gut gestellt sind wie z.B. die Kaste der Yadava in großen Gebieten NordIndiens. Während bei den SC/ST eine Kategorisierung verhältnismäßig einfach ist, ist es praktisch unmöglich, genau festzulegen, welche Gruppen eigentlich gemeint sind, wenn von OBCs gesprochen wird. Politischer Patronage wird dadurch Tür und Tor geöffnet.
Die privilegierten Gruppen (FC, Forward Communities) bringen, soweit sie nicht verarmt sind, gute Eingangsvoraussetzungen für den staatlichen Sektor mit, sehen sich nun aber dadurch bedroht, daß ihnen ein beträchtlicher Anteil dieser Arbeitsplätze per Gesetz vorenthalten wird. Die Anzahl der Arbeitsplätze, in denen theoretisch ein freier Wettbewerb (open competition) besteht, reduziert sich um weitere 27 Prozent.3
Die Ankündigung zur Umsetzung der Empfehlungen der Mandal-Kommission spaltete die Wählerschaft der Janata Dal in zwei sich unerbitterlich gegenüberstehende Gruppen: jene, die hofften, von dieser Politik zu profitieren und solche, die befürchteten, in ihrer sozialen Entwicklung zurückgeworfen zu werden. In den ländlichen Gebieten NordIndiens trat diese Spaltung am heftigsten zutage und führte dort zu den folgenreichsten Auseinandersetzungen. Die von den Großbauern unter Devi Lal mit Hilfe von Tikait und anderen Bauernführern geschaffene Allianz zwischen unterschiedlichen Bauern- und Landlosenkasten zerbrach dabei.
Während die einflußreichsten Bauernkasten (Ahirs, Jats, Gujjars und Rajputs)4 - mit Ausnahme der Ahirs - nicht zu den OBCs gerechnet werden, fallen die Yadavas und andere Kleinbauerngruppen ebenso in diese Kategorie wie die Masse der Landarbeiter, sofern sie nicht der SC/ST -Kategorie zuzurechnen sind (vgl. Menon 1990: 106).
„Bihar went up in flames. Rajputs especially, who went all out in support of V.P. Singh during the last elections, viewed the Prime Minister's action as a betrayal. [...] Frenzied mobs of youth and students went on the rampage, damaging and setting ablaze railway stations and trains, police and private vehicles, government offices, post offices and telephon exchanges and holding up rail and road movement for almost a fortnight“ (Upadhyaya 1990a:28).
Ähnliche Ausschreitungen fanden in fast allen anderen Bundesstaaten NordIndiens statt. Sie hielten auch in den folgenden Monaten an und verschärften traditionelle Konflikte, die durch die Wahlallianz überwunden geglaubt schienen.
Als V.P. Singh am 8. Oktober 1990 auf einer Massenversammlung in Patna (Bihar) die Reservierungspolitik verteidigte, nahmen die Auseinandersetzungen weiter an Schärfe zu.
Die Gründe, weshalb von den höherrangigen Kasten die Reservierung so vehement bekämpft wird, sind naheliegend: die Verdienstmöglichkeiten in der Landwirtschaft hinken schon seit Jahrzehnten hinter der Entwicklung im industriellen Sektor her. Investitionen in Kleinunternehmen sind kaum lohnend, da diese mit der Macht der großen Konzerne nicht konkurrieren können. Viele Mittel- und Großbauern sehen deshalb im lukrativen staatlichen Sektor die einzige Möglichkeit, ökonomisch weiter aufzusteigen und sind bereit, viel in die Erziehung und Ausbildung vorwiegend ihrer Söhne zu investieren. Wenn schon nur wenige tatsächlich einen solchen Aufstieg erreichen können, wird er durch die Reservierungspolitik noch unwahrscheinlicher. Dadurch werden die Forward Communities nicht nur ökonomisch getroffen, sondern auch in ihrer Psyche, denn sie müssen mit ansehen, wie Angehörige von Kasten, die in der Kastenhierarchie weit unter ihnen stehen, sie wirtschaftlich überholen.
So bleibt nur noch die Frage, welches Interesse V.P. Singh daran gehabt haben konnte, eine Allianz von Wählergruppen, die entscheidenden Anteil daran hatten, daß er das Amt des Premierministers in Indien erringen konnte, in einen regelrechten Kastenkrieg anzustacheln. Zunächst muß noch einmal darauf hingewiesen werden, daß dieses Wählerpotential die „Hausmacht“ von Devi Lal war und nicht die von V.P. Singh. Singh hatte von dieser Allianz zwar profitieren können, doch er mußte sich ein eigenes Wählerpotential aufbauen. Er konnte schließlich nicht wissen, wie lange seine Regierung in der vorliegenden Konstellation Bestand haben würde.
5.5.2.2 Die erste Regierungskrise 1990: V.P. Singh vs Devi Lal
Vieles deutete schon bald nach dem Wahlsieg der National Front darauf hin, daß die Regierung nicht die volle Legislaturperiode Bestand haben würde. Bereits in der ersten Hälfte des Jahres 1990 gerieten Premierminister V.P. Singh und sein Stellvertreter Devi Lal zunehmend miteinander in Konflikt. Erstmals getrübt wurde ihr Verhältnis bereits im Dezember 1989, als Singh ankündigte, die Reservierung von Parlamentssitzen für unterprivilegierte Gruppen im indischen Unterhaus und den Landesparlamenten für weitere zehn Jahre fortzuschreiben (Menon 1990; Roy 1990; Upadhyaya 1990b; Joshi 1990; Sebastian 1990). Zum Bruch kam es jedoch im Juli 1990, als Devi Lal seinem Sohn Om Prakash Chautala dazu verhalf, wieder Ministerpräsident im Bundesstaat Haryana zu werden.
Nachdem Devi Lal im Dezember 1989 stellvertretender Premierminister der Janata Dal -Regierung geworden war, übernahm sein Sohn das nun verwaiste Amt des Ministerpräsidenten in Haryana. Da er bislang dem Parlament nicht angehört hatte, mußte er sich bei nächster Gelegenheit der Wahl stellen und kandidierte deshalb im Februar 1990, als in einem Wahlkreis Haryanas Nachwahlen anstanden. Allerdings wurden ihm dabei wenig Siegchancen eingeräumt, da sein Gegenkandidat vom mächtigen örtlichen Panchayat unterstützt wurde. Mit Hilfe der Polizei und der politischen Rückendeckung seines Vaters ließ er großangelegte Wahlmanipulationen durchführen (Lakshmana 1990a: 131).
In einem Dorf wurden seine Helfer jedoch vor einer aufgebrachten Menschenmenge im Wahllokal festgehalten und konnten erst von ca. 1000 Polizisten befreit werden, die über Funk um Hilfe gerufen worden waren. Neun Personen kamen dabei durch Polizeikugeln ums Leben; insgesamt forderte der Wahlfeldzug mehr als 20 Menschenleben (Lakshmana 1990a). Die Wahl wurde von der nationalen Wahlkommission für ungültig erklärt und Chautalas Regierung wurde vom indischen Innenminister beauftragt, eine Kommission einzusetzen, die die Vorfälle untersuchen sollte (!) (Shourie 1992: 74).
Als die Wahl neu angesetzt worden war (und Chautalas Siegchancen sich aufgrund der bisherigen Vorfälle weiter verschlechtert hatten), wurde ein Gegenkandidat Chautalas ermordet und der neue Wahltermin daraufhin verschoben (Shourie 1992: 75).1
Die verantwortlichen Politiker der Janata Dal-Regierung sahen, was in Haryana vor sich ging und daß die Entwicklungen dort ihre Partei, die Regierung und damit ganz Indien in eine tiefe politische Krise gestürzt hatten. Chautala mußte zwar zurücktreten, solange die Untersuchung der Vorgänge nicht abgeschlossen war, aber ansonsten unternahm V.P. Singh jedoch wenig, was die Regierung hätte gefährden können. Das „Problem Chautala“ schien damit für die Janata Dal aus der Welt geschafft. Bis Devi Lal Anfang Juli mit einem arglistigen Täuschungsmanöver und unter Umgehung des Parteivorstandes den neuen Ministerpräsidenten in Haryana zum Rücktritt zwang und seinen Sohn wieder in den Ministerpräsidentensessel hievte. Die abgewendet geglaubte Partei- und Regierungskrise verschärfte sich zusehends. Gegen Chautala vorzugehen wäre einem Bruch mit Devi Lal gleichgekommen und hätte damit (wahrscheinlich) zum Sturz der Zentralregierung und zu Neuwahlen geführt. Im Raum stand zusätzlich eine Drohung Devi Lals, in diesem Fall eine eigene Partei zu gründen, d.h. bei eventuellen Neuwahlen hätte die National Front nicht mehr mit der Unterstützung der Hausmacht Devi Lals rechnen können.
Als jedoch 15 Minister seines Kabinetts ihren Rücktritt erklärten, reichte V.P. Singh ebenfalls seinen Rücktritt ein. Er konnte aber von seiner Parteiführung und den anderen, die Regierung unterstützenden Parteien dazu überredet werden, seinen Entschluß zurückzunehmen (vgl. Menon 1990: 4-13; 123-127).
Devi Lal mußte hinnehmen, daß sein Sohn als Ministerpräsident von Haryana nicht mehr zu halten war; es wurden ihm jedoch weitreichende Zugeständnisse gemacht. Zum einen wurden drei der zurückgetretenen Minister1 nicht wieder ins Kabinett aufgenommen, zum anderen wurde es Devi Lal gestattet, einen Kandidaten nach seinem Wunsch in Haryana zum Ministerpräsidenten zu „krönen“.2
Als Devi Lal seine Korruptionsvorwürfe gegen führende Janata Dal-Politiker wiederholte, wurde er von V.P. Singh am 1. August 1990 aus dem Regierungskabinett entlassen (The Hindu 02.08.1990). In der Bundestagsfraktion der Janata Dal weitgehend isoliert, versuchte Devi Lal, die Unterstützung seiner ursprünglichen Hausmacht zu demonstrieren und rief deshalb die ländliche Bevölkerung für den 09.08.1990 zu einer Massenkundgebung nach Neu Delhi zusammen (The Hindu 03.08.1990).
„So V.P. Singh played his trump card by announcing the decision to reserve for OBCs 27 per cent of all categories of posts under the Central Government and in its undertakings. This was on August 7, two days prior to Devi Lal's massive kisan (peasant) rally on the central vista in New Delhi. The only way to meet the challenge posed by Devi Lal was to meet him on his own ground - the rural constituency“ (Chakravarty 1990b: 24).
V.P. Singh mußte zügig handeln. Devi Lal versuchte nach seiner Absetzung, die Loyalität mit den OBCs, den SC und bestimmten Minderheitengruppen zu festigen. So traf sich sein Sohn Om Prakash Chautala zwei Tage nach der Absetzung seines Vaters mit Kanshi Ram, dem Präsidenten der Bahujan Samaj Partei (BSP) (The Hindu-IE 11.08.1990). Diese Partei hatte bei den nationalen Wahlen 1989 als Vertreterin der Harijans, Backward Communities und Moslems immerhin einen ähnlichen Stimmenanteil wie die CPI erringen können (Agrawal/Aggarwal 1990). Devi Lal selbst setzte sich mit Imam Bukhari von der Jama Masjid in Neu Delhi, dem obersten Führer der indischen Moslems, in Verbindung. V.P. Singh seinerseits sicherte sich die Rückendeckung von Ajit Singh, neben Devi Lal dem zweiten wichtigen Repräsentanten der Jat-Kaste in seinem Kabinet (The Hindu 16.8.1990).
5.5.2.3 Die zweite Regierungskrise 1990: V.P. Singh vs BJP
V.P. Singh konnte die Auseinandersetzung mit seinem Stellvertreter Devi Lal auch deshalb schadlos überstehen, weil die BJP und die beiden kommunistischen Parteien ihm Rückendeckung gaben. Sie machten ihre Unterstützung der Janata Dal-Regierung davon abhängig, daß V.P. Singh weiterhin Premierminister blieb. Dadurch wurden Machtkämpfe zwischen den unterschiedlichen Fraktionen der Janata Dal abgemildert, weil eine Alternative zum amtierenden Premierminister nicht gegeben war. Der Sturz V.P. Singhs hätte automatisch das Ende der Janata Dal-Regierung bedeutet und wahrscheinlich zu vorzeitigen Neuwahlen geführt. Diese Konstellation war so deutlich, daß sogar Devi Lal aus Gründen der Machterhaltung nicht umhin konnte, V.P. Singh auch weiterhin als Premierminister zu akzeptieren. Bis zu diesem Zeitpunkt stellten die BJP und die beiden kommunistischen Parteien also eher einen stabilisierenden Faktor für die Regierung dar. Mit der Ankündigung, die Empfehlungen der Mandal-Kommission umsetzen zu wollen, wurde V.P. Singh dann allerdings der BJP zur Bedrohung.
„The implementation of the Mandal report threw the BJP into a panic. Even though BJP leaders deny this in public, the reality is that the party saw the report as a dire threat to its very existence. The 27 per cent reservations for the backward castes augured to sunder the party's vote banks by dividing the Hindu vote. [...] That may have been the point at which Advani decided to wield the Ayodhya sword with ruthless determination“ (Pachauri 1990:31)
Nach V.P. Singhs Ankündigung am 7. August entschloß sich der Vorsitzende der BJP, Lal Krishan Advani, zu einer Prozession (Rath Yatra) durch fast ganz Indien. Diese sollte Ende Oktober 1990 in der Stadt Ayodhya (auch Oudh genannt) die angebliche Geburtsstätte des legendären Königs Rama erreichen, wo 1528 der Moghulenherrscher Babur eine Moschee hatte errichten lassen.1 Angekündigtes Ziel war es, die Moschee zu zerstören und an gleicher Stelle (wieder ?) einen Hindu-Tempel zu Ehren Ramas zu errichten.
Bis zu diesem Zeitpunkt hatten sich vor allem extreme Hinduorganisationen, wie z.B. der Vishwa Hindu Parishad (VHP = Hinduistischer Weltrat) und der militante Rashtriya Swayam Sevak Sangh (RSS) für die Zerstörung der Moschee in Ayodhya ausgesprochen. Zwei Faktoren begünstigten es, daß nun die BJP ihre Zurückhaltung in der Ayodhya-Frage aufgab. Erstens hatte die Partei bei den Wahlen 1989 die Erfahrung machen können, daß sie mit einer religiös angehauchten Politik durchaus ein großes Wählerpotential hinter sich vereinen konnte.1 Als Stütze der Janata Dal-Regierung zog sie es jedoch vor, die Regierung nicht zu gefährden. Schließlich war bis zum Termin der kommenden regulären Wahlen genügend Zeit, die erreichte Position zu konsolidieren, um im Wahlkampf zu versuchen, mit einer pro-hinduistischen Politik den Stimmenanteil zu vergrößern (India Today 15.12.1989: 128). Spätestens dann wäre die Ayodhya Frage zentral für die BJP geworden. Die Entwicklungen in der Janata Dal machten inzwischen aber deutlich, daß die nächsten Wahlen u. U. bereits unmittelbar bevorstanden. Als V.P. Singh mit der Reservierungsfrage praktisch den Wahlkampf einläutete, sah sich die BJP gezwungen nachzuziehen. Am 25.09.1990 begann Advani in Somnath (Gujarat) seine Rath Yatra, die er in den folgenden Wochen durch fast ganz Indien führte.1
„Er scheute dabei sogar nicht vor der Geschmacklosigkeit zurück, mit Pfeil und Bogen auf einen zum Streitwagen Ramas umgebauten Lastwagen zu steigen und so quer durchs Land zu fahren, um Aufmerksamkeit zu erregen. Gerade bei der Jugend fand Advani eine begeisterte Gefolgschaft“ (Rothermund 1993: 629).
Fast scheint es, als sollte der Demonstrationseffekt der Rath Yatra wichtiger sein als die dabei immer wieder angekündigte Zerstörung der Babri Moschee. Der indischen Bevölkerung sollte die neue Führungsmacht eines hinduistischen Selbstbewußtseins vorgeführt werden, und dazu konnte der Prunk der Prozession nicht groß genug sein. Es sollte damit doch die Erinnerung an ein „Goldenes hinduistisches Zeitalter“ wachgerufen werden, als König Rama mit der Hilfe treuer Bundesgenossen das Böse bekämpfte und der Gerechtigkeit zum Sieg verhalf. Eine Geschichte, die jedes Kind in Indien kennt und die genau an die Sehnsüchte einer entwurzelten Generation appelliert.
Eine solche Ideologie hat keinen Platz für Klassen- und Kastengegensätze, sondern versucht, eine Hindusolidarität wachzurufen, die jedoch nur durch die Existenz einer existentiellen Gefahr bestehen kann: den andersgläubigen Moslems und auch Christen. Diese Ideologie kann sich deshalb nicht mit symbolischen Akten wie der Rath Yatra oder der Zerstörung einer Mosche begnügen, sondern muß ein eindeutiges Feindbild aufbauen, d.h. sie lenkt bestehende Bedrohungsängste auf eine eindeutige Zielgruppe hin.
Nachdem Advani seine Rath Yatra begonnen hatte, wurde ihm von der Regierung deutlich gemacht, daß sie nicht zulassen würde, daß er bis nach Ayodhya gelangte. Am 17.10.1990 entgegnete die BJP ihrerseits, daß eine Behinderung des Prozesszuges ihre sofortige Aufkündigung der Unterstützung der Regierung zur Folge hätte. Dennoch wurde Advani zusammen mit weiteren Politikern der BJP, des VHP und der RSS sowie etwa 200.000 Anhängern dieser Organisationen am 23.10.1990 in der Stadt Samastipur (Bihar) in Haft genommen (Pachauri 1990: 33). Noch am selben Tag teilte der Fraktionsvorsitzende der BJP, A.B. Vajpayee, dem indischen Präsidenten mit, daß seine Partei der Regierung V.P. Singh die Unterstützung entzogen habe (Aggarwal/Chowdhry 1991: 48f; Hindustan Times, 24.10.1990).
Obwohl V.P. Singh durch den Bruch mit der BJP keine Mehrheit mehr im Parlament hatte, glaubte er, bis zum 7. November eine parlamentarische Mehrheit vorweisen zu können und weigerte sich zunächst zurückzutreten. Dabei spekulierte er darauf, daß die Congress-Partei sich bei der Abstimmung über die Vertrauensfrage am 7.11. der Stimme enthalten werde, und er so eine Mehrheit erzielen könne. Um dies sicherzustellen, versuchte er zunächst, die unterschiedlichsten Fraktionen innerhalb seiner eigenen Partei hinter sich zu vereinen. Eine Zeitlang sah es sogar danach aus, als ob Devi Lal ihm Unterstützung gewähren würde. Als jedoch die Congress-Partei deutlich machte, daß sie in der Vertrauensabstimmung gegen V.P. Singh stimmen würde, formierten sich auch in seiner eigenen Partei die Fraktionen neu. Während eine Fraktion unter Führung von Chandra Shekhar und Devi Lal den amtierenden Premierminister am 5. November aus der Janata Dal ausschlossen, schloß V.P. Singh seinerseits am selben Tag nach einer Fraktionssitzung Chandra Shekhar und 24 weitere Parlamentsmitglieder aus der Janata Dal aus (Muralidhar Reddy 1990: 12). Die Vertrauensabstimmung am 7.November beendete dann schließlich die Regierung V.P. Singhs. Gegen die Regierung stimmten 356 Abgeordnete, für sie 151, und 6 Abgeordnete enthielten sich der Stimme (Frontline 24.11.1990).
5.5.2.4 Zusammenfassung: Die Regierung der National Front
Nach nur elf Monaten im Amt konnte die Regierung V.P. Singh die hochgesteckten Erwartungen derjenigen, die sie als eine Alternative zur Congress-Partei gewählt hatten, nicht erfüllen. Die Regierung stürzte von einer Krise in die andere und zeigte dabei deutlich, daß die Beseitigung von Korruption und politischer Gewalt von ihr nicht zu erwarten war. Ganz im Gegenteil, um den Bestand der Regierung zu erhalten, verstrickten sich die an ihr beteiligten Parteien immer mehr in zweifelhafte Aktionen und entfesselten schließlich bürgerkriegsähnliche Zustände. Die ausgeprägte ideologische Heterogenität der Regierung konnte eigentlich nur zu diesem Chaos führen. Jeder Politiker und jede Fraktion waren damit beschäftigt, die möglichst besten Ausgangsbedingungen für die nächste Wahl zu schaffen.
„That was why [...] it was completely wrong to assume that V.P. Singh was looking for a way out - out of Mandal, out of the Masjid-Mandir. He had set himself consciously and determinedly on a course - an early election is inevitable and I'll win by capturing the votes of the Scheduled Castes, the OBCs and the Muslims- and he would keep to it. The greater the violence, he frequently told his colleagues, the greater the polarisation as a result of the reaction to a step like Mandal, the more firmly the three banks of votes would consolidate behind him“ (Shourie 1992:185).
Es ist allerdings zu einfach, die alleinige Schuld bei V.P. Singh zu suchen. Sein Fehler oder der Fehler der Janata Dal-Partei insgesamt war es gewesen, Devi Lal nicht frühzeitig in seine Schranken gewiesen zu haben. Und dies selbst dann, wenn es den Bruch der Regierung bedeutet hätte. Ihn jedoch gewähren zu lassen führte dazu, daß seine Macht immer weiter zunahm, während das Ansehen der Janata Dal von Monat zu Monat bei der Wählerschaft zurückging und damit auch die Siegeschancen bei zukünftigen Wahlen.
Schuld an der Misere von 1990 ist aber vor allem der Umstand, daß in Indien die Verquickung von Kriminalität, Patronagewirtschaft und Politik auf dem Vormarsch ist. Devi Lal und seine Familie, die schon zuvor praktisch ganz Haryana quasi als Fürstentum regierten und dabei häufig die Grenzen der Legalität überschritten, sind in Indien keine Ausnahmefälle. In Bihar sieht die Situation noch schlimmer aus. Feudalähnliche Strukturen führen dazu, daß Politiker ganze Wahlkreise beherrschen, notfalls mit Korruption, Gewalt und Wahlfälschung („ money and muscle power “). Sie bedienen sich dazu ganzer Privatarmeen und verbreiten Schrecken und Entsetzen unter der Bevölkerung.
Die politische Kultur, d.h. die Vorstellungen darüber, welche Mittel zur Durchsetzung politischer Forderungen oder zum demokratischen Machterwerb als legitim erachtet werden, hat in Indien in den vergangenen Jahrzehnten eine beständige Erosion erleiden müssen. Das Jahr 1990 hat dabei neue Maßstäbe gesetzt. Abgesehen davon, daß der unstillbare Machthunger der Politiker billigend tausende von Toten in Kauf genommen hat, hat er auch verhindert, daß die Politiker sich um das kümmern, was eigentlich ihre Aufgabe ist: nämlich mit konkreten Vorschlägen und Maßnahmen die Lebensbedingungen der Menschen - und sei es auch lediglich jener, denen sie sich nahestehend fühlen -, zu verbessern.
Trotz vieler dringlich zu lösender Probleme ruhten 1990 die parlamentarischen Geschäfte weitgehend, anstehende Entscheidungen hinsichtlich der Handels- und Industriepolitik wurden aufgeschoben. Selbst die Ausarbeitung und Verabschiedung des Achten Fünf-Jahres-Planes, der 1990 beginnen sollte, mußte verschoben werden.
„For the poor, there was not even a gesture - only a catalogue of legislation passed and the glitter of more to come. [...] Indeed, the poor were being driven to the wall by the rising prices, the Mandal-generated division and the canker of communalism. [...] Once the riots began -first caste-based in early September and then denominational- they never seemed to abate. They are still blazing; if anything, the fury has intensified and they have spread all over the country. Nothing like this has happened in recent times. The system seemed in chaos“ (Sahay 1990:10f).
5.6 Die Regierung Chandra Shekhars (1990 - 91)
Mit der Abstimmungsniederlage V.P. Singhs und seinem darauffolgenden Rücktritt stellte sich nun wiederum die Frage nach dem kommenden Preminierminister. Präsident Venkataraman hatte die Möglichkeit, das indische Parlament aufzulösen und Neuwahlen festzusetzen. V.P. Singh wäre dadurch bis zur Wahl eines neuen Parlamentes als Übergangspremierminister im Amt geblieben (Goswami/Shukla 1990:29).
Der Präsident konnte aber auch festzustellen versuchen, ob es im bestehenden Parlament eine mehrheitsfähige Konstellation von Kräften gab. Er bot deshalb Rajiv Gandhi - dem Führer der stärksten Einzelpartei - die Bildung einer neuen Regierung an, was dieser jedoch dankend ablehnte. Die Congress-Partei war sich zwar bewußt, daß Neuwahlen ihr in der gegenwärtigen Situation, in der die BJP von einer hinduistischen Begeisterungswelle getragen wurde, nur hätte schaden können, wollte jedoch auch nicht die Regierungsverantwortung übernehmen. Wie immer auch die Konstellation gewesen wäre, die Congress-Partei hätte dazu die Unterstützung einer anderen Partei benötigt. Rajiv Gandhi erklärte sich jedoch dazu bereit, eine Minderheitsregierung der Janata Dal zu tolerieren, vorausgesetzt daß V.P. Singh nicht Premierminister blieb. Dies beschleunigte den Zerfallprozess der Janata Dal weiter (Chakravarty 1990: 14f; Muralidhar Reddy 1990: 14).
Die inzwischen gegründete Janata Dal (Socialist) war bereit, eine von der Congress-Partei unterstützte Regierung zu bilden. Am 9. November 1990 wurden Chandra Shekhar als Premierminister und Devi Lal als sein Stellvertreter vereidigt.
5.6.1 Die Wirtschaftspolitik der Janata Dal(S)-Regierung
Während die Janata Dal-Regierung unter V.P. Singh wenig Gelegenheit gehabt hatte, sich um wirtschaftliche Probleme zu kümmern, blieb Chandra Shekhar gar nicht viel anderes übrig. Die politischen Unruhen während der zweiten Hälfte des Jahres 1990 hatten auch die angeschlagene Wirtschaft des Landes immer tiefer in eine Krise gestürzt. Hinzu kam, daß mit dem Einmarsch irakischer Truppen in Kuweit im August 1990 die indische Wirtschaft gleich in mehrerer Hinsicht unter zusätzlichen Druck geriet.
Erstens stiegen die Kosten für Rohölimporte erheblich an, wodurch sich das Handelsbilanzdefizit weiter verschlimmerte und die Inflation in Indien zusätzliche Nahrung erhielt. So nahmen die Devisenausgaben für Ölimporte im Vergleich zum Vorjahr um 60 Prozent zu, während sich die Einfuhrmenge lediglich um 12 Prozent erhöhte. Mit über 106 Mrd. Rs. erreichte Indien sein bislang größtes Handelsbilanzdefizit. Es war um fast 40 Prozent höher als im Vorjahr (Economic Survey 1993-94: S-85;S-89; vgl. auch: Chandrasekhar 1991; Gopalakrishnan 1991). Zweitens gingen dem Land durch ausbleibenden Überweisungen der in Kuweit und dem Irak arbeitenden InderInnen Deviseneinnahmen im Wert von etwa 8 Mrd. Rs verloren (Mukherjee 1991:26). Drittens kam hinzu, daß eine großangelegte Evakuierungsaktion von InderInnen aus Kuweit und dem Irak den Staatshaushalt zusätzlich belastete.
In diesen auch wirtschaftlich schweren Zeiten war es für die Regierung Chandra Shekhars nahezu unmöglich, eine stringente Wirtschaftspolitik zu verfolgen. Zwar war die Regierungspartei durch das Zerbrechen der Janata Dal inzwischen homogener geworden, dennoch war Chandra Shekhar, dessen Partei im Parlament lediglich die Unterstützung von weniger als 12 Prozent der Abgeordneten hatte, unfähig, eine eigenständige Politik zu verfolgen (Ram 1991). Die Regierung beschloß deshalb, den Haushaltsplan für das Wirtschaftsjahr 1991-92 nicht wie üblich im März 1991 vorzulegen, sondern sie entwarf lediglich einen Nachtragshaushalt, der die Ausgaben der Regierung für die nächsten Monate sicherstellte (India Today, 15.03.1991: 44f). Die Regierung umging dadurch die parlamentarische Debatte um die Schwerpunkte ihrer Wirtschaftspolitik und zwar in einer Situation, in der das Land kurz vor der Zahlungsunfähigkeit stand. Die Devisenreserven reichten gerade noch aus, um die Importe für zwei Wochen bezahlen zu können und dies, obwohl Indien erst im Januar 1991 vom IWF einen Kredit in Höhe von 1,8 Mrd. US-$ erhalten hatte (Chandrasekhar 1991: 20).
Mit dem Nachtragshaushalt vom März 1991 begann in Indien das Strukturanpassungsprogramm, durch das in den folgenden Jahren die indische Wirtschaftsordnung ihren bedeutendsten Wandel seit der Unabhängigkeit erleben sollte. Dieser Wandel wurde eingeleitet, ohne daß im Parlament darüber eine Debatte geführt worden wäre. Nicht einmal die Bedingungen, die die Regierung gegenüber dem IWF eingegangen war, als sie den Kredit im Januar aufgenommen hatte, wurden der indischen Öffentlichkeit mitgeteilt (Chandrasekhar 1991: 133f; Frontline 16.03.1991: 26).
Die Regierung, aber auch die sie stützende Congress-Partei, stand vor dem Problem, daß eine Politik, die den IWF zufriedenstellen würde, innenpolitisch kaum durchsetzbar war, zumal Neuwahlen inzwischen unumgänglich schienen (Chandrasekhar 1991:134).
Der Nachtragshaushalt sah vor, das indische Haushaltsdefizit deutlich zu reduzieren, indem z.B. für den Teuerungszuschlag (Dearness Allowance) der Staatsbediensteten keine Haushaltsmittel ausgewiesen wurden. Gleichzeitig wurde der Verkauf staatlicher Unternehmensbeteiligungen an die Privatwirtschaft und eine Verringerung der Subventionen um 60 Prozent beschlossen. Trotz dieser bedeutenden Einsparungen sollten die Staatsausgaben dennoch um fast neun Prozent ansteigen, weil wachsender Schuldendienst und Verteidigungsausgaben die Einsparungen aufzehrten (Chandrasekhar 1991:21).
Vor allem die Kürzungen bei Nahrungsmittelsubventionen aber auch Einsparungen bei staatlichen Beschäftigungsprogrammen hätten dabei negative Auswirkungen auf ärmere Bevölkerungsgruppen gehabt. Kaum hatte die Regierung ihren Nachtragshaushalt beschlossen, trat Chandra Shekhar jedoch als Premierminster zurück, worauf Präsident Venkataraman das Parlament auflöste und Neuwahlen auf Mitte Mai 1991 festlegte.
5.7 Zusammenfassung: Entwicklung der Politischen Ökonomie (1966-1991)
Die nach 1966 prägenden Entwicklungen in der indischen Wirtschaftspolitik waren sicherlich nicht kontinuierlich. Dennoch lassen sich bestimmte Tendenzen feststellen. Eine dieser Tendenzen besteht darin, daß (bis auf eine kurze Periode zwischen Ende der 60er und den frühen 70er Jahren = Beginn der Grünen Revolution) die Einkommensentwicklung in der Landwirtschaft der im industriellen Sektor hinterherhinkte (Subbarao 1992). Die Vernachlässigung der Landwirtschaft, besonders aber jener Gebiete, die ungünstige Anbauverhältnisse aufweisen, setzte sich also fort. Dies läßt sich sowohl im Wachstum der Produktion, den staatlichen Finanzzuwendungen als auch bei der Einkommensentwicklung der in den jeweiligen Sektoren Beschäftigten feststellen (Chakravarty 1984: 845;Tandon 1993: 239f). Dieser Trend wurde auch durch die Regierungszeit der Janata Partei 1977 - 79 nicht grundsätzlich durchbrochen.
Weiterhin wurde die private Industrie gegenüber der staatlichen deutlich aufgewertet, wobei der Nutzen vor allem der indischen Großindustrie und den ausländischen Investoren zufiel, während die Kleinindustrie kontinuierlich ihren besonderen Status und staatlichen Schutz verlor. Staatliche Kontrollinstrumente zur Überwachung und Lenkung der privaten Wirtschaft wurden immer mehr unterhöhlt, jedoch nicht vollkommen aufgegeben. Die Wachstumsindustrien der 50er und 60er Jahre (Schwer- und Investitionsgüterindustrie) verloren an Bedeutung, Konsumgüterindustrien stiegen hingegen auf. Darin kommt nicht nur eine Schwerpunktverlagerung innerhalb der Industrie zum Ausdruck, sondern auch die Verschiebung hinsichtlich der staatlichen und privaten Sektoren in der Industrie. Privatisierungsmaßnahmen finden sich jedoch in dieser Phase kaum (Mehta 1988: 204); ganz im Gegenteil, seit den späten 70er Jahren wurde der staatliche Sektor immer häufiger zum „Krankenhaus der Privatindustrie“.
In der ersten Hälfte der 80er Jahre gewannen diese Tendenzen an Dynamik und Kontur, wobei ein besonderes Gewicht auf die technologische Modernisierung der privaten Industrie gelegt wurde. Immer mehr der bislang dem staatlichen Sektor vorbehaltenen Industriezweige wurden für private Investoren geöffnet, und der Import von Hochtechnologie wurde nicht nur erleichtert, sondern sogar gefördert. Exportorientierte Industriezweige wurden dabei besonders begünstigt. Einhergehend mit diesen Prozessen verbesserten sich die Investitionsbedingungen für ausländische Unternehmen in Indien zusehends. Das wirtschaftliche Wachstum der 80er Jahre lag deutlich über den Wachstumszahlen aller vorausgehender Perioden, wobei es hauptsächlich von einem überdurchschnittlichen Wachstum bei der Produktion langlebiger Konsumgüter getragen wurde.
Trotzdem können die 80er Jahre gleichzeitig als das Jahrzehnt der wirtschaftlichen Krisen gelten. Das Zahlungsbilanzdefizit stieg praktisch von Jahr zu Jahr, und die Exporterlöse blieben deutlich hinter den Erwartungen zurück, während die Importe stark zunahmen. Immer mehr ausländische Kredite mußten aufgenommen werden, um diese Wirtschaftspolitik zu finanzieren. Sofern an die Kredite Bedingungen geknüpft waren, förderten sie die eingeschlagene Richtung, indem sie die private Großindustrie, den Abbau staatlicher Einflußnahme, Hochtechnologien und ausländische Investoren begünstigten.
Die seit dem Jahr 1980 eingeleitete und dann 1985 weiter gefestigte Wirtschaftspolitik konnte das Problem der Arbeitslosigkeit und Inflation nicht beheben. Trotz hoher Wachstumsraten bei der industriellen Produktion wurden so gut wie keine neuen Arbeitsplätze im modernen Sektor geschaffen. Das beständig ansteigende Haushaltsdefizit der Zentralregierung, das durch Kredite und durch die Notenpresse ausgeglichen wurde, ließ die Inflationsrate auf deutlich über 10 Prozent ansteigen.
Gleichzeitig stieg auch die interne Verschuldung Indiens stark an. Eine in den 70er Jahren Oberhand gewinnende populistische Politik versuchte, die Strukturdefizite der Wirtschaft auszugleichen. Statt Strukturreformen durchzuführen wurden immer häufiger Zuwendungen an bestimmte gesellschaftliche Gruppen finanziert, sei es in Form von Entwicklungsmaßnahmen, Sozialprogrammen oder auch an Zuweisungen an die im staatlichen Sektor Beschäftigten. Zur Steigerung der Exportproduktion wurden häufig Exportsubventionen gewährt. Um die ländliche Elite zufriedenzustellen, wurden Subventionen auf landwirtschaftliche Inputs, vor allem Energie und Düngemittel, stark erhöht. Vor allem städtische Armutsgruppen (aber nicht nur diese) profitierten von steigenden Nahrungsmittelsubventionen, die gleichzeitig dazu beitrugen, daß die Lohnkosten in der privaten Industrie niedrig blieben. Die staatlichen Industriearbeiter konnten ihre Position ebenfalls deutlich verbessern, indem ihre Löhne und vielfältigen Zulagen erheblich ausgeweitet wurden.
Durch interne und externe Verschuldung nahm der Schuldendienst einen immer größer werdenden Anteil an den Staatsausgaben ein. Dies wird dadurch noch prekärer, da die Struktur der Außenverschuldung sich in den 80er Jahre stark wandelte. Anstelle von langfristigen Entwicklungskrediten nahmen kurzfristige, mit höheren Zinsen belastete Kredite von Geschäftsbanken einen immer größeren Anteil ein (Kurien 1994:96f).
Die staatlichen Einnahmen konnten jedoch mit dieser Entwicklung nicht Schritt halten. Versuche, die landwirtschaftlichen Einkommen der mittleren und großen Landwirte zu besteuern, scheiterten an deren Widerstand. Die Einnahmen des Staates durch Überschüsse der staatlichen Betriebe gingen ebenfalls zurück. Durch die Liberalisierung der Importe (vor allem durch die Senkung vieler Zölle) wuchsen auch die Zolleinnahmen nur langsam.
Die Senkung von Einkommenssteuern und Unternehmenssteuern sowie die Einführung vieler Steuerbefreiungen bzw. -reduzierungen für die private Industrie führten dazu, daß die Einnahmen des Staates weiter erodiert wurden bzw. er seinen Schwerpunkt immer mehr auf die Besteuerung von Waren und Dienstleistungen legte (Baru 1990).
Versuche, die „Steuermoral“ zu erhöhen, schlugen ebenfalls fehl und führten lediglich zum Sturz des Finanzministers V.P. Singh, der einen beherzten Feldzug gegen Steuerhinterziehung und andere Formen der Korruption eingeleitet hatte (Betz 1988:66).
Gegen Ende der 80er Jahre erlebte das Wirtschaftswachstum der Jahre zuvor einen Einbruch. Die Nachfrage einer kaufkräftigen Mittelschicht ließ stark nach, die Armut der Menschen vor allem in ländlichen Regionen erlaubte es nicht, neue Konsumtenkreise in nennenswertem Umfang zu erschließen (Lucas 1988: 190).
Die wirtschaftliche Krise war deshalb weniger eine Angebotskrise, die etwa durch fehlende Industriekapazitäten hervorgerufen wurde, sondern eine Nachfragekrise. Sie führte dazu, daß das wirtschaftliche Wachstum gegen Ende der 80er Jahre stark zurückging, und die indische Wirtschaft in eine tiefe Rezession schlitterte.
Die politische Instabilität in der zweiten Hälfte der 80er Jahre verschärfte diese Krise und konnte auch durch eine Regierung der Janata Dal ab 1989 nicht überwunden werden. Ganz im Gegenteil: um die Allianz der ländlichen Eliten mit den ländlichen Unterschichten nicht zu gefährden, wuchsen die Staatsausgaben für den ländlichen Bereich erheblich, ohne jedoch durch ausreichende zusätzliche Staatseinnahmen gedeckt zu sein. Die Staatsverschuldung wuchs dadurch noch weiter.
Machtkämpfe innerhalb der Regierungspartei führten dazu, daß nationale Probleme nicht angegangen wurden, sondern ungebremst weiter eskalieren konnten. Als zu Beginn des Jahres 1991 die wirtschaftliche Krise fast zur Zahlungsunfähigkeit Indiens gegenüber seinen ausländischen Gläubigern führte, konnte nur noch ein Kredit vom IWF den Staatsbankrott für einige Wochen aufschieben helfen. Schon im Januar 1991 war jedoch absehbar, daß der Kredit über 1,8 Mrd. US-$ lediglich ausreichen würde, die Zahlungsschwierigkeiten Indiens für weniger als ein halbes Jahr zu überbrücken. Weitere, weitaus höhere Kredite schienen deshalb unvermeidlich.
6 Strukturanpassung in Indien
Als im Juni 1991 nach 20 monatiger Verbannung auf die Oppositionsbank die Congress-Partei unter Ministerpräsident Narashima Rao wieder die Regierungsgeschäfte in Indien übernahm, befand sich das Land in einer schweren wirtschaftlichen und politischen Krise. Neben den bereits oben angeführten außen- und binnenwirtschaftlichen Problemen verlor Indien mit dem Zusammenbruch der früheren Sowjetunion und ihrer Satelittenstaaten wichtige Handelspartner. Das war auch deshalb schwerwiegend, weil die Handelsgeschäfte zwischen Indien und den Ostblocknationen in der Regel als Kompensationsgeschäfte abgewickelt wurden und dadurch mithalfen, Devisen zu sparen.
Zum vollen Ausbruch kam die Krise im Frühjahr 1991 als die Devisenreserven des Landes einen Tiefststand erreicht hatten und gerade noch ausreichten, um die Importe für weniger als zwei Wochen zu bezahlen (Singh 1991: 6). Galt Indien in den 80er Jahren noch als Land, dessen Auslandsverschuldung wenig Anlaß zur Besorgnis gab, so hatte die Verschuldung inzwischen lateinamerikanische Dimensionen erreicht.
Nach Mexiko und Brasilien war Indien damit in kurzer Zeit zum drittgrößten Schuldner in der Dritten Welt geworden. Nicht nur im Ausland war der indische Staat jedoch hoch verschuldet, auch die interne Verschuldung war in den letzten Jahren ständig angewachsen. Anders als bei den lateinamerikanischen Ländern, deren Auslandsschulden 1986 2,5-mal so hoch wie die Inlandsverbindlichkeiten waren, betrugen in Indien 1988 die Auslandsschulden "nur" ca. 10% der Gesamtschulden (Chandrasekhar 1991: 5).
Schon wenige Tage nachdem im Juni 1991 die Congress-Partei wieder die Regierung in Indien stellte, wurden deshalb die Verhandlungen mit dem IWF um ein milliardenschweres Kreditpaket weitergeführt. Indien kam in dieser schwierigen wirtschaftlichen Situation unter zusätzlichen Druck, weil internationale Kredite erheblich reduziert und von weitreichenden wirtschaftlichen Strukturänderungen abhängig gemacht worden waren. So gingen auch die Kredite privater Geschäftsbanken an Indien nach 1989 stark zurück, und die noch gewährten Kredite wurden zu weitaus ungünstigeren Bedingungen als zuvor gewährt. Um die drohende Zahlungsunfähigkeit hinauszuschieben, versuchte die indische Regierung Kreditauszahlungen durch die International Development Association (IDA) zu beschleunigen. Immerhin standen noch bereits zugesagte Kredite in einer Größenordnung von über 10 Mrd. US-Dollar aus. Die Weigerung der Weltbank, diese Kredite vorzeitig auszuzahlen, führte bei im Ausland lebenden Inderinnen und Indern (Non-Residental Indians, NRIs) zu Panikreaktionen. Innerhalb kürzester Zeit transferierten sie einen Teil ihrer auf indischen Konten angesparten Guthaben ins Ausland. Zwischen April und Juni 1991 zogen sie fast eine Milliarde US-$ aus Indien ab und in den folgenden Monaten ca. 200 Millionen US-$ monatlich (Swamy 1994: 247). Auch die Verpfändung von Gold im Wert von insgesamt 400 Millionen US-$ konnte die Zahlungsunfähigkeit nicht aufhalten.
Weitere Kredite durch den IWF und die Weltbank waren in der gegebenen Situation unumgänglich. Da die Ziehungsmöglichkeiten der unteren Tranchen beim IWF bereits ausgeschöpft waren, war zu erwarten, daß mit diesen Krediten weitreichende Auflagen verbunden sein würden. Ende Juli sagte der IWF einen Kredit über SDR 166 Millionen zu, und die Weltbank organisierte ein Kreditprogramm für den Zeitraum 1992-95.
1. Die Weltbank stellte Strukturanpassungskredite von 2 Mrd. US-$ jährlich in Aussicht.
2. von der IDA wurden Kredite in Höhe von 900 Millionen US-$ jährlich bewilligt.
3. Darüberhinaus wurde ein einmaliger Kredit von 650 Millionen US-$ durch die IDA gewährt.
Insgesamt sagte damit die Weltbankgruppe bei ihrem erstmals an Indien vergebenen Strukturanpassungskredit Zahlungen in Höhe von 12,25 Mrd. US-$ zu (Swamy 1994: 251f.).
Kaum waren die Verhandlungen über dieses Kreditpaket abgeschlossen, erklärten sich auch andere Kreditgeber zu neuen Zahlungen bereit. Das AIC beschloß Kreditzusagen für 1991 in Höhe von 6,7 Mrd. US-Dollar und für 1992 in Höhe von 7,2 Mrd. US-Dollar (Economic Survey 1992-93: 111).
Das von IWF und Weltbank geschnürte Reformpaket bestand aus zwei unterschiedlichen, jedoch eng miteinander verbundenen Wirtschaftsprogrammen. Das erste, das unter Federführung des IWF durchgeführt wird, ist ein makroökonomisches Stabilisierungsprogramm, das sich vor allem auf die Verbesserung der Zahlungsbilanzsituation und die Reduzierung des indischen Haushaltsdefizites konzentriert. Unter der Federführung der Weltbank soll gleichzeitig ein umfangreiches Programm zum Wandel der Wirtschaftsstruktur durchgeführt werden, das u.a. die Bereiche Handel, Industrie, ausländische Investitionen und den staatlichen Wirtschafts- und Finanzsektor abdeckt (vgl. Pederson 1994: 279f). Nach Muralidharan (1992) verpflichtete sich die indische Regierung gegenüber der Weltbank, Maßnahmen in folgenden Bereichen durchzuführen:
- die vollkommene Umgestaltung der Außenhandelsordnung, um das Außenhandelsdefizit zu verringern. Dazu wurde "empfohlen":
1. die Abschaffung von Importgenehmigungen für Kapitalgüter in Höhe von bis zu 100 Mio. Rs.
2. die Entstaatlichung ("decanalisation") aller Importe mit Ausnahme von Erdöl, Düngemitteln, Speiseölen und Getreide.
3. die vollkommene Abschaffung von Importverboten.
4. die Reduzierung der Einfuhrzölle.
5. die Lockerung von Exportkontrollen.
- Das Haushaltsdefizit, das gegen Ende der 80er Jahre etwa 9 Prozent des Bruttoinlandproduktes (BIP) betrug, soll zunächst auf 6,5 Prozent und später dann auf 5 Prozent des BIP reduziert werden. Hierzu sollen zunächst Subventionen in vielen Bereichen abgeschafft bzw. deutlich reduziert werden; außerdem soll sich der indische Staat nach und nach aus vielen wirtschaftlichen Bereichen zurückziehen. Die rentablen Staatsunternehmen sollen in Aktiengesellschaften umgewandelt werden und die Mehrheit der Aktien verkauft werden, während die unrentablen geschlossen werden sollen, wenn eine Sanierung unmöglich erscheint (Exit Policy). Mit dieser Maßnahme verspricht sich die Regierung zunächst zusätzliche Einnahmen durch den Aktienverkauf und in der Zukunft eine geringere Haushaltsbelastung durch unwirtschaftliche Betriebe.
- Der ausufernde Bürokratismus (Licencing Raj) soll sowohl in der Industrie- als auch in der Handelspolitik eingedämmt werden. Investitionslizenzen, Einfuhr- und Zollbestimmungen, Kartellgesetzgebung etc., sollen am besten abgeschafft oder zumindest stark vereinfacht werden, um die Entfaltung der Produktivkräfte nicht zu behindern.
- Betriebsschließungen und Entlassungen in der privaten Wirtschaft sollen vereinfacht werden. Die dazu notwendigen Gesetzesänderungen sollen umgehend beschlossen werden. Außerdem soll ein National Renewal Fund eingerichtet werden, der die sozialen Auswirkungen der Betriebsschließungen mildern soll.
- Der staatliche Einfluß auf die Kredit- und Versicherungswirtschaft soll mittelfristig verringert werden. Die von Indira Gandhi zu Beginn der 70er Jahre durchgeführte Verstaatlichung der Banken soll rückgängig gemacht werden.
- Innerhalb von drei Jahren sind die Haushaltszuweisungen an Staatsbetriebe einzustellen, sofern sie nicht der Schaffung/Aufrechterhaltung von Infrastrukturen dienen.
- Innerhalb von höchstens drei Jahren müssen Zinssubventionen, die bei besonderen Kreditprogrammen gewährt werden, abgeschafft werden.
6.1 Strukturanpassung und Politische Ökonomie
IWF und Weltbank haben die wirtschaftliche Krise, vor allem die sich abzeichnende Zahlungsunfähigkeit des indischen Staates im Hinblick auf seine Auslandsschulden dazu benutzt, um Druck auf die indische Regierung auszuüben. Gleichzeitig sollte auch nicht vergessen werden, daß bereits mit dem IWF-Kredit von 1981 in Indien eine Wirtschaftspolitik unterstützt wurde, die erheblichen Anteil am Entstehen der Krise gegen Ende der 80er Jahre hatte. Wirtschaftsreformen in Indien, so wie sie 1980 und 1984 eingeleitet worden waren, spiegeln die Interessen der wirtschaftlichen Eliten in den Industrienationen wider; durch die fortschreitende Liberalisierung wird der indische Markt zunehmend für Importe aus den Industrienationen geöffnet und die Investitionsbedingungen für ausländische Unternehmen verbessert. Wie schon zu anderen Gelegenheiten nutzten die Industrienationen eine wirtschaftliche Krise aus, um ihren Interessen in Indien nachzukommen. Aus der Sicht der wirtschaftlichen Eliten in den Industrienationen ist das Strukturanpassungsprogramm nach 1991 eine Fortführung und Intensivierung der Reformen von 1980 und 1984, die zwischenzeitlich an Dynamik verloren hatten.
Allerdings ist ein solches Verständnis von Strukturanpassungspolitik unvollständig, denn innerhalb Indiens lassen sich ebenfalls gesellschaftliche Gruppen ausmachen, die ein starkes Interesse an einer ordnungspolitischen Wende haben. Es soll an dieser Stelle noch einmal darauf hingewiesen werden, daß das wirtschaftliche Wachstum der 80er Jahre nur durch eine Einkommensumverteilung „von unten nach oben“ erreicht werden konnte. Um die interne Nachfrage anzuregen und die Akkumulationsbedingungen der Großindustrie zu verbessern, waren die direkten Steuern (Einkommenssteuer, Gewerbesteuer) weiter gesenkt und Importzölle und -beschränkungen reduziert worden. Die dadurch verminderten Steuereinnahmen mußten durch indirekte Steuern und der Ausweitung der Staatsverschuldung ausgeglichen werden, was inflationäre Tendenzen verstärkte. Der Abbau des Außenschutzes verursachte eine Konkurswelle unter den kleinen und mittleren privaten Industriebetrieben, stellte aber auch viele Staatsbetriebe vor ernsthafte Probleme.
Mit dem Strukturanpassungsprogramm ab 1991 wird also eine bereits zuvor eingeleitete Politik weiterverfolgt, die allerdings neue Qualitäten aufweist. Während bislang der staatliche Wirtschaftssektor nicht grundsätzlich in Frage gestellt wurde, wird nun eine breitangelegte Privatisierungwelle eingeleitet.
6.1.1 Konkrete Maßnahmen der Strukturanpassung
Wirtschaftspolitische Entscheidungen in Indien werden vor allem bei der Vorlage des Haushaltsplanes der Zentralregierung getroffen, der i.d.R. Ende Februar eines jeden Jahres im Parlament eingereicht wird. In diesem Haushaltsplan werden den einzelnen Ressorts für das ausstehende Wirtschaftsjahr ihre Mittel zugewiesen, werden Grundsatzentscheidungen bezüglich der Geldmengenpolitik der 'Reserve Bank of India' getroffen, wird über die Erhöhung/Reduzierung von Steuern, Zöllen, Abgaben und Subventionen entschieden. Dann, nachdem die Staatsausgaben und -einnahmen sich gegenübergestellt wurden, wird auch die Neuverschuldung der Zentralregierung festgelegt.
Kurzum: Im jährlichen Haushaltsplan werden die wirtschaftspolitischen Maßnahmen festgelegt, soweit sie die Finanzen der Zentralregierung betreffen. Der Haushaltsplan ist damit das wichtigste Planungsinstrument im fiskalen Bereich. Daneben werden in Indien Fünf-Jahres-Pläne (Perspektivpläne) erstellt, an die sich die Zentralregierung bei der Formulierung ihrer jährlichen Haushaltspläne nach Möglichkeit halten soll, die aber in ihrer konkreten Ausgestaltung weit weniger detailliert sind als die jährlichen Pläne. Seit dem 1. April 1992 ist der achte Fünf-Jahres-Plan in Kraft, der wegen der politischen Instabilität erst mit zweijähriger Verspätung verabschiedet werden konnte.
Was die Handelspolitik betrifft, so trat am 1. April 1992 ein Perspektivplan für die Jahre 1992 bis 1997 in Kraft, in dem in erster Linie Maßnahmen bezüglich Handelslizenzen, -beschränkungen, -verbote, -tarife beschlossen bzw. angekündigt werden. Außerdem werden in diesem Plan Institutionen und Programme zur Exportförderung eingerichtet.
Die nachfolgende Zusammenstellung der wichtigsten Reformen ist nicht vollständig. Sie wurde zusammengestellt aus der Durchsicht der Haushaltspläne 1991-92 bis 1994-94 sowie der den Haushaltsplänen vorausgehenden "Economic Surveys" der jeweiligen Jahre.
6.1.1.1 Maßnahmen, die den Außenhandel betreffen
Kaum hatte der neue indische Finanzminister Manmohan Singh sein Amt angetreten, wertete er am 01. und 03. Juli 1991 - als erste Amtshandlung - die indische Währung gegenüber den wichtigsten Währungen der Industrienationen um ca. 20 Prozent ab; innerhalb von drei Tagen hatte die indische Währung somit diesen gegenüber um gut 1/5 an Wert verloren und die Verschuldung Indiens hatte sich gleichzeitig um diesen Wert erhöht.1
Da die Importe nach Indien durch diese Maßnahme um 20 Prozent teurer wurden und die Exporte sich um die gleiche Prozentzahl verbilligten, glaubte die Regierung, mit diesem Mittel eine Verringerung der Importe und eine starke Ausweitung der Exporte erreichen zu können. Diese Logik ist jedoch nur in Teilen nachvollziehbar: es ist zwar richtig, daß sich die Exporte aus Indien um 20 Prozent verbilligen, d.h. indische Produkte werden auf dem Weltmarkt konkurrenzfähiger, aber um die gleiche Devisenmenge zu erwirtschaften, muß (vereinfacht) das Exportvolumen erst einmal um 20 Prozent gesteigert werden.
Erst bei einer Steigerung von mehr als 20 Prozent fließen zusätzliche Devisen nach Indien. Außerdem wurden auch in vielen Bereichen die Importzölle stark reduziert und die Importbedingungen (Importverbote, -lizenzen, etc) vereinfacht, so daß für viele ausländische Produkte der Zugang zum indischen Markt verbilligt und dadurch erleichtert wurde. Kritiker dieser Maßnahme gehen davon aus, daß der indische Markt dadurch von ausländischen Produkten überschwemmt und die indische Konsumgüterindustrie vom heimischen Markt verdrängt werden könnte.
Um dann das weiter anwachsende Außenhandelsdefizit doch noch in den Griff zu bekommen, müßte sich die indische Wirtschaft verstärkt auf Exportbereiche stützen, die einen geringen Importbedarf haben, d.h. vor allem auf den Export von mineralischen und agrarischen Rohstoffen und Produkten einfacher Verarbeitungsstufe. Selbst Reis, das wichtigste indische Nahrungsgetreide, bleibt davon nicht ausgenommen. Bei keinem anderen Produkt wurde nach 1991 eine größere Steigerung des Exportvolumens erreicht (Ghosh 1993b: 47).
Dem Land droht auf diese Weise langfristig eine Deindustrialisierung, verbunden mit einer noch höheren Arbeitslosigkeit und dem weiteren Zerfall der Währung (Abwertungskreislauf).
Eine starke Öffnung der Wirtschaft zum Weltmarkt hin kann auch die Inflation weiter anwachsen lassen, denn der inländische Preis für bestimmte Waren, die wegen dem Wegfallen von Exportbeschränkungen und Ausfuhrzöllen auch auf dem Weltmarkt verkauft werden können, wird sich mittelfristig dem Weltmarktniveau anpassen.
Abb. 1: Entstehung eines Abwertungskreislaufs
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Für die indischen Konsumenten könnte dies bedeuten, daß Luxusgüter - sie lagen in ihrem Preis bislang deutlich über dem Weltmarktniveau - erheblich billiger werden, während sich einfache Konsumgüter und vor allem Nahrungsmittel verteuern, vor allem wenn durch die Ergebnisse der Uruguay-Runde mittelfristig die Weltagrarpreise tatsächlich steigen.Schließlich - und hierin dürfte wohl die größte Gefahr der Währungsabwertung liegen - verteuern sich eben auch jene Importe, die für das Land unverzichtbar sind, vor allem wenn es darum geht, die heimische Industrie wieder auf Wachstumskurs zu bringen. So ist mit der Abwertung z.B. auch gleichzeitig die indische Erdölrechnung - bei gleichbleibendem Einfuhrvolumen und Weltmarktpreisen - um 20 Prozent gestiegen; bei einer Wirtschaft, die jedoch - so die Absichten der Politiker - stark expandieren soll, wird es wohl kaum gelingen, die Erdöleinfuhren auf dem jetzigen Stand einzufrieren. Es kann vielmehr damit gerechnet werden, daß die Importe in den nächsten Jahren in diesem Bereich sehr stark anwachsen. Ähnlich wird es bei den Importen von Investitionsgütern sein. Allein diese beiden Produktgruppen machten 1992 fast die Hälfte der Importe (in US-$) aus. Da die indische Regierung kein Geld haben dürfte, diese Steigerung durch Subventionen vom Verbraucher fernzuhalten, wird von der Verteuerung der Importe ein Inflationsschub ausgehen.
6.1.1.2 Reformmaßnahmen in der Handels- und Industriepolitik
Mit der Abwertung der indischen Rupie wurde eine wichtige Maßnahme durchgeführt, um den indischen Außenhandel zu fördern. Zusätzlich wurden zur Belebung der Produktion und des Exportes weitere Maßnahmen beschlossen:
- Abschaffung der Industrielizenzen in fast allen Bereichen. Die Anzahl der Produkte, für deren Herstellung eine Lizenz notwendig ist, hat sich auf 15 reduziert (Economic Survey 1993-94).
- Reduzierung der ausschließlich für den Staatssektor reservierten Industriezweige von 17 auf jetzt nur noch sechs, die strategische oder Sicherheitsfragen berühren.1
- Generelle Abschaffung von Standortgenehmigungen mit Ausnahme von 23 Großstädten mit über einer Million Einwohnern.
- Die Grenze für Anteile ausländischer Investoren wurde in einer großen Anzahl von Industriezweigen (priority industries) von 40 auf 51 Prozent erhöht. Antrags- und Genehmigungsverfahren wurden vereinfacht, ebenso der Gewinnabfluß in die Mutterländer der Multinationalen Konzerne. Zusätzlich wurden für ausländische Investoren Steuererleichterungen eingeführt.
- Unternehmen, die in industriell strukturschwachen Regionen investieren, werden für fünf Jahre von der Unternehmenssteuer befreit (Economic Survey 1993-94: 93)
- Bei der Umwandlung von landwirtschaftlich genutztem Land in Industrieflächen muß zukünftig nicht mehr die Zustimmung der Regionalbehörden eingeholt werden.
- Die Einfuhr von Kapitalgütern wird zukünftig automatisch genehmigt, wenn diese durch ausländische Direktinvestitionen finanziert werden.
- Mit der Privatisierung von Staatsunternehmen wurde inzwischen begonnen, ebenso mit der Schließung von unrentablen Staatsbetrieben. Als soziales Auffangnetz wurde dabei mit Unterstützung der Weltbank ein National Renewal Fund eingerichtet.
- die Verbotslisten für Importe und Exporte wurden stark ausgedünnt, Import- und Exportbeschränkungen für viele Güter aufgehoben, das Lizenzverfahren im Außenhandelsbereich stark vereinfacht; für viele Produkte die Lizenzpflicht ganz abgeschafft.
- für eine ganze Reihe von Produkten (vor allem für Rohmaterialien und Investitionsgüter) wurden die Einfuhrzölle drastisch reduziert (Budget 1994-95: 17).
6.1.1.3 Inflation und Strukturanpassung
Die ersten Folgen der Abwertung der indischen Währung wurden deutlich, als der Finanzminister am 24.07.1991 im indischen Parlament den Haushaltsentwurf für das Wirtschaftsjahr 1991/92 einreichte. Um die Importrechnung für Erdölprodukte überhaupt bezahlen zu können, wurde der Preisanstieg an die Konsumenten weitergegeben. Die Preise für Benzin, für Flüssiggas zu Kochzwecken und für Flugbenzin wurden um 20% angehoben. Alle anderen Petroleum-Produkte (mit Außnahme von Dieselkraftstoff und Kerosin) wurden um 10% teurer. Lediglich Kerosin für private Haushalte wurden um 10% im Preis gesenkt. Im Januar 1994 wurden die Preise für Kraftstoffe, diesmal auch für Dieselkraftstoff, nochmals deutlich angehoben (The Hindu 02.02.1994).
Die Runde der Subventionskürzungen wurde mit der Streichung der Subventionen für Düngemittel eingeläutet, was einer Verteuerung von 40 Prozent gleichkam. Schon bald nachdem diese Maßnahme verkündet war, formierte sich bei den Bauernverbänden heftiger Widerstand, und die Regierung Rao mußte deshalb im August 1991 in diesem Punkt weitreichende Zugeständnisse machen. So wurde die Preisanhebung auf 30 Prozent reduziert und außerdem wurden Klein- und Kleinstbauern ganz von der Preisanhebung ausgenommen (The Hindu 25.08.1991). Mit dem Wegfall der staatlichen Unterstützung waren viele indische Düngemittelproduzenten nicht mehr in der Lage, gegen ausländische Anbieter zu konkurrieren. Bis Mitte Juni 1993 mußten deshalb mehr als 30 Betriebe in Indien schließen, was die Regierung zum Anlaß nahm, neue Subventionen für einheimische Erzeuger einzuführen (The Hindu 19.06.1993).
Ebenfalls gestrichen wurden die Subventionen für Zucker im staatlich organisierten Verteilungssystem. Zwischen Sommer 1991 und Februar 1994 stieg dadurch der Preis für Zucker in den staatlichen Verkaufsläden (Fair Price Shops) von 5,25 Rs/kg auf 9,05 Rs/kg. Zwischen Dezember 1991 und Januar 1994 wurde der Ausgabepreis für Getreide in den staatlichen Lebensmittelläden in mehreren Schritten deutlich angehoben.
"When the Govenment took office, the price of wheat issued from the public distribution system (PDS) was Rs. 234 a quintal. Today it is Rs. 402. And while the issue price for the common variety of rice stood at Rs. 289, when the reforms began, today it is Rs. 537" (Muralidharan 1994: 30)
Beim Haushaltsplan für die indische Eisenbahn wurden zwischen 1991/92 und 1994-95 jedes Jahr die Fahrt- und Frachtkosten deutlich gesteigert.1 Für Produkte wie Getreide und Hülsenfrüchte, Dieselkraftstoff, Zucker und Ölkuchen, für die bisher verbilligte Frachttarife gegolten hatten, galten ab 01.April 1993 die normalen Tarife. Eine Zugfahrt zweiter Klasse von Madras nach Neu Delhi, die im Juni 1991 noch 165 Rs. gekostet hatte, kostete nach dem 1. April 1994 246 Rs. Erstmals wurden mit dem Haushaltsplan 1994/95 auch 14 Bahnstrecken stillgelegt. Die indische Regierung hatte zuvor den Landesregierungen angeboten, diese Strecken weiterhin zu betreiben, aber nur unter der Bedingung, daß sich die Landesregierungen zur Hälfte an den Verlusten beteiligten (The Hindu, 26.02.1994).
Bei den bislang aufgezählten Preissteigerungen handelte es sich ausschließlich um die Anhebung von Preisen für Waren und Dienstleistungen, die von der Zentralregierung festgesetzt werden. Hinzu kamen Preissteigerungen, die in den Zuständigkeitsbereich der einzelnen Landesregierungen fallen wie z.B. Elektrizität, Straßentransport etc. sowie Preiserhöhungen für Waren und Dienstleistungen, die zwar keiner staatlichen Kontrolle unterliegen, die jedoch durch die staatlichen Maßnahmen ausgelöst wurden. So bestätigte sich ein langjähriger Trend, daß die Getreidepreise auf dem freien Markt sich den Veränderung der Preise in den staatlichen Lebensmittelläden anpassen.
Im Vergleich zu 1991 ist 1992 die Preissteigerung deutlich zurückgegangen, dennoch verteuern sich nach wie vor auf breiter Front viele Produkte. Einer durchschnittlichen Steigerung der Konsumentenpreise von 13,6 Prozent im Wirtschaftsjahr 1991/92 steht ein Jahr später eine Steigerung von 8,4 Prozent entgegen. Der Trend, daß sich vor allem Nahrungsmittel überdurchschnittlich verteuern, hält nach wie vor an (Economic Survey 1992/93: 77). Im März 1994 überschritt die Inflationsrate wieder die 10 Prozentmarke (The Hindu 11.04.1994), nachdem es der Regierung nicht gelungen war, die staatliche Neuverschuldung zu begrenzen; die nur zwei Monate zuvor beschlossenen Preissteigerungen bei Reis, Weizen, Zucker und Kraftstoffen taten ihr übriges. Die angekündigte, jedoch in Haushaltsjahr 1993-94 nicht eingehaltene Ausgabendiziplin des Staates sollte verhindern, daß sich die in Umlauf befindliche Geldmenge nicht weiter vergrößert. Damit sollte die Inflation bekämpft werden. Da die Einsparungen jedoch zum größten Teil über den Abbau von Subventionen und den Rückzug des Staates aus wirtschaftlichen Aktivitäten erreicht werden, wird der Nutzen einer unter Umständen neu gewonnen Geldwertstabilität sehr ungleich verteilt sein, da eine solche Haushaltsdisziplin inflationäre Tendenzen begünstigt, von denen vor allem die Armen betroffen sind. Im Nahrungsbereich ist weiterhin mit deutlichen Preissteigerungen durch die Reduzierung von Subventionen für Düngemittel und direkte Nahrungsmittelsubventionen zu rechnen, da der Wegfall der Düngemittelsubventionen durch die Anhebung der Erzeugerpreise kompensiert werden soll. Vor allem Landwirte, die einen hohen Marktanteil produzieren, werden dadurch begünstigt.
Zudem sind Konsumenten aus den unteren Einkommensschichten von Preissteigerungen auch dadurch erheblich betroffen, da sie nicht - wie die Angehörigen der Mittelschichten - die Preissteigerungen durch einen erhöhten Steuerfreibetrag und eine Teuerungszulage (s.u.) auffangen können (Ghosh 1994: 891).
In anderen gesellschaftlichen Bereichen lassen sich Verteuerungen nicht über die Inflationsrate ausdrücken, so etwa im Bildungs- und Gesundheitsbereich. Erste Anzeichen deuten darauf hin, daß auch hier in den nächsten Jahren drastische Veränderungen eintreten könnten. So wurde z.B. im Februar 1992 von der vom Congress geführten Landesregierung Keralas die Schließung von 1.064 „unwirtschaftlichen“ Schulen verkündet „Unwirtschaftlich“ meint dabei Schulen, die weniger als 50 Schüler in den vier untersten Klassen aufweisen. Gleichzeitig schießen in Kerala die privaten Schulen wie Pilze aus dem Boden (Bhaskar 1992). Kerala, das im Bildungsbereich einzigartig in Indien ist, fängt damit an, Armutsgruppen aus diesem Bereich auszugrenzen, denn viele der geschlossenen Schulen lagen in Gebieten mit einem hohen Stammesbevölkerungsanteil, auf isolierten Backwater-Inseln und in anderen benachteiligten Regionen.
Schließlich zeigte sich, daß die Steuererleichterungen für Privathaushalte und Industrie ebenfalls inflationäre Tendenzen förderten, weil sie nicht zu einer zusätzlichen Nachfrage und neuen Investitionen führten, sondern große Summen in Kapitalspekulationen angelegt wurden (Sau 1994: 941). Bereits nach dem Wahlsieg der Congress-Partei hatten die Börsen in Indien kräftige Kursanstiege verzeichnet. Viele Anleger wurden dadurch zusätzlich ermuntert, Aktien zu erwerben, was die Kurse weiter in die Höhe schnellen ließ. Das überaus freundliche Börsengeschehen wurde allerdings nicht durch ein tatsächliches Wachstum in der realen Ökonomie gestützt. Durch die Spekulationsgewinne an der Börse1 wurde die Geldmenge weiter aufgebläht, ohne daß im gleichen Umfang die Produktion der Wirtschaft ausgeweitet wurde.
6.1.1.4 Steuerpolitische Maßnahmen
Mit dem Haushaltsplan 1992/93 begann die indische Regierung mit der Reformierung des Steuersystems. Der Einkommenssteuerfreibetrag wurde dabei von 22.000 Rs auf nun 28.000 Rs heraufgesetzt. Der Spitzensteuersatz (für versteuerbare Einkommen über 100.000 Rs) von 50 auf 40 Prozent gesenkt (Economic Survey 1992-93: 32). Die Regierung geht davon aus, daß sich so das Steuereinkommen erhöhen läßt (Finanzminister Singh 1992: 18f). Mit dem Haushaltsplan 1994/95 wurde dann der Einkommenssteuerfreibetrag auf 35.000 Rs pro Jahr angehoben. Damit werden alle Bruttoeinkommen bis zu 50.000 Rs jährlich von der Einkommenssteuer ausgenommen. Gleichzeitig wurde die Bemessungsgrenze für den Spitzensteuersatz (40%) auf 120.000 Rs angehoben (Budget 1994-95: 26f).
Eigentümern von Aktien, Wertpapieren, Staatsanleihen und Bankeinlagen wird eine „Steuerehrlichkeit“ erst gar nicht mehr abverlangt: für diese „produktiven“ Wertanlagen muß zukünftig keine Vermögenssteuer mehr bezahlt werden, und Zinsen aus solchen Anlagen sind von der Einkommenssteuer befreit. Bei der Vermögenssteuer für „unproduktive“ Vermögenswerte (z.B. Gold, Schmuck, Flugzeuge, Immoblien und Grundstücke) wird der Freibetrag von 0,5 auf 1,5 Millionen Rs angehoben. Für den übersteigenden Betrag muß eine Vermögenssteuer von einem Prozent abgeführt werden (Economic Survey 1992-93).
Damit diese Steuerbefreiungen vom entsprechenden Personenkreis auch gebührend gefeiert werden können, wurde die Luxus-Steuer für klimatisierte Restaurants abgeschafft, denn "[...] airconditioning in restaurants [...] is no longer a luxury item of the rich" (Finanzminister Singh 1992: 22)
Mit der Errichtung einer National Housing Bank wurde Steuerhinterziehung praktisch legalisiert. Illegal erworbenes Geld konnte bei dieser Bank angelegt werden, ohne daß nach seiner Herkunft gefragt wurde.
Mit dem Haushaltsplan von 1992/93 wurden Goldeinfuhren von Indern und Personen indischer Abstammung bis zu einem Gewicht von 5 kg legalisiert. Der Einfuhrzoll betrug 450 Rs/10g (später auf 220 Rs/10g gesenkt). Am 1. März 1992, als diese Bestimmung in Kraft trat, konnte beim Import vom 5 kg Gold wegen des gegenüber dem Weltmarkt höheren Goldpreises in Indien nach Abzug der Einfuhrsteuer ein Gewinn von Rs 525.000 erzielt werden (The Observer 01.03.1992). Für jene, die diese Legalisierung hatten kommen sehen und schon zuvor mit dem (noch illegalen) „Goldimport“ begonnen hatten, richtet der Finanzminister ein Anlageprogramm für Gold ein.
"The bond would be for a period of five to seven years and would be liquidated by return of gold, or equivalent value, at the option of the holder. It would enjoy a small interest, which will not attract income-tax. As an added incentive, holders of such bonds will not be asked any questitons about the source of the gold holding" (Finanzminister Singh 1992: 6)1
6.1.1.5 Strukturanpassung und Beschäftigung
Die kapitalintensive Wirtschaftspolitik der 80er Jahre hatte zwar zwischenzeitlich zu den bislang höchsten industriellen Wachstumszahlen im unabhängigen Indien geführt, gleichzeitig jedoch kaum neue Arbeitsplätze schaffen können. 1972-1977 stieg die Beschäftigung pro ein Prozent Wirtschaftswachstum um 0,61 Prozent, 1977-83 um 0,55 Prozent und 1983-1988 um 0,38 Prozent (Ghosh 1993: 37).
"A decade in which the growth rate was the highest, the increase in employment was the lowest" (Kurien 1994: 97).
Durch die Maßnahmen der Strukturanpassung wird sich daran wenig ändern. Es ist sogar zu erwarten, daß sich die Beschäftigungssituation in Indien weiter verschlechtert. Während in den 80er Jahren viele unrentable Privatbetriebe verstaatlicht wurden, ist der indische Staat dazu heute nicht mehr bereit, sondern versucht seinerseits, seine unwirtschaftlichen Betriebe zu schließen. Mit den Änderungen des Industrial Dispute Acts, die im Haushaltsplan 1994-95 angekündigt werden, soll bei Entlassungen und Betriebsschließungen künftig keine Zustimmung der Regierung mehr notwendig sein, sofern die Betriebe nicht mehr als 300 festangestellte ArbeiterInnen haben (bislang 100; Budget 1994-95: 110). Die Schließung privater Betriebe wird dadurch erheblich vereinfacht.
In der Durchführungsperiode des Achten Fünf-Jahres-Plans (1992-1997) wird die erwerbsfähige Bevölkerung Indiens um etwa 35 Millionen Personen zunehmen, in den darauffolgenden fünf Jahren um weitere 36 Millionen. Zum 1. April 1992 bestand bereits ein Arbeitsplatzangebotsdefizit von 23 Millionen Stellen. Bis zum Jahr 2002 müssen in Indien also 94 Millionen neue Arbeitsplätze eingerichtet werden, will man bis dahin das Ziel der Vollbeschäftigung erreicht haben, d.h. die Beschäftigung müßte jährlich um 3 Prozent steigen (Ghosh 1993: 37).
Wenn sich der Staat mittel- bis langfristig aus vielen Unternehmensbereichen zurückziehen wird, liegt es bei der privaten Industrie, diese Beschäftigungsmöglichkeiten zu schaffen. Hier sieht der Trend jedoch eher entmutigend aus. Zwischen Dezember 1981 und Dezember 1988 gingen die Beschäftigtenzahlen bei der privaten Industrie Indiens von 4,6 Millionen auf 4,3 Millionen zurück, während sie in den staatlichen Industriebetrieben von 1,59 auf 1,86 Millionen zunahmen. Insgesamt stagniert die Beschäftigtenzahl im organisierten Sektor seit 1981 auf einem Stand von etwa 6,2 Millionen Stellen; in den meisten Jahren, die in diesen Zeitraum fallen, hat sich die Produktion jährlich zwischen 7 und 8 Prozent erhöht, die Produktivität konnte also deutlich gesteigert werden. Mit der angekündigten „Exit“-Politik sind mehr als 2 Millionen Arbeitsplätze in der privaten und staatlichen Industrie gefährdet. Es ist kaum zu erwarten, daß die fehlenden Arbeitsplätze in der Landwirtschaft geschaffen werden können, denn hier wird von einer Zunahme der Arbeitsplätze von ca. 1 Prozent jährlich ausgegangen (Ghosh 1993: 37).
6.2 "Staatsklassen", ihr Klientel und Strukturanpassung
Mit dem Strukturanpassungsprogramm wird nicht nur versucht, die Wirtschaft Indiens zu modernisieren und enger an die Weltwirtschaft anzubinden, sondern einhergehend damit wird die Aufgabenverteilung zwischen Staat und Wirtschaft vollkommen neu definiert. Während die Wirtschaftsreformen der 80er Jahre viele Bereiche der Wirtschaft privaten Investoren öffnete, ohne jedoch die staatlichen Betriebe in private umwandeln zu wollen, wird der Aspekt der Privatisierung staatlicher Wirtschaftsunternehmen nach 1991 zu einem Schwerpunkt der Strukturanpassungspolitik.
Jene Wirtschaftsreformen, die auf die Rückdrängung des Staates aus dem Wirtschaftsgeschehen zielen, werden u.a. auch immer wieder damit begründet, daß die bestehende Ordnung (a) die Entwicklungsmöglichkeiten der indischen Industrie verhindere und (b) zu einer Fehlallokation von Ressourcen führe, indem politische und administrative Macht zur persönlichen Bereicherung bei Teilen der Staatsklasse führten (rent-seeking) (Ghosh 1994: 13).
Wenn im vorliegenden wirtschaftstheoretischen Zusammenhang von „Rente“ gesprochen wird, dann wird darunter in der Regel die Erzielung eines „arbeitslosen“ Einkommens verstanden, das aufgrund einer speziellen Marktsituation entsteht. Sie kann also als Vorzugseinkommen begriffen werden, welches dadurch zustande kommt, daß sich der Preis einer Ware nicht nach dem tatsächlichen Marktpreis bestimmt, sondern indem marktfremde Einflüsse - etwa staatliche Einwirkungen auf den Preisbildungsprozeß - wirksam werden (vgl. Weede 1985: 274f).
Unter diesem Blickwinkel wären unter „Renteneinkommen“ jene Teile des Unternehmensprofits zu verstehen, die z.B. erst durch Importschranken oder komplizierte Genehmigungsverfahren möglich werden. Staatliche Reglementierungen sorgen also dafür, daß Unternehmen überhöhte Preise auf „unvollkommenen“ Märkten verlangen können.
Weiterhin können in diesem Sinne überhöhte Lohneinkünfte der im staatlichen Sektor Beschäftigten als „Renten“ bezeichnet werden, weil sich auch hier die Löhne nicht durch Marktkräfte sondern durch marktfremde Kräfte bilden. Nach dieser Logik wären dann auch die Löhne der Arbeiterschaft in Unternehmen mit starken gewerkschaftlichen Kräften als „Renten“ zu bezeichnen, weil auch hier marktfremde Aspekte bei der Lohnbildung eine große Rolle spielen. Spätestens hier zeigt sich, daß mit wirtschaftstheoretischer Logik dem Problem der „Rente“ nicht beizukommen ist, denn Tatsache ist, daß sich immer marktfremde Elemente bei der Entstehung von Preisen und Löhnen finden lassen, die Ausdruck gesellschaftlicher Macht sind, da schon im Begriff der „Arbeitsleistung“ gesellschaftliche Wertungen und Machtverteilungen enthalten sind.1
Als „Renteneinkommen“ wird zudem ein Einkommen verstanden, das durch den Einsatz administrativer und politischer Macht erzielt wird. Dies ist z.B. der Fall, wenn sich ein Beamter mit der Erteilung von Investitionslizenzen für die Industrie dadurch bereichert, indem er eine schnelle und im Sinne des Antragsstellers günstige Entscheidung herbeiführt. Mit der Privatisierung staatlicher Wirtschaftsunternehmen - verbunden mit dem Rückzug des Staates aus Bereichen der Wirtschaftskontrolle - sollen die Möglichkeiten dieses Rentenerwerbs erheblich reduziert werden. Davon sollen in erster Linie die Konsumenten profitieren, da sie nun billigere Produkte/Dienstleistungen in besserer Qualität erhalten können.
So einleuchtend diese Kritik an staatlicher Intervention im Wirtschaftsbereich auf den ersten Blick auch ist, muß sie dennoch in mehrfacher Hinsicht relativiert werden. Verfolgt man die Entwicklung der Politischen Ökonomie in Indien, erscheint zunächst das Argument, durch den starken Einfluß des Staates auf das Wirtschaftsgeschehen würde das Wachstum der privaten Industrie behindert, nicht logisch.
Richtig ist, daß das bürokratische System durch politische und administrative Macht „Renten“ im privaten Sektor abschöpfen konnte. Dies geschah vor allem dort, wo Bürokraten Entscheidungsbefugnisse hinsichtlich Import- und Investitionslizenzen wahrnahmen. Ob dies jedoch die industrielle Entwicklung verzögert oder gar verhindert hat, ist fraglich, denn die private Industrie wurde quasi als Gegenleistung vor ausländischer Konkurrenz geschützt und konnte dadurch überdurchschnittliche Profitraten erzielen. Das System der Lizenzen zur Errichtung neuer Industriekapazitäten hat auch nicht zu einer Drosselung des Angebots geführt. Abgesehen davon, daß die indische Industrie, vor allem die private Großindustrie, fast durchgängig respektable, wenngleich nicht sensationelle Wachstumsraten vorweisen konnte, kann auch in keiner Weise davon die Rede sein, daß industrielles Wachstum dadurch behindert worden wäre, daß notwendige Kapazitäten aufgrund fehlender Lizenzen nicht errichtet werden konnten.
Die indische Großindustrie hat durch das Lizenzierungsverfahren eher profitiert, als daß es ihr geschadet hätte (Pinto 1994: 315f). Sie konnte es sich leisten, ganze Abteilungen zu beschäftigten, die ausschließlich darauf spezialisiert waren, sich im Dickicht der staatlichen Bürokratie zurechtzufinden. Sie erhielt dadurch einen Wettbewerbsvorteil gegenüber kleineren Unternehmen, die in der Flut von Vorschriften, Formularen etc. untergingen. Da die Großindustrie gleichzeitig finanzkräftig genug war, um "die Dinge zum Laufen" zu bekommen, wurde sie durch die hohen Importbarrieren nicht nur vor ausländischer, sondern durch das Lizenzierungsverfahren auch vor inländischer Konkurrenz geschützt.
Trotz des Schutzes der indischen Großindustrie durch den Staat wurde von dieser die Ordnungsmacht des Staates im Wirtschaftsgeschehen seit Mitte/Ende der 60er Jahre immer heftiger kritisiert. Das führte zu Beginn der 80er Jahre dazu, daß der Staat seine Wirtschaftspolitik radikal umzustrukturieren begann. Doch auch dieser Wandel kann kaum als zunehmender Interessenskonflikt zwischen Staat und privater Wirtschaft verstanden werden. Durch die beiden Erdölkrisen hatten sich die Importausgaben des Staates erheblich erhöht, und es hatte sich ein chronisches Zahlungsbilanzdefizit eingestellt. Das Interesse des Staates, dieses Defizit durch vermehrte Exporte abzubauen, fand bei der privaten Industrie große Unterstützung, weil eine begrenzte einheimische Nachfrage die Wachstumschancen erheblich schmälerte. Hinzu kam, daß die private Industrie durch die staatlichen Investitionen in der Schwerindustrie zwar preisgünstig mit deren Produkten versorgt wurde, sich allerdings technologisch nicht modernisieren konnte, da durch hohe Importzölle bzw. Importbeschränkungen die technologische Erneuerung der indischen Industrie blockiert war. Mit der zunehmenden Konzentration auf ausländische Märkte muß die technologische Rückständigkeit überwunden werden, weil sie die Exportchancen indischer Unternehmen schmälerte. Die dazu notwendige Liberalisierung des Außenhandels hat in den 80er Jahren dann allerdings das Zahlungsbilanzproblem des indischen Staates nicht etwa gelöst, sondern erheblich verstärkt.
Was in Indien das wirtschaftliche Wachstum behindert, ist eine durch geringe Kaufkraft verhinderte Massennachfrage. Die Ursachen, die dabei eine Rolle spielen, können durchaus auch mit dem Phänomen des Rent-seekings erklärt werden, nämlich in der Form, daß staatliche Maßnahmen die Bildung einer solchen Massenkaufkraft verhindert haben.
Durch die Konzentration auf die (groß)industrielle Entwicklung - bei gleichzeitiger relativer Vernachlässigung des landwirtschaftlichen Sektors und des Kleinunternehmertums - konnte sich die Großindustrie ungehindert entfalten. Sie konnte ihre Produkte weit über Marktpreis absetzen, also Renten erzielen, während die Landwirtschaft und die Kleinunternehmen (a) in ihrem Entwicklungspotential notgedrungen zurückblieben und (b) darüber hinaus die Großindustrie durch billige Nahrungsmittel bzw. billige Zulieferprodukte subventionierte. Innerhalb der Landwirtschaft wurden dabei ebenfalls "Renten" erzielt. Die mittleren und großen Landwirte konnten durch Düngemittel- und Energiesubventionen und günstige Kredite ihre Produktionskosten ungleich günstiger gestalten als die kleinen und marginalen Betriebe. Am ungünstigsten war jedoch die Lage der Landarbeiter, da sie infolge der fehlgeschlagenen Landreformen weiterhin nicht mehr anzubieten hatten als ihre Arbeitskraft. Eine Politik, die verstärkt auf eine Privatisierung staatlicher Betriebe und den Abbau des staatlichen Kontrollapparates setzt, kann zwar im günstigsten Fall dazu beitragen, daß die Möglichkeiten des "Rentenerwerbs" durch die Bürokratie abgebaut wird (vgl. Pederson 1994: 281), sie wird jedoch, solange sie die Bildung von Massenkaufkraft zu fördern versäumt, wirtschaftliches Wachstum nicht erzeugen können. Etliche Anzeichen sprechen jedoch dafür, daß durch die Privatisierung bestehender Staatsbetriebe lediglich neue Formen des "Rent-seekings" gefördert wurden.
6.2.1 Die Privatisierung indischer Staatsbetriebe.
Der indische Wirtschaftssektor, der der Kontrolle der Zentralregierung untersteht, umfaßte 1991 237 Unternehmen, wovon 134 Gewinne und 102 Verluste erzielten.1 Die gewinnbringenden Betriebe erwirtschafteten insgesamt 61,5 Mrd. Rs, während die Verluste 36,7 Mrd. Rs betrugen (Economic Survey 1992-92: 146). Insgesamt trug der staatliche Wirtschaftssektor knapp 10 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei und lag damit nicht viel höher als in den Industrienationen, wo der entsprechende Wert durchschnittlich 9,6 Prozent betrug (Chandrasekhar 1994: 109).
Mit der Privatisierung der ersten Staatsbetriebe wurde im Jahr 1991 begonnen. In mehreren Schritten wurden dabei bis zu 20 Prozent der Unternehmensbeteiligungen wirtschaftlich gesunder Betriebe abgestoßen.2 Die hiermit erzielten Einnahmen sollten (a) für Abfindungen von Beschäftigten in zu schließenden Betrieben, (b) zur Sanierung von "angeschlagenen" Betrieben und (c) für Umschulungsmaßnahmen für Beschäftigte aus zu schließenden bzw. umzustrukturierenden Betrieben verwendet werden (Brahmachary 1994: 248,250).
Im ersten Schritt sollten 31 Unternehmen teilprivatisiert werden. Sie wurden in drei Gruppen aufgeteilt: Unternehmen mit sehr guter, solche mit guter und mit durchschnittlicher Wirtschaft-lichkeit. Die Beteiligungen wurden nicht einzeln angeboten, sondern in Aktienpaketen, in denen jeweils drei Unternehmen der verschiedenen Kategorien vertreten waren. Dadurch sollte verhindert werden, daß die Aufkäufer lediglich die wirtschaftlichsten Unternehmensbeteiligungen erwerben.
Jedes Aktienpaket hatte einen Wert von 50 Mio. Rs, der beim Verkauf nicht unterschritten werden sollte. Abgesehen davon, daß bereits dieser "reserve price" zu niedrig angesetzt war - nur der Einheitswert (auch Steuerwert, Grundbuchwert) der Immobilien der jeweiligen Unternehmen, jedoch nicht ihr aktueller Marktwert3 wurde berücksichtig - wurden die Aktienpakete schließlich auch noch erheblich unter dem "reserve price" verkauft. Es gab zu wenige Gebote, die darüberhinaus zumeist deutlich unter dem Mindestpreis lagen. Bei der ersten Ausschreibung reichte für über 72 Prozent der Aktienpakete lediglich jeweils ein einziger Interessent ein Gebot ein. Das ist auch dadurch zu erklären, daß das Mindestgebot auf 25 Millionen Rs festgesetzt wurde, und nur finanzkräftige Unternehmen zum Zuge kamen, die sich über ihre Monopolstellung4 im klaren waren (Brahmachary 1995: 252f).
"Of the 825 bundles offered for sale on December 10, 1991, bids were received for 533. In as many as 387 bundels, there was no more than a solitary bid - making the procedure largely non-competitive in nature.[...] To illustrate: the shares of Bharat Petroleum were sold at 48 per cent, of National Fertilizers at 85 per cent, and of the Steel Authority of India at 71 per cent below the respective reserve prices" (Muralidharan 1994: 117).
Die zweite Privatisierungsrunde fand unter gleichen Bedingungen im Februar 1992 statt. Die Verluste, die die Regierung in der ersten Privatisierungsrunde hinnehmen mußte, werden sehr unterschiedlich beziffert.1 Die Regierung selbst ist mit etwa 11 Mrd. Rs hinter ihren Mindesterwartungen zurückgeblieben. Andere Schätzungen gehen jedoch von einem weitaus höheren Schaden aus.2 Eine realistischere Einschätzung kann die Differenz zwischen Auktionspreis und späterem Marktwert der Aktien geben. So erzielten eine Aktie von Bharat Petroleum Coporation Ltd (BPCL) einen Auktionswert von durchschnittlich 244 Rs. Ihr späterer Marktwert belief sich später auf bis zu 1250 Rs. Bei der Hindustan Petroleum Corporation (HPC) betrugen die entsprechenden Werte 243 Rs bzw. 1050 Rs (Soundararajan 1992: 115). Ein von der Regierung eingesetzter Untersuchungsausschuß (Janakiraman Committee) kommt zu dem Schluß, daß bei der Privatisierung staatlicher Betriebe vielerlei Unregelmäßigkeiten aufgetreten sind. Am schwerwiegendsten haben sich dabei ungesetzmäßige Absprachen zwischen staatlichen Finanzinstituten und Börsenmaklern ausgewirkt. Diese hatten zur Folge, daß Aktien nach dem Erwerb durch die Finanzinstitute illegal über private Kanäle verkauft wurden, anstatt über die Börse (Muralidharan 1994: 117).3
Eine erste Zwischenbilanz der bisherigen Privatisierungsmaßnahmen macht deutlich, daß nicht das Ziel verfolgt wurde, durch Abstoßung unwirtschaftlicher Unternehmen die staatliche Belastung zu senken, sondern es wurden - ganz im Gegenteil - Privatisierungsschritte für jene Betriebe eingeleitet, die bislang wirtschaftlich arbeiteten, während die "kranken" Betriebe in staatlicher Hand verblieben.
Bei den teilprivatisierten Betrieben handelt es sich z. T. um Unternehmen, die auch nach internationalem Standard als äußerst effizient und profitabel bezeichnet werden können. So wurde die Bharat Elektronics Ltd 4 - ein Unternehmen, das im großen Umfang im Rüstungsbereich tätig ist und über modernste Technologien verfügt - ebenso teilprivatisiert wie die staatliche Ölfördergesellschaft Hindustan Petroleum und das Kraftanlagenunternehmen Bharat Heavy Electricals Ltd (BHEL) (Bidwai 1994; Menon 1994).
Durch den Teilverkauf der "Vorzeigeunternehmen" sollten Löcher in der indischen Haushaltskasse gestopft bzw. bestehende Schulden zurückbezahlt werden. Die ursprüngliche Zielsetzung, aus dem Verkaufserlös die kranken Staatsbetriebe zu sanieren sowie Abfindungszahlungen und Umschulungsprogramme für entlassene Arbeiter zu finanzieren, wurde inzwischen aufgegeben.5
Die in dieser Form vorgenommene Teilprivatisierung öffentlichen Eigentums hat mit dazu beigetragen, daß sich die Devisenreserven Indiens auf einem hohen Niveau stabilisieren konnten, weil ausländische Investoren verstärkt Aktienanteile erwarben, anstatt DirektInvestitionen vorzunehmen. Von den 4,3 Mrd. US-Dollar, die zwischen 1991 und 1994 von privaten ausländischen Investoren angelegt wurden, handelte es sich bei 1,3 Mrd. US-Dollar um Direktinvestitionen und bei 3 Mrd. US-Dollar um Portfolioinvestitionen (Economic Survey 1993-94: 76). Anstatt neue Produktionsstätten in Indien zu errichten, ziehen es ausländische Investoren vor, an bestehenden Staatsunternehmen Anteile zu erwerben. Ganz so unlukrativ, wie oftmals behauptet, können diese Betriebe kaum sein.
"More than $2.5 billion of `hot money´ has flowed into the country in the past eight months in pursuit of high interest rates and quick profits. The Government assiduously facilitated, indeed connived at, its entry through its capital gains and interest rate policies. After the Budget, even more speculative capital is expected to pour in - $3 billion and upwards in the next year. These investors eye Indian PSUs, especially the profitable units, as world-class prize catches - fabulous bargains unthinkable until only a few years ago" (Bidwai 1994: 112).
Im Haushaltsplan 1994-95 wird eine Intensivierung der Privatisierung angekündigt. Erstmals wird es auch ausgewählten ausländischen Finanzinstituten erlaubt sein, bei der Privatisierung direkt Unternehmensbeteiligungen zu ersteigern und sich so den Umweg über die Börse zu ersparen (Chandrasekhar 1994: 109).
Bislang wurden vor allem Anteile produzierender Staatsunternehmen privatisiert. In einer nächsten Runde sollen auch Dienstleistungsunternehmen eingeschlossen werden, so z.B. das Bank- und Versicherungswesen, die Eisenbahnen sowie Post und Telekommunikation. In den meisten dieser Bereiche gibt es bereits - parallell zu den staatlichen Einrichtungen - private Dienstleistungsanbieter, was nicht immer den Service verbessern konnte. So existieren inzwischen neben den drei staatlichen Fluggesellschaften 15 private Unternehmen, die in erbittertem Konkurrenzkampf zueinander stehen, was die Flugsicherheit deutlich reduziert (Cherian 1994).
Im Versicherungsbereich steht die Privatisierung unmittelbar bevor. So empfahl ein Kommittee unter Führung des früheren Gouverneurs der Reserve Bank of India, R.N. Malhorta, die Mehrheit der Unternehmensbeteiligungen der staatlichen Versicherungsgesellschaften (Life Insurance Corporation (LIC) und General Insurance Coporation (GIC)) an private Investoren zu verkaufen. Ausländische Versicherungsgesellschaften sollen bevorzugt berücksichtigt werden. Zuvor soll das Aktienkapital beider Unternehmen deutlich aufgestockt werden (Economic Survey 1993-94: 57; Padmanabhan 1994: 110).
Diese Versicherungsgesellschaften zählen zu den profitablen staatlichen Musterbetrieben. Ein Festhalten am staatlichen Charakter der Versicherungswirtschaft würde Indien jedoch in absehbarer Zeit in Konflikt mit den Dienstleistungsbestimmungen des neuen GATT-Abkommens bringen. Schon während der laufenden GATT-Verhandlungen hatten die USA Indien wirtschaftliche Sanktionen für den Fall angedroht, daß das Land nicht bereit ist, seinen Versicherungsbereich für ausländische Investoren zu öffnen (Padmanabhan 1994: 113). Eine Privatisierung des Versicherungswesen würde jedoch weite Kreise ziehen. So ist die LIC z.B. in vielen Bereichen wirtschaftlich engagiert, etwa im Wohnungsbau, der Strom- und Wasserversorgung, im landwirtschaftlichen Kreditwesen und im öffentlichen Verkehrswesen (Padmanabhan 1994: 111). Dies alles sind Bereiche, die häufig "unwirtschaftlich" sind und die von privaten Investoren wahrscheinlich entweder fallengelassen oder gewinnbringend umstrukturiert werden.
Bislang wurde vor allem die Teilprivatisierung bestehender Staatsunternehmen angesprochen. Eine andere Art der Privatisierung vollzieht sich in der Form, daß bislang dem staatlichen Sektor vorbehaltene Branchen für private Investoren geöffnet werden. Eine der ersten Privatisierungsmaßnahmen dieser Art betrifft den Energiesektor. Hier wird versucht, ausländische Investoren zu gewinnen, die Aktienanteile neuer Kraftwerke erwerben können. Ihnen wird eine Rendite von 16 Prozent garantiert, die jedoch nach Schätzungen indischer Experten nur erreicht werden kann, wenn sich die Stromtarife mehr als verdoppeln (Sridhar 1994: 119). Eine solche Gewinngarantie stellt nicht nur eine kaum übersehbare Abweichung vom vielgelobten Marktprinzip dar. Die Projekte erscheinen auch aus einem anderen Grund äußerst fragwürdig. Die hohen Kosten fallen vor allem deshalb an, weil die mit dem Kraftwerksbau beauftragten ausländischen Firmen die Projektkosten mehr als doppelt so hoch veranschlagen wie indische (Staats)-Firmen (Ghosh 1994: 14). Während die staatlichen Kraftwerkbauer vergeblich auf Aufträge warten, können ausländische Unternehmen zu überhöhten Preisen auf dem indischen Markt Fuß fassen und lassen sich ihre Gewinne obendrein - auf Kosten der Konsumenten und des Staates - staatlich garantieren (Bidwai 1994: 112).
"Would the opponents of `rent-seeking´ in the Indian economy analyse the rent seeking proclivities of foreign investors in India? Or the absurdity of a free market philosophy which suddenly turns into a philosophy of assured returns for a few favoured groups?" (Ghosh 1994: 15).
Die staatlichen Betriebe stellen allesamt ungeheuere Sachwerte dar. Alle Staatsunternehmen, die unrentablen eingeschlossen, erwirtschafteten unterm Strich immerhin Nettoprofite, d.h. sie trugen zu den Staatseinnahmen bei. Mit der Teilprivatisierung der rentablen Betriebe schafft sich die Regierung lediglich eine kurze Verschnaufpause, weil sie die Einnahmen zur (Teil)Finanzierung ihrer Schuldenverpflichtungen verwenden kann. Mittel- und langfristig werden ihr jedoch die Gewinne dieser Unternehmen fehlen, während die Schulden der in staatlichlicher Hand verbleibenden Betriebe weiterhin die Staatskasse belasten werden, solange sie nicht geschlossen werden.
Viele dieser Unternehmen, gerade im Dienstleistungsbereich, lassen sich angesichts der notwendigen und hohen Infrastrukturinvestitionen und der geringen Kaufkraft der indischen Bevölkerungsmehrheit nicht wirtschaftlich führen, ohne daß dabei die ärmere Bevölkerung noch mehr vom Entwicklungsprozess ausgegrenzt wird als dies ohnehin geschieht. Wenn in nächster Zeit die Privatisierung des Bankensektors ansteht, wird sich diese Problematik erneut stellen. Die Kreditinstitute nehmen Entwicklungsaufgaben wahr, indem sie Kapital für Investitionen zur Verfügung stellen. Wer anmerkt, daß die Banken dieser Aufgabe bislang nur unzureichend nachgekommen sind, vor allem was die Kreditversorgung ärmerer Bevölkerungsfgruppen betrifft, hat sicherlich nicht Unrecht. Wer aber annimmt, unter privatwirtschaftlich geführten Banken würde sich dies verbessern, ist schlichtweg ein Thor.
Die angesprochene Problematik entwickelt sich immer mehr zu einem Teufelskreis, weil die Regierung davor zurückschreckt, die Einkommen der (Groß)Industrie, der privilegierten städtischen Mittelschichten und der ländlichen Eliten anzugreifen. So bleibt ihr nicht viel anderes übrig, als ihre "Vorzeigebetriebe" zu Schleuderpreisen zu verkaufen, um wenigstens einen Teil der Finanzierungslücke im Haushalt zu stopfen. Ihr Klientel wird weiterhin gehätschelt und kann sich selbst dann vor staatlicher Verfolgung relativ sicher wähnen, wenn die Grenzen der Legalität überschritten werden.
Verschiedene Autoren weisen z. B. darauf hin, daß "Schwarzgeld" in Indien einen nicht unbeträchtlichen Anteil am Volkseinkommen ausmacht. Gupta/Gupta (1982) errechneten z.B., daß zwischen 1967 und 1978 der Anteil von "Schwarzgeld" von 9,5 auf fast 49 Prozent des indischen Bruttosozialproduktes angestiegen ist. Sie führen diesen starken Anstieg auf die hohen Steuersätze zurück, die dazu geführt haben, daß es immer mehr Erwerbstätige in Indien lukrativ finden, ihre tatsächlichen Einkünfte den Finanzbehörden zu verschweigen (Gupta/Gupta 1982).
"Over the years, a number of schemes have been floated to mop up undeclared income. It was estimated that the amount of black money in 1983-84 was anything between Rs 31,000 - Rs 37,000 crore, or between 18 and 21 per cent of the GNP. If the 21 per cent figure still holds good, today's estimates would be around Rs 80,000 - Rs 1,00,000 crore (=800 - 1000 Mrd. Rs, d. Verf.)" (India Today 15.8.1991).
Selbst wenn man diese niedrigere Schätzung zugrunde legt, ist der Wert des sich im Umlauf befindlichen Schwarzgeldes siebenmal höher als das bislang höchste Haushaltsdefizit der Zentralregierung (1990 mit 115 Mrd. Rs; Economic Survey 1993-94: 25).
Es gibt also ein großes Einnahmepotential, das der indische Staat nutzen könnte, um seine Finanzen zu verbessern. Ein konsequenter Kampf gegen Steuerhinterziehung und Schmuggel wäre ein Anfang. Tatsächlich hat der indische Staat recht "ungewöhnliche" Wege eingeschlagen, um "Schwarzgeld", Steuerhinterziehung und (Gold)Schmuggel zu bekämpfen:
Der "Kampf" gegen Steuerhinterziehung findet vor allem in der Form statt, die Steuersätze derart in die Höhe zu schrauben, daß kaum noch eine Privatperson in Indien Einkommenssteuer geschweige denn Vermögenssteuer, bezahlen muß.1 Auch Industriebetriebe können durch die Senkung der Gewerbesteuersätze profitieren. Ihre Abschreibungsmöglichkeiten wurden verbessert, und in vielen Fällen werden Betriebe sogar (zeitweise) vollkommen von der Steuerzahlung befreit (tax - holiday), und das, obwohl die Renditen in der indischen Industrie höher sind als im internationalen Durchschnitt (Sau 1994: 938). Der "Kampf" des indischen Staates gegen "Schwarzgeld" besteht vor allem darin, daß Programme eingerichtet werden, die mit mäßigem Erfolg versuchen, das "Schwarzgeld" zur staatlichen Kapitalbildung zu erschließen. Fragen, wo und wie das Geld verdient wurde, werden - staatlich garantiert - nicht gestellt (vgl. India Today 15.8.1991: 24). Eine ähnliche Strategie schlägt die Regierung bei der "Bekämpfung" des Goldschmuggels mit der bereits erwähnten Liberalisierung der Goldimporte und dem Gold-Bond Scheme ein. Bezeichnend an diesem Programm ist, daß es den Goldschmuggel und die Steuerhinterziehung nicht unterbinden, sondern eher fördern, denn das Gold-Bond Scheme eignet sich hervorragend dafür, "Schwarzgeld" weiß zu waschen (Dandekar 1994: 989).
6.3 Indien und die “Uruguay-Runde” des GATT
Kaum eine Maßnahme auf internationaler Ebene hat in Indien eine ähnlich zwiespältige Reaktion hervorgerufen, wie die Verhandlungen zur Uruguay-Runde des GATT. Dabei waren es nicht nur die Verhandlungsergebnisse, die in Indien von unterschiedlichen Parteien und gesellschaftlichen Gruppen extrem unterschiedlich bewertet wurden. Kritisiert wurde vielmehr auch die Arroganz der indischen Regierung, die eine Zustimmung zu den Verhandlungsergebnissen am Parlament vorbei gefällt hatte (Bidwai 1994: 111).
In Indiens gab es viele Gruppen, die sich gegen das GATT-Abkommen ausgesprochen hatten. Ende November 1992 fand in Neu Delhi eine Demonstration mit über 500.000 TeilnehmerInnen statt, die sich gegen Globalisierungstendenzen allgemein und gegen das GATT-Abkommen im besonderen richtete (Morehouse 1993: 60). Im April 1994 kam es in Neu Delhi und anderen Städten zu Massenkundgebungen gegen die in diesem Monat stattgefundene Unterzeichnung des GATT-Abkommens in Marrakesch/Marokko. Eine Kundgebung in Neu Delhi mit über 250.000 Teilnehmern wurde von der Polizei brutal aufgelöst (Muralidharan 1994: 5). Schon zuvor war es auch zu direkten Protestaktionen gekommen, z.B. als Ende Dezember 1992 etwa 500 indische Landwirte das Büro des Cargill-Konzerns in Bangalore stürmten (Searle 1994; Otterbein 1993). Sie wollten damit gegen die US-Regierung protestieren, die in den GATT-Verhandlungen, aber auch bilateral, starken Druck auf die indische Regierung ausgeübt hatte.
Die unterschiedlichen Reaktionen in Indien zeigen, daß die GATT-Verhandlungen mehr als einen internationalen Vertrag hervorbrachten, über dessen Folgen in Indien Uneinigkeit herrscht. Sie sind vielmehr Ausdruck eines fundamentalen Wandels in der wirtschaftspolitischen Philosophie Indiens, der bereits mit den Wirtschaftsreformen in Folge der Strukturanpassungskredite durch den Internationalen Währungsfond eingeleitet wurde und der zu einer großen Verunsicherung breiter gesellschaftlicher Bereiche geführt hat. Die Ängste, die dabei übermächtig zu werden scheinen, haben ihre Ursache darin, daß sich gesellschaftliche Gruppen - angefangen von Kleinbauern bis hin zu Teilen der nationalen Industrie - in ihrer Existenz bedroht sehen. Die Blickrichtung indischer Wirtschaftspolitik ist immer mehr auf weit entfernte Märkte im Ausland gerichtet, anstatt die internen Probleme wahrzunehmen und gesellschaftspolitisch verantwortlich darauf zu reagieren.
Die wirtschaftspolitische Richtungsänderung, die durch das GATT-Abkommen und die Strukturanpassungsprogramme zum Ausdruck kommen, bedeuten für Indien, daß es sich viel stärker als bisher den internationen Handels- und Kapitalströmen öffnen und dadurch verwundbarer gegenüber externen Einflüssen wird. Dies gilt vor allem dann, wenn seine Exportmärkte nicht schnell genug wachsen und es den eingegangenen Verpflichtungen nicht nachkommen kann.
Große Hoffnungen bei den GATT-Verhandlungen hatte Indien deshalb in die Liberalisierung der Landwirtschaft und des Textilbereiches gesetzt. Mit der endgültigen Liberalisierung dieser beiden Sektoren ist das Land jedoch ins nächste Jahrhundert vertröstet worden, während die Rückzahlung aufgenommener ausländischer Kredite bereits erheblich früher akut werden wird.
Indien war 1986 zu Beginn der GATT-Verhandlungen als eine der wichtigsten Sprecherinnen der "Entwicklungsländer" mit dem Anspruch angetreten, ihre Position im GATT zu verbessern. Damit verbunden war eine scharfe Ablehnung der in dieser Verhandlungsrunde erstmals eingebrachten Themen, vor allem der Verhandlungen über Dienstleistungen, handelsrelevante Fragen von geistigen Eigentumsrechten und handelsrelevante Investitionsmaßnahmen. Die Ergebnisse vom Dezember 1993 müssen auch unter diesem Gesichtspunkt als vernichtende Niederlage indischer Positionen angesehen werden, denn in keinem Verhandlungspunkt war es gelungen, gegenüber den Vorstellungen der wichtigen Industriemächte (USA, EG und Japan) die eigenen Positionen durchzusetzen.
6.3.1 Die Ergebnisse im Bereich der Landwirtschaft
Bei der Landwirtschaft konnte ein Abbau der Subventionen nur unzufriedenstellend erreicht werden. Die Industrienationen behalten das Recht, auch weiterhin ihre Landwirtschaft subventionieren zu können. Die Exportsubventionen müssen nicht vollständig beseitigt werden, sondern innerhalb eines Übergangszeitraums von sechs Jahren lediglich um 21 Prozent in der Menge und um 36 Prozent im Wert reduziert werden (AGHUE 1993; Hauser/Schanz 1995; Hein 1994; Langhammer 1994; Spurk-Schäfer 1994). In letzter Minute wurde für die Berechnung der zulässigen Exportsubventionen auch noch der Referenzzeitraum von 1986-90 auf 1992 verschoben. Dadurch kann die EU in den nächsten sechs Jahren zusätzlich acht Mio. Tonnen Getreide, 362.000 Tonnen Rindfleisch und erheblich mehr Milchprodukte und Tabak exportieren. 25 Mio. Tonnen Getreidelagerbestände werden bei den Reduzierungen überhaupt nicht berücksichtigt und können dadurch weiterhin exportiert werden (AGHUE 1993; Agrarbericht 1994: 143; Hein 1994). Außerdem wurden genügend Ausnahmeregelungen in das Vertragswerk aufgenommen (Green Box), die heimische Preisstützungen in der Landwirtschaft der Industrienationen auch zukünftig noch ermöglichen. Ob sich der Zugang von Produkten der sog. Entwicklungsländer auf die Märkte der Industrienationen verbessert und gleichzeitig auch die Weltagrarpreise steigen, bleibt abzuwarten. Durch das Blair-House-Abkommen, das in letzter Minute bilateral zwischen den USA und der EG ausgehandelt wurde und einen Handelskrieg zwischen diesen beiden Wirtschaftsmächten gerade noch verhindern konnte, wurde festgelegt, daß nationale Preisstützungsmaßnahmen bis zum Jahr 2000 um 20 Prozent gegenüber der Referenzperiode 1986/88 abgebaut werden müssen.
"Der am Ende des Abbauzeitraums für die EG zulässige Stützungsbetrag von 61 Mrd. ECU ist heute schon unterschritten, so daß diese Verpflichtung für die EG keine Schwierigkeiten mit sich bringt" (Agrarbericht 1994: 143; vgl. Pascher 1994; Spurk-Schäfer 1994).
Ganz vom Abbau ausgenommen sind flächen- und tierzahlbezogene Kompensationszahlungen im Rahmen von Programmen zur Produktionseinschränkung (in der EG) und flächenbezogene Ausgleichszahlungen (in den USA) (Langhammer 1994; Spurk-Schäfer 1994). Stimmen aus den Entwicklungsländern bemerken zurecht, daß so Subventionen weiterhin erlaubt seien, die für Entwicklungsländer nicht relevant sind. Diese befinden sich nämlich nicht in der Situation, bestehende Überproduktionen abbauen, sondern die Nahrungsmittelversorgung ihrer Bevölkerung sicherstellen zu müssen (Menon 1993a: 47).
Bestehende Importbeschränkungen werden in Zölle umgewandelt (Tarifizierung), die im Falle von sog. Entwicklungsländern innerhalb von zehn Jahren um 24 Prozent gesenkt werden müssen. Ein Mindestmarktzugang von 3,33 Prozent des nationalen Verbrauchs1 muß von sog. Entwicklungsländern nach sechs Jahren - bezogen auf die Basisjahre 1986 - 1988 - auf jeden einzelnen Markt eingeräumt werden (Spurk-Schäfer 1994). Für Indien bedeutet dies, daß das Land dann Getreideimporte von über vier Millionen Tonnen gestatten müßte (berechnet nach: Economic Survey 1992-93: S-24).
Die Produktionsbedingungen in der indischen Landwirtschaft dürften allerdings durch die Bestimmungen des GATT-Vertrages unmittelbar wenig beeinflußt werden. Die inländischen Preisstützungsmaßnahmen sind gegenwärtig so niedrig, daß sie nicht unter den beschlossenen Subventionsabbau fallen (India Today15.01.1994). Für staatliche Zuschüsse im Zuge von regional orientierten Maßnahmen (z.B. Förderung des Regenfeldbaus, Förderungen in dürregefährdeten Gebieten etc.) bleibt so noch genügend Spielraum, zumal staatliche Subventionen im Rahmen von Programmen zur Förderung der Ländlichen Entwicklung explizit von der Abbaupflicht ausgenommen sind (Hein 1994).
6.3.2 Die Auswirkungen auf das staatliche Nahrungsmittelverteilungssystem (PDS)
Die durch das GATT-Abkommen vereinbarten Regelungen bezüglich Subventionen in der Landwirtschaft werfen die Frage auf, ob das in Indien bestehenden staatliche Verteilungssystem für Nahrungsmittel in seiner bisherigen Form weiterbestehen kann.
Die Anlage 2 zur Vereinbarung über die Landwirtschaft enthält tatsächlich Bestimmungen, die bei einer strikten Auslegung das Ende des PDS bedeuten würden. Relevant dürfte dabei weniger die Bestimmung sein, daß Unterstützungsmaßnahmen nicht in Form von Produzentensubventionen1 (price support to producers) durchgeführt werden dürfen (MTN/FA II-AIA-3, 1993: 16), sondern Anlaß zur Sorge gibt vielmehr der Abschnitt 3 derselben Anlage, in dem die Bedingungen für staatliche Nahrungsmittelreserven aus Gründen der Nahrungssicherheit ("public stockholding for food security purposes") festgelegt werden.
"Food purchases by the government shall be made at current market prices and sales from food security stocks shall be made at no less than the current domestic market price for the product and quality in question" (MTN/FA II-AIA-3, 1993: 17).
Da die indische Regierung bei ihrer staatlichen Nahrungsverteilungspolitik weder ihre Nahrungsmittelaufkäufe zu Marktpreisen vornimmt noch die Nahrungsmittel in den Fair Price Shops zu Marktpreisen ausgibt, kann eine strenge Auslegung dieser Bestimmung den Fortbestand des PDS tatsächlich gefährden. Allerdings sieht der Vertragstext in einer Fußnote vor, daß ein staatlich kontrolliertes Verteilungssystem von Nahrungsmitteln, bei dem Nahrungsmittel zu staatlich festgesetzten Preisen bei den Produzenten aufgekauft und an die Konsumenten abgegeben werden, nicht der oben zitierten Bestimmung widerspricht. Durch den Vertragstext festgelegt wird auf jeden Fall, daß sich staatliche Programme zur Nahrungsmittelversorgung an „eindeutigen ernährungswissenschaftlichen Kriterien“ orientieren müssen (MTN/FA II-AIA-3, 1993: 17; vgl. Dubey 1994: 29f.). Daraus kann abgeleitet werden, daß die indische Regierung zukünftig das staatliche Verteilungssystem von Nahrungsmitteln eindeutiger zielgruppenorientiert gestalten muß. Aus dem bloßen Vertragstext kann eine generelle Unvereinbarkeit zwischen den Bestimmungen des GATT und dem staatlichen Nahrungsverteilungssystem in Indien nicht abgeleitet werden, jedenfalls nicht im dem Sinne, daß es für bedürftige Gruppen ein solches System nicht auch weiterhin geben könne (Adiseshiah 1994).
Allerdings muß man sich nochmals die möglichen Folgen einer Liberalisierung der Landwirtschaft ins Gedächtnis zurückrufen. Wenn tatsächlich - wie von den Befürwortern der Liberalisierung immer wieder angeführt - die Weltagrarpreise kräftig ansteigen werden, dann ist zu erwarten, daß die indische Regierung nur schwerlich in der Lage sein dürfte, Getreidereserven in einer Größenordnung von über 10 Millionen Tonnen einzulagern. Nicht, weil dies den Bestimmungen des GATT widersprechen würde, sondern weil wegen der geringen Kaufkraft in Indien die Warenströme für landwirtschaftliche Produkte auf den Weltmarkt hin umgelenkt würden, zumal durch andere Bestimmungen des GATT, aber auch durch die im Zuge der Strukturanpassung durchgeführten Handelsreformen, der Nahrungsmittelexport dereguliert wurde.
"In a drought year, as in 1987-88, there was a distinct increase in the quantity of foodgrains distributed, almost emptying foodgrain silos. In fact, the present buffer stocks are good enough to last only a season or two if a severe drought strikes India" (Sharma 1994: 175f).
Vor allem im Bereich der Nahrungssicherheit zeigt sich, wie GATT und der Exportdruck - ausgelöst durch das 1991 begonnene Strukturanpassungsprogramm - sich gegenseitig verstärken. Um seine Auslandsschulden bezahlen zu können, muß sich Indien auf jene Exportbereiche konzentrieren, die einen geringen Importbedarf haben. Dies sind vor allem Agrar- und Meeresprodukte und andere Rohstoffe. Durch steigende Preise auf dem Weltmarkt für diese Produkte, aber auch durch den Wegfall staatlicher Exportkontrollen, werden Veränderungen der Handelsströme begünstigt. Gleichzeitig geht aber das Binnenangebot an Nahrungsmitteln zurück und kann in Dürrejahren zu einer akuten Mangelsituation führen, wenn die Getreidespeicher der indischen Regierung nicht auf einem ausreichenden Stand gehalten werden.1
6.3.3 Die Regelung im Bereich handelsrelevanter Aspekte des Schutzes geistigen Eigentums
Durch die vom GATT geregelten Urheberrechtsbestimmungen muß Indien sein Patentrecht ändern, das bei seiner Verabschiedung 1970 von der UNCTAD noch als Modellgesetz für andere Entwicklungsländer angesehen wurde. Dieses Gesetz gewährleistet zwar einen weitreichenden Patentschutz, wird jedoch in wichtigen Bereichen den GATT-Bestimmungen und den US-amerikanischen Erwartungen nicht gerecht. Erstens kennt das indische Patentrecht bei pharmazeutischen und chemischen Produkten sowie bei Nahrungsmitteln kein Produktpatent, sondern patentierbar ist lediglich ein bestimmter Produktionsprozess (Abrol 1991;1992; Chandrasekhar 1994; Keayla 1994; ). Vor allem die indische Pharmaindustrie konnte durch diese Art des Patentrechts bislang profitieren. Medikamente, die nach einem anderen Herstellungsverfahren produziert wurden, sich ansonsten aber nicht von denen der westlichen Produzenten unterschieden, konnten dadurch sehr billig in Umlauf gebracht werden (Sen 1991: 102). In der Regel war es der indischen Pharmaindustrie möglich, für ein neues ausländisches Medikament innerhalb von 1-6 Jahren ein modifiziertes Herstellungsverfahren zu entwickeln und auf dem indischen Markt einzuführen (Keayla 1994; Sridhar 1991). Ähnliches gilt auch für die Herstellung von Pflanzenschutzmitteln (Abrol 1991).
Zweitens konnte die indische Regierung nach Ablauf von drei Jahren den Patentschutz aufheben, wenn der Patentinhaber sein Produkt der Allgemeinheit nicht zu einem angemessenen zur Verfügung stellte oder die Belange der Allgemeinheit andersweitig verletzte (Keayla 1994).2
Mit Abschluß der GATT-Verhandlungen verpflichtet sich Indien, sein Patentgesetz innerhalb von fünf Jahren dem Standard der Industrienationen anzupassen (Langhammer 1994: 10). Für die Wirtschaft des Landes werden aus dieser Regelung weitreichende Veränderungen in drei Bereichen erwartet: (a) bei der Versorgung der Landwirtschaft mit Hochertragssaatgut, (b) bei der preisgünstigen Versorgung der Bevölkerung mit Medikamenten und (c) durch die Patentierbarkeit von Lebensformen, die es im indischen Patentrecht bislang nicht gegeben hatte. Durch die letztgenannte Veränderung sind Landwirtschaft und chemisch-pharmazeutische Industrie gleichermaßen betroffen.
6.3.3.1 Geistiges Eigentum und Landwirtschaft
Mit der Umsetzung des GATT-Abkommens sind vor allem jene Landwirte bedroht, die „modernes“ Saatgut verwenden. So dürfen neue Saatsorten nur noch dann von Fremdzüchtern vermehrt und verkauft werden, wenn diese an die Hersteller Lizenzgebühren bezahlen (Goswami 1994). In den USA - wo solche strengeren Vorschriften bereits seit einiger Zeit in Kraft sind - hat dies z.B. zu einer Verdopplung der Preise für Maissaaten innerhalb kurzer Zeit geführt (Menon 1993a: 47).
Wie die Landwirte sehen auch die mit der Entwicklung verbesserter Nutzpflanzen betrauten Forschungseinrichtungen schweren Zeiten entgegen. So weist z.B. K.S. Gill, Vizepräsident der Punjab Agricultural University, darauf hin, daß der kostenlose Austausch von Saatgut die internationalen Bemühungen bei der Züchtung von Hochertragssorten erst ermöglicht hatte (Goswami 1994: 6). Kritiker der schärferen Urheberrechtsbestimmungen sehen auch die Gefahr, daß viele der kleineren Saatgutproduzenten in Indien verschwinden werden, weil sie nun hohe Lizenzgebühren für die Verbreitung von Saatgut bezahlen müssen, das in den Labors der großen multinationalen Unternehmen entwickelt wurde. Ihnen bleibt höchstens noch, ihren eigenen Forschungs- und Entwicklungsbereich erheblich auszuweiten, wozu viele dieser Betriebe mit großer Wahrscheinlichkeit nicht in der Lage sein werden (Menon 1993a: 47).
Durch die strengeren Patentrechtsbestimmungen in der Pflanzenzucht erhalten Multinationale Unternehmen einen riesigen Machtzuwachs. So hat sich z.B. der US-amerikanische Konzern Agracetus das Herstellungsverfahren für eine Baumwollsorte patentieren lassen, bei der das Erbgut so verändert wurde, daß die Sorte gegen die häufigsten Baumwollschädlinge resistent ist. Jede Weiterentwicklung dieser Sorte ist ebenfalls durch das Patent geschützt, weil sie darauf beruht, daß die genetisch veränderte Sorte das Ausgangsprodukt einer Weiterentwicklung ist. Im Grunde genommen ist damit keine Technologie, sondern eine Lebensform urheberrechtlich geschützt. Als die indische Regierung das Saatgut des amerikanischen Herstellers in einheimische Sorten einkreuzen wollte, sollte sie an den amerikanischen Patentinhaber 16 Millionen US-Dollar bezahlen, nur damit mit der neuen Sorte wissenschaftliche Versuche unternommen werden könnten. Eine komerzielle Verbreitung jener Saaten, die aus diesen Versuchen entwickelt würden, war durch diese Zahlung noch nicht einmal abgedeckt (Roychowdhury 1994).
Die indische Regierung sieht diesen Auswirkungen des GATT-Abkommens eher gelassen entgegen. Sie sieht im Bereich der Pflanzenzüchtung sogar Vorteile auf indischer Seite. So verweist C.R. Bhatia vom Department of Biotechnology darauf, daß Indien durchaus die Befähigung habe, zu einem wichtigen Exporteur von Hyprid-Saatgut heranzuwachsen (Goswami 1994: 5). Argumentative Unterstützung erhält die Regierung dabei teilweise von wissenschaftlicher Seite, so etwa von M.S. Swaminathan, der ebenfalls ein sehr großes Potential genetischer Vielfalt und biotechnologischer Fähigkeiten in Indien zu erkennen glaubt (Goswami 1994: 8). Von wissenschaftlicher Seite wird deshalb der indischen Regierung vorgeschlagen, sie solle umgehend die gesetzlichen Rahmenbedingungen schaffen, die zum Aufbau einer florierenden Saatgutindustrie notwendig sind. Dadurch solle verhindert werden, daß sich Saatguthersteller aus den Industriestaaten weiterhin kostenlos mit Genmaterial aus Indien eindecken können. Eine solch pragmatische Einstellung hängt nicht zuletzt damit zusammen, daß es sich Indien nicht leisten kann, einfach zuzusehen, wie von ausländischen Unternehmen die Patentierung und Kommerzialisierung von Lebensformen vorangetrieben wird. Die Gefahr, dadurch in der Nahrungsmittelproduktion vollkommen von multinationalen Saatgutherstellern abhängig zu werden, wird in Indien sehr hoch eingeschätzt. Gerade in Ländern, die keine solch ausgeprägte Forschungsstruktur im agrarwissenschaftlichen Bereich vorweisen können wie etwa Indien, wird sich Kommerzialisierung von Lebensformen jedoch weitaus negativer auswirken.
Durch die Bestimmungen hinsichtlich „handelsrelevanter Aspekte geistiger Eigentumsrechte“ wird also befürchtet, daß sich ausländische Konzerne die Verwertungsrechte an einheimischen Pflanzen sichern könnten. Bereits seit Jahrhunderten nimmt in Indien z.B. der Neem-Baum (Azadirchta Indica) eine herausragende Rolle bei traditionellen Formen der Schädlingsbekämpfung und in den unterschiedlichen traditionellen Medizinsystemen ein (Menon/Bagla 1993; Khanna 1992; Venkataramani 1993). Dieses traditionelle Wissen wird seit einigen Jahren auch immer häufiger von ausländischen Chemiekonzernen entdeckt, die - anders als die einheimischen Nutznießer des Neembaumes - mit der Patentierung von Neem-Produkten begonnen haben (Khanna/Warrier 1992; Menon 1993bcd, 1994; Sahai 1994a, 1994b; Sharma 1994; Shiva 1994). Da die Schädlingsbekämpfungsmittel, die aus dem Neem-Baum gewonnen werden können, in hohem Maße umweltverträglich sind, stoßen sie in den westlichen Industrienationen auf einen stark expandierenden Markt. So bringen in den USA inzwischen auf Neem beruhende Pestizide einen jährlichen Umsatz von etwa 400 Millionen Dollar ein. Sie sind durch mehr als 40 US-Patente geschützt (Ebbers 1994: 53). Für die indische Pharma- und Kosmetikindustrie, die Neem-Produkte bereits seit über 40 Jahren kommerziell vertreibt, ergibt sich durch das GATT-Abkommen eine vollkommen neue Situation. Wird im indischen Patentrecht ein Produktpatent eingeführt, dann dürfen die indischen Hersteller diese Produkte nicht mehr ohne eine Lizenz aus den USA produzieren und vertreiben (Sahai 1994a, 1994b: 49; Sen 1991: 102).
Es wird auch befürchtet, daß die Patentierung langfristig die freie und unbeschränkte Nutzung des Baumes durch lokale Gemeinschaften verhindern wird. Da die Patentrechtsinhaber in den USA ihre Produkte nur herstellen können, wenn sie ausreichend mit dem tropischen Rohstoff Neem beliefert werden, haben sich schon seit einiger Zeit die Warenströme vom inländischen auf den internationalen Markt zu verlagern begonnen. Seit 1975 verzehnfachten sich die Preise für Neem-Samen (Menon 1993d: 80) Für die lokale Bevölkerung wird es immer schwieriger, Samen oder Blätter des Baumes zu kaufen. Vielfach sind sie schon ganz von den lokalen Märkten verschwunden (Ebbers 1994: 54).
6.3.3.2 Die Auswirkungen auf den Gesundheitsbereich
Noch gehören die Medikamentenpreise in Indien zu den niedrigsten der Welt. Dies liegt nicht zuletzt am indischen Patentrecht (Abrol 1994; Rao 1994). Mit der notwendigen Reformierung des indischen Patentrechts ist zu erwarten, daß die Medikamentenpreise stark ansteigen werden, wie Vertreter der indischen Pharmaindustrie zu bedenken geben. Statt 30 Prozent der Bevölkerung hätten dann aller Voraussicht nach nur noch etwa 10 Prozent einen Zugang zum modernen Gesundheitssystem. (Morehouse 1993: 60).1
Bei einem vom lateinamerikanischen und indischem Verband der Arzneimittelhersteller in Neu-Delhi veranstalteteten Treffen hatten schon vor Abschluß der Uruguay-Runde Sprecher beider Verbände auch davor gewarnt, daß durch das voraussichtliche Verhandlungsergebnis im Bereich des Schutzes geistigen Eigentums die lokalen Pharmaunternehmen vom Markt gedrängt werden. Der dem US-Patentrecht folgende Vertragsentwurf, der der privaten Verfügungsgewalt zulasten der allgemeinen Gesundheitsversorgung Vorrang einräume, führe neben der Verteuerung der Präparate zur Monopolbildung auf dem Pharmamarkt. Das indische Patentrecht hat die Pharmaindustrie des Landes mit einem Jahresumsatz von 1,2 Mrd. Dollar zu einer der dynamischsten Branchen der Region werden lassen (epd-Entwicklungspolitik, 18/1993). Mit der Umstellung vom Herstellungs- zum Produktpatent wird es indischen Firmen nicht mehr möglich sein, patentrechtlich geschützte Medikamente herzustellen, ohne dafür hohe Lizenzgebühren zu zahlen. Ein verändertes Patentrecht wird sich allerdings nur für neuentwickelte Arzneimittel auswirken und die Preise für bereits auf dem Markt eingeführte Medikamente nicht beeinflussen. Es ist dennoch davon auszugehen, daß durch ein GATT-konformes Patentrecht mittelfristig die Kosten für Medikamente in Indien stark ansteigen werden. Gerade Medikamente gegen Infektionskrankheiten und Impfstoffe müssen ständig weiterentwickelt und verändert werden, weil die Krankheitserreger schnell Resistenzen entwickeln und die Medikamente dagegen wirkungslos werden (Keayla 1994).
6.3.4 Die Ergebnisse im Textilbereich
Neben dem Agrarbereich setzte Indien seine größten Hoffnungen auf die Verhandlungen über den Textilhandel. Schon während der Verhandlungen wurde von der indischen Regierung ein Erfolg von den Ergebnissen in diesem Sektor abhängig gemacht. Die indische Verhandlungsdelegation strebte eine Beendigung des Multifaserabkommens bis zum 31. Juli 1996 an (Hurewitz 1993: 320f.). Im Schlußdokument konnte lediglich erreicht werden, daß das Multifaserabkommen zehn Jahre nach Inkrafttreten des GATT-Abkommens (1. Januar 1995) auslaufen wird. Am Tag vor dem Verhandlungsende konnte ein gemeinsamer Schulterschluß von Indien und Pakistan verhindern, daß die Frist auf 13 Jahre verlängert wurde. Die USA hatten dies für den Fall gefordert, daß Indien nicht seinen Markt für US-amerikanische Textilien öffnen würde (Abraham 1994b: 35; vgl. Abraham 1994a).
Erst zum 1. Januar 2005 wird der Textilbereich vollständig in das GATT-Vertragswerk einbezogen (Hauser/Schanz 1995: 158, 163). Für weitere acht Jahre, d.h. bis zum Jahre 2013, können Vertragsstaaten Bestimmungen zum Schutz der inländischen Industrie gegen Länder - darunter auch Indien - erlassen, die einen Importanteil von über drei Prozent haben (Madden/Madeley 1994: 92). Die im Multifaserabkommen festgeschriebenen Quoten müssen innerhalb zehn Jahren schrittweise abgebaut werden, wobei in den ersten neun Jahren 51 Prozent der mengenmäßigen Beschränkungen wegfallen müssen und im zehnten Jahr die restlichen 49 Prozent (India Today 15.01.1994: 42). Bevor das Multifaserabkommen endgültig ausläuft, werden jedes Jahr die Importquoten der verschiedenen Länder ausgehandelt. Zuvor müssen allerdings die sog. Entwicklungsländer ihre Einfuhrzölle für 17 Textil- und Bekleidungsprodukte auf 40 Prozent reduzieren. Für Indien bedeutet dies eine sofortige Zollsenkung um 45 Prozent. Handelsminister Muhkerjee betonte am 2. Januar 1994 in einem Radiointerview, er wolle diese bilateralen Verhandlungen im Rahmen des Multifaserabkommens dazu nutzen, um für indische Textilien einen besseren Zugang auf den US-amerikanischen Markt zu erhalten (Chowdhry/Aggarwal 1994). Es ist allerdings mehr als fraglich, ob das gelingen kann. Bereits im Sommer 1994 sollte sich zeigen, daß die USA noch nicht einmal bereit sind, Produkte auf ihrem Markt zuzulassen, die vom Multifaserabkommen ausdrücklich von Quotenbeschränkungen ausgenommen sind, wie etwa handwerkliche Textil- und Bekleidungswaren der traditionellen Volkskunst (Deutscher Bundestag, Drucksache 12/7986, 1994).
Im August 1994 verbot die amerikanische Verbraucherschutzkommission (U.S. Consumer Product Safety Commission (CPSC)) den Verkauf eines traditionellen Damenbekleidungsstückes aus Indien (ghaghara), verpflichetete die Einzelhändler zu einer großangelegten Rückrufaktion und warnte die Konsumentinnen davor, diesen Damenrock zu tragen. Grund für diese Maßnahmen war, daß nach Ansicht der CPSC von diesem Kleidungsstück eine erhebliche Bedrohung der Konsumentinnen ausging, da es neben Baumwolle zum (geringeren) Teil aus Rayon (Kunstseide) gefertigt und deshalb in hohem Maße entflammbar sei. Bereits zuvor hatte der amerikanische Zoll versucht, den Import dieses Produktes zu verhindern, da es mit einem Gummiband ausgestattet sei und daher keine „traditionelles“ Produkt sei (Chandrasekhar 1994). Nach genauer Durchsicht der Verfahrensvorschriften mußte der Zoll allerdings zugestehen, daß dies kein Grund zum Einfuhrverbot war.
"The ghaghra, which obviously caught the fancy of the American consumer as an exotic substitute for the "long skirt", had in recent months turned a bestseller in leading American supermarkets. As a result, trade sources claim that exports of the item during the first five months of 1994-95 are more than its cumulated exports during the previous two financial years" (Chandrasekhar 1994: 96).
Nicht Sicherheitsbedenken1 führten zum Verkaufsverbot dieses Produktes, sondern die einheimische Textilindustrie sollte vor einem ausländischen Produkt geschützt werden. Diese kurze Episode läßt erahnen, was geschehen wird, wenn tatsächlich nach Auslaufen des Multifaserabkommens Textilien auf den amerikanischen Markt drängen, die eine ungleich größere Bedeutung haben als ein Rock indischer Stammesvölker. Die Industrienationen, die bereits seit den 70er Jahren große Phantasie bei der Errichtung „nichttarifärer Handelshemmnisse“ entwickelten, dürften auch weiterhin Mittel und Wege finden, ihre Märkte im Bedarfsfall erfolgreich abzuschotten.
6.3.5 Die Ergebnisse bei den handelsbezogenen Investitionsmaßnahmen (TRIMS)
Durch die Ergebnisse der Uruguay-Runde werden staatliche Kontrollen über Transnationale Unternehmen erheblich erschwert. Bestimmungen, wonach bestimmte Vorprodukte von indischen Unternehmen erworben werden müssen oder auch, daß bestimmte Produktionsanlagen ausschließlich für den Export produzieren dürfen, werden damit hinfällig. Für die Produktionsbedingungen von Unternehmen, die global engagiert sind, bringt diese Bestimmung erhebliche Verbesserungen mit sich. Sie ist geradezu Voraussetzung einer globalen Produktion, in der unterschiedliche Fertigungsstufen eines Produktes in vielen Ländern hergestellt werden. Gleichzeitig muß damit die indische Regierung ihren Markt auch für Unternehmen öffnen, die bislang ausschließlich für den Export wirtschafteten. Der Schutz der einheimischen Industrie durch diese Bestimmung wird dadurch vollständig abgebaut. Diese Erosion setzte bereits durch das Strukturanpassungsprogramm ein und ist durchaus auch im Sinne der indischen Regierung, die die Wirtschaft technologisch modernisieren will. Ohne solche Bestimmungen würden sich kaum Unternehmen finden, die bereit wären, in Indien zu investieren.
6.3.6 Die Ergebnisse im Bereich des Dienstleistungshandels
Zum ersten Mal wird der Handel mit Dienstleistungen in das GATT-Vertragswerk eingebracht, wobei allerdings die getroffenen Bestimmungen weit hinter den Erwartungen der USA zurückbleiben. Vor allem in den Bereichen finanzieller Dienstleistungen (Banken und Versicherungen), Telekommunikation und Mobilität von Arbeitskräften müssen konkrete Bestimmungen erst noch in weiteren Verhandlungen erarbeitet werden. Darin einen indischen Verhandlungserfolg zu sehen, wäre allerdings übertrieben, denn die indische Verhandlungsdelegation konnte nicht durchsetzen, daß die freie Mobilität von Arbeitskräften in die Bestimmungen aufgenommen wurde (Abraham 1994; Shukla 1994).
Gerade im Computersoftwarebereich sieht Indien Möglichkeiten, seine Deviseneinnahmen durch die Entsendung von Programmierern zu verbessern. Nach den Aussagen von Handelsminister Mukherjee könnten innerhalb von fünf Jahren mindestens 5 Milliarden US-Dollar auf diese Weise verdient werden (Aggarwal 1994: 180).
Auch die Bereitschaft Indiens, seinen Banken- und Versicherungssektor für ausländische Investoren zu öffnen, konnte die Industrienationen zu keinen Zugeständnissen in Fragen der Arbeitskräftemobilität bewegen (Abraham 1994: 35). Freilich war dieses Angebot im Grunde genommen gar keines, denn die vorgeschlagenen Bereiche hatte Indien bereits im Zuge der Strukturanpassung geöffnet und sich dadurch um die Gelegenheit gebracht, diese Bereiche beim GATT als ernstzunehmende Verhandlungsmasse einbringen zu können. Auch die im GATT beschlossene Öffnung des Tourismussektors hatte die indische Regierung bereits durch ihr Strukturanpassungsprogramm vorweggenommen.
6.4 Zusammenfassung: Wirtschaftliche Herausforderungen der 90er Jahre
Zwei Aspekte haben die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen in Indien in den 90er Jahren besonders stark beeinflußt: die Auslandsverschuldung des Landes und der beschränkte Zugang indischer Produkte auf die Märkte der Industrienationen. Duch Strukturanpassung und Veränderungen in der Welthandelsordnung durch die Achte Verhandlungsrunde des GATT sollten diese wirtschaftlichen Deformationen abgebaut werden.
Die Interessen des Staates sind dabei folgende: Indiens Auslandsverschuldung kann nur reduziert werden, wenn die Exporte erheblich gesteigert werden können und wenn ausländisches Kapital verstärkt nach Indien fließt. Gegenwärtig beträgt die Auslandsverschuldung Indiens etwa 90 Mrd. US-Dollar. Eine Begleichung dieser Schulden wird nur möglich sein, wenn das Land sein Exportvolumen erheblich ausweiten kann. Die Strukturanpassung bindet Indien stärker an das globale Wirtschaftssystem an. Sie macht Indien durch die Abwertung seiner Währung auf dem Weltmarkt konkurrenzfähiger, erlaubt aber auch - durch die Abschaffung bzw. Verringerung des Außenschutzes - einen verbesserten Zugang für ausländisches Kapital und ausländische Produkte auf den indischen Markt. Mit der neuen Welthandelsordnung (GATT) wird ein verbesserter Zugang indischer Produkte auf die Märkte der Industrienationen mittelfristig in Aussicht gestellt.
Das Interesse der indischen (Groß)Industrie an der Globalisierung besteht darin, die Stagnation der Binnennachfrage durch die Ausweitung der Exportnachfrage zu überwinden. Anstatt die Binnennachfrage durch Erhöhung der Löhne zu stärken, soll die Exportfähigkeit durch Verringerung der Löhne verbessert werden. Die außenhandelsrelevanten Aspekte der Strukturanpassungspolitik und auch die neue Welthandelsordnung sind daher prinzipiell in ihrem Interesse. Die binnenwirtschaftlichen Aspekte der Strukturanpassung ebenfalls, da sie die Bedingungen der Kapitalakkumulation weiter verbessern.
Für die ausländischen Unternehmen entsteht durch die Maßnahmen der Strukturanpassung und die neue Welthandelsordnung ein bedeutender Markt. Sie können ihre Produkte in Indien selbst produzieren, bei Produktionskosten, die erheblich unter jenen in den Industrienationen liegen. Sie können diese Produkte auch auf dem indischen Markt oder anderen Märkten absetzen und so die komparativen Kostenvorteile Indiens bei internationalen Geschäften nutzen.
Durch die Ergebnisse der GATT-Verhandlungen wird dem ausländischen Kapital ein Marktsegment geöffnet, das bislang weitgehend abgeschottet war: der Dienstleistungsbereich. Auch wenn diese Öffnung bislang nicht umfassend ist, wurden wichtige Bereiche bereits im Zuge des Strukturanpassungsprogramms liberalisiert, bzw. stehen kurz davor.
Den Interessen von Staat, privater nationaler Industrie und ausländischen Investoren stehen auch vielerlei Befürchtungen entgegen. Selbst wenn der indische Staat einer arbeitsintensiven Wirtschaftsentwicklung gerne Vorrang geben würde, wird dies durch die eingeschlagene Außenorientierung oftmals unmöglich. Dies verträgt sich deshalb nicht mit der Absicht, global orientiert zu produzieren, weil bestimmte Standards eingehalten werden müssen, die von der technologischen Entwicklung in den Industrienationen vorgegeben werden. Weiterhin tut sich der indische Staat schwer, die Kontrolle über bestimmte Wirtschaftsbereiche abzugeben. Hier muß vor allem der Dienstleistungsbereich genannt werden. Durch die (staatlich kontrollierten) Banken konnten bislang Entwicklungsaktivitäten gesteuert werden, etwa dadurch, daß landwirtschaftliche Kredite subventioniert oder bestimmte Wirtschaftsbereiche (priority industries) vorrangig mit Krediten versorgt wurden. Über die Banken konnten auch gesellschaftliche Gruppen politisch gewonnen werden, etwa dadurch, daß der Staat auf die Rückzahlung landwirtschaftlicher Kredite verzichtete. Ein privates Bankensystem, in dem u.U. ausländische Investoren starken Einfluß haben, nimmt dem Staat diese Möglichkeiten. Mit einer stärkeren Anbindung des indischen Finanzsektors an das globale Finanzsystem wird dieses auch verwundbarer gegenüber Entwicklungen auf Finanzmärkten außerhalb Indiens.
Die klein- und mittelständischen Unternehmen in Indien sehen der Globalisierung ebenfalls mit gemischten Gefühlen entgegen. Diese hatten bereits in den 80er Jahre große Schwierigkeiten, sich gegenüber der indischen Großindustrie zu behaupten. Ihr Kapitalstock ist äußerst gering. Fast eine viertel Million dieser Unternehmen sind hoch verschuldet. Nun werden sie oftmals zusätzlich zu ausländischen Produzenten in Konkurrenz treten müssen, wobei sich die Bedingungen zu ihren Ungunsten auch dadurch verändern, daß staatlicher Schutz (z.B. subventionierte Kredite für small-scale industries) abgebaut wird.
Ausländische Investoren sind nach wie vor unsicher, ob die Reformmaßnahmen von dauerhafter Natur snd oder ob nicht etwa gesellschaftliche Konflikte das Investitionsklima „verderben“ könnten. Sie zögern deshalb, Investitionen in Indien vorzunehmen und werden durch Ereignisse wie z.B. die Agitationen fundamentalistischer Hindus in erhöhte Wachsamkeit versetzt. Ausschlaggebend für die bislang hinter den Erwartungen der indischen Regierung zurückbleibenden Investitionen ausländischer Unternehmen dürfte jedoch der Minderheitenstatus der indischen Regierung sein. Sowohl links als auch rechts von ihr stehen zwei mächtige Parteiblöcke, die die Globalisierung vehement ablehnen. Es ist bislang ungewiß, ob durch die Bundestagswahlen, die spätestens 1996 stattfinden werden, nicht Parteien an die Regierung kommen, die andere Prioritäten setzen, zumal populistische Politiken - wie z.B. die Landtagswahlen in Andhra Pradesh 1994 zeigten - weiterhin auf dem Vormarsch sind (Ilaiah 1995; Muralidharan 1995).
Die gesellschaftlichen Auswirkungen der Wirtschaftsreformen sind vielfältig. Konsumenten langlebiger Konsumartikel werden diese billiger und in besserer Qualität kaufen können. Durch die starke Senkung der direkten Steuern wird zusätzlich Kaufkraft geschaffen, allerdings nur bei Gruppen, die bislang direkte Steuern bezahlten. Andere Gruppen - d.h. die überwiegende Mehrheit der indischen Bevölkerung - werden unter den Maßnahmen zu leiden haben, wenngleich unterschiedlich stark. Selbst wenn die indische Wirtschaft durch die Strukturanpassung einen starken Wachstumsimpuls erhalten sollte, wird dieses Wachstum die Beschäftigungssituation nicht verbessern. Jene Menschen, die weiterhin im organisierten Wirtschaftsbereich tätig sind, werden einen Reallohnverlust hinnehmen müssen. Ungewiß sind die Effekte für die landwirtschaftlichen Erzeuger. Die Streichung von Subventionen wird durch die Erhöhung der Erzeugerpreise z.T. ausgeglichen. Hierdurch werden jene Produzenten begünstigt, die einen hohen Marktanteil aufweisen. Für alle anderen, d.h. für die landlosen Gruppen, aber auch für jene Produzenten, die Nahrungsmittel zukaufen müssen, werden sich die Preise für Nahrungsmittel stark erhöhen. Sollte sich die indische Regierung entscheiden, die Obergrenzen für Landbesitz abzuschaffen, wie dies z.B. von der Weltbank vorgeschlagen wird (Braßel 1994: 55f), wird dies zu einer weiteren Konzentrierung von Landbesitz führen. Entwicklungen, wie sie seit Jahrzehnten im Fischereisektor beobachtet werden können, würden dann auch im landwirtschaftlichen Bereich stattfinden.
Der Staat wird es schwer haben, auf diese Veränderungen gesellschaftlich adäquat zu reagieren. Will er diese wirtschaftliche Entwicklung fördern, wird er auch weiterhin Gruppen begünstigen müssen, die als Konsumenten in Frage kommen. Soziale Disparitäten werden sich weiter verschärfen. Selbst wenn sich in den nächsten Jahrzehnten nochmals 200 Millionen Menschen in die Reihe der heute etwa 200 Millionen Menschen umfassenden Mittelschicht hinzugesellen, wird weiterhin mehr als die Hälfte der Bewohner Indiens von dieser Entwicklung ausgeklammert sein. Die dann möglicherweise 400 Millionen Menschen fassende Mittelschicht bietet jedoch eine solide Grundlage, Indien wirtschaftlich voranzubringen, weil der Nachholbedarf dieser Menschen ungeheuer ist.
Im folgenden Kapitel soll ein Rohstoffbereich untersucht werden, der bislang eine Sonderstellung im Welthandel einnahm: der Handel mit hochwertigen Meeresprodukten, vor allem Garnelen. Für diese Produkte gab es in der Vergangenheit kaum Zugangsbeschränkungen auf die Märkte der Industrienationen, und die Weltmarktpreise waren auch immer sehr hoch. Nicht zuletzt deswegen werden Garnelen häufig als pink gold bezeichnet.
Beim Handel mit diesen Meeresprodukten besteht also schon seit Jahrzehnten ein Zustand, der für Agrarprodukte durch die neue Welthandelsordnung erst noch erreicht werden soll. Es wird deshalb in diesem Zusammenhang zu prüfen sein, ob sich für die in der Meeresfischerei beschäftigten Menschen und für die Konsumenten von Fisch dieser Zustand positiv auswirken konnte, so daß ähnliches auch für den landwirtschaftlichen Sektor vorausgesagt werden kann.
7 Der Wandel in der Weltfischerei und seine Auswirkungen auf Indien.
Bei der Betrachtung der Politischen Ökonomie Indiens galt das Hauptaugenmerk der landwirtschaftlichen und industriellen Entwicklung und den Machtgruppen, die diese bestimmen. Im empirischen Teil der vorliegenden Arbeit hingegen wird eine Gemeinde untersucht, die ursprünglich ein reines Fischerdorf war und in der auch heute noch die Mehrzahl der berufstätigen Menschen eng mit der Fischerei verbunden sind. Diese Menschen sind von den Entwicklungen im landwirtschaftlichen Sektor vor allem als Konsumenten betroffen, da sie - mit Ausnahme von Fisch - nahezu alle anderen Nahrungsmittel über den Markt beziehen. Die industrielle Entwicklung auf der anderen Seite bestimmt u.a. die Möglichkeiten dieser in Madras lebenden Menschen, eine Beschäftigung außerhalb der Fischerei finden zu können.
Mit der Analyse der Fischereipolitik in Indien kommt nun eine weitere Perspektive hinzu: die der Angebotsseite. Hier sollen Entwicklungen aufgezeigt werden, die das Leben von Fischern als „Produzenten“ bestimmen. Im empirischen Teil der Arbeit werden dann diese beiden Bereiche (Nachfrage- und Angebotsseite) zusammengeführt sowie weitere Aspekte der gesellschaftlichen Struktur Indiens in ihrer lokalen Dimension aufgezeigt.
Für Indien ist der Export von Garnelen und anderen Fischereiprodukten eine wichtige Devisenquelle. Dies hängt damit zusammen, daß die Weltmarktpreise für Garnelen sehr hoch sind und kaum Beschränkungen beim Zugang auf die Märkte der Industrienationen bestehen.1
7.1 Die Entwicklung des Weltfischfangs
Zwischen 1951 und 1991 nahm der Weltfischfang von 23 auf über 96 Mio. Tonnen zu. Diese gewaltige Zunahme bei den Fischanlandungen führte in den 50er und 60er Jahren zu der Annahme, daß die Meere unerschöpflich Reservoire seien, die zur Ernährung der ständig anwachsenden Weltbevölkerung herangezogen werden könnten.2 Erst als ab den frühen siebziger Jahre erste Anzeichen einer übermäßigen Ausbeutung der Fischbestände deutlich wurden, zeigte sich, daß diese Annahmen bei weitem zu optimistisch waren.
So nahmen die Sardellen-Fänge vor der Küste Perus 1972 innerhalb eines Jahres von 10.2 Mio. Tonnen auf 4.4 Mio. Tonnen ab (vgl. FAO 1975). 1983 wurden dort gerade noch 100.000 Tonnen Sardellen gefangen (WRI 1986: 358). Betrug der Heringfang in der Nordsee 1968 noch 850.141 Tonnen, so waren es 1977 gerade 44.189 Tonnen (Kroiß 1983: 307). Die FAO kommt bereits zu Beginn der 80er Jahre zu der Einschätzung, daß viele traditionelle Fanggebiete „überfischt“ seien. Bereits zu Beginn der achtziger Jahre waren weltweit elf der großen ozeanischen Fischvorkommen (sechs im Atlantik, fünf im Pazifik) bis zum Grad des vollständigen Zusammenbruchs ausgebeutet. Waren diese Zusammenbrüche ursprünglich auf den Nord-Atlantik beschränkt, so breiteten sie sich bald auf den Nord-Pazifik aus. Sogar die neu entstandenen Fischereizonen in den südlicheren Breitengraden - im südöstlichen Pazifik, im Golf von Thailand, im Indischen Ozean und an den Küsten Neuseelands - sind durch maßlosen Fischfang während der letzten beiden Jahrzehnte bis an den Rand des Zusammenbruchs gebracht worden (Brown 1986: 10). Daß trotz des teilweise enormen Rückgangs der Fischanlandungen in manchen Regionen weltweit der Fischfang bis in heutige Zeit kontinuierlich gesteigert werden konnte, liegt daran, daß viele Fischereinationen die im Schwinden befindlichen Fischgründe aufgegeben haben und nun neue Fanggebiete aufsuchen. Die Ausrüstungen ihrer Fangflotten wurden dieser Entwicklung angepaßt. Große Schiffe, die wochenlang auf See sind und auf denen die Fänge gleich weiterverarbeitet werden, hochsensible Ortungsgeräte zum Aufspüren von Fischschwärmen, engmaschige Netze, mit denen ganze Seegebiete praktisch leergefischt werden können - so sehen heute moderne Fangboote und ihre Ausrüstung aus.
Fast 90 Prozent der Fischfänge stammen aus dem Meer, und zwar hauptsächlich innerhalb des 200-Meilen Bereichs entlang der Küsten. Der jährliche Fischfang auf der Welt übertrifft die Rindfleischproduktion um ein Beträchtliches. Rechnerisch deckt die Fischerei 23% des Konsums an tierischem Eiweiß (vgl. Brown 1986: 7). Beachtlich ist der Beitrag, den Fisch zur Ernährung in Entwicklungsländern leistet. Obgleich die Bevölkerung der Entwicklungsländer weniger Fisch pro Kopf verzehrt als die Menschen in den Industrienationen, entfällt ein größerer Anteil ihrer Versorgung mit tierischem Eiweiß auf Fisch. In Asien beziehen mehr als 60 Prozent der Bevölkerung zu über 30 Prozent ihres tierischen Eiweißes durch Fisch (FAO, WFC/83/1, 1983). In Ghana und Sierra Leone trägt Fisch sogar zu jeweils knapp 70 Prozent zur Versorgung der Bevölkerung mit tierischem Eiweiß bei (Courier, Mai/Juni 1984: 69).
Bedingt durch die rasch ansteigende Bevölkerungszahl ist die weltweite Nachfrage nach Fischereiprodukten seit den 50er Jahren erheblich gestiegen und wird auch in den kommenden Jahren weiter ansteigen. 1980 ging die FAO davon aus, daß bis zum Jahre 2000 ein Gesamtbedarf von 113 bis 125 Mio. Tonnen Fisch bestehen wird (BML 1982: 102). In der Vergangenheit wurde der Weltfischfang von einer handvoll Staaten beherrscht, die meisten unter ihnen Industrieländer. Die Entwicklungsländer zogen wenig Vorteile aus dem Potential der Ozeane. Sie landeten 1952 nur 27 Prozent der Weltfänge an (FAO, WFC/83/1, 1983: 22).
Tab. 3:Die weltgrößten Fischereinationen (1938, 1970 und 1993)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Fischer-Weltalmanach 1966 (für 1938); FAO-CRO 1973/74 und 1991/92
Nicht zuletzt Änderungen im Seerecht haben aber dazu geführt, daß immer mehr Entwicklungsländer eine moderne Fischerei aufbauen (Gulland 1979). 1991 waren unter den zehn führenden Fischereinationen sieben Entwicklungsländer, auf die 40 Prozent der weltweiten Fischfänge entfielen. Andere Entwicklungsländer trugen weitere 20 Prozent bei, so daß in diesem Jahr insgesamt 60 Prozent der weltweiten Fischfänge von Entwicklungsländern erzielt wurden. Diese angedeutete Entwicklung ist jedoch unter mehreren Gesichtspunkten äußerst problematisch. Die intensive Nutzung der Fischbestände hat in vielen Meeresgebieten der Dritten Welt inzwischen ebenfalls zu einer Überfischung beigetragen. Fischereiprodukte werden immer häufiger aus lokalen/regionalen Wirtschaftskreisläufen auf internationale Märkte umgelenkt. Nicht selten, um lediglich Zusatzfutter für die Masttierhaltung zu liefern, wie dies z.B. bei der Sardellen-Fischerei Perus größtenteils der Fall war (Kent 1976; vgl. auch: WRI 1986). Diese Entwicklung hat auch zu sozio-ökonomischen Differenzierungsprozessen in den betroffenen Nationen geführt.1
In den vergangenen 10 bis 20 Jahren wird Fischereientwicklung in Entwicklungsländern nicht mehr nur unter dem Aspekt der Einführung moderner Fangmethoden betrieben. Mit der Förderung von Aquakulturen ist ein neues Element hinzugekommen. Immer mehr Länder sehen in den hohen Garnelenpreise einen Anreiz, landwirtschaftliche Nutzflächen oder Ödland in Fisch- bzw. Garnelenteiche umzuwandeln. Für das Jahr 1988 schätzte die Weltbank allein die Garnelenproduktion aus Aquakulturen auf 560.000 Tonnen. Fast 60 Prozent davon entfielen auf China (180.000 Tonnen), Indonesien und Ecuador (jeweils 70.000 Tonnen). Am beeindruckendsten hat sich die Produktion in China entwickelt. Zwischen 1980 und 1988 hat das Land seine Garnelenproduktion aus Aquakulturen verdreizehnfacht (IBRD 1992: 3).
7.2 Der Handel mit Fischereiprodukten
Neben den ökologischen Problemen, die eine industrielle Fischerei aufwirft, sind Veränderungen in den Warenströmen für die Ernährungssicherheit von Armutsgruppen von wichtiger Bedeutung. Produkte, die für den menschlichen Verzehr unprofitabel sind, werden zu Fischmehl für die Viehfütterung weiterverarbeitet.2 Auch bei der Herstellung von Fischkonserven fallen „Abfälle“ an, die für den menschlichen Konsum geeignet wären.
„The industrialization of fisheries may contribute to the spread of chronic undernutrition. Much of the fish used for fishmeal could be used for direct human consumption. Of the fish that is consumed directly, most goes to people who already have enough food. Only a relatively small share goes to those who are at risk of undernutrition. The supplies of fisheries resources for the poor are reduced because the market system tends to move fish toward those with higher incomes“ (Kent 1984: 2f; vgl. auch: Kent 1980, 1982).
Etwa 70 Prozent des Weltfischfangs ist für den menschlichen Verzehr bestimmt, während 30 Prozent als Viehzusatzfutter, zur Fischölgewinnung oder auch zur Düngung verwendet werden. Überhaupt nicht erfaßt sind jene Mengen, die gefangen, aber unmittelbar danach wieder über Bord der Fangboote geworfen werden, da sie ansonsten knappen Lagerraum für teurere Arten wegnehmen (Galtung 1984: 255; Kent 1980: 17). Bei der Garnelenfischerei im Golf von Bengalen macht dieser „By-catch“ zwischen 85-95 Prozent des Fanggewichts aus (Bay of Bengal News, September 1990: 20; ausführlich: Gordon 1991). Allein an der Nordostküste Indiens gehen so jährlich etwa 100.000 Tonnen Fisch verloren, mehr als ein Drittel der Menge, den die Kleinfischer in dieser Region innerhalb eines Jahres fangen (Bay of Bengal News, September 1990: 20). Weltweit gesehen wird so ein bedeutender Anteil der Fischfänge der menschlichen Ernährung entzogen, weil es nicht gewinnbringend ist, diese Fische anzulanden. Gerade einkommensschwache Gruppen könnten mit diesem „Billigfisch“ ihr Ernährungniveau erhöhen (Kent 1980).
Bei weitem die größten Fischmengen werden in den Ländern konsumiert, in denen sie gefangen werden. Allerdings macht der internationale Handel einen immer größeren Anteil am Gesamtfang aus. Von den knapp 40 Mio. Tonnen, die 1960 gefangen wurden, wurden 4 Mio. Tonnen international vermarktet. 1987 waren es bereits über 26 Prozent des gesamten Weltfischfangs (berechnet nach: Loayza 1992: 70 und YITS, verschiedene Jahre).
Tab. 4: Die zehn größten Exportländer von Fischereiprodukten (1992)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: United Nations, Yearbook of International Trade Statistics 1992
Diese Prozesse führen dazu, daß die einheimischen Preise für Fischereiprodukte ansteigen. Bei Produkten, die international vermarktbar sind, nähern sich die einheimischen Preise dem Weltmarktniveau an. Ein Produzent wird solange internationale Märkte beliefern als dort das Preisniveau höher ist. Durch die interne Knappheit steigen jedoch auch die einheimischen Preise, und es ist eine Grenze vorstellbar, bei der die inländische Vermarktung profitabler ist. Ist diese Grenze erreicht, werden Gruppen mit niedrigem Einkommen dennoch diese Produkte nicht kaufen können, da der Preis für sie unerschwinglich ist. Noch nicht einmal Fischer, die selbst Garnelen fangen, essen diese gewöhnlich (vgl. Down to Earth, 31.08.1992: 34).
Tab. 5: Die zehn größten Importländer von Fischereiprodukten (1992)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Uited Nations, Yearbook of International Trade Statistics 1992
Durch moderne Fischereimethoden werden auch die billigeren Fischarten dezimiert und lassen auf lokalen Märkten das Angebot sinken. Kleinfischer beginnen, selektiv teurere Arten zu fangen. Gruppen mit einem niedrigen Einkommen werden so von billigen Proteinquellen abgeschnitten. Für die 60er Jahre errechnete Kent, daß allein die Sardellenfänge Perus ausgereicht hätten, die Proteinversorgung des gesamten südamerikanischen Kontinents auf ein Niveau der südlichen Länder Europas anzuheben. Fischmehl, das aus Afrika exportiert wurde, hätte ausgereicht, das bestehende Proteindefizit dieses Kontinents um mindestens die Hälfe zu reduzieren (Kent 1976: 38). Diese Problematik der späten 60er Jahre hat heute in ihrer Bedeutung nichts verloren. Ganz im Gegenteil: der dort beschriebene Trend hat sich seither weiter fortgesetzt. Unter den zehn größten Importländern für Fischereiprodukte befand sich mit Thailand an neunter Stelle lediglich ein einziges sog. Entwicklungsland, das jedoch gleichzeitig zweitgrößter Exporteur war. Diese zehn Nationen nahmen 1992 wertmäßig fast 80 Prozent der Fischereiimporte auf. Während also immer mehr Fisch in sog. Entwicklungsländern gefangen wird, konzentrieren sich die Importe auf eine Handvoll von Industrienationen. Fischereiprodukte dienen so immer weniger der Ernährung lokaler Bevölkerungsgruppen als der Versorgung kaufkräftiger Kunden in den Industrienationen sowie zur Fütterung in der Viehhaltung. Allein bei Frischfisch gingen 1992 zwei Fünftel aller Importe nach Japan und den USA. Bei den Weich- und Krustentieren waren es fast 60 Prozent. In die Europäische Gemeinschaft gingen 40 Prozent der Frischfischimporte, 27 Prozent der Importe von Weich- und Krustentieren und 45 Prozent der Importe von verarbeiteten Fischerreiprodukten (YITS 1993).
Sowohl von der FAO (vgl. u.a. FAO/WFC/NF/1984/2), der Weltbank (vgl. u.a. Emmerson 1980) und anderen internationalen Entwicklungsagenturen, werden Fischereiprodukte als ein wichtiger Beitrag zur Ernährung einkommensschwacher Gruppen aufgefaßt. Im Widerspruch dazu werden jedoch nicht selten von denselben Organisationen Vorhaben gefördert, die den Handelswert von bestimmten Fischereiprodukten in den Vordergrund rücken und dem Agrobusiness dabei eine Vorreiterrolle zuweisen. Am deutlichsten wird dies bei der Förderung von Aquakulturen. So beschloß die FAO 1984 auf ihrer Fischereikonferenz in Rom:
„In view of the increasing priority being given to aquaculture (including mariculture), FAO's assistance to its member nations in this area needs further strengthening.[...] The reasons include the need to diversify rural production, to provide alternative employment for rural people, especially women, to produce more fish for local consumption, and to increase opportunities of earning foreign exchange“ (FAO 1984: 44).
Abb. 2: Anzeige in „The Hindu“ 3.11.1991
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Eine Fischereistrategie, die ländliche Beschäftigung und die lokale Versorgung mit Fischereiprodukten in den Vordergrund rückt, ist angesichts der hohen Investitionskosten bei Aquakulturen illusorisch. Es werden sich kaum Investoren finden lassen, die in ihren Teichen „Billigfisch“ für lokale Märkte halten, wenn sie gleichzeitig die Wahl haben, gutbezahlte Luxusprodukte für den Weltmarkt herzustellen. Die Beschäftigungswirksamkeit solcher Projekte für die lokale Bevölkerung dürfte in den meisten Fällen ebenfalls niedrig sein. Das Management von Aquakulturen verlangt hochqualifizierte Fachleute, die sich i.d.R. im ländlichen Raum nicht finden lassen. Bezeichnend in diesem Zusammenhang ist eine Anzeige, die am 03. November 1991 in der indischen Tageszeitung „The Hindu“ erschien: in der untersuchten Fischersiedlung in Madras fand sich kein einziger aktiver Fischer, der die geforderte Qualifikation erfüllen konnte.
Aquakulturen werden derzeit weltweit sehr stark gefördert. Die Erschöpfung vieler Fanggebiete und eine sich immer stärker ausweitende Schere zwischen Angebot und Nachfrage bei Fischereiprodukten sind dafür die Ursache. Dabei muß man feststellen, daß sich viele Produzenten auf Produkte konzentrieren, bei denen die Weltmarktpreise sehr hoch sind, vor allem Garnelen. Gerade bei diesen Produkten sind in den letzten Jahren große Preisschwankungen aufgetreten, weil sie sehr nachfrageelastisch sind. Bei einer Rezession in den Importländern können die Konsumenten dort leicht auf diesen Luxus verzichten.
7.3 Die Fischereiwirtschaft in Indien - eine Übersicht
Die gesamte Küstenlänge Indiens beträgt ca. 6000 km,1 wobei auf die unterschiedlichen Küstenanrainerstaaten folgende Anteile entfallen: West Bengalen 400km, Orissa 720km, Andhra Pradesh 960km, Tamil Nadu 1000km, Kerala 480km, Karnataka 288km, Maharashtra 840km, Gujarat 1100km. Von den Küstenanrainerstaaten hat Kerala mit knapp 23,5 Prozent (1991) den höchsten Anteil am Fischfang. Es folgen Gujarat (22,6%), Maharashtra (16,5%), Tamil Nadu (12,7%) und Karnataka (7,7%).
Die indische Fischereiwirtschaftszone (Exclusive Economic Zone (EEZ)) umfaßt etwa 2,02 Mio. km2 (Singhal 1992: 171). Über 414000 km2 nimmt davon das Kontinentalschelf ein. In dieser Zone werden über 90 Prozent des maritimen Lebens der indischen Wirtschaftszone vermutet (Srivastava et al. 1982: 8; FSI 1988).
Im Fischfang, der Fischvermarktung und der fischverarbeitenden Industrie sind über eine Million Menschen beschäftigt, wovon ca. 450.000 aktiv Fischfang betreiben. Der überwiegend größte Teil der Fischer geht seiner Arbeit auf traditionellen Fischerbooten nach, so wie sie schon seit Jahrhunderten in beinahe unveränderter Form existieren. Seit Erlangung der Unabhängigkeit hat sich das Gesicht der indischen Fischerei dennoch in vielerlei Hinsicht stark gewandelt. Nicht nur, daß seither sich die jährlichen Fänge fast verfünffacht haben, heute wird ein Großteil der Anlandungen durch Fischereifahrzeuge erbracht, die es vor 40 Jahren in Indien noch gar nicht gab, der Fisch wird vielfach anders verarbeitet als noch vor wenigen Jahrzehnten, anders und oft auch woanders vermarktet, und er findet heute zu großen Teilen auch ganz andere Käufergruppen. Mit dieser Modernisierung wurden auch räumliche und soziale Differenzierungen in die Wege geleitet. Soziale und wirtschaftliche Organisationsformen haben sich verändert, Abhängigkeiten wurden geschaffen und bestimmte Wirtschaftsräume durch staatliche Maßnahmen aufgewertet bzw. im gleichen Prozeß andere abgewertet. In einigen Regionen Indiens sind auch schon deutliche Anzeichen einer Überfischung eingetreten, die auf eine hemmungslose Ausbeutung der Fischereiressourcen zurückzuführen ist (vgl. für Kerala: Choudhuri 1986; Iyengar 1985; Kochery/Achari 1985; Kurien 1991, 1993).
Nach den neusten erhältlichen Daten (1991) beträgt der Anteil des indischen Fischfangs 4,2 Prozent des Weltfischfangs. Bei den Exporten von Fischereiprodukten beträgt der indische Anteil etwa zwei Prozent des gesamten Handelswerts und weniger als ein Prozent des Handelsvolumens. Hieraus wird ersichtlich, daß das Land vor allem preislich hochstehende Produkte auf dem Weltmarkt absetzt.
Für die Wirtschaft des Landes ist der Fischereisektor von geringer Bedeutung. Fischerei und fischverarbeitende Industrie tragen gerade ca. zwei Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei. Der Anteil der Fischerei an den Exporterlösen liegt gegenwärtig (1992-93) bei 3 bis 4 Prozent. Fischereiprodukte nehmen damit wertmäßig den siebten Rang unter den Exportprodukten ein, nachdem sie 1960-61 noch an 19. Stelle gelegen hatten. Seit Beginn der 60er Jahre stieg der Exportwert der Fischereiprodukte ungleich schneller an als die Exportmenge.
Tab. 6: Entwicklung der Fischereiexporte Indiens (1960-1992)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Economic Survey 1993-94:S-91ff
In den 70er Jahren war Indien der weltgrößte Produzent von Garnelen. Inzwischen ist es hinter China und Indonesien an dritte Stelle zurückgefallen. China konnte seinen Anteil an der Weltproduktion von 11,5 auf 21 Prozent steigern, während der indische Anteil trotz einer Produktionszunahme von fast 90.000 Tonnen von 10 auf 9,9 Prozent sogar leicht abgenommen hat und inzwischen nicht einmal die Hälfte der chinesischen Produktion erreicht (MPEDA 1991: 107; vgl. Kant 1991). Die hohen Weltmarktpreise machen auch heute noch den Export von Fischereiprodukten für Indien sehr lukrativ, wenngleich festgestellt werden muß, daß seit Beginn der 90er Jahre die Exporterlöse (in US-Dollar) stagnieren. Dies hängt nicht zuletzt mit dem Wertverfall der indischen Währung zusammen. So erzielten die Fischereiexporte 1992-93 einen Erlös von 2856 US-Dollar je Tonne. Gegenüber 1980 ist dies ein Rückgang von über 1000 US-Dollar je Tonne bzw. 28 Prozent.
Tab.7: Exporterlöse für Fischereiprodukte
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Economic Survey 1993-94:S-91ff
Unabhängig von der Entwicklung der indischen Währung sind aber auch die internationalen Preise für Garnelen und anderen Krustentiere sehr schwankend. Vor allem der Markt in Japan, Indiens Hauptexportland für Garnelen und Hummer, stagnierte zu Beginn der 90er Jahre. Indien hat zwar versucht, für dieses Produkt neue Märkte zu erschließen (z.B. Spanien, Italien und die Niederlande), doch 1991 wurden noch immer 44 Prozent der Garnelenexporte mit Japan abgewickelt. Bei anderen Fischereiprodukten ist eine ähnliche Konzentration auf ein einziges Land festzustellen, wobei auch hier Japan häufig das wichtigste Exportland ist: so etwa bei Tintenfischfilets (50%), Krabbenfleisch (75%) und gekochtem Hummer (80%) (MPEDA 1991: 9ff). Fast die Hälfte aller Einnahmen aus Exporten von Fischereiprodukten wurden 1991 im Handel mit Japan erzielt (MPEDA 1991: 11).Über 88 Prozent der Erlöse stammten 1991 aus dem Export von Garnelen, Hummer und Tintenfischen, wobei Garnelen mit über 73 Prozent bei weitem das wichtigste Fischereiexportprodukt war (MPEDA 1991: 6ff). Eine solche Konzentration auf wenige Märkte und Produkte macht Indien in hohem Maße verwundbar gegenüber Preisschwank-ungen und Nachfragerückgängen (Dasmunsi 1987; Dhillon 1987). So gingen die Großhandelspreise für gekochten Hummer in Japan 1992 während den ersten neun Monate um 11 Prozent gegenüber dem Vorjahr zurück. Gleichzeitig nahmen auch die Exporte indischer Hummer nach Japan im gleichen Zeitraum von 1.027 Tonnen auf 576 Tonnen ab (Infofish 02.02.1993). Noch stärker war der Preisrückgang bei Garnelen. Zwischen Dezember 1990 und Februar 1992 sanken die Großhandelspreise für Garnelen aus Indien auf dem japanischen Markt um über 20 Prozent (Infofish 01.12.1992). Mit der Überschrift „ Oversupply from aqualculture depresses shrimp market “ berichtete die FAO in ihrem Commodity Review and Outlook 1990-91 von der Situation in Japan:
„In 1989, the world shrimp market was overshadowed by slow demand in Japan which, combined with large cold storage holdings, led to a sharp decline in prices. Some shrimp species recorded a 40 to 50 percent reduction in prices“ (FAO-CRO 1990-91: 138).
Ein Jahr später war an gleicher Stelle zu lesen:
„Japanese shrimp consumption collapsed in 1991 as a result of the liberalization of meat imports. Prices fell abruptly, in June-July 1991, almost to the disastrous level of 1989. [...] Demand and consumption in the United States were rather depressed in 1991, as the recession influenced restaurants sales. Black tiger shrimp was in over-supply on the United States market“ (FAO-CRO 1991-92: 145).
7.3.1 Expansionsmöglichkeiten in der indischen Meeresfischerei
Das Fischereipotential des indischen Kontinentalschelfs wird unterschiedlich hoch eingeschätzt (Kant 1991). Zu Beginn der 80er Jahre gingen Srivastava et al. noch davon aus, daß sich die damaligen Fänge um den Faktor 3, 4 oder sogar 8 erhöhen ließen (Srivastava et al. 1982: 9). Dies hätte ein Potential zwischen 4 und 11 Mio. Tonnen bedeutet. Inzwischen sind diese Schätzungen stark nach unten korrigiert worden. Im achten Fünf-Jahresplan wird nur noch von einem jährlichen Fangpotential von 3,9 Mio. Tonnen ausgegangen (GOI 1992-II: 23). Bei Fängen von 2,6 Mio. Tonnen (1992-93) bedeutet dies, daß dieses Potential bereits zu etwa zwei Drittel ausgeschöpft wird. Mit 2,3 Mio. Tonnen wird das höchste Potential in Gewässern mit einer Tiefe unter 50 m vermutet. 1,3 Mio. Tonnen entfallen auf die Bereiche zwischen 50 und 200 m Tiefe, während die Gewässer über 200 m lediglich 0,3 Mio. Tonnen erwarten lassen (Singhal 1992: 171).1
Tab. 8: Fänge und geschätztes Potential nach Meerestiefen und Küstenabschnitten (in '000 Tonnen)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle:Fishery Survey of India 1988:8
Fast alle Fänge stammen aus Gewässern mit einer Tiefe von bis zu 50 m. In den flacheren Meeresgebieten dürften bereits heute kaum noch Möglichkeiten bestehen, die Fänge bedeutend auszuweiten. Manche Küstengebiete wurden bereits Mitte der 80er Jahre über ihr Potential hinaus ausgebeutet. Ein zukünftiger Zuwachs wird sich deshalb auf größere Tiefen konzentrieren müssen. Hierzu gibt es in Indien auch heute noch kaum geeignete Fangschiffe. Bis 1990 wurden lediglich 157 tiefseefähige Schiffe in Dienst gestellt, von denen - sieht man einmal von zwei Schiffen ab, die Thunfische fangen - alle in küstennahen Gewässern Garnelen fangen (Srivastava 1991: 1). Der Grund für die große Zurückhaltung, in tiefere Gewässer vorzudringen, liegt in den erheblichen Investitionskosten, die dazu aufgebracht werden müßen. Ein für den Tiefseefang geeignetes Boot mit einer Länge von 25 m kostete zu Beginn der 90er Jahre etwa 13 Mio. Rs (Srivastava 1991: 2; vgl. Dandekar 1987). Diese Investitionen können nur durch den Garnelenfang wieder erwirtschaftet werden. Und dieser ist in den küstennahen Gebieten am produktivsten.
In der Meeresfischerei soll der Fang von Fischarten gefördert werden, die bislang von geringer Bedeutung waren, allen voran Thunfisch im Tiefseebereich (Dasmunsi 1987). Ins Auge gefaßt hat man aber auch die Ausbeutung von Arten, die zur Fischmehlherstellung verwendet werden sollen und die in der Kleinfischerei und bei der Versorgung einkommensschwacher Gruppen eine sehr wichtige Rolle spielen. Besonders besorgniserregend sind dabei die Entwicklungen, die sich beim Sardellenfang abzeichnen. Nach E.G. Silas, Vizekanzler der landwirtschaftlichen Universität von Trichur, Kerala, und früherer Direktor des Central Marine Fisheries Research Institues (CMFRI) wird eine neue Fischereistrategie u.a. folgenden Punkt umfassen müssen:
„Utilisation of underexploited or unexplored conventional and non-conventional resources from the continental shelf water through development of post-harvest technologies including product development to suit internal and foreign markets. This will include utilization of high volume, low value fish such as anchovies for conversion into fish meal and other products. A standing stock of about 0,4 to 0,8 million tonnes has been estimated while hardly 52.000 tonnes are harvested now“ (Silas 1989: 242).
Sehr ehrgeizige Ziele verfolgt man auch im Bereich der Aquakulturen:
„The population of India is expected to rise to 100 crores by 2000 AD and 70 per cent of this is likely to be non-vegetarian eating fish, if it is available at affordable prices. [...] India needs major changes in fisheries development policies to change the pattern of growth and ensure more investment in areas where the return per unit of effort and time is the highest. The waterlogged areas are used for fish based mixed farming and extensive aquaculture. Now a move must be made from extensive aquaculture to hi-tech industrial aquaculture “ (Dwivedi 1991: 227ff; Hervorhebungen hinzugefügt).1
Schon heute haben Veränderungen in der indischen Fischerei zu sozialen Spannungen geführt, die dort am intensivsten ausgetragen werden, wo die Modernisierung am weitesten fortgeschritten ist. Mehrere Konflikte lassen sich unterscheiden. Erstens der Konflikt zwischen Kleinfischerei und der industriellen Fischerei. Hierbei handelt es sich um einen Konflikt zwischen unterschiedlichen Produktionsgruppen um diesselbe Ressource und um denselben Wirtschaftsraum. Zweitens der Konflikt zwischen Kleinfischern und landwirtschaftlichen Gruppen. Vor allem in Brackwassergebieten (backwaters) werden immer mehr landwirtschaftliche Gruppen von den Profitmöglichkeiten des Garnelenfangs angezogen und geraten so in Konflikt mit etablierten Kleinfischern, die diese Ressourcen selbst ausbeuten wollen. Drittens der Konflikt zwischen Großunternehmen und landwirtschaftlichen Gruppen/Kleinfischern. Hier geht es darum, daß landwirtschaftliche Nutzflächen in Fisch- bzw. Garnelenteiche umgewandelt werden oder aber Brackwassergebiete von Großunternehmen für die Garnelenzucht „privatisiert“ werden. Im ersten Fall sind davon vor allem Landarbeiter betroffen, die ihre Beschäftigung verlieren, im zweiten Kleinfischer, deren generationenalten Nutzungsrechte entwertet werden.
7.4 Aspekte der Modernisierung der Fischerei: eine konfliktorientierte Betrachtung
Die Modernisierung der Fischerei ist das durchgängige Ziel der indischen Fischereipolitik seit den frühen 50er Jahren. Was Mitte der 60er Jahre in Indien unter dem Schlagwort der Grünen Revolution in der Landwirtschaft bedeutsam wurde, setzte als Entwicklungsstrategie in der Fischerei bereits mehr als zehn Jahre zuvor ein. Die Auswirkungen solcher Strategien sind in der Fischereiwirtschaft ähnlich wie später in der Landwirtschaft. Sozio-ökonomische Differenzierungsprozesse und die daraus resultierenden Konflikte zwischen unterschiedlichen Gruppen im Produktionsprozeß lassen sich in beiden Bereichen finden.
Die Modernisierung der Fischerei bedeutet mehr als die bloße Einführung moderner Fischereiboote. Ähnlich wie bei der Modernisierung in der Landwirtschaft könnte man hier von einem ganzen „Paket“ von Maßnahmen sprechen, von dem der Einsatz neuartiger Fangboote lediglich ein Aspekt unter vielen ist. Modernisierung bedeutet darüberhinaus die Schaffung einer modernen Infrastruktur, ohne die der Einsatz moderner Boote gar nicht durchgeführt werden kann. Angefangen mit dem Bau von Häfen für die Trawler, über die Einrichtung von Reparaturbetrieben, die Versorgung mit Treibstoffen für die Boote, bis hin zum Aufbau eines „modernen“ Verarbeitungs- und Vermarktungssystems, sind eine ganze Reihe von Maßnahmen notwendig, bevor eine Modernisierung greifen kann (Schneider 1990).
Erste Schritte einer solchen Modernisierung wurden während der britischen Kolonialzeit durchgeführt, auf denen der eigentliche Modernisierungsprozeß nach der Unabhängigkeit aufbaute. Zunächst war dies die Erfassung der Fischarten der indischen Gewässer, mit der bereits im 18. Jahrhundert von britischen Biologen begonnen wurde (Gokhale 1988). Die systematische Erfassung des indischen Fischreichtums war in seinen Grundzügen 1869 mit dem Erscheinen des Marine Fisheries Survey von Col. Alcock abgeschlossen.
Erstes sozio-ökonomische Interesse an der Entwicklung der indischen Fischerei wude 1898 laut. Sir Frederick A. Nicholson schlug damals der Regierung der Madras Presidency den industriellen Ausbau der südindischen Fischerei zur Bekämpfung von Hungersnöten vor. Auch wenn von ihm vorgelegte Pläne zunächst nicht beachtet wurden, führte sein Engagement dazu, daß 1905 in Madras die Stelle eines Fischereibeamten eingeführt wurde, dessen Aufgabe es war, eine Untersuchung der Meeres- und Binnenfischerei der Madras Presidency sowie der Möglichkeiten einer industriellen Entwicklung in diesen Bereichen durchzuführen. 1907 wurde die Stelle des Fischereibeamten zum Fischereidepartment ausgebaut, dessen Direktor der britische Meeresbiologe James Hornell wurde. In der Folgezeit wurde vom Fischereidepartment der Aufbau der südindischen Fischerei in Angriff genommen und zwar zunächst dadurch, daß Fischereischulen errichtet und staatliche Versuchstrawler angeschafft wurden. Die Pläne des Fischereidepartments fanden bei Regierung und Öffentlichkeit jedoch wenig Zustimmung. Kritisiert wurde, das Fischereidepartment verschwende zu viele Mittel, da die hochsubventionierten Einrichtungen und Boote kaum Einnahmen hatten. Ende der 20er Jahre wurde sogar ernsthaft darüber nachgedacht, das Fischereidepartment zu schließen.
Erst nach der Unabhängigkeit wurde die Modernisierung der indischen Fischereiwirtschaft systematisch vorangetrieben. In Neu Delhi fand 1948 die erste gesamtindische Fischereikonferenz statt, auf der der schnelle Aufbau einer indischen Fischereiindustrie beschlossen wurde. Bei dieser Konferenz kam man überein, in den ersten Fünfjahresplänen verstärkt Geldmittel zur Anschaffung von Trawlern auszuweisen und beim Ausbau des Fischereisektors um ausländische Hilfe (sowohl technischer, finanzieller als auch personeller Art) nachzufragen. Begonnen wurde mit den Programmen 1952 als zwischen der indischen Regierung, den USA und den Vereinten Nationen ein Vertrag über die technische Zusammenarbeit im Fischereibereich abgeschlossen wurde. Im Zuge dieses Technical Cooperation Agreements wurden vollausgerüstete Fangboote, Eisfabriken, Fischverarbeitungsfabriken, Netze etc. in den USA gekauft. Gleichzeitig entsandte die FAO Fischereiexperten nach Indien, um dort beim Aufbau der Fischindustrie mitzuwirken. Als Folgeprojekt wurde 1953 die indisch-norwegische Entwicklungszusammenarbeit begonnen, die die Fischerei in SüdIndien (vor allem in Kerala) in wenigen Jahrzehnten vollkommen verändern sollte.
Bereits vor der Unabhängigkeit gab es allerdings immer wieder Stimmen, die vor einer Mechanisierung der Fischerei warnten. F.A. Nicholson, Direktor des Fischereidepartments in Madras, wies bereits 1908 darauf hin
„[...] that Madras did not need steam trawlers and that to jump from the catamaran to the steamer was impossible and would be unwise even if it were possible, because revolutionary methods here as elsewhere were a mistake“ (zit. nach Anugraham 1940: 208).
Ähnlich Anugraham, der in seiner Untersuchung über Kleinfischer in Madras bereits 1940 Entwicklungen kommen sah, die sich mehr als 30 Jahre später bewahrheiten sollten:
„If steam trawling is undertaken, it will certainly revolutionise fishing in India and give rise to an intense competition between the poor fishermen and the rich capitalists. [...] The fishermen are likely to complain of a depletion of stock in the fishing grounds because of the activities of a trawler anywhere near their fishing limits“ (Anugraham 1940: 210).
Um diese Entwicklungen für die Kleinfischer sozial erträglich zu gestalten, schlug Anugraham vor, eine Fischereizone zu schaffen, die ausschließlich von den Kleinfischern genutzt werden dürfe. Es sollte jedoch mehr als 40 Jahre dauern, bis auf Druck der Kleinfischer von den einzelnen Bundesstaaten entsprechende Gesetze verabschiedet wurden.1
7.4.1 Kleinfischer contra Trawler: Das Indisch-Norwegische Fischereiprojekt in Kerala (INP)
2 Ziel des Indisch-Norwegischen Fischereiprojekts war es, die Nahrungsmittelversorgung der Bevölkerung, vor allem der Armen und Unterernährten, zu verbessern. Für die Kleinfischer sollte dies durch die Steigerung der Fischanlandungen bei gleichem Arbeitsaufwand erreicht werden. Durch die Einführung moderner Technologien (Motorisierung bestehender Boote) und der Errichtung der zu ihrem Betrieb notwendigen Infrastruktur sollte also nicht nur die Produktion zunehmen, sondern auch die Produktivität, d.h. der „Stundenlohn“ der Fischer (Galtung 1984: 253; Nishad 1987). Neben der Verbesserung des Lebensstandards der Fischer sollte auch die billige Versorgung der Bevölkerung mit Fisch gewährleistet werden (Choudury 1986: 19).3
Die ersten Norweger, die das Projekt betreuten, waren vor allem Techniker und Organisatoren. Von indischer Kultur und Tradition verstanden sie nur wenig (Galtung 1984: 259; Schneider 1990: 63). Sie gingen die gestellte Aufgabe vor allem von ihrer technischen Seite her an und erhofften sich positive Auswirkungen auf die sozialen Sektoren. Würde es gelingen, Produktion und Produktivität der Fischer erst einmal zu steigern, würden die anderen Ziele - Verbesserung des Lebensstandards, des Gesundheitswesens etc. - durch die finanzielle Besserstellung der Fischer und der besseren Proteinversorgung der Bevölkerung fast schon von alleine erreicht.
Der Versuch, die bereits vorhandenen Boote mit Außenbordmotoren auszustatten, scheiterte kläglich (Iyengar 1985: 2150; Hoering 1988; Platteau 1984: 80f).4 Auch neue Bootstypen, die den Strand anlaufen und dadurch unabhängig von Hafenanlagen eingesetzt werden können (Beach-landing Craft), konnten sich nicht durchsetzen, da sie während des Monsuns nicht benutzt werden konnten. Schließlich wandte man sich dem Bau vollkommen neuartiger Boote zu, die abhängig waren von kleinen Naturhäfen, wie sie in Kerala die Verbindungsarme von Meer und Backwater bieten.
Zunächst wurden Kleinfischer für die Testphase mit diesen neuartigen Booten ausgewählt. Nach einer Trainingszeit konnten sie Boot und Netze erwerben. Trotz hoher Zuschüsse beim Kauf waren viele der ursprünglichen Besitzer nicht in der Lage, Wartung und Unterhalt der Boote zu finanzieren, so daß ihr Eigentum bald in die Hände von Geldverleihern und Fischhändlern überging (Choudury 1986; Kumar 1988; Kurien 1980; Murickan 1987). Anfang der 60er Jahre steckte das Projekt in großen Schwierigkeiten. Das ursprüngliche Ziel, breite Käuferschichten in entfernten Gegenden mit Fisch zu erschwinglichen Preisen zu versorgen, war nicht erreicht worden. Im Gegenteil: die hohen Energiekosten, die beim Fang (Diesel, Kerosin), bei der Haltbarmachung (Gefrieranlagen, Eisboxen) und beim Transport (Kühlwagen) entstanden, verteuerten den Fisch so sehr, daß er für bisherige Konsumenten nicht mehr erschwinglich war. Es entstand so ein schwerwiegendes Vermarktungsproblem. Die reicheren Bevölkerungsschichten, die die hohen Preise für Fisch hätten bezahlen können, zeigten wenig Interesse, Fisch zu konsumieren. Die traditionellen Konsumenten in den Küstenregionen kauften weiterhin den billigeren, auf herkömmliche Art verarbeiteten und vermarkteten Fisch. Und die entfernt lebenden Menschen mußten weiterhin auf frischen Fisch verzichten und wie bisher mit Trockenfisch vorlieb nehmen (vgl. Schneider 1990).
Anstatt das Projekt in Frage zu stellen, d.h. statt zu überlegen, ob nicht Fehler bei der Technologiewahl begangen worden waren, wurde ein Ausweg aus der Misere auf einer anderen Ebene gesucht: Nicht der Preis des Fisches war unpassend, sondern die Fischarten und die Käuferschichten (Murickan 1987: 4f). Um Fisch teuer verkaufen zu können, muß es Fisch bester Qualität sein, wie z.B. Pomfret, Thunfisch, Seer fish etc., nicht Ölsardinen, Sardellen und Makrelen (Choudhury 1986). Außerdem entdeckte man in küstennahen Gewässern große Vorkommen an Krustentieren, die bei der Ernährung der einheimischen Bevölkerung nicht genutzt wurden und höchstens als Dünger in der Landwirtschaft Verwendung fanden. Das inzwischen stark angestiegene Weltpreisniveau für Qualitätsfisch und Krustentiere bewirkte eine Änderung der Fang- und Vermarktungsstrategie. Gefördert wurde nun vor allem der Fang von Garnelen für den internationalen Markt (Nishad 1987).
Der indischen Regierung kam diese Strategieänderung gerade zur rechten Zeit, litt sie doch Anfang der 60er Jahre unter einem empfindlichen Devisenmangel. Der Handel mit auf dem Weltmarkt hochbezahlten Meerestieren wie Garnelen, Tintenfischen, Langusten sollte die dringend benötigten Devisen einbringen. Es dauerte nicht lange, bis große Industrieunternehmen wie z.B. Tata, Union Carbide, Kelvinator, ITC Ltd. auf den nun lukrativen Fischereibereich aufmerksam wurden. In der Schiffswerft des Indisch-Norwegischen Fischereiprojektes wurde mit dem Bau von 10 m langen Trawlern begonnen, die mit 84 - 90 PS starken Motoren zum Schleppnetzfang ausgestattet wurden. Für den Fang der am Meeresboden lebenden Garnelen und Langusten wurden in Zusammenarbeit mit dem Central Institute of Fisheries Technology spezielle Grundschleppnetze entwickelt (Platteau 1984).
So gab es z.B. 1969 in Kerala etwa 1.200 Trawler, wovon 780 Boote kleiner als 10 m und die übrigen zwischen 10 und 15 m groß waren (George 1988: 11). Fast alle dieser Boote wurden zum Garnelenfang eingesetzt. Viele befanden sich schon damals in Händen von Unternehmen. 1980 waren nur 745 von 2.630 beim Garnelenfang eingesetzter Boote im Besitz von Fischern oder Fischerkooperativen (George 1988: 11ff; vgl. Nishad 1987). Es entstand so eine Schicht von Unternehmern, die - absenttee owner gleich - nur am schnellstmöglichen Profit interessiert waren (Pangare 1993: 34; vgl. Kurien 1980). So hielt das „big business“ Einzug in die Fischerei (Kurien 1978).
Das so entstehende Problem war nicht ein Konflikt zwischen Markt- und Subsistenzwirtschaft. Auch die Kleinfischer waren in sehr hohem Maße an Märkte angebunden, vor allem dann, wenn sie über kein eigenes Ackerland verfügten und Nahrungsmittel deshalb zukaufen mußten. Die Kleinfischer waren jedoch in hohem Maße immobil - sowohl räumlich als auch beruflich -, d.h. sie waren auf die Ressourcen angewiesen, die sie bereits seit Generationen ausbeuteten Sie konnten kaum ein Interesse daran haben, diese Ressourcen über ihre Regenerationsfähigkeit hinaus zu nutzen. Anders die Unternehmer, die von außen in diesen Wirtschaftsbereich vordrangen. Sie waren mobil, ihr Interesse war, die Ressourcen vollständig auszubeuten, denn mit jedem Kilogramm Garnelen, das mehr gefangen wurde, stieg der Gegenwert ihrer Investition. Je höher die Ausbeutung der Ressource war, desto höher war auch der Profit (vgl. Shiva 1991: 318ff). Würde die Resource vollständig ausgebeutet sein, haben sie die Möglichkeit, sich anderen gewinnbringenden Beschäftigungen zuzuwenden. Diese Möglichkeit ist den lokalen Kleinfischern nicht gegeben. Bis Mitte der 80er Jahre war die Anzahl der mechanisierten Boote in Kerala auf über 30001 angestiegen, wovon mehr als die Hälfte davon ohne die notwendige Lizenz betrieben wurde (Down to Earth, 15.04.1993: 33; Nair 1989: 104).
Was ürsprünglich dazu gedacht war, die Proteinversorgung der einheimischen Bevölkerung zu verbessern, diente nun dem Profit der Großkonzerne, den Gelüsten zahlungskräftiger Konsumenten in den Industrienationen und der Devisenkasse des indischen Staates (Galtung 1984: 254). Die indische Oberschicht vergaß schnell ihre Tabus und ihre Abneigung gegen Fisch und dem Fang desselben. Der Einstieg in den neuen Wirtschaftszweig wurde zudem durch eine ganz besondere Vergünstigung versüßt: die am Export beteiligten Firmen erhielten über diesen Umweg eine Importberechtigung, ohne die es ihnen nicht möglich war, Investitionsgüter nach Indien einzuführen (Kurien 1978: 1562). Überall an der Küste Keralas entstanden nun Bootswerften, Eisfabriken, garnelenverarbeitende Industrien. Zentrum dieser aufstrebenden Industrie war das Gebiet von Neendakara und Sakthikulangara, das von den Einheimischen bald „Klein Amerika“ genannt wurde (Galtung 1969: 10).
7.4.2 Kleinfischer contra Purse-Seiner: von Trawlern und Purse-Seinern eingekreist
Das Purse-Seine Netz (Ringwade, Umschließungsnetz) wurde in Südamerika entwickelt und in Indien erstmals 1975 (Murickan 1987: 6). Bei diesen Netzen handelt es sich um riesige Beutelnetze, die ganze Schulen oberflächennaher Fischarten (z.B. Makrelen, Sardellen und Sardinen) abfischen (v. Brandt 1964, 1975, 1984). Bevor um 1979 die Purse-Seiner auch in Kerala eingeführt wurden, fischten viele dieser Boote bereits von Karnataka aus vor den Küsten Keralas und führten dazu, daß etwa zehn Prozent der Kleinfischer alternative Beschäftigungen aufnehmen mußten. (Menon 1985: 22; vgl. Choudhury 1986; Korakandy 1984). Zu Beginn der 80er Jahre fingen Purse-Seiner zu 92 Prozent Sardinen und Makrelen, Fischarten, die bislang ausschließlich von Kleinfischern gefangen wurden (Korakandy 1984: 567).2
Der Konflikt zwischen Kleinfischern und mechanisierter Fischerei enthält demnach zwei Aspekte: zum einen handelt es sich um einen Konflikt bezüglich des Fischereiraumes. Trawlerfischer und Kleinfischer konzentrieren sich vor allem in den küstennahen Gewässern. Selbst wenn sie unterschiedliche Fischarten fangen, kommt es dennoch zum Konflikt, weil die beiden unterschiedlichen Fischereitechnologien nicht kompatibel sind. Während die Trawlerfischerei eine aktive Art des Fanges ist, wenden die Kleinfischer zumeist passive Fangmethoden an. Ein Trawler, der mit seinem Schleppnetz die bodennah lebenden Garnelen abfischt, zerstört dabei auch häufig die Kiemennetze der Kleinfischer, die wie Stellwände im Wasser stehen. Viele Auseinandersetzungen in den frühen 70er Jahre hatten vor allem darin ihre Ursache (Tandel 1981: 23). Erst später, als sich die Überfischung der Küstengewässer Keralas allmählich andeutete und die Kleinfischer begannen Garnelen zu fangen, kam ein zweiter Konflikt hinzu: der Streit um dieselben Ressourcen (Sathiendrakumar/ Tisdell 1982). Bei der lukrativen Garnelenfischerei wurden die Kleinfischer durch die Trawler vom Zugang zu den Ressourcen ausgegrenzt. Durch eine einzige Fangfahrt können Trawler einen ganzen Küstenstreifen nahezu lückenlos leerfischen. Mit Einzug der Purse-Seiner wurden nun auch jene Fischarten gefangen, die bislang ausschließlich den Kleinfischern bebehalten waren (Dwivedi 1973).
Während beim ersten Konflikt die Forderungen der Kleinfischer vor allem darin bestanden, beschädigte Netze (und z.T. auch Boote) ersetzt zu bekommen, tritt beim zweiten Konflikt die Forderung nach einer Ausgrenzung der mechanisierten Boote aus dem Fischereiraum der Kleinfischer in den Vordergrund.
Sowohl Trawler als auch Purse-Seiner sind für die Fischerei in tieferen Gewässern entworfen. Nach den Gesetzen der meisten indischen Küstenanrainerländer dürfen sie küstennah überhaupt nicht fischen. So ist in Kerala z.B. eine Zone von 10 km von der Küste den Kleinfischer vorbehalten (Verghese 1989: 4); in der Nacht und während der Monsunzeit dürfen Trawler nicht näher als 22 km zur Küste fischen (India Today 31.07.1988, 30.09.1989). Diese Bestimmungen werden jedoch nicht eingehalten und von der Regierung Keralas (und anderer Bundesländer) auch nicht ernsthaft überwacht (Kurien 1984).
Da der Fischreichtum in küstennahen Gewässern am größten ist und die besten Fangergebnisse während der Monsunzeit erzielt werden können, ist eine räumliche und zeitliche Begrenzung der Trawler ökonomisch nicht sinnvoll. Viele dieser Boote müßten ihren Betrieb einstellen, wenn die bestehenden Gesetze konsequent angewandt würden. Eine Untersuchung im Auftrag der Regierung Keralas hat ergeben, daß in den Monaten Juni-August das Garnelenvorkommen in küstennahen Gewässern etwa 10 mal höher ist als im September (Indian Express, 07.10.1989). Die Trawler erreichen deshalb hier während der Monsunzeit eine Produktivität, die um ein Vielfaches über der der Tiefseefischerei liegt. Hinzu kommt, daß sowohl Anfahrtsweg als auch -zeit geringer sind. Dies hilft, Treibstoffkosten zu senken und führt damit gegenüber der Tiefseefischerei zu einer wesentlichen Senkung der Betriebskosten (Sathiendrakumar/Tisdell 1982: 24). Trotz der sozialen und ökologischen Bedenken gegen die Trawler fischerei während der Monsunzeit, war der politische Einfluß der Bootsbesitzer groß genug, die gesetzlichen Bestimmungen zur Monsunfischerei in Kerala lockern zu können. Bei seiner Einführung 1989 galt das Fangverbot 40 Tage, 1990 wurde es auf 21 Tage verkürzt und 1992 waren es 23 Tage, während denen in der Monsunzeit die Trawler nicht zum Fischfang ausfahren durften (Pangare 1993: 36).
7.4.3 Die Auswirkungen der Mechanisierung auf die Kleinfischer
Mit der Modernisierung des Fischereisektors war nicht lediglich ein moderner Wirtschaftssektor entstanden, der losgelöst vom „traditionellen“ Sektor existiert und der keinerlei Einfluß auf die Kleinfischerei hat. Vielmehr sind die Verflechtungen vielfältig. Es zeigte sich, daß die Fischer, die moderne Technologien einsetzten, eine vielfach höhere Produktivität erreichten als die Kleinfischer und damit ein ungleich höheres Einkommen erzielten. Bis in die späten 60er Jahren stiegen Produktivität und Einkommen in beiden Sektoren an, da auch die Kleinfischer vom Preisanstieg für Fisch und Garnelen profitieren konnten.
Ab Mitte der 70er Jahre, als die Konkurrenz sich nicht mehr nur auf den Operationsraum, sondern auch auf die Fischarten bezog, ging aber die Produktivität im Kleinfischersektor deutlich zurück, zumal durch den Schleppnetzfang auch die Brut anderer Fischarten dezimiert worden war (Iyengar 1985). Im modernen Sektor hatten die hohen Weltmarktpreise dazu geführt, daß der Bestand an Trawlern und Purse-Seinern zu groß geworden war, so daß die modernen Boote miteinander um die Fänge konkurrieren. Seit langem ist der moderne Fischereisektor Keralas vollkommen überkapitalisiert, was dazu geführt hat, daß die Rendite auf aufgewandtes Kapital, die 1969 noch 14% jährlich betragen hatte, inzwischen negativ ist. Subventionen verhindern jedoch, daß sich die Anzahl der modernen Boote verringert (Kurien 1987: 84).1 Ohne diese Subventionen sind die mechanisierten Boote nicht mehr profitabel und schneiden gegenüber den traditionellen Boot-Netz-Kombinationen denkbar schlecht ab. Durch die weitaus geringeren Investitionskosten wird in der Kleinfischerei eine höhere Wirtschaftlichkeit erreicht als in der modernen. Der indische Staat hat jedoch allen Grund, die Subventionen für die moderne Fischerei beizubehalten. Durch sie kann „wertlose“ einheimische Währung (in Form von Subventionen) in Devisen umgewandelt werden. Dies kann jedoch nicht der einzige Grund sein, die industrielle Fischerei weiterhin staatlich zu fördern, denn die Garnelen, die von den Kleinfischern gefangen werden, bringen der Staatskasse ebenfalls Devisen ein. Die Kleinfischer haben allerdings - im Gegensatz zu der starken Lobby der industriellen Fischer - kaum politisches Gewicht, um ihre Forderungen durchsetzen zu können.
Trotz der zunehmenden Unwirtschaftlichkeit des modernen Fischfangs konnten die Gewinne der Besitzer moderner Boote kontinuierlich ansteigen. Neben den bereitgestellten Subventionen wurde dies durch einen relativen Rückgang der Arbeitereinkommen erreicht. 1969 erhielten in Kerala die Arbeiter auf den modernen Booten einen Anteil von 63 Prozent vom Wert der Gesamtfänge. 1974 waren es nur noch 54 und 1982 gerade noch 45 Prozent. Die Bootsbesitzer im modernen Sektor dagegen konnten ihren Anteil dementsprechend steigern (Kurien 1988: 87f; vgl. Nishad 1987). Nach Kurien (1988) erzielte 1969 ein Bootsbesitzer einen Bruttoertrag von durchschnittlich 12.600 Rs im Jahr, 1974 waren es bereits 68.000 Rs und 1982 über 98.000 Rs (Kurien 1988: 88f).
Manche ehemalige Kleinfischer konnten eine Beschäftigung auf einem der vielen modernen Booten erhalten, doch darf dabei nicht übersehen werden, daß in der Kleinfischerei selbst viele Arbeitsplätze „vernichtet“ wurden (Galtung 1984: 256f). Beim Blick auf die Zahlen ist dies jedoch nicht sofort erkennbar, denn trotz aller Probleme im traditionellen Sektor nimmt die Zahl der aktiven Kleinfischer beständig zu. Betrachtet man sich jedoch die Entwicklung des Arbeitseinsatzes im traditionellen Sektor, dann wird deutlich, daß in diesem Sektor die Unterbeschäftigung sehr stark zugenommen hat. Trotz einer erheblich größeren Anzahl aktiver Fischer in Kerala werden jährlich bedeutend weniger Arbeitsstunden im traditionellen Sektor geleistet. Damit einher geht auch ein starker Rückgang der Einkommen im Kleinfischerbereich (Nishad 1987) . Nach einer Untersuchung im Auftrag des Obersten Verwaltungsgerichtes von Kerala hatte 1979 der durchschnittliche Fang eines Fischers jährlich über 3,8 Tonnen Fisch betragen. 1984 waren es mit 1,55 Tonnen weniger als die Hälfte. Die Zahl der aktiven Kleinfischer hatte in diesem Zeitraum um nur 14 Prozent zugenommen (Down to Earth, 15.01.1994: 12).
Heute, über 40 Jahre nach dem Beginn der Modernisierung der Fischereiwirtschaft in Kerala, gehören die Kleinfischer zu den ärmsten Bevölkerungsgruppen dieses indischen Bundesstaates.1 Für die Konsumenten von Fisch hat diese Entwicklung ebenfalls keine Verbesserungen gebracht. Standen 1956 einer Person noch 14,5 kg Fisch im Jahr zur Verfügung, so waren es 1982 gerade noch 9,4 kg. Gehörte Fisch 1953 noch zu den billigen Nahrungsmittel, so zählte er 1985 zu den teuersten (Ibrahim 1992: 68; Kurien 1988: 91). Wurden 1956-58 noch 47 Prozent der gefangenen Ölsardinen auf lokalen Märkten verkauft, so waren es 1974-76 nur noch 28 Prozent (Galtung 1984: 256).
Diese am Beispiel Keralas beschriebenen Folgen der Modernisierung der Fischerei treffen für alle anderen indischen Küstenanrainerstaaten2 zu, wenngleich unterschiedlich stark. Seither hat die Anzahl der mechanisierten Boote weiter erheblich zugenommen. Waren 1981 in ganz Indien etwa 17.500 mechanisierte Boote registriert (Nerreter 1989: 100), sah der siebte Fünf-Jahres-Plan für 1989-90 eine Steigerung auf 25.000 Boote vor. Die Anzahl der Häfen/Landungszentren für mechanisierte Boote sollte im gleichen Zeitraum von 86 auf 140 erhöht werden (Srivastava et al. 1991: 328).
Lokal/regional kommen häufig weitere Aspekte hinzu, die das Leben und die Wirtschaftsweise der Kleinfischer bedrohen; so die Meeresverschmutzung in der Nähe von Großstädten und/oder Industrieanlagen (Tamil Nadu, Maharashtra), Atomkraftwerke (Tamil Nadu, Karnataka), der Aufschwung des Küstentourismus (Goa, Kerala, Tamil Nadu, Orissa) (vgl. NFF 1989a; Dietrich 1989), aber auch internationale Konflikte wie z.B. dem zwischen Indien und Sri Lanka um Fischereirechte. Heute ist die Atmosphäre in vielen indischen Küstenregionen hochexplosiv. Gewalttätige Auseinandersetzungen, die auch immer wieder Menschenleben fordern, sind an der Tagesordnung.
„I don't see this as a law and order problem but a consequence of failing to address development issues. If we don't put a check to this, the situation is bound to explode. In Kerala, everybody is tense. The fisherfolk, the administrators, the politicans are tense. But nobody wants to get together and address the issue- it's so highly political. [...] The issue is whether they (the traditional communities, d.Verf.) will be given a chance in the political economy of today“ (Kurien 1994: 44).
Johan Galtung faßt seine jahrzehntelangen Erfahrungen mit dem indischen-norwegischen Fischereiprojekt in Kerala wie folgt zusammen:
„My evaluation is that it is a scandal, and not a partial scandal but a total scandal. [...] the INP project failed in four ways: less protein became available to the population, the level of living of the fishermen decreased, partly violent conflict between the traditional and modern sectors emerged, and depletion of the raw material, particularly the shrimps, set in. Still, however, the project was a success in the sense of being a major source of foreign currency“ (Galtung 1984: 259, 263).
7.4.4 Kleinfischer versus „big business“ - Der Segen der Aquakultur.
Durch die hohen Weltmarktpreise für Garnelen waren Gruppen auf die Fischerei aufmerksam geworden, die bislang ganz anderen Beschäftigungen nachgegangen waren. Der Einzug des big business durch den Einsatz von Trawlern in der Meeresfischerei ist ein Aspekt davon, der in den vorausgegangenen Kapiteln angesprochen wurde. Hochproduktive Garnelenfanggebiete, vor allem die Brackwasserseen und Lagunen an der Ostküste Indiens, haben in jüngster Zeit ebenfalls die Aufmerksamkeit der Großindustrie auf sich gezogen und zu heftigen Auseinandersetzungen geführt. Gleichzeitig versuchen aber auch viele lokale Gruppen, vom Garnelenreichtum zu profitieren. Dies hat seit Mitte der 80er Jahre in vielen Regionen immer wieder zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen unterschiedlichen lokalen Kastengruppen geführt, die Mitte der 90er Jahre zu eskalieren drohen.1 Noch steht Indien ganz am Anfang der Garnelenproduktion in Aquakulturen. Ende der 80er Jahre wurde auf weniger als sechs Prozent der für Aquakulturen geeigneten Flächen tatsächlich Fisch- bzw. Garnelenzucht betrieben.
Tab. 9: Entwicklungspotential für Aquakulturen in Indien (in '000 ha)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Srivastava et al. 1991: 61
1992 produzierte Indien etwa 40.000 Tonnen Garnelen in Aquakulturen. China (200.000 Tonnen), Thailand und Indonesien (jeweils 150.000 Tonnen) liegen in dieser Hinsicht noch weit vor Indien (BDM, Dezember 1994).
„During the past few years, the Asian production profile has changed. Several of the large producers have experienced declines in production. Excessive use of chemicals and toxic substances adversely affected the coastal environment and thereby the productivity of aquaculture. In Taiwan, for example, shrimp production declined sharply from about 100,000 tones in 1987 to 30,000 tonnes in 1988“ (BDM, Dezember 1994: 16).
7.4.4.1 Kleinfischer contra Großindustrie: Das Chilika Aquatic Farms Ltd -Projekt (CAFL-Projekt) in Orissa.
Der Chilika-See im Süden des Bundesstaates Orissa ist Asiens größter Brackwassersee. Seine Länge beträgt 64 km und seine größte Breite 20 km. Vom Golf von Bengalen wird er durch eine 60 km lange Sandbank abgetrennt, die durchschnittlich 150m breit ist. Im nördlichen Küstenabschnitt gibt es eine schmale Verbindung zwischen dem See und dem Meer (Shankar 1992). Fischerei wird hier bereits seit Jahrhunderten betrieben. Die lokale Fischerbevölkerung, die am unteren Ende der Kastenhierarchie eingeordnet ist, hatte dazu ein äußerst kompliziertes Nutzungssystem entwickelt, das den einzelnen Fischerdörfern am See Fischereirechte für ein bestimmtes Areal zuwies. Erst durch staatliche Intervention wurde dieses System untergraben, als Ende der 50er Jahre die neu entstandenen Fischereigenossenschaften damit beauftragt wurden, die Nutzrechte am See in regelmäßigen Abständen an verschiedene Dörfer zu verpachten (Sridhar 1992: 64).
Solange die Garnelenpreise niedrig waren, hat sich außer den Fischern kaum jemand um den Fischfang gekümmert. Erst als Mitte der 60er Jahre ein gewaltiger Preissprung für Garnelen auf dem Weltmarkt stattfand, entdeckten auch andere, zumeist hochkastige Gruppen, daß sich mit Garnelen sehr viel Geld verdienen läßt. Die hohen Gewinne im Garnelengeschäft führten dazu, daß die Regierung von Orissa die Pachtgebühren innerhalb eines Jahres vervierfachte und Verpachtungen nun auch an Einzelpersonen zulässig wurden. So konnte es geschehen, daß sich die lokale Elite, aber auch immer mehr Geschäftsleute von außerhalb, die Fischereirechte sichern konnten (Sridhar 1992: 64). Innerhalb weniger Jahre hatten sich die lokalen Gemeinschaften so zerstritten, daß gewaltätige Auseinandersetzungen unter ihnen zur Tagesordnung gehörten.
„There is a direct link between the entry of commercial prawn cultivation and the rise in violence and crime in the area. It is so profitable that powerful interests have become well-entrenched in the area“ (Sridhar 1992: 64; vgl.auch: Ray 1994)
Bereits seit Mitte der 80er Jahre hatte auch immer wieder die indische Großindustrie Interesse daran gezeigt, den Chilika-See zur Garnelenzucht zu nutzen. 1988 nahm der TATA-Konzern Verhandlungen mit dem damaligen Ministerpräsidenten J.B. Patnaik (Congress-Partei) über die Errichtung eines Garnelenzuchtbetriebes auf. Nach den Landtagswahlen vom Februar 1990 schien das Projekt gestorben zu sein, da die Congress-Partei von der Janata Dal als regierende Partei abgelöst wurde. Biju Patnaik, der neue Ministerpräsident, hatte sich während des Wahlkampfes gegen das Projekt ausgesprochen und dadurch auch die Unterstützung der lokalen Fischer erhalten (Down to Earth, 31.08.1992: 30). Nach seinem Wahlsieg vollzog er jedoch eine vollkommene Wende und schon wenige Monate nach seinem Regierungsantritt begann der Tata-Konzern mit den Bauarbeiten vor Ort. Die Regierung Orissas war mit einem Anteil von 49 Prozent am Projekt vertreten, während die TATA Iron and Steel Co Ltd (TISCO) zu 30 Prozent, die TATA Oil Mill Co Ltd zu 18 Prozent und die Otto India Pvt Ltd zu 3 Prozent am Projekt beteiligt sein sollten (Sridhar 1992b: 73).
Insgesamt hatte die Regierung Orissa 400 ha Land zu einem sehr niedrigen Preis von 835 Rs/ha an den Konzern verpachtet, auf dem zunächst insgesamt acht Teiche angelegt werden sollten. Weitere 380 ha Land wurden dem Konzern in Aussicht gestellt. Das Wasser für die Teiche sollte nach ihrer Fertigstellung aus dem See bezogen werden. Dazu waren 140 Dieselpumpen - jede mit einer Leistung von 200 PS - vorgesehen (Ray 1994: 85).
Im Anfangsstadium sollte der jährliche Umsatz aus dem Export von Garnelen etwa 275 Mio. Rs betragen.Von den lokalen Fischern wurde befürchtet, daß das Projekt das hochsensible Ökosystem des Chilika-Sees unwiederbringlich zerstören würde und damit auch ihre Lebensgrundlage. Schon ohne das Projekt ist der See seit Jahren von der Verlandung bedroht. Abholzungen im Einzugsgebiet der Flüsse, die den See speisen, hatten dazu geführt, daß seine Größe von 906 (1914) bis Ende der 80er Jahre auf 800 km2 zurückgegangen war. Die durchschnittliche Wassertiefe hatte in diesem Zeitraum von 2,4 m auf 1,5 m abgenommen (Shankar 1992: 26). Durch die Wasserentnahme für die Teiche würde der Verlandungsprozeß vorangetrieben. Zusätzlich würden die bei intensiv betrieben Aquakulturen verwendeten Chemikalien beim Austausch des Teichwassers dem Ökosystem des Sees zugeführt werden. Auch hierin sehen viele Umweltschützer ernste Gefahren, die allerdings von den Verantwortlichen des TATA-Konzern nicht geteilt werden.
Proteste der lokalen Bevölkerung, die häufig von der Polizei brutal niedergeknüppelt wurde, konnten erreichen, daß der Umweltminister der Zentralregierung, Kamal Nath (Congress-Partei), eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchführen ließ und das Projekt anschließend erst einmal auf Eis legte. Von großer Bedeutung waren auch die Ergebnisse eines Untersuchungskommittees des Obersten Verwaltungsgerichts, das - ohne sich direkt auf das Tata-Projekt zu beziehen - zu dem Ergebnis gelangte, daß die Einführung der Garnelenzucht die dörfliche Harmonie empfindlich gestört hatte (Ray 1994: 86). Aus diesen Gründen erließ das Gericht ein Verbot für intensive Formen der Garnelenzucht, während traditionelle extensive Formen weiterhin zulässig sind.
7.4.4.2 Landarbeiter contra Aquakulturen: Die Garnelenzucht in Tamil Nadu
Während die Bevölkerung am Chilika-See erreichen konnte, daß das Garnelenprojekt des Tata-Konzerns eingestellt werden mußte, sehen sich Landarbeiter und Kleinfischer in Tamil Nadu durch ähnliche Projekte bedroht. Im August 1991 hatte die Regierung Tamil Nadus angekündigt, Aquakulturen verstärkt zu fördern.1 Genau drei Jahre später gelangten die ersten sozialen Konsequenzen einer solchen Politik an die Öffentlichkeit. Am 10. August 1994 wurde nahe Karaikal eine Protestversammlung von Landarbeitern von der Polizei mit Waffengewalt aufgelöst. 35 Hütten von Landarbeitern wurden dabei niedergebrannt (Viswanathan 1994: 77).
Unzureichende Niederschläge, aber auch ein Streit mit der Regierung des benachbarten Bundesstaates Karnataka um die Nutzung des Cauvery-Wassers, hatten die Landwirtschaft im nördlichen Teil des Cauvery-Deltas empfindlich gestört.
„The aquaculturalists, therefore, found no difficulty in acquiring land. About 150 firms owned by varied interests, such as businessmen, liqour barons, industrialists and politicians took possession of about 2,000 hectares using all means“ (Frontline, 02.12.1994: 78).
Innerhalb von weniger als zwei Jahren waren dadurch die Bodenpreise von 17.500 Rs/ha auf über 200.000 Rs/ha angestiegen (Viswanathan 1994: 78).2 Auch wenn nach dem Gesetz Aquakulturen auf landwirtschaftlich nutzbarem Land nicht errichtet werden dürfen, fanden viele Käufer Mittel und Wege, diese Bestimmung zu umgehen; notfalls, indem sie das Land einfach für einige Zeit brach liegen ließen. Dort, wo diese Veränderungen als erstes einsetzten, lebten etwa 14.000 Landarbeiterfamilien. Die meisten von ihnen sind heute arbeitslos und sahen sich gezwungen, das Gebiet zu verlassen, um woanders Arbeit zu finden. Einige der Landarbeiter haben sich jedoch unter Führung von S. Jagannathan und seiner Frau Krishnammal zu einer gewaltfreien Protestbewegung zusammengeschlossen mit dem Ziel, die Ausbreitung der Garnelenzuchtbetriebe in der Region aufzuhalten.
„While millions of people are denied a quare meal a day, the country is forced to produce shrimp for the affluent abroad. Even as the Government is withdrawing subsidies given to the farmers, at the instance of the World Bank and the International Monetary Fund, hundreds of crores of rupees are given as loans and subsidies1 to big business and industrial concerns entering shrimp farming“ (Jagannathan, zit. nach Viswanathan 1994: 80).
Neben den sozialen Auswirkungen auf die Landarbeiter sieht die Protestbewegung Gefahren auch für die Umwelt. Indem ursprüngliches Reisland in Garnelenteiche umgewandelt wird, geht es für den landwirtschaftlichen Anbau unwiederbringlich verloren. Mit starken Pumpen werden die flachen Teiche mit Seewasser gefüllt, was in sehr kurzer Zeit zur Versalzung auch der umliegenden Felder führt und das Grundwasser gefährdet. Schon heute müssen viele Dörfer in Andhra Pradesh ihr Trinkwasser über Tanklastwagen beziehen, weil das Grundwasser ungenießbar geworden ist. Einige Dörfer mußten sogar umgesiedelt werden (Pandey/Chaturvedi 1994; Subramanyam 1994). Gefahren gehen auch von den Chemikalien aus, die bei der Garnelenzucht eingesetzt werden, auch wenn sie häufig Krankheiten nicht verhindern können.
„Intensive prawn monoculture has repeatley seen epidemics wiping out entire crops [...] In Taiwan, aquaculture has boomed since 1984 and production reached 100,000 tonnes by 1987 - 21 per cent of Asia's cultured shrimps. The yield nose-dived to 20,000 t in 1988, 10,000 t the following year and, later, less than 5,000 t“ (Down to Earth, 15.5.1995: 31).
Im September 1994 zerstörte eine Viruskrankheit die Produktion in Andhra Pradesh und Tamil Nadu fast vollständig. Garnelen im Wert von zwei Mrd. Rs gingen dabei ein.
„Even when the viral disease first showed up, the dollar-happy entreprenuers ignored the MPEDA's warning notes urging a voluntary crop-holiday“ (Martin 1995: 26)
Chlor, Nitrophosphate und Antibiotika können leicht ins Grundwasser gelangen, wenn das Wasser aus den Teichen nicht ordnungsgemäß entsorgt wird. Die Analyse von Boden- und Grundwasser-proben, die vom Gandhigram Rural Institute in Madurai durchgeführt wurde, hatte ergeben, daß in vielen Dörfern der Küstenregion Tamil Nadus schon nach weniger als zwei Jahren Garnelenzucht die Konzentration bestimmter Schadstoffe über den zulässigen Höchstwerten lag (Viswanathan 1994: 80). Unter dem Motto „ Towards Sustainable Aquaculture “ warb im März 1993 die indische Regierung auf der INDAQUA 93 in Madras mit den Garnelenprojekten in Tamil Nadu und Andhra Pradesh (INDAQUA Bulletin, 20.03.1993). Bislang unternahm auch die Regierung Tamil Nadus wenig, um auf die Bedenken der lokalen Bevölke-rung zu reagieren. Wissenschaftler und Vertreter der zuständigen Behörden weisen die geäußerte Kritik als übertrieben zurück, so auch der General Manager der Tamil Nadu Fisheries Development Corporation Ltd (TNFDC):
„It is unfortunate that the multi-billion-dollar project is meeting with so much resistance at its nascent stage. Scientific aquaculture will do no harm and, in fact, the answer to India's poverty and malnutrition lay in exploring this gold mine“ (zit. nach Viswanathan 1994: 78).
Um die Goldmine „Garnelenzucht“ auszubeuten, ist die Zunkunft nicht mehr fern, daß Fischer ihre Fänge nicht mehr auf die lokalen Märkte bringen, sondern Aquakulturen beliefern, wo sie zu Garnelenfutter veredelt werden (Kurien 1994: 44).
7.4.4.3 Klein- und mechanisierte Fischer contra Tiefseefischerei oder: Wie zwei erbitterte Gegner Freunde werden
Seit mehr als 30 Jahren stehen sich Kleinfischer und mechanisierte Trawlerfischer in einem uner-bitterlichen Kampf um Ressourcen gegenüber. Viel Blut ist bei unzähligen Auseinandersetzungen geflossen, viele Trawler wurden während dieser Zeit ein Raub der Flammen.1 Neuere Entwick-lungen in der indischen Fischereipolitik haben jedoch dazu geführt, daß sich diese beiden Gruppen gegen einen neuen, gemeinsamen Feind zusammengeschlossen haben: die Tiefseefischerei. An anderer Stelle wurde bereits darauf hingewiesen, daß die Tiefseefischerei in Indien bislang kaum eine Rolle spielte. Großen Investitionen standen immer bescheidene Gewinnen gegenüber (Dandekar 1987; Dasmunsi 1987). 1992 gab es in Indien nur 171 tiefseetaugliche Fangboote (GOI 1992-II: 7), die zumeist in den flacheren Küstengewässern fischten. Der Aufbau einer eigenen Tiefseefangflotte mit etwa 300 - 500 Schiffen, wie er in den 80er Jahre von der indischen Regierung ins Auge gefaßt worden war, scheint inzwischen gescheitert zu sein, obwohl die indische Regierung den einheimischen Bootswerften einen Zuschuß von 33 Prozent beim Bau von Tiefseetrawlern angeboten hatte (Fishing News International April 1980). Statt dessen konzentriert sich die Regierung inzwischen darauf, an ausländische Unternehmen Fanglizenzen zu vergeben. Bereits seit 1977 konnten ausländische Fangschiffe Genehmigungen erhalten, um in indischen Hohheitsgewässern zu fischen (Subramaniam/Kalavathy 1994: 77). 1985 waren es etwa 90 solcher Schiffe gewesen, und bis zu Beginn der 90er Jahre hatte sich ihre Zahl auf 680 erhöht (Down to Earth, 15.11.1993: 12). In der Regel sind die Fänge dieser Fangschiffe nicht für den indischen Markt bestimmt; im Rahmen von Gemeinschaftsbeteiligungen (joint ventures) besteht sogar eine Verpflichtung zum vollständigen Export („ hundred per cent export orientated schemes “) (Dasmunsi 1987: 13; Kant 1991: 26).
1993 beschloß die indische Regierung, weitere 2000 Lizenzen an indische und ausländische Unternehmen zu vergeben „ to boost marine food exports “ (Subramaniam/Kalavathy 1994: 77). Kleinfischer, aber auch Besitzer von kleineren mechanisierten Booten, befürchten, daß diese Fangschiffe die ihnen zugewiesenen Gebiete nicht einhalten und auch in flacheren, erheblich ertragreicheren Gewässern fischen, wie dies bereits seit Jahren in Andhra Pradesh, Maharashtra und Kerala zu beobachten ist (Down to Earth, 31.01.1993: 10; Subramaniam/Kalavathy 1994: 78). Doch selbst wenn sich diese Schiffe tatsächlich auf die Tiefseegebiete beschränken, ist zu befürchten, daß die Küstenfischerei schweren Schaden nehmen wird, denn viele Fischarten halten sich während bestimmten Jahreszeiten in tieferen Gewässern auf.
Im Mai 1994 wurde in Ernakulam, Kerala, ein National Fisheries Action Committee Against Joint Ventures gegründet, dem sowohl Vertreter der Kleinfischer als auch der mechanisierten Fischerei angehören. Im November 1994 traten in ganz Indien die Fischer in einen zweitägigen Streik, um gegen die Fischereipolitik zu demonstrieren (Business Standard 07.04.1994; Kocherry 1994: 81). Bislang konnte sich die indische Regierung jedoch noch nicht dazu durchringen, die Fischereirechte für ausländische Unternehmen zurückzunehmen (EPD-Entwicklungspolitik 6/1995). Der Minister für die nahrungsverarbeitende Industrie (Union Minister for Food Processing Industries (!)), T.K. Gogoi verwies darauf
„that the government cannot ban the private companies from the EEZ because of economic and employment imperatives“ (!!!) (Down to Earth, 31.01.1995: 4).
Fast scheint es so, als mache sich die indische Regierung um die Arbeitsplätze auf den Schiffen fremder Nationen größere Sorgen als um die Einkommensmöglichkeiten der eigenen Fischer.
7.5 Zusammenfassung: Fischereientwicklung in Indien: Devisen vs Menschenrechte
Die in den vorausgegangenen Kapiteln beschriebenen Entwicklungen haben mehrere Gemeinsamkeiten: in allen Fällen handelt es sich um Konflikte um den Zugang bzw. die Verteilung von Ressourcen. In allen Fällen handelt es sich um Situationen, in die verschiedene Akteure verwickelt sind, deren wirtschaftliche Macht und politischer Einfluß unterschiedlich verteilt sind. Die Erwartungen dieser Gruppen lassen sich nur schwer miteinander zu Einklang bringen. Allen Konflikten gemeinsam ist auch, daß lokale Interessen von außen bedroht werden und Situationen entstehen, in denen die Lebensfähigkeit lokaler Gemeinschaften zerstört wird.
Die von außen eingebrachten Interessen haben die Maximierung wirtschaftlicher Macht zum Inhalt. Die Repräsentanten dieser Interessen äußern zwar i.d.R., daß sie die lokale Situation verbessern möchten, indem sie mithelfen, Armut und Unterentwicklung zu beseitigen, doch die Äußerungen entpuppen sich als nicht mehr als hüllenlose Lippenbekenntnisse. Die Realität zeigt, daß die in Gang gesetzten Entwicklungen häufig Armut und Unterentwicklung sogar vergrößern.
Ein weiteres Merkmal der beschriebenen Beispiele besteht darin, daß die Versorgung der lokalen Bevölkerung mit Fisch deshalb unprofitabel ist, weil ihre Kaufkraft im Vergleich zu der der internationalen Konsumenten zu gering ist. Die Versorgung lokaler Märkte und das Bestreben nach Gewinnmaximierung lassen sich nicht vereinbaren, zumindest solange nicht, wie das Kaufkraftniveau in Indien diesen niedrigen Stand beibehält.
Die indische Regierung und die Regierungen der angesprochenen Bundesländer befinden sich dabei in einem Dilemma. Auf der einen Seite fördern sie diese Entwicklungen durch ihre Politiken aus mehreren Gründen offensiv. Einerseits ist ihnen daran gelegen, durch den Export von Fischereiprodukten Devisen zu erwirtschaften. Gleichzeitig sind auch viele Politiker direkt in den Handel mit Fischereiprodukten verwickelt, so daß der stattliche Profit aus dem Export nicht selten ihr eigener Profit ist. Auf der anderen Seite muß sich die Politik aber auch den negativen Seiten dieser Prozesse stellen, denn in einem Land wie Indien, in dem die Zusammensetzung der Regierungen über Wahlen geregelt wird, darf diese Macht des Volkes nicht unterschätzt werden.
So müssen die Regierungen eine Doppelstrategie verfolgen. Einerseits versuchen sie die Modernisierung der Fischerei mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln voranzutreiben. Sie schrecken dabei auch nicht davor zurück, für diesen Zweck den staatlichen Repressionsapparat mit aller Härte einzusetzen. Andererseits müssen sie um eine (minimale) soziale Absicherung der Kleinfischer besorgt sein; sie müssen bestrebt sein, Unzufriedenheit durch solche Maßnahmen zu kanalisieren. Die Befähigung dazu verschlechtert sich jedoch mit der prekären Finanzsituation der Regierungen beträchtlich.
Bemerkenswert ist die Rolle, die die indischen Gerichte in solchen Konflikten einnehmen. In jüngster Zeit stellen sie sich immer häufiger hinter die politisch und wirtschaftlich schwächeren Gruppen und gegen die Interessen der (Groß)Industrie, wie z.B. bei der Gerichtsentscheidung zum TATA-Garnelenprojekt in Orissa. Ähnlich ein Beschluß des Obersten Gerichtshofes vom Juni 1994 zum Rechtsstreit zwischen der Kerala Trawlnet Boat Operators' Accociation und den Interessensvertretungen der Kleinfischer zum Verbot des Trawlerfischfangs während der Monsunzeit. In seiner Begründung, das Monsunfangverbot für rechtens zu erklären, gibt Richter B.P. Jeevan Reddy zu bedenken:
„Public interest cannot be determined only by looking at the quantum of fish caught in a year. [...] The Government is under an obligation to protect the economic interest of the traditional fishermen and to ensure that they are not deprived of their slender means of livelihood“ (nach: Subramaniam/Kalavathy 1994: 77).
Solche Gerichtsentscheide können zwar nicht verhindern, daß Regierungen auch weiterhin hauptsächlich industrielle Interessen fördern und die Einhaltung einschlägiger Gesetze nur unzureichend überwachen, sie sind trotzdem von großer Wichtigkeit, da sie der politischen Vertretung der Kleinfischer den Rücken stärken.
Die Entwicklungen im Fischereibereich, die durch hohe Weltmarktpreise für Garnelen und andere Fischereiprodukte sowie durch den ungehinderten Zugang zu den Märkten in den Industrienationen erst möglich wurden, lassen wenig Verheißungsvolles erwarten, wenn ähnliche Rahmenbedingungen auch für den landwirtschaftlichen Bereich bestehen. Die Uruguay-Runde des GATT hat eine solche Liberalisierung eingeläutet, und die indischen Erzeuger, vor allem die Agro-Industrie, haben bereits begonnen, sich darauf einzurichten. Dabei gilt es nicht nur, die Exporte in diesem Bereich zu steigern, sondern die Hersteller haben auch den indischen Markt ins Auge gefaßt.
1991 betrug der Jahresumsatz der nahrungsverarbeitenden Industrie in Indien etwa 100 Mrd. Rs, das waren etwa 18 Prozent des gesamten Industrieumsatzes. Mit jährlichen Wachstumszahlen von sechs Prozent in den letzten Jahren ist die wirtschaftliche Rezession an diesem Wirtschaftsbereich weitgehend vorübergegangen. Die Profite aus diesem Bereich liegen mit knapp 10 Prozent deutlich über den durchschnittlichen Raten der Industrie (7,4 Prozent). Die Exporte des Agro-business, die 1991 einen Wert von etwa 30 Mrd. Rs erreichten, sollen bis 1995 auf 150 Mrd. Rs gesteigert werden, wobei etwa die Hälfte davon verarbeitete Nahrungsprodukte sein werden (Hindu Survey of Indian Industry 1993: 397).
In Indien selbst gehören vor allem urbane Mittelschichten zu den Konsumenten der Produkte der nahrungsverarbeitenden Industrie. Nur sie können sich die - im Vergleich zu agraren Frischprodukten - ungleich höheren Preise leisten. Mit Coca Cola, Pepsico und Kellogg haben inzwischen drei führende Transnationale Konzerne aus diesem Bereich auf dem indischen Markt Fuß gefaßt. Kellogg konzentriert sich augenblicklich auf die Vermarktung von „Frühstücksgetreide“, Coca Cola neben den bekannten „Erfrischungsgetränken“ auf Kartoffelchips und gesalzene Erdnüsse und Pepsico auf Kartoffelchips und Tomatenketchup. Eigens damit Kellog seine Getreideflocken1 auf dem indischen Markt anbieten kann, haben die Gesundheitsbehörden die Lebensmittelschutzbestimmungen geändert. Der US-Konzern kann nun in seinen Flocken das Anti-Oxidationsmittel BHA verwenden (EPD-Entwicklungspolitik; 6/1995). Auch im achten Fünf-Jahres-Plan wird der Nahrungsmittel-verarbeitenden Industrie besondere Beachtung geschenkt:
„In India, hardly one percent of the annual production of fruit and vegetables is processed, while in Brazil and USA it is 70 per cent, in Phillipines 78 per cent, in Malaysia 83 per cent and in Thailand 30 per cent. High cost of packing, non-availability of packing machinery, non-availability of quality raw material at reasonable rates, lack of basic infrastructural facilities, etc., are some of the constraints faced by this sector [...] Further promotion of food processing industries would require establishment of large private sector units in rural areas for production of processed food items [...] Some large industrial houses have made investment and provided extensive services which has resulted in higher production and exports of food products“ (GOI 1992-II: 147f).
Die Palette der Gefahren einer solchen „agro-based“ Entwicklungsstrategie sind im Moment noch unabsehbar. Analog zu den Entwicklungen im Fischereibereich könnte eintreten, daß lokale Produzenten ihre Anbauflächen an die Agro-Industrie verlieren, um dann lediglich als Lohnarbeiter auf deren Farmen und Fabriken zu arbeiten bzw. in Satellitenfarmen zu Zulieferern für diese Industrien zu werden.
Die Preise für Nahrungsmittel werden durch diese neue Entwicklung weiter ansteigen. Mit der Förderung von Agro-Industrien und dem teilweisen Export ihrer Produkte wird das Angebot frischer Nahrungsmittel sinken, es sei denn, es kommen hochintensive Anbauformen mit all ihren ökologischen Auswirkungen zur Anwendung. In beiden Fällen werden die Nahrungsmittelpreise steigen: im ersten Fall durch das sinkende Angebot, im zweiten Fall durch die erheblich höheren Produktionskosten.
Angesichts des Verpackungswahns in den Industrienationen und den daraus entstehenden Rohstoff- und Entsorgungsproblemen kann der Sinn einer solchen agraren Strategie nicht nachvollzogen werden, es sei denn unter dem Gesichtspunkt, daß hier ein hochprofitabler Wirtschaftsbereich im Entstehen ist, der - wie schon beim Fisch - Nahrungsmittel einzig als Quellen zum Profit betrachtet und soziale, ökologische, aber auch kulturelle Bedenken als unwichtig abtut. Bedenklich sind auch die Pläne der indischen Regierung, den Anbau von Schnittblumen für den internationalen Markt energisch zu fördern. Wie bei der Exportförderung für tropische Früchte werden auch durch diese Entwicklung landwirtschaftliche Flächen für den Anbau von Nahrungsmitteln wegfallen.
„During the Eighth Plan [...] popularisation of modern agrotechniques, especially of growing horticultural and floricultural crops in controlled conditions such as green/glass houses (!, d. Verf.), will be vigorously promoted“ (GOI 1992-II: 13).
Anfang 1992 verkündete die niederländische Fluggesellschaft KLM, daß sie ihre Flüge zwischen Amsterdam und Neu Delhi von drei auf sieben die Woche erhöhen wird. Transportiert werden sollen holländische Touristen sowie indische Diamanten - und Blumen. Indien stellt praktisch nur den Boden und das Wasser zur Verfügung. Und die Arbeitskräfte. Ein Landarbeiter auf einem Blumenfeld wird dann am Tag höchstwahrscheinlich weniger verdienen als bei uns eine einzige Nelke aus Indien kosten wird. In Indien bleiben der ausgelaugte Boden und die Gifte aus den Pestiziden westlicher Chemiemultis zurück.
Insgesamt betragen die Planausgaben für den Gartenbau im achten Fünf-Jahres-Plan 10 Mrd. Rs - fünfzig Mal mehr als im vorherigen (Braßel 1994: 56).
Wie schon im Fischereibereich ist zu befürchten, daß sich gerade wirtschaftlich und politisch schwache Gruppen gegen solche Interessen nicht behaupten können und im Konfliktfall wenig Gehöhr finden werden. Sie werden entweder ganz ausgegrenzt (marginalisiert) oder aber in neu entstehende Organisationsformen so integriert, daß ihre Ausbeutung bereits vorprogrammiert ist, denn sie stellen nicht mehr als einen Teil der Produktionskosten dar, die beim Ziel der Profitmaximierung und des Wettbewerbsvorteils auf dem Weltmarkt minimiert werden müssen. Als Konsumenten werden ihre Interessen ebenfalls mißachtet, denn ihr Anliegen ist es nicht, horrende Preise für moderne Produktlinien und Geschmacksrichtungen1 zu bezahlen, sondern zentral für sie ist, daß sie Nahrungsmittel in guter Qualität zu annehmbaren Preisen beziehen können, wenn sie schon daran gehindert werden, diese selbst anzubauen.
„An exploitative relationship can be defined as one in which the stronger party regularly gets more out of the relationship than the weaker one. Its long term effect is that rather than converging toward some common middle zone, the gap between the strong and the weak grows steadly wider as a result of their interaction. If we accept this plausible definition we would have to conclude that ordinary bargaining, and thus also the free market system, are generally unfair and exploitative. The free market systematically creates wealth, but it also systematically creates poverty“ (Kent 1992: 23).2
8 Staatliche Agrarpreis- und Nahrungsverteilung: Das Public Distribution System (PDS) in Indien
Nahrungspolitik in Indien ist ein äußerst sensibles Thema. Die agrarische Elite ist durch verschiedene Bauernverbände sehr gut organisiert, und auch heute noch besitzen viele der indischen Parlamentarier einen landwirtschaftlichen Hintergrund und sind deshalb für die Überzeugungsarbeit der Agrarlobby sehr empfänglich. Wie bereits die Entwicklung der politischen Ökonomie zeigte, sind diese Bauernverbände inzwischen nicht mehr nur auf bundesstaatlicher Ebene organisiert, sondern versuchen, auch die Politik auf zentralstaatlicher Ebene zu beeinflussen. Die Wahlniederlagen der Congress-Partei in den Jahren 1977 und 1989 waren zumindest teilweise auf ihren Einfluß zurückzuführen.
Bei der Versorgung der Bevölkerung mit GrundNahrungsmitteln (vor allem Reis und Weizen, aber auch Pflanzenöl und Hülsenfrüchten) hat der indische Staat einen staatlichen Verteilungsapparat errichtet, der parallel zum freien Nahrungsmittelmarkt besteht. Durch diese Intervention soll der Interessenskonflikt zwischen Produzenten und Konsumenten entschärft werden, um soziale Spannungen auf einem niedrigen Niveau zu halten. Bei ärmeren Bevölkerungsgruppen nehmen die Aufwendungen für Nahrungsmittel einen erheblichen Anteil der Haushaltsausgaben ein. Der Bedarf für Nahrungsgetreide, dem staple food, ist äußerst unelastisch. Schon geringe Produktionsausfälle können die Preise in die Höhe treiben (Siddiqui/Naqvi 1989). Preissteigerungen in diesem Bereich werden deshalb in der Bevölkerung äußerst sensibel wahrgenommen und führen schnell zu Unzufriedenheit mit den politischen Entscheidungsträgern, von denen erwartet wird, daß sie die Nahrungsmittelpreise niedrig halten. Besonders bei Haushalten, die nahe der Armutsgrenze wirtschaften, können sich Preissteigerungen bei Nahrungsmitteln katastrophal auswirken (Bapna 1990: 104).
Hungertote in Indien sind auch heute noch Realität, doch sie stellen ein Politikum dar, und keine Partei kann es sich leisten, nicht schon bei den ersten Anzeichen einer Versorgungskrise tätig zu werden. Dies ist vor allem auch deshalb der Fall, weil sich eine wachsame Presse als wichtiges „Frühwarnsystem“ bei Versorgungskrisen bewährt hat (Frontline 6.12.1991: 47-75; Ram 1990. Es ist unbestritten aber auch der Verdienst staatlicher Intervention, daß dem unabhängigen Indien großräumige Hungerkatastrophen bislang erspart blieben, wie sie sich noch bis in die erste Hälfte dieses Jahrhunderts immer wieder ereigneten (Drèze 1990: 13-122; Tyagi 1990a: 63ff).
Auch wenn Nahrungssicherheit in Indien von den Parteien als eine zentrale Frage des politischen Überlebens wahrgenommen wird, heißt dies noch lange nicht, daß für die Zukunft schwerwiegende Versorgungskrisen und u.U. auch Hungerkatastrohen ein für alle mal gebannt sind. Ob es Indien gelingt, auf Dauer eine ausreichende Versorgung aller gesellschaftlicher Gruppen mit Nahrungsmitteln sicherzustellen, wird entscheidend davon abhängen, wie die unterschiedlichsten Konflikte bei der Produktion (Familienbetriebe <=> Agro-Industrie), der Verteilung (Binnenmarkt <=> Weltmarkt; Stadt <=> Land) und der Konsumption von Nahrungsmitteln (arm <=> reich) in Zukunft gelöst werden können. Drei Aspekte wurden bereits angesprochen.
Erstens sind mit der Diskussion um Subventionskürzungen im Zuge der Strukturanpassungskredite, und im Zusammenhang mit der Uruguay-Runde des GATT, auch Nahrungsmittelsubventionen und deren Abbau in den Blickpunkt der Diskussion geraten. So ist es auch wenig verwunderlich, daß in Indien gerade zu Beginn der 90er Jahre die Reformierung des staatlichen Verteilungssystems für GrundNahrungsmittel in die Wege geleitet wurde. Ein großes Manko an der gegenwärtigen Diskussion um Subventionskürzungen im Nahrungsmittelbereich besteht ohne Zweifel darin, daß vor allem ökonomisch begründete Argumente ins Feld geführt werden. Es wird wenig berücksichtigt, daß Versorgungssicherheit mit Nahrungsmitteln in Indien - angesichts eines Anteils von etwa 50 Prozent der Bevölkerung, der unter der Armutsgrenze oder nur unwesentlich darüber lebt - unzweifelhaft eine soziale Dimension besitzt und - dies ist glücklicherweise den politischen Entscheidungsträgern noch nicht ganz aus dem Bewußtsein entschwunden - auch eine politische.
Zweitens sehen sich die Landwirte in Indien noch immer als Opfer einer Entwicklung, die den industriellen Aufbau seit der Unabhängigkeit in den Mittelpunkt stellte. Durch den Abbau von Privilegien, d.h. durch die Abschaffung von Produzentensubventionen für Düngemittel, Pestizide und Energie, fühlen sie sich in ihrer Opferrolle bestätigt. Gleichzeitig sehen sie sich aber auch von den Bestimmungen des GATT-Abkommens bedroht, auf das sie z.T. äußerst militant reagierten. Die Regierung versuchte, diese Unzufriedenheit dadurch zu besänftigen, daß sie die staatlich festgesetzten Produzentenpreise in den vergangenen Jahren mehrfach angehoben hat. Die Opposition bemühte sich ihrerseits, die Unzufriedenheit der Landwirte politisch gegen die amtierende Regierung zu nutzen. Die gesamte politische Opposition, von den kommunistischen Parteien bis hin zu den nationalistischen Hinduparteien, hatte sich gegen die Ratifizierung des GATT-Abkommens durch die Regierung ausgesprochen (Menon/Muralidharan 1994). Von den „linken“ Parteien wurde sogar zu einer Kampagne des Zivilen Ungehorsams aufgerufen (Nageshwar 1994). Gleichzeitig haben die Auseinandersetzungen um GATT die Spaltung der indischen Bauernverbände vertieft. Eine Gruppe um den Bauernführer Sharad Joshi sprach sich für die Annahme der Verträge aus, weil sie sich - durch den verbesserten Zugang zu den Märkten der Industrienationen bei steigenden Weltmarktpreisen für Agrarprodukte - eine Verbesserung ihrer Situation verspricht (Omvedt 1992, 1993; Padmanabhan 1993; Roychowdhury/Shankar 1993).
Drittens setzt die indische Regierung immer mehr auf die Förderung der Agro-Industrie. Die Absichten sind durchschaubar. Über die Förderung des Exportes agrarer Produkte will sie ihre negative Handelsbilanz ausgleichen. Gleichzeitig versucht sie aber auch, ausländische Unternehmen zu Investitionen im Agrarbereich zu ermutigen, weil dadurch Investitionskapital nach Indien strömt. Im Moment ist noch nicht absehbar, welche Auswirkungen diese Entwicklungen haben werden. Einerseits können verbesserte Exportmöglichkeiten u.U. die Einkommensmöglichkeiten mancher Produzenten erhöhen. Durch die geringe Kaufkraft großer Gruppen der indischen Bevölkerung sind hohen Profitraten aus landwirtschaftlicher Tätigkeit auf dem Binnenmarkt enge Grenzen gesetzt. Eine grundsätzliche Änderung wäre nur dann zu erwarten, wenn sich die Kaufkraft entscheidend verbessert. Dies wäre jedoch nur durch die Anhebung der Einkommen für Landarbeiter, aber auch für die Beschäftigten im informellen Sektor und in der Kleinindustrie zu erreichen. Die Aussicht auf verbesserte Exportmöglichkeiten löst dieses Dilemma scheinbar, denn so können bei gleichbleibend niedrigem Einkommensniveau großer Bevölkerungsgruppen dennoch stattliche Gewinne erzielt werden. Gleichzeitig werden aber vor allem kleinere Produzenten in den agraren Vorzugsgebieten verschwinden, weil sie gegen die indische und verstärkt ausländische Agro-industrie nicht konkurrieren können. Bislang verzögern die Gesetze der Landreform die Landkonzentration noch. Doch diese gelten nicht für bestimmte Plantagenprodukte, und außerdem gibt es Bestrebungen der indischen Regierung - auf Anraten der Weltbank -, die Obergrenzen für Landbesitz abzuschaffen (Braßel 1994: 56).
Diese in wenigen Worten beschriebenen Veränderungen der wirtschafts- und handelspolitischen Rahmenbedingungen bei der Produktion und Verteilung von Nahrungsmitteln wird auch in Zukunft das staatliche Verteilungssystem stark beeinflussen. Wenn es tatsächlich so sein sollte, daß staatliche Intervention in Indien zwar keine soziale Gerechtigkeit schaffen, aber wenigstens Hungerkatastrophen abwenden konnte, dann müssen die jüngsten Reformmaßnahmen mit großer Aufmerksamkeit und leider auch mit Besorgnis verfolgt werden.
8.1 Der Beginn staatlicher Kontrollpolitik bei der Verteilung von Nahrungsmitteln
Der Beginn staatlicher Interventionsmaßnahmen bei der Verteilung von Nahrungsmitteln in Indien hatte engen Bezug zu der Häufung großräumiger Hungerkrisen, die seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert bis zum Zeitpunkt der nationalen Unabhängigkeit Indien immer wieder heimsuchten (Bohle 1992: 98f). So wird aus der Zeit zwischen 1770 und 1900 von 22 größeren Hungersnöten berichtet; bei der Hungersnot 1770 in Bengalen sollen dabei etwa 10 Millionen Menschen den Tod gefunden haben, was damals etwa einem Drittel der Bevölkerung des betroffenen Gebietes entsprach (Annadurai 1992: 9; Sen 1987: 39).
Vor 1943, dem Jahr der großen Hungersnot von Bengalen (s.u.), wurde von staatlicher Seite allerdings wenig unternommen, um solche Ereignisse über den dauerhaften Eingriff in das Nahrungssystem zu verhindern,1 ganz im Gegenteil: das Landbesitzsystem in Britisch Indien und die Freihandelspolitik der Briten beim Nahrungsmittelhandel, die Getreideexporte aus Indien sogar in Mangeljahren nicht unterband (Bhatia 1967), waren wenig geeignet, Hungersnöte wirkungsvoll zu bekämpfen (Naoroji 1888; Dantwala 1973). Durch die unterschiedlichen Pachtsysteme,2 die zu einer erbarmungslosen Ausbeutung der Pächterschaft durch die Steuereintreiber führte, wurde den Bauern wenig Anreiz zur Steigerung der Produktion gegeben (Annadurai 1992: 9). Hinzu kam, daß das traditionelle Dorfhandwerk - vor allem das Textilhandwerk - durch billige Importe aus Großbritannien zerstört wurde und viele in den ländlichen Gebieten ihrer außerlandwirtschaftlichen Existenzgrundlage beraubte (Dutt 1960). Damit nahm der Druck auf die Landwirtschaft erheblich zu.
Da vor dem Zweiten Weltkrieg die Verteilung von Nahrungsmitteln vollkommen den Kräften des Marktes überlassen wurde, führte dies besonders in Mangeljahren dazu, daß sich Nahrungsmittelpreise und die Einkommen der Armutsgruppen gegenläufig entwickelten (Annadurai 1992: 10f). Dies wurde noch dadurch verstärkt, daß durch Nahrungsspekulationen die Knappheit künstlich vergrößert wurde. Hinzu kam, daß in den 20er Jahren dieses Jahrhunderts die Getreideproduktion häufig von anderen Anbaufrüchten - vor allem Baumwolle und in SüdIndien Erdnüssen - verdrängt wurde (Rothermund 1985: 100f).
Im Gegensatz zu ihren Erfahrungen aus dem Ersten Weltkrieg in Europa, als die Briten staatliche Mechanismen zur Kontrolle der Nahrungsmärkte anwandten (Preisbeschränkungen, Rationierung, staatliche Aufkaufstellen etc.), wurden in Indien solche Maßnahmen vor 1943 nicht als notwendig erachtet (Bhatia 1967)
Zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg wechselten sich Phasen hoher mit Phasen extrem niedriger Agrarpreise ständig ab (Rothermund 1985: 90ff). Es ist deshalb nicht ganz richtig, wenn man behauptet, daß während der kolonialen Zeit „ the producers never got remunerative prices for their crops “ (Randhawa 1986: 222). Richtig dagegegen ist, daß das System des Steuereinzugs unter den Briten so unflexibel geworden war, daß Mißernten für kleinere Landwirte3 mit Landverlust und sozialem Abstieg verbunden waren. Mittlere und größere Landwirte, die einen vermarktungsfähigen Überschuß erwirtschafteten, konnten hingegen von den steigenden Agrarpreisen und z.T. fallenden Bodenpreisen profitieren. In guten Erntejahren konnte es den marktabhängigen Landwirten wiederum passieren, daß ein Überangebot die Agrarpreise sinken ließ. Großhändler konnten diese Situation für sich nutzen, indem sie Nahrungsmittel, die sie billig aufgekauft hatten, erst einmal einige Zeit lagerten und damit vom Markt fernhielten. Sie erzeugten damit eine Knappheit, die nicht durch das Produktionsergebnis zu erklären war. Wenn dann die Preise kräftig angezogen hatten, konnten sie ihre Lagerbestände mit gutem Gewinn verkaufen (Randhawa 1986: 222). Hinzu kam, daß sich auch die Weltwirtschaftskrise in den 30er Jahren in vielerlei Hinsicht negativ auf die Landwirte in Indien auswirkte (Rothermund 1985: 113ff).
In vielen Gegenden Indiens kam es aus unterschiedlichen Gründen immer wieder zu Bauernunruhen. Viele der unzufriedenen Bauern schlossen sich der indischen Unabhängigkeitsbewegung an, die dadurch ihre Basis ausweiten konnte, gleichzeitig aber auch die Interessen der Bauern in ihr Programm aufnehmen mußte. Die Unterstützung der Bauern und Pächter für den Indischen National Congress führte bei den Wahlen von 1937 dazu, daß dieser seine politische Macht erheblich ausbauen konnte (FRANKEL 1978: 28ff; Rothermund 1985: 119).1
8.1.1 Die Anfänge des Public Distribution Systems 1942/43
Als 1939 der Zweite Weltkrieg begann, setzte in Indien, wie schon 1914, ein starker Anstieg der Agrarpreise ein. Gleichzeitig wurden auch erste staatliche Interventionsmaßnahmen im Nahrungsmittelbereich getestet, die anfänglich jedoch nur halbherzig durchgeführt wurden. Von der britischen Kolonialverwaltung wurde der Anstieg der Agrarpreise positiv bewertet, half er doch, die unzufriedenen Landwirte NordIndiens zu beschwichtigen und die Unterstützung der Bauern für den Indischen National Congress zurückzudrängen (Rothermund 1983; 1985: 143). So wurde von britischer Seite zunächst wenig unternommen, um den Anstieg der Agrarpreise in Grenzen zu halten. Mit Wohlwollen beobachtete die Kolonialverwaltung, wie sich die Agrarpreise stiegen. Bei den ersten Sitzungen der neuerrichteten Price Control Conference im Oktober 1939 und Januar 1940
„[...] no need was expressed to control the prices of foodgrains; rather price rise for agricultural commodities was considered as an incentive for the farmers [...] who suffered in the depression“ (Mishra 1985: 46).
Zwar hatte die Zentralregierung Ende 1939 die Provinzregierungen zur Festsetzung von Preiskontrollen bevollmächtigt, da jedoch die einzelnen Provinzregierungen keine einheitliche Politik verfolgten und der Handel mit Nahrungsmitteln keiner staatlichen Kontrolle unterlag, führten diese Maßnahmen dazu, daß Getreide aus den Gebieten mit Preisbindung in solche mit freien (hohen) Preisen gebracht wurden (Mishra 1991: 45ff).
Mit der dritten Sitzung der Price Control Conference im Oktober 1941 gingen die Befugnisse über Preiskontrollen im Nahrungsmittelbereich auf die Zentralregierung über (Suryanarayana 1985). Diese legte sogleich einen Höchstpreis für Weizen fest, ohne allerdings über einen hinreichend ausgebauten Überwachungsapparat zu verfügen. Nach wie vor ungelöst war auch das Problem, daß sich die Regierung in den Nahrungsmittelhandel nicht einmischen wollte, wodurch der Schwarzhandel mit Nahrungsgetreide begünstigt wurde (Rothermund 1985: 145). Die ersten konkreten Maßnahmen eines sich entwickelnden staatlichen Verteilungssystems gingen deshalb auf die Initiative von Provinzregierungen zurück. Mit der kontrollierte Ausgabe von Nahrungsmitteln in sogenannten Fair Price Shops (FPS), wurden ab 1939 in Bombay erste Vorkehrungen getroffen, um Nahrungsmittelspekulationen einzudämmen (Gupta 1977: 61). Schon bald wurde diese Maßnahme auf die Provinzen Bengalen, UP, Bihar, Madras u.a. ausgedehnt.
„The main beneficiaries of the system were the employees of Central and State Governments and industrial workers“ (Suryanarayana 1985: 25)
Wegen ihres geringen Umfangs war diese Maßnahme jedoch nicht mehr als „ a precautionary step “ gegen den Preisanstieg (Gupta 1977: 62). Als Burma 1942 von den Japanern besetzt wurde, und Britisch-Indien so ein wichtiges Reisanbaugebiet verlor, wurden von der Zentralregierung weitere Pläne für eine staatliche Interventionspolitik im Nahrungsmittelbereich erstellt. Diese blieben jedoch häufig aufgrund mangelnder Erfahrung und fehlender Infrastruktur wirkungslos. Zudem versäumte es die Regierung zu diesem Zeitpunkt noch immer, eine kontinuierliche Politik zu betreiben: in Bengalen wechselten sich Preiskontrollen (1942), Aufkauf von Getreide in Überschußprovinzen (1943), anschließende Rückbesinnung auf Freihandel (1943) und erneute Preiskontrollen (1943) beständig ab und begünstigten damit Nahrungsmittelspekulationen (Rothermund 1985; Suryanarayana 1985).
Im Gegensatz dazu konnte durch eine zielgerichtete Politik in der Madras Presidency, wo vom Juni 1942 an der Export von Reis über die Provinzgrenzen hinaus verboten war und wenige Monate später mit einer staatlichen Aufkaufpolitik für Reis begonnen wurde, der Preisanstieg unter Kontrolle gehalten werden: Der Reispreis war daher in Bengalen bald doppelt so hoch wie in Madras (Rothermund 1985: 145).
In Bengalen führte das konzeptlose Verhalten sowohl der Zentral- als auch der Provinzregierung zu einer entsetzlichen Hungersnot, der nach zuverlässigen Schätzungen etwa drei Millionen Menschen zum Opfer fielen (Sen 1981, Rothermund 1985: 146).
Bereits 1943, dem Jahr der Hungerkatastrophe von Bengalen, wurden in den größten indischen Städten damit begonnen, Rationierungssysteme einzuführen bzw. dort, wo bereits bescheidene Anfänge in diese Richtung gemacht worden waren, diese auszuweiten. Mit der Entscheidung des Foodgrains Policy Committees von 1943, in allen indischen Städten mit mehr als 100 000 Einwohnern Fair Price Shops einzurichten, wurde ein Interventionsinstrument geschaffen, das ganz Indien umfaßte und das die Grundlage für den allmählichen Ausbau des Public Distribution Systems darstellte. Ende 1943 gab es in 13 indischen Städten solche Fair Price Shops, ein Jahr später waren es 103 und 1946 deckte das System bereits 771 Städte in Indien ab (Bapna 1990: 105). Unterschieden wurden dabei jene Gebiete, in denen der freie Markt praktisch abgeschafft worden war (statutory rationing) und solche, in denen parallel zum staatlich kontrollierten noch ein freier Markt bestand.
Interpretiert wurde die Hungerkatastrophe von Bengalen unter dem Eindruck des Zweiten Weltkrieges als konjunkturelles und nicht als strukturelles Phänomen. So war es vorgezeichnet, daß nach Ende des Krieges und der Erlangung der Unabhängigkeit die staatlichen Interventionsmaßnahmen als hinfällig betrachtet und aufgegeben wurden.
8.1.2 Das PDS nach der Unabhänigkeit
Bei Kriegsende hatten sich die Preise für Nahrungsgetreide auf einem Niveau stabilisiert, das etwa vier Mal so hoch war wie das Vorkriegsniveau. Mit dem Korea-Krieg begannen sich die Getreidepreise erneut nach oben zu bewegen, so daß 1950 die Lebensmittelrationierung wieder eingeführt wurde (Bapna 1990: 105; Suryanarayana 1985: 25).
Mit Beginn der indischen Entwicklungsplanung in den frühen 50er Jahren wurde das Public Distribution System als Wohlfahrtsmaßnahme übernommen und hatte zukünftig auch in Zeiten Bestand, in denen keine Versorgungsengpässe zu befürchten waren. Nach und nach wurde versucht, das System auf ländliche Gebiete auszuweiten, was bis heute in manchen Bundesstaaten nur sehr unvollkommen gelang (Bapna 1990: 106). Dennoch kann nach der Anzahl der Fair Price Shops der ländliche Raum heute als verhältnismäßig gut versorgt gelten.1
Ab der zweiten Hälfte der 50er Jahre wurden die Nahrungsmittel - und dabei vor allem Weizen -, die durch das PDS verteilt wurden, hauptsächlich durch Importe aus Nordamerika erworben (Gupta 1977: 66-70). Zwischen 1954 und 1965 waren die staatlichen Aufkäufe bei indischen Produzenten weitgehend eingestellt worden. Zwar hatte das Foodgrains Enquiry Committee noch 1957 vorgeschlagen, den Getreidehandel in Indien vollkommen zu verstaatlichen und für Notzeiten anzulegen, die indische Regierung entschied sich jedoch zunächst dafür, ausschließlich Getreideimporte für das PDS zu verwenden (Bapna 1990: 106). Damit hatte sie ein Interventionsmittel in Händen, mit dem sie das Gesamtangebot an Nahrungsgetreide bei Bedarf erhöhen und somit die Preise auf einem bestimmten Niveau stabilisieren konnte. Inflationäre Auswirkungen, die für den Fall befürchtet worden waren, daß der Staat einen Teil der Getreideproduktion für das PDS aus der indischen Produktion entnehmen würde, sollten dadurch verhindert werden.
Mitte der 60er Jahre änderte die Regierung jedoch diese Politik grundlegend. Es wurde damit begonnen, Getreidelager (Buffer Stocks) einzurichten, die zunächst hauptsächlich durch Importe, später aber immer mehr durch eine Entnahme aus der einheimischen Produktion aufgefüllt wurden (Gulati/Krishnan 1975: 833; Parathasarathy 1994: 74ff). Die Errichtung solcher Getreidelager war als notwendig erachtet worden, als nach einer Reihe von Mißernten (1962/63, 1965/66 und 1966/67) auch mit Nahrungsmittelimporten die Preise nicht unter Kontrolle gehalten werden konnten (Frankel 1978: 246ff). Übertragen wurde die Aufsicht über die Getreidelager der 1965 geschaffenen Food Corporation of India (FCI), die Beschaffung, Lagerung, Transport und Verteilung von Nahrungsgetreide unter einer einzigen Verantwortlichkeit durchführen sollte (ausführlich: Chopra 1979).
Mit dem Ende der 60er Jahre, d.h. mit dem Beginn der Grünen Revolution in Indien, nahmen Getreideimporte beständig ab, und die Beschaffung von Nahrungsgetreide durch die FCI wurde dementsprechend immer mehr auf den indischen Markt verlagert. Stammten 1966 noch 14 Prozent des verfügbaren Nahrungsgetreides aus Importen, so reduzierte sich dieser Anteil in den Jahren nach 1975 bis auf wenige Ausnahmen (1982:1.4%; 1983:3.5%; 1984:1.8% und 1988:2.9%) auf weniger als ein Prozent der Gesamtverfügbarkeit (Economic Survey 1993/94: S-25).
Das bei der Gründung der FCI angestrebte Ziel, eine Getreidereserve von fünf Mio. Tonnen anzulegen, wurde bereits 1971 erreicht und konnte in den folgenden Jahren beträchtlich überschritten werden (Gupta 1977: 71). 1985 wurden mit fast 29 Mio. Tonnen das bislang höchste Ergebnis erzielt (Bapna 1990: 136). Im Januar 1994 betrug der Bestand in den Lagern der FCI 11,1 Mio. Tonnen Weizen und 12 Mio. Tonnen Reis (Economic Survey 1993/94: 66,Table 4.7). Der Unterhalt dieser großen Getreidereserven begann nun ein immer größerer Kostenfaktor im jährlichen Haushaltsplan der Regierung zu werden.
8.2 Die Ziele indischer Agrarpolitik und das PDS
Die Steigerung der Pro-Kopf-Versorgung mit Nahrungsmitteln ist auch heute noch das vorrangige Ziel der indischen Agrarpolitik. Bis in die späten 60er Jahre wurde darunter vor allem eine weitgehende Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln verstanden. Sie sollte das Land von devisenzehrenden und häufig politisch konditionierten Nahrungsimporten unabhängiger machen. Dieses Ziel ist heute weitgehend erreicht, zumindest wenn man die NahrungsmittelProduktion Indiens zugrunde legt. Zwischen 1951 und 1993 ist die (statistische) Pro-Kopf-Verfügbarkeit an Nahrungsgetreide von 334 g/Tag/Person auf 429 g/Tag/Person gestiegen. Selbst wenn man berücksichtigt, daß im gleichen Zeitraum die Verfügbarkeit von Hülsenfrüchten von 60,7 auf 36,6 g/Tag/Person zurückgegangen ist, hat dennoch eine beachtliche Steigerung stattgefunden, die deutlich über der Zunahme der Bevölkerung liegt (Economic Survey 1993/94: S-24).
Fraglich ist jedoch, ob durch diese produktionsorientierte Politik ein weiteres Ziel der Agrarpolitik erreicht werden konnte: die Versorgung aller Bevölkerungsgruppen mit Nahrungsmitteln zu günstigen Preisen. Hier zeigt sich ein zwiespältiges Bild. Durch die Grüne Revolution 1 wurde versucht, Ernährungsprobleme von der Angebotsseite her anzugehen. Dabei konnten hauptsächlich jene Landwirte profitieren, die nennenswerte vermarktungsfähige Überschüsse erwirtschafteten. Durch eine Steigerung der Flächenerträge konnten anfänglich die durch die kapitalintensive Technologie gestiegenen Produktionskosten ausgeglichen werden. Darüberhinaus wurde ein Teil dieser Kosten vom Staat in Form von Subventionen - z.B. für Energie und Düngemittel -, aber auch durch die Befreiung von der Einkommenssteuer übernommen.
Ohne Zweifel hat die Grüne Revolution sowohl soziale als auch räumliche Disparitäten vergrößert. Da sie in den landwirtschaftlich produktivsten Regionen ansetzte, wuchs das Gefälle zwischen landwirtschaftlichen Gunst- und Ungunsträumen weiter an. Als ein Programm, das auf landbesitzende Gruppen zugeschnitten war, hat sie die Disparitäten zwischen landbesitzenden und landlosen Gruppen ebenfalls vergrößert. Unter den landbesitzenden Gruppen hat sie jene begünstigt, die kapitalkräftig genug waren, die Investitionen für die neuen Produktionsmethoden aufzubringen.
Der erhoffte Trickle-Down-Effekt blieb nahezu vollständig aus, d.h. höhere Profiterwartungen in der Landwirtschaft haben sich z.B. nur rudimentär auf die Löhne der Landarbeiter niedergeschlagen.2 Die Beschäftigungswirkung war allenfalls gering, wenn nicht sogar negativ (Agarwal 1981; Bardhan 1977). Das Problem der Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung in ländlichen Gebieten hat dadurch stark zugenommen und die „Verhandlungsposition“ der Landarbeiterschaft bei der Festsetzung der Löhne geschwächt. Häufig werden noch nicht einmal die von den Landesregierungen festgesetzen Mindestlöhne eingehalten, weil ihre Durchsetzung von politischer Seite kaum überwacht wird.
Für den außerlandwirtschaftlichen Bereich zeigt sich ein ähnliches Bild. Der Konflikt, den Landwirten einerseits ein Einkommen zu ermöglichen, mit dem sie an der gesellschaftlichen Entwicklung teilnehmen können, gleichzeitig aber die Nahrungskosten für die Industriearbeiterschaft in den Städten niedrig halten zu müssen, um eine „gesellschaftliche“ Entwicklung1 zu ermöglichen, hat dazu geführt, daß sich die Disparitäten zwischen Stadt und Land vergrößert haben. Der industriellen Entwicklung wurde dabei ein Vorrang eingeräumt, der sich auch in der Struktur des PDS ausdrückt.
Eine dauerhafte Einrichtung wurde das PDS also nicht, damit strukturelle Verteilungs un gerechtigkeit abgebaut werden konnte. Dazu ist das System ungeeignet. Vielmehr übernimmt es die Funktion, die strukturellen Defizite durch staatliche Intervention abzumildern, was sie aber gleichzeitig legitimiert. Das PDS entwickelte sich so von einer Wohlfahrtsmaßnahme für städtische Bevölkerungsschichten in Krisenzeiten zu einem Instrument, soziale Spannungen in - zunächst - industriellen Ballungszentren zu kanalisieren. Es muß deshalb als komplementär zur Grünen Revolution verstanden werden, die auf der Angebotsseite eine gleiche Zielsetzung verfolgte. Nur vor diesem Hintergrund können die Subventionen verstanden werden, die den Landwirten gezahlt werden. Durch sie übernimmt der Staat einen Teil der Produktionskosten und kann so verhindern, daß die Nahrungsmittelpreise zu stark ansteigen.
In diesem auf die Industrialisierung fixierten System profitieren auch die marktorientierten Landwirte: mit dem staatlich garantierten Aufkaufspreis wird ihnen eine Preisgarantie eingeräumt; sie sollen so einen Anreiz zur Mehrproduktion erhalten, und die Regierung verpflichtet sich, alle angebotenen Getreidemengen abzunehmen. Dieser staatlich festgelegte Abnahmepreis erreicht zwar nicht das Niveau des „Markt“preises, da durch die Aufkäufe ein Teil der Ernte vom Markt genommen wird stabilisieren sich die Marktpreise auf einem vergleichsweise hohem Niveau (Tyagi 1990a: 65f). Der freie Preis für Nahrungsmittel ist deshalb kein echter Marktpreis, sondern wird durch die staatliche Intervention beeinflußt. Indem den Produzenten das Vermarktungsrisiko abgenommen wird, müssen sie sich nicht um die Nachfrageseite des Nahrungssystems kümmern. Sie können dadurch die Löhne für Landarbeiter drücken, da der Staat durch seine Konsumentensubventionen einen Teil der ReProduktionskosten der Landarbeiter übernimmt. Durch die starke Fixierung des PDS auf städtische Konsumenten ist dabei noch nicht einmal sichergestellt, daß in angebotsschwachen Zeiten die Nahrungsmittel tatsächlich wieder dahin zurückströmen, wo sie ursprünglich angebaut wurden: den ländlichen Gebieten.
Tendenziell verlängert das PDS die Zeitspanne, in der in ländlichen Gebieten ein Nahrungsdefizit besteht, da durch den staatlichen Aufkauf bereits unmittelbar nach der Ernte große Nahrungsmengen vom Land in die Städte strömen. Lediglich eine höhere Kaufkraft der ländlichen Bevölkerung könnte bewirken, daß die Marktproduzenten auf die staatlich organisierte Vermarktung verzichten und ihre Produkte im lokalen Wirtschaftskreislauf belassen (Gaikwad 1979: 165).
8.3 Funktionsweise und Struktur des PDS
Im PDS werden staatliche Interventionen der Zentralregierung und der einzelnen Landesregierungen miteinander verbunden (Kundu 1993: 95). Da sowohl die Zentralregierung als auch die Landesregierungen die politischen und administrativen Vorgaben des Systems beeinflussen können, variiert das PDS von Bundesland zu Bundesland erheblich. Auf zentralstaatlicher Ebene werden die politischen Zielsetzungen des PDS vor allem durch die Nationale Planungskommission formuliert.
Über die Planungskommission werden den unterschiedlichen Ressorts auch die Finanzmittel zugewiesen, d.h. hier wird entschiedenen, welchen Umfang die für das PDS zur Verfügung stehenden Subventionen erreichen (Tyagi 1990b: 26). Bei den Zielvorgaben steht an erster Stelle die Stabilisierung der Produzentenpreise.
Über das PDS gibt der indische Staat nicht nur subventionierte Nahrungsmittel aus, sondern greift durch Auf- und -verkäufe auch in den freien Markt ein und beeinflußt dadurch die Preisentwicklung. Durch die Buffer Stocks kann er saisonale und regionale Angebotsschwankungen ausgleichen. Sobald er dem Markt größere Mengen Nahrungsmittel entnimmt als er gleichzeitig durch die Fair Price Shops (FPS) einspeist, reduziert er das verfügbare Angebot. Entscheidend wird deshalb sein, wann der Staat die Marktentnahmen vergrößert und die Zuteilungen durch die FPS verringert. In Zeiten geringer Produktion hat eine Marktentnahme inflationäre Tendenzen, während in Jahren mit überdurchschnittlichen Ernten die Preise auf dem „freien“ Markt stabilisiert werden, d.h. sie gehen nicht zurück.
Neben der Stabilisierung der Produzentenpreise soll das PDS auch Verteilungsgerechtigkeit bewirken. Es soll die Versorgung der verwundbaren Gruppen der Gesellschaft mit Gütern des Grundbedarfs zu „ reasonable prices “ sicherstellen. Wie hoch ein „angemessener“ Preis jedoch anzusetzen ist, ist kaum zu ermitteln. Dazu müßte z.B. bekannt sein, wie hoch der Preis wäre, wenn es keine staatlichen Interventionen bei der Produktion und Verteilung gäbe.
Auf nationaler Ebene wird die Planung vom Department of Food, Ministry of Food and Civil Supplies durchgeführt (TYAGI 1990b: 25). Hier werden konkrete Pläne erstellt, wann, wo und wieviel Nahrungsmittel von den staatlichen Stellen aufgekauft und wie diese auf die einzelnen Bundesstaaten aufgeteilt werden. Solange die verschiedenen Bundesstaaten vom zentralstaatli-chen Pool profitieren wollen, sind sie auf die Verteilung durch die Zentralregierung angewiesen. Allerdings steht es ihnen offen, zusätzliche Nahrungsmittel auf dem freien Markt zu beziehen und in das öffentliche Verteilungsnetz einzuspeisen.
Abb. 3: Die Organisation des Public Distribution Systems in Indien
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Der zentralstaatliche Aufkauf der Nahrungsmittel (procurement) obliegt der bereits erwähnten Food Corporation of India (FCI), die bis 1980 sämtliche Getreideaufkäufe tätigte, aber seither nur noch für Reis und Weizen zuständig ist. Andere Nahrungsmittel werden von der National Agricultural Cooperative Marketing Federation (NAFED) aufgekauft (Tyagi 1990b: 31). Die FCI und die NAFED sind gleichzeitig auch für die Lagerung der Getreidereserven in regionalen Lagern zuständig sowie für den Transport dorthin.1 Diese regionalen Lager sind gleichzeitig auch die Buffer-Stocks, die die indische Regierung seit den 60er Jahre zur Überbrückung von Dürrejahren angelegt hat.
8.3.1 Die Preisfestsetzung im PDS
1 Die FCI arbeitet in allen wichtigen Anbaugebieten mit Agenten zusammen, die den Aufkauf direkt vom Produzenten, aber auch von den Vermarktungsgenossenschaften organisieren. Der dabei bezahlte Aufkaufspreis (Procurement Price) ist gewöhnlich geringer als der „Markt“preis. Er wird von der indischen Regierung nach Absprache mit der Commission for Agricultural Costs and Prices (CACP) unter Berücksichtigung der Produktionskosten, der Getreidereserven in den Lagern der FCI und der Ernteergebnisse festgelegt (Bapna 1990: 114; Gulati/Sharma 1990). Zu diesem Preis kauft die FCI alle Getreidemengen auf, die angeboten werden. Mengenbeschränkungen bestehen keine.
Tab. 10: Entwicklung von procurement und issue price (1982/83 - 1994/95)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quellen: Agrawal et al. 1993:129 (für procurement price bis 1987/88)
Economic Survey 1995-96:88ff;
Die FCI unterhält in ganz Indien ca. 2.200 Getreidelager, in denen die Nahrungsmittel so lange gelagert werden, bis sie von der Zentralregierung den Civil Supplies Departments der Bundesländer zugewiesen und von diesen abgeholt werden. Die indische Regierung legt dazu einen Abgabepreis (Issue Price) fest, den die Landesregierungen zu entrichten haben. Dieser Preis liegt deutlich über dem Procurement Price.
Die Zentralregierung gibt das Getreide also zu einem höheren Preis an die Länderregierungen ab, als sie selbst den Landwirten dafür bezahlt hat. Dennoch werden die Nahrungsmittelsubventionen der Zentralregierung immer höher, weil die Nebenkosten für Beschaffung (Procurement Incidentals) und Verteilung (incl. Lagerung) (Distribution Incidentals) immer stärker anwachsen. Dadurch entfernen sich die tatsächlichen Kosten immer mehr vom staatlich festgelegten Ausgabepreis.
„In the last 14 years, the average distribution cost has gone up by about 274 per cent whereas procurement incidentals have increased by only 70 per cent. One of the main reasons for this increase has been the increase in the freight cost. It has gone up from Rs. 6.11 per quintal in 1975-76 to Rs.25.92 by 1987-88“ (Tyagi 1990b: 124).
Noch stärker als die Transportkosten sind die Lagerkosten gestiegen. Zwischen 1975-76 und 1988-89 haben sie sich von weniger als 1 Rs/100kg auf 13,60 Rs erhöht (Tyagi 1990b: 127). Während 1975-76 ein Doppelzentner Reis fünf Rs (bzw. 3,2 Prozent) unter den entstehenden Kosten abgegeben wurde, schoß 1985-86 die Zentralregierung 88 Rs/100kg an Haushaltsmitteln zu. Sie gab damit den Reis um 28 Prozent billiger ab als sie selbst dafür aufwenden mußte. Da die durch das PDS verteilte Menge Nahrungsgetreide ebenfalls stark zugenommen hat, hat dies die Ausgaben für Subventionen zusätzlich in die Höhe schnellen lassen. 1975-76 gab die Zentralregierung insgesamt 2,8 Mrd. Rs für Nahrungsmittelsubventionen aus, zehn Jahre später waren es bereits 18,9 Mrd. Rs (Tyagi 1990b: 131, Table 5.17). Für das Wirtschaftsjahr 1993-94 werden Ausgaben von etwa 60 Mrd. Rs erwartet (Economic Survey 1993-94: 66). Mit dem Abgabepreis der Zentralregierung steht jedoch der Endabnehmerpreis noch nicht fest, denn die Landesregierungen haben ihrerseits die Möglichkeit, weitere Subventionen zu beschließen. Aus diesem Grunde variieren die Konsumentenpreise1 von Bundesland zu Bundesland erheblich, obwohl der Issue Price, den die einzelnen Bundesländer an die Zentralregierung bezahlen, für alle gleich ist.2
8.3.2 Die Rolle der Bundesländer im PDS
3 Sobald die Nahrungsmittel die Lagerhäuser der FCI verlassen haben, endet die Zuständigkeit zentralstaatlicher Behörden. Der Transport in die Fair Price Shops wird entweder von diesen selbst oder in einigen Bundesländern von der jeweiligen Landesregierung durchgeführt. Die Fair Price Shops selbst sind staatlich, genossenschaftlich oder privat organisiert (Bhandari/Vora 1979; Mathew 1979). Die Entscheidung, wo solche Läden errichtet werden, fällt in den Zuständigkeitsbereich der jeweiligen Distrikt-Verwaltung, wobei parteipolitische Interessen nicht unterbewertet werden dürfen (Bapna 1990: 116). Die Betreiber der privaten Läden erhalten von der Landesregierung eine Provision, die sich nach dem getätigten Umsatz bemißt (Tyagi 1990b: 24). Sie - wie auch die staatlichen und genossenschaftlichen Läden - sind für einen festen Kundenstamm zuständig und erhalten - im Idealfall - genügend Nahrungsmittel und Kerosin zugewiesen, um die in ihrem Einzugsbereich lebenden Haushalte mit den ihnen zustehenden Rationen versorgen zu können. Das PDS steht prinzipiell allen gesellschaftlichen Gruppen offen, d.h. jeder Haushalt kann für sich eine Berechtigungskarte zum Einkauf in den FPS (Ration-card) beantragen (Annadurai 1992: 28f; Bhargava 1994: 143f; Krishna 1967).4 In Tamil Nadu werden solche Karten alle fünf Jahre ausgestellt.5 Beschränkungen auf bestimmte gesellschaftliche Gruppen können allerdings von den Landesregierungen ausgesprochen werden. Zumeist geschieht dies dadurch, daß Haushalte, die unter einem festgelegten Jahreseinkommen liegen, zusätzliche Einkäufe im Fair Price Shop vornehmen können.6 Eine noch stärkere Orientierung auf bestimmte Zielgruppen könnte dazu beitragen, daß die Belastung der Staatsfinanzen durch die Subventionen verringert wird (Gillespie/McNeill 1992; Nayyar 1991).
Tab. 11: Fair Price Shops in den indischen Bundesländern (1990)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
berechnet nach: Economic Survey 1993-94:S-114; Kundu 1993: 221
Nach offiziellen Angaben gab es 1990 über 370.000 Fair Price Shops in Indien, der größte Teil von ihnen befand sich in ländlichen Gebieten. Rein statistisch ist in vielen Bundesländern auch die Vorgabe inzwischen erreicht worden, wonach ein Fair Price Shop nicht mehr als 2000 Haushalte versorgen soll (Economic Survey 1993/94: 65). Wie Venugopal (1992) jedoch anmerkt, kann man davon ausgehen, daß etwa 200.000 der Läden nur auf dem Papier existieren, wenn man die Verteilung von Getreide berücksichtigt. Bei Kerosin sieht es nicht viel besser aus. Die meisten ländlichen Haushalte beziehen ihr Kerosin nicht aus einem Fair Price Shop, sondern kaufen es beim privaten Händler, weil die monatliche Zuteilung1 in ländlichen Gebieten bei weitem nicht ausreicht, um die vorgesehenen Rationen aller Haushalte zu decken. Auch scheint es so zu sein, daß in ländlichen Gebieten Kerosin in den FPS selten zu dem von der Regierung vorgeschriebenen Preis verkauft wird, sondern deutlich darüber (Venugopal 1992: 87). Bei Speiseöl sieht die ländliche Versorgung durch das PDS nicht besser aus. Berücksichtigt man die Mengen, die von der Zentralregierung den Landesregierungen zugewiesen werden, dann entspricht dies noch nicht einmal einem Liter pro Kopf und Jahr. Aus diesem Grund findet sich Speiseöl fast nur im Angebot städtischer Fair Price Shops und das auch nicht jeden Monat.
Sollen die Produkte in den FPS für die Konsumenten billiger angeboten werden als sie von der FCI bezogen wurden, müssen die Länderregierungen die Kosten in Form von Subventionen selbst aufbringen. Vor allem die Haushaltskassen jener Bundesländer, die weit davon entfernt sind, Selbstversorger für Grundnahrungsmittel zu sein wie z.B. Assam, Bihar, Kerala, Maharashtra und West Bengalen, werden dadurch sehr stark belastet. Doch auch in Staaten mit einem hohen Selbstversorgungsgrad an Grundnahrungsmitteln sind diese Subventionen in den letzten Jahren explosionsartig angestiegen. Auch dort klafft eine immer größere Schere zwischen den tatsächlich anfallenden Kosten und den Abgabepreisen in den Fair Price Shops.
8.4 Das PDS in Tamil Nadu
Mitte der 80er Jahre betrugen die Nahrungssubventionen in Tamil Nadu etwa 800 Mio. Rs (MIDS 1988: 150). Bis 1993 waren sie auf 5,1 Mrd. Rs angestiegen, wie Finanzminister Nedunchezhiyan bei der Vorlage des Haushaltsplans 1993-94 zu bedenken gab.
„The State Government strongly feels that it would have been more appropriate for the Centre to sustain a higher level of food subsidy for at least some more time to insulate the poor against the inflationary forces. It is not possible for the States to keep sustaining a higher food subsidy burden with their fragile resource base. As it is we have not fully passed on to the consumers the rice price increase implemented by the Centre. This has resulted in our having to assume an all time high annual food subsidy burden of Rs.400 crores. Together with the arrears of subsidy of Rs.110 crores to be paid, the total provision has gone to an alarming amount of Rs.510 crores in 1993-94“ (Tamil Arasu, April 1993: 10).
Bei der Reisentnahme aus den Beständen der FCI mußte die Regierung Tamil Nadus 1993-94 für einen Doppelzentner Reis (Common Quality) 537 Rs bezahlen. In den Fair Price Shops Tamil Nadus kostete ein Kilogramm Reis dieser Qualität jedoch nur 2,75 Rs. Für jeden Doppelzentner Reis, der von der Regierung nicht in Tamil Nadu selbst aufgekauft wurde, mußten deshalb Haushaltsmittel in Höhe von 262 Rs aufgebracht werden. Während der issue price der Zentralregierung zwischen 1982 und 1994 je nach Reisqualität zwischen 186 und 208 Prozent gestiegen ist, sind die Reispreise in den Fair Price Shops in Tamil Nadu lediglich zwischen 57 und 88 Prozent angestiegen. 1982 entsprach der Preis für Reis in Tamil Nadu für die beiden besseren Qualitäten exakt dem issue price der Zentralregierung. Lediglich die billigste Qualität gewährte die Regierung Tamil Nadus eine Subvention von 10 Paisa/kg. 1994 war der issue price fast doppelt so hoch als der Verkaufspreis in den Fair Price Shops Tamil Nadus.
Selbst wenn sich die Regierung in Tamil Nadu dazu entschließen würde, keinen Reis von der Zentralregierung zu beziehen, wären ihre Ausgaben für Reissubventionen wahrscheinlich sogar noch höher. Die Regierung Tamil Nadus zahlt nämlich den Landwirten im Thanjavur-Distrikt, dem Hauptreisanbaugebiet, zu dem von der Zentralregierung festgelegten Aufkaufspreis noch einen Zuschlag von ca. 24 Prozent (1986), um einen Anreiz zur Übernahme der Technologie der Grünen Revolution zu bieten (MIDS 1988: 146f). Da die Kosten für Transport und Lagerung für die Regierung Tamil Nadus wahrscheinlich ähnlich stark angestiegen sind wie für die Zentralregierung, dürfte damit der Kostenpreis in Tamil Nadu über dem der Zentralregierung liegen. Aus diesem Grund unternahm die Regierung Tamil Nadus wiederholt den Versuch, die Reisquote aus dem Central Pool erhöht zu bekommen. Zu Beginn der 90er Jahre erhielt Tamil Nadu monatlich etwa 75.000 Tonnen Reis von der Zentralregierung zugeteilt.
„I had also earlier requested for allotment of one lakh tonnes of rice from Central Pool to Tamil Nadu. But the Government of India have agreed to increase the present allotment of 75.000 tonnes by another 6.000 tonnes for August, September and October 1991. I once again request the Government of India to kindly increase the allotment of one lakh tonnes throughout the year“ (Jayalalitha 1991: 7)
Angaben, zu welchen Anteilen in den Fair Price Shops Tamil Nadus Reis aus Beständen der Zentralregierung bzw. von den landeseigenen Aufkaufsstellen stammt, liegen nicht vor. In einem normalen Erntejahr kann davon ausgegangen werden, daß Tamil Nadu genügend Reis produziert, so daß eigentlich keine Aufkäufe von außerhalb notwendig wären.
Tab. 12: Entwicklung von issue price und Konsumentenpreisen für Nahrungsmittel in den Fair Price Shops von Tamil Nadu (in Rs/100 kg)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quellen: Economic Survey 1991/92, 1992/93, 1993/94, Bapna 1990:142
MIDS 1988; Tyagi 1990; Hindu 31.1.1993
„What marks the cereal economy of the State is the relative self-sufficiency in a normal year. Since the dominant cereal is rice, it is the position of the State in respect of rice that really matters. Tamil Nadu is not a surplus State in rice production, like Andhra Pradesh or Punjab; neither is it a deficit State, like Kerala or West Bengal“ (MIDS 1988: 135).
Berücksichtigt werden muß jedoch, daß in den späten 70er und frühen 80er Jahren nicht mehr als etwa fünf Prozent der Gesamtreisproduktion von der 1972 gegründeten Tamil Nadu Civil Supplies Corporation, der landeseigenen Aufkaufsagentur, für das PDS aufgekauft wurde (MIDS 1988: 148). Bis in die 90er Jahre hatte sich dieser Anteil zwar auf etwa 10 Prozent der ReisProduktion erhöhen können, doch noch immer zieht es die Regierung von Tamil Nadu vor, ihren Reis für das PDS hauptsächlich von der Zentralregierung zu beziehen.
Zwar wurde - angesichts einer akuten Dürreperiode - bereits 1982 der private Getreidehandel im Thanjavur-Distrikt verboten (Monopoly Procurement), doch scheint diese Maßnahme nur eine geringe Wirkung erzielt zu haben (MIDS 1988: 148).
Eine besondere Eigenart staatlicher Aufkaufspolitik in Tamil Nadu besteht darin, daß die Regierung vor allem in Dürrejahren in den Getreidehandel einzugreifen versucht (MIDS 1988: 148). Während die Zentralregierung in guten Erntejahren Getreidevorräte für Dürrejahre anlegt, erhöht die Regierung Tamil Nadus vor allem in Jahren schlechter Produktion ihre Aufkäufe, um genügend Vorräte für die Fair Price Shops und die Durchführung ihrer Ernährungsprogramme zu haben. Dadurch nimmt sie einen Teil des vermarktbaren Überschusses unmittelbar nach der Ernte (vorrübergehend) vom Markt und vermindert so das Angebot schlagartig.
„This concentration has become so intensive that even during the peak marketing period, the arrivals are getting increasingly concentrated only within a few weeks. For example, in Punjab during the 1984-85 marketing season as much as 65 per cent of the total marketed surplus arrived in the market in a five-week period ending 31 May 1984“ (Tyagi 1990b: 114f).
Auch wenn für Tamil Nadu keine derartigen Untersuchungen vorliegen, gibt es gute Gründe anzunehmen, daß auch dort eine zeitliche Konzentration der Vermarktung festgestellt werden kann. Mit der Einführung hochertragsreicher und der Verdrängung vieler traditioneller Sorten mit unterschiedlich langen Wachstumsphasen hat die zeitliche Ausdehnung der Haupterntezeit abgenommen. Verstärkt wird dieser Prozeß dadurch, daß der bei weitem größte Ernteanteil aus einer einzigen Region stammt1, und die Bedeutung naturräumlicher Differenzierungen - etwa das regional unterschiedliche Einsetzen der Regenzeit - dadurch zurückgeht. Ein Interventionsmechanismus, der in Mangeljahren zusätzlich einen Teil der Produktion vom Markt nimmt, kann einen raschen Preisanstieg nicht unterbinden, sondern wird diesen sogar begünstigen. Dies wird vor allem dann der Fall sein, wenn keine zusätzlichen Getreidereserven vorhanden sind, die zur Preisstützung in den freien Markt eingespeist werden können.
„Underlying this perverse relationship has been the absence of a biffer stock policy which involves a larger procurement in a good crop year so as to have adequate stock to meet a situation of shortage in a bad crop year. This would have helped to even out the impact of short term fluctuations in production by adding to availability during shortage and withdrawing surplus production during relative abundance. Incidentally, this would have also helped to reduce the dependence on the Central pool“ (MIDS 1988: 148).
Tab. 13:Nahrungsmittel- und Kerosinpreise in den FPS von Tamil Nadu (1993)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Durch das staatliche Verteilungssystem werden die dem Markt entnommenen Nahrungsmittel verbilligt über das Jahr verteilt den Konsumenten wieder zugeführt, bzw. ein Teil davon wird für die unterschiedlichen Nahrungsprogramme - allen voran das Schulspeisungsprogramm – verwendet. Die durch die Fair Price Shops zugeteilten Rationen reichen jedoch nicht aus, um eine vollständige Versorgung sicherzustellen. Der größere Teil der Nahrungsmittel muß über den freien Markt bezogen werden.2 Beim Einkauf im Fair Price Shop konnte 1993 ein Haushalt in Tamil Nadu monatlich zwischen etwa 60 und 160 Rs gegen über dem Wert der bezogenen Waren auf dem freien Markt einsparen.3
Ohne Getreidereserven sind die Interventionsmöglichkeiten der Regierung in Notzeiten beschränkt, da die zu verteilenden Nahrungsmittel von der (niedrigen) Produktion des Dürrejahres entnommen werden müssen. In solchen Dürreperioden können deshalb die subventionierten Rationen zum Schutz verwundbarer Gruppen nicht erhöht, sondern müssen u.U. sogar gesenkt werden, wie dies 1985 der Fall war.
„The adverse seasonal conditions prevailing in 1985 resulted in a shortfall in foodgrains production and therefore the maximum entitlement was reduced from 20 kg to 12 kg rice per month“ (MIDS 1988: 150).
8.5 Auswirkungen des PDS auf Armutsgruppen
Ursprünglich im Zweiten Weltkrieg geschaffen als Instrument, um die damalige kriegsbedingte Nahrungsmittelkrise besser kontrollieren zu können, ist das PDS inzwischen zu einem wichtigen Faktor der Armutspolitik der indischen Regierung geworden und das, obwohl Indien - gemessen an der Nahrungsproduktion - heute erheblich besser dasteht als während des Zweiten Weltkrieges und der anschließenden Unabhängigkeit bis in die 70er Jahre hinein. Seither haben - parallel zu den über dem Bevölkerungswachstum ansteigenden Produktionszuwächsen - auch die Getreideaufkäufe der Zentralregierung stark zugenommen (Annadurai 1992: 21f; Parathasarathy 1994: 74). Man kann demnach schwerlich davon reden, daß das PDS heute vordringlich eine Maßnahme sei, die Verteilung knapper Güter zu lenken (Rao 1995). Die Möglichkeiten des Staates, mit Hilfe des PDS auf die Preisentwicklung des freien Marktes einwirken zu können, sind inzwischen in den Vordergrund getreten. Die Auswirkungen eines solchen „dualen Marktes“ für Nahrungsgetreide auf Armutsgruppen ist in der Literatur bislang lediglich ansatzweise behandelt worden. So ist es bis heute wirtschaftswissenschaftlich nicht geklärt, ob durch die staatlichen Eingriffe in den Getreidehandel ein Preisniveau verursacht wird, das höhere Konsumentenpreise bewirkt als wenn ein solches System nicht bestehen würde.1 Unzweifelhaft ist aber, daß durch das PDS die freien Marktpreise auf einem relativ hohen Niveau stabilisiert werden (vgl. Dantwala 1993; Radhakrishna/Rao 1994; Rao 1995). Daraus kann geschlossen werden, daß zumindest jene Armutsgruppen durch das PDS benachteiligt werden, die keinen Zugang zu ihm haben, also nicht einen Teil ihres Getreidebedarfs stark subventioniert beziehen können.
„[...] if some of the poor are excluded from the system (i.e., they are denied foodgrains from the public distribution system), they are doubly disadvantaged, for not only they are denied cheap grain from the Fair Price Shops, but the free market price is now substantially higher than it would have been in the absence of the dual price system“ (Tyagi 1990b: 87).
Aus diesem Grund wird bei einer lokalen/gruppenspezifischen Bewertung des PDS auch der Frage nachzugehen sein, welche Schwieirgkeiten bestehen, in den Genuß subventionierter Lebensmittel kommen zu können. Nicht nur die Unterversorgung ländlicher Gebiete, in denen die Mehrzahl von Indiens Armen leben, ist dabei von Bedeutung (Gupta 1977). In der Literatur wird z.B. häufig darauf verwiesen, daß arme Bevölkerungsgruppen sich den nur einmal im Monat möglichen Einkauf im Fair Price Shop nicht leisten können. Die Rationen in den Fair Price Shops werden monatlich2 ausgegeben, d.h. zum Zeitpunkt der Zuteilung muß der betreffende Haushalt über eine genügend große Summe Bargeld verfügen, um sich die ihm zustehende Ration überhaupt kaufen zu können. Kredite, die zu diesem Zweck aufgenommen werden müssen, verteuern die Ration, es sei denn, diese Kredite sind zinslos. Weitere Aspekte erschweren den Zugang zum PDS, so etwa die langen Wartezeiten vor den Läden, da die Zuteilung immer nur an einem bestimmten Tag im Monat erfolgt. Gelegentlich wird auch davon berichtet, daß Produkte nicht in der Qualität ausgegeben werden, wie sie den Fair Price Shops vorher zugeteilt worden waren (Roy 1992). Die Besitzer der Läden tauschen dann z.B. den erhaltenen Reis gegen Reis geringerer Qualität aus. Es muß angenommen werden, daß diese und weitere Beeinträchtigungen in der Funktion des PDS von Laden zu Laden sehr stark variieren, so daß eine Bewertung lediglich am konkreten Beispiel vorgenommen werden kann.
8.6 Das Public Distribution System in den 90er Jahren
Durch die Kredite, die Indien 1991 von der Weltbank und vom IWF erhalten hatte, verpflichtete sich das Land, sein Haushaltsdefizit deutlich abzubauen. In diesem Zusammenhang wurde auch ein deutlicher Rückgang der Nahrungssubventionen ins Auge gefaßt. Im Haushaltsplan für das Wirtschaftsjahr 1991/92 ist dies jedoch nicht geschehen. Die Nahrungssubventionen stiegen weiter an. Dies konnte allerdings nicht verhindern, daß die Nahrungsmittelpreise trotzdem dramatisch anstiegen (EPW 07.01.1995; The Hindu 25.1.1992). Dies hatte mehrere Gründe: Erstens sind die Subventionen, die die Regierung für das Public Distribution System bereitstellt, nicht die einzigen, die die Nahrungsmittelpreise beeinflussen. Sie sind absolut gesehen noch nicht einmal die höchsten. Zweitens kommt hinzu, daß sich durch die Abwertung der indischen Währung die landwirtschaftlichen Inputs verteuert hatten, zuminmdest jene, die oder deren Grundstoffe importiert werden müssen (The Hindu 28.8.1991). Drittens fallen die hauptsächlichen Kosten nicht dann an, wenn Nahrungsmittel in den FPS ausgegeben werden, sondern wenn die Regierung diese bei den Produzenten aufkauft und anschließend lagert. Mehrere guten Ernten gegen Ende der 80er Jahren und zu Beginn der 90er Jahren hatten dazu geführt, daß die Aufkäufe der Zentralregierung stark zugenommen hatten. Aus diesem Grund stiegen auch die Lagerkosten (Economic Survey 1993-94: 65). Anstatt in einer Periode ansteigender Nahrungsmittelpreise einen Teil der eingelagerten Getreidereserven in den freien Markt einzuspeisen, hortete die Regierung diese in ihren Buffer-Stocks.
„Despite six good monsoons in a row, the nation has continued to be in the throes of double-digit inflation, concentrated mostly in the prices of food and necessities [...] It hardly makes any sense to bear the cost of carrying a stockpile of foodgrains exceeding 30 million tonnes even as millions of our countrymen go without food“ (Frontline 24.3.1995: 98f).
Im Wirtschaftsjahr 1990/91 wurden von der Zentralregierung etwa 26 Mrd. Rs1 für das Public Distribution System ausgegeben, aber mehr als 40 Mrd. Rs für Düngemittelsubventionen. Hinzu kamen auch noch die Einnahmeverluste, die den Landesregierungen durch die niedrigen Energiepreise in der Landwirtschaft entstanden. Vor allem die Kürzung der Subventionen für Düngemittel2 führte dazu, daß die Nahrungsmittelpreise in die Höhe schossen. Aus wirtschaftlichen, hauptsächlich jedoch politischen Gründen mußte die Regierung nämlich die staatlichen Produzentenpreise für Nahrungsmittel deutlich anheben (EPW 07.01.1995). Dadurch ging auch der Issue Price der Zentralregierung für das PDS in die Höhe.
„Therefore [...] the entire burden would have to be borne by consumers of food. [...] They would have to pay progressively more for both what they purchase through the public distribution system and for what they purchase in the open market“ (The Hindu 25.1.1992).
Mit dieser Politik der Besänftigung der ländlichen Eliten wird eine Strategie weiterverfolgt, die erst unter Rajiv Gandhi Mitte der 80er Jahre begonnen worden war. Noch in den 70er Jahren stiegen die Erzeugerpreise in der Landwirtschaft sehr langsam. Damals verwies die Regierung darauf, daß durch die Grüne Revolution die Produktionsergebnisse und die Gewinnspanne der Landwirte sehr stark angestiegen seien, zumal die Produktionskosten durch eine Vielzahl von Erzeugersubventionen niedrig gehalten wurden. Gerade aus den Reihen jener Landwirte, die nicht von der Grünen Revolution profitieren konnten, weil sie zu wenig Land besaßen oder in nicht bewässerbaren Regionen lebten, traten viele den indischen Bauernverbänden bei. Hier wurde am deutlichsten die industriezentrierte Entwicklung wahrgenommen. Mit dem Erstarken der Bauernbewegungen wurden dann regelmäßig die landwirtschaftlichen Erzeugerpreise angehoben. Über den gesamten Zeitraum der 80er Jahre waren sie jedes Jahr um nicht mehr als fünf Rs/100 kg erhöht worden. Zwischen 1989 und 1991 wurde dann der Erzeugerpreis für Reis um 80 Rs/100 kg und der für Weizen um 59 Rs/100 kg angehoben, was die indische Regierung jährlich 10 Mrd. Rs zusätzlich kostete. Mit der Kürzung der Düngemittelsubventionen (1991) stiegen die Produktionskosten der Landwirte um ca. 7 Rs/100 kg. Trotzdem wurden sie mit einer Erhöhung der Erzeugerpreise um 25 Rs/100 kg „entschädigt“ (The Hindu 25.1.1992; vgl. EPW 07.01.1995: 21). Der hier beschriebene Trend ging auch in den folgenden Jahren weiter. Im März 1992 erklärte Premierminister Rao, daß eine Abschaffung der Nahrungssubventionen derzeit nicht beabsichtigt sei, auch wenn dies von Weltbank und IWF empfohlen worden war (The Hindu 11.3.1992). Im Winter/Frühjahr 1991/92 kündigte die indische Regierung auch an, ein Modified Public Distribution System einführen zu wollen (The Hindu 31.12.1991; 8.1.1992; 11.4.1992). Durch diese neue Initiative sollte das bestehende System auf besonders rückständige, ländliche Regionen ausgeweitet werden, damit die „ really needy “ Zugang zu verbilligten Nahrungsmitteln erhielten.1 Ebenfalls geplant war, den Zugang zum Public Distribution System in den Städten auf bestimmte Gruppen zu beschränken (Indian Express 2.2.1992), nachdem es im Januar desselben Jahres von Regierungsseite noch geheißen hatte:
„Though there were a few suggestions for delinking the rich and upper middle class from the PDS as part of an attempt to trim the foodgrains subsidy, the present Government has no such plans, according to the Union Minister of State for Civil Supplies and Public Distribution System, Mr. Kamaluddin Ahmed“ (The Hindu 8.1.1992).
Die Pläne, bestimmte Konsumentengruppen aus dem PDS auszuschließen, wurden auch in den folgenden Jahren immer wieder diskutiert.
„Nearly 40 per cent of the beneficiaries of the PDS, particularly in urban areas and the “creamy layer“ of consumers in rural areas, would be knocked off the system if the Advisory Council on the PDS endores the proposals of the Central Government“ (The Hindu 21.3.1993).
Ins Auge gefaßt war, für die ländliche Bevölkerung eine haushaltsbezogene jährliche Einkommensobergrenze von 8.500 Rs einzuführen. In den Städten sollten alle Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes, die ArbeitnehmerInnen im formellen privaten Sektor sowie alle Personen, die Einkommenssteuer zu entrichten haben, zukünfig keine subventionierten Nahrungsmittel mehr erhalten können (The Hindu 21.3.1993; Indian Express 26.3.1993). Eine parlamentarische Untersuchungskommission zur Reformierung des PDS legte Ende Juli 1993 einen Bericht vor, in dem ebenfalls eine stärkere Zielgruppenorientierung des PDS vorgeschlagen wurde (The Hindu 31.7.1993).
Bislang konnte sich die indische Regierung jedoch noch nicht zu diesem Schritt durchringen (India Today 15.02.1995). Politische, aber auch Verfahrensfragen2 sind die Ursachen dafür. Eine Reformierung des PDS wird jedoch unumgänglich sein. Das gegenwärtig bestehende System kostet die Regierung jährlich mehr als 30 Mrd. Rs. Eine Reduzierung des Berechtigtenkreises würde die Kosten stark verringern helfen. Die Regierung müßte geringere Getreidemengen auf dem Markt aufkaufen und könnte die Lager- und Transportkosten reduzieren. Eine willkommene Nebenwirkung wäre, daß die Preise auf dem freien Markt von dieser Maßnahme positiv beeinflußt würden, da eine geringere staatliche Intervention das Angebot an Nahrungsmitteln auf dem freien Markt vergrößern würde. Hierin dürfte wahrscheinlich der größte politische Sprengstoff der beabsichtigten Reformen liegen. Es sind wahrscheinlich weniger die relativ gesicherten Konsumentengruppen, die einer solchen Reform gegenüber ablehnend eingestellt sind. Viele dieser Konsumenten kaufen bereits heute gar nicht in den staatlichen Fair Price Shops ein, weil sie die bessere Qualität der Produkte auf dem freien Markt vorziehen und auf ihren subventionierten Nahrungsmittelanteil von sich aus verzichten. Eine Reformierung des Systems würde auch ihnen wahrscheinlich Vorteile in Form von niedrigeren Nahrungsmittelpreisen auf dem freien Markt einbringen. Anders die Getreidehändler. Sie profitieren vom bestehenden System aus zweierlei Gründen. Erstens werden dadurch die Getreidepreise auf einem relativ hohen Niveau stabilisiert. Zweitens profitieren die Händler gerade davon, daß bessergestellte Konsumenten auf ihre Rationen verzichten. Solange diese nämlich offiziell Zugang zum PDS haben, werden ihre Rationen in den Fair Price Shops bereitgehalten. Rationen, die am Monatsende nicht abgeholt wurden, können relativ einfach in den freien Markt eingespeist werden.
Anfang 1995 hatte die indische Regierung über 30 Mio. Tonnen Getreide eingelagert (Rao 1995). Obwohl 1993 und auch 1994 die Preise für Nahrungsmittel weiterhin stärker als für alle anderen Produkte anstiegen, sah sich die Regierung nicht dazu veranlaßt, aus ihren Beständen Getreide in den freien Markt einzuspeisen und damit einen Preisrückgang zu erreichen. Ganz im Gegenteil: Auch 1993 kaufte sie 28 Mio. Tonnen Getreide auf, während sie durch die Fair Price Shops lediglich 15,1 Mio. Tonnen ausgab. Damit reduzierte sie das verfügbare Angebot um fast 13 Mio. Tonnen (Economic Survey 1993-94: S-25). Zwischenzeitlich war der staatliche Abgabepreis sogar über den freien Marktpreis gestiegen (Muralidharan 1995: 25). Mit dieser Entwicklung erlebten auch die ländlichen Beschäftigungsprogramme einen starken Einbruch, da diese in der Regel als Food-for-Work-Programme konzipiert sind.
The irrationalities of food policy have had an impact on rural employment programmes. The government's showpiece programme for boosting employment and earnings in depressed rural areas - the Jawahar Rozgar Yojana (JRY) - is today languishing in official apathy. In 1991-92, the first year of reforms, a quantum of 380,000 tonnes of foodgrains was allocated for direct distribution in lieu of wages to JRY beneficiaries. The actual offtake was only 31,000 tonnes. In the following two years, the foodgrains allocations were actually cut. Enquiring into the reasons for this, the Parlamentary Standing Committee on Rural Development observed that the price at which foodgrains is issued through the JRY has tended progressively to exceed the market price. This has impelled workers to demand payment in cash rather than in kind“ (Muralidharan 1995: 25).
Viel stärker als die indische Zentralregierung sind jedoch die einzelnen Landesregierungen vom gegenwärtig bestehenden System finanziell betroffen, da diese den Endverkaufspreis der Produkte festlegen. Von den Konsumenten werden sie für die Preissteigerungen verantwortlich gemacht, denn in den Zeitungen ist zu lesen: „ The State Government has increased the price of rice issued in the Public Distribution System “ (The Hindu 31.1.1993) oder „ Now that the Assembly session is over, the Tamil Nadu Chief Minister, Ms. Jayalalitha, is going into the feasibility of increasing the issue price of rice in the Public Distribution System “ (The Hindu 8.10.1991).
Trotz der mehrmaligen Erhöhung des Issue Price werden Reis und auch andere Nahrungsmittel von den Landesregierungen an die Konsumenten nach wie vor zu einem Bruchteil dessen abgegeben, was die Landesregierungen dafür an die Zentralregierung zu entrichten haben. Ohne die Subventionen der Landesregierungen hätte 1994 ein kg Reis in Tamil Nadu fast sechs Rs gekostet. Verkauft wurde es tatsächlich für 2,50 Rs. Die seit Jahren diskutierte Reformierung des Public Distribution Systems in Tamil Nadu wurde trotzdem inzwischen wohl auf Eis gelegt. Noch im April 1992 verkündete Ministerpräsidentin J. Jayalalitha, daß ab dem 1. Juni 1992 für den Bezug von subventionierten Nahrungsmitteln und Kerosin eine Einkommensobergrenze von 750 Rs monatlich eingeführt werden solle (The Hindu 22.4.1992). Bis Ende 1994 war diese sinnvolle Absicht jedoch immer noch nicht umgesetzt. Wie die Zentralregierung können sich auch die Landesregierungen nicht dazu durchringen, die Reformierung des PDS endgültig zu verabschieden. Ganz im Gegenteil: nicht zuletzt durch die populistische Reispolitik von N.T. Rama Rao konnte die Telugu Desam im Winter 1994 die Congress-Partei aus der Regierungsverantwortung in Andhra Pradesh ablösen.
„The reason is simple, as reflected in some basic questions asked by the voters: who will give food at a cheap rate, who will implement total prohibition, who will give relatively cheap electricity to irrigate the fields? In all these respects the people seem to have thought NTR would do better. [...] It was a vote for food“ (Ilaiah 1995: 46).1
8.6.1 Das PDS und die Politische Ökonomie Indiens
Bereits bei der Beschreibung der drängendsten Probleme des Public Distribution Systems wurde deutlich, daß das System und die Chancen seiner Reformierung nur aus den unterschiedlichen Kräfteverhältnissen in der indischen Gesellschaft zu erklären und abzuschätzen sind. Produzenten und Konsumenten haben deutlich unterscheidbare Interessen. Zwischen ihnen steht die mächtige Lobby der Groß- und Einzelhändler.
Indiens Agrarstrategie der 70er Jahre (Grüne Revolution) hatte bewirkt, daß das Angebot an Nahrungsmitteln deutlich gesteigert werden konnte. Weniger rasch stiegen allerdings die Einkommen bedeutender Konsumentengruppen, am wenigsten die der Landarbeiter. Die Produktionskosten waren aber gerade durch den kapitalintensiven Einsatz von Energie, Düngemitteln und Pestiziden in die Höhe geschnellt. Preissteigerungen konnten bislang durch Subventionen an Produzenten und Konsumenten unter Kontrolle gehalten werden. Durch die zunehmende interne und externe Verschuldung des indischen Staates geht jedoch die Bereitschaft und die Fähigkeit der Regierung zurück, solche Subventionen auch weiterhin zu bezahlen. Weltbank und IWF setzen die Regierung durch ihre Auflagen zum Subventionsabbau zusätzlich unter Druck (EPW 07.01.1995: 21). Was sich ökonomisch als sinnvoll darstellt, ist politisch aber kaum durchsetzbar, da die Regierungen von mehreren Seiten unter Druck geraten: die Zentralregierung sowohl von seiten der Produzenten als auch der Händlergruppen, die Landesregierungen hauptsächlich von seiten der Konsumenten.
Die Förderung von Agrarexporten könnte diese verfahrene Situation teilweise auflösen. Indem Nahrungsmittel verstärkt exportiert werden, braucht die indische Regierung nicht mehr durch ihre Aufkäufe ins Marktgeschehen einzugreifen. Die Preise ließen sich durch die Exporte auf einem relativ hohen Stand halten, da diese ökonomisch genauso wirken wie die staatlichen Aufkäufe: sie verringern das verfügbare Angebot. Für die indische Regierung ist dies sogar die elegantere Lösung, denn zusätzlich strömen Devisen ins Land und Lager- und Transportkosten in Zusammenhang mit dem PDS verringern sich. Durch die Förderung von ausgesprochenen Exportkulturen (Schnittblumen, Gemüse, tropische Früchte, Garnelenaquakulturen etc.) werden gleichzeitig Betriebsflächen aus der Nahrungsproduktion für den Binnenmarkt herausgenommen. Auch dadurch verringert sich das Nahrungsmittelangebot.
Parallel dazu versucht die Zentralregierung, die Nahrungssubventionen zum Teil auf die Bundesländer abzuwälzen, indem der Issue Price erheblich angehoben wurde. Es ist allerdings fraglich, ob die derzeit noch amtierende Congress-Regierung dies auf Dauer wird durchhalten können, ohne die Oppositionsparteien sowohl auf zentralstaatlicher als auch auf bundesstaatlicher Ebene aufzubauen. Aus der Perspektive der Bundesländer erhalten dadurch Nicht-Congress-Parteien einen starken Wählerzulauf, wie sich in den Wahlen Ende 1994/Anfang 1995 eindrücklich zeigte. Langfristig betrachtet führt jedoch eine populistische Nahrungspolitik zu einer weiterhin explosionsartig ansteigenden Verschuldung der Bundesländer (Balagopal 1995: 136).
Die starke Förderung von Exportkulturen bietet allerdings nur vordergründig eine Lösung des Problems. Auch wenn in den vergangenen Jahren immer überdurchschnittliche Ernteergebnisse erzielt werden konnten, kann nicht in jedem Jahr von einer solch positiven Situation auf der Angebotsseite ausgegangen werden. Äußerst gefährlich wäre es deshalb, wenn die Regierung - wie angekündigt - tatsächlich ihre Buffer-Stocks erheblich reduzieren würde und auftretende Angebotsdefizite durch Nahrungsimporte ausgleichen wollte. Die Buffer-Stocks sind notwendig, damit die Regierung in Dürrejahren rechtzeitig - etwa in Form von Food for Work-Programmen- ins Nahrungssystem eingreifen kann.
„India's success in preventing droughts and other natural disasters from developing into large-scale famines since independence is not a spurious one. The entitlement system defined by the operation of the economy and the ordinary level of State provisioning leaves a large part of the population highly vulnerable to starvation in times of crisis. On serveral occasions, famine would undoubtedly have occured in the absence of early and effective intervention to protect the entitlements of vulnerable groups“ (Dre?e 1990: 97).
Abgesehen davon, daß Importe häufig viel zu spät eintreffen, um wirksam die Folgen einer Dürre abmildern zu können, ist es auch fraglich, ob dies für die Regierung billiger wäre. Aufschlußreich in diesem Zusammenhang ist der „Zucker-Skandal“, der 1994 fast zum Rücktritt der Zentralregierung geführt hätte: bereits im Oktober 1993 hatte sich angedeutet, daß die Zuckerproduktion weit hinter den Prognosen zurückbleiben würde und daß zur Vermeidung kräftiger Preisanstiege mindestens eine Million Tonnen Zucker für das PDS hätten importiert werden müssen (The Hindu-IE 11.6.1994). In den folgenden Monaten stritten sich die zuständigen Ministerien, ob diese Importe tatsächlich notwendig seien. Der Ernährungsminister K. Rai war gegen Importe,1 während sich der Minister for Civil Supplies, A.K. Antony, für Zuckereinfuhren aussprach, da ansonsten der Preis für ein Kilogramm Zucker wahrscheinlich die 20 Rs-Grenze überschreiten würde (The Hindu 24.12.1994; Swami 1994: 114). In den kommenden Monaten stellte sich heraus, daß die ohnehin als niedrig vorausgesagte Zuckerproduktion bei weitem nicht erreicht werden konnte. Obwohl im März 1994 der Import von einer Million Tonnen Zucker beschlossen worden war, geschah zunächst nichts. Erst im Mai 1994 wurde eine erste internationale Ausschreibung über die Lieferung von 600.000 Tonnen Zucker ausgegeben, die jedoch bereits am nächsten Tag vom Ernährungsminister wieder rückgängig gemacht wurde. Der Grund dieser Entscheidung war, daß sich auf die Ausschreibung nur Anbieter gemeldet hatten, die nicht Mitglied des Internationalen Zuckerkartells (Refined Sugar Association (RSA)) waren. Das niedrigste Angebot, das eingegangen war, betrug 260 US-Dollar/Tonne Zucker.
„The STC (State Trading Corporation, d. Verf.), instead, entertained bids only from RSA members, accepting bids for relatively small lots, in the limited range of $380-405 a tonne: over $100 a tonne more than non-RSA traders's offers“ (Swami 1994: 116).
Durch die Hinhaltetaktik der Verantwortlichen und ihre Weigerung, das günstigste Angebot zu akzeptieren, konnten nicht nur die inländischen Zuckerhändler monatelang von den hohen Zuckerpreisen profitieren, sondern der Schaden für die indische Regierung war ebenfalls groß. Mehr als 6,5 Mrd. Rs an zusätzlichen Subventionen mußte die Regierung bereitstellen, als die überteuerten Importe über das PDS vertrieben wurden (Swami 1994: 117). Die Preise in den Fair Price Shops gingen trotzdem stark in die Höhe: bereits im Februar 1993 war der Zuckerpreis von 6,90 auf 8,30 Rs erhöht worden. Im Januar 1994 wurde der Preis dann auf 9,05 Rs festgelegt (The Hindu-IE 5.2.1994).
Der Preis für Nahrungsmittel ist nicht nur eine ökonomische Größe. Über ihn kommt der Einfluß bestimmter Gruppen auf die Regierung zum Ausdruck. Selbst wenn auf eine staatliche Intervention vollständig verzichtet würde, wäre dies so. Der Verzicht auf eine Intervention wäre gleichzeitig eine Unterstützung jener Interessen, die die Warenströme dahin zu lenken gedenken, wo sie die höchsten Gewinne einbringen. In einer Gesellschaft, in der ein beträchtlicher Teil der Menschen dauerhaft von Unterernährung bedroht ist, weil die notwendigen Nahrungsmittel zwar vorhanden, aber viel zu teuer sind, muß die Politik reglementierend in das Nahrungsverteilungssystem eingreifen. Äußerst fraglich ist allerdings, ob die indische Regierung dies auch im Interesse der Armutsgruppen tatsächlich macht. Eine Reformierung des Public Distribution Systems ist dringend geboten. Gruppen, die sich ihre Nahrungsmittel ohne staatliche Unterstützung kaufen können, müssen - schon um der Finanzierbarkeit des Systems willen – ausgegrenzt werden. Gleichzeitig wäre es aber zumindest kurz- bis mittelfristig notwendig, daß die indische Regierung verhindert, daß Nahrungsmittel exportiert werden. Dies wird so lange geboten sein, bis durch eine gestiegene Kaufkraft der Bevölkerung die Nahrungsmittel gar nicht exportiert werden müssen, weil die Produzenten auch auf dem indischen Markt lohnende Preise erhalten könnten. Bevor dies allerdings so weit ist, muß sich die Politische Ökonomie Indiens vollständig umstrukturien. Dies in absehbarer Zeit zu erwarten, ist jedoch eine Illusion. Die Anzeichen deuten vielmehr darauf hin, daß sich die internen Gegensätze verschärfen und zu einer weiteren Polarisierung der Gesellschaft führen.
Notwendig wären letztlich nicht staatliche Verteilungssysteme und staatliche Beschäftigungsprogramme in Form von Food-for-Work-Programmen, sondern es wäre vielmehr geboten, allen Beschäftigten einen Verdienst zu ermöglichen, der sie zum Kauf von Nahrungsmitteln und anderen Waren des Grundbedarfs, aber auch zur Teilnahme am gesellschaftlichen Leben ermächtigt. Notwendig wäre es weiterhin, daß genügend solcher Arbeitsmöglichkeiten geschaffen werden können. Bislang deutet wenig darauf hin, daß dies in absehbarer Zeit erreicht werden kann. Im folgenden Kapitel soll deshalb der Frage nachgegangen werden, ob der Staat durch seine Sozialpolitik zumindest erreichen kann, daß verwundbare Teile seiner Gesellschaft wenigstens wirkungsvoll sozial abgesichert sind.
9 Die Bedeutung Sozialer Sicherungssysteme
Nicht zuletzt wegen den Auswirkungen makroökonomisch orientierter Strukturanpassungsprogrammen in den 80er Jahren, die in vielen Staaten der Dritten Welt Armut verschlimmert haben, nimmt heute die Beschäftigung mit Aspekten der Sozialen Sicherung in sog. Entwicklungsländern eine besondere Rolle ein (Scheffold 1993; Wolff 1993). „ Adjustment with a human face “ (UNICEF 1987) ist in diesem Zusammenhang zu einem Schlagwort geworden, das hervorheben soll, daß wirtschaftliche Anpassungsprozesse durch soziale Abfederung begleitet sein müssen. Eine Sozialpolitik, die vor allem arme Bevölkerungsgruppen in den Mittelpunkt stellt, muß im Prozeß der Strukturanpassung jedoch von zwei Seiten unter Druck geraten. Erstens von seiten der kreditgebenden Institutionen, in deren Forderungskatalog sich immer auch die Reduzierung der konsumptiven Staatsausgaben befindet. Zwischen den Maßnahmen der Strukturanpassung, so wie sie von Weltbank und IWF gefordert werden und der Forderung nach Sozialverträglichkeit dieser Maßnahmen ist häufig gar keine Kohärenz herzustellen (Hauser 1993; Hofmeier 1993). So ist es verständlich, daß der Entstaaatlichung sozialer Aufgaben eine hohe Priorität eingeräumt wird und Nichtregierungsorganisationen, aber auch die private, gegenseitige Hilfe (z.B. Nachbarschaftshilfe) zunehmend an Bedeutung gewinnen. Die Gefahr der Entpolitisierung sozialer Bereich darf in diesem Zusammenhang nicht übersehen werden. Schon heute haben Armutsgruppen in sog. Entwicklungsländer kaum einklagbare soziale Rechte. Ein weiterer Rückzug des Staates aus sozialen Bereichen wird die Situation dieser Gruppen kaum verbessern (vgl. Burges/Stern 1991). Zweitens sind in einer Situation, in der die Ausgaben in sozialen Bereichen zurückgehen, interne Verteilungskämpfe zu erwarten. Die Frage, welche Programme und Maßnahmen beschnitten werden, um Subventionen im sozialen Bereich zu verringern, ist immer auch eine Frage nach dem Einfluß unterschiedlicher Gruppen auf den politischen Prozeß. In diesem Zusammenhang erhält das „ Targeting “ einzelner, von der Weltbank im Rahmen von sozialen Abfederungsmaßnahmen finanzierter Programme, eine höchst brisante, innenpolitische Komponente (Edling 1993).
Der Begriff der Sozialen Sicherheit hat zwei unterschiedliche Bedeutungsinhalte. Zum einen umschreibt er eine gesellschaftspolitische Leitidee, zum anderen den konkreten Schutz vor bestimmten Risiken, der durch private und staatliche Maßnahmen sichergestellt werden soll.
Art. 22 der Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen bestimmt:
„Jeder Mensch hat als Mitglied der Gesellschaft Recht auf soziale Sicherheit; er hat Anspruch darauf, durch innerstaatliche Maßnahmen und internationale Zusammenarbeit unter Berücksichtigung der Organisation und der Hilfsmittel jedes Staates in den Genuß der für seine Würde und die freie Entwicklung seiner Persönlichkeit unentbehrlichen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte zu gelangen“ (zit. nach: Staatslexikon Bd.4, 1988: 1274).
Soziale Sicherheit beinhaltet demnach die Forderung nach Teilhabe an allen gesellschaftlich relevanten Lebensbereichen für jedermann im Sinne der allgemeinen Menschenrechte. Soziale Sicherheit hat darüberhinaus jedoch auch die (finanzielle) Absicherung des Individuums (und seiner Angehörigen) vor sog. Standardrisiken wie Krankheit, Arbeitslosigkeit, Alter, Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten, Familienlasten, Mutterschaft, Invalidität, Tod des Unterhaltspflichtigen etc. zum Inhalt (Queisser 1993: 245; Staatslexikon Bd.4, 1988: 1274). In diesem Sinne versteht das Internationale Arbeitsamt (International Labour Office, ILO) unter Sozialer Sicherheit
„the security furnished by a society to its members through a set of organised measures, the purpose of which is, in so far as possible, to prevent the occurence of certain contingencies involving a loss or substantial reduction of income or extra expenses for medical treatment, and to provide a financial guarantee against the economic consequence of these contingencies when they do occur, and also to provide benefits for the maintenance of the children“ (ILO 1968: 3).
Durch gesellschaftliche Modernisierungsprozesse, die zu einer Umgestaltung nicht-staatlicher Sicherungssysteme geführt haben, überschneiden sich diese beiden Aspekte der Sozialen Sicherheit immer mehr, da dem Staat in seiner öffentlichen Ordnung immer mehr die Rolle zufällt, Menschen vor sozialen Risiken institutionell abzusichern. Dabei stehen ihm „vorsorgende“ (promotional) und „absichernde“ (protective) Mittel zu Verfügung.
„By promotional measures, we mean those that aim at averting or ameliorating conditions and contingencies such as low incomes (through growth-mediated as well as direct anti-poverty programmes), unemployment (through employment generation), and sickness (through preventive and curative health facilities)“ (Guhan 1989: 1).
Dementsprechend handelt es sich bei den protective measures um Maßnahmen, die Personen und Gruppen absichern sollen, wenn die promotional measures versagt haben oder unzureichend sind (vgl. Burges/Stern 1991: 43; Osmani 1991).
In den Kapiteln zur Politischen Ökonomie Indiens wurden in der vorliegenden Arbeit wichtige Aspekte dieser promotional measures immer wieder angesprochen. Dem indischen Staat ist es weder gelungen, ausreichende Beschäftigungsmöglichkeiten für seine Bewohner zu schaffen, noch Armut in großem Umfang zu beseitigen. Eine Umverteilung gesellschaftlichen Reichtums „von unten nach oben“ hat zu einer weiteren Polarisierung der indischen Gesellschaft geführt, und die eingeleitete Strukturanpassungspolitik hat Armutsgruppen noch verwundbarer werden lassen. Ländliche Beschäftigungsprogramme (z.B. das Jawahar Rozgar Yojana), die Verteilung von Produktivvermögen an Armutsgruppen (z.B. durch das Integrated Rural Development Programme) oder auch Programme im Bereich der Befriedigung von Grundbedürfnissen (z.B. das Twenty Point Programme) haben wenig dazu beigetragen, daß Armutsgruppen in nennenswertem Umfang an der gesellschaftlichen Entwicklung haben teilnehmen können.
„Eine Zusammenfassung aller Armenprogramme sowie deren Wirkung auf die Entwicklung des Landes ergibt, daß die Armenprogramme zwar drohende Hungersnöte [...] verhindern konnten, aber weder die Armen in einen von ihnen selbstständig getragenen sozioökonomischen und demokratischen Entwicklungsprozeß integrieren, noch das Gesamtsystem derart dynamisieren, daß die BPLP (“below poverty line people“, d.Verf.) über “trickle-down“ und paternalistische Gesellschafts- und Wirtschaftsgestaltung der Ober- und Mittelschichten in einen Prozeß zur Überwindung von Unterentwicklung haben eintreten können. [...] Die Armenprogramme sind somit als Hilfsmaßnahmen zu bewerten, die Entwicklung eher ausschließen als fördern“ (Bauer 1990: 385).
Der indische Staat ist demnach den Verpflichtungen, die er sich in den Art. 36 - 51 seiner Verfassung selbst auferlegt hat, nicht nachgekommen, insbesondere nicht den Prinzipien, die in Art. 39 niedergelegt sind:
„The State shall, in particular, direct its policy towards securing
(a) that the citizen, men and women equally, have the right to an adequate means of livelihood;
(b) that the ownership and control of the material resources of the community are so distributed as best to subserve the common good;
(c) that the operation of the economic system does not result in the concentration of wealth and means of production to the common detriment;
(d) that there is equal pay for equal work for both men and women;
(e) that the health and strength of workers, men and women, and the tender age of children are not abused and that citizens are not forced by economic necessity to enter avocations unsuited to their age or strength;
(f) that children are given opportunities and facilities to develop in a healthy manner and in conditions of freedom and dignity and that childhood and youth are protected against exploitation and against moral and material abandonment “(COI 1992: 22; vgl. Heinemann 1971: 13ff).
Das Versagen des indischen Staates bei der Durchführung dieser Prinzipien soll an dieser Stelle nicht dokumentiert werden. Vielmehr wird zu fragen sein, ob er wenigstens durch protective measures eine Mindestabsicherung der verwundbaren Gruppen sicherstellen kann.
Wenn in diesem Zusammenhang von Systemen der Sozialen Sicherheit gesprochen wird, dann sollen dabei zunächst nur die staatlichen Initiativen angesprochen werden, die einen Schutz vor bestimmten Risiken gewähren. Die angesprochenen nicht-staatlichen, d.h. in gesellschaftlichen Normen und Strukturen verankerten Prinzipien und Organisationsformen, die häufig auch Bereiche der Sozialen Sicherheit der Mitglieder einer Gesellschaft abdecken (vgl. Gsänger 1993; Platteau 1991; Queisser 1993: 245),1 können sinnvollerweise nur auf der regionalen/lokalen Ebene untersucht werden, weil diesbezüglich erhebliche regionale, gesellschaftliche und kulturelle Differenzierungen zu erwarten sind. Deshalb werden diese Aspekte erst bei der empirischen Aufarbeitung der Systeme der Sozialen Sicherheit im Rahmen der Fallstudie aufgegriffen.
9.1 Das System der Sozialen Sicherheit im formellen Sektor Indiens
Wie auch das staatliche Verteilungssystem für Nahrungsmittel fallen auch die staatlichen Initiativen zur Sicherstellung der Sozialen Sicherheit in den Zuständigkeitsbereich sowohl der Zentralregierung als auch der Länderregierungen. Die Zuständigkeit wird in der Konkurrierenden Liste der Staatsaufgaben geregelt. Sowohl Zentral- als auch Landesregierungen haben damit das Recht, Gesetze zu erlassen, die die Soziale Sicherheit der Staatsbürger zum Inhalt haben. Bereiche, die zwar nicht im engeren Sinne unter den Begriff der Sozialen Sicherheit fallen, mit ihm jedoch sehr eng verbunden sind - wie z.B. Bildung, Gesundheitswesen etc. fallen in aller Regel in den Zuständigkeitsbereich der Länder. In Abschnitt 4 der indischen Verfassung werden bestimmte Prinzipien festgelegt, die die staatliche Gewalt bei ihren Politiken verfolgen soll.2 Besonders in Art. 41 und Art. 42 der Verfassung ist ein System der Sozialen Sicherheit vorgesehen, jedoch nicht vorgeschrieben (vgl. Patil 1978: 108ff).3
Seit der Unabhängigkeit wurde eine Vielzahl von Gesetzen verabschiedet, die das Sozialversicherungswesen im formellen Sektor regeln. Die Initiative ging dabei hauptsächlich von der Zentralregierung aus, wobei die Durchführung häufig den Länderregierungen überlassen wurde. Anders bei den Sozialversicherungsprogrammen für den informellen Sektor. Abgesehen von einigen wenigen Programmen, die von der Zentralregierung initiiert wurden, waren es hier hauptsächlich verschiedene Länderregierungen, die in diesem Bereich tätig wurden. Bislang kann man aber von einem Sozialversicherungssystem nur im Hinblick auf den formellen Sektor sprechen, da die Programme für den informellen Sektor nur ganz spezielle Zielgruppen ins Auge fassen, der gewährte Schutz als lediglich minimal zu bezeichnen ist und die verschiedenen Maßnahmen auch nur selten aufeinander abgestimmt sind. Hinzu kommt, daß im informellen Sektor bestehende Ansprüche häufig gar nicht durchgesetzt werden können, und die Gewährung von Leistungen deshalb mehr oder weniger willkürlich ist.
In Indien besteht gegenwärtig eine Dreiteilung im Bereich der formellen Sozialen Sicherheit. Die beste und umfassendste Absicherung genießen die Beschäftigten der Zentral- und Länderregierungen und anderer staatlicher und quasi-staatlicher Einrichtungen wie kommunale Körperschaften, Universitäten etc. 1989 betraf dies knapp 19 Millionen Beschäftigte und ihre Angehörigen. Für den privaten Bereich der organisierten Wirtschaft, d.h. Unternehmen mit mehr als 10 Vollzeitbeschäftigten, besteht ein ähnlich umfassendes System, bei dem die Leistungen in der Regel jedoch geringer sind. Hinzu kommt, daß die Vorsorge im Falle der Arbeitslosigkeit nicht geregelt ist. In diesem Bereich waren 1989 knapp 7,5 Millionen Menschen beschäftigt (Agrawal et al. 1993: 100). Nach der jüngsten Volkszählung gingen 1991 in Indien 285,4 Millionen Menschen einer Vollzeitbeschäftigung nach (Agrawal et al. 1993: 83). Während also weniger als 20 Millionen Beschäftigte und deren Angehörige von den bestehenden Sozialversicherungsgesetzen erfaßt wurden, blieben über 260 Millionen berufstätige Menschen und ihre Angehörigen von ihnen ausgeklammert. Entsprechend dieser Diskrepanz zwischen dem formellen und dem informellen Sektor (einschl. der Landwirtschaft) könnte man leicht von einem Dualismus bei der Sozialversicherung sprechen. Ein solcher Dualismus wäre allerdings nur dann gegeben, wenn sich bei der Sozialversicherung beide Sektoren unverbunden gegenüberständen. Die Maßnahmen in den Bereichen der Sozialen Wohlfahrt und Sicherheit hatten in Indien auch immer das Ziel, die Produktionskosten von Unternehmen zu senken bzw. teilweise auf den Staat zu verlagern. Patil (1978) vermerkt dazu:
„There was a time when labour welfare was regarded as a means to keep the wages as low as possible [...] Quite a good number of welfare minded employers provided a variety of welfare amenities for the benefit of their workers, but paid wages lower than the prevailing rates“ (Patil 1978: 89).
Auch im ersten Fünf-Jahres-Plan wird auf den Zusammenhang von sozialen Sicherungsmaßnahmen und der industriellen Entwicklung hingewiesen. Auch wenn Artikel 41 der Verfassung grundsätzlich für alle Bürger Indiens gelte, solle der Schutz der Industriearbeiterschaft im Vordergrund stehen:
„The industrial worker is more liable to desease and invalidity than the average citizen. The man-days lost on account of sickness and disability constitute a heavy drain not only on the slender resources of the industrial workers but also on the industrial output of the country. Lack of social security impedes increased production, leads to larger labour turn-over, and prevents the building up of a stable, efficient labour force“ (Planning Commission 1954: 585).
Die Anfänge eines indischen Sozialversicherungssystems selbst reichen jedoch bis in die Zeit vor der Unabhängigkeit zurück (vgl. das Gupta 1994, Heinemann 1971).
Mit dem Workmen's Compensation Act (WCA) von 1923 wurde erstmals Arbeitern (oder ihren Angehörigen) bei einem Arbeitsunfall oder einer bestimmten Berufskrankheit ein gesetzlicher Entschädigungsanspruch zugestanden (Bhattarai 1989: 531f.; Heinemann 1971: 60ff, 102ff); Wadhawan 1972: 437). Dieses Gesetz stellt heute den Mindestschutz bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten dar.1
1929 folgte der Bombay Maternity Act, der anschließend auch den Mutterschaftsschutz in anderen Provinzen regelte (Patil 1978: 109; Rath 1978: 217). Mit dem Maternity Benefit Act von 1961 wurde der Mutterschaftsschutz neu festgelegt. In diesem Gesetz wurde ein Kündigungsschutz für Schwangere eingeführt, die Beschäftigung von schwangeren Frauen für den Zeitraum von sechs Wochen vor und sechs Wochen nach der Entbindung eingeschränkt und die volle Lohnfortzahlung für diesen Zeitraum verpflichtend gemacht. Vorgesehen ist ferner die kostenlose ärztliche Betreuung vor und nach der Geburt (vgl. Heinemann 1971: 132-141).2
Mit der Verabschiedung des Employees' State Insurance Act von 1948 wurde mit der Krankenversicherung ein weiterer Bereich der Sozialen Sicherheit gesetzlich geregelt. Verschiedene Kommissionen hatten dies bereits seit 1928 versucht, waren jedoch, hauptsächlich wegen der schwierigen Finanzierung, zunächst gescheitert (Rath 1978: 217f). Heute stellt das gesetzliche Krankenversicherungssystem zusammen mit der gesetzlichen Altersvorsorge den Grundpfeiler des indischen Sozialversicherungswesens dar. Die staatliche Versicherungsanstalt für Arbeitnehmer (Employees' State Insurance Corporation) unterhält mittlerweile in ganz Indien etwa 125 Krankenhäuser, die nur ihren Mitgliedern offenstehen. Zusätzlich haben 42 staatliche Krankenhäuser eigene Abteilungen für Mitglieder der Krankenkasse. Hinzu kommen mehr als 1600 Ambulanzen und Diagnosenzentren und über 3700 niedergelassene Ärzte (Ramaswamy 1993: 3).
Die Altersvorsorge war bereits durch den Provident Fund 1 Act von 1925 geregelt worden, allerdings nur für Regierungsangestellte. Nach der Unabhängigkeit wurde das System der gesetzlichen Vorsorgekassen auf weitere Gruppen des formellen Sektors ausgedehnt. Während der Employees' Provident Fund Act bei seiner Verabschiedung 1952 lediglich sechs Industriezweige abdeckte, war er bis Mitte der 80er Jahre auf 173 Bereiche ausgedehnt worden (Bhattarai 1989: 535; Johri 1982: 109).
1971 wurde dem Vorsorgefond der Angestellten ein Employees' Family Pension Scheme angegliedert (Guhan 1992: 114). Beim vorzeitigen Tod eines Versicherten hatte sich herausgestellt, daß seine bislang geleisteten Einzahlungen häufig nicht ausreichten, um seine Angehörigen langfristig abzusichern.
„Vorgesehen sind im Rahmen des Familienrentensystems eine Familienrente und eine Versicherungsleistung an die Witwe oder andere unterhaltsberechtigte Angehörige des verstorbenen Versicherten sowie für die überlebenden Versicherten eine einmalige Abfindung beim Eintritt in den Ruhestand“ (Bhattarai 1989: 536).
1976 wurde mit dem Employees' Deposit-linked Insurance Scheme die Hinterbliebenenversorgung im Rahmen der Vorsorgekassen weiter ausgebaut. Bei dieser einlagengebundenen Versicherung erhalten die Angehörigen eines Versicherten - zusätzlich zu dessen Fondsguthaben und zusätzlich zur Familienrente - einen Betrag, der dem durchschnittlichen Fondsguthaben der vorausgegangenen 12 Monate entspricht, jedoch nicht mehr als 25.000 Rs (Bhattarai 1989: 536). Die Beiträge für diese Zusatzversicherung teilen sich Arbeitsgeber und Zentralregierung (Garg 1993: 44,46,55).
Auch in anderen Sozialversicherungsbereichen wurde der Kreis der Anspruchsberechtigten beständig ausgeweitet und die Leistungen verbessert. So sind seit 1956 durch die gesetzliche Krankenversicherung auch Familienangehörige mitversichert (Rath 1978: 223). Unzureichend geregelt ist bislang die Absicherung im Falle des Arbeitsplatzverlustes Eine Arbeitslosenversicherung gibt es in Indien bislang nicht. Nach dem Industrial Disputes Act ist der Arbeitgeber allerdings dazu verpflichtet, bei unfreiwilliger Unterbrechung (lay-off) oder Beendigung (retrenchment) des Arbeitsverhältnisses dem Arbeitsnehmer eine Überbrückungsentschädigung zu zahlen. Diese Entschädigung hat der Arbeitgeber alleine aufzubringen, eine Beitragspflicht für den Arbeitnehmer besteht also nicht (Heinemann 1971: 186). Es gibt allerdings vielzählige Gründe, bei deren Vorliegen der Arbeitgeber von der Bezahlung einer Entschädigung befreit ist, so etwa bei: einer vom Arbeitnehmer selbst verschuldeten oder freiwilligen Kündigung, bei einem altersbedingten Ausscheiden aus dem Betrieb, bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses in Folge einer langandauernden Krankheit des Arbeitnehmers, beim Auslaufen eines zeitlich befristeten Arbeitsverhältnisses (Garg 1992: 128f). Bei vorübergehender Nichtbeschäftigung erhält der Arbeitnehmer eine Entschädigung in Höhe von der Hälfte des Grundlohnes (einschließlich des Teuerungszuschlages). Diese Entschädigung muß für alle Arbeitstage jener Wochen bezahlt werden, an denen der Arbeitnehmer nicht mindestens einen Tag gearbeitet hat (Garg 1992: 129; Heinemann 1971: 189). Im Falle einer Entlassung erhält der Arbeitnehmer eine Entschädigung, deren Höhe ermittelt wird, indem man den Verdienst der letzten 15 Tage mit der Anzahl der Beschäftigungsjahre multipliziert (golden handshake). Ein nach zehn Jahren entlassener Arbeitnehmer erhält also eine Entschädigung in Höhe von fünf Monatslöhnen (Garg 1992: 132; Heinemann 1971: 190). Als vorübergehender Schutz vor Arbeitslosigkeit wirken auch die hohen gesetzlichen Barrieren hinsichtlich von Betriebsschließungen und betriebsbedingten Entlassungen. Unternehmen, die mehr als 50 Personen beschäftigt haben, müssen eine Betriebsschließung mindestens 60 Tage vor dem Schließungstermin bei der Landesregierung beantragen. Bei Betrieben mit mehr als 100 Beschäftigten sind sogar 90 Tage vorgeschrieben (Garg 1992).
Wie an anderer Stelle bereits vermerkt, ging die Regierung vor allem in den 80er Jahren immer häufiger dazu über, von der Schließung bedrohte Betriebe zu übernehmen, um soziale Spannungen zu reduzieren. Nicht selten wurde dabei die Produktion vollkommen eingestellt und den „vorübergehend“ Beschäftigungslosen über Jahre hinweg die gesetzlich vorgeschriebene Entschädigung ausbezahlt.
Tab. 14: Die wichtigsten Gesetze zur Sozialen Sicherheit im formellen Sektor
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Für über 70 Prozent der Beschäftigten im organisierten Sektor ist eine Absicherung bei Arbeitslosigkeit ohnehin von geringer Bedeutung, da sie Beamte sind (berechnet nach: Agrawal et al. 1993: 100; vgl. auch: Guhan 1992: 288,291; Johri 1982: 108).
Bislang wurden gesetzliche Bestimmungen, die die Soziale Sicherheit betreffen, vor allem für den formellen Bereich der Wirtschaft erlassen, d.h. sie gelten i.d. R. nur für festangestellte Beschäftigte bestimmter Branchen und auch nur dann, wenn das jeweilige Unternehmen eine festgelegte Größe1 erreicht hat. Für die Beschäftigten des staatlichen Sektors besteht i.d.R. ein noch besserer Schutz, vor allem bei Krankenversicherung und Altersversorgung (vgl. Johri 1982). Bei einer Eigenbeteiligung zwischen einer Rupie (monatliches Grundgehalt < 1200 Rs) und 12 Rupien (monatliches Grundgehalt > 5000 Rs) sind die Beschäftigten der Zentralregierung und ihre Angehörigen durch das Central Government Health Scheme (CGHS) umfassend krankenversichert. Diese Krankenkasse unterhält in Neu Delhi und 15 weiteren Städten, die eine hohe Anzahl Beschäftigter der Zentralregierung aufweisen, eigene Ambulanzen und in 13 Städten eigene Krankenhäuser. Die Qualität der dabei erbrachten Leistungen steigt mit der Gehaltsstufe. Bei einem Monatsgehalt von über 3500 Rs hat der Patient einen Anspruch auf eine Behandlung als Privatpatient. Einige Ministerien der Zentralregierung (z.B. Eisenbahn und Verteidigung) unterhalten für ihre Beschäftigten zusätzlich eigene Krankenhäuser und Ambulanzen. Diese Einrichtungen der Zentralregierung sind für die allgemeine Öffentlichkeit nur in Ausnahmefällen zugänglich (Kundu 1993: 82ff).
Die einzelnen Länderregierungen unterhalten ebenfalls eigene Krankenhäuser und Ambulanzen für ihre Beschäftigten, sofern diese nicht der gesetzlichen Krankenversicherung (ESI) angeschlossen sind (Kundu 1993: 85ff.; SSAI 1993: 24).
Insgesamt kann man für den organisierten Bereich der Wirtschaft tatsächlich von einem „System der Sozialen Sicherheit“ sprechen. Es ist zwar vor allem in der privaten organisierten Wirtschaft noch verbesserungsfähig (Guhan 1992: 288f.;Johri 1982: 111f.), da hier häufig lediglich die gesetzlichen Mindeststandards angewendet werden, ist jedoch in seinem Leistungsniveau und der Durchsetzbarkeit von Ansprüchen den Maßnahmen im informellen Sektor haushoch überlegen.
Während das soziale Sicherungssystem des formellen Sektors zumeist durch zentralstaatliche Gesetze geregelt ist,2 basieren die Programme für den informellen Sektor nicht selten auf Landesgesetzen oder, noch häufiger, gar nur auf Verwaltungsrichtlinien der Länder. Einen wenig verbindlichen Charakter erhalten diese Programme auch dadurch, daß sie - im Gegensatz zu den Maßnahmen im formellen Sektor - zumeist ausschließlich der Kontrolle staatlicher Stellen unterworfen sind,3 und die genauen Durchführungsbestimmungen wenig bekannt sind.
9.1.1 Die Finanzierung des gesetzlichen Sozialversicherungsystems
Es versteht sich von alleine, daß die Leistungen der Sozialversicherung für den staatlichen Sektor vom Staat selbst aufgebracht werden, da er in diesem Fall selbst als Arbeitgeber auftritt. Dennoch ist es nicht einfach, einen genauen Überblick über die Versicherungsaufwendungen des Staates für seine Beschäftigten zu erhalten. Sie werden in den Statistiken nur selten einzeln und umfassend ausgewiesen, sondern finden sich - zusammen mit z.B. den Gehältern - bei den allgemeinen Verwaltungsausgaben. Selbst in den Fünf-Jahres-Plänen ist davon keine Rede. In den Kapiteln 12 (Health and Family Welfare) und 15 (Social Welfare) des achten Fünf-Jahres-Planes sind lediglich Maßnahmen (und Ausgaben) für Frauen- und Kindesentwicklung, Ernährung, Altersvorsorge im informellen Sektor etc. aufgelistet (GOI 1992-II: 322-343,387-416), nicht jedoch die Maßnahmen (und Ausgaben) für den formellen Sektor, denn diese gehören zu den allgemeinen Verwaltungsausgaben und sind damit Non-Plan-Expenditures. Im Haushaltsjahr 1994-95 weist z.B. die indische Zentralregierung für die Zahlung von Pensionen an ihre (ehemaligen) Beschäftigten einen Betrag von 36 Mrd. Rs aus. Dies sind 2,4 Prozent der gesamten Ausgaben der Zentralregierung in diesem Jahr. Sie haben sich seit 1985 (7,27 Mrd.Rs.) fast verfünffacht (epw 16.04.1994: 1032).
Aufschlußreich ist ein Vergleich zwischen den Ausgaben der Zentralregierung für Pensionszahlungen und den vorgesehenen Ausgaben im achten Fünf-Jahres-Plan für Social Welfare. Insgesamt sind für diesen Bereich Ausgaben in Höhe von 38,5 Mrd. Rs. vorgesehen, gerade einmal 2,5 Mrd. Rs mehr als für die Ausgaben der Zentralregierung für ihre Pensionäre (GOI 1992-I: 62). Dabei muß berücksichtigt werden, daß die 38,5 Mrd. Rs für Social Welfare Maßnahmen zur Förderung von Frauen, Kindern, Behinderten sowie Programme zur Ernährungssicherung und Altersversorgung im informellen Sektor umfassen und sich die Mittel auf einen Zeitraum von fünf Jahren verteilen. Schemes for the Welfare of the Aged erhalten Zuweisungen in Höhe von 100 Millionen Rs (GOI 1992-II: 413).
Allein für die Auszahlung von Pensionen wurden damit von der Zentralregierung Finanzmittel zur Verfügung gestellt, die 1994/95 nur geringfügig unter den ursprünglich vorgesehenen Nahrungsmittelsubventionen lagen (40 Mrd. Rs). Diese freilich haben sich seit 1985 (16,5 Mrd. Rs.) gerade einmal etwas mehr als verdoppelt, während sich die Pensionszahlungen fast verfünffacht haben (epw 16.04.1994: 1032). Nicht enthalten in diesen Ausgaben sind die laufenden Einzahlungen in die Pensionskasse der Zentralregierung, die Aufwendungen für die Krankenversicherung, die Subvention von Wohnraum für staatlich Beschäftigte sowie anderer Zulagen, die die Regierung ihren Beschäftigten gewährt. Im Gegensatz zu den Pensionen werden die Nahrungsmittelsubventionen von der Regierung dennoch als bedeutendes Hindernis bei der Sanierung der Staatsfinanzen angesehen.
Der Staat finanziert jedoch nicht nur die soziale Absicherung seiner Beschäftigten, sondern er übernimmt auch einen nicht unbeträchtlichen Finanzierungsanteil bei Programmen im privaten formellen Sektor. Dies ist etwa bei der gesetzlichen Krankenversicherung der Fall, bei der er ein Achtel des Aufwandes für Sachleistungen im Krankheitsfall übernimmt (Bhattarai 1989: 535). Bei der einlagengebundenen Versicherung der Vorsorgekassen übernimmt die Zentralregierung ein Drittel der Beiträge, die 0,75 Prozent der Lohnsumme der Beschäftigten betragen. Beim Familienrentensystem schießt die Zentralregierung 1,16 Prozent der Lohnsumme zu und kommt zusätzlich für die gesamten Verwaltungsausgaben auf (Bhattarai 1989; Johri 1982).
1992 waren in Indien 16,6 Millionen Beschäftigte durch Vorsorgekassen abgesichert. Wenn man von einem durchschnittlichen Verdienst dieser Beschäftigten von 1000 Rs monatlich ausgeht,1 dann hätte die Zentralregierung eine Summe in der Größenordnung von einer halben Milliarde Rupien an Beiträgen für die einlagengebundene Versicherung bezahlt. Für das Familienrentensystem hätte die Zentralregierung etwa 2,3 Mrd. Rs als Beiträge für die Versicherten einbezahlt.
Darüberhinaus muß bedacht werden, daß Vorsorgeaufwendungen der Arbeitnehmer und -geber steuerlich absetzbar sind, und der Staat somit indirekt einen weiteren Teil der Beiträge übernimmt. So konnten bei der Steuererklärung für das Haushaltsjahr 1993-94 Einzahlungen für eine Vorsorgekasse und Prämien für eine Lebensversicherung bis zu einer Höhe von 12.000 Rs von der Einkommenssteuer abgesetzt werden. Ebenfalls abgesetzt werden konnten die Rückzahlungen von Krediten bis zu 10.000 Rs jährlich, die bei staatlichen und privaten Wohnungsbaugesellschaften aufgenommen wurden, Aufwendungen für bestimmte Sparförderungsprogramme bis zu 40.000 Rs und Aufwendungen für Krankenzusatzversicherungen bis zu 6000 Rs jährlich. Die Bewohner von 36 indischen Städten konnten ihre Mietzahlungen bis in Höhe von 25 Prozent des Jahreseinkommens - höchstens jedoch 1000 Rs monatlich - von der Steuer absetzen (Nabhi 1992: 28-70). Seit dem Wirtschaftsjahr 1994-95 können Ausbildungskredite bis zu 25.000 Rs jährlich abgesetzt werden „ as a means of helping students from poorer (!!!, d. Verf.) families “ (Finanzminister Singh in: Budget 1994/95: 27).
Über das Sozialversicherungssystem nimmt der Staat somit eine Umverteilung vor, denn die verwendeten Finanzmittel sind Steuern - und zwar vor allem indirekte Steuern -, die auch von den ärmeren Bevölkerungsgruppen zu bezahlen sind. Die Maßnahmen bei der Sozialen Absicherung fallen jedoch zum überwiegenden Teil bereits abgesicherten Gesellschaftsgruppen zu, nämlich jenen, die ein festes Beschäftigungsverhältnis und zumeist auch ein überdurchschnittliches Einkommen haben.
9.1.2 Soziale Sicherheit und Strukturanpassung
Durch die Strukturanpassungspolitik der indischen Regierung werden auch Bereiche der Sozialen Sicherheit verändert. Die begonnene Privatisierung bzw. Schließung vieler Staatsbetriebe wird mittelfristig dazu führen, daß das zumindest im staatlichen Bereich erreichte Niveau der Sozialstandards erheblich zurückgeht. Dies wird aller Voraussicht nach weniger auf betrieblicher Ebene direkt geschehen. Vieles spricht dafür, daß die lukrativen Staatsunternehmen, die in privater Regie weitergeführt werden, durchaus in der Lage wären, ein für indische Verhältnisse gut ausgebautes Sozialversicherungssystem aufrechtzuerhalten. Weit negativer dürfte sich aber auswirken, daß mit der Privatisierung von Staatsunternehmen ein erheblicher Abbau von Stellen einhergehen wird. Unter Berücksichtigung neuentstehender Arbeitsplätze kommt Bhatty (1993) zu dem Schluß, daß in den ersten fünf Jahren der Privatisierung knapp 570.000 Stellen abgebaut werden dürften. Dieser Stellenabbau bezieht sich lediglich auf die staatlichen Industrie- und Dienstleistungsbetriebe. Der Stellenabbau in der staatlichen Verwaltung sowie in privaten unwirtschaftlichen Betrieben ist nicht berücksichtigt. Etwa 320.000 Stellen fallen durch die Entlassung überzähliger Arbeitskräfte weg, knapp 300.000 durch die Schließung unrentabler Betriebe. Durch die Nichtwiederbesetzung von Stellen, die durch ein altersbedingtes Ausscheiden des Arbeitnehmers/der Arbeitnehmerin vakant geworden sind, werden weitere 100.000 Stellen abgebaut. Durch Betriebserweiterungen und -neugründungen dürften nicht mehr als 150.000 neue Stellen geschaffen werden (Bhatty 1993: 42). Entlassene ArbeitnehmerInnen werden so zusätzlich auf den ohnehin überlasteten Arbeitsmarkt drängen.
Der mit finanzieller Unterstützung der Weltbank eingerichtete National Renewal Fund 1 soll dazu verwendet werden, diesen „freigesetzten“ Arbeitskräften übergangsweise eine Lohnfortzahlung zukommen zu lassen und ihnen eine einmalige Entschädigung (lumpsum payment) auszuzahlen. Bhatty (1993) schlägt vor, den entlassenen ArbeitnehmerInnen drei bzw. vier Jahre lang1 50 Prozent des bisher bezogenen Gehaltes weiterzubezahlen.2 Nach Ablauf dieser Zeit sollen die Entlassenen eine einmalige Abfindung zwischen 27.000 und 38.000 Rs erhalten.3 Personen, die bei ihrem Ausscheiden länger als 32,5 Jahre im Unternehmen beschäftigt waren, erhalten eine zusätzliche Abfindung (r etrenchment benefit) in Höhe von etwa 50.000 Rs (Bhatty 1993: 34f). Zusätzlich zu diesen Leistungen erhalten die ArbeitnehmerInnen natürlich auch ihre gesetzlichen Abfindungen wie betriebliche Gratifikation, Auszahlungen aus der Vorsorgekasse etc.
Die mit der Privatisierung einhergehende kapitalintensive Modernisierung der Betriebe wird zumindest kurzfristig kaum neue Arbeitsplätze nicht schaffen können (Ghosh 1993: 39). Dies würde ohne Zweifel die Soziale Sicherheit vieler ArbeitnehmerInnen erheblich verschlechtern. Es muß davon ausgegangen werden, daß vor allem niedrig qualifizierte Beschäftigte entlassen werden, die bei der technologischen Umstrukturierung der Betriebe eher als Ballast empfunden werden. Für die hochbezahlten Arbeitsstellen in den privaten Großunternehmen werden die meisten von ihnen nicht in Frage kommen.
Aus der Perspektive der Politischen Ökonomie sind die Vorschläge, die hinsichtlich des National Renewal Funds gemacht wurden, als Besänftigungsstrategie für die bislang privilegierten ArbeitnehmerInnen zu sehen, die nun ihre Arbeitstelle verlieren sollen. Ihnen wird für eine Übergangszeit ein gesichertes Einkommen in Aussicht gestellt, das zusätzlich noch durch eine einmalige Abfindung versüßt wird. Für andere Gruppen, die von der Strukturanpassung indirekt betroffen sind, stehen keine solch großzügigen Finanzmittel zur Verfügung. Gruppen, die bislang eine durchaus reelle Chance hatten, im Staatsdienst oder der privaten organisierten Wirtschaft eine Beschäftigung zu finden, werden es zukünftig erheblich schwerer haben, diesen beruflichen Aufstieg auch tatsächlich zu erreichen.
9.2 Initiativen zur Sozialen Sicherheit im informellen Sektor Tamil Nadus
Im vorausgegangenen Kapitel wurden die Maßnahmen zur Sozialen Absicherung von Angehörigen des organisierten Sektors kurz vorgestellt. Es wurde festgestellt, daß es ein umfassendes System gibt, das in vielen Bereichen zwar noch ausbaufähig ist, aber trotzdem die wichtigsten Risiken - mit Ausnahme der Arbeitslosigkeit - abdeckt. Es wurde ebenfalls darauf hingewiesen, daß durch die Wirtschaftsreformen der 90er Jahre kaum zu erwarten ist, daß das bestehende System weiter ausgebaut werden wird. Vielmehr ist davon auszugehen, daß im Zuge von Privatisierungsmaßnahmen, Betriebsschließungen und Entlassungen der Anteil der Beschäftigten, die von diesem System bisher profitierten, höchstwahrscheinlich stark zurückgehen dürfte. Schon gegenwärtig ist nur ein Bruchteil der indischen ArbeitnehmerInnen und ihrer Angehörigen in dieses System einbezogen. Die Mehrzahl der in Indien lebenden Menschen ist dagegen vollkommen unzureichend gegen bestimmte Risiken geschützt. In aller Regel handelt es sich hierbei um Menschen, die einen solchen Schutz jedoch notwendiger bräuchten als etwa die Beschäftigten der Zentral- und Landesregierungen. Diese Menschen sind nicht nur bedeutend ärmer, sie sind auch gegenüber bestimmten Risken verwundbarer. Sie leben nicht selten unter katastrophalen hygienischen Umständen, die sie gegen Krankheiten anfälliger machen. Sie können sich eine ausgewogene Ernährung häufig nicht leisten, und Fehl- und Unterernährung erhöhen die Krankheitsanfälligkeit zusätzlich. Als un- bzw. angelernte Arbeitskräfte, oftmals ohne ein festes Arbeitsverhältnis, sind sie der wirtschaftlichen Ausbeutung viel stärker ausgesetzt als die Beschäftigten im organisierten Wirtschaftsbereich, zumal dort Gewerkschaften die Einhaltung von Arbeitsgesetzen überwachen.
Tab. 15: Pensionsprogramme in den verschiedenen Bundesländern (1988)
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Schließlich üben sie häufig auch eine Beschäftigung in einer Umgebung aus, die unter arbeitshygienischen Gesichtspunkten bedenklich ist. Auch dies vergrößert das Risiko, durch Krankheit, Unfall oder Tod am Erwerb eines Einkommens „gehindert“ zu werden. Diese Menschen sind zum größten Teil auf informelle Systeme der Sozialen Sicherheit angewiesen, die jedoch oftmals - unter Berücksichtigung des geringen Einkommensniveaus dieser Gruppen - wenig „Sicherheit“ bieten können.
Ein System der staatlichen Sozialgesetzgebung für den informellen Sektor in Indien gibt es bislang nicht. Was es jedoch gibt ist eine Vielzahl von Einzelmaßnahmen in verschiedenen Bundesländern, die in ihrer Summe zumindest auf dem Papier z.T. recht beeindruckend sind. Ein Schutz bei Arbeitsunfällen sowie eine - wenn auch geringe - staatliche Unter-stützung im Alter besteht heute (theoretisch) in nahezu allen indischen Bundesländern.
Uttar Pradesh war das erste indische Bundesland, das 1957 ein allgemeines staatliches Pensionsprogramm außerhalb des organisierten Sektors der Wirtschaft einführte. Mit Andhra Pradesh (1961), Kerala (1961), Tamil Nadu (1962), West Bengalen (1962), dem Punjab (1964) und Karnataka (1965) übernahmen weitere Staaten dieses Programm schnell, während Orissa (1975), Gujarat (1978), Madhya Pradesh (1979) und Maharashtra (1979) erst mit deutlicher Verzögerung folgten (Guhan 1992: 287).
Eine Übersicht über weitere Programme zur sozialen Absicherung im informellen Sektor kann - auf ganz Indien bezogen - nur sehr schwer erstellt werden. Programme, die von der Zentralregierung initiiert und zum Teil auch bezuschußt werden (s.u.), dürften in vielen Bundesländern in ähnlicher Art bestehen. Inwieweit diese jedoch auch tatsächlich angewendet werden, wie viele Berechtigte sie tatsächlich erfassen und welche Programme dazu zusätzlich bestehen, kann hier nicht vertieft werden. Es soll vielmehr im folgenden ausführlicher auf die Programme in Tamil Nadu eingegangen werden, so wie sie in den Veröffentlichungen und Statistiken der Regierung wiedergegeben werden.
Die Schwierigkeit, eine einigermaßen objektive Einschätzung vom Umfang und der Implementierung dieser Programme zu erhalten, besteht in ihrem häufig populistischen Charakter und der Tatsache, daß von „Unregelmäßigkeiten“ bei der Durchführung dieser Programme ausgegangen werden kann.
9.2.1 Alterspensionen für verschiedene Personengruppen
Das älteste Programm dieser Art (Old-age pension scheme, normal, OAP normal) besteht in Tamil Nadu seit nunmehr über 30 Jahren. Es wurde noch während der Regierungszeit der Congress-Partei in Tamil Nadu begonnen. Weitere Pensionsprogramme für besondere Zielgruppen1 wurden in den folgenden 20 Jahren eingeführt. Die monatliche Rente ist für alle Empfängergruppen gleich. 1962 betrug sie 20 Rs; sie wurde 1979 auf 25 Rs, 1982 auf 35 Rs, 1989 auf 50 Rs und schließlich im April 1992 auf 75 Rs erhöht (Guhan 1992: 252; Tamil Arasu, April 1992: 21). Neben dieser monatlichen Geldleistung haben die Bezieher solcher Altersrenten einen Anspruch auf Nahrung und Kleidung.
Die Pensionsprogramme sollen neben der (minimalen) Absicherung im Alter auch andere Risiken abfedern helfen. So übernehmen die Witwenrente und die Rente für die von ihren Ehemännern verlassenen Frauen eine Funktion, die einer Hinterbliebenenrente ähnlich ist. Die Rente für Behinderte bietet einen (minimalen) Schutz vor bestimmten gesundheitlichen Risiken. Bis zum Jahr 1989 wurde ein jährlicher Höchstbetrag festgelegt, den die Landesregierung für Pensionszahlungen bereitstellte. Diese Summe wurde auf die verschiedenen Distrikte aufgeteilt. Anspruchsberechtigte Personen, die wegen fehlender Finanzmittel keine Pension erhalten konnten, wurden in eine Warteliste aufgenommen und bei Zuteilungen in folgenden Jahren vorangig behandelt.
Tab. 16: Entwicklung der Anzahl der TeilnehmerInnen an verschiedenen Pensions-programmen in Tamil Nadu (1989-1994)
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Quellen: Guhan 1992 (für 1989; 1990), Statistical Handbook of Tamil Nadu 1991: 512 Government of Tamil Nadu, Budget Publication No. 30 (Social Welfare) (für 1993-94 berechnet).
Mit der Regierungsübernahme der DMK im Jahr 1989 sollten diese Wartelisten abgeschafft werden und alle berechtigten Personen innerhalb dreier Monate nach der Antragsstellung eine Pension erhalten (Guhan 1992: 252). Daß solche Wartelisten im höchsten Maße problematisch sind, versteht sich von selbst. Sie können zu einer Entsolidarisierung der Berechtigten führen und bieten den durchführenden Organen ein leichtes Mittel, einen an sich bestehenden Anspruch abzublocken. Da sich zusätzlich die Regierung bei diesen und anderen Sozialprogrammen selbst „kontrolliert“, ist eine Einklagbarkeit von Leistungen praktisch nicht gegeben.
Zwischen 1989 und 1991, d.h. während der Regierungszeit der DMK, hat sich der Teilnehmerkreis an den Pensionsprogrammen sehr stark erweitert. Insgesamt haben zum Ende des Wirtschaftsjahres 1990-91 nach Regierungsveröffentlichungen 515.429 Personen Unterstützung durch eines der Pensionsprogramme erhalten. Dies waren etwa 12 Prozent des (hochgerechneten) Berechtigtenkreises. Im Haushaltsjahr 1993-94 wurden Finanzmittel für 770.000 Pensionen bereitsgestellt.
Tab. 17: Verteilung der PensionsempfängerInnen nach Distrikten (1990)
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Guhan (1992) versucht festzustellen, wie hoch der Anteil der Menschen in den Distrikten Tamil Nadus ist, die tatsächlich in den Genuß von solchen Pensionszahlungen gekommen sind. Ein wichtiges Problem der Programmumsetzung wird dabei offensichtlich: es ist schwierig, wenn nicht gar unmöglich, abzuschätzen, wer in Tamil Nadu überhaupt berechtigt ist, solche Pensionen zu erhalten.
Entsprechend den Altersbeschränkungen der einzelnen Programme lassen sich lediglich Hochrechnungen darüber anstellen, wie groß der jeweilige Personenkreis ist, der die Altersvoraussetzungen erfüllt. Große Schwierigkeiten bereitet jedoch die Zielgruppenerfassung hinsichtlich des Kriteriums „mittellos“ (destitute).
„Destitution, defined as the condition of those without an income of their own or means of support from others, is a common eligibility criterion for all these pensions. Those without an income of their own, and without any relatives of age 20 and above in the form of son, daughter's son, or spouse are presumed to be destitutes. Persons who live in a house of value less than Rs 1000 or own marginal extents of land are presumed not to have an income of their own“ (Guhan 1992: 253).
Das Kriterium ist nur schwer zu überprüfen, da die Einkommenssituation einzelner Haushalte nur durch umfangreiche Recherchen offengelegt werden kann. Eine landesweite Schätzung ist unmöglich, wäre jedoch notwendig, um z.B. die wahrscheinlich anfallenden Kosten solcher Programme für den Staatshaushalt ermitteln zu können. Die in der Tabelle genannte Anzahl der Berechtigten dürfte zu hoch sein, denn sie orientiert sich, wie gesagt, lediglich am Alterskriterium. Die daraus ermittelten Kosten von 2,5 Mrd. Rs (plus Verwaltungsausgaben) sind deshalb als großzügige Schätzung zu bewerten. Sie berücksichtigt auch jene Haushalte, die an die sozialen Sicherungssysteme des formellen Sektors angeschlossen sind. Ebenfalls berücksichtigt sind jene Haushalte, deren Mitglieder zwar keine Altersversorgung durch den formellen Bereich erhalten, dennoch aber das Kriterium „mittellos“ nicht erfüllen.
Gulati/Gulati (1994) errechnen für Kerala, daß eine monatliche Rente von 100 Rs für alle mittellosen Alten sowie für alle mittellosen Witwen gleich welchen Alters, den Finanzhaushalt Keralas mit ca. einer Mrd. Rs belasten würde. Dies entspräche einem Anteil von 3,4 Prozent an den Gesamtausgaben für das Wirtschaftsjahr 1991-92. Auf Tamil Nadu übertragen wären dies bei einer Rentenhöhe von 100 Rs monatlich etwa 2,2 Mrd. Rs oder bei einer Rentenhöhe von 75 Rs insgesamt etwa 1,7 Mrd. Rs (ebenfalls für 1991-92). und damit weniger als die Hälfte der Summe, die die Regierung im gleichen Jahr an Pensionen für ihre Bediensteten auszahlte. An Pensionen im Rahmen der Programme für den unorganisierten Sektor wurden lediglich knapp 300 Mio Rs tatsächlich ausbezahlt.
Unter der AIADMK-Regierung haben sich die Haushaltsmittel für Renten im unorganisierten Sektor deutlich erhöht. Selbst wenn man die Erhöhung der Pensionen von 50 auf inzwischen 75 Rs monatlich berücksichtigt, wurde damit der Teilnehmerkreis erheblich ausgeweitet. Im Haushaltsplan für 1993-94 sind knapp 700 Mio. Rs für Pensionszahlungen vorgesehen. Da die Höhe der jährlichen Zahlungen pro Person von 600 Rs (50 Rs x 12) nach 1991 auf 900 Rs (75 Rs x 12) angestiegen ist, reichen die bereitgestellten Geldmittel aus, um etwa 770.000 Jahrespensionen zu finanzieren.
9.2.2 Weitere Maßnahmen zur Sozialen Sicherheit im informellen Sektor
Neben den Pensionsprogrammen gibt es noch eine Reihe anderer Maßnahmen zur Sozialen Absicherung für Angehörige des informellen Sektors. Teilweise bestehen sie (theoretisch) für alle bedürftigen Haushalte, zum Teil jedoch nur für bestimmte Berufs- bzw. soziale Gruppen.
Eine umfassende Übersicht über die bestehenden Programme und ihren finanziellen Umfang gibt es nicht. Viele dieser Programme werden in den einschlägigen Verlautbarungen der Regierungen zwar angekündigt, die dafür vorgesehenen Mittel sind in den Haushaltsplänen jedoch oftmals unauffindbar. Dies mag nicht zuletzt daran liegen, daß die bereitgestellten Gelder zumeist so gering sind, daß die Programme nicht selten unter den Punkten „Sonstiges“ ausgewiesen werden. Ein anderer Grund liegt darin, daß viele Maßnahmen aus dem Chief Minister's Relief Fund finanziert werden und damit mehr oder weniger willkürlich sind (Guhan 1992: 267). Hinzu kommt, daß bei einem Regierungswechsel viele Programme fallengelassen werden, und die neue Regierung aus verständlichen Gründen jedoch wenig Wert darauf legt, dies anzukündigen. Es sei denn, ein „neues“ Programm wird gleichzeitig eingerichtet. An dieser Stelle können deshalb lediglich einige dieser Programme vorgestellt und ihr finanzieller Umfang zwischen 1990 und 1993 genannt werden. Aussagen darüber, ob und in welchem Umfang diese Programme tatsächlich durchgeführt werden, sind oft noch schwieriger zu machen als bei den beschriebenen Pensionsprogrammen. Eine Bestandsaufnahme bestehender Programme und ihrer Durchführung kann deshalb sinnvollerweise nur auf lokaler Ebene erfolgen.
Tab. 18: Soziale Sicherungsprogramme für den informellen Sektor in Tamil Nadu
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9.2.2.1 Hinterbliebenenunterstützung und -renten
Die 1989 neugewählte DMK-Regierung führte eine Hinterbliebenenunterstützung für Haushalte mit einem Jahreseinkommen von weniger als 5000 Rs ein. Danach konnten diese Haushalte eine einmalige Unterstützung in Höhe von 2000 Rs (ab 1990: 3000 Rs) erhalten, wenn ihr Ernährer starb. Quantitative Angaben dazu liegen lediglich für das Haushaltsjahr 1990-91 vor, in dem diese Unterstützung in 20900 Fällen gewährt wurde (Guhan 1992: 262). Der Finanzierungsumfang belief sich demnach auf ca. 42 Mio. Rs. Nach dem Wahlsieg der AIADMK wurde der Betrag auf 5000 Rs angehoben, wobei für die sieben verbleibenden Monate des laufenden Haushaltsjahres (September 1991 - April 1992) ein Betrag von 50 Mio Rs ausgewiesen wurde (Tamil Arasu, September 1991: 26), genug, um 10000 Familien zu unterstützen. Das Haushaltshöchsteinkommen wurde im Wirtschaftsjahr 1992-93 auf 6400 Rs angehoben (Tamil Arasu, April 1992: 4).
Im September 1991 wurde eine einmalige Hinterbliebenenzahlung in Höhe von 15.000 Rs und eine Hinterbliebenenrente in Höhe von monatlich 250 Rs für Handweber eingeführt (Tamil Arasu, September 1991: 17; April 1992: 18). Bedingung ist allerdings, daß der Verstorbene der Webergenossenschaft angehörte. Die Monatsrente von 250 Rs wird lediglich 10 Jahre lang bezahlt (Tamil Arasu, Oktober 1991: 20).
Tab. 19: Direkte Einkommenstransfers im Haushaltsplan Tamil Nadus (1990-1993)
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9.2.2.2 Unfallversicherungen
Unfallversicherungen gibt es für bestimmte Berufsgruppen, bei denen ein berufsbedingter Unfall abgesichert wird. Für die Allgemeinheit ist Verkehrsunfallversicherung vorgesehen. In beiden Fällen ist auch der Todesfall abgesichert, d.h. die Versicherungen haben stets auch die Funktion der Hinterbliebenenversorgung. Die Verkehrsunfallversicherung zahlt bei leichten Verletzungen eine einmalige Beihilfe in Höhe von 100 Rs bis zu 3000 Rs im Todesfall. Bei einer dauerhaften Erwerbsunfähigkeit beträgt die Unterstützung 1500 Rs (Tamil Arasu, September 1991). Bei ihrer Einführung im Jahre 1978 war geplant, diese Versicherung aus der Kraftfahrzeugsteuer zu finanzieren. Ein Anteil von einem Prozent dieser Steuer sollte dafür verwendet werden. Im Wirtschaftsjahr 1979/80 - neuere Angaben liegen nicht vor - haben die Unterstützungsleistungen jedoch lediglich 0,2 Prozent der Kraftfahrzeugsteuer betragen (Guhan 1981: 45).
Durch die Versicherung bei Arbeitsunfällen können die Versicherten eine einmalige Unterstützung von gegenwärtig 5000 Rs bei einer Behinderung und 10.000 Rs bei dauerhafter Erwerbsunfähigkeit erhalten. Im Todesfall steht den Angehörigen eine Unterstützung von ebenfalls 10.000 Rs zu. Seit ihrer Einführung 1977 wurde sie auf immer mehr Berufsgruppen ausgeweitet. Gegenwärtig werden von ihr u.a. Kanalarbeiter (1977), Landarbeiter, die häufigen Umgang mit Pestiziden haben (1977), Arbeiter beim Brunnenbau (1977), Kleinfischer (1978), Landarbeiter und Kleinbauern (1978), Dorfhandwerker (1978), LKW-Fahrer (1989), Auto-Rickshaw-Fahrer (1989) und Fahrer von Taxis und Bussen (1989) erfaßt (Guhan 1981, 1992).
Durch die Initiative der Zentralregierung wurde 1984 eine eigenständige Unfallversicherung für Kleinfischer ins Leben gerufen, die gegenwärtig eine einmalige Unterstützung in Höhe von 21.000 Rs im Todesfall gewährt. Die Versicherungsprämie von anfänglich jährlich 12 Rs pro versichertem Fischer wurde ursprünglich zu gleichen Teilen von der Regierung Tamil Nadus und der Zentralregierung getragen. Mit Wirkung vom 1. Juli 1991 hat die Regierung von Tamil Nadu ihren Prämienanteil auf 10,84 Rs erhöht, so daß anstelle der ursprünglichen Versicherungssumme von 15.000 Rs nun eine Summe von 21.000 Rs bei bleibender Arbeitsunfähigkeit und im Todesfall an den Fischer bzw. seine Angehörigen ausgezahlt werden können. Bei einer Minderung der Arbeitsfähigkeit wurde die Versicherungssumme von 7.500 Rs auf 10.500 Rs angehoben (Tamil Arasu, Juli/August 1992: 66). Anfang Mai 1995 beschloß die Regierung von Tamil Nadu, die Unfallversicherung für Fischer auf 100.000 Rs anzuheben. Vieles deutet darauf hin, daß dieser Schritt sehr stark von parteipolitischen Überlegungen beeinflußt war. Nur fünf Tage zuvor hatte die Bharatya Janata Party (BJP) bei einer Protestveranstaltung von Fischern gefordert, die Unfallversicherung für Kleinfischer auf 500.000 Rupien zu erhöhen (The Hindu 29.4.1995).
9.2.2.3 Maßnahmen im Gesundheitsbereich
Maßnahmen im Gesundheitsbereich beziehen sich vor allem auf die Unterstützung schwangerer Frauen. Die Maßnahme wurde 1989 von der DMK-Regierung eingeführt und hatten auch unter der AIADMK-Regierung Bestand, die den Unterstützungsbetrag von 200 auf 300 Rs anhob. Schwangere Frauen aus Haushalten mit einem Jahreseinkommen von weniger als 5000 Rs haben nach diesem Programm ein Anrecht auf Zahlungen von jeweils 75 Rs für die beiden Monate vor und nach der Entbindung. Diese Unterstützung erhalten sie lediglich für die beiden ersten Geburten und auch nur dann, wenn sie bei ihrer Heirat nicht jünger als 18 Jahre alt waren.1 Im Haushaltsjahr 1993-94 wurden für diese Maßnahme 42,5 Mio. Rs zur Verfügung gestellt, ausreichend um über 140.000 Frauen eine solche Unterstützung zu gewähren. Gegenüber den Jahren 1989 bis 1991 wurde dadurch der Teilnehmerkreis erheblich eingeschränkt, denn im Haushaltsjahr 1989-90 erhielten noch 219.000 Frauen durch dieses Programm Unterstützung (Guhan 1992: 264,Table 7) und auch im darauffolgenden Jahr waren mit 41,8 Mio. Rs Mittel für eine ähnlich hohe Anzahl Frauen vorgesehen (GOTN, Budget Publication No.30 1990-91).
9.2.2.4 Weitere Programme zur sozialen Absicherung
Neben den bislang genannten Programmen gibt es, zumindest auf dem Papier, eine ganze Anzahl weiterer Maßnahmen, die jedoch von ihrer finanziellen Ausstattung her kaum ins Gewicht fallen und schon deshalb relativ wenige Berechtigte auch tatsächlich erreichen. Eine Ausnahme bilden in dieser Hinsicht lediglich die 1989 von der damaligen DMK-Regierung eingeführten Heiratsbeihilfen für Frauen unterhalb der Armutsgrenze. Programme dieser Art gehören zwar nicht zum herkömmlichen Repertoire Sozialer Absicherung, stoßen jedoch angesichts der Realität, daß eine Hochzeit gerade für die Familie der Braut in Indien immer teurer wird, in der Öffentlichkeit auf breite Zustimmung. Zu überlegen wäre allerdings, ob solche staatlichen Zuschüsse nicht das gesetzlich verbotene Mitgiftsystem legitimieren oder zumindestens fördern.2
Bis 1991 war bei diesem Programm das Familienhöchsteinkommen auf jährlich 5000 Rs festgelegt (Guhan 1992: 265). Im September 1991 entschloß sich die AIADMK-Regierung jedoch zu einer Erhöhung auf 12.000 Rs „ to enable lower, middle class women to become eligible for the Marriage assistance scheme “ (Tamil Arasu, Juli 1993: 28). Wie bereits bei der Schwangerenunterstützung ist auch an dieses Programm als zusätzliches Kriterium ein Heiratsalter von über 18 Jahren geknüpft. Zusätzlich dazu können nur Frauen an dem Programm teilnehmen, die mindestens das achte Schuljahr erfolgreich abgeschlossen haben. 1990 erhielten in ganz Tamil Nadu 19.700 Frauen Heiratsbeihilfen nach diesem Programm (Guhan 1992: 266); 72 Mio. Rs wurden im Haushaltsjahr 1989-90 zu diesem Zweck ausgegeben (GOTN, Budget Publication No.30 1991-92: 68). Im Wirtschaftsjahr 1990-91 wurden insgesamt 117,2 Mio. Rs bereitgestellt, ausreichend für 23.440 Heiratsbeihilfen. Unter der AIADMK-Regierung wurden diese Beihilfen auf 50 Mio Rs gekürzt, ausreichend für nur noch 10000 Beihilfen dieser Art. Durch die durch die Anhebung der Einkommensobergrenze erhöhte Anzahl der berechtigten Teilnehmerinnen kann nicht ausgeschlossen werden, daß die untersten Einkommensgruppen inzwischen aus dem Programm weitgehend ausgegrenzt wurden, zumal das zur Programmteilnahme notwendige Bildungsniveau in aller Regel von Frauen ärmerer Bevölkerungsgruppen nicht erreicht wird.
Ein Programm besonderer Art wurde 1992 von der AIADMK-Regierung eingerichtet und wird aus dem Haushaltstitel Women's Development finanziert. Eltern mit höchstens zwei Töchtern, jedoch keinem Sohn, können zur deren Ausbildung Beihilfen erhalten. Dies gilt jedoch nur unter der Bedingung, daß sich ein Elternteil sterilisieren läßt.
„A sum of Rs. 2000 on account of each family will be invested in a Fund. Amounts will be given to the family at periodical intervals for the girl child to complete primary, middle, high, higher secondary and college education. When the girl attains the age of 20 years, a lumpsum amount of Rs.10.000 will be provided to enable her to establish her family or to pursue higher education“ (Tamil Arasu, April 1992: 20).
Ein Programm ganz anderer Art sei am Ende dieser Ausführungen noch erwähnt. Seit 1982 gibt es in Tamil Nadu ein Sparprogramm für Kleinfischer: das Tamil Nadu Marine Fishermen Savings cum Relief Scheme. Durch diese Maßnahme sollen die Auswirkungen saisonalbedingter Einkommensschwankungen im Kleinfischereisektor abgemildert werden. In seiner ursprünglichen Form bezahlten Kleinfischer und Fischereiarbeiter innerhalb eines Jahres neun Monate lang einen Betrag von 10 Rs an einen Fund, der vom Fisheries Department verwaltet wurde. Die Regierung von Tamil Nadu schoß denselben Betrag (90 Rs) zu und zahlte die Gesamtsumme in drei Raten zu je 60 Rs in den Monaten Oktober, November und Dezember an die Fischer aus. 1992 wurde der Modus des Programms geändert. Seither zahlen die Fischer acht Monate lang einen Betrag von jeweils 45 Rs in den Fund ein. Die Regierung von Tamil Nadu und die Zentralregierung schießen jeweils denselben Betrag zu, so daß innerhalb eines Jahres für jeden Fischer 1080 Rs angespart werden. Dieser Betrag wird in vier Raten zu jeweils 270 Rs in den vier angeblich einkommensschwachen Monaten ausbezahlt.
Seit der Einführung des Programms hat sich seine Teilnehmerzahl erheblich ausgeweitet (von knapp 2.000 im Jahr 1982 auf fast 75.000 in Jahre 1992/93; vgl.: GOTN, Budget Publication No.21 (Fisheries);Detailed Demand for Grand,1990/91-1993/94). Im Haushaltsplan von 1993-94 wurden die für das Programm bereitgestellten Geldmittel jedoch fast halbiert, was zu einer starken Einschränkung der Nutznießer aus dem Programm führte. Von den Fischern und den Fischereiarbeitern wird das Sparprogramm äußerst positiv aufgenommen. Auch wenn es vom finanziellen Umfang eher bescheiden ist, hat der staatliche Zuschuß dennoch bewirken können, daß die Kleinfischer inzwischen auch Geld für Notzeiten zurücklegen. Als im Frühjahr 1992 der monatliche Sparbetrag von zuvor 10 Rs auf 45 Rs erhöht wurde, befürchteten einige, in einkommensschwachen Monaten den Sparbetrag nicht aufbringen zu können und deshalb aus dem Programm gestrichen zu werden.
9.3 Eine Bewertung der Programme zur Sozialen Absicherung in Tamil Nadu
Eine (vorläufige) Bewertung der vorgestellten Programme kann nach unterschiedlichen Aspekten vorgenommen werden.
1. Zunächst kann untersucht werden, inwieweit sich der gewährte Schutz von den Standards unterscheidet, die für den organisierten Sektor gesetzlich verbindlich sind. Dabei wird allerdings zu berücksichtigen sein, daß dort die Leistungen zumeist durch die finanzielle Beteiligung von Arbeitnehmern und -gebern erbracht werden, während bei den Maßnahmen im informellen Sektor - bis auf wenige Ausnahmen - der Staat die anfallenden Kosten vollständig übernimmt. Aus diesem Grund müssen die jeweiligen Subventionsleistungen des Staates für den formellen und den informellen Sektor einander gegenübergestellt werden.
2. Unabhängig davon kann eine Bewertung unter Berücksichtigung der erbrachten Leistungen vorgenommen werden. Hier gilt es zu prüfen, ob diese Leistungen hinreichend sind, um einen Schutz vor bestimmten Risiken sicherzustellen.
9.3.1 Vergleich informeller vs formeller Sektor
Im Vergleich zu den gesetzlichen Mindeststandards im organisierten Sektor sind die erbrachten Leistungen im unorganisierten Sektor extrem gering. Am deutlichsten wird diese Disparität im Vergleich zum staatlichen Sektor.
Eine Jahrespension im informellen Bereich von derzeit etwa 1500 Rs1 wird mit Sicherheit nicht an die durchschnittlichen Monatspensionen im staatlichen Sektor heranreichen, höchstwahrscheinlich noch nicht einmal an die niedrigsten. Gulati/Gulati (1994) errechnen, daß die durchschnittliche Pensionshöhe bei den Staatsbediensteten Keralas etwa 13 mal höher ist als die Pensionen im Rahmen der Social Security- Programmen dieses Bundeslandes.
Tab. 20:Pensionszahlungen der Regierung Tamil Nadus an ihre Beschäftigten
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Im Haushaltsjahr 1993-94 hat die Regierung Tamil Nadus 5,5 Mrd. Rs für Pensionen und Hinterbliebenenrenten ihrer Beschäftigten vorgesehen. Bei insgesamt 213.000 Pensionsempfängern - einschließlich Hinterbliebenen - betrug demnach die durchschnittliche Monatspension etwa 2100 Rs (Tamil Arasu, November 1992: 6). An obiger Aufstellung ist auch zu sehen, daß die Ausgaben für Pensionszahlungen in aller Regel die ursprünglich im Haushaltsplan (Budget Estimates) vorgesehene Beträge deutlich übersteigen. Dies hängt nicht zuletzt damit zusammen, daß die Pensionen regelmäßig der Teuerungsrate angeglichen werden. Zwischen November 1991 und Mai 1993 ist der Teuerungszuschlag (Dearness Allowance) für ehemalige Bedienstete der Regierung Tamil Nadus dreimal erhöht worden. Die monatlichen Pensionen sind dadurch um eine Summe zwischen 112 und 732 Rs angestiegen. Insgesamt kostete diese Maßnahme die Steuerzahler zusätzlich 692 Mio. Rs. Das ist mehr als die vorgesehenen Zahlungen im Rahmen von Programmen zur Sozialen Sicherheit im Wirtschaftsjahr 1992-93 betrugen (689 Mio. Rs ohne Schulspeisungsprogramm).
Tab. 21: Erhöhung der Teuerungszulage (Dearness Allowance) für Pensionen (1991-93)
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Allein zum Ausgleich der Preissteigerung sind die monatlichen staatlichen Pensionen um durchschnittlich mehr als 270 Rs angehoben worden. Eine monatliche Pensionszahlung von 75 Rs im informellen Sektor sieht im Vergleich dazu mehr als bescheiden aus.
Bei der Hinterbliebenenunterstützung ist die Diskrepanz zum staatlichen Sektor, wie zu erwarten, ebenfalls vorhanden. Sie ist jedoch weniger ausgeprägt als bei den Altersrenten. Handweber und Kleinfischer erhalten mit 15.000 Rs und 21.000 Rs die höchsten Unterstützungsbeträge. Die Angehörigen von Staatsbediensteten erhalten nach dem Family Security Fund Scheme seit September 1991 mindestens eine einmalige Unterstützung in Höhe von 60.000 Rs (zuvor 40.000 Rs) sowie eine Hinterbliebenenrente, die vom letzten Einkommen des Verstorbenen abhängig ist (Guhan 1992: 249; Tamil Arasu, September 1991: 26). Für bestimmte Berufsgruppen innerhalb des staatlichen Sektors gibt es jedoch höhere Absicherungen. So erhalten z.B. die Angehörigen von Polizisten1 beim Todesfall während der Pflichtausübung einen einmaligen Betrag von 100.000 Rs, die Monatsbezüge des Verstorbenen bis zu seiner vorgesehenen Pensionierung und anschließend seine Pension (Tamil Arasu, Oktober 1991: 21).
Insgesamt muß festgestellt werden, daß eine erhebliche Diskrepanz zwischen den Standards im staatlichen Sektor und den Maßnahmen zur Sozialen Sicherheit im informellen Bereich besteht. Weitere Vergleiche bestätigen diese Feststellung lediglich. Auf sie soll deshalb verzichtet werden, zumal die gewonnenen Erkenntnisse weder neu noch überraschend sind, sondern hier lediglich hinsichtlich ihrer Dimensionen dargestellt werden sollten.
Wichtig ist jedoch, daß diese Standards auch den armen Menschen bekannt sind und zu einer hohen Präferenz des staatlichen Sektors bei den Beschäftigungswünschen führen. Auf diese „Pull-Faktoren“, die vom staatlichen Bereich der Wirtschaft ausgehen, wird später im empirischen Teil der Arbeit nochmals eingegangen.
9.3.2 Bewertung nach den erbrachten Leistungen
Vergleicht man die Altersrenten im informellen Sektor mit den für diesen Sektor festgelegten Mindestlöhnen, sieht die Bilanz ebenfalls dürftig aus. Zum 1.2.1993 sind die gesetzlichen Mindestlöhne im informellen Sektor der Industrie von 15 auf 20 Rs/Tag angehoben worden. Geld- und Sachleistungen zusammengenommen beträgt die monatliche Altersrente etwa 125 Rs oder zwischen sechs und acht Tagesmindestlöhnen. Sie liegt damit unter der ländlichen Armutsgrenze von 1987-88, die 132 Rs betrug (GOI 1992-II: 27).
Gulati/Gulati (1994) argumentieren, daß die Alterspensionen in Kerala in Höhe von derzeit 65 bis 85 Rs hinreichend seien, um eine Minimalabsicherung zu gewährleisten. Sie führen dabei an, daß die Rentenempfänger in den Fair Price Shops Nahrungsmittel deutlich unter den auf dem freien Markt geltenden Preisen einkaufen könnten und außerdem sei bei den meisten Beziehern von Altersrenten davon auszugehen, daß sie keine Ausgaben für Unterkunft haben, da sie i.d.R. bei Angehörigen wohnten. Die Menge der aus den staatlichen Lebensmittelläden bezogenen Nahrungsmittel ist jedoch nicht an die Haushaltgröße gebunden. Großhaushalte erhalten nicht mehr Nahrungsmittel als kleinere Haushalte und sind deshalb benachteiligt. Empfänger von Alterspensionen können demnach auch keine „Extraration“ erhalten, es sei denn, sie leben in einem eigenständigen Haushalt. Dann jedoch würden Kosten für die Unterbringung anfallen. So gesehen tragen Alterspensionen zwar zum Haushaltseinkommen bei, ermöglichen den Beziehern jedoch keine selbständige Lebensführung. Ihre Position im Haushalt wird dadurch trotzdem verbessert, werden sie doch aufgrund ihres finanziellen Beitrags weniger als unproduktive Last empfunden.
Ähnlich sind die Beihilfen für schwangere Frauen zu bewerten. Sie sind zu niedrig, um Schwangere genügend abzusichern, damit sie eine geraume Zeit vor und nach der Entbindung das Arbeiten auf dem Feld oder auch im Haushalt einstellen kann. Doch selbst wenn die Beihilfe höher wäre, würde dies wahrscheinlich in sehr vielen Fällen nicht der Fall sein. Diese Beihilfe ist vermutlich ebenfalls eher ein willkommenes Zusatzeinkommen. Sie kann aber, wenn sie tatsächlich der Frau zukommt, dieser zumindest einen Geldbetrag in die Hände geben, der sie in die Lage versetzt, die notwendigen Arztbesuche zu bezahlen.
Eine Bewertung der anderen Leistungen ist schwierig. Die Unterstützungszahlungen bei Verkehrsunfällen sind mit 3000 Rs im Todesfall mit Sicherheit zu niedrig angesetzt. Im Gegensatz dazu sind die Hinterbliebenenunterstützungen in der Größenordnung zwischen 10.000 und 21.000 Rs für indische Verhältnisse - und besonders für die Verhältnisse von Gruppen unterhalb der Armutsgrenze - sehr viel Geld. Sie dürften in der Regel das Jahreseinkommen eines solchen Haushaltes deutlich überschreiten und bieten damit den Hinterbliebenen für einen relativ langen Zeitraum die Möglichkeit, sich auf ihre neue Situation einzustellen. Wenn keine weiteren berufstätigen Haushaltsmitglieder vorhanden sind und - im Falle des Ablebens des männlichen Ernährers - die Witwe das zum Bezug einer Witwenpension notwendige Alter erreicht hat, kann diese Pension zusammen mit der Hinterbliebenenunterstützung Verwundbarkeit erheblich verringern. Falls die Witwe vor dem Tod ihres Ehemanns bereits berufstätig war, kann sie den hohen Geldbetrag dazu verwenden, ihre zukünftigen Einkommensmöglichkeiten zu verbessern. So sind die 21.000 Rs, die gegenwärtig den Angehörigen von Kleinfischern bei deren Tod ausbezahlt werden, ein ausreichendes Startkapital für eine neue wirtschaftliche Existenz. Sie können z.B. verliehen werden und erbringen bei den üblichen Zinssätzen von 10 Prozent monatlich ein Monatseinkommen von 2100 Rs, „ mehr als der Ehemann zu Lebzeiten als Einkommen nach Hause brachte “.1 Allerdings, und hier liegt der große Nachteil solch hoher Entschädigungszahlungen, gibt es bei den zur Bearbeitung der Versicherungsfälle zuständigen Behörden nicht wenige Mitarbeiter, die an diesem „Geschenk des Staates“ ebenfalls ihren Anteil beanspruchen.
9.4 Probleme der Durchführbarkeit Sozialer Absicherungsprogramme
Am Ende des vorausgehenden Kapitels wurde eines der größten Probleme bei der Durchführung von Programmen zur Sozialen Absicherung im informellen Sektor angesprochen: die allgegenwärtige Korruption in den staatlichen Verwaltungen. Nicht genug, daß die meisten Programme von ihrem Umfang her eher bescheiden sind, (fast) immer finden sich auch noch Beamte, die von ihnen profitieren wollen. Von staatlicher Seite werden nur halbherzige Schritte unternommen, diese Art der Korruption wirkungsvoll zu unterbinden, beruht sie doch auf einer Hierarchie, die vom untersten Verwaltungsbeamten bis hin in hohe politische Kreise reicht. Kaum eine Rolle spielt bei der Durchführung, daß die Programme den Berechtigten etwa nicht bekannt wären. So gibt es z.B. das Pensionsprogramm in Tamil Nadu seit mittlerweile mehr als 30 Jahren, und keine Regierung versäumt einen geeigneten Anlaß, darauf hinzuweisen. Zudem sprechen sich solche Programme bei potentiell Berechtigten sehr schnell herum. Wenn zuvor bereits an verschiedenen Stellen immer wieder auf den populistischen Charakter indischer Politik hingewiesen wurde, dann trifft dies auch auf diesen Bereich zu. Populistische Politik setzt voraus, daß einmal getroffene Maßnahmen dem Volk immer wieder nahegebracht werden. So stellt sich im empirischen Teil der Arbeit heraus, daß die meisten nach solchen Programmen befragten Personen sehr genau darüber Auskunft geben konnten.
Wichtig - wenngleich höchstwahrscheinlich nicht so wichtig wie gemeinhin angenommen - dürfte der jeweilige Bildungsstand der Berechtigten sein. Unter diesem Gesichtspunkt sind die Angaben, die Guhan (1992) hinsichtlich der Aufteilung bestimmter Maßnahmen auf die unterschiedlichen Distrikte Tamil Nadus macht, von höchstem Interesse. So schneidet Madras bei fast allen Programmen unterdurchschnittlich ab (Guhan 1992: 256-60), obwohl angenommen werden muß, daß die Menschen dort am ehesten über solche Programme informiert sind. Ihr Bildungsstand ist weit über dem Durchschnitt von Tamil Nadu. Die Verfügbarkeit mehrerer Zeitschriften in tamilischer Sprache sowie die Präsenz aller wichtigen Parteien müßten ebenfalls dazu beitragen, daß die Menschen sehr gut über die Existenz solcher Programme Bescheid wissen. Dennoch erhielten 1990 in Madras lediglich 1,9 Prozent der Berechtigten eine Hinterbliebenenunterstützung. Insgesamt waren es in ganz Tamil Nadu jedoch 20,8 Prozent. Unter allen 16 Distrikten liegt Madras dabei mit Abstand an letzter Stelle. An vorletzter Stelle liegt der Coimbatore-Distrikt, der ebenfalls eine überdurchschnittliche Alphabetisierungsquote aufweist. Ähnlich verhält es sich bei der Bewilligung von Schwangerenunterstützungen. Auch hier liegt Madras mit 28,7 Prozent deutlich unter dem Landesdurchschnitt von 36 Prozent und wird lediglich durch den South Arcot Distrikt mit 22,2 Prozent vom letzten Platz verdrängt.
Aufschlußreich ist auch die räumliche Verteilung der Heiratsbeihilfen. Obgleich Madras mit 67,1 Prozent eine deutlich höhere Alphabetisierungsquote bei Frauen hat als Tamil Nadu insgesamt, liegt der Distrikt auch bei diesem Programm an letzter Stelle. Lediglich 16,3 Prozent der berechtigten Frauen konnten hier eine Heiratsunterstützung erhalten, obwohl diese direkt mit dem Bildungsstand verknüpft ist. In ganz Tamil Nadu waren es 25 Prozent. Auf der anderen Seite schneidet der Dharmapuri-Distrikt bei immerhin der Hälfte der Programme überdurchschnittlich ab, obwohl er mit knapp 40 Prozent die niedrigste Alphabetisierungsquote in Tamil Nadu hat. Guhan (1992) sieht den hauptsächlichen Grund für die unterdurchschnittliche Programmimplementierung in Madras vor allem in Verwaltungsschwierigkeiten und fehlendem politischen Druck:
„Unlike the rural districts, the city does not have a well-established or decentralized revenue administration. Given the greater scope for fraud and leakages in the urban context, the administration would also tend to be cautious and conservative. Assembly constituencies are very large in population and elections to the Corporation have not been held for several years with the result that there is little or no persuasion or pressure from elected representatives on the people or on the administration“ (Guhan 1992: 271).
9.4.1 Die Finanzierbarkeit von Maßnahmen zur Sozialen Absicherung im informellen Sektor
Häufig werden gegen die Ausweitung von Maßnahmen zur Sozialen Absicherung auf den informellen Sektor Schwierigkeiten bei der Finanzierung genannt. In vielen Ländern der sog. Dritten Welt sind im informellen Sektor erheblich mehr Personen beschäftigt sind, als im formellen. Diese Beschäftigten sind jedoch nicht oder nur im geringen Umfang zu Beitragszahlungen für die Sozialversicherung in der Lage (Gsänger 1993: 281).
In Tamil Nadu können etwa 90 Prozent der Beschäftigten Sektoren zugerechnet werden, die vom Sozialversicherungssystem nicht erfaßt werden. Die größte Gruppe ist die der Landarbeiter, die knapp 30 Prozent der Beschäftigten ausmachen. Kaum ein Arbeitgeber wird sich bereit erklären, für seine ArbeiterInnen Sozialabgaben zu bezahlen. Kaum ein Arbeitnehmer wird bei seinem kärglichen Verdienst in der Lage sein, einen Teil davon auch noch an eine Kranken- oder Rentenkasse abzuführen. Vielfach gibt es solch klar definierte Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Beziehungen noch nicht einmal, sondern viele der im informellen Sektor Tätigen üben Gelegenheitsarbeiten aus oder sind selbstständig. Deshalb sind die Finanzierungsprinzipien aus dem formellen Sektor, nach denen Arbeitgeber und Arbeitnehmer sich an den Kosten für die Sozialversicherung beteiligen und bei denen der Staat ebenfalls seinen Beitrag leistet, auf den informellen Sektor nur sehr schwer übertragbar (Atkinson/Hills 1991; Burgess/Stern 1991; Gsänger 1993: 280; Queisser 1993).
In Indien bieten zwar viele Gesellschaften private Versicherungen an, doch die Prämien dürften für die meisten der im informellen Sektor Tätigen nicht aufzubringen sein, zumal sie nicht die Möglichkeit haben, die Prämienzahlungen steuerlich abzusetzen. Auf der anderen Seite bleibt dennoch der Widerspruch bestehen, daß Soziale Sicherungssysteme vor allem für jene Bevölkerungsgruppen bestehen, die strukturell relativ gut abgesichert sind.
Abgesehen davon, daß auch in Indien der Staat es sich nicht wenig kosten läßt, die Maßnahmen im organisierten Sektor zu bezuschussen, muß darauf hingewiesen werden, daß eine ganze Reihe von Maßnahmen nicht an der Finanzierung scheitern müßte und dennoch ein vertretbares Niveau der Absicherung erreichen könnte. Allen voran die Absicherung bei arbeitsbedingen Unfällen bzw. Todesfällen kann durch eine verhältnismäßig niedrige Versicherungsprämie erreicht werden. So muß der Staat für die Unfall- bzw. Hinterbliebenenversicherung für die Kleinfischer pro Jahr eine Versicherungsprämie von weniger als 20 Rs pro Fischer bezahlen und kann dennoch im Schadensfall eine Entschädigung von 21.000 Rs bereitstellen. Die Finanzierung von Leistungen, die nicht einmaliger Art sind und die auch von einer großen Gruppe von Leistungsnehmern beansprucht werden, dürfte dagegen erheblich schwieriger sein. Doch auch hier lassen sich bei gutem Willen Konzepte erarbeiten, die finanziell tragfähig sind, ohne ausschließlich auf staatliche Subventionen angewiesen zu sein. Für die Beschäftigten lukrativ wären sicherlich Programme, die bei einem vertretbaren Eigenanteil gleich mehrere Risiken absichern helfen. Die Erfahrungen mit dem Sparprogramm für Kleinfischer zeigen, daß die Fischer durchaus bereit sind, für ihre soziale Absicherung Geld auszugeben, sofern sie merken, das das Programm tatsächlich zu ihrem Nutzen ist.
Tab. 22: Anzahl und Anteile der Arbeitskräfte in Tamil Nadu nach Sektoren (1991)
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„Die nicht gesicherten Bevölkerungsgruppen sind nicht nur durch den Ausschluß aus dem Sicherungssystemen benachteiligt, sondern auch durch die Existenz der Systeme selbst. Die formellen Sicherungssysteme benötigen in vielen Ländern beträchtliche staatliche Zuschüsse; diese werden aus dem allgemeinen Steueraufkommen finanziert, das sich überwiegend aus indirekten, also regressiv wirkenden Steuern zusammensetzt. Somit werden die Armen überproportional zur Finanzierung von Sozialleistungen herangezogen, auf die sie keine Ansprüche haben“ (Queisser 1993: 249).
Interessant ist in diesem Zusammenhang die Forderung des National Fishermen's Forum (NFF) zur Finanzierung von Wohlfahrtsmaßnahmen im Kleinfischereisektor. Ins Auge gefaßt wird die Erichtung eines Welfare Funds, der von den Fischern, der privaten Fischereiindustrie und dem Staat finanziert werden soll:
1. Fischer und FischkleinhändlerInnen zahlen einen nicht näher genannten Betrag in diesen Fund ein.
2. Die Besitzer von mechanisierten Booten entrichten eine Leistung, die von der Größe ihres Bootes abhängig ist.
3. Exporteure von Fischereiprodukten bezahlen ein Prozent ihres Umsatzes ein.
4. Die lokalen/regionalen FischgroßhändlerInnen bezahlen ebenfalls ein Prozent ihres Umsatzes.
5. Zentralregierung und die jeweilige Landesregierung schießen beide einen Betrag zu, der der Einzahlung durch die Kleinfischer und die FischhändlerInnen entspricht.
Tab. 23: Schätzungen zum Finanzvolumen eines Fish Workers Welfare Funds
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Dieser Welfare Fund soll den Fischerfamilien eine angemessene Altersversorgung ermöglichen, sie vor den Folgen von Unfällen schützen und auch die Verhältnisse in anderen Sozialsektoren wie Bildung, Ausbildung, Gesundheit etc. verbessern helfen. Nach einer groben Schätzung würde in einem solchen Fund in Tamil Nadu jährlich etwa 170 Mio. Rs zusammenkommen.
Bei der Berechnung wurden die Vorgaben des NFF zugrunde gelegt bzw. durch eigene Vorgaben ergänzt. Der Beitrag eines aktiven Fischers wurde dabei auf 30 Rs/Monat festgesetzt. Dieser Betrag ergibt sich aus der Tatsache, daß beim gegenwärtig bestehenden Sparprogramm ein aktiver Fischer bereit und fähig ist, über einen Zeitraum von acht Monaten jeweils 45 Rs aufzubringen. Bei den mechanisierten Booten wurde ein durchschnittlicher Pauschalbetrag von monatlich 150 Rs angenommen, der bei konkreter Umsetzung eines solchen Programmes entsprechend der Größe der Boote differenziert werden muß. Dieser Betrag erscheint angesichts des großen Einkommensunterschiedes zwischen Klein- und mechanisierter Fischerei vertretbar, wenngleich er weitgehend willkürlich angesetzt wurde.
Die Frage wird nun sein, ob sich mit diesen (mindestens) 170 Mio Rs1 im Jahr sinnvolle Maßnahmen zur sozialen Absicherung von Kleinfischern und ihren Angehörigen finanzieren lassen. 1988 umfaßte die Fischereibevölkerung Tamil Nadus etwa 480.000 Menschen (TNFD 1988: 5). Für 1990 kann von einer Bevölkerungszahl von knapp 500.000 Menschen ausgegangen werden.2 Geht man davon aus, daß etwa 7,5 Prozent von ihnen älter als 60 Jahre sind,3 müßten etwa 37.500 Alterspensionen bezahlt werden. Legt man ihre monatliche Höhe auf 250 Rs fest, würden jährlich etwa 112,5 Mio. Rs für Alterspensionen aus dem Fund aufgewendet. Für die Unfallversicherung der Kleinfischer wurde von einer jährlichen Versicherungsprämie in Höhe von 20 Rs ausgegangen. Dies entspricht in etwa der derzeitigen Prämie. Sie müßte für alle aktiven Fischer aufgebracht werden und würde demnach jährlich etwa 2,3 Mio. Rs kosten. Von den 170 Mio. Rs würden nach Sicherstellung einer Alterspension und nach Absicherung des Unfallrisikos noch etwa 55 Mio. Rs jährlich für weitere Maßnahmen übrigbleiben.
Bei den Maßnahmen zur Sozialen Absicherung im formellen Bereich der Wirtschaft übernehmen Arbeitnehmer, Arbeitgeber und der Staat zu unterschiedlichen Teilen die Finanzierung. Der Arbeitgeberanteil ist dabei i.d.R. am höchsten. Für die beitragsgebundene Hinterbliebenenunterstützung ist vom Arbeitnehmer überhaupt kein Finanzierungsanteil zu erbringen. In der Kleinfischerei gibt es ein solches Arbeitnehmer- <=> Arbeitgeberverhältnis nicht. Eine diesem Prinzip entsprechende Finanzierung ist demnach nicht möglich. Die private Wirtschaft (Exportunternehmen) und der Staat (Deviseneinnahmen) profitieren jedoch in erheblichem Maß von der Arbeit der Kleinfischer und können deshalb berechtigterweise zur Verantwortung gezogen werden. Beim vorgestellten Modell liegt der Finanzierungsanteil der Fischer höher als jener der privaten Industrie. Der im gesetzlichen Sozialversicherungswesen bestehende Grundsatz, daß die Finanzierungsbeiträge des Arbeitsgebers über denen des Arbeitnehmers liegen, wurde also umgekehrt (Patil 1978: 139).
10 Die Entwicklung des Politischen SYSTEMS in Tamil Nadu
Bei der Entwicklung der Politischen Ökonomie Indiens wurden wesentliche Rahmenbedingungen hinsichtlich der Einschätzung entwicklungsrelevanter Aspekte für die gesamtindische Situation herausgearbeitet. Dies war notwendig, weil das indische Staatswesen, trotz seiner föderalen Ordnung, sehr starke zentralistische Elemente enthält und von der Zentralregierung wesentliche Vorgaben in der Wirtschafts- und Sozialplanung gemacht werden. Daraus kann aber keinesfalls abgeleitet werden, daß die Entwicklung der Politischen Ökonomie im regionalen Kontext daher zu vernachlässigen sei. Jedes Bundesland in Indien hat eine regionale Geschichte, die sein Verhältnis zur indischen Union bestimmt. Einige Bundesländer (u.a. Kerala, Tamil Nadu, Punjab, Kashmir, die Länder des Nord-Ostens) haben in den nunmehr fast 50 Jahren der Unabhängigkeit aus unterschiedlichen Gründen ein mehr oder weniger gespanntes Verhältnis zur Zentralmacht in Neu Delhi gehabt. In einem Spannungsverhältnis zwischen vollständiger Abhängigkeit vom Zentrum und regionaler Autonomie konnten sich in den indischen Bundesländern Machtverhältnisse etablieren, die durch eine gesamtindische Sichtweise nur unvollständig erklärt werden können.
Um die gegenwärtigen politischen Verhältnisse in Tamil Nadu verstehen zu können, wäre es notwendig, bis in die vorkoloniale Zeit zurückzugehen, vor allem wenn die spezifisch drawidische Gesellschaft des Südens der arischen des Nordens gegenübergestellt werden soll. Eine solch tiefgehende Analyse kann an dieser Stelle nicht vorgenommen werden, sondern die historische Betrachtung soll zu einem Zeitpunkt einsetzen, an welchem sich die kulturelle Eigenart des Südens in politischen Bewegungen niederschlug. Anfang dieses Jahrhunderts entstand in der damaligen Madras-Presidency allmählich eine Drawidische Bewegung,1 die ihre ideologische Stoßrichtung aus der von bestimmten Kastengruppen wahrgenommenen Dominanz der Brahmanenkaste und einer eng damit verbundenen, arischen Dominanz aus dem Norden ableitete. Die beiden Parteien, die heute das politische Leben Tamil Nadus bestimmen (DMK und AIADMK) sind beides Nachfolgeorganisationen dieser Drawidischen Bewegung. Deshalb ist es wenig erstaunlich, daß sich dort auch heute noch Versatzstücke der ideologischen Ausrichtung dieser Bewegung wiederfinden lassen.
Von besonderem Interesse sind dabei die Fragen, welche Interessen durch diese beiden Parteien vertreten werden, d.h. welche Kasten- und Klassenformationen durch diese beiden Parteien zum Ausdruck kommen, wie von diesen Parteien Armut, soziale (Un)Gerechtigkeit und andere Entwicklungsprobleme wahrgenommen und angegangen werden und wie es diese Parteien erreichen, große Wählergruppen hinter sich zu vereinen, obwohl es ihnen bis in die Gegenwart hinein nicht gelungen ist, Armut und soziale Ungerechtigkeit in Tamil Nadu wirkungsvoll zu bekämpfen.
10.1 Das Entstehen eines „drawidischen“ Nationalismus
Die Congress-Partei, die Tamil Nadu die ersten 20 Jahre nach der Unabhängigkeit regierte, war vor allem die Partei der höheren Kasten, besonders der Brahmanen (Thandavan 1989: 254). Sie konnte sich bis Mitte der 60er Jahre nur deshalb an der Macht halten, weil die Opposition gespalten und weil die Wahlbeteiligung sehr niedrig war (Washbrook 1989). Bei den unteren Kastengruppen konnte sie sich kaum etablieren, was auch damit zusammenhing, daß regionale Parteien und Gruppierungen durch eine explizite „Anti-Brahmanen“- und „Anti-Zentrums“-Politik eine sehr starke Bindung dieser unteren Kastengruppen an die Parteien entstehen ließen, die aus der Drawidischen Bewegung hervorgegangen waren.
Allerdings ist diese Polarisierung zwischen Brahmanen und nicht-brahmanischen Gruppen kein Konflikt, den es im Süden Indiens nach Einsetzen des nordindischen (arischen) Einflusses schon immer gegeben hätte, sondern er entstammt den gesellschaftlichen Veränderungen, die seit dem 19. Jahrhundert eingesetzt hatten (Rösel 1992; Washbrook 1989).
Im Gegensatz zu NordIndien ist im Süden des Subkontinentes das Kastensystem sehr schwer exakt erfassbar. In der Rangskala der Kasten sind lediglich die oberen (Brahmanen) und die unteren (Unberührbare) Ränge eindeutig zugeordnet, während das „Mittelfeld“ von tausenden, häufig lediglich regional auftretenden Kastengruppen (jatis) eingenommen wird. Dabei kommt es vor, daß ein und dieselbe Kastengruppe in verschiedenen Regionen unterschiedlich bewertet wird.
Seit Mitte des 18. Jahrhunderts begann sich ein Konflikt zwischen Brahmanen und der Elite der nicht-brahmanischen Gruppen herauszukristallisieren, als die Brahmanen immer häufiger den Dienst in der britischen Kolonialverwaltung antraten und in die städtischen Zentren abwanderten. Vertreter der nicht-brahmanischen Elite wollten es den Brahmanen gleichtun und wanderten ebenfalls immer häufiger in die Städte ab.
Dort konnten die Brahmanen ihren Status beibehalten, zumeist sogar noch verbessern. Anders die Nicht-Brahmanen: sie konnten meist weder ihre wirtschaftlichen Ambitionen umsetzen, noch verhindern, daß sie häufig sogar einen sozio-kulturellen Abstieg erleben mußten. In ihrer ländlichen Umgebung nahmen sie noch einen festen Platz in der Kastenhierarchie ein. Sie waren zwar keine Brahmanen, doch sie gehörten zur Elite der lokalen Gesellschaft. In den Städten wurden sie einfach zu Nicht-Brahmanen. Während die Brahmanenkaste eindeutig einen vorderen Platz in der Kastenhierarchie einnahm, bestimmte sich die Stellung der Nicht-Brahmanen aus der lokalen Kastenordnung, die in den Städten nichts mehr galt.1
Der Konflikt zwischen Brahmanen und Nicht-Brahmanen ist also aus der unterschiedlichen Entwicklung der Brahmanen und der nicht-brahmanischen Elite (bzw. Teilen davon) entstanden. Ideologisch aufgegriffen und in eine kulturelle Ebene eingebettet werden, konnte dieser Konflikt allerdings nur dadurch, indem ein historischer Konflikt zwischen den Brahmanen (als arische Kolonisatoren) und den Drawiden (als ein von den Ariern unterworfenes Volk) konstruiert wurde.
Bereits im 17. Jahrhundert wurden von christlichen Missionaren erste Versuche einer solchen „Geschichtsfälschung“ vorangetrieben, weil sie zur Kenntnis nehmen mußten, daß sich vor allem die Brahmanen ihren Bekehrungsversuchen gegenüber resistent zeigten. Gleichzeitig wurden sie als Konkurrenten im „Missionsgeschäft“ angesehen (Washbrook 1989: 214). Im 19. Jahrhundert waren es dann wieder selbsternannte christliche „Indologen“, die dieses Bild von der durch die Arier unterdrückten drawidischen Kultur weiter festigten, indem sie die Wurzeln der reinen - d.h. von arischem Einfluß gesäuberten - drawidischen Kultur freilegten. In der von Robert Caldwell 1856 veröffentlichten Comparative Grammar of the Dravidian or South-Indian Family of Languages wird die Theorie vertreten, die tamilische Sprache und Kultur sei bedeutend älter und vor allem weitaus höher entwickelt als das Sanskrit und die arische Kultur. Von der Drawidischen Bewegung ideologisch ausschlachten ließen sich vor allem jene neuen „kulturwissenschaftlichen“ Erkenntnisse, wonach die arisch-brahmanischen Kolonisatoren nicht nur dem drawidischen Süden ihre Sprache und Religion aufgedrängt hätten,
„sondern auch die ursprünglich sozial gleichgestellten Drawiden dem Regime der Kaste unterworfen (hätten). Die Masse der Drawiden - bis auf wenige Herrscher und Händler - wird nun zu Shudras. Sie werden den Brahmanen unterworfen und müssen ihnen dienen. Caldwell entwirft das Bild einer ursprünglichen, egalitären und reinen Drawida-Gesellschaft, deren Sprache und Kultur nicht nur älter, sondern wertvoller als Sanskrit und Brahmanenkultur sind. Die Brahmanen werden in den Rang einer selbstsüchtigen, bigotten, arischen Klasse von Kolonisten gerückt“ (Rösel 1992: 437).
Die Drawidische Bewegung greift diese „kulturwissenschaftlichen Erkenntnisse“ zu Beginn des 20. Jahrhunderts wieder auf und macht sie zur ideologischen Grundlage ihrer Agitationen gegen das Brahmanentum. Die Bewegung setzte sich aus zwei Organisationen zusammen, die zwar in ihrer „Anti-Brahmanen“-Ideologie einen gemeinsamen Nenner hatten, ansonsten jedoch bis in die 30er Jahre hinein wenig weitere Gemeinsamkeiten aufwiesen, vor allem, was den sozialen Hintergrund der Organisationsmitglieder wie auch die gesellschaftliche Ausrichtung betraf. Es waren dies die 1916 gegründete South Indian Liberal Federation, bekannter unter der Bezeichnung Justice Party (Arnold 1977: 19; Hardgrave 1965: 16-24) und die 1925 von E.V. Ramaswamy Naicker1 (genannt Periyar = der große Weise) ins Leben gerufene Self-Respect-Movement.
In der Justice Party fanden sich vor allem jene Nicht-Brahmanen zusammen, die gebildet und wohlhabend waren, sich jedoch durch die Dominanz der Brahmanenkaste am gesellschaftlichen Aufstieg gehindert sahen. Vor allem der Zugang zu den höheren Posten in der staatlichen Verwaltung war ihnen durch die Brahmanen versperrt (Arnold 1977: 13ff; Ram 1979: 384). In den Universitäten war die Dominanz der Brahmanen ähnlich stark. So drohte sich dies unausgewogene Verhältnis immer wieder zu reproduzieren, denn für den höheren Verwaltungsdienst kamen nur Kandidaten in Frage, die Englisch sprachen. Unter den vier Prozent der Bevölkerung, die der englischen Sprache mächtig waren, waren deshalb die Brahmanen, die lediglich zwei bis drei Prozent der Bevölkerung der Madras Presidency ausmachten, ebenfalls deutlich überrepräsentiert (Washbrook 1989: 212).
Mit ihren Forderungen nach größerer Beteiligung nicht-brahmanischer Beamter in der Kolonialverwaltung stießen sie bei den britischen Kolonialherren auf offene Ohren, denn diesen wurde die Abhängigkeit von brahmanischen Beamtendiensten immer unerträglicher
Sowohl die britische Kolonialverwaltung als auch die Justice Party wollten also die Dominanz der Brahmanen brechen. Mit den Montagu-Chelmsford-Reformen von 1919/1920 sicherte die britische Kolonialverwaltung den Minderheitengruppen, in der Madras Presidency aber auch den Nicht-Brahmanen,2 reservierte Sitze in den zu wählenden Provinzparlamenten zu (Nayak 1976: 408f). Für die Interessen der aufstrebenden drawidischen Eliten schien die britische Herrschaft in Indien also äußerst nützlich zu sein, weil sie ihr Vorteile gegenüber der brahmanischen verschaffen konnte.
Gleichzeitig und zwangsläufig lehnten sie deshalb den nationalen Unabhängigkeitskampf des Indischen Nationalcongresses ab, weil sie in ihm die Verkörperung brahmanischer Dominanz sahen. Sie konnten sich nicht vorstellen, daß in einem unabhängigen, vom arischen Norden dominierten Indien, ihre Interessen gewahrt werden würden (Sivathamby 1993: 19). 1938, als die Congress-Regierung unter C. Rajagopalachari Hindi als Pflichtfach an tamilischen Schulen einführen wollte, erhob die Justice Party zum ersten Mal ihre Forderungen nach einem unabhängigen Staat „ loyal to the British Raj and directly under the Secretary of State for India “ (Hardgrave 1975: 27). Obwohl die Justice Party zwischen 1920-26 und 1930-37 die Regierung in der Madras Presidency stellte,1 nahm ihre Bedeutung in Folge der beständig stärker werdenden Popularität des Indischen Nationalcongresses immer mehr ab. Ihre „Anti-Brahmanen“-Ideologie sowie die Tatsache, daß die Justice Party weitgehend eine elitäre Partei2 geblieben war, fanden in einer Zeit, in der der Indische Nationalcongress bereits zu einer Massenbewegung geworden war, die praktisch alle gesellschaftlichen Gruppen für den Kampf um die nationale Unabhängigkeit begeistern konnte, kaum noch Unterstützung (Ram 1974: 219; Washbrook 1989: 250). Der Justice Party war es zwar also gelungen, den Brahmanen die politische Macht aus den Händen zu nehmen,. an der Dominanz der Brahmanen in der Verwaltung konnte sie aber, trotz der Anweisung, Nicht-Brahmanen bevorzugt einzustellen, kaum etwas ändern. Erstens sabotierte eine seit Generationen etablierte brahmanische Beamtenschaft die Anweisungen der Justice- Regierung und zweitens kamen aus den Reihen der Nicht-Brahmanen nicht genug qualifizierte Bewerber für den höheren Beamtendienst (Rösel 1992: 463f; Washbrook 1989: 213).
Einen kurzen Aufschwung erlebte die Partei noch einmal 1938, als Periyar, der Führer der Self-Respect-Movement, ihren Vorsitz übernahm und sie in Tamil Nadu zu einer Massenbewegung gerade unter ärmeren Bevölkerungsgruppen machte (Palanithurai 1993: 75).
Neben der Justice Party war Periyars Self-Respect-Movement zur zweiten tragenden Säule der Drawidischen Bewegung geworden.3 Anders als bei der Justice Party ging es dieser Gruppierung nicht darum, durch parteipolitische Betätigung die Dominanz der Brahmanen zugunsten der nicht-brahmanischen Elite zu durchbrechen, sondern ihre Forderungen4 stellten das Kastensystem und all seine negativen Begleiterscheinungen radikal in Frage.
„Ramaswami Naicker [...] laid down a programme of social and political action which included: condemnation of the 'theory of superiority and inferiority'; the abolition of untouchability and the right of access to temples and wells for all communities; the proscription of holy books which promulgated Brahman mythologies; diversion of temple funds for secular uses; abolition of priests and the conduct of marriages and other rituals without Brahman priests; the abolition of all caste suffixes in personal names; the uplift of women and a rational approach to all other excrescences of south Indian society“ (Baker 1976: 83).
1933/34 zeigte sich Periyar unter bestimmten Bedingungen bereit, wieder dem Indischen Nationalcongress beizutreten. Als jedoch seine Forderungen von diesem abgelehnt wurden, wandte er sich endgültig der Justice Party zu (Hardgrave 1965: 26f; Ram 1974: 221). Kurz zuvor hatte er auch enge Beziehungen zu führenden südindischen Kommunisten geknüpft,5 die er jedoch bald wieder aufgab (Sivathamby 1993: 35).
1938 wurde Periyar - wie bereits erwähnt - zum Präsidenten der Justice Party gewählt, die in den folgenden Jahren vor allem damit beschäftigt war, Unterstützung für ihre Forderungen nach einem unabhängigen Dravidanadu zu erhalten.1 1944 schlossen sich die Justice Party und die Self-Respect-Movement zu der Drawida Kazhagam (DK; Drawidische Vereinigung) zusammen, die die Politik der Justice Party der ausgehenden 30er Jahre weiterführte. Das wichtigste Ziel der DK war nach wie vor die Schaffung eines unabhängigen Drawidanadu (oder Drawidisthans). Wie schon in den Vorgängerorganisationen wurde aber auch die anti-brahmanische und zugleich gegen die Vorherrschaft des indischen Nordens gerichtete Tradition betont, wenngleich diese Ideologie zugunsten eines drawidischen Nationalismus immer mehr in der Hintergrund trat. Die sozialreformerischen Aktivitäten Periyars verloren ebenfalls sehr stark an Bedeutung.2 Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges gab die DK die Zusammenarbeit mit den Briten auf
„[...] and slowly the party changed its character from an elite ethnic group to a militant mass ethnic movement and it raised its image both in the state as well in the nation by proclaiming its opposition to the raj“ (Palanithurai 1993: 75f).
10.1.1 Die Drawidische Bewegung und die Klassenfrage
Auch heute geben Politiker sowohl der DMK als auch der AIADMK ihren Parteien gerne einen sozialistischen Anstrich. Sie treten als Fürsprecher für die Armen und Ausgebeuteten auf und lassen sich als „Revolutionäre Führer“ (Puratchi Thalaivar) von den Massen verehren.
Die Analyse der Geschichte der Drawidischen Bewegung zeigt jedoch deutlich, daß weniger eine sozialistische Gesellschaftsutopie als vielmehr eine reaktionistische und sehr häufig auch naive Auseinandersetzung mit vermeintlich äußeren Bedrohungen die Grundlage der drawidischen Ideologie war. Es ist bezeichnend, daß nicht die britische Kolonialmacht als ausbeutende Instanz wahrgenommen wurde, sondern die Brahmanen, die den gesellschaftlichen Aufstieg der Nicht-Brahmanen behinderten. Indem die Justice Party ein Kastenthema (Brahmanen vs Nicht-Brahmanen) zum Kern ihrer Ideologie machte, war sie blind für die enormen Klassengegensätzen, die in Tamil Nadu zu Beginn des 20. Jahrhunderts herrschten (Ram 1975: 395f).
Nun könnte man jedoch behaupten, daß Kasten- und Klassengrenzen damals praktisch identisch waren, vor allem, wenn man auf die Dominanz der Brahmanen abhebt, die trotz starker zahlenmäßiger Unterlegenheit die gesellschaftlichen Spitzenpositionen in der Madras Presidency einnahmen. Als 1918 ein (nach Einkommen) beschränktes Wahlrecht eingeführt wurde, waren in den städtischen Zentren mehr als 20 Prozent der auf den Steuerlisten aufgeführten Personen Brahmanen; in den ländlichen Gebieten waren es über 15 Prozent (Washbrook 1989: 212). Bedenkt man, daß der Anteil der Brahmanen an der Gesamtbevölkerung damals zwischen zwei und drei Prozent betrug, wird die Sonderstellung der Brahmanen durchaus ersichtlich (Nayak 1976: 409). Noch deutlicher wird aber, daß es unter der indischen Elite der Madras Presidency eine nicht unbeträchtliche Anzahl von Nicht-Brahmanen gegeben haben muß.
Der Konflikt zwischen Brahmanen und Nicht-Brahmanen kann deshalb nicht als Klassenkonflikt verstanden werden, denn hier konkurrierten nicht unterprivilegierte Klassen (bzw. Kasten) gegen privilegierte, sondern der aufstrebenden drawidischen Elite ging es darum, die Dominanz der Brahmanen zu durchbrechen. Zwei mächtige gesellschaftliche Segmente konkurrierten um die (gesellschaftliche) Vormacht (Thandavan 1989: 254f). Der ausbeuterische Charakter der britischen Kolonialherrschaft wurde dabei überhaupt nicht zur Kenntnis genommen, auch deshalb nicht, weil die drawidische Elite davon gar nicht betroffen war. Sie profitierte vielfach von der Divide and Rule -Politik der britischen Kolonialmacht. Hinzu kam, daß die Justice Party eine starke Basis auch unter der südindischen ländlichen Feudalschicht, den ländlichen Geldverleihern, den Handelshäusern und der aufstrebenden südindischen Industrie hatte.1
„In social terms, the British Raj was happiest dealing with what it conceived to be a feudal social order. The Justice Party, which it created out of Maharajas and traditionalistic comprador merchants, represented its ideal collaborator“ (Washbrook 1989: 248).
Der Konflikt zwischen der Justice Party und dem Indischen Nationalcongress muß auch vor diesem Hintergrund gesehen werden. Gerade was die feudalen Zustände in der indischen Landwirtschaft betraf, hatte Nehru bereits 1928 unmißverständlich zu erkennen gegeben, diese zerschlagen zu wollen und Land von den großen, mächtigen Zamindaren entschädigungslos an die Bauernschaft zu verteilen (Chaudhuri 1988: 279).
Anders die soziale Reformbewegung unter Periyar: Durch sie wurden gesellschaftliche Mißstände, die tatsächlich als Klassenkonflikte interpretiert werden können, zwar angeprangert, nicht jedoch als solche dargestellt. Sie wurden vielmehr aus der Dominanz der Brahmanen erklärt. So suchte er seine Unterstützung nicht bei den kommunistischen Parteien, die zu dieser Zeit großen Zulauf auch in SüdIndien hatten (Ram 1975: 395ff; Sivathamby 1993: 32ff), sondern wandte sich der Justice Party zu. Mit ihr teilte er zwar die Ablehnung der Brahmanen und des Indischen Nationalcongresses, sie war aber dennoch der denkbar schlechteste Verbündete, weil sie eben genau jene Interessen vertrat, die für die Ausbeutung großer Bevölkerungskreise direkt verantwortlich waren.
„He (Periyar, d.Verf.) was an atheist as no communist could ever claim; he was also anti-Brahman as no non-Brahman could ever become. Because of the romantic revolutionary fervour that he showed to the poor and the destitute, he was nearer to being a Communist but as he lacked any conviction in structural changes based on control, ownership and use of means of production, his movement could never bring the promised millenium“ (Nayak 1976: 411).
Ursache für diese „getrübte“ Sichtweise war, daß durch den Konflikt Brahmanen vs Nicht-Brahmanen, der in den späten 30er Jahren durch den Konflikt Dravidischer Süden vs Arischer Norden neu belebt wurde, die notwendige Differenzierung der nicht-brahmanischen Gruppen überflüssig wurde (Sivathamby 1993: 36).
Dabei stellten - wie bereits erwähnt - die Nicht-Brahmanen beileibe keine homogene Gruppe dar, sondern waren in hunderte von verschiedenen Kastengruppen zersplittert, die zudem häufig nur regional bedeutsam waren und die außerdem kaum als eine Klasse aufgefaßt werden konnten (Washbrook 1989: 216-227). Zu diesen nicht-brahmanischen Gruppen gehörten in den meisten Gebieten der Madras Presidency die Großgrundbesitzer, weshalb es in den meisten Fällen schlichtweg falsch war, die Ausbeutung der ländlichen Massen den Brahmanen zuzuschreiben (Ram 1975: 401).
10.1.2 Das Erstarken drawidischer Parteien in Tamil Nadu (1947-1967)
Aus der DK spaltete sich 1949 die Dravida Munnetra Kazhagam (DMK; Dravidische Progressive Vereinigung) ab,1 die zwar weiterhin die Ziele der DK verfolgte, jedoch die Zusammenarbeit mit ihr energisch ablehnte. Während die DK bei den Wahlen 1952 die Kandidaten der Kommunistischen Partei Indiens (CPI) unterstützte und sich nach 1954 enger an die Congress-Partei unter K. Kamaraj2 anlehnte, setzte die DMK ihre gegen die Zentralregierung gerichtete Politik fort (Malhotra 1990; Ram 1974). Innerparteiliche Streitereien, vor allem zwischen den beiden Führern M. Karunanidhi und M arudur G opalamenon R amachandran (genannt MGR),3 führten 1972 zu einer weiteren Spaltung. MGR und seine Anhänger verließen die DMK und gründeten die AIADMK (All Indian Anna Dravida Munnetra Kazhagam).
Die ersten zwanzig Jahre nach der Unabhängigkeit wurde Tamil Nadu jedoch wie erwähnt von der Congress-Partei regiert. Da diese Partei zeitgleich auch die Regierung auf nationaler Ebene stellte, konnte Tamil Nadu mit Unterstützung der Zentralregierung erhebliche Fortschritte in wichtigen Bereichen machen. Tamil Nadu wurde so zu einem der am höchsten industrialiserten Bundesstaaten (Washbrook 1989: 216). Nach dem Tod Nehrus in den 60er Jahren führten innerparteiliche Streitigkeiten zur Schwächung der Congress-Partei in Tamil Nadu.
Der Versuch der Zentralregierung, in Tamil Nadu Hindi (neben Tamil) als Verwaltungssprache einzuführen, führte 1965 zu erbitterten Protesten gegen die Congress-Partei.4 Als es dann 1967, wenige Wochen vor den Landtagswahlen, in Tamil Nadu zu einer anhaltenden Reisknappheit und zu starken Preisanstiegen auch für andere Güter des täglichen Bedarfs kam, waren die Tage der Congress-Partei gezählt (Manivannan 1992: 165;Nathan 1967: 2134; Washbrook 1989: 253). In den Landtagswahlen konnte die DMK die absolute Mehrheit gewinnen; außerdem wurden bei den gleichzeitig stattfindenden Bundestagswahlen alle ihrer 25 Kandidaten gewählt. Die DMK wurde dadurch zur viertstärksten Partei im indischen Parlament (Palmer 1971: 235).
Verschiedene Gründe waren für den überwältigenden Wahlerfolg der DMK verantwortlich. Ausschlaggebend war, daß sich die zuvor zersplitterte Opposition in Tamil Nadu zu einem Wahlbündnis zusammenfinden konnte und so der Congress-Partei geschlossen entgegentrat (Nayak 1976: 412-417). Der DMK gelang es von Wahl zu Wahl auch immer besser, die Wahlberechtigten aus unteren Kasten zur Stimmabgabe zu bewegen.
„In 1957, when the participation rate was just 49.3 per cent, the DMK won 13 seats; in 1967, when it was 76.6 per cent, the DMK won 50 seats; and in 1967, when it was 76.6 per cent, the DMK won 136 seats“ (Washbrook 1989: 252; vgl. auch Barnett 1975: 80).
Während Tamil Nadu 1957 hinsichtlich der Wahlbeteiligung noch an neunter Stelle unter den indischen Bundesländern gelegen hatte, nahm das Bundesland zehn Jahre später in dieser Hinsicht den ersten Platz ein (Nayak 1976: 419). Der Wahlsieg der DMK kann auch damit erklärt werden, daß die Partei, die sich bei den Wahlen von 1957 noch auf Madras und sein näheres Einzugsgebiet beschränkt hatte, nun in den meisten Wahlkreisen Tamil Nadus angetreten war (Barnett 1975: 80f). Die Congress-Partei konnte zwar ihren Stimmenanteil im Vergleich zu früheren Wahlen fast behaupten (1957:45,3% ; 1967:41,4%; Washbrook 1989: 252), mußte jedoch einen gewaltigen Einbruch bei der Mandatsvergabe hinnehmen. Während sie mit 41,4 Prozent der Stimmen lediglich 49 Landtagsmandate erhalten konnte, brachte es die DMK - dank des Mehrheitswahlrechts - mit 41,2 Prozent der Stimmen auf 138 Mandate (Nathan 1967: 2138). In der Wahl von 1967 kam auch die Unzufriedenheit der jüngeren Wähler1 mit der Congress-Partei zum Ausdruck.
(The new voters) „ [...] were born in the throes of Indian independance and were not enamoured of the Congress role in the freedom struggle; they, in fact, had grown up in a cynical atmosphere where Congress, being the ruling party, had been the target of criticism and attackThey had a rather negative immage of the party“ (Nayak 1976: 416,418).
Anders als der Congress-Partei war es der DMK gelungen, eine Parteistruktur aufzubauen, die bis in die entlegendsten Dörfer Tamil Nadus reichte. Zu den ersten Wahlen in Tamil Nadu (1952) war die DMK überhaupt nicht angetreten, sondern hat die Zeit zum Aufbau einer wirkungsvollen Parteiorganisation genutzt. Am meisten zahlte sich in den späteren Wahlen aus, daß es ihr gelang, junge Studenten für sich zu begeistern, die ihre familiären Bindungen auf dem Land hatten (Nayak 1976: 413). Die Congress-Partei hingegen hatte kaum eine tiefreichende Struktur entwickeln können, sondern wird beschrieben als Partei „ full of leaders without cadres “ (Manivannan 1992: 165).
Seit 1967, dem Jahr in dem mit der DMK erstmals eine drawidische Partei im unabhängigen Indien die Regierungsgeschäfte in Tamil Nadu übernahm, sind die beiden drawidischen Parteien (DMK und ab 1972 AIADMK) in Tamil Nadu nahezu konkurrenzlos. Die Kämpfe zwischen ihnen werden nicht zuletzt deshalb unerbittlich ausgefochten.
10.1.3 Die DMK an der Macht (1967-1977)
Mit dem Machtgewinn in Tamil Nadu änderte sich das Verhältnis der DMK zur Zentralregierung in Neu Delhi schlagartig. Die Forderung nach einem von Indien unabhängigen Dravidanadu wurde endgültig aufgegeben,2 und der tamilische Nationalismus stellte zukünftig ein Tamil Nadu innerhalb der indischen Union nicht mehr in Frage (Washbrook 1989: 239). In den folgenden Jahren setzte sich vielmehr eine pragmatische Zusammenarbeit der drawidischen Parteien mit den unterschiedlichen Zentralregierungen durch. Die pragmatische Politik wurde ergänzt durch eine tamil-nationalistische Rhetorik, die verhindern sollte, daß die ideologische Grundlage der drawidischen Parteien ganz in Vergessenheit geriet. Diese Rhetorik, die häufig durch symbolische Handlungen unterstützt wurde, war also weniger gegen die Zentralmacht in Neu Delhi gerichtet, sondern sie diente dazu, die kulturelle Identität der Tamilen wachzuhalten, die überlebenswichtig für die drawidischen Parteien ist.
Das Bekenntnis zu einem Tamil Nadu innerhalb der indischen Union führte dazu, daß die Legitimationsbasis der drawidischen Parteien durch eine z.T. neue Ideologie ersetzt werden mußte (Washbrook 1989: 215f). Da die Mischung aus einer gegen den Norden gerichteten kulturellen Ideologie und pragmatischer Realpolitik nicht ausreichte, um die Identifikation großer Bevölkerungsmassen aufrechtzuerhalten, mußte sie nach innen ergänzt werden durch eine populistische Politik, die vor allem durch die Ausweitung staatlicher Aktivitäten im „Sozialbereich“ zum Ausdruck kam.
Der Begriff des Populismus und das entsprechende Adjektiv populistisch werden in der Politikwissenschaft bzw. der Politischen Soziologie auf die unterschiedlichsten gesellschaftlichen Erscheinungsformen angewandt, so daß manche Autoren vom „Gespenst“ (Pelinka 1987: 7; Dubiel 1986: 33) oder „Phantom“ (Dubiel 1986: 34) des Populismus sprechen, dessen Erscheinungsform bislang undeutlich geblieben ist und erst recht nicht in einer sozialwissenschaftlichen Theorie erfaßt werden konnte (Ernst 1987: 10). So wie es weder eine eindeutige Begrifflichkeit geschweige denn eine Theorie des „Populismus“ gibt, variieren die „Merkmale von Populismus“ erheblich. Ernst (1987) kann dann auch nur zwei Merkmale nennen, die allen Grundtypen von Populismus gemeinsam seien, nämlich (a) die Berufung auf das „Volk“ und seine ideologische Überhöhung und (b) eine bestimmte Form von Anti-Elitarismus (Ernst 1987: 10ff). Bereits in diesen beiden Merkmalen wird deutlich, daß sich Populismus und die Vertretung von gesellschaftlichen Partikularinteressen nur schwer vertragen. In pluralistischen Gesellschaften können sich populistische Bewegungen bzw. Parteien nicht durch issues legitimieren, die gesellschaftliche Konfliktstrukturen widerspiegeln, sondern eher durch solche, die an das Gemeinschaftsbewußtsein des „Volkes“ appellieren. Für den Populismus eignen sich deshalb eher - aber nicht ausschließlich - Ideologien, die nach außen gerichtet sind. Dadurch können sie von den sozialen Spannungen und Konflikten im Inneren ablenken und rechtfertigen so „ die Zumutung von Opfern ebenso wie den klassenübergreifenden Appell an alle, an das »Volk« “ (Puhle 1986: 25f). Populistische Politik verfolgt demnach die Errichtung einer Solidargemeinschaft unter Gruppen, die sich miteinander in einem strukturellen Konflikt befinden. Es sollen „Wir-Identitäten“ errichtet werden, „die quer zu Interessenkollektiven liegen“ und damit die kollektiven Interessenprofile unscharf machen. Damit wird erreicht, daß sich Partikularinteressen nur schwer entwickeln können, denn wer stellt sich schon gerne außerhalb der „Volksgemeinschaft“? (Vobruba 1986: 221). Häufig - wie auch im Falle Tamil Nadus - bedient sich der Populismus einer mystischen und religiösen Symbolik, die die Sehnsucht, zu einem bestimmten „Volk“ oder einer bestimmten „Kultur“ zu gehören, wachsen läßt, um so die Gefühle von „Entwurzelung“, d.h. der Erosion „alter Werte“ zu kanalisieren (Ernst 1986: 11). Populismus greift deshalb häufig auf die Vermittlung eines Bildes einer romantischen Idealgesellschaft zurück, die in grauer Vorzeit (angeblich) einmal Bestand hatte und die es wieder zu errichten gilt. Da Populismus, wie oben angeführt, darauf abzielt, gesellschaftliche Konfliktstrukturen nicht aufbrechen zu lassen, ist es schwierig, den (vorhandenen) Klassencharakter einer populistischen Regierung bzw. Bewegung eindeutig festzustellen, denn dieser soll ja gerade verdeckt werden. Schon im Versuch, den Begriff des Populismuses genauer zu fassen, wird deutlich, daß ihm bestimmte Charaktereigenschaften anhaften, die auch dem Nationalismus zu eigen sind. Im vorliegenden Fall kann man sicherlich davon sprechen, daß Populismus zum Teil zu einem Nationalismusersatz geworden war.
Mit dem Wahlsieg von 1967 wurde der Parteigründer C.N. Annadurai1 erster DMK-Ministerpräsident in Tamil Nadu. Unter der Bevölkerung des Bundeslandes war er auch deshalb äußerst beliebt, weil er im Sinne von Periyar, dessen engster Vertrauter er in der DK gewesen war, soziale Mißstände wie das Wiederverheiratsverbot von Witwen, die Unberührbarkeit, religiöse Heuchelei etc heftig anprangerte. Diese Themen standen auch regelmäßig im Mittelpunkt jener Filme, für die er die Drehbücher2 schrieb (de Wit 1993: 44; Hartgrave 1973: 291ff). Trotz seines sozialen Images und aller Versprechen, die vor der Wahl gegeben worden waren, änderte sich an den bestehenden sozialen Strukturen nach dem Regierungsantritt der DMK nichts. Gleichzeitig erlebte Tamil Nadu, das unter der Führung der Congress-Partei zu einem der am weitesten entwickelten Bundesländer innerhalb der indischen Union geworden war, im wirtschaftlichen Bereich einen erheblichen Rückschlag (MIDS 1988: 199f; Washbrook 1989: 239f). Unter Annadurai wurde mit der Politik der „Nahrungssubventionen“ begonnen, die auch unter den folgenden Regierungen immer weiter ausgebaut wurde und unter M.G. Ramachandran nach 1977 ihren (vorläufigen) Höhepunkt erreichte (de Wit 1993: 45).
Nach dem Tod Annadurais übernahm M. Karunanidhi 1969 das Amt des Ministerpräsidenten. Karunanidhi war ein Politiker, der stets im Schatten von Annadurai und M.G. Ramachandran gestanden hatte und an deren Popularität niemals heranreichen konnte. Dennoch - oder vielleicht auch gerade deswegen - gelang es ihm, innerhalb von kurzer Zeit eine sehr effektive Verwaltung in Tamil Nadu aufzubauen. Unter seiner Regierung wurden auch etliche Sozialisierungsmaßnahmen durchgeführt (z.B. bei den Überlandbuslinien, die in Staatsbesitz übergingen), die Mindestlöhne für Landarbeiter wurden erheblich angehoben, es wurde eine staatliche Planungskommission errichtet - die erste ihrer Art in einem indischen Bundesland -, die einen Zehn-Jahres-Plan für Tamil Nadu aufstellte (Nayak 1976: 421f). In dieser Zeit entstand auch das Tamil Nadu Slum Clearance Board (1970), unter dessen Federführung innerhalb kurzer Zeit tausende von Wohneinheiten für Slumbewohner errichtet wurden, die jedoch bei weitem nicht ausreichten, um den bestehenden Fehlbestand aufzuholen.1
Unter Karunanidhi entwickelte sich die DMK aber keineswegs zu einer sozialistischen Partei. Auch wenn er - anders als sein Vorgänger Annadurai - eher durch praktische Verbesserungen im Leben der Menschen als durch populistische Politik die Massen für sich und seine Partei gewinnen wollte, nahm er im Klassenkonflikt eine eindeutige Haltung ein. Die Steuererleichterungen für die Industrie wurden kräftig angehoben, unwirtschaftliche Unternehmen mit staatlichen Subventionen unterstützt (Nayak 1976: 421). Karunanidhi setzte auch mit aller Härte die Polizei gegen protestierende Landarbeiter, Industriearbeiter und Gewerkschaften ein (de Wit 1993: 45; Sathyamurthy 1989: 883). Seine Einstellung zur Zentralregierung in Neu Delhi war einerseits gekennzeichnet durch eine (rhetorische) Gegnerschaft (mit anti-brahmanischen und tamil-nationalistischen Untertönen), dem politischen Kampf nach mehr Länderautonomie2 sowie der Forderung nach mehr finanzieller Unterstützung für Entwicklungsvorhaben in Tamil Nadu (Forrester 1976: 286). Im großen Gegensatz dazu stand aber andererseits die Unterstützung Indira Gandhis bei den 1971 stattfindenden Wahlen (Palanithurai 1991: 21f;1993: 79f)
„which resulted in a massive mandate for the Congress in parliament and a large majority for the DMK in Tamil Nadu“ (MT 1988: 23).
Da Indira Gandhi durch ihren überwältigenden Wahlerfolg nicht (mehr) auf die DMK angewiesen war, wurde diese sehr bald von ihr fallengelassen und Karunanidhis Regierung im Januar 1976 durch die Zentralregierung aufgelöst. Nachdem anschließend Tamil Nadu 19 Monate lang direkt von Neu Delhi aus regiert worden war, kam nach den Wahlen im Juli 1977 die AIADMK unter dem Ministerpräsidenten M.G. Ramachandran an die Regierung.
10.1.4 Kurzer Abriß der parteipolitischen Konstellationen nach 1977
Seit ihrer Wahlniederlage 1967 fristete die Congress-Partei in Tamil Nadu ein Mauerblümchendasein. Durch die Dominanz jeweils einer der beiden drawidischen Parteien sanken ihre Chancen, in Tamil Nadu die politische Macht zurückerobern zu können, von Wahl zu Wahl. Allerdings war sie - als nationale Partei -, als auch ihre Position als Regierungspartei auf nationaler Ebene immer schwieriger wurde, auf die Unterstützung kleinerer Parteien angewiesen, in Tamil Nadu also entweder auf die DMK oder auf die AIADMK (Manivannan 1992: 165).
Nach dem Ende des nationalen Ausnahmezustandes ging die AIADMK für die nationalen Wahlen 1977 ein Bündnis mit dem Congress(I) ein. Dieses Wahlbündnis konnte sich in Tamil Nadu durchsetzen, obwohl der Rest der indischen Bundesländer von einer Sympathiewelle für das Oppositionsbündnis unter Führung der Janata Partei ergriffen worden war, das zwischen 1977 und 1980 die nationale Regierung stellte (Palanithurai 1991: 23). Bei den Wahlen zum Landesparlament von Tamil Nadu, die wenige Monate nach den Bundestagswahlen stattfanden, lehnte die AIADMK ein solches Wahlbündnis mit der Congress(I) ab, konnte jedoch trotzdem mit 130 Mandaten die absolute Mehrheit im Landesparlament erringen (Palanithurai 1991: 24ff.).
Bei den Wahlen zum nationalen Parlament 1980 waren DMK und Congress(I) ein Wahlbündnis eingegangen und hatten die Wahlen auch sicher gewinnen können. Der Unterstützung der Congress(I)-Partei gewiß, übte die DMK Druck auf die Zentralregierung aus, das Landesparlament in Madras aufzulösen und Neuwahlen festzusetzen (Palanithurai 1991: 27). Bei dieser Landtagswahl im Spätjahr 1980 trat wiederum ein Wahlbündnis zwischen der Congress(I) und der DMK gegen die AIADMK an, doch im Gegensatz zu den Ergebnissen wenige Monate zuvor, ging diesmal die AIADMK als Sieger aus den Wahlen hervor, und MGR konnte weiterhin Ministerpräsident von Tamil Nadu bleiben. Nach dem Wahlsieg der AIADMK bei den Landtagswahlen 1980 wechselte die Congress(I) erneut die Fronten und orientierte sich fortan näher an der AIADMK.
Als nach Indira Gandhis Ermordung 1984 ihr Sohn Rajiv Gandhi Parlamentswahlen durchführen ließ, um sich im Amt bestätigen zu lassen, ging in Tamil Nadu die Congress(I) ein Wahlbündnis mit der AIADMK ein. Beide Parteien konnten dabei, erneut von Sympathiewellen getragen,1 ihre Positionen ausbauen.
Als MGR am 24. Dezember 1987 starb, brachen erbitterte Machtkämpfe in den Reihen der AIADMK aus. Die Partei hatte sich in zwei Lager gespalten, wobei das erste von Janaki Ramachandran, der Ehefrau MGRs angeführt wurde und das andere von J. Jayalalitha, der beliebtesten Schauspielerin Tamil Nadus, die durch MGR zur Politik gebracht worden war. Für kurze Zeit geriet der Machtkampf zwischen DMK und AIADMK in den Hintergrund, und es bekämpften sich nun die beiden Fraktionen der AIADMK. Zunächst konnte sich dabei die Frau MGRs durchsetzen; sie wurde schon bald nach seinem Tod als Ministerpräsidentin von Tamil Nadu vereidigt. Allerdings hatte ihre Regierung nur einen Monat Bestand; wegen fortgesetzter Ausschreitungen zwischen den beiden AIADMK-Fraktionen im Parlament von Tamil Nadu wurde dieses im Januar 1988 von der Zentralregierung in Neu Delhi aufgelöst, und Tamil Nadu wurde fast ein ganzes Jahr lang von Neu Delhi aus regiert.2
Mit dem Tod MGRs ging nicht nur die zehnjährige Amtszeit des wohl populärsten Politikers Tamil Nadus zu Ende, sondern auch die Regierungszeit der AIADMK; bei den für Januar 1989 angesetzten Landtagswahlen konnte sich die DMK als stärkste Partei durchsetzen. Der Wahlerfolg der DMK ist nicht zuletzt dem Umstand zuzuschreiben, daß sich die AIADMK und die Congress(I) auf kein Wahlbündnis einigen konnten und deshalb jede Partei eigene Kandidaten für die Wahlen aufstellte (Manivannan 1992: 166). So wurde 1989 Karunanidhi, nach 12-jähriger Unterbrechung, wieder Ministerpräsident von Tamil Nadu. Er konnte seine Amtszeit jedoch nicht voll ausschöpfen, denn bereits Ende Januar 1991 wurde von der Minderheitsregierung unter Chandrashekhar das Parlament in Madras abermals aufgelöst. Nachdem dieser im März 1991 als Premierminister zurückgetreten war, wurden Neuwahlen zusammen mit den nationalen Parlamentswahlen für den Mai 1991 festgelegt. Für diese Wahlen hatten AIADMK und Congress(I) wieder ein Wahlbündnis vereinbaren können. Nachdem die Wahlen - wegen der Ermordung von Rajiv Gandhi am Vorabend des Wahltages - um einen Monat verschoben wurden, gingen AIADMK und Congress(I) aus ihnen unangefochten als Sieger hervor. Im Juni 1991 wurde J. Jayalalitha als Ministerpräsidentin von Tamil Nadu vereidigt. Sie trat damit das politische Erbe von MGR an. Auch heute noch spielt seine 10-jährige Amtszeit im politischen und gesellschaftlichen Geschehen von Tamil Nadu eine außerordentlich wichtige Rolle.
Nachfolgend soll auf das Phänomen MGR nochmals ausführlicher eingegangen werden. Dies geschieht besonders mit der Frage, wie es möglich sein konnte, daß ein Politiker, der die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung Tamil Nadus um Jahre zurückgeworfen hat, der Korruption in Politik und Verwaltung in einem Ausmaß geduldet und gefördert hat wie kein Politiker vor ihm, daß solch ein Politiker in den Augen vor allem der armen Menschen, auch heute noch eine Popularität besitzt, die einer göttlichen Verehrung gleichkommt.
10.1.5 Der Aufstieg MGRs und der Niedergang der politischen Kultur in Tamil Nadu
Die Regierung von M.G. Ramachandran, dessen Partei im Wahlkampf die Bekämpfung der Korruption in Verwaltung und Politik zum wichtigsten Wahlkampfthema gemacht hatte, stellte sich im Laufe ihrer 10-jährigen Regierungszeit selbst als äußerst korrupt heraus. Die Verwaltung in Tamil Nadu, die unter Karunanidhi zu einer gut funktionierenden Einrichtung aufgebaut worden war, brach unter MGR vollkommen zusammmen und wurde immer mehr zum Handlanger der Parteiinteressen der AIADMK.
„In Tamil Nadu politics, the year 1977 witnessed the emergence of a matinee idol as a macho political leader of a rudderless party to which a motley horde of office hungry politicians at all levels gravitiated. In the absence of any ideological stirrings or innovatory policy concepts within the AIADMK ranks, no one felt the need to sustain it with a sub-structure of cadres and a network of communications capable of reaching out to different segments of the population“ (Sathyamurthy 1989: 884).
Allein die Popularität MGRs reichte aus, um die AIADMK bei drei Wahlen unangefochten zur Regierungspartei in Tamil Nadu zu machen. Politische Konzeptionen schienen ebenso überflüssig zu sein wie eine funktionierende Parteistruktur. Es wäre allerdings falsch, den Erfolg des Politikers MGR nur aus dem Personenkult erklären zu wollen, der um den Schauspieler MGR entstanden war. Vielmehr hat eine Verkettung verschiedener Prozesse dazu beigetragen, daß das Leinwandimage eines unbesiegbaren Helden, der immer auf der Seite der Armen, Schwachen und Unterdrückten steht, auf MGR als Politiker übertragen wurde. Dies führte dazu, daß er in Tamil Nadu eine religiös eingefärbte „Wohlfahrtsdiktatur“ errichten konnte.
10.1.5.1 Der Einfluß des Kinos auf die Politik in Tamil Nadu
Wie noch zu zeigen sein wird besteht der Widerspruch in der jüngsten politischen Geschichte Tamil Nadus darin, daß sich eine Partei als die Interessensvertreterin der (vor allem armen) Bevölkerungsmehrheit darstellen will, gleichzeitig aber an strukturellen Veränderungen nicht interessiert ist. Deshalb ist es neben der Aufrechterhaltung eines bestimmten „Minimalniveaus der Armut“ auch notwendig, den „Armutsmassen“ einen emotionalen Identifikationsbereich anzubieten, der dafür Sorge trägt, daß die bestehenden gesellschaftlichen Strukturen nicht in Frage gestellt werden. Eine solche Ideologie beinhaltet die bewußte Manipulation von Werten durch eine starke Betonung der tamilischen Kultur und Geschichte, aber auch durch das Anprangern von sozialen Mißständen und dem Anbieten von Lösungsmöglichkeiten innerhalb der bestehenden Machtstrukturen, die vor allem auch über das Medium Film den Menschen nahegebracht wird.
Innerhalb Indiens hat Tamil Nadu, auf die Bevölkerung hochgerechnet, die höchste Kinodichte (Hardgrave 1975: 27; MT 1988: 21). Die Bedeutung des Kinos geht dabei weit über die Ablenkung der Bevölkerung von ihrem „Schicksal“ hinaus,1 sondern sie besteht vielmehr in seiner Fähigkeit, nicht vom realen Leben „abzulenken“, sondern das reale Leben in den Mittelpunkt zu stellen. Dadurch werden gesellschaftliche Wertemuster und Identifikationsräume geschaffen. Es ist sicherlich kein Zufall, daß die meisten wichtigen Politiker in der Geschichte der drawidischen Parteien sehr eng mit der Filmbranche verbunden waren. Annadurai und Karunanidhi waren bzw. sind angesehene Drehbuchschreiber, und mit MGR und Jayalalitha sind die populärsten Politiker Tamil Nadus auch gleichzeitig die populärsten SchauspielerInnen2. Viel stärker noch als Annadurai und Karunanidhi konnten sie das Medium Film als politisches Instrument einsetzen, denn sie vermitteln über die Leinwand nicht nur Werte, sondern sie konnten es auch erreichen, daß sich Bevölkerungsmassen mit ihnen persönlich identifizierten.
10.1.5.2 Das Phänomen MGR
Auch heute, acht Jahre nach seinem Tod, wird MGR in Tamil Nadu wie ein Gott verehrt.3 1917 in Kandy (Sri Lanka) geboren, wuchs MGR in sehr ärmlichen Verhältnissen auf. Als er noch keine drei Jahren alt war, starb sein sein Vater, und die Familie wanderte nach Tamil Nadu aus. Da MGR bereits sehr früh Geld verdienen mußte, konnte er die Schule nicht beenden, sondern begann bereits mit sieben Jahren als Schauspieler in einer Theatergruppe in Madurai zu arbeiten. Gerade diese Jahre in großer Armut wurden später von ihm und seinen Parteifreunden propagandistisch ausgeschlachtet, indem darauf verwiesen wurde, daß MGR Armut und Hunger kenne und alles dafür geben werde, Armut und Hunger in Tamil Nadu auszurotten.4
Ab 1936 begann er, kleinere Filmrollen zu übernehmen, zumeist in Filmen, die auf hinduistischen Götter- und Heldenepen basierten. Ab 1950 trat er dann hauptsächlich in Filmen auf, die in vielfältiger Weise soziale Mißstände anprangerten und durch den Helden MGR zu einen „Happy End“ geführt wurden. Charakteristische Rollen waren dabei die eines Arbeiters, der gegen die alltägliche Ausbeutung ankämpft, eines Kleinbauern, der vom Landlord um ein Stück Land gebracht wird, eines Fischers, der durch seine Bildung die Machenschaften eines betrügerischen Fischhändlers aufdecken kann etc.. Diese Filme benennen häufig im Titel die einzelnen Berufsgruppen,1 denen MGR durch sein heldenhaftes Auftreten Gerechtigkeit widerfahren läßt. Die Filme haben meistens die Unterdrückung der Armen zum Thema und - wie sollte es auch anders sein - MGR stellt darin immer Personen dar, die zu ihnen gehören. Dadurch wird den Zuschauern eine Identifikation leicht gemacht. Zentrales Thema in seinen Filmen nimmt die Darstellung von illegitimer Macht und ihre Überwindung ein.
„The social universe of the MGR films is one of asymmetrical power. At one end of the power spectrum are grouped the upper caste men/women, the landlords/rich industrialists, the literate elite and, of course, the ubiquitous male -all of whom exercise unlimited authority and indulge in oppressive acts of power; at the other end of the spectrum can befound the hapless victims -lower caste men, the landless poor, the exploited workers, the illiterate simpletons and helpless women“ (Pandian 1992: 42).
Das „Strickmuster“ vieler Filme besteht darin, daß MGR, der aus den Reihen der Unterdrückten und Rechtlosen kommt, diese ungleiche Machtverteilung überwindet, das Böse besiegt und dem Guten und der Gerechtigkeit zum Durchbruch verhilft. Unbewaffnet und verletzt besiegt er ganze Armeen; mit bloßen Händen bezwingt er wilde Tiger; in aktionsgeladenen Schwertkampfszenen setzt er sich gegen seine Widersacher mit einer Leichtigkeit durch, die ihm den Anschein übernatürlicher Kräfte verleiht und ihn zum unbezwingbaren Helden macht. Eines unterscheidet ihn jedoch in seinen Filmen von den Unterdrückten und Rechtlosen. Er ist es, der Gerechtigkeit bringt, und er ist es auch, der dazu Gewalt anwendet, ein Privileg, das im wirklichen Leben den Eliten vorbehalten ist.
Neben den Filmen, in denen MGR das Böse physisch bekämpft, gibt es auch jene, in denen er Gerechtigkeit über Bildung erreicht; wiederum ein Monopol, das den Eliten vorbehalten ist. Hier wird Bildung als Waffe gegen Unterdrückung in Kontrast gesetzt zu Bildung als Mittel der Unterdrückung in den Reihen der Eliten.
„In Padakotti (1964), the much-dreaded villain who is an affluent fish trader forces the poor and illiterate fishermen to put their thumb impressions on promissory notes - keeping them ignorant of the content. But MGR, the only literate fisherman in the hamlet, descends the same, reveals the usurious terms of the promissory notes and saves them from the manipulation of the trader“ (Pandian 1992: 48)
Mit diesem Mittel erreicht er wiederum die Identifikation der Zuschauer, die häufig aus den wenig bis gar nicht gebildeten Bevölkerungsgruppen kommen. Gleichzeitig spielt er aber auch auf ein zentrales Motiv der Drawidischen Bewegung an, die Bildung als wichtigstes Mittel zur Bekämpfung brahmanischer Dominanz ansah. Ein dritter Bereich, der durch eine asymmetrische Machtstruktur gekennzeichnet ist und der regelmäßig in den Filmen von MGR thematisiert wird, ist die Macht der Männer über die Frauen (Pandian 1992: 50).
Zentrales Thema in Filmen, in der diese Machtstruktur angesprochen wird, ist die arrangierte Kastenhochzeit, bei dem sich MGR gleich über mehrere gesellschaftliche Konventionen hinweg setzt: Seine Hochzeiten sind Liebeshochzeiten, d.h. MGR schafft im Film den Frauen die Freiheit, sich der Bestimmung von Kaste und Elternhaus zu widersetzen und ihr Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen. Seine Hochzeiten sind immer auch Hochzeiten zwischen Angehörigen unterschiedlicher Kasten; mehr noch, sie werden so konstruiert, daß die durch die Kasten vorgegebene Distanz möglichst groß ist. Es sind Hochzeiten zwischen dem armen Landarbeiter und der Tochter des Landlords, zwischen einem armen Kuhhirten und der Tochter eines angesehenen Rechtsanwaltes etc. Der Triumph des Guten in den Filmen MGRs
„zeigt sich (dann) weniger in einem Triumph der Gerechtigkeit, in der Durchsetzung sozialer Reformen oder in einer Umverteilung, er zeigt sich in erster Linie in einer Heirat, in der MGR symbolisch die Klassen- und Kastengrenzen dieser Gesellschaft überschreitet“ (Rösel 1992: 584)
10.1.5.3 Film und Politik: Die Grenzen zwischen Fiktion und Realität verschwimmen
Als MGR 1977 das Amt des Ministerpräsidenten übernimmt, gibt er die Schauspielerei auf, um sich ganz der Politik zu widmen. In 136 Kinofilmen war er aufgetreten, in tausenden MGR-Fan-Clubs, die nun als Ersatz einer AIADMK-Parteistruktur genutzt werden, hat er über ganz Tamil Nadu verteilt seine Anhängerschaft versammelt. Daß MGR aber in kurzer Zeit vom Leinwandidol zum populärsten Politiker Tamil Nadus werden kann, der schon zu Lebzeiten wie ein Gott verehrt wird, setzt mehr voraus, als daß er mit seinen Filmen den Zuschauern aus den armen Bevölkerungsgruppen Identifikationsräume anbieten kannt. Es ist notwendig, daß zwischen dem Schauspieler MGR und dem Politiker MGR keine Unterschiede gemacht werden. Das Image, das MGR durch seine Filme erhalten hat, muß auch für sein politisches Leben gelten (Forrester 1976: 288).
MGR-Filme sind auch immer DMK-Filme gewesen. Subtile bis offensichtliche Anspielungen auf eine bestimmte Partei, die einzig für die Lösung der Probleme der armen Bevölkerungsschichten in Frage kommt, durchziehen diese Filme.
„For M.G.R., Art and politics are the two sides of the same coin. The emblem of M.G.R.'s production company shows the DMK flag, and his films are filled with both direct and indirect references to the party. [...] In the folklore film Nadodi Mannan (“Vagabound King“, 1958), there are numerous references in song and dialogues to “Dravida“. In the film [...] MGR, crowned king, issues a decree that could easily pass for the DMK election manifesto. In Adimai Pen, the heroine points to the rising sun1 and tells to MGR, “That is our god. Pray“ (Hardgrave 1973: 299)
In Nam Nadu (Unser Heimatland, 1969) erreichte die Instrumentalisierung des Kinos für parteipolitische Zwecke ihren Höhepunkt. MGR tritt mit einem roten Hemd und einer schwarzen Hose zum ersten Mal in den Farben der DMK auf. In einer Sequenz des Filmes hält er ein Buch in Händen, auf dessen Umschlag deutlich die Bilder von Gandhi und Annadurai zu erkennen sind. Den ganzen Film hindurch tauchen beide Motive immer wieder auf; die Farben rot und schwarz und die Suggestion einer Verbindung von Annadurai zu Mahatma Gandhi. In einem der Filmsongs wird Annadurai als “Gandhi SüdIndiens“ bezeichnet.
„When M.G.R., the sacrificing government clerk turned politican in the case of the poor, seeks election, his posters are in the red and black form of the DMK. [...] With M.G.R.'s election victory, a song proclaims, 'The sun is rising, history is changing, and now everything will be alright'. The film concludes with a self-respect marriage under a statue of Gandhi“ (Hardgrave 1973: 299f).
Daß das wahre Leben manchmal sogar noch wundersamer sein kann, wird an den Umständen deutlich, die MGR bei den Wahlen 1967 zu einem Abgeordnetenmandat verhalfen. Schon im Vorfeld dieser Wahlen war es zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen dem amtierenden Ministerpräsidenten Karunanidhi und MGR gekommen, die dazu führten, daß Karunanidhi MGR für einen aussichtslosen Wahlkreis nominierte. Wenige Wochen vor dem Wahltermin verübte ein Schauspielerkollege MGRs, M.R. Radha,2 auf diesen ein Attentat. Die Konstellation vieler MGR-Filme, in denen er dem Schurken Radha gegenüberstand, wiederholte sich in der Wirklichkeit. Die Grenzen zwischen filmischer Scheinwelt und Realität waren nicht mehr klar zu erkennen.
Schwerverletzt wurde MGR ins Krankenhaus eingeliefert und bestritt den Wahlkampf vom Krankenbett aus. Die Wahlen selbst gewann er mit überwältigender Mehrheit. 14 Jahre später gelang es einem schwerkranken MGR nochmals, aus seiner Krankheit politischen Profit zu ziehen. Nach einem Hirnschlag und beidseitigem Nierenversagen verfolgte er die Wahlen von seinem Krankenbett in Brooklyn (USA) aus. Mit 132 Mandaten erreichte die AIADMK ihr bis dahin bestes Ergebnis. Der schwerkranke MGR1 stand bis zu seinem Tod im Dezember 1987 der Regierung von Tamil Nadu vor. Dem unbezwingbaren Held vieler Filme konnte im wirklichen Leben noch nicht einmal der Tod etwas antun.
„He was presented as one who was thrice-born: The first one was when he was actually born like the rest of us; the second birth was when he survived an attempt made on his life [...] on January 12, 1967, and his third birth was when he recovered beyond expectations from his debilitating illness in 1984. [...] In his autobiography, he writes: 'As you all know, I was shot at on January 12, 1967. People think that I died on that day and I was reborn on the next day“ (Pandian 1989: PE-66).
So wird der 13. Januar als MGRs Geburtstag gefeiert. Er selber wird damit als Reinkarnation in die Reihe der Götter emporgehoben. In Enga Vittu Pillai (Der Sohn unseres Hauses, 1965) singt MGR:
„If you follow me, the poor will never suffer. First Christ came and preached; then Gandhi came and preached; but the people have forgotten. Now I will set things right“ (nach Hardgrave 1973: 299).
10.1.5.4 MGR als Ponmana Chemmal
Unsterblichkeit war eine von MGRs göttlichen Eigenschaften; die andere seine Wohltätigkeit. Sie hat ihm auch die Bezeichnung Ponmana Chemmal eingebracht, d.h. „der, der mit goldenem Herzen gibt“, „der, der auf seinen Reichtum zugunsten der Armen verzichtet“.2
Wann immer Notlagen für arme Bevölkerungsgruppen entstanden, MGR war der erste, der helfend vor Ort erschien. Ob bei Flutkatastrophen, niedergebrannten Slumhütten, immer war er mit finanziellen Entschädigungen für die Betroffenen schnell zur Stelle. Er unterstützte Kranken- und Waisenhäuser, verteilte Kleider an die Armen, ließ Häuser für die Obdachlosen bauen und verteilte an arme Schulkinder Schuluniformen und Schulbücher. Besonders vor den Wahlen nahmen die Geschenkeversprechungen „barocke Formen“ an (Rösel 1992: 614).
Hierin kommt das Dilemma der beiden drawidischen Parteien deutlich zum Ausdruck. Eigentlich sind sie austauschbar. Für die Wähler lassen sie sich weder programmatisch noch ideologisch unterscheiden. Programme und Ideologien sind überflüssig geworden und werden ersetzt von „potlach-ähnlichen“ Geschenkritualen, bei denen sich beide Parteien an Großzügigkeit zu übertreffen suchen. Viele Kritiker dieser Wohlfahrtsmaßnahmen lasten ihnen an, daß sie zwar kurzfristig Erleichterung schafften, aber die ungleichen Strukturen in Tamil Nadu nicht beseitigen konnten. Ganz im Gegenteil: Da diese Maßnahmen den Finanzhaushalt des Bundeslandes erheblich belasten, stehen nicht genügend Finanzmittel zur Verfügung, um Entwicklungsprojekte durchzuführen.3 Zweifellos richtig ist, daß die Wohlfahrtsmaßnahmen auf Kosten anderer Entwicklungsmaßnahmen durchgeführt werden. Auch kann unterstellt werden, daß ihr populistischer Charakter der Mobilisierung von Wählergruppen dient. Trotzdem kann man einigen von MGRs Vorhaben, die langfristiger wirken sollten und die soziale Innovationen beinhalteten, eine gewisse Sinnhaftigkeit nicht abstreiten. Er führte das Pensionssystem für mittellose verlassene Frauen und Witwen ein, kümmerte sich um Unfallversicherungen im informellen Sektor etc.. Das „Prunkstück“ seiner Wohlfahrtspolitik war aber das 1982 eingeführte Schulspeisungsprogramm, das zu Beginn etwa 5,5 Millionen Kinder im Alter zwischen zwei und zehn Jahren erreichte und 1987, dem Jahr seines Todes, 8,5 Millionen Kindern täglich eine warme Mahlzeit ermöglichte. Die jährlichen Kosten für dieses Programm betrugen 1987 zwei Milliarden Rs (Raghavan 1988: 15). In dieses Programm sollten auch Impfkampagnen und die medizinische Betreuung der Kinder integriert werden. Dazu wollte die Regierung von Tamil Nadu mit Unterstützung der Zentralregierung einen Kredit der Weltbank beantragen. Zur Verwirklichung dieser Plänen kam es jedoch durch den Tod MGRs nicht mehr.
Trotz der Sinnhaftigkeit mancher Programme haftet ihnen ein unübersehbarer Makel an. Sie entstanden in einer Umgebung, die von Korruption und Patronagestrukturen durchsetzt war, und es war MGR, der für diese Korruption verantwortlich war. So fortschrittlich manche dieser Programme auch auf dem Papier erscheinen mögen, ihre konkrete Durchführung ließ große Teile der für die arme Bevölkerung gedachten Gelder in den Taschen von AIADMK-Funktionären versickern. Nicht daß es Korruption und Günstlingswirtschaft nicht etwa auch unter früheren Regierungen gegeben hätte. Unter MGR nahmen sie jedoch ein Ausmaß an, das praktisch jeden Bereich, in dem Menschen mit der Verwaltung zu tun hatten, erfaßte.
Statt politische Programmen und Konzepte bestimmten immer mehr „Brot und Spiele“ das politische Leben Tamil Nadus: „Brot“ in Form von populistischen Wohlfahrtsmaßnahmen, die über beinahe allen gesellschaftlichen Gruppen ausgeschüttet wurden und „Spiele“ in Form des Kinomythos MGR.
10.2 Zusammenfassung: Politische Kultur in Tamil Nadu
Da heute den beiden drawidischen Parteien eine klare spezifische Ideologie fehlt, die dazu geeignet wäre, große Wählergruppen an sich zu binden, muß als Ersatz dafür eine Politik durchgeführt werden, die zwar auf den ersten Blick die Wünsche und Bedürfnisse möglichst vieler Gruppen berücksichtigt, aber dennoch die gesellschaftlichen Strukturen unangetastet läßt. Wie bereits beschrieben, geschieht dies in der ständigen Aktualisierung des Zentrum-Peripherie-Konflikts. Einerseits wird zwar eine pragmatische Politik gegenüber den unterschiedlichen Zentralregierungen in Neu Delhi mit der Absicht praktiziert, aus der jeweiligen politischen Konstellation möglichst großen Nutzen für Tamil Nadu herauszuschlagen, andererseits wird aber auch durch bewußt gesuchte Konfrontation das Bewußtsein eines Konfliktes mit dem arischen Norden am Leben erhalten.
Da sich die beiden drawidischen Parteien ideologisch kaum unterscheiden, muß gleichzeitig eine starke Personifizierung der Politik stattfinden. Nicht die Programme der Parteien sind ausschlaggebend für ihre Wahlchancen, sondern die Personen, die den Parteien vorstehen. Daß diese Personen u.U. bereits längst verstorben sind, wird sehr deutlich am Phänomen MGR demonstriert, dessen „Geist“ auch noch heute die Politik in Tamil Nadu zu großen Teilen bestimmt.
Populistische Politik setzt voraus, daß unterschiedliche Segmente der Gesellschaft mit Begünstigungen bedacht werden, um ihnen das Gefühl zu vermitteln, die Regierung habe sich ihres Schicksals angenommen und sei dabei, Abhilfe zu schaffen.
„[...] target groups are appeased, whatever the cost, to enable a government to hang on to power or to be (re)-elected“ (de Wit 1993: 63f).
An Stelle von mittel- bis langfristig wirksamen strukturellen Veränderungen treten deshalb kurzfristige (häufig vor Wahlen) durchgeführte Einzelmaßnahmen, die medienwirksam aufbereitet werden. Sie zielen genau auf die Bereiche, in denen tatsächlich großer Nachholbedarf besteht, vor allem also auf die Versorgung mit Nahrungsmitteln, Kleidung, gesundheitlichen Diensten, Wohnen etc und erwecken den Eindruck, daß es tatsächlich die höchste Priorität der Regierung sei, die Befriedigung der Grundbedürfnisse der Bevölkerung sicherzustellen.
Ganz deutlich wird dies in der Reis-Politik, bei der die Verteilung von Nahrungsmitteln zu einem Mittel der Parteiidentifikation umbewertet wird. Seien es wichtige Feiertage oder auch Geburtstage, die kostenlose Verteilung von Reis spielt immer eine herausragende Rolle. Dabei wird natürlich peinlichst darauf geachtet, daß es den einzelnen Nutznießern möglich ist, die durchgeführte Maßnahme direkt mit der durchführenden Partei in Zusammenhang zu bringen; nur so kann sie zum Mittel der Identifikation werden. Am deutlichsten kommt dies im Programm zur kostenlosen Nahrungsverteilung in den Schulen (Chief Minister's Noon Meal Scheme) zu Ausdruck, das von MGR eingeführt und von Jayalalitha fortgeführt wurde. Harriss (1991) bemerkt dazu:
„The scheme is highly personalised and visible [...] Local ADMK party bosses were encouraged to be active in supervising the NMS. [...] The scheme was said to be a resource in the mobilisation of vote banks and the consolidation of a personal cult“ (Harriss 1991: 20).
Ein anderes Mittel, gesellschaftliche Segmente an die Partei zu binden, besteht darin, bestimmte Kastengruppen gegenüber anderen aufzuwerten, was am deutlichsten in der Reservierungspolitik zum Ausdruck kommt. Was an sich paradox zu scheinen mag, nämlich, daß in einem Land, in dem das Kastensystem verfassungsgemäß verboten ist, von staatlicher Seite bestimmt Kastengruppen privilegiert werden, wird aus dieser Perspektive verständlich. Hier geht es vor allem darum, das Kastenbewußtsein zu stärken und dafür zu sorgen, daß sich bestimmte Kasten mit einer bestimmten Partei identifizieren.
Schließlich kann während der gesamten Geschichte der drawidischen Bewegung und später der drawidischen Parteien beobachtet werden, daß besonderer Wert auf die Gewinnung der weiblichen Wählerschaft gelegt wurde. Frauen stellen bei weitem das größte „homogene“ gesellschaftliche Segment dar, das Kasten- und Klassenlinien zu durchkreuzen in der Lage ist. Hinzu kommt, daß viele Bereiche, die von den Regierungen für populistische Maßnahmen herangezogen werden, dem Lebensbereich der Frauen zugeordnet werden können (Nahrung, Kindererziehung, Gesundheit, Kleidung etc.).
10.3 Die politischen Ereignisse während der Feldforschung
Die empirische Untersuchung in einem Fischerdorf in Madras, die den lokalen Bezugspunkt dieser Arbeit darstellt, fand im Zeitraum zwischen November 1990 und Juni 1992 statt. In diese Zeit fällt das Ende der von Karunanidhi geführten DMK-Regierung, die Auflösung des Parlamentes in Tamil Nadu, der Golfkrieg, der Wahlkampf für die Wahlen zum Landes- als auch Bundesparlament im Juni 1991, die Wahlen selbst sowie das erste Regierungsjahr der AIADMK-Regierung unter Ministerpräsidentin J. Jayalalitha.
Wie bereits aus der „Vorgeschichte“ zu vermuten ist, kann man dem politischen Leben in Tamil Nadu vielerlei Attribute zuweisen. Es ist von einem hohen Maß an Korruption geprägt, von populistischen Wohlfahrtspolitiken, und es ist - das ist besonders wichtig - vor allem niemals langweilig. Es bietet den Menschen immer wieder genügend Gesprächsstoff, der dann auch in Identifikationsmustern mündet.
Für die vorliegende Arbeit sind besonders zwei Bereiche der turbulenten politischen Ereignisse wichtig: erstens sind dies die Umstände, die zum Sturz der DMK-Regierung unter Karunanidhi geführt haben. Hierin kommt zum einem die asymmetrische Machtverteilung zwischen dem Bundesland Tamil Nadu und der Zentralregierung sehr deutlich zum Ausdruck, zum anderen aber auch die internen Dynamiken zwischen den beiden drawidischen Parteien. Zweitens ist dies die Politik in Tamil Nadu selbst, also die Politik der DMK-Regierung und später der AIADMK-Regierung unter J. Jayalalitha. Von besonderem Interesse sind dabei jene Politikbereiche, die für ärmere Bevölkerungsgruppen von großer Wichtigkeit sind. Vor allem wird dabei auf die Preisentwicklung für wichtige Warengruppen zu achten sein, aber auch auf den Charakter der Regierung in Tamil Nadu und die Veränderungen der Politischen Kultur während des angesprochenen Zeitraums. In diesem Zusammenhang soll auch nach Ursachen von Preissteigerungen für Nahrungsmittel gefragt werden, die dem Bereich der politischen (In)Stablität zuzuschreiben sind.
10.3.1 Die DMK-Regierung unter Karunanidhi (1989-1991)
An anderer Stelle wurde bereits darauf hingewiesen, daß sich die beiden drawidischen Parteien im Prinzip kaum voneinander unterscheiden. Sie sind dadurch für viele Wähler austauschbar. Hinzu kommt, daß die Parteien auch für ihre Spitzenpolitiker austauschbar werden, ein Phänomen, das sich auch in anderen Regionen Indiens beobachten läßt.
Da sich die Politiker selten durch eine Ideologie an eine Partei gebunden fühlen, fällt es ihnen erstaunlich leicht, ein sinkendes Schiff zu verlassen, bzw. auf einen erfolgversprechenden Zug aufzuspringen. Häufig werden Dissidenten mit Ministerposten, anderen hohen Stellen belohnt oder sie werden mit Geld gekauft. „ During the operation of defection politics the politicans become expensive marketable commodities “ (Shukla 1991: 34). Die Vorgänge innerhalb der AIADMK die nach dem Tode MGRs die Partei über zwei Jahre lang schwächen, sind ein gutes Beispiel für einer solchen Groteske.
Zunächst einmal spaltete sich die Partei in zwei Fraktionen, die AIADMK(JR) und die AIADMK(J). Als sich nach dieser Aufsplitterung die Kämpfe immer noch nicht legten, verließ V.R. Nedunchezhian die AIADMK und gründete eine eigene Partei. P.S. Ramachandran wiederum wurde von Jayalalitha aus der Partei ausgeschlossen. H.V. Hande, der ursprünglich der Janaki-Fraktion angehörte, wechselt zur Jayalalitha-Fraktion über. Nach dem Wahltriumph der AIADMK(J) vom Herbst 1989 tauschte R.M. Veerappan die Fronten und wechselte von der Janaki-Fraktion zur Jayalalitha-Fraktion, der abtrünnige Nedunchezhian stieß ebenfalls wieder zur siegreichen Partei, während Hande diese nun verließ und sich der Janata Dal anschloß, der Regierungspartei auf nationaler Ebene. Raghavanandam, der zwischenzeitlich die Janaki-Fraktion in Richtung der Jayalalitha-Fraktion verlassen hatte, findet schließlich in der DMK seine neue Heimat. S. Thirunavukkarasu, ein Minister in der MGR-Regierung sowie 33 weitere Spitzenfunktionäre, zerstreiten sich mit Jayalalitha, werden von dieser aus der Partei geworfen und gründen daraufhin eine neue Partei, die AIADMK(T) (Jayanth 1990:31).
Geschwächt durch diese inneren Fraktionskämpfe und diesmal ohne die Unterstützung der Congress(I), geht die AIADMK aus den Landtagswahlen von Tamil Nadu im Frühjahr 1989 als Verliererin hervor und muß die Regierungsgewalt an die DMK abtreten. Nach 1969 und 1971 wird M. Kurunanidhi zum dritten Mal Ministerpräsident von Tamil Nadu.
Anders verhält es sich bei den im Herbst 1989 stattfindenden Wahlen zum nationalen Parlament. Die AIADMK-Fraktion um Jayalalitha hat inzwischen ihre internen Streitigkeiten unter Kontrolle bringen können. Der Congress(I) sieht sich einer mächtigen Nationalen Front gegenüber, in der sich die wichtigsten Oppositionsparteien mit dem Ziel zusammengefunden haben, der Congress(I)-Regierung ein Ende zu bereiten.
Congress(I) und AIADMK gehen daher auf bundesstaatlicher Ebene für diese Wahlen wieder ein Bündnis ein und können einen bislang einzigartigen Wahlerfolg erringen. Alle Mandate Tamil Nadus gehen entweder an den Congress(I) (28) oder an die AIADMK (11). Trotz weiterer Wahlerfolge in anderen südindischen Bundesländern, erlebt der Congress(I) in NordIndien einen solchen Einbruch, daß er von der Nationalen Front als Regierungspartei abgelöst wird.
Nach 1977 ist damit erstmals wieder die Situation eingetreten, daß weder in Madras noch in Neu Delhi eine Congress-geführte Regierung im Amt ist. Die Situation aus den Jahren 1952 bis 1967, als der Congress(I) immer sowohl die Landesregierung in Tamil Nadu wie auch Bundesregierung stellte, hat sich damit umgekehrt. Die DMK, die erheblichen Anteil am Zustandekommen der Nationalen Front gegen den Congress(I) hatte, ist in Tamil Nadu an der Regierung und kann sich der Unterstützung der Zentralregierung sicher sein. Der einzige Wermutstropfen besteht darin, daß nicht die DMK bei den nationalen Wahlen in Tamil Nadu gewonnen hat, sondern die Koalition aus Congress(I) und AIADMK. Damit ist die DMK mit keinem einzigen Mandat im nationalen Parlament vertreten, sondern alle Abgeordnete kommen aus den Reihen der Oppositionsparteien.
10.3.2 Machtpolitik contra Verfassungsprinzipien: Die Absetzung der DMK-Regierung im Januar 1991
Im November 1990 ändern sich die politischen Konstellationen in Neu Dehli abermals. Der Premierminister der Nationalen Front, V.P. Singh, muß zurücktreten, und mit Chandra Shekhar wird ein neuer Premierminister vereidigt, dessen Partei im Parlament weniger als 12 Prozent der Mandate hat. Seine Regierung wird jedoch vom Congress(I) und auch von der AIADMK „unterstützt“.
Nach diesem neuerlichen Regierungswechsel, der den Congress(I) zwar nicht zur „offiziellen“1 Regierungspartei macht, übt Jayalalitha immer mehr Druck auf Chandra Shekhar und Rajiv Gandhi aus, die DMK-Regierung in Tamil Nadu aufzulösen. Um ihre Forderungen zu begründen, fährt Ministerpräsidentin Jayalalitha schwere Geschütze auf: die öffentliche Ordnung in den Küstenregionen des südlichen Tamil Nadu sei zusammengebrochen, weil immer mehr Aktivisten der LTTE (Liberation Tigers of Tamil Eelam) diese Gegend als Rückzugsgebiet vor der Verfolgung durch die Regierungstruppen Sri Lankas nutzten. Die Region sei vollkommen in der Hand fremder Terroristen, die die einheimische Bevölkerung schikanierten und ein umfangreiches Schmuggelnetzwerk aufgebaut hätten. Die DMK-Regierung sei weder fähig noch willens, die eigene Bevölkerung vor diesen fremden Eindringlingen zu schützen. Karunanidhi habe vielmehr sehr enge Beziehungen zum Führer der LTTE, V. Prabhakaran und habe diesem gestattet, in Tamil Nadu auch militärische Ausbildungslager für LTTE-Kämpfer zu errichten. Gleichzeitig werde das Bundesland auch immer mehr zum geschützten Rückzugsgebiet und Ausbildungslager indischer Terroristen, die die Einheit der indischen Union bedrohten. Insbesondere habe sich das Bundesland unter der DMK-Regierung zum bevorzugten Aufenthaltsort von militanten Aktivisten der ULFA (United Liberation Front of Assam) entwickelt, die von den LTTE-Aktivisten zum Kampf gegen die Einheit Indiens ausgebildet würde. Da die von Karunanidhi geführte Regierung nichts unternehme, um in Tamil Nadu wieder Recht und Ordnung herzustellen, müsse sie gemäß Artikel 356 der indischen Verfassung abgesetzt werden (The Hindu, verschiedene Meldungen 16.11.1990-31.01.1991).
Wahr war, daß sich Tamil Nadu seit 1983 zu einem wichtigen Stützpunkt tamilischer Rebellen1 aus Sri Lanka entwickelt hatte. Zu diesem Zeitpunkt war allerdings MGR Ministerpräsident von Tamil Nadu, und in Neu Delhi regierte der Congress(I) unter Indira Gandhi. Von beiden wurden die Aktivitäten der LTTE in Tamil Nadu nicht nur geduldet, sondern unterstützt.2 Unter Rajiv Gandhi wurde die Unterstützung der LTTE solange fortgesetzt, wie sie ihm nutzte. Nicht von der Hand zu weisen ist, daß die tamilischen Rebellen aus Sri Lanka Recht und Gesetz in Tamil Nadu mißachteten, wobei allerdings die Schilderungen von AIADMK und Congress(I) bei weitem übertrieben sein dürften (Guhan 1991).3 Ebensowenig haben sich Tamilen aus Sri Lanka in Tamil Nadu aufgehalten, um Indiens nationale Sicherheit zu gefährden. Die Anschuldigungen, die Aktivisten der LTTE würden in Tamil Nadu Rebellen der ULFA, Naxaliten aus Andhra Pradesh und militante Sikhs ausbilden (The Hindu 29.04.1991), konnten von keiner der Parteien tatsächlich durch Fakten erhärtet werden.
Selbst wenn die bislang vorgetragenen Anschuldigungen tatsächlich der Wahrheit entsprächen, bliebe immer noch die Frage offen, ob die DMK-Regierung diese Vorgänge auch tatsächlich unterstützt hat. Es ist sicherlich unbestritten, daß Karunanidhi enge Kontakte zur LTTE hatte und sie in Tamil Nadu duldete. Dies hatten jedoch vor ihm bereits MGR und Indira Gandhi ebenso wie Rajiv Gandhi getan (s.o.). Zweifelhaft ist allerdings, ob sie mit seiner Billigung indische Gesetze brachen, ob er ihnen gestattete, militärische Ausbildungslager in Tamil Nadu zu unterhalten und ob er - falls es sie überhaupt gab - über ihre Kontakte mit anderen militanten Bewegungen in Indien Kenntnis hatte. Äußerst unwahrscheinlich bis phantastisch sind jedoch die Vorwürfe, er habe mit der LTTE gemeinsame Sache gemacht, um die nationale Integrität Indiens zu bedrohen. Die DMK-Regierung stand in engem Kontakt mit verschiedenen Einrichtungen der Regierung in Neu Delhi.4 Zweimal hat sich Ministerpräsident Karunanidhi selbst mit Chandra Shekhar getroffen, um von ihm Rat und Unterstützung zu erhalten und um gemeinsame Aktionen abzusprechen (The Hindu 4.12.1990; 4.1.1991).
Vor November 1990 waren bereits 43 tamilische Rebellen auf Anordnung der DMK-Regierung verhaftet worden (The Hindu 30.11.1990), danach, bis zur Absetzung der Regierung weitere 81 Mitglieder der LTTE und 86 Mitglieder anderer Organisationen aus Sri Lanka. Mehr als 1000 Personen, die der Zusammenarbeit mit Tamilenorganisationen aus Sri Lanka verdächtigt wurden, wurden in besonderen Lagern5 von den anderen Flüchtlingen abgesondert. Um die Situation in den Küstenregionen besser unter Kontrolle halten zu können, hatte die DMK-Regierung auch den Einsatz von vier Einheiten der der Zentralregierung unterstellten Border Security Force (BSF) angefordert, was von der Zentralregierung jedoch abgelehnt worden war. (The Hindu 23.12.1990). Unmittelbar nach der Absetzung der DMK-Regierung wurden dann acht Einheiten der Central Reserve Police Force (CRPF) nach Tamil Nadu entsandt (The Hindu 2.2.1991).
Chandra Shekhar ist aus mehreren Gründen zunächst nicht dazu bereit, sich dem Druck von Congress(I) und AIADMK zu beugen und die Regierung in Madras abzusetzen. Erstens wird vom Congress(I) schon länger die Forderung erhoben, die Janata Dal(S)-Regierung in Uttar Pradesh aufzulösen; einer Forderung, der er sich schwer entziehen könnte, würde er die DMK-Regierung in Tamil Nadu absetzen. Zweitens macht der Gouverneur von Tamil Nadu, Surjit Singh Barnala,1 in aller Öffentlichkeit deutlich, daß er nicht dazu bereit sei, der Absetzung einer demokratisch gewählten Regierung zuzustimmen, solange dazu keine hinreichenden Gründe vorlägen (Frontline, 02.03.1991:36f). Drittens zögert Chandra Shekhar auch deshalb, die Regierung Karunanidhis aufzulösen, weil er sich der langfristigen Unterstützung der AIADMK unsicher ist.
Zwischen November 1990 und Januar 1991 trifft sich Jayalalitha mehrfach mit Chandra Shekhar, um ihn umzustimmen. Sie trifft auch mehrmals Rajiv Gandhi, über den sie ebenfalls Druck auf Chandra Shekhar ausüben will. Als all ihre Bemühungen keine Erfolge zeigen, kündigen sie und der Präsident des Tamil Nadu Congress(I) Committees, K. Ramamurthy, für den 28. Januar 1991 einen Generalstreik in Tamil Nadu an. Sie wollen dadurch die öffentliche Ordnung in Tamil Nadu gefährden und die Regierung Chandra Shekhar in Zugzwang setzen. Zwar verlaufen die Agitationen in Tamil Nadu ohne nennenswerte Zwischenfälle, trotzdem wird Chandra Shekhar durch diese Geste immer deutlicher, daß sein eigenes politisches Überleben von einer Absetzung der DMK-Regierung in Tamil Nadu abhängen könnte. Vom Congress(I) wird seine Haltung zum Golfkrieg heftig kritisiert; zudem kündigen ihm sechs unabhängige Abgeordnete, die bislang seine Janata Dal(S)-Minderheitsregierung unterstützten, die Unterstützung auf, weil er nicht verbietet, daß amerikanische Kampfflugzeuge für ihre Einsätze im Irak in Indien zum Auftanken zwischenlanden. Am 30. Januar 1991 bestellt Chandra Shekhar Governeur Barnala nach Neu Delhi. Doch anscheinend sieht dieser noch immer keine Gründe, die DMK-Regierung abzusetzen. Da er dem indischen Präsidenten R. Venkataraman keinen Bericht vorlegt, in dem eine solche Maßnahme empfohlen wird, entschließt sich dieser, aufgrund seiner eigenen Einschätzung der Lage die DMK-Regierung in Tamil Nadu abzusetzen. In Tamil Nadu ist dies das vierte Mal innerhalb von 15 Jahren, daß eine Regierung unter Berufung auf Artikel 356 der indischen Verfassung abgesetzt und der Landtag aufgelöst wird.
„The imposition of President's rule in Tamil Nadu...was a multiple murder of truth, justice, democracy and federalism. Much has come out already in the press and in public platforms, and more will in the future, on how and why this tryesty happened in terms of the raw and vulgar politics of it, the ingredients of which are all too well-known: an unprincipled Government at Delhi surviving on a miserable minority; dependent at its birth and for its survival on the Congress(I) and the All-India Anna Dravida Munnetra Kazhagam (AIADMK); and, therefore, subject to their blackmail; the mad lust of these two parties for power in Tamil Nadu; the Goebbelsian propaganda that sought to legitimise the illegitimate dismissal; and the Kafkaesque trial the Dravida Munnetra Kazhagam (DMK) Government was subjected to in the process of being liquidated“ (Guhan 1991:110).
Immer öfter werden politische Machtkämpfe über ein Verfassungsmittel ausgefochten, das von den Begründern der Verfassung als ultimo ratio geschaffen worden war, um der Zentralregierung ein Machtinstrument über eine Landesregierung in die Hände zu geben, die entweder nicht fähig oder willens ist, gemäß der indischen Verfassung zu handeln.
Wie nicht anders zu erwarten, reagieren die einzelnen Parteien auf diese Maßnahme gemäß ihrem Verhältnis zur DMK. Jayalalitha bezeichnet die Absetzung der DMK-Regierung als Mittel, um die Einheit und Integrität Indiens zu bewahren: „ It was a timely action to put an end to the activities of secessionist forces “. Congress(I)-Präsident Ramamurthy feiert die Absetzung folgerichtig „ as a victory for the AIADMK-Congress(I) Democratic Front “. R.M. Veerappan, stellvertretender Generalsekretär der AIADMK, sieht in ihr eine richtige Entscheidung „ in line with the people's wish “, A. Nallasivan, Sekretät der CPI(M) von Tamil Nadu, verurteilt sie als „ the genocide of democracy “, P. Manickam, Sekretär der CPI von Tamil Nadu, bedauert „ that the democratic rights of voters was being repeatly ignored “, während der Präsident der Janata Dal, S.R. Bommai, in ihr „ the murder of democracy and a complete negation of the federal structure of the country “ sieht (The Hindu 31.1.1991, verschiedene Meldungen).
Unmittelbar nachdem die Nachricht von der Absetzung der DMK-Regierung bekannt wird, brechen überall in Tamil Nadu gewalttätige Unruhen aus. Wenn bislang die öffentliche Ordnung in Tamil Nadu nicht gestört gewesen sein sollte, dann war sie es spätestens jetzt. Dutzende Omnibusse gehen in Flammen auf, Züge werden zum Entgleisen gebracht, etliche Menschen kommen bei Ausschreitungen ums Leben. Die meisten Geschäfte und Märkte bleiben für drei Tage geschlossen, der öffentliche Nahverkehr wird stark eingeschränkt, um weitere Schäden zu vermeiden.
Für den 6. Februar 1991 rufen die Parteien der Nationalen Front zu einem nationalen Generalstreik auf, um gegen die Absetzung der DMK-Regierung zu protestieren. Im Vorfeld des Streikes werden in Tamil Nadu über 20.000 Personen, hauptsächlich von der DMK oder befreundeten Parteien, in Vorbeugehaft genommen, 15 Einheiten der CRPF werden nach Madras verlegt, um die erwarteten Unruhen unter Kontrolle zu halten (The Hindu 06.02.1991). Wie bereits am 28. Januar 1991 verläuft auch diesmal der Generalstreik in Tamil Nadu wie auch in anderen Bundesländern weitgehend friedlich. Lediglich in West Bengalen kommt ein 15-jähriger Junge bei Ausschreitungen ums Leben (The Hindu 07.02.1991). Ende März 1991 kann Innenminister Sahay der Presse vermelden, daß Tamil Nadu inzwischen von der Kontrolle der LTTE befreit sei1 und daß Neuwahlen nun nichts mehr im Wege stehe.
Congress(I) und AIADMK scheinen auf die politischen Ereignisse in Tamil Nadu gut vorbereitet gewesen zu sein, denn bereits Anfang Februar 1991 kann die Vorsitzende der AIADMK, J. Jayalalitha, nach einem zweistündigen Gespräch mit Rajiv Gandhi in Neu Delhi verkünden, daß die Verhandlungen über eine Allianz für die kommenden Neuwahlen erfolgreich abgeschlossen werden konnten und daß nach ihrer Ansicht die Neuwahlen schnellstmöglich durchgeführt werden sollten (The Hindu 06.02.1991). Beide Parteien rechnen sich gute Chancen auf einen Wahlsieg aus, denn schon bei den Parlamentswahlen 1989 konnte die Allianz zwischen Congress(I) und AIADMK 38 der 39 zu vergebenden Mandate erhalten.
Bereits eine Woche später läutet Rajiv Gandhi das Ende der von Chandra Shekhar geführten Minderheitsregierung ein. Am 16.2.1991 fordert er diesen ultimativ dazu auf, die Zusage an die amerikanische Regierung zurückzunehmen, wonach amerikanische Militärflugzeuge indische Flughäfen auf ihrem Weg in das Kampfgebiet am Persischen Golf zum Auftanken anfliegen dürfen. Chandra Shekhar kann den Fall seiner Regierung zwar noch einmal dadurch abwenden, indem er am 17.2.1991 erklärt, die Landeerlaubnis für amerikanische Militätflugzeuge sei inzwischen zurückgenommen worden, doch am 6.3.1991 gibt er seinen Rücktritt bekannt, nachdem die Congress(I)-Partei am Tag zuvor ihre Unterstützung für seine Regierung ein weiteres Mal in Frage gestellt hatte.
Am 13.3.1991 löst Präsident R. Venkataraman das indische Parlament auf und ebnet so den Weg für Neuwahlen, die später auf den 20., 23. und 26. Mai festgelegt werden und zeitgleich mit Landtagswahlen in mehreren Bundesländern durchgeführt werden sollen.
10.3.3 Die politische Kultur in Tamil Nadu nach Übernahme der Regierungsge-schäfte durch die AIADMK
Im Wahlkampfprogramm des Jahres 1991 hatte die AIADMK im Falle eines Wahlsieges eine ganze Reihe von Veränderungen in Tamil Nadu versprochen. Nach Bekunden des Wahlkampfprogrammes verpflichtete sich die AIADMK zu einem vollkommen neuen Regierungsstil, „ to provide a corruption-free and effective administration to the State “ (AIADMK 1991: 20). Das vorgelegte Wahlprogramm beinhaltet insgesamt 40 Einzelpunkte, die sehr deutlich zeigen, wie sehr die Partei bemüht war, alle wichtigen gesellschaftlichen Gruppen in ihrer Wahlkampfplattform zu berücksichtigen. Obwohl das Wahlprogramm als „politischer Gemischtwarenladen“ bezeichnet werden kann, gibt es dennoch einen Überblick über die Politikbereiche, die die AIADMK glaubte ansprechen zu müssen, um eine möglichst große Wählerschaft für sich zu gewinnen. Populistische Politik bedeutet für die Parteien ja auch immer, genau zu beobachten, was in der Wählerschaft als vordringlich empfunden wird; so gesehen können durch die Analyse eines Wahlprogrammes Bereiche identifiziert werden, in denen - nicht nur nach Ansicht einer Partei, sondern auch bestimmter Wählergruppen - Handlungsbedarf vermutet wird.
In der Präambel des Wahlprogramms beruft sich die AIADMK auf die politische Tradition von MGR, die von J. Jayalalitha, seiner rechtmäßigen Erbin und revolutionären Führerin (Puratchi Thalaivi), fortgesetzt werden soll. Anschließend werden wichtige Bereiche aufgeführt, in denen eine gewählte AIADMK initiativ werden will. Im sozialen Bereich werden Maßnahmen zur Förderung von Kindern, Frauen, Alten, Unberühbaren, Handwebern, Kleinfischern angekündigt, den Landarbeitern wird eine Landreform in Aussicht gestellt und den Backward Communities werden zusätzliche Reservierungsquoten versprochen. Durch gezielte Anstrengungen im Bildungsbereich soll Analphabetentum in kürzester Zeit ausgerottet werden, jeder Familie wird ein eigenes Haus versprochen, im Gesundheitsbereich wird ein Health Insurance Scheme angekündigt, das jeden Bewohner Tamil Nadus erreichen soll, im städtischen und ländlichen Bereichen soll das Trinkwasserproblem beseitigt werden, den Landwirten wird finanzielle Unterstützung beim Kauf von landwirtschaftlichen Produktionsgütern versprochen, außerdem wird ein wager Hinweiß auf eine Schuldenstreichung erwähnt. Die kommunalen Körperschaften (Panchayat Unions) sollen mit Finanzmitteln in Höhe von jeweils 10 Mio. Rs ausgestattet werden (Self-Sufficiency Scheme) und erweiterte Entscheidungsbefugnisse erhalten. Das Wirtschaftswachtum in Tamil Nadu soll durch die Förderung von exportorientierter und arbeitsintensiver Groß-, Mittel- und Kleinindustrie gefördert werden, der Energiesektor soll durch die Errichtung von Wärmekraftwerken, der Förderung von Solarenergie und dem Bau eines Wellenkraftwerkes stark ausgeweitet werden. Außerdem verspricht die AIADMK alles zu unternehmen „ to bring down the prices and to keep the same under check “ und „ Total prohibition will be strictly enforced by the Government “.
Im Anschluß an die einzelnen Punkte bekennt sich die AIADMK zu Sozialer Gerechtigkeit, für eine korruptionsfreie Verwaltung und zu Frieden und Normalität und bittet die Wählerschaft „ in order to establish a Government headed by the Torch bearer of the down-trodden, Puratchithalaivi J. Jayalalitha, please vote for our “Two-Leaves “symbol and the `Hand' symbol of the Congress-I “ (AIADMK 1991).
Nachfolgend soll an zentralen Bereichen versucht werden, eine Bilanz der bisherigen Regierungszeit der AIADMK vorzulegen. Die Bereiche, die dabei angesprochen werden, sind solche, die vom Autor am wesentlichsten für das Leben von Armutsgruppen angesehen werden; es sind vor allem die Bereiche, die von befragten Personen immer wieder genannt wurden, sobald die Sprache auf politische, wirtschaftliche und soziale Themen kam. Als am wichtigsten wurde dabei die Entwicklung der Lebenshaltungskosten von der Mehrzahl der befragten Personen angesehen, gefolgt vom energischen Einsatz gegen Korruption und Günstlingswirtschaft. Unter der weiblichen Bevölkerung wurde die Ankündigung der Prohibition als wichtiges Aufgabenfeld der zukünftigen Regierung angesehen.
10.3.3.1 Charakterisierung der AIADMK-Regierung in Tamil Nadu
Es ist schwer, nach dem Juni 1991 überhaupt von einer AIADMK-Regierung in Tamil Nadu zu sprechen, denn im Grunde wird seitdem die politische Macht von einer einzigen Person wahrgenommen, der Ministerpräsidentin Jayalalitha. Durch ihren überwältigenden Wahlsieg1 braucht sie keinerlei Opposition im Landesparlament zu fürchten, und in ihrer eigenen Partei wird sie als „Göttin“ verehrt. Da sie darüberhinaus schon sehr bald nach ihrer Regierungsübernahme damit begonnen hatte, die Partei von kritischen Stimmen „zu säubern“, ist auch aus den eigenen Parteireihen kaum noch Kritik zu erwarten.
Innerhalb ihrer Wählerschaft kam es jedoch schon sehr bald nach ihrem Regierungsantritt zu einem Stimmungswandel. Ihr Anliegen im Wahlprogramm war es gewesen, Tamil Nadu zu einem Modell für andere Bundesstaaten in Indien zu machen. Dazu vermerken Kommentatoren:
„If Tamil Nadu is now a “model“ for other states to emulate, then the model is by way a negative, quirky and anti-democratic example“ (Subramanian/Sridhar 1992:5).
Von Beobachtern der Politik in Tamil Nadu wird der größte Erfolg der AIADMK-Regierung in der Beschränkung der LTTE-Aktivitäten gesehen. Kaum hatte die AIADMK die Regierungsgeschäfte übernommen, wurde die LTTE in Tamil Nadu verboten und die Militär- und Polizeipräsenz in den südlichen Küstenbereichen erheblich ausgeweitet.
Das in diesem Zusammenhang zum ersten Mal in Tamil Nadu angewendete indische Anti-Terrorgesetz (Terrorist and Disruptive Activities (Prevention) Act) diente freilich häufig auch dazu, Oppositionelle in Tamil Nadu (hauptsächlich führende Repräsentanten der früheren DMK-Regierung) zu verfolgen (Sankar 1992:118). Andere Gesetze wurden ebenfalls zur Verfolgung einer kritischen Opposition aus alten Schubladen ausgegraben, so z.B. der Seditious Meetings <Prevention> Act von 1911 und der Unlawful Activities <Prevention> Act von 1967 (Subramanian/Sridhar 1992:9). Unter Bezugnahme auf diese Gesetze wurden z.B. im April 1992 Demonstranten inhaftiert, die ihren Unmut gegen steigende Preise und die Entscheidung der Regierung Rao, beim IMF einen Kredit aufzunehmen äußerten.
Weitere Gesetze, um die immer deutlicher werdende Kritik an der AIADMK-Regierung zu unterdrücken, wurden vom Landesparlament neu verabschiedet. So etwa der Tamil Nadu Public Property <Prevention of Damage and Loss> Act, durch den Parteien und andere Organisationen für Schäden, die im Zusammenhang mit Demonstrationen an öffentlichem und privatem Eigentum entstehen, regreßpflichtig gemacht werden. Dieses Gesetz
„[...] enables a ruling party to plant its agents provocateurs inside Opposition rallies, trigger acts of vandalism or violence, then sit back to enjoy the spectacle of the rival party being made to foot the bill“ (Subramanian/Sridhar 1992:9).
Um die Informationsarbeit der Opposition zu behindern, wurde auch ein Gesetz erlassen, welches das Plakatieren in Madras unter Strafe stellt (Tamil Nadu Open Spaces <Prevention of Disfigurement> Act). Gleichzeitig wurde die erheblich eingeschränkt, etwa dadurch, daß Büros einiger Oppositionszeitungen von AIADMK-Anhängern überfallen und zerstört wurden oder daß Redakteure, in deren Zeitschriften regierungskritische Artikel erschienen waren, inhaftiert wurden.1
„Jayalalitha says the press should be treated as an effective opposition in the absence of real opposition in the Assembly. But she is treating the press in the same way as she treats the opposition - with intimidation“ (India Today 11.5.1992:39).
Die Behinderung der Presse in Tamil Nadu ist auch deshalb als sehr schwerwiegend zu bezeichnen, da wie gesagt eine parlamentarische Opposition weitgehend fehlt und dadurch eine Kontrolle der Regierung praktisch nur unter erschwerten Umständen stattfinden kann. An anderer Stelle wurde bereits darauf hingewiesen, daß die indische Presse häufig eine wichtige Rolle bei der Aufdeckung sozialer Probleme spielte. So fungiert sie z.B. als eine Art „Frühwarnsystem“ bei Ernährungskrisen, deckt aber auch häufig auch andere gesellschaftliche Defizite auf. Indem die AIADMK-Regierung versuchte, die Presse mundtod zu machen, versuchte sie auch diese letzte gesellschaftliche Kontrollinstanz zu beseitigen, was ihr jedoch nicht gelang. Auch in den kommenden Monaten berichtet die Presse äußerst kritisch über die Regierung Jayalalitha.
So hat der organisierte Schwarzhandel mit Alkoholika durch die Schließung der staatlich lizenzierten Alkoholausgabestellen (cheap liquor shops) einen beträchtlichen Aufschwung erlebt, bei dem die Polizei (scheinbar !?) nur hilflos zusehen kann. Das tut sie offensichtlich auch bei einer ganzen Reihe anderer Verbrechen, die in ganz Indien für Schlagzeilen gesorgt haben. Etwa das Säureattentat auf Mrs. V. Chandralekha, die ehemalige Vorsitzende der Tamil Nadu Industrial Development Corporation (TIDCO), bei dem die Polizei zwar drei der Täter verhaftete, sie aber bald wieder aus dem Gefängnis entließ. Viele Anzeichen sprechen dafür, daß die AIADMK-Regierung Drahtzieher für dieses Attentat war (Subramanian 1995).2
Oder der Fall der 25-jährigen Padmini und ihrem Ehemann Nandagopal, der im Juni 1992 wegen eines Diebstahls vier Tage lang von der Polizei mißhandelt worden war und an den Folgen starb. Padmini wurde ebenfalls drei Tage lang auf der Polizeistation festgehalten und von Polizisten in Gegenwart ihres Ehemanns mehrfach vergewaltigt (Amnesty International 1993:191). Von der Regierung in Madras wurde dieser Fall als bedeutungslos heruntergespielt und erst auf Druck der CPI(M) und einiger Frauenorganisationen konnte erreicht werden, daß die Schuldigen verhaftet und eine Untersuchung der Vorfälle eingeleitet wurde. Im November 1994 wurde der Bericht der staatlichen Untersuchungskommission vorgelegt. Danach beging Padminis Ehemann im Gefängnis Selbstmord (Frontline, 02.12.1994:134.
Oder die Vorfälle in einem Dorf von Stammesangehörigen im Dharmapuri-Distrikt, das im Juni 1992 von etwa 400 Polizisten und Bediensteten der Forst- und Steuerbehörde auf ihrer Suche nach Sandelholzschmugglern heimgesucht worden war. Dabei wurde die gesamte Dorfbevölkerung verhaftet, mindestens 18 junge Frauen vergewaltigt und alle Häuser im Dorf niedergebrannt. Die Opfer dieses brutalen staatlichen Überfalls wurden von der Regierung weder für ihre Verluste entschädigt noch wurde eine Untersuchungskommission eingesetzt, um die Vorfälle aufzuklären und die Schuldigen zur Rechenschaft zu ziehen. Vermutet wird, daß durch diese Aktion die Verwicklung der Forstbehörden und Politikern in den Schmuggel von Sandelholz verdeckt werden sollte (Subramanian/Sridhar 1992:13). Fast drei Jahre nach diesem Vorfall wurde dann doch das Central Bureau of Investigation (CBI) damit beauftragt, den Polizeiexzess zu untersuchen (Frontline 24.3.1995: 133).
Diese wenigen Beispiele mögen verdeutlichen, wie ernst die Regierung die Aussagen ihres Wahlprogramms nimmt, in dem die Wahrung bestimmter Grundrechte zum Hauptanliegen der Politik erklärt wird. Nach 1993 bildete sich um den Präsidenten der Janata Dal, Subramanian Swamy, eine Gruppe von Oppositionspolitiker verschiedener Parteien, die eine Amtsenthebung von Ministerpräsidentin Jayalalitha anstreben. Anfang April 1995 billigte Governeur Channa Reddy einem Strafverfolgungsverfahren gegen Jayalalitha zu, da sich die Korruptions- und Verbrechensvorwürfe gegen sie immer weiter verdichteten (Venkatesan 1995). DMK und die Congress-Partei forderten den sofortigen Rücktritt Jayalalithas.
Am 15. April 1995 überreichte DMK-Präsident Karunanidhi dem Governeur ein Dossier, in dem 28 Korruptionsvorwürfe gegen Ministerpräsidentin Jayalalitha dokumentiert werden. Insgesamt sollen dabei Schmiergelder in Höhe von 10 Mrd. Rs gezahlt worden sein (Viswanathan 1995: 4).
10.3.3.2 Industriepolitik in Tamil Nadu nach 1991
Im Wahlkampf war die AIADMK mit der Absicht angetreten, Tamil Nadu zu einem industriell führenden Bundesstaat in Indien zu machen. So traf sich in den ersten Monaten nach dem Regierungsantritt Ministerpräsidentin J. Jayalalitha, die gleichzeitig auch das Iindustrieressort leitet, mehrmals mit führenden Industriellen, ohne daß dabei jedoch konkrete Investitionsmaßnahmen beschlossen wurden. Von Seiten der Industrie wurde bemängelt, daß der Entscheidungsfindungsprozeß innerhalb der Regierung zu lange dauere, was zusätzlich dadurch verstärkt wurde, daß in den ersten neun Monaten ihrer Amtszeit vier verschiedene Staatssekretäre für Industriefragen zuständig waren (India Today 11.05.1992:37). Die eigens für die Industrieentwicklung eingerichteten Institutionen (Tamil Nadu Corporation for Industrial Infrastructure Development (TACID ); Industrial Guidance and Export Promotion Bureau (IGEPB) wurden mit so geringen Mitteln ausgestattet, daß eine effektive Arbeit kaum möglich war.
Investitionen der Zentralregierungen konnte die Landesregierung von Tamil Nadu bis auf eine einzige Ausnahme nicht erhalten. Das einzige nationale Großprojekt, das die Regierung ins Land holen konnte, war ein Chemieunternehmen, das in der Nähe von Madras errichtet werden soll. Viele andere Investoren, die Bereitschaft gezeigt hatten, in Tamil Nadu Unternehmen zu errichten, änderten ihre Pläne und wichen auf andere Bundesstaaten aus (Subramanian/Sridhar 1992).
So wird der Regierung in Zusammenhang mit der Genehmigung von Industrieprojekten Korruption und Günstlingswirtschaft vorgeworfen. Als sie sich z.B. dazu entschloß die von ihr über die Tamil Nadu Industries Corporation (TIDCO) gehaltenen Anteile an der Southern Petrochemical Industries Corporation (SPIC) von 26 Prozent auf 15 Prozent zu reduzieren, wurden diese Anteile nicht etwa an der Börse angeboten, sondern zu einem „Vorzugspreis“ direkt an die SPIC verkauft, wobei der Regierung ein Verlust von etwa 540 Mill. Rs. entstand (Subramanian 1992:117).
Ähnlich verlief es bei der staatseigenen Empee Distilleries, die erheblich unter ihrem Wert an einen privaten Unternehmer verkauft wurde, ohne daß zuvor verschiedene Angebote eingeholt worden waren. Großes Aufsehen erregte auch der Verkauf von staatseigenen Grundstücken an die Jaya Publications (Private) Limited. Abgesehen davon, daß das Land entgegen einem geschätzten Wert von 40 Mill. Rs für 18 Mill. Rs verkauft worden war, verstieß der Verkauf auch gegen die Vorschrift, daß Minister während ihrer Amtszeit kein Staatseigentum erwerben dürfen; die Jaya Publications (Private) Limited befindet sich jedoch zum größten Teil im Besitz der Ministerpräsidentin von Tamil Nadu, Mrs. J. Jayalalitha (Subramanian 1992:116). Ein Investitionsvorhaben in einer Größenordnung von 900 Mill. Rs. soll deshalb nicht zustande gekommen sein, weil es versäumt worden war, ein Schmiergeld von 10 Mio. Rs. zu bezahlen und deshalb die notwendige Zuweisung von Iindustrieflächen auf höchster Regierungsebene blockiert wurde (Subramanian/Sridhar 1992).
10.3.3.3 Staatliche Preispolitik in Tamil Nadu unter der AIADMK
Noch im Frühjahr 1991 hatte die AIADMK in ihrem Wahlprogramm angekündigt, daß sie - im Falle eines Wahlsieges - dafür sorgen werde, das PDS neu organisieren und effektiver gestalten werde, sowie alles in ihrer Macht stehende zu unternehmen, um die Lebenshaltungskosten erheblich zu senken. Ähnliche Wahlaussagen sind uns von der Congress-Partei auf nationaler Ebene bekannt1 und wie auch dort hat die neue Regierung von Tamil Nadu nicht viel Zeit verstreichen lassen, um schließlich genau das Gegenteil zu tun. Auf die steigenden Nahrungsmittelpreise in den Fair-Price-Shops und der Unfähigkeit der Zentral- und Landesregierung, bestimmte Gruppen vom Bezug subventionierter Lebensmittel auszuschließen, wurde bereits im Kapitel über das PDS e ingegangen.
Tab. 24: Entwicklung der Reispreise in den Fair Price Shops Tamil Nadus
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Am 1. September 1991 verkündete die Regierung von Tamil Nadu eine Preiserhöhung für Reis in den staatlichen Verkaufsstellen um 40 Paisa je kg. Bereits nach zwei Tagen nahm die Regierung - aufgrund heftiger Proteste aus der Bevölkerung - diese Preiserhöhung vollständig zurück (The Hindu 4.9.1991). Im Januar 1992 folgte dann ein weiterer Versuch, die von der Zentralregierung beschlossene Erhöhungen des Issue Price an die Konsumenten weiterzugeben. Die Finanzen Tamil Nadus ließen es nicht zu, die bisher bestehenden Preise zu halten, da dadurch ein zusätzliches jährliches Defizit von 5 Mrd. Rs. entstehen würde. Mit sofortiger Wirkung wurde deshalb der Preis für Reis um eine Rs je kg angehoben. Bereits am folgenden Tag wurde den Konsumenten mitgeteilt, daß auch der Preis für Milch, die über das landeseigene Milchvermarktungsunternehmen bezogen wird, um eine Rupie je Liter angehoben wird. Hier konnten Konsumentenproteste jedoch erreichen, daß die angekündigte Preiserhöhung nicht umgesetzt wurde; die Erhöhung des Reispreises in den staatlichen Verkaufsstellen konnte jedoch nicht verhindert werden. Trotz heftiger Proteste aus der Bevölkerung und starker Kritik der Regierung durch die Oppositionsparteien, beharrte die Regierung auf der verkündeten Preiserhöhung. Mehr noch: Kurz darauf unternahm sie erstmals den Versuch, bestimmte Bevölkerungskreise vom Bezug subventionierter Nahrungsmittel auszuschließen. Da die Kosten für die Regierung dadurch gesunken wären, bot sie gleichzeitig eine Reduzierung der Reispreise in den Fair Price Shops um 50 Paisa/kg an (The Hindu 22.4.1992). Auch wenn diese Preissenkung allgemein begrüßt wurde, stieß die Koppelung an eine Ausgrenzung bestimmter Konsumentengruppen aus dem PDS auf heftigen Protest aus der Bevölkerung. Die Einführung einer Zugangsbeschränkung zum PDS mußte von der Regierung aus diesem Grund innerhalb von 24 Stunden zurückgenommen werden. Die Preissenkung selbst trat mit Wirkung vom 1. Mai 1992 dennoch in Kraft, was für den Haushalt von Tamil Nadu eine zusätzliche Belastung von 3,4 Mrd. Rs. bedeutete.
Alle Versuche, den Berechtigtenkreis für Bezieher von Reis aus den staatlichen Verkaufsstellen einzugrenzen, sind also gescheitert. Auch die angekündigten Preiserhöhungen konnten nur in einem viel geringerem Umfang durchgesetzt werden, als dies notwendig gewesen war, um die Preiserhöhungen der Zentralregierung auszugleichen. Parallel zu den Reispreisen in den Fair Price Shops stiegen aber auch die auf dem freien Markt. Die Preise für alle Reissorten waren im Oktober 1991 zwischen 20 und 25 Prozent höher als im Monat zuvor (The Hindu 27.10.1991). Die Gründe für diesen Preissprung waren vielfältig. Zum Einem scheint ein enger Zusammenhang zwischen dem Preisniveau in den Fair Price Shops und dem Marktpreis für Reis zu bestehen. Der Anstieg der Preise im PDS im September 1991 hatte unverzüglich auch die Reispreise der privaten Händler ansteigen lassen. Als die Regierung von Tamil Nadu vier Tage später die Preisanhebung zurücknahm, sanken die freien Marktpreise zwar ebenfalls, gingen jedoch nicht wieder ganz auf das alte Niveau zurück. Die Preissteigerungen um bis zu 25 Prozent können so allerdings nicht erklärt werden. Hinzu kam, daß Reislieferungen nach Madras in diesen Monaten stark zurückgingen.
„Wholesalers say the arrival of lorry loads from Andhra Pradesh has come down from 250 to 300 a day to 100 to 125. [...] The dwindling flow into Tamil Nadu is attributed to Andhra Pradesh sending abroad rice in large quantaties“ (The Hindu 27.10.1991).
Trotz dieser gespannten Lage auf dem Reismarkt, versuchte die Regierung von Tamil Nadu weiterhin, das Public Distribution System zu reformieren. So wurden die Zuteilungsquoten für die einzelnen Verkaufsstellen verringert, was dazu führte, daß viele Produkte nicht in ausreichender Menge vorhanden waren, um alle Konsumenten versorgen zu können. Zu dieser „Unterversorgung“ der Verkaufsstellen gesellte sich die Reduzierung der Reisquote von 20 kg pro Haushalt und Monat auf 12 kg. Anstelle reichere Konsumenten ganz aus dem System auszugrenzen, wurden also die Rationen für alle Gruppen um 40 Prozent reduziert. Auch wurde nur noch Reis minderer Qualität in den Verkaufsstellen angeboten. Gerade diese letze Maßnahme diente offensichtlich dazu, Konsumenten aus der Mittelschicht zum „freiwilligen“ Verzicht auf ihre Ration zu bewegen und ihren Bedarf auf dem freien Markt zu decken. Durch die Reduzierung der Reisquote sind jedoch auch die Konsumenten aus den einkommensschwachen Haushalten immer stärker auf den freien Markt angewiesen und sorgen dafür, daß dort die Preise zusätzlich unter Druck geraten.
Ende Januar 1993 wurde der Reispreis dann um 75 Paisa/kg heraufgesetzt. Trotz heftiger, zum Teil gewaltätiger Proteste, blieb die Regierung bei dieser Entscheidung. Die im Januar 1992 angestrebte Erhöhung der Milchpreise der landeseigenen Molkerei Aavin konnte - wie erwähnt - von den Konsumenten abgewendet werden (The Hindu 25.01.1992). Trotz dieser mißlungenen Preiserhöhung gewährte Aavin ab März 1992 den Milchproduzenten einen von 67,15 Rs/kg Fett auf 90 Rs/kg Fett erhöhten Produzentenpreis.
Nahrungsmittel außerhalb staatlicher Preiskontrollen stiegen sehr stark an. Auch hier trat der stärksten Anstieg zwischen September und Oktober 1991 ein. So erhöhte sich in dieser Zeit der Preis für ein Liter Erdnußöl von 35 Rs auf 42 Rs um 20 Prozent, der Preis für ein kg Butter von 65 Rs auf 70 Rs um knapp 8 Prozent. Stark in die Höhe gingen auch die Preise für Hülsenfrüchte, die einen wichtigen Betrag für die Proteinversorgung von Gruppen leisten, die sich nicht regelmäßig Fleisch oder Fisch leisten können. So stiegen die Preise für Linsen inner halb einer Woche von 11 Rs/kg auf 18,5 Rs/kg um fast 70 Prozent (The Hindu 27.10.1991).
Deutliche Preissteigerungen waren auch im Energiebereich zu verzeichnen. Bereits im Herbst/Winter 1990 wurde von der Zentralregierung Rationierungsmaßnahmen für fossile Brennstoffe eingeführt. Damit sollte verhindert werden, daß eine erschwerte Versorgung mit Öl angesichts des sich abzeichnenden Golfkrieges die Wirtschaft des Landes schwer in Mitleidenschaft ziehen könnte. Anfang November 1990 kürzte die Zentralregierung die Ölzuteilung an die Bundesländer um zehn Prozent. In Tamil Nadu wurde daraufhin der Betrieb einzelner staatlicher Transportgesellschaften stark eingeschränkt und einzelne Routen sogar (vorübergehend) vollständig geschlossen. Gleichzeitg wurden die Busfahrer zu einer energiesparenden Fahrweise aufgerufen und ein Tempolimit von 65 km/Stunde eingeführt. (The Hindu 13.11.1990). Gegenüber dem Vorjahr sollte eine Reduzierung des Verbrauchs um 20 Prozent erreicht werden. Mitte Januar 1991 wurde auch die Treibstoffzuteilung an die staatlichen Fluggesellschaften um 25 Prozent gekürzt (The Hindu 19.01.1991). Zu diesem Zeitpunkt reichten die indischen Ölreserven gerade aus, um den Verbrauch von 40 Tagen zu gewährleisten (The Hindu 21.01.1991). Ebenfalls stark eingeschränkt wurden die Dieselzuteilungen für die Fischerboote im Hafen von Madras (The Hindu 28.12.1990).
Für private Verbraucher wurden ebenfalls Rationierungen für Treibstoffe eingeführt. Die Maßnahmen für den privaten Sektor führten über Wochen hinweg zu endlosen Autoschlangen vor Tankstellen. Einige privaten Schulen mußten auch die Betrieb ihrer Schulbusse einstellen (The Hindu 24.11.1990). Für Armutsgruppen machte sich aber vor allem der Mangel an Kerosin bemerkbar, der gleichzeitig auch zu einer erhöhten Nachfrage nach Feuerholz führte, das etwa 25 Prozent teurer wurde, zumal die Versorgung in Madras noch nicht einmal den gewohnten Umfang erreichten.
„The price increase for firewood is mainly due to ist low inflow into city merket following the recent rain. Against the normal daily arrival of 150 lorries, as of now, only about 50 to 60 lorries loaded with firewood are coming“ (The Hindu 18.11.1990).
Mit dem Ende des Golf-Krieges normalisierten sich die Preise für fossible Brennstoffe und Feuerholz wieder, zumal auch die Rationierungen aufgegeben wurde, was auch den inzwischen endstandenen Schwarzhandel mit Diesel und Kerosin zurückgehen ließ.
Im Oktober 1991 beschloß die Regierung auch eine Erhöhung der Busfahrpreise um 16 bzw. 19 Prozent in ganz Tamil Nadu und von 40 Prozent in Madras, was zu tagelangen gewalttägigen Ausschreitungen von Studenten in mehreren Städten führte, weil im Zuge dieser Preiserhöhungen auch die studentischen Monatsfahrkarten erheblich teurer wurden.
Auch wenn etwa zwei Wochen nach Beginn dieser Ausschreitungen der Transportminister Tamil Nadus eine Rücknahme dieser Entscheidung ausschloß, allein schon deswegen, weil diese Preiserhöhung dringend notwendig sei, um die bei den Ausschreitung zerstörten Busse der Staatsunternehmen zu ersetzten, entschied die Ministerpräsidentin Jayalalitha kurz darauf, die Fahrpreiserhöhungen teilweise zurückzunehmen.1
Tab. 25: Die Erhöhung der Busfahrpreise im Oktober 1991
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Schon vor dieser Preiserhöhung hatte die Weltbank die Tarifstruktur im öffentlichen Nahverkehr von Madras kritisiert. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß Verhandlungen mit der Weltbank über einen Kredit zur Anschaffung von 500 Bussen für die landeseigene Pallavan Transport Corporation die Entscheidung zur Erhöhung der Bustarife beeinflußt haben, auch wenn dies von offiziellen Stellen (halbherzig) dementiert wurde (The Hindu 12.10.1991). Anfang Januar 1992 wurden von der Zentralregierung die Preise für Benzin, Diesel, Kerosin und Gas für Kochzwecke um etwa 4 Prozent angehoben (The Hindu 02.01.1992). Wie bei den meisten Preiserhöhungen, die bislang erwähnt wurden, wurde dies Maßnahme der Öffentlichkeit erst unmittelbar vor ihrem Inkrafttreten mitgeteilt. Im Februar 1994 stiegen in Madras die Benzinpreise abermals um fast 9 Prozent und die Dieselpreise um über 16 Prozent (The Hindu 2.2.1994).
Tab. 26: Anhebung der Stromtarife im September 1991 und März 1993
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Bereits Anfang September 1991 waren die Stromtarife stark angehoben worden. Drei Gründe waren es, weshalb das landeseigene Tamil Nadu Electricity Board immer tiefer in die roten Zahlen geriet. Erstens waren die Kosten für Steinkohle von der Zentralregierung stark angehoben worden. Zweitens kam hinzu, daß die Transportkosten für Kohle ebenfalls stark angestiegen waren. Tamil Nadu besitzt zwar große Vorkommen an Braunkohle, die installierten Kraftwerkskapazitäten reichen jedoch bei weitem nicht aus, um damit die benötigte Energie zu produzieren (Tamil Arasu, April 1992). Drittens hatten die Energiesubventionen für die Landwirtschaft das landeseigene Energieversorgungsunternehmen stark verschuldet.
„ [...] the scheme of free supply of electricity to all farmers involves an actual annual loss of Rs. 560 crores (= 5,6 Mrd. Rs, d. Verf.)1. This loss is partly compensated by the Government. The Budget provides for compensation of Rs. 350 crores. In addition the Government has to waive annually the interest due from the Tamil Nadu Electricity Board to the extent of about Rs. 100 crores“ (Tamil Arasu, April 1991: 17).
Um so überraschender ist es, daß mit der Erhöhung der Strompreise im September 1991 den Landwirten weitere Zugeständnisse gemacht wurden.
„The agricultural sector [...] shall be totally exempt from any charge (now, for other than small farmers, a lumpsum of Rs. 50 per horse power a year was charged for contracted load up to 5 HP and Rs. 75 for load bove that)“ (The Hindu 31.8.1991).
Trotz der Preiserhöhungen für Strom sind die Preise für die privaten Verbraucher nach wie vor am niedrigsten und auch keinesfalls kostendeckend. Nach Regierungsangaben betrugen im Wirtschaftsjahr 1992/93 die Produktionskosten pro Einheit 1,62 Rs (Tamil Arasu April 1993: 16). Demnach wurde praktisch für alle Verbraucher eine Subvention bezahlt. Da die Verluste des Tamil Nadu Electricity Boards durch die Strompreiserhöhung vom September 1991 nicht verringert werden konnte, stand für den März 1993 eine weitere Erhöhung ins Haus. Lediglich für Kleinverbraucher, d.h. private Verbraucher mit weniger als 50 Einheiten im zweimonatlichen Abrechnungszeitraum, gingen die Preise durch Veränderungen in der Preisstruktur sogar zurück. Bemerkenswert an der Preisstruktur ist auch, daß mit zunehmendem Stromverbrauch die Kosten pro Einheit ansteigen.
10.3.3.4 Preissteigerungen durch politische Unruhen
Während des Untersuchungszeitraums kam es in Tamil Nadu wiederholt zu politischen Unruhen, die auch die Nahrungsmittelversorgung beeinträchtigte und zu deutlichen Preissteigerungen führten. Nachfolgend wird die Preisentwicklung für Frischgemüse anhand von drei politischen Ereignissen untersucht, die zwischen Januar 1991 und Januar 1992 stattfanden. Von Preissteigerung hauptsächlich betroffen war Gemüse deshalb, weil die Versorgung Madras zum überwiegenden Teil aus den Bergregionen Tamil Nadus und benachbarter Bundesländer (vor allem Karnataka) gewährleistet wird. Politische Unruhen können die Tranporte (zeitweise) lahmlegen und in Madras zu einer Gemüseknappheit führen, zumal die wichtigsten Gemüsesorten nur kurz gelagert werden können.
Drei Ereignisse wurden unter dem Gesichtspunkt ihrer Auswirkungen auf die Preisentwicklung für Gemüse näher analysiert: (a) die am 30. Januar 1991 erfolgte Absetzung der Landesregierung von Tamil Nadu durch die Zentralregierung. Bereits im Vorfeld davon war es am 28.Januar 1991 in ganz Tamil Nadu zu einem Generalstreik gekommen, zu dem die AIADMK und die Congress-Partei aufgerufen hatten und der für einen Tag das wirtschaftliche Leben Tamil Nadus vollständig lahmlegte. Nach der Absetzung der Landesregierung riefen die DMK und andere Parteien ihrerseits für den 6. Februar 1991 zu einem Generalstreik auf; (b) die Ermoderung von Rajiv Gandhi Mitte Mai 1991 nahe Madras und (c) die Ausschreitungen in Bangalore und der Grenze zwischen Tamil Nadu und Karnataka, die im Dezember 1991 drei Wochen lang die Handelsströme zwischen beiden Bundesstaaten zum Erliegen brachten.
(a) Sowohl der Generalstreik vom 28. Januar 1991 als auch der vom 6. Februar 1991 hatten Auswirkungen auf die Gemüsepreise in Madras, die allerdings deutlich unter den Steigerungen blieben, die an den beiden anderen Ereignissen festgestellt werden konnten. In beiden Fällen kam das wirtschaftliche Leben der südindischen Metropole vollkommen zum Stillstand, d.h. in dieser Zeit wurden auch keine Nahrungsmittellieferungen nach Madras durchgeführt und alle Märkte der Metropole blieben geschlossen.
„Trucks and lorries did not ply. The arrivals at Kothwal market was only 10 per cent of the normal as a majority of goods transporters preferred not to ply their vehicles fearing detention en route“ (The Hindu 29.01.1991).
Abb. 4 zeigt, daß sich dies auf die Entwicklung der Gemüsepreise auswirkte. Die durchschnittlichen Kilopreise für sieben verschiedenen Gemüsesorten (Auvergine; Blumenkohl, Kartoffeln, Tomaten (hybrid), Tomaten (lokal), Weißkohl und Zwiebeln) sind vor allem nach dem 30.Januar deutlich angestiegen und waren am 3. Februar um ca. 30 Prozent höher als am 29. Januar bzw. um 8 Prozent höher als am 27. Januar. Überreaschend ist jedoch, daß nach dem Streik vom 28. Januar die Gemüsepreise sogar deutlich zurückgegangen waren und am 29. Januar sogar am niedrigsten der gesamten Periode waren. Nach Auskunft von Mitarbeitern des National Horticultural Boards hatten sich die Großhändler in Madras auf den Generalstreik vom 28. Januar eingestellt. Da erwartet worden war, daß durch den Streik politische Unruhen ausbrechen könnten, waren vor dem Streik von den Großhändlern sogar zusätzliche Gemüselieferungen nach Madras getätigt worden.
Abb. 4: Entwicklung der Gemüsepreise zwischen dem 25.01. und 09.02.1991
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Mit der Absetzung der Regierung brachen überall in Tamil Nadu Unruhen aus. Der Gütertransport kam weitgehend zum Erliegen, zwei Güterzüge aus Andhra Pradesh, die Nahrungsmittel transportierten wurden aufgehalten (The Hindu 01.02.1991). Ein Zug, der Nahrungsmittel aus dem Süden Tamil Nadus nach Madras bringen sollte, wurde zum Entgleisen gebracht (The Hindu 07.02.1991). Der für den 06. 02 angekündigte nationaler Generalstreik wurde in ganz Tamil Nadu weitgehend eingehalten.
(b)Im Mai 1991 kam das wirtschaftliche Leben in Madras nach der Ermordung Rajiv Gandhis erneut für einige Tage zum Stillstand. Noch am Abend der Ermordung (21. Mai) kam es zu ersten Ausschreitungen in der Stadt und an den nächsten Tagen hatten die Großmärkte und auch die meisten Einzelhandelsgeschäfte geschlossen. Anhänger unterschiedlicher Parteien patrouillierten durch die Straßen der Stadt und mehrere Läden, die geöffnet hatten, wurden zerstört. Der Transport in die Stadt hinein kam ebenfalls zum Erliegen.
An den Einfallstraßen nach Madras wurden Busse und LKWs angezündet. Für den 23. und 24. Mai wurde von der Regierung der öffentliche Nahverkehr vorsorglich eingestellt. Bereits am Tag nach der Ermordung schossen die Gemüsepreis in die Höhe wie aus Abb. 5 ersichtlich ist. Am Tag der Ermordung Rajiv Gandhis hatten die durchschnittlichen Kilogrammpreise für sechs Gemüsesorten (Auvergine, Weißkohl, Okra, Zwiebeln, Kartoffeln, Tomaten (hybrid) 4,33 Rs betragen. Sie waren damit deutlich unter dem Niveau vom Januar, was vor allem saisonalen Einflüssen, aber auch einer anhaltenden Dürre in Tamil Nadu und Andhra Pradesh zuzuschreiben ist.
„The trend of rising vegetable prices started soon after Pongal (tamilischer Feiertag im Januar, d. Verf.) in the wake of the Gulf War forcing an increase in the price of fuel. The explanation was that vegetable prices went up because of the increased transportation cost. This situation extented well into the summer months, when the usual water shortage in both Tamil Nadu and Andhra Pradesh belied any hope for a reversal of the trend. Then came the assassination of Rajiv Gandhi, leading to serious dislocation in the movement of vehicles affecting the arrival of vegetables to Madras from Karnataka, Andhra Pradesh and also from the neighbouring districts of Tamil Nadu. And the prices soared further“ (The Hindu 17.12.1991).
Abb. 5: Entwicklung der Gemüsepreise zwischen dem 20.05. und 05.06.1991
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- Am 23. und 25.5., den beiden nach dem Attentat nächsten Öffnungstagen der Märkte, waren die Preise mit 9,5 Rs/kg mehr als doppelt so hoch. Auch zwei Wochen nach der Ermordung lag das durchschnittliche Preisniveau noch etwa 56 Prozent über dem vom 21. Mai.
(c)Im Dezember 1991 führten politische Unruhen in Karnataka und Tamil Nadu ein weiteres Mal dazu, daß die Gemüsepreise in Madras in die Höhe gingen. Der Grund dafür waren Unruhen in Karnataka, die ausgebrochen waren, nachdem der oberste Gerichtshof von Indien am 22. November im Streit um Nutzungsrechte des Cauvery-Flusses gegen Karnataka entschieden hatte.
Abb. 6: Entwicklung der Gemüsepreise vom 07.12.1991 bis 05.01.1992
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Ein Vergleich der drei beschriebenen Ereignisse macht deutlich, daß die Effekte auf die Preisentwicklung von Gemüse in den einzelnen Fällen recht unterschiedlich war. Während den Ereignissen im Januar/Februar 1991 hielten sich die Preissteigerungen in Grenzen. Die beiden Streiks waren bereits Tage zuvor angekündigt, sowohl Konsumenten als auch Händler konnten sich darauf einrichten. Die Unruhen, die nach den 30. Januar ausgebrochen waren, flachten schon bald wieder ab, so daß die Unterbrechung der Versorgung nur einige wenige Tage betrug und auch nicht vollständig war.
Die Ermordung Rajiv Gandhis kam jedoch vollkommen überraschend. Aufgrund der zunächst unvorhersehbaren Auswirkungen auf die öffentliche Ordnung wurden die wirtschaftlichen Aktivitäten auf ein Mindestmaß reduziert. Innerhalb eines einzigen Tages verdoppelten sich die Gemüsepreise und hielten sich auch noch auf einem überhöhten Niveau, als die unmittelbaren Unruhen bereits wieder abgeflaut waren.
Überraschend ist auch, daß - nach Auskunft des Reginalbüros des National Horticulture Boards in Madras - die Großhandelspreise für Gemüse bereits eine Woche nach der Ermordung Rajiv Gandhis wieder auf das Niveau vom 21. Mai zurückgegangen waren, während die Konsumentenpreise noch mehrere Wochen deutlich überhöht waren.
Die Unruhen im Dezember 1991/Januar 1992 wirkten sich auf eine phasenhafte Entwicklung der Gemüsepreise aus. Zwischen dem 12.12. und 23.12., d.h. in der Zeit als sich die politischen Unruhen weitgehend auf städtische Gebiete in Bangalore beschränkten, hielten sich die Gemüsepreise auf einem Niveau, das etwa 30 Prozent über den durchschnittlichen Preisen vom 7. bis 11.12. gelegen hatte. Auf diesem Niveau hielten sich die Preise bis am 24.12. die Unruhen, die nun auf ländliche Gebiete übergesprungen waren, zu einer weiteren Verteuerung führten. Zu diesem Zeitpunkt war - so Mitglieder des National Horticulture Boards - Tamil Nadu bereits seit einigen Tagen vollständig von Gemüselieferungen aus Karnataka abgeschnitten. Verschärft wurde die Situation, da Lieferungen aus anderen Regionen das Defizit nicht ausgleichen konnten.
„The cyclonic storm that hit both coastal Tamil Nadu and Andhra Pradesh recently only added to the consumers' woes. Vegetable tracts were badly hit resulting heavy loss, said traders. The present agitation in Bangalore on the Cauvery water issue will only result in thew trend continuing till the end of the year. “What to do, vegetable arrivals from Bangalore have completely stopped,“ pleaded the traders“ (THE HINDU 17.12.1991).
Nach dem 27.12. gingen die Preis in Madras langsam wieder zurück. Die Großhändler waren inzwischen auf alternative Bezugsquellen ausgewichen und die Lieferungen aus Karnataka hatten auch wieder aufgenommen werden können. Der am 2. Januar 1992 stattgefundene Generalstreik in Tamil Nadu selbst hatte kaum noch Auswirkungen auf die Gemüsepreise.
Diese kurze Beschreibung dreier Ereignisse im Jahr 1991 mag genügen, um zu verdeutlichen, wie anfällig eine Metropole wie Madras hinsichtlich seiner Nahrungsversorgung ist. Zum Teil auf Wochen hinaus waren die Gemüsepreise überdurchschnittlich hoch, obwohl die direkten Unruhen - vor allem im Mai/Juni 1991 erheblich kürzer waren. In diesem Fall war auch keineswegs die Produktion behindert, sondern lediglich der Transport nach Madras. Es ist leicht vorstellbar, welche Folgen länger andauernde Unruhen hätten, die womöglich auch die Produktion von Nahrungsmitteln beeinträchtigen würde. Zunehmende politische Instabilitäten in Indien lassen es nicht vollkommen zu auszuschließen, daß solche Unruhen auch tatsächlich eintreten. In Tamil Nadu z.B. wäre z.B. mit bürgerkriegsähnlichen Zuständen zu rechnen, wenn der Konflikt um die amtierende Ministerpräsidentin Jayalalitha weiter eskaliert. Ein Attentat auf sie, aber auch eine Verurteilung wegen den gegen sie erhobenen Korruptionsvorwürfen, könnte die gespannte Situation zum Explodieren bringen.
Die Zunahme einzelner Ereignisse, die auch in Tamil Nadu verstärkt zu politischen Unruhen auf einer niedrigen Eskalationsebene führten, trugen - neben anderen Faktoren - dazu bei, daß die Nahrungsmittelpreise sich schon beinahe dauerhaft auf einem relativ hohem Noveau stabilisierten. Die traf zwar vor allem für die Gemüsepreise zu und kann sicherlich nicht ohne weiteres auf Reis, dem Stable Food der Tamilen übertragen werden. Da jedoch andere Faktoren (Erhöhung der Transportkosten; PDS; Reisexporte etc) auch bei diesem Nahrungsmittel zu beträchtlichen Preissteigerungen führte, verstärkten sich unterschiedliche wirtschaftliche, politische, aber auch natürräumliche Faktoren gegenseitig und führten dazu, daß 1991 Nahrungsmittel generell überdurchschnittlich in ihrem Preis anstiegen.
Dies Entwicklung konnte auch in den Jahren 1992 - 1994 festgestellt werden. Auch im Wirtschaftsjahr 1994/95 wurde in Indien eine Rekordernte erzielt:
„Farmers produced 186,35 million tonnes of foodgrains this year (1994/95) which is the highest ever so far and 4,23 million tonnes more than last year. The target for 1995-96 is set at 192 million tonnes“ (The Hindu 05.04.1995)
Trotz dieser weiterhin erfreulichen Entwicklung der Nahrungsproduktion in Indien betrug die Inflationsrate im Wirtschaftsjahr 1994/95 erneut mehr als zehn Prozent und erneut waren es vor allem Nahrungsmittel, die überdurchschnittlich im Preis anstiegen (The Hindu 09.04.1995).
11 Das Leben in einem Fischerdorf -Methodische Überlegungen
Während die Feldforschung für die vorliegende Arbeit durchgeführt wurde, befand sich Indien in einer tiefen wirtschaftlichen und politischen Krise. Die vorausgegangenen Kapitel haben versucht, die Ursachen für diese Krisen herauszuarbeiten. Sie haben auch analysiert, wie politische Entscheidungsträger auf diese Krisen reagierten. Die dabei vorgeschlagenen und zum Teil bereits durchgeführten Maßnahmen wurden unter dem Gesichtspunkt der Politischen Ökonomie betrachtet.
Ein wichtiges Ergebnis der bisherigen Untersuchung ist, daß diese Maßnahmen vor allem solchen gesellschaftlichen Gruppen nützen, die wirtschaftlich abgesichert sind. Je größer die politische und/ oder wirtschaftliche Macht ist, desto größer ist auch die Fähigkeit, den notwendig empfundenen Wandel so zu gestalten, daß Wohlstandsverluste verringert werden können. So gesehen handelt es sich bei den analysierten Politiken tatsächlich um Anpassungen an ein sich änderndes wirtschaftliches und gesellschaftliches Umfeld, jedoch nicht um grundlegende Strukturveränderungen. Wenig Beachtung wurde bislang den Gruppen am unteren Ende des Mächtespektrums geschenkt. Hier wurde lediglich festgestellt, daß ihre Armut einerseits den relativen Wohlstand anderer Gruppen ermöglichte, gleichzeitig aber auch die wirtschaftliche Entwicklung verhinderte, weil die Mehrheit der in Indien lebenden Menschen zu wenig Kaufkraft hat. Von ihnen können kaum wirtschaftliche Impulse ausgehen.
Die folgenden Kapitel wenden sich nun der Mikroebene zu. Bevor allerdings die Ergebnisse der Feldforschung dargestellt und analysiert werden, sollen zunächst zur Methode und zum Verlauf der Feldforschung selbst einige klärende Worte geschrieben werden.
Eine Forschung in einer fremden Kultur ist mit mancherlei Schwierigkeiten verbunden, die sehr leicht das Forschungsergebnis dergestalt beeinflussen können, daß sich die Person des Forschenden mit all ihren Urteilen und Vorurteilen zu sehr im Forschungsergebnis widerspiegelt, und letztlich nur ein Spiegelbild bereits vorhandener Denkschemata produziert wird, die auf die untersuchte Gesellschaft übertragen werden. Im Forschungsprozeß kommt es unweigerlich zu Interaktionen zwischen Individuen, die unterschiedlichen Lebenswelten angehören und deshalb eine unterschiedliche Wahrnehmung und Interpretation der Realität haben. Was dem Forscher als außergewöhnlich erscheinen mag, kann für einen Angehörigen der untersuchten Gesellschaft tägliche Routine sein, die kaum erwähnenswert ist. Andererseits kann auch leicht die Situation entstehen, in der dem Forscher wichtige Informationen übermittelt werden, dieser sie aber nicht in ihrer wahren Bedeutung verstehen kann, weil er Außenstehnder ist und dies während des gesamten Forschungsprozesses auch bleiben wird. Der unterschiedliche sozio-kulturelle Hintergrund und unterschiedlich gelagerte Interessen der Akteure lassen es niemals zu auszuschließen, daß Informationen selektiv bzw. falsch wahrgenommen bzw. weitergegeben werden. Um dennoch die Aussagekraft des vorgelegten Materials einigermaßen transparent zu machen, gilt es, den Forschungsverlauf und die eingesetzten Methoden offenzulegen, sowie eine Bewertung der erhobenen Daten vorzunehmen.
In der Regel kennen sich Forscher und beforschte Personen vor Aufnahme der Feldarbeit nicht. Die Tatsache, daß während der Forschung der Forscher eher Subjekt und die erforschte Gruppe eher Objekt der Arbeit ist, ist kaum ganz zu vermeiden, wohl aber zu reduzieren. Humanitäre und wissenschaftliche Gründe setzen dabei voraus, den beforschten Menschen bestimmte Rechte unwiderruflich und kompromißlos einzuräumen, um dieser einseitigen Situation zumindest stückweise gerecht zu werden. Diese Rechte umfassen den Persönlichkeitsschutz der befragten Personen, ihr Recht, auf Fragen nicht antworten zu müssen, auch ihr Recht, falsche Angaben machen zu dürfen, wenn es in ihrem Interesse liegt. Ferner das Recht auf Schutz bzw. Achtung der Intimsphäre der jeweiligen Person, d.h. Fragen, die mit diesem Recht potentiell in Konflikt geraten könnten, dürfen erst gar nicht gestellt werden.
Zum zeitlichen Verlauf der Feldforschung
Erste Kontakte mit dem Leben der Fischer in Tamil Nadu erhielt der Autor im Herbst 1988 während eines viermonatigen Aufenthalts in SüdIndien. Zweck dieser Reise war, Kontakte zu mehreren nichtstaatlichen Entwicklungsorganisationen aufzunehmen, um anschließend zu entscheiden, welche dieser Organisationen sowohl von ihrer konkreten Arbeit als auch bezüglich ihrer Infrastruktur sich als Partnerin für eine spätere Feldforschung eignete.
Eine dieser Organisationen arbeitete etwa 20 km südlich von Madras mit Fischern zusammen. Durch ein „Pilotprojekt“, das von Brot für die Welt finanziert wurde, sollte herausgefunden werden, inwieweit sich traditionelle, aber inzwischen von den Fischern aufgegebene, Fischfangmethoden wiederbeleben lassen (Weber 1989). Während eines weiteren Forschungsaufenthaltes im Sommer/ Herbst 1989 wurden die Kontakte zu Organisationen in SüdIndien, die im Kleinfischerbereich arbeiten, vertieft. In dieser Zeit entstand auch eine Magisterarbeit über die Auswirkung von Modernisierungsmaßnahmen in der Fischerei auf das Leben traditioneller Kleinfischer in Tamil Nadu und Kerala (Schneider 1990). Während dieses zweiten Aufenthaltes traten immer größere Probleme in dem bereits kurz erwähnten Fischereiprojekt auf, die zu gewalttätigen Konflikten zwischen unterschiedlichen Fischergruppen in den Projektdörfern führten. Dies war dann der Grund, weshalb die Projektfinanzierung durch Brot für die Welt eingestellt wurde. Damit war die ursprüngliche Forschungskonzeption ebenfalls hinfällig geworden, nach der der Projektverlauf verfolgt und Empfehlungen für eine Entwicklungskonzeption im Kleinfischerbereich SüdIndiens ausgearbeitet werden sollte.
Eine neuer Forschungsschwerpunkt rückte dadurch in den Vordergrund: geplant war nun, die Ursachen für das Scheitern des Projektes aus einer gesellschaftlichen Dynamik heraus zu erklären. Es war zwar erkannt worden, daß durch das Projekt vielfältige gesellschaftliche Spannungen ausgelöst wurden, das Verständnis der tatsächlichen Ursachen scheiterte jedoch daran, daß insgesamt zu wenig über das Lebensumfeld der Fischer, d.h. über ihre soziale und wirtschaftliche Organisation bekannt war. Dies sollte nun in der beabsichtigten Forschung nachgeholt werden. Damit rückte der anwendungsbezogene Aspekt der Forschung zugunsten der Grundlagenforschung deutlich in den Hintergrund. Die eigentliche Forschung wurde dann Anfang Oktober 1990 aufgenommen und zwar in Nochikuppam, einer Fischersiedlung inmitten der südindischen Metropole Madras, sowie in Chemmencherry Kuppam, einem Fischerdorf, das etwa 50 km südlich von Madras liegt, wobei die Erfahrungen aus dieser zweiten Fischersiedlung in die vorliegende Arbeit miteingeflossen sind, wenngleich auf die Analyse der dort erhobenen Daten verzichtet werden mußte.
Die Entscheidung für diese beiden Untersuchungsorte fiel nicht zufällig. In der neu ausgearbeiteten Forschungskonzeption nahmen die Auswirkungen gesellschaftlichen Wandels auf die Fischergemeinschaft einen großen Stellenwert ein. Dieser Wandel wurde im regionalen Zentrum als am größten vermutet. Als Kontast dazu wurde Chemmencherry Kuppam gewählt, das schon weit genug von Madras entfernt schien, so daß dort der städtische Einfluß geringer sein würde. In den ersten Monaten wurde die Feldforschung jedoch ausschließlich in Nochikuppam durchgeführt, nicht zuletzt deswegen, weil dieser Ort etwa 10 Mal größer als Chemmencherry Kuppam ist. Der Autor bezog eine Appartmentwohnung im Stadtteil Adayar, mit dem Bus etwa 15 Minuten südlich von Nochikuppam gelegen. Überlegungen, in Nochikuppam selbst zu wohnen, wurden relativ schnell verworfen. Dem unbestreitbaren Vorteil, dadurch quasi rund um die Uhr das Leben der Fischer verfolgen zu können, standen Befürchtungen gegenüber, dadurch zu sehr in dörfliche Fraktionierungen einbezogen zu werden, bzw. selbst zu einem gewissen Unfrieden im Dorf beizutragen. In früheren Studien zu südindischen Fischerdörfern wird diese Gefahr zuweilen angesprochen.1
Die beabsichtigte Trennung zwischen Wohnort und Untersuchungsdorf konnte nicht vollständig durchgehalten werden. Am deutlichsten wird dies darin dokumentiert, daß von Anfang der Untersuchung an ein sehr enger Kontakt zur Familie eines der früheren Präsidenten des Dorfrates gehalten wurde, einer der einflußreichsten Persönlichkeiten im Dorf. Dies hatte seinen Grund in der bereits lange bestehenden Freundschaft zu B. Subramaniam, dem Sohn des Haushaltsvorstandes. Schon seit dem ersten Aufenthalt in SüdIndien bestanden regelmäßige Kontakte. Für die Bewohner von Nochikuppam wurde der Autor weniger mit seinem Vater als mit Subramaniam selbst in Verbindung gebracht. Dies wurde dadurch verstärkt, daß dieser Doktorand an der Universität von Madras war, der gegenseitiger Kontakt von den Fischern quasi als das Ergebnis desselben „Arbeitsplatzes“ gewertet wurde. Die Verbindung zu Subramaniam sollte sich während des gesamten Forschungsverlaufes als positiv herausstellen, weil er unter den Fischern als Persönlichkeit galt, die sich für ihr Wohl einsetzte und zwar, dies ist besonders wichtig, über die bestehenden Fraktionen im Dorf hinweg.2 Als Mitglied der Fischergesellschaft war er auch ein wertvoller Informant, vor allem was die sozio-politische Struktur und die äußerst verwickelten verwandtschaftlichen Bindungen im Dorf betraf. Als Dolmetscher bei der Datenerhebung und später bei den Befragungen in verschiedenen Haushalten wurde er jedoch nicht eingesetzt, weil nicht abgeschätzt werden konnte, ob seine Nähe zu einem der politischen Zentren im Dorf dies problematisch machen würde.
Die Feldforschung selbst gliederte sich in drei deutlich voneinander unterscheidbare Phasen. Die Arbeit der ersten sechs Wochen bestand vor allem darin, das Dorf täglich zu besuchen. Jeden Morgen zwischen 6 und 8 Uhr wurden zunächst das Leben am Strand beobachtet. Sofern die Fischer zum Fang ausgefahren waren, kamen sie meistens zu dieser Zeit zurück. Die Boote wurden dann entladen und an Land gebracht, die Fische von den Netzen getrennt und dann an Ort und Stelle versteigert. Anschließend begannen die Fischer damit, die beim Fang beschädigten Netze wieder in Ordnung zu bringen. Die monotone Arbeit des Netzflickens eignete sich gut dazu, mit dem Fischern ins Gespräch zu kommen. Die angesprochenen Themen waren spontan, sie betrafen vor allem die Fangfahrt der vergangenen Nacht, die Zufriedenheit der Fischer mit dem Fangergebnis, die Netzarten, die eingesetzt wurden, die Fischarten, die gefangen wurden, die Besonderheiten der Vermarktung, oder allgemein das Leben der Fischer. Umgekehrt wurden auch häufig Fragen an den Autor gerichtet, die seinen persönlichen Hintergrund aufhellen sollten, den genauen Zweck seiner Untersuchung im Dorf, über seine Eltern etc. Für beide Seiten war diese Phase ein erstes Kennenlernen.
Ab Ende November 1990 begann dann der zweite Abschnitt der Untersuchung mit einer Gesamterhebung der etwa 1000 Haushalte in Nochikuppam. Zusammen mit einer Studentin des Geographischen Institutes der Universität Madras wurden in den folgenden Wochen alle Haushalte des Dorfes aufgesucht, um die wichtigsten demographischen Daten (Haushaltsgröße, Alter, Geschlecht, Bildung, Heiratsalter, Kastenzugehörigkeit) aber auch erste sozio-ökonomische Kenngrößen der Haushalte (Beruf, Einkommen, Tierhaltung, Verschuldungssituation, Beruf des Vaters) zu erfassen. Der räumliche Schwerpunkt der Untersuchung rückte damit weg vom Strand, der hauptsächlichen Lebenswelt der Männer, hin zu den Hütten, Häusern und Apartmentwohnungen, der hauptsächlichen Lebenswelt der weiblichen Mitglieder der Fischergemeinschaft. Damit war bereits vorgebenen, daß für diese Phase der Arbeit nur eine Übersetzerin in Betracht kommen konnte
Daß sich die Datenerhebung der Haushalte dennoch als problematischer als vorausgesehen erwies, war dem Umstand zuzuschreiben, daß sich die Übersetzerin sehr schwer im Umgang mit den Menschen in Nochikuppam tat. Als Brahmanin war die kulturelle Distanz zur Fischergesellschaft erheblich. Während der Arbeit fühlte sie sich oft sehr unwohl; ihre größte Schwierigkeit bestand darin, Getränke bzw. Essen von den Fischern entgegenzunehmen. Die Haushaltserhebung wurde deshalb nach etwa einem Monat unterbrochen und erst fortgeführt, als eine andere Übersetzerin zur Verfügung stand. Diese gehörte ebenfalls nicht der Fischerkaste an, jedoch einer Kaste, die in ihrem Status weitaus weniger von der Fischerkaste entfernt ist als die Brahmanenkaste. Zudem wohnte sie mit zwei älteren Schwestern und ihrer Mutter unweit von Nadukuppam, einer kleinen Fischersiedlung nicht weit von Nochikuppam entfernt. Seit ihrer Kindheit war sie mit Fischerkindern aufgewachsen, sprach ihre Sprache und konnte sich auch sonst sehr gut in das Leben der Fischer einfühlen. Mit ihrer Hilfe wurde die Haushaltserhebung zu Ende geführt, und sie half später auch mit, die Befragung weiblicher Haushaltsangehöriger durchzuführen.
Während der Haushaltsbefragung wurden auch erste Kontakte mit Haushalten geschlossen, deren Mitglieder nicht der Fischerkaste angehören. Die Intensität des Verhältnisses war jedoch während der gesamten Untersuchung im Vergleich zu den Haushalten der Fischerkaste deutlich geringer. Aufgrund ihrer zahlenmäßigen Unterlegenheit und ihrer Abhängigkeit von der Fischerkaste, wurde uns von dieser Gruppe ein größeres Mißtrauen entgegengebracht als von den Haushalten der Fischerkaste.
Nach Abschluß der Haushaltsbefragung (Anfang März 1991) mußte entschieden werden, wie die Untersuchung fortgeführt werden sollte. Beabsichtigt waren intensive Einzelgespräche mit Angehörigen verschiedener Haushalte; ferner war geplant, eine möglichst lückenlose Erhebung des täglichen Einkommens aus dem Fischfang und der Ausgaben bei einer Gruppe von etwa 45 Fischerteams durchzuführen. Diese Arbeiten konnten mit dem vorhandenen „Forschungsteam“ unmöglich bewältigt werden. Es wurde deshalb ein weiterer Übersetzer „angestellt“, der von nun an mithalf, die Interviews mit den männlichen Haushaltsmitgliedern durchzuführen, während Frau Ina Schneider zusammen mit der bisherigen Übersetzerin die Frauen interviewte. Um die täglichen Erhebungen der Einkommen aus der Fischerei sowie der Ausgaben ausgesuchter Haushalte durchführen zu können, wurden drei junge Fischer ausgewählt und auf ihre Aufgabe vorbereitet. Jeder dieser Fischer wählte 15 Fischerteams1 aus, die er in den kommenden 16 Monaten tagtäglich aufsuchte und sowohl die Einkommen aus der Fischerei als auch die Haushaltsausgaben niederschrieb.
Nachdem die Organisation des weiteren Forschungsablaufes damit abgeschlossen war, wurde in Nochikuppam ab Mitte April 1991 mit den Intensivbefragungen begonnen. Anknüpfend an die Erfahrungen der vorausgegangenen Monate, war dazu ein Fragebogen erstellt worden, der bestimmte „Kernthemenkomplexe“ abdeckte. Dabei wurden Fragekomplexe ausgewiesen, die sinnvollerweise von den Frauen (Komplexe: häuslicher Bereich, Heirat, Verschuldungssituation, Entscheidungsfindungsprozeß) und solche, die von den Männern (Organsiation des Fischfangs, nähere Angaben zu Besitz/Nichtbesitz von Booten/Netzen) erfragt wurde. Für beiden Geschlechtergruppen wurde darüberhinaus ein weitgehend offener Fragebogen erstellt, der Meinungs- und Einstellungsfragen beinhaltete. Hier waren die vorgelegten Fragen für beide Geschlechtergruppen identisch.
Die befragten Haushalte gehörten drei unterschiedlichen Gruppen an. Die erste Gruppe waren Haushalte, in denen mindestens ein Haushaltsmitglied als Fischer arbeitete. Die zweite Gruppe umfaßte Haushalte, die zwar der Fischerkaste angehörten, in denen es aber keinen aktiven Fischer (mehr) gab. Die dritte Gruppe setzte sich aus Haushalten zusammen, die anderen Kasten als der Fischerkaste zuzurechnen waren. Befragt wurden in der Regel der Haushaltsvorstand und seine Frau, wobei angestrebt wurde, daß die Befragung parallel in getrennten Räumen stattfinden sollte, was nicht immer erreicht werden konnte. In vielen Fällen nahm die Befragung auch den Charakter eines Gruppengespräches an, weil sich andere Haushaltsmitglieder bzw. zuweilen auch haushaltsfremde Personen am Gespräch beteiligten. Dies wurde zwar von den eigentlich befragten Personen nicht als störend empfunden, realtiviert jedoch die Aussagekraft der erhobenen Daten insofern, daß in den Antworten nicht immer und ausschließlich die Meinung bzw. Einstellung einer einzelnen Person wiedergegeben wird. Eine Befragungssituation herzustellen, in der wirkliche Einzelgespräche stattfinden konnten, wurde erst gar nicht versucht.
Die Gespräche wurden auf mehrere (mindestens vier pro Haushalt) Sitzungen aufgeteilt, wobei darauf geachtet wurde, daß eine einzelne Sitzung nicht länger als 2 Stunden dauerte. Reichte diese Zeit nicht aus wurde entweder ein weiterer Gesprächstermin vereinbart oder Themenkomplexe gestrichen. In einigen Fällen wurden weitere Haushaltsmitgliedern befragt (so etwa mit einer ganzen Reihe arbeitsloser Jugendlicher über ihre Anstrengungen, Beschäftigung zu finden, mit ArbeiterInnen in der Schuhproduktion und mit älteren Haushaltsmitgliedern, um die jüngere Geschichte Nochikuppam s in Grundzügen rekonstruieren zu können).
Diese arbeitsintensivste Phase der Untersuchung zog sich über 12 Monate hin, wobei insgesamt 130 Haushalte in die Befragung einbezogen wurden.
Anmerkungen zur Forschungsmethode
Quantitative Forschungsmethoden haben den Vorteil, daß sie Datenmaterial hervorbringen, das sich anschaulich analysieren und repräsentieren läßt. Hinzu kommt, daß die Erhebung von Daten in der Regel unkomplizierter und schneller durchgeführt werden kann, als dies etwa bei qualitativen Methoden wie z.B. der Intensivbefragung bzw. der teilnehmenden Beobachtung möglich ist. So beanspruchte die Datenerhebung von fast 1000 Haushalten in Nochikuppam gerade einmal etwas mehr als zwei Monate, während sich die Intensivbefragung von jeweils zwei Personen aus 130 Haushalten über einen Zeitraum von einem Jahr hinzog. Dennoch dürfen eindrucksvolle Tabellen und Schaubilder nicht darüber hinwegtäuschen, daß gerade quantitativem Datenmaterial eine Fülle von Fehlern anhaften kann. Daten, so stimmig sie auch auf dem Papier erscheinen mögen, können niemals die Wirklichkeit abbilden. Daten können höchstens eine Annäherung an die Wirklichkeit sein. Damit aber das vorgelegte Datenmaterial von Außenstehenden beurteilt werden kann, ist eine Bewertung des Datenmaterials vom Forscher selbst durchzuführen. Die vorliegende Arbeit beruht auf einer Mischung aus quantitativen und qualitativen Forschungsmethoden.
a. Quantitatives Datenmaterial
Haushaltserhebung:
Die größten Schwierigkeiten gab es bei der Ermittlung des Haushaltseinkommens, vor allem dem der aktiven Fischern. Hier mußte festgestellt werden, daß die Varianz ungewöhnlich hoch war (von 250 Rs - 1500 Rs monatlich) und daß sich in den Antworten auch nicht widerspiegelte, daß Boots- und Netzbesitzer ungleich mehr verdienen als Fischereiarbeiter. Auffallend war auch, daß bei der Befragung als häufigster Wert 300 Rs angegeben wurde und zwar von Besitzenden an Produktionsmitteln als auch von Arbeitern.
Die Erklärung dieses Phänomens ist vielschichtiger als zunächst vermutet. Als Berufsgruppe mit einem extrem schwankenden Einkommen waren die Fischer nicht in der Lage, genaue Angaben über die Höhe ihres Einkommens zu machen. Eine sehr häufige Antwort war „ it depends “ oder auch „ between nothing and 1000 Rs daily “. Da die Fischer darüberhinaus ihre tägliche Einnahmen weder aufschreiben noch aufsparen, sondern einen beträchtlichen Teil des Geldes am selben Tag ausgeben, an dem sie es einnehmen, können sie noch weniger Angaben über ihren monatlichen Verdienst machen. Offensichtlich war jedoch, daß alle Angaben mit 300 Rs im Monat als äußerst unwahrscheinlich gelten mußten. Hier stellte sich heraus, daß es sich dabei um das „offizielle“ Haushaltseinkommen handelte, das auf der Ration-Card eingetragen war. Zwar gibt es bislang keine Einkommensgrenze für den Bezug subventionierter Lebensmittel in den Ration-Shops, doch der Bezugsausweis ist auch beim Empfang andere Begünstigungen immer vorzulegen, die u.U. Einkommensgrenzen unterworfen sind. So war die Verteilung von kostenlosem Reis und Kleidungsstücken, die an wichtigen Festtagen an bedürftige Haushalte durchgeführt wurde, an eine Einkommensobergrenze von monatlich 300 Rs gebunden. Die extremen Unterschiede bei den Angaben zum Einkommen aus der Fischerei und die Vermutung, daß in diesem Bereich vielfach unrichtige Angaben gemacht wurden, war der Grund dafür, weshalb bei einer Gruppe von Fischerteams die täglichen Fangergebnisse aufgeschrieben wurden. Während des gesamten Erhebungszeitraums wurden zusätzlich regelmäßig, d.h. mehrmals in der Woche, am Strand während den Fischauktionen qualitative Beobachtungen über Menge und Wert der gefangenen Fische vorgenommen und mit den Aufzeichnungen aus der Erhebung verglichen.
Datenerhebung der Einkommen aus der Fischerei
Bei dieser Erhebung konnte lediglich der Wert aber nicht die Menge des gefangenen Fisches festgestellt werden, weil dieser Fisch nicht nach Gewichtseinheiten verkauft wird, sondern nach unterschiedlichen Mengeneinheiten. Das kann einmal ein ganzer Korb voll sein, ein anderes Mal ein kleiner Haufen am Strand aufgeschichteter Fische, die versteigert werden etc. Das Abwiegen ist - mit Ausnahme bei Garnelen für den Export - unüblich, die dazu notwendigen Waagen sind überhaupt nicht vorhanden. Ein Abwiegen des Fanges für die Untersuchung war wegen des dafür notwendigen Aufwandes nicht möglich. Außerdem wäre es mit Sicherheit auf den Widerstand der FischhändlerInnen gestoßen, die großes Interesse daran haben, den Fisch unmittelbar nach dem Anlanden zu den Märkten zu bringen. Zur Bestimmung des Einkommens war ein solches Abwiegen zudem unnötig.
Auch konnte der Wert des für den Eigenverbrauch entnommenen Fisches nur geschätzt werden. Zur Aufteilung des Fangwertes unter den Bootsbesatzungen liegen verläßliche Angaben vor, weil für jede Fangfahrt dokumentiert wurde, wieviele Mitglieder Besitzer von Produktionsmitteln und wieviele Arbeiter waren. Parallel zur Erhebung der Einkommen aus der Fischerei wurden die Haushaltsausgaben dokumentiert, um feststellen zu können, wie sich die Ausgabenstruktur im Laufe des Untersuchungszeitraums verändert. Hier wurde angenommen, daß saisonale Unterschiede in der Höhe der Einkommen aus der Fischerei sich auch auf die Ausgabenstruktur niederschlagen müßten. Später zeigte sich dann, daß die erhobenen Daten auch dazu verwendet werden konnten, Veränderungen in der Ausgabenstruktur der Haushalte zu dokumentieren, die aus den Preissteigerungen während des Untersuchungszeitraums erklärt werden können.
b. die qualitative Befragung in einzelnen Haushalten
Die Absicht bei der Intensivbefragung war, tiefergehende Einsichten in bestimmte Lebensbereiche der befragten Haushalte zu erlangen. Das trifft insbesondere beim Fragenkomplex der Meinungs- und Einstellungsfragen zu, die erwartungsgemäß sehr subjektiv gefärbt waren. So etwa bei der Frage nach der persönlichen Einschätzung darüber, ob sich seit der Kindheit das Leben eher verbessert oder verschlechtert hat. Manche der Frauen gaben hier an, daß sich ihre Lebensituation seit ihrer Eheschließung verschlechtert hätte, weil sie von ihrem Mann geschlagen würden. Es ist jedoch offensichtlich, daß die Antworten dabei in sehr starkem Maße davon beeinflußt werden, ob der Ehemann bei der Befragung anwesend war oder nicht. Selbst wenn der Ehemann beim Gespräch nicht anwesend war, muß dennoch bezweifelt werden, ob alle Frauen, die tatsächlich von ihrem Ehemann geschlagen werden, dies während der Befragung angeben. Konkret danach befragt wurde keine.
Vorgegeben waren bei den Interviews lediglich die Themenbereiche, die angeschnitten werden sollten, in den meisten Fällen ergaben sich während des Gespräches weitere Bereiche. Prinzipiell wurde bei der Befragung nach keinen Namen gefragt. Es wurde also etwa nicht gefragt, von welcher Person im Dorf wird Geld geliehen, sondern nur nach bestimmten Charakteristika dieser Person („ gehört diese Person der Fischerkaste an ?“, „ lebt sie in einer Hütte, einem Betonhaus, einer Apartmentwohnung ?“, „ geht sie selbst noch dem Fischfang nach “ u.ä.). Geschlecht und vor allem Alter der befragten Personen haben offensichtlich das Befragungsergebnis beeinflußt. Tendenziell waren Männer „bessere“ Informanten als Frauen. Abgesehen davon, daß einige der Fragenkomplexe eher der Lebenswelt der Männer zugeordnet werden können und sich die Frauen nicht kompetent fühlten, dazu Aussagen zu machen, scheint die Stellung im Haushalt mit der Bereitschaft im Zusammenhang zu stehen, sich intensiv Fremden gegenüber zu öffnen. Junge Frauen, die nach ihrer Heirat erst relativ kurz im Haushalt lebten, zeigten sich dabei deutlich zurückhaltender als ältere Frauen, die eine unbestrittene Position im Haushalt einnehmen.
12 Nochikuppam - Ein „Fischerdorf“ im Herzen von Madras
Nochikuppam liegt zentral in Madras am südlichen Ende der etwa sechs km langen Uferpromenade des Marina Beaches. Direkt an die vierspurige Kamaraj Salai, der wichtigsten Süd-Nord-Verbindung von Madras, angrenzend, ist der Ort ideal an das städtische Verkehrsnetz angebunden.
Da er zudem über eine eigene Bushaltestelle verfügt, lassen sich von hier aus praktisch alle wichtigen Stadtteile (zumeist) durch Direktverbindungen erreichen.
Kaum ein anderes Stadtgebiet der südindischen Metropole liegt derart „inmitten“ einer ganzen Reihe wichtiger Einrichtungen. In einer Entfernung, die noch leicht zu Fuß zurückgelegt werden kann, befinden sich mehrere Regierungsschulen und einige private (zumeist christliche) Schulen, die bis zum Abitur führen (Higher Secondary Schools); ebenso sind einige der angesehendsten Colleges von Madras in unmittelbarer Nähe von Nochikuppam gelegen (z.B. das Lady Willington College und das Queen Mary's College). Auch die Universität von Madras - am nördlichen Ende des Marina Beaches gelegen - ist bequem innerhalb von weniger als zehn Minuten mit dem Bus zu erreichen. Die Infrastruktur im Bildungsbereich kann deshalb als äußerst günstig beschrieben werden. Ähnlich sieht es in anderen Bereichen aus.
So etwa hinsichtlich der Banken. Alle wichtigen Banken Indiens haben in unmittelbarer Nähe der Fischersiedlung eine Zweigstelle (State Bank of India, Indian Overseas Bank, Tamil Nadu Cooperation Bank etc.). Der Sitz der Regierung von Tamil Nadu sowie einiger Ministerien (Landwirtschaftsministerium, Ernährungsministerium etc.) sind ebenfalls in etwa zehn Minuten mit dem Bus zu erreichen. Das Fischereiministerium befindet sich für die Fischer jedoch in einem ungünstigen Teil von Madras. Um dorthin zu gelangen, müssen sie etwa 30 Minuten mit dem Bus fahren. Weitere wichtige Einrichtungen in unmittelbare Nähe von Nochikuppam sind: das Hauptgebäude von All India Radio (direkt gegenüber auf der anderen Seite der Kamaraj Salai), das Tamil Nadu Slum Clearance Board (etwa drei Minuten mit dem Bus nach Norden), das Hauptquartier der Polizei von Tamil Nadu (weniger als fünf Minuten zu Fuß nach Norden), der Erzbischof von Mylapore (weniger als fünf Minuten zu Fuß nach Süden).
Auch Einrichtungen, die für das tägliche Leben der Menschen von Nochikuppam weitaus wichtiger sind als die bislang aufgezählten, sind günstig zu erreichen. Es gibt im Ort selbst zwar keinen Arzt, doch in den benachbarten (gehobeneren) Wohngebieten gleich mehrere, die von den Bewohnern Nochikuppams im Bedarfsfall auch aufgesucht werden. Für die Dinge des täglichen Bedarfs, sofern sie im Ort selbst nicht erworben werden können, ist in der Nachbarschaft auch hinreichend gesorgt. Für den täglichen Einkauf bevorzugen die Frauen des Ortes den Markt von Mylapore, der zu Fuß etwa zehn Minuten von Nochikuppam entfernt ist. Hier werden vor allem Gemüse, Reis und Obst eingekauft. Dort befinden sich auch unzählige Geschäfte, in denen Güter des mittelfristigen Bedarfs erworben werden können wie etwa Kleidung, Haushaltsgeräte etc. Der Fair Price Shop, dem die Bewohner von Nochikuppam zugeordnet sind, befindet sich ebenfalls in unmittelbarer Nähe.
Die Aufzählung dieser Einrichtungen soll zunächst einmal genügen. Auf die Bereiche, für die sie stehen - Bildung, Gesundheit, Nahrung, Verwaltung etc. - wird später ausführlich eingegangen werden. Vorab sei nur folgendes erwähnt: die physische Erreichbarkeit von Gütern und Dienstleistungen spielt im vorliegenden Fall mit Sicherheit keine entscheidende Rolle für das Leben der Menschen in dieser Siedlung. So gut wie jede denkbare Einrichtung liegt praktisch vor der Haustüre der Bewohner von Nochikuppam. Wenn an späterer Stelle Versorgungsengpässe festgestellt werden müssen, dann kann die Ursache dafür auf keinen Fall darin bestehen, daß es eine entsprechende Einrichtung nicht gäbe oder daß sie nur durch Mühen und Kosten zu erreichen wäre. Wenn in manchen Bereichen festgestellt werden muß, daß städtische und bundesstaatliche Einrichtungen den Ort vernachlässigen, dann kann es auch nicht daran liegen, daß der Weg nach Nochikuppam für die Bediensteten dieser Einrichtungen besonders zeitaufwendig oder mühsam wäre.
Doch nun zum Ort selbst.
Mit Sicherheit ist Nochikuppam älter als die Metropole Madras selbst. Die Endung Kuppam steht für Fischerdorf, doch im neueren tamilischen Sprachgebrauch, vor allem unter Städteplanern, bedeutet Kuppam auch Slum. Nochi bezeichnet eine Pflanze (Vitex Negundo), und die älteren Bewohner des Dorfes können davon erzählen, daß früher überall im Dorf Nochi -Büsche wuchsen, deren Blätter auch als Arzneipflanze benutzt wurden. Heute sind diese Büsche verschwunden; Überbevölkerung hat dazu geführt, daß die Vegetation im Ort nur noch sehr spärlich vorhanden ist. Insgesamt ist Nochikuppam äußerst dicht besiedelt und unterscheidet sich dadurch extrem von den Fischerdörfern im ländlichen Raum, die häufig sehr großzügig angelegt und dicht mit Kokospalmen, Papaya- und Drumstick bäumen bewachsen sind. Nochikuppam ist die größte Fischersiedlung von Tamil Nadu. In Madras ist Nochikuppam einer der größeren Slums, und - was besonders bedeutsam ist - nur wenige Slumgebiete der Metropole weisen eine höhere Bevölkerungsdichte auf (vgl. TNSCB 1975, Ramani 1985). Schon der erste Eindruck vom Ort deutet auf diesen Sachverhalt hin. Die Bebauung ist äußerst dicht, die Wege durch das Wohngebiet selten breiter als ein bis höchstens zwei Meter.
Nach jeder Himmelsrichtung wird Nochikuppam von einer befestigten Straße umschlossen. Ganz im Süden trennt eine Straße, die die Kamaraj Salai mit der Küstenstraße verbindet, Nochikuppam von Nochinagar. Die westliche Abgrenzung, die Kamaraj Salai, trennt den Ort von Mylapore. Im Norden grenzt eine Verbindungsstraße zwischen der Kamaraj Salai und der Küstenstraße den Ort vom unbesiedelten Marina Beach ab.
Nochikuppam läßt sich von der Bebauung her in fünf deutlich unterscheidbare Gebiete gliedern. Westlich der Küstenstraße, die das Wohngebiet zum Strand hin abgrenzt, befindet sich ein Streifen mit ca. 70 Hütten. Keine dieser Hütten hat ein Mauerwerk aus Stein, sondern die Wände sind, wie auch die Dächer, aus Palmwedeln hergestellt. Diese rechteckigen Hütten haben selten eine Grundfläche von mehr als 15 m2; erstaunlich, daß in manchen Fällen bis zu drei Haushalte in einer einzigen Hütte leben.
Unmittelbar westlich an die Hütten schließen sich dreigeschossige Wohnblocks des Tamil Nadu Slum Clearance Boards an, die Mitte der 70er Jahre erbaut wurden. Insgesamt sind es 36 solcher Wohnblocks, die sich links und rechts einer Straße aufreihen, die ganz Nochikuppam vom Süden nach Norden durchzieht. Die Blocks haben jeweils 12, 18 oder 24 Wohnungen.1 Die Gesamtzahl der Wohnungen beläuft sich auf 534. Jede dieser Wohnungen besteht aus einem Wohn/Schlafzimmer (ca. 10 m2), einer Eßküche (ca. 7 m2) und einem kleinen Badezimmer mit Toilette (ca. 2 m2). In jedem Stockwerk liegen sich immer zwei Wohnungen gegenüber, so daß Wohnblocks mit 12 Wohnungen zwei Treppenaufgänge haben, solche mit 18 Wohnungen drei und solche mit 24 Wohnungen vier Treppenaufgänge. An der Straße, die beide Wohnblockreihen voneinander trennt, befinden sich zahlreiche kleine Läden, die Artikel des täglichen Bedarfs (Zahnpasta, Seife, Kleingebäck, Zucker, Kerosin, z.T. Reis etc.) anbieten.
Westlich der Wohnblocks erstreckt sich ein Wohngebiet mit gemischter Bebauung. In der südlichen Hälfte befinden sich vor allem einstöckige, ältere Häuser mit Palmdächern und mehrstöckige, flachdachige Privathäuser, die zum größten Teil nach 1975 errichtet wurden. Einige dieser modernen Häuser unterscheiden sich in nichts von Häusern, wie sie in gehobenen Wohnvierteln von Madras zu finden sind (Bild 5 der Anlage). Auf einigen der Flachdächer wurden Hütten errichtet, die vermietet sind. Je weiter man sich Richtung Norden begibt, desto häufiger finden sich auch Hütten in der Art, wie sie auch östlich der Wohnblocks des Slum Clearance Boards anzutreffen sind. Am nördlichen Ende von Nochikuppam, direkt hinter der Polizeistation, gibt es überhaupt keine Steinhäuser mehr, sondern nur noch ebendiese Hütten. Die Gebäudefront entlang der Kamaraj Salai ist geprägt von kleinen Läden und Restaurants. Hier befindet sich auch ein größerer Alkoholladen und ein Video- und Musikkasetten-Ausleihgeschäft. Vom Betreiber des Videoladens wird auch ein Kabelfernsehnetz in Nochikuppam unterhalten. Die Fernseher von etwa 30 Familien sind durch Antennenkabel mit einem zentralen Videorekorder verbunden. Etwa 2-3 Mal in der Woche können sie sich so einen populären Tamil-Movie ansehen. Daneben gibt es im Ort auch ein „Kino“, d.h. eine Hütte, in der allabendlich gegen eine Gebühr von 1 Rs/Person Videofilme gezeigt werden.
Im westlichen Teil befindet sich der Haupttempel des Ortes. Er ist von einer hohen Mauer umgeben und sein Areal nimmt eine Fläche von etwa 800m2. Wie für einen südindischen Tempel üblich führen „Straßen“ rund um ihn. In den letzten Jahrzehnten hat eine zunehmende Verbauung jedoch dazu geführt, daß diese Straßen immer beengter wurden, so daß heute eine Prozession rund um den Tempel nicht mehr möglich ist. Der Strand selbst gehört rechtlich nicht mehr zum Ort, obwohl er - wie zu erwarten ist - eine sehr wichtige Funktion im Leben der Fischer einnimmt. Hier ist der Landeplatz der Kattumarame, hier werden sie auch gebaut.
12.1 Die „Geschichte“ von Nochikuppam
Die Geschichte der Fischer von Madras und damit auch die der Bewohner von Nochikuppam liegt im Dunkel der Vergangenheit. Schriftliche Quellen, in denen am Rande auch die Fischer erwähnen, reichen bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts zurück und stammen so aus einer Zeit, die fast 150 Jahre vor der Gründung des Fort St. George, d.h. der Gründung der kolonialen Siedlung von Madras liegt.
Die Siedlung Nochikuppam gehört heute zum Stadtteil Mylapore der Millionenstadt Madras. Sie ist dadurch sehr eng mit der Geschichte der Portugiesen in Indien verbunden. Diese hatten hier - lange vor der britischen East India Company - einen wichtigen Stützpunkt für ihren Südostasienhandel. Aufgrund der historisch äußerst wichtigen Lage ihres Siedlungsortes kann es als sicher gelten, daß die ortsansäßigen Fischer in vielfältiger Weise mit der kolonialen Vergangenheit Indiens verbunden sind. Die genaue Rekonstruktion einer Kolonialgeschichte der Fischer an der Coromandelküste an der Koromandelküste ist jedoch nahezu unmöglich.1 Wichtige Aspekte einer solchen Kolonialgeschichte sollen an dieser Stelle kurz angesprochen werden, lassen sie doch zumindest erahnen, wie sich die koloniale Durchdringung Indiens auf diese Berufsgruppe ausgewirkt hat.
Drei Bereiche sollen dabei im Vordergrund stehen:
a. die Missionierungsversuche durch zunächst portugiesische Jesuiten, die besonders intensiv unter der Fischerbevölkerung durchgeführt wurden.
b. die Rivalitäten der europäischen Kolonialmächte untereinander und mit einheimischen Herrschern. Für die Fischer waren die daraus resultierenden Kriege und Schlachten eine große Bedrohung, da sie häufig auf den schmalen Küstenstreifen ausgetragen wurden, ihrem Lebensraum.
c. der Bedeutungsgewinn des Seehandels und seine Auswirkungen auf die Fischergemeinschaft von San Thome bzw. Madras.
12.1.1 Christianisierung unter der Fischerbevölkerung
Nachdem 1498 Vasco da Gama an der Westküste Indiens gelandet worden, konnten die Portugiesen schon sehr bald ihren Einflußbereich auch auf weitere Gebiete in Süd- und Südostasien ausdehnen. Für die vorliegende Arbeit ist lediglich die Expansion auf die Ostküste Indiens von Interesse, wenngleich nicht vergessen werden darf, daß der Grund für diese Expansion darin bestand, Handelsstützpunkte für den lukrativen Handel mit Süd-Ostasien (Pegu (in Burma), Malakka) zu errichten.
12.1.1.1 Die Missionierung der Paravas an der „Fischerküste“
Auch heute gelten die Fischer des südlichen Tamil Nadu als eine der wenigen Kastengruppen, die geschlossen zum Christentum übergetreten sind und sich auch heute noch zum christlichen Glauben bekennen, wenngleich sich ihre Kastenidentität dadurch eher verstärkt als abgeschwächt hat (Kaufmann 1981). Diese Fischer an der Küste zwischen Kanyakumari im Süden und Rameswaram im Nordosten werden auch heute noch als Paravas bezeichnet. Im 16. Jahrhundert umfaßte ihr Siedlungsgebiet 22 Dörfer unter denen Tuticorin das wichtigste war (Jegatheesan 1982: 16). Neben dem Fischfang verdienten sich die Paravas ihren Lebensunterhalt durch die Perltaucherei. Sie zogen dadurch die Aufmerksamkeit der Portugiesen auf sich, die schnell bereit waren, die Fischer aus den Klauen der muslimischen Mittelsmänner zu befreien, die sie mit der Billigung hinduistischer Regionalfürsten erbarmungslos ausbeuteten. Um sich das lukrative Geschäft des Perlenhandels zu sichern, schickten 1523 die Portugiesen einen Flottenverband an die Fischerküste.
Die Fischer selbst gerieten - als schwächste Gruppe in diesen Auseinandersetzungen - häufig zwischen die Fronten und erbaten deshalb im Jahr 1535 den Schutz der Portugiesen (Jegatheesan 1982: 16). Diesen kam dieser „Hilferuf“ nicht ungelegen. Die wirtschaftliche Ausbeutung der Perltaucherei war durch die labilen politischen Verhältnisse ins Stocken geraten. Gleichzeitig gedachten sie aber auch des machtpolitischen Vorteils, der sich aus der Etablierung einer einheimischen Klientel in der Auseinandersetzung mit den gegnerischen Hindus- und Moslems ergeben konnte. Die Christianisierung der Paravas erweist sich daher als eine besondere Variante des „Teilens und Herrschens“. Bis Ende des Jahres 1537 waren alle Paravas zum Christentum übergetreten. Der Schutz, den ihnen die Portugiesen zukommen ließen, wurde jedoch durch deren Gier bei weitem übertroffen. Miguel Vas, portugiesischer Generalvikar in Indien, beschwerte sich in einem Brief an den König über die Vorgänge an der Fischerküste:
„All who go to that coast have only one object in mind - to become rich through the sweat and toil of those poor people who, in addition to the taxes which they must pay to the Portuguese crown and to the many native rulers, are subjected to so many levies that their burden has become unbearable“ (zit. nach Mandadan 1984-I: 398).
Die Ausbeutung der Paravas durch die Portugiesen ging jedoch auch in der Folgezeit weiter und es traten erst Verbesserungen ein als im Jahr 1542 mit dem Jesuiten Francis Xavier ein Geistlicher an die Fischerküste kam, der seine Aufgabe in der Missionierung der Fischer sah (Jegatheesan 1982). Inwieweit dies deren ökonomischen Status aufwertete, wird von den Quellen nicht erwähnt, wohl aber, daß die Fischer auch in der Folgezeit immer wieder in Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden lokalen Herrschern hineingezogen wurden.
12.1.1.2 Missionierung an der Coromandelküste
Anders als die Fischer im Süden Tamil Nadus sind jene in Madras (heute) allesamt Hindus. Eine einleuchtende Erklärung, weshalb dies so ist, gibt es bislang nicht, denn vieles spricht eigentlich dafür, daß sie ebenfalls missioniert wurden. Gleichzeitig leben sie in einer Stadt, die sehr eng mit dem frühen Christentum in Indien verbunden ist.
Die indische Stadt Mylapore wurde bereits lange vor der Ankunft der Portugiesen von unterschiedlichen Autoren erwähnt, zumeist in Zusammenhang mit dem Apostel Thomas, der dort den Märtyrertod gefunden haben und dort auch beigesetzt sein soll.
Als wichtige kulturelle Stätte der Hindus wurde der Ort bereits von dem Tamil-Dichter Tiruvallur (1. Jahrhundert v. Zw.) erwähnt (Wiertz 1983: 60). Ptolomäus berichtete in seinen Reisebeschreibungen von einer südindische Stadt Malliarpha, bei der es sich wahrscheinlich um Mylapore handelte (Love 1913-I: 286, Rangacharya 1939: 273).
Im Jahr 883 wurde der Brite Sighehnas, Bischof von Sherborne, von König Alfred nach Indien geschickt, um dort das Grab des Apostels Thomas aufzusuchen (MacLean 1885-I: 139). Aus dem 8. und 9. Jahrhundert liegen auch Berichte arabischer Kaufleuten vor, die den Ort als „Betumah“ (Haus des St. Thomas) erwähnen (Wiertz 1983: 61). Marco Polo, der 1292 Indien besuchte, berichtet ebenfalls von einer Stadt in SüdIndien, zu dem viele Christen und Moslems wallfahren, weil sich dort das Grab des Apostels Thomas befindet (Love 1913-I: 287; MacLean 1885-I: 138; Podipara 1973: 9).
„The Body of Messer St. Thomas the Apostel lies in the province of Maabar at a certain little town having no great population. It is a place where few traders go, because there is little merchandize to be got there, and it is a place not very accesible“ (Marco Polo, zit. nach St. Thomas Christian Encyclop. of India 1973-II).
Weitere Erwähnungen bzw. Beschreibungen finden sich bei Odorico di Pordenone, einem Bettelmönch, der zwischen 1316 und 1330 Indien bereiste, John de Marignolli, der 1348 das Grab des Apostels Thomas besuchte, dem Venezianer Nicolo de Conti, den eine ausgedehnte Asienreise zwischen 1419 und 1444 auch nach Mylapore führte (MacLean 1885-I: 139f; vgl. Oaten 1909; Podipara 1973) und Ludovico di Varthema, der sich zwischen 1503 und 1508 in Indien aufhielt. Di Varthema berichtete auch von Christenverfolgungen an der Koromandelküste durch die Muslims, die einsetzte, nachdem die Portugiesen in Indien gelandet waren.
„[...] the Christians could no longer live in that region since the arrival of the king of Portugal, because he had killed many Muslims in that region.[...] The Christians were driven away and killed“ (zit nach: Mundadan 1984: 404).
Erst die Ankunft der Portugiesen ließ Mylapore innerhalb weniger Jahre zu einer der wichtigsten Niederlassungen europäischer Handelsorganisationen an der Ostküste Indiens werden und bescherte ihm eine - wenngleich kurze - wirtschaftliche Blüte.
Einige Quellen geben an, daß bereits 1516 die Portugiesen bei der indischen Stadt Meliapor eine Siedlung gründeten,1 der sie den Namen San Thome de Meliapor gaben (Mundadan 1984-I: 289). Tatsächlich unternahmen einige Portugiesen in diesem Jahr von dem etwa 30 km nördlich gelegenen Pulicat aus eine Reise nach Mylapore, um den Gerüchten nachzugehen, dort befände sich das Grab des Apostel Thomas. Eine portugiesische Siedlung dürfte dort jedoch nicht vor 1522 entstanden sein (Love 1913-I: 289; Wiertz 1983: 61). In diesem Jahr gründeten die Portugiesen ein Kloster, das bald zum Kern einer Siedlung wurde (Rangacharya 1939: 276). Zu diesem Zeitpunkt nutzten die Portugiesen bereits seit einigen Jahren den Hafen von Pulicat. An der ungeschützten Küste vor Mylapore konnten ihre Schiffe nicht sicher vor Anker gehen, was vor allem während den Stürmen im Mai und November zu großen Schäden führte. Mehrere Quelle berichten übereinstimmend davon, daß viele Bewohner des indischen Mylapores bereits kurz nach Errichtung der portugiesischen Siedlung zum Christentum bekehrt wurden, allen voran die ortsansässigen Fischer.
„The church of the Mother of God, which was started in 1575 and meant for the use of the Indian Christians outside the walls of the town, was completed [...] in 1576. Though the church was outside the wall, it was quite close to it. At this time there were about 1,200 Christians belonging to that church. They were all fishermen or workers. More and more people belonging to the same castes were being baptized“ (Thekkedath 1984: 203).
„Outside the town are many faithful Christians, about six hundred of whom are fishermen“ (Love 1913-I: 298; vgl. auch: Rangacharya 1939: 281).
„Within the town itself, the religious orders busied themselves with mundane chores: the Jesuits for example, conducted Latin classes in the college they had constructed in Sao Tome, and they together with the other orders also looked for native converts, largely from among the fisher villages of the area“ (Subrahmanyam 1990a: 63).
Noch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts werden die Fischer nahe Madras von MacLean als römisch-katholisch bezeichnet:
„The number of large boats employed is 400, and of fishermen, chiefly Roman Catholics, 14,000“ (MacLean 1885-I: 67).
Alle späteren Beschreibungen weisen die Fischer zwischen Madras und Tuticorin als Hindus aus; lediglich die Paravas an der Südost-Küste Tamil Nadus bekennen sich auch heute noch zum Christentum.
Keiner der befragten Fischer konnte sich während der Feldforschung an eine „christliche Vergangenheit“ seiner Kaste erinnern und so muß es ungeklärt bleiben, ob die Fischer von Madras überhaupt zum Christentum übergetreten waren und - wenn dies der Fall gewesen sein sollte - weshalb sie sich inzwischen wieder als Hindus betrachten. Dies ist umso verwunderlicher, da die Fischer aus Nochikuppam auch heute noch räumlich sehr eng mit der katholischen Kirche verbunden sind. Nochikuppam liegt etwa 100m vom Amtssitz des Erzbischofs von Mylapore und einigen wichtigen katholischen Einrichtungen - darunter führende Schulen in Madras - entfernt.
Vorstellbar ist, daß mit dem Niedergang des Einflußes der katholischen Portugiesen und dem Erstarken protestantischer Handelsmächte in dieser Region (Niederländer und Briten) auch die katholische Präsenz vor Ort zurückging (vgl.Thekkedath 1984: 204ff).
12.1.2 Die Rivalitäten unter den europäischen Kolonialmächten
Mit der Errichtung von San Thome de Meliapor in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts waren die Portugiesen die erste europäische Macht, die sich an der Koromandelküste niederließen. Sie operierte vor allem von Pulicat aus und San Thome de Meliapor war zunächst ein „Vorort“ dieses Hafens (Subrahmanyam 1990a: 50). In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts erlebte San Thome de Meliapor eine wirtschaftliche Blüte und wird von vielen zeitgenössischen Autoren als eine der reichsten und schönsten Städte Indiens beschrieben (vgl. Subrahmanyam 1990a: 47; Love 1913-I: 286ff; Thekkedath 1984: 202)
Als ab dem beginnenden 17. Jahrhundert mit den Niederländern eine weitere europäische Handelsmacht versuchte, sich an der nördlichen Coromandelküste zu etablieren, setzt der Niedergang von San Thome de Meliapor ein. Das erste niederländische Schiff vor San Thome de Meliapor traf im April 1606 ein und raubte drei vor der Stadt liegende portugiesische Schiffe aus, bevor es seine Fahrt nach Pulicat fortsetzte (Subramanyam 1990b: 196). Es dauerte jedoch vier Jahre, bevor die Niederländer mit den lokalen Herrschern einen Vertrag über die Errichtung einer Handelsniederlassung abschließen konnten.
„The text of the grant is instructive, particularly when compared to later documents of a similar nature, for it emerges unequivocally that the Vijayanagaras rulers had no intention of substititution the Dutch for the Portuguese. Instead, they insisted on a balance of power at sea between the two European nations, a balance that might well be favourable to the interests of the local polity“ (Subramanyam 1990b: 197).
Die Portugiesen wollten Pulicat jedoch nicht mit den Niederländern teilen und zerstörten den niederländischen Stützpunkt im Juni 1612. Noch im selben Jahr erhielten die Niederländer von dem lokalen Herrscher das Recht, an gleicher Stelle wieder eine Niederlassung zu errichten, diesmal als befestigte Anlage. Die Portugiesen sahen dieser Entwicklung nicht untätig zu, sondern versuchten den Fürsten Jagga Raya durch großzügige Geschenke und Versprechungen davon abzuhalten, den Vertrag mit den Niederländern aus dem Jahr 1610 zu erneuern. Als dieser Versuch fehlschlug und der Herrscher sich unmißverständlich auf die Seite der Niederländer stellte, entsandten die Portugiesen 1616 eine Strafexpedition nach Pulicat, die die Niederländer ein für alle mal vertreiben sollte. Gleichzeitig wollten sie auch Jagga Raya einen Denkzettel verpassen.
„Ruy Dias arrived at Sao Tome, and proceeded himself to rest in the city, instructing an assistant to raid coastal villages. This order was executed with some enthusiasm, and the fleet according to a contemporary Portuguese chronicler, Antonio Bocarro, 'carried out great destruction and cruelties, taking the natives by surprise, and thus they killed and captured many women and children, and took many textiles, with no one to defend them“ (Subramanyam 1990b: 201f).
Bevor die Portugiesen jedoch Pulicat angreifen konnten, wurde ihre Streitmacht von einer Armee des Golconda-Sultanats vernichtend geschlagen.1 Weitere Versuche in den drei kommenden Jahrzehnten die Niederländer aus Pulicat zu verdrängen, scheiterten ebenfalls. Mit dem Verlust von Pulicat1 setzte auch der Niedergang von San Thome ein.
„Where Pulicat was important, however, was in the context of its relationship to São Tomè. The river of Pulicat had been the traditional haven for Sao Tomè vessels in the north-east monsoon; so that with its anchorage lost, the commercial centre at Sao Tomè went very rapidly into decline“ (Subramanyam 1990b: 215).
Zu einem Teil war der Niedergang San Thomes aber auch den Portugiesen selbst zuzuschreiben, die kein geregeltes Gemeinwesen aufzubauen vermochten. Faria y Souza beschreibt die Zustände, die dort zwischen 1614 und 1616 herrschten, wie folgt:
„The Inhabitants of the City Meliapor, commonly called St. Thomas, were all divided, killing one another without any regard of Human or Devine Laws, or any shame, that even the Moors and Gentiles abominated their wickedness“ (zit. nach: Love 1913-I: 296; vgl. auch: Rangacharya 1939: 279,284).
Im Jahr 1646 ging das Gebiet, in dem San Thome liegt, von Vijayanagar in den Besitz des Sultans von Golconda über. 1662 wurde die Stadt von den Niederländern und einer Armee des Sultans belagert und schließlich von den Portugiesen aufgegeben (Rangacharya 1939: 286f). Für zehn Jahre war die Stadt im Besitz des Sultans von Golconda, bevor sie 1672 von den Franzosen erobert wurde (MacLean 1885-I: 173). Bei mehrmaligen Angriffen von See her, lagen die Fischerdörfer im Zentrum der Feindseligkeiten (vgl. Love 1913-I: 310-316). Zwischen September 1672 und März 1673 wurde die Stadt erneut von der Armee des Sutans belagert, konnte aber der Kapitulation entgegehen, da mit Kattumaramen die Versorgung von See her aufrecht erhalten werden konnte (Love 1913-I: 322; Rangacharya 1939: 290).
Im August 1673 verbündete sich der Sultan von Golconda mit den Niederländern. Von Land her wurde San Thome nun von der Armee der Sultans belagert, während die Niederländer eine Seeblockade aufrechterhielten. Nach einer Belagerung von einem Jahr übergaben die Franzosen2 im August 1674 die Stadt an die Niederländer. Diese traten sie zwar an den Sultan ab, jedoch nur unter der Bedingung, daß die Befestigungsanlagen zu schleifen seien (vgl. Love 1913-I: 331-338). Bei den Kämpfen zuvor waren die (Fischer)-Dörfer nahe der Stadt mehrmals verwüstet worden.
„Captain Deltor, being sent to Madras to gain intelligence, reported that Fort St. George was blockaded, and that the outlying villages had been destroyed by the Netherlands. [...] On the 19th September a mounted party of Dutch and Moors passed to the South of San Thome, burning the villages on that side“ (Love 1913-I: 328).
Nach der Eroberung des Sultanats von Golconda durch die Moghulherrscher (1688) fiel San Thome zwar noch einmal an die Portugiesen, doch 1697 wurde die Stadt von den Moghuln als Besitz beansprucht und die Portugiesen nunmehr lediglich geduldet (Love 1913-I: 576).
Im Jahr 1749 wurden San Thome und Mylapore der britischen Siedlung Madras angegliedert und verloren damit ihre Selbstständigkeit.
Die wechselhafte Geschichte San Thomes im 17. Jahrhundert wird von den zeitgenössischen Chronisten fast ausschließlich im Sinne einer kolonialen Militärgeschichte beschrieben. Das Los der einheimischen Bevölkerung wird - wenn überhaupt - lediglich als Folge von Kriegshandlungen, zumeist aber überhaupt nicht erwähnt. Offensichtlich ist, daß die einheimische Bevölkerung von den Kampfhandlungen schwer betroffen gewesen sein muß, vor allem die Fischersiedlungen nahe San Thomes. Sofern die Angriffe auf die Stadt von See her erfolgten, waren die Fischerdörfer genau zwischen den Angreifern und den Verteidigern der Stadt. Wer immer auch Angreifer war sah die Fischer als einen potentiellen Feind an, denn sie hatten eine wichtige Funktion für die Versorgung der immer wieder belagerten Stadt.
12.1.3 Seehandel und Fischerei
Missionierung und die kriegerische Auseinandersetzungen der Kolonialmächte untereinander und mit einheimischen Herrschern waren zwei wichtige Faktoren im Leben der Fischerbevölkerung seit der Ankunft der europäischen Kolonialmächten.
Ein dritter Faktor ergab sich durch die wirtschaftlichen Aktivitäten der Kolonialmächte: der Seehandel. Wenngleich auch hier die Quellen sehr spärlich sind, muß es doch als gesichert gelten, daß einheimische Fischer eine sehr wichtige Funktion für den Seehandel wahrnahmen: sie transportierten die Handelswaren vom Land auf die Schiffe und dienten auf die gleiche Weise auch dem Personentransport, weil die flache, offene Küste die Anlage eines geschützten Hafens zunächst nicht zuließ. Aus frühen Beschreibungen ist bekannt, daß dazu vor allem die Massula-Boote der Fischer eingesetzt wurden. Sowohl die Portugiesen in San Thome wie auch später die Briten in Madras hatten lokale Fischer in ihren Diensten. Allerdings werden in den vorliegenden zeitgenössischen Quellen die Fischer lediglich am Rande erwähnt; genauere Angaben zu dem Verhältnis zwischen Fischern und Kolonialmacht finden sich keine.1
MacLean erwähnt lediglich im Zusammenhang mit der Organisationsstruktur des Marine Departments den Posten eines „Deputy Master Attendant“, der neben der Registrierung gekenterter Schiffe auch für die Organisation der Massula-Boote verantwortlich war.
„[...] there is the boat system, consisting of some 175 boats and their crews (1,656 men and 100 boys), each one having to be regularly examined, licensed, and the crews registered by name. Boats are supplied by him (dem Deputy Master Attendant, d.Verf.) for the public service“ (MacLean 1885-I: 257).
Die Massula-Boote wurden mindestens bis zum Ende des 19. Jahrhunderts regelmäßig eingesetzt, wobei anschließend ihre Anzahl durch den Bau einer Hafenanlage2 zurückging (MacLean 1885-II: 92f). Interessensgegensätze zwischen den Fischern und der Handelskammer scheinen ein wichtiger Grund für die Errichtung eines gesicherten Hafenbeckens gewesen zu sein.
„From the end of the eighteenth century, goods were landed on the strip of beach opposite the Custom House instead of at the fort; but they were still brought ashore by masulah boats, which flourished exceedingly. In fact, one of the great objections raised to the first plan of building a harbour was that it would deprive the boatmen caste1 of their means of making a living. On the other hand, the great reason which induced the Chamber of Commerce in 1862 to press for the building of a harbour was the exceedingly good living which these boatmen were making. They had a magnificent monopoly, being a closed caste and quite indispensable as nothing but a masualah boat could live in the surf. They charged what they liked, five, six, and even ten times the regulation fare“ (Armstrong 1930: 3f).
12.2 Die Bevölkerung von Nochikuppam
Mit einer zu Beginn der Feldforschung durchgeführten Erhebung aller Haushalte sollte ein erster Eindruck über die wichtigsten demographischen und sozio-ökonomischen Kenngrößen der Fischersiedlung sowie ein erster Einblick in die von der Bevölkerung als bedeutsam wahrgenommen Probleme gewonnen werden.
Tab. 27: Zusammensetzung der Haushalte Nochikuppams nach Kaste bzw. Religionsgruppe
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Bei der Bestandsaufnahme der Bevölkerung von Nochikuppam wurden Daten aus 974 Haushalten aufgenommen. Über mindestens 46 weitere Haushalte1 liegen keine Daten vor, weil trotz mehrmaliger Versuche niemand angetroffen werden konnte. Fast ein Drittel der befragten Haushalte gehören nicht der Fischerkaste an. Damit unterscheidet sich der Ort erheblich von ländlichen Fischersiedlungen in Tamil Nadu, die in der Regel fast ausschließlich von Angehörigen der Fischerkaste bewohnt werden.2 Durch die günstige Lage hat nach Nochikuppam schon vor Jahrzehnten eine Zuwanderung eingesetzt, die zu einem Aufbrechen der Kastenhomogenität geführt hat. Damit verbunden ist auch der Umstand, daß 25 Haushalte gemischtkastig sind, wobei in den meisten Fällen eine Frau aus einer anderen Kaste in einen Haushalt aus der Fischerkaste eingeheiratet hat. Auch wenn die Haushalte der Nicht-Fischerkasten einen Anteil von etwa 30 Prozent ausmachen, darf nicht übersehen werden, daß sie sich auf fast 40 verschiedene Kastengruppen aufteilen, die in der Regel wenig Gemeinsamkeiten haben.
Yadava und Konar sind - außer den Fischern - die einzigen Kastengruppen, die in größerer Anzahl vorhanden sind. Sowohl Konar als auch Yadavas sind Unterkasten der Golla (Thurston 1909-II: 284). Es scheint sogar als ob beide Namen dieselbe Kaste bezeichnen. Die Angehörigen dieser Kaste(n) sind traditionelle Viehzüchter, und ihre Vertreter in Nochikuppam stammen mehrheitlich aus dem Ramnathapuram- und Puttukottai-Distrikt, also aus einem Gebiet etwa 500 km südlich von Madras. Ihre genaue Herkunft läßt sich bei den meisten Haushalten dieser Kasten auf ein relativ kleines Siedlungsgebiet in den beiden genannten Distrikten eingrenzen. Viele Haushalte standen bereits vor ihrer Ankunft in Nochikuppam miteinander in Kontakt, einige von ihnen sind durch verwandtschaftliche Beziehungen miteinander verbunden.
Alle anderen Nicht-Fischer-Kasten bieten ein weniger einheitliches Erscheinungsbild, was sowohl ihre Herkunft als auch ihre Beschäftigung betrifft. Es finden sich zwar bei vielen dieser Kasten immer auch einige wenige Haushalte, die einen gemeinsamen Herkunftsort haben und/oder verwandtschaftlich miteinander verbunden sind, ihre Anzahl ist jedoch zu gering, als daß sie als wichtige Interessensgruppen in Nochikuppam auftreten könnten. Zumeist haben sie mit Angehörigen ihrer Kaste außerhalb Nochikuppams engere Beziehungen als mit denen, die in Nochikuppam leben.Die Haushalte der Fischerkaste sind im Durchschnitt größer als die der anderen Kasten. Bei allen unterschiedenen Kastengruppen fällt das Geschlechterverhältnis zuungunsten der Frauen aus. Der geringste Frauenanteil findet sich bei den gemischten Haushalten und Nicht-Fischerkasten. Doch auch bei der Fischerkaste ist der Frauenanteil geringer als der entsprechende Wert für Indien (48,1 Prozent), für Tamil Nadu (49,3 Prozent) und für Madras (48,2 Prozent).1
Tab. 28: Bevölkerung nach Kastengruppen und Geschlecht
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: eigene Erhebung: November 1990-Februar 1991
Diese überdurchschnittliche Repräsentanz der männlichen Bevölkerung läßt sich zum größeren Teil aus Migrationen nach Nochikuppam erklären. Am deutlichsten wird dies bei den Nicht-Fischerkasten; bei den Migranten handelt es sich vor allem, wenngleich nicht ausschließlich, um junge Männer. Oftmals nehmen die Migranten/innen auch (ausschließlich) männliche Kinder in ihren Haushalt auf, die gegen Verpflegung, Unterkunft und (selten) ein kleines Taschengeld für sie arbeiten.
Der Altersaufbau von Nochikuppam weist ebenfalls untypische Charakteristika auf. Nicht die jüngsten Teile der Bevölkerung sind zahlenmäßig an stärksten vertreten, sondern die Altersgruppen zwischen 16 und 20 Jahren, 21 und 25 Jahren sowie 26 und 30 Jahren. Dies trifft für die weibliche Bevölkerung, noch stärker jedoch für die männliche zu. Eine Interpretation des vorliegenden Bevölkerungsaufbaus muß mehrere Aspekte berücksichtigen. Erstens deutet sich in ihm ein Rückgang der Geburtenrate an, der jedoch wegen fehlender Vergleichsdaten zu früheren Zeiträumen nicht näher quantifiziert werden kann. Zweitens, und hierin dürfte die Hauptursache für die Überrepräsentanz der Bevölkerung im Alter zwischen 16 und 30 Jahren liegen, ist auch hier die Ursache in Migrationen zu suchen. Viele Menschen dieser Altersgruppen wandern nach Nochikuppam zu, vor allem junge, arbeitsfähige Männer, die in manchen Fällen ihre Ehefrauen mitbringen, bzw. diese später nachholen.
Abb. 7: Bevölkerung nach Alter, Geschlecht und Erwerbsstatus
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Eine verstärkte Zuwanderung hätte dem Altersaufbau des Ortes entsprechend vor etwa 10-15 Jahren einsetzen müssen. Eine solche Interpretation ist jedoch zu statisch, da sie die große Fluktuation, die unter den Migranten feststellbar ist, nicht berücksichtigt. Nach Aussagen der befragten Personen im Ort, hat eine stärkere Zuwanderung vor allem ab Mitte der 70er Jahre eingesetzt, nachdem die dreigeschossigen Wohnblocks durch das Slum Clearance Board fertiggestellt waren und somit mehr Wohnraum zur Verfügung stand.
Die genaue Ermittlung des Alters, besonders der älteren Personen, war mitunter problematisch. Selbst der frühere Präsident des Dorfrates kennt sein genaues Geburtsdatum nicht. In seine Ausweispapiere wurde ein geschätztes Datum eingetragen. In der indischen Gesellschaft ist es üblich, daß die Ehefrau erheblich jünger ist als der Ehemann. Dies ist auch in Nochikuppam der Fall, wobei es allerdings Hinweise dafür gibt, daß das durchschnittliche Heiratsalter für Frauen in den letzten Jahrzehnten angestiegen ist und sich die Altersdifferenz bei der Heirat dadurch verringert hat.
Das Alter der Frau bei der Heirat spielt eine sehr wichtige Rolle bei den „Heiratschancen“ und auch bei der Festsetzung der Mitgift. Nicht selten wird dabei die Frau um ein paar Jahre „jünger gemacht“ als sie tatsächlich ist. Ebenso konnte festgestellt werden, daß ab der Altergruppe der über 50-jährigen vorwiegend „runde“ Zahlen bei der Befragung angegeben wurden. Neben der häufigen Ungewissheit über das tatsächliche Alter spielt eine große Rolle, daß das Lebensalter in der untersuchten Gemeinschaft weniger nach Lebens jahren als nach Lebens abschnitten bemessen wird. Ein Fischer, der alt und gebrechlich ist und seiner Arbeit nicht mehr nachgehen kann, wird deshalb oftmals als 70-jähriger bezeichnet, selbst wenn er tatsächlich noch nicht so alt ist. Umgekehrt wird das Alter eines 70-jährigen Fischers niedriger angegeben, wenn dieser noch rüstig und gesund ist. Der Altersaufbau der Bevölkerung kann deshalb vor allem für die älteren Altersgruppen nur tendenziell wiedergegeben werden.
Tab. 29: Heiratsalter nach Geschlecht und Altersgruppe
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Bildung
Nachfolgende Tabellen geben eine Übersicht über den Bildungsstand der Bevölkerung. Wie nicht anders zu erwarten, weist die männliche Bevölkerung ein deutlich höheres Bildungsniveau auf als die weibliche. Mehr als die Hälfte der Frauen im Alter von über fünf Jahren haben überhaupt keine Schulbildung. Ein weiteres Fünftel hat die Schule spätestens nach der fünften Klasse abgebrochen.
Tab. 30: Formaler Bildungsstand nach Kaste und Geschlecht
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Dagegen haben über 40 Prozent der männlichen Bevölkerung mindestens die sechste Klasse abgeschlossen. Insgesamt 71 Personen haben einen Hochschulabschluß, 59 von ihnen gehören der Fischerkaste an. Auch hier ist ein deutlicher Unterschied zwischen den Geschlechtern feststellbar.
Gliedert man die Bevölkerung ohne Schulbildung nach Altersgruppen, zeigt sich, daß in den vergangenen Jahrzehnten in diesem Bereich offensichtlich große Fortschritte erzielt wurden, wenngleich in der Altersgruppe von sechs bis zehn Jahren noch immer 15 bis 20 Prozent ohne jede schulische Bildung sind. Es überrascht, daß bei den Nicht-Fischerkasten in dieser Altersgruppe der Anteil der männlichen Bevölkerung ohne Schulbildung größer ist als der der weiblichen Bevölkerung. Dies hängt einerseits damit zusammen, daß viele Familien ihre Töchter von Verwandten im Heimatdorf großziehen lassen und andererseits aber auch, daß Söhne aus Nicht-Fischerkasten häufig schon sehr frühzeitig am Marina Beach „snacks“ verkaufen.
Tab. 31: Personen ohne jede Schulbildung nach Alter, Kaste und Geschlecht
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Wie sehr das Bildungsniveau in den vergangenen Jahrzehnten gestiegen ist, zeigt sich auch darin, daß die Personen mit einem höheren Bildungsabschluß mehrheitlich aus den Altersgruppen von 16 bis 25 Jahren kommen.
Tab. 32: Personen mit höherem Bildungsabschluß (mind. 11. Klasse abgeschlossen)
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Erwerbstätigkeit
Insgesamt sind 2104 Personen aus Nochikuppam erwerbstätig, was etwa 42 Prozent der Gesamtbevölkerung entspricht. Die Erwerbsquote ist bei den Männern deutlich höher als bei den Frauen; sie beträgt bei den Haushalten der Fischerkaste 63 Prozent und bei den Nicht-Fischerkasten-Haushalten sogar knapp 70 Prozent. Hier wiederum ist die Erwerbsquote bei den Frauen mit 11 Prozent am geringsten.
Wie zu erwarten ist, sind Erwerbstätigkeiten, die mit der Fischerei verbunden sind, in Nochikuppam am häufigsten vorzufinden. Insgesamt sind 870 Personen in diesem Bereich beschäftigt, d.h. etwa 41 Prozent der Erwerbsbevölkerung. Zahlenmäßig am stärksten vertreten sind die Fischereiarbeiter, gefolgt von den produktionsmittelbesitzenden Fischern und den Frauen, die Fischvermarktung betreiben. Tätigkeiten, die im Zusammenhang mit der Fischerei stehen, werden (fast) ausschließlich von Angehörigen der Fischerkaste ausgeübt. Sie bieten 56 Prozent der Erwerbstätigen dieser Kaste Beschäftigung.
Nach der Fischerei ist der Staat der bedeutendste Arbeitgeber für die Angehörigen der Fischerkaste. 145 Personen sind fest in staatlichen Einrichtungen angestellt, wobei die größte Gruppe im Hafen von Madras arbeitet. Weitere 22 Personen sind als Arbeiter bei der Regierung beschäftigt, wobei es sich bei den Männern vor allem um Wachdienste handelt; die Frauen in dieser Kategorie arbeiten ausnahmslos in der Straßenreinigung.
Vor allem bei den Frauen ist die Arbeit für Exportunternehmen eine weitere wichtige Einkommensquelle. Es handelt sich hier vor allem um Unternehmen, die Lederschuhe bzw. Schuhoberteile herstellen. Da die Arbeit i.d.R. als Heimarbeit durchgeführt werden kann, ist diese Beschäftigung bei Frauen besonders beliebt, da sie gut in ihre Arbeitsorganisation integriert werden kann.
Für die Nicht-Fischerkasten ist der Verkauf von Nahrungsmitteln bei weitem die wichtigste Einkommensquelle. Hierbei handelt es sich vor allem um den Verkauf von Tee, Kaffee und Milch sowie kleineren Mahlzeiten.1 Diese „snacks“ werden am Marina Beach an Tagestouristen verkauft, während Tee, Kaffee und Milch vor allem in den Büros der sich westlich anschließenden Behördenviertel angeboten werden. Die Getränke werden am frühen Morgen in den Wohnungen selbst hergestellt und in große Thermosbehälter abgefüllt, die mit dem Fahrrad transportiert werden.
Tab. 33: Erwerbstätigkeit nach Geschlecht und Kastenzugehörigkeit
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12.2.1 Verflechtung von Beschäftigungsverhältnissen
Eine der zentralen Aussagen des sog. Bielefelder Verflechtungsansatzes ist, daß Armutsgruppen ihr Haushaltseinkommen aus unterschiedlichen Quellen erwirtschaften und dabei sowohl markt- als auch gebrauchswertorientiert wirtschaften.
„Überleben hängt davon ab, für welche Kombination von Tätigkeiten und Einkommensquellen sich die Produzenten entscheiden“ (Evers 1987: 137f, 1988: 133).
Tab. 34: Individuelle Erwerbstätigkeit und Erwerbstätigkeit des Haushaltsvorstandes
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Die unterstellte Verflechtung von verschiedenen Produktionsformen ist im Sinne einer Überlebensstrategie äußerst rational, denn durch die Einkommensaufteilung auf mehrere Quellen hin werden die negativen Auswirkungen des Ausfalls einer Einkommensquelle gemindert und damit die gesellschaftliche Verwundbarkeit reduziert. In Ihrem alltäglichen Überlebenskampf können sich die Armen nicht auf dauerhafte Strukturen verlassen, sondern
„das einzig Beständige ist die Fluktuation von einer Einkommensquelle zur anderen, sind immer wieder wechselnde Kombinationen von “Rückständigem“ und “Modernem“ (Schmidt-Wulffen 1987: 135).
Die Konsequenz einer solchen Verflechtung ist, daß in ein und dem selben Haushalt häufig sowohl für die Subsistenz als auch für den Markt, nicht selten sogar für den Exportmarkt produziert wird. Dabei ist es noch nicht einmal ausgeschlossen, daß diese unter-schiedlichen Produktionsformen von ein und der selben Person ausgeübt werden.
Entsprechend dieser - zugegebenermaßen verkürzt dargestellten - Kernaussagen des sog. Bielefelder Verflechtungsansatzes müßten sich im untersuchten Fischerdorf Erwerbsstrukturen finden lassen, bei denen (a) eine Kombination von Subsistenz- und Marktproduktion auftritt, (b) ein Wechsel zwischen unterschiedlichen Beschäftigungen häufig stattfinden (Fluktuation von einer Einkommensquelle zur anderen) und (c) bei der diese Prozesse im Sinne einer Überlebensstrategie von verwundbaren Gruppen interpretiert werden kann.
Was die Fischer betrifft ist eine Verflechtung von Subsistenz- und Warenproduktion festgestellbar, was jedoch nicht weiters verwunderlich ist. Der Fischfang ist in hohem Maße marktorientiert, bestimmte Produkte wie z.B. Garnelen werden sogar für den Export gefangen. Gleichzeitig nehmen sich die Fischer von ihrem Fang fast immer ein paar Fische für sich und ihre Familien beiseite.
Analysiert man jedoch, welche verschiedenen Berufe in ein und demselben Haushalt anzutreffen sind, dann kann eine Verflechtung nur ansatzweise festgestellt werden. Zumindest was die monetären Einkommen betrifft, hängt bei weitem die größte Anzahl der Haushalte von einer einzigen Beschäftigungsart ab. So stammt in 65 Prozent der Haushalte das gesamte monetäre Haushaltseinkommen aus einer einzigen Art der Beschäftigung. In knapp 28 Prozent der Haushalte finden sich zwei Beschäftigungsarten, wobei hier die Kombinationen Fischer und Fischvermarktung (4,1 %) sowie Fischereiarbeiter und Fischvermarktung (5,7 Prozent) am häufigsten anzutreffen sind.
In 49 Haushalten stammt das Haushaltseinkommen aus drei unterschiedlichen Beschäftigungsarten; das sind fünf Prozent der Haushalte, während in weniger als einem Prozent der Haushalte vier oder fünf Arten der Beschäftigung ausgeübt werden. Insgesamt finden sich 106 unterschiedliche Verflechtungstypen, von denen allerdings lediglich 16 häufiger als zehn Mal auftreten. Bei den vier häufigsten „Kombinationen“ wird lediglich eine einzige Beschäftigungsart ausgeübt. In all diesen Fällen sind etwaige weibliche Haushaltsmitglieder überhaupt nicht erwerbstätig. In den beiden häufigsten Fällen, bei denen zwei unterschiedliche Einkommensarten erzielt werden, ist dies das Ergebnis der traditionellen geschlechterspezifischen Arbeitsteilung in der Kleinfischerei: männliche Haushaltsmitglieder erwirtschaften ein Einkommen durch den Fischfang, während weibliche durch die Fischvermarktung zum Haushaltseinkommen beitragen.
Ebenfalls ein Indiz dafür, daß sich nur in relativ wenigen Fällen das Haushaltseinkommen aus mehreren Einkommensarten zusammensetzt, ist, daß in den meisten Fällen die Beschäftigung einzelner Haushaltsmitglieder mit der Beschäftigung des Haushaltsvorstandes übereinstimmt. Dies trifft vor allem bei den Beschäftigungskategorien zu, die mehrheitlich von Männern ausgeübt werden.
So leben in der Fischerkaste 98 Prozent der Fischer in Haushalten, in denen der Haushaltsvorstand ein Fischer ist. Bei den Fischereiarbeitern ist dieser Wert mit 93 Prozent nur geringfügig niedriger. Nur ein einziger Fischereiarbeiter lebt in einem Haushalt mit einem Fischer als Vorstand. Umgekehrt gibt es keinen Fischer, der in einem Haushalt mit einem Fischereiarbeiter als Vorstand lebt. Mit 81 Prozent gehört die Mehrheit der Regierungsangestellten Haushalten an, in denen ein Regierungsangestellter Haushaltsvorstand ist; in weiteren 6 Prozent bezieht der Haushaltsvorstand eine Pension, d.h. er oder sie waren während des Berufslebens ebenfalls bei der Regierung angestellt. Weniger als ein bzw. knapp zwei Prozent der Fischer bzw. Fischereiarbeiter leben in Haushalten mit einem Regierungsangestellten als Vorstand, während drei bzw. fünf Prozent der Regierungsangestellten in Haushalten mit einem Fischer bzw. Fischereiarbeiter als Vorstand leben.
Tab. 35: Individuelle Erwerbstätigkeit und Erwerbstätigkeit des Haushaltsvorstandes in der vorausgegangenen Generation
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Bei den Kombinationen, bei denen individuelle Erwerbstätigkeit und Erwerbstätigkeit des Haushaltsvorstandes identisch sind und die Werte von unter 50 Prozent haben, handelt es sich um Berufe, die mehrheitlich von Frauen ausgeübt werden. So leben bei der Fischerkaste 11 Prozent der Frauen, die Fischvermarktung betreiben, in Haushalten, deren Haushaltsvorstand ebenfalls Fischvermarktung betreibt, also eine Frau ist. Mehrheitlich gehören Frauen, die der Fischvermarktung nachgehen, jedoch Haushalten an, denen ein Fischer (33 Prozent) oder Fischereiarbeiter (42 Prozent) vorsteht.
33 Prozent der für/in Exportunternehmen beschäftigten Personen leben in Haushalten mit einem Fischer als Vorstand; bei 21 Prozent ist dies ein Fischereiarbeiter. Überraschend hoch ist mit 11 Prozent der Anteil an Haushalten mit einem Regierungsangestellten als Vorstand.
In den Bereichen Fischvermarktung und soziale Dienstleistungen sind ausschließlich Frauen beschäftigt. Hier haben 2,3 bzw. 0,1 Prozent der Haushalte der Fischerkaste einen weiblichen Haushaltsvorstand. In 1,8 bzw. 0,1 Prozent der Haushalte der Fischerkaste arbeitet der Haushaltsvorstand für ein Exportunternehmen bzw. ist ein(e) Hausangestellte(r). Bei diesen beiden Berufen stellen Frauen zu mehr als 70 Prozent die Beschäftigten. Der informelle Verkauf von Nahrungsmitteln ist bei der Fischerkaste eine von Frauen, ansonsten eine von Männern dominierte Beschäftigung.
Bei der quantitativen Analyse dieser Strukturen könnte sehr leicht der Eindruck entstehen, Fischer, Fischereiarbeiter und Regierungsangestellte bildeten eigenständige Kasten, zumal eine geringe Verflechtung, z.B. auch bei den Heiratsbeziehungen, festgestellt werden kann. Dieser Eindruck relativiert sich jedoch, betrachtet man den Wandel der Beschäftigungsstruktur über mehrere Generationen hinweg. Hier kann zwar ebenfalls festgestellt werden, daß die individuelle Erwerbstätigkeit in sehr hohem Maße mit der Erwerbstätigkeit des Haushaltsvorstandes in der vorigen Generation korrespondiert. Abweichungen von dieser Struktur sind jedoch nicht unwesentlich.
So stammen z.B. 23 Prozent der Fischereiarbeiter aus Haushalten, bei denen in der vorigen Generation noch ein Fischer Haushaltsvorstand war. Dieser Wandel kommt eindeutig einem sozialen Abstieg gleich. Auf der anderen Seite stammen lediglich 9,6 Prozent der Fischer aus Haushalten, die in der vorigen Generation einen Fischereiarbeiter als Vorstand hatten, d.h. im Vergleich zur vorigen Generation einen sozialen Aufstieg erlebt haben.
Bei den Regierungsangestellten rekrutieren sich die heutigen Beschäftigten aus zwei Gruppen: solchen, die bereits in der vorigen Generation einen Regierungsangestellten als Haushaltsvorstand hatten (42,1 Prozent) und solchen, bei denen dies ein Fischer war (50,3 Prozent). Der Aufstieg vom Fischereiarbeiter zum Regierungsangestellten geschieht im Generationenwechsel äußerst selten.
Bei den Haushalten der Nicht-Fischerkasten kommt in dieser Hinsicht der Migrantenstatus zum tragen. Keine einzige Person geht einer landwirtschaftlichen Beschäftigung nach. Fast die Hälfte der Beschäftigten dieser Haushalte hat ihren familiären Hintergrund jedoch in diesem Bereich.
12.2.2 Erwerbstätigkeit und Bildung
Die traditionellen Berufe in Nochikuppam können ohne Schulbildung ausgeübt werden. Fischfang, Fischvermarktung, aber auch der Verkauf von Getränken und „snacks“ setzen keine schulische Bildung voraus; ganz im Gegenteil: oftmals verhindert die Ausübung dieser Berufe den Besuch einer Schule, da sehr frühzeitig mit einer Erwerbstätigkeit begonnen wird. Auf der anderen Seite haben Personen mit einem geringen Bildungsniveau kaum Aussichten darauf, außerhalb ihrer „traditionellen“ Beschäftigung eine Arbeit zu finden.
Etwa 40 Prozent sowohl der Fischer als auch der Fischereiarbeiter sind nicht zur Schule gegangen. Am niedrigsten ist jedoch das Bildungsniveau bei den Frauen, die Fischvermarktung betreiben. Über 80 Prozent von ihnen haben keine Schule besucht. Ebenfalls hohe Werte finden sich bei den Hausangestellten und den Arbeiterinnen und Arbeitern bei der Regierung. In beiden Fällen handelt es sich auch um Gruppen, bei denen der Anteil der Frauen besonders hoch ist. Bei Erwerbstätigen für Exportunternehmen findet sich ein überdurchschnittliches (formales) Bildungsniveau, obwohl auch diese Gruppe sich hauptsächlich aus Frauen zusammensetzt. In diesem Fall handelt es sich jedoch um eine Beschäftigung, die es am Ort erst wenige Jahre gibt und die hauptsächlich von jungen Frauen ausgeübt wird.
Tab. 36: Formale Bildung nach einzelnen Berufsgruppen (Fischerkaste)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Wie zu erwarten weisen die Regierungsangestellten ein hohes Bildungsniveau auf, das sie jedoch bildungsmäßig nicht über andere Gruppen stellt, die eine Beschäftigung ausüben, die einen weitaus geringen Status mit sich bringt (Gelegenheitsarbeiter, Rickshawfahrer, Bauarbeiter etc.). Vor allem in der Gruppe der Personen, die einen Bildungsabschluß zwischen der sechsten und der zehnten Klasse haben und in der sich auch die Mehrzahl der Regierungsangestellten findet, gibt es einige Berufsgruppen, deren Angehörigen ein höheres formales Bildungsniveau aufweisen als die Regierungsangestellten. Heute setzt kaum eine Stellenausschreibung der Regierung den zur Bewerbung notwendigen Bildungsabschluß unter der zehnten Klasse an, dem ersten anerkannten Bildungsabschluß in Indien.1
Ein hoher Bildungsabschluß ist jedoch keine Garantie dafür, daß auch eine entsprechende Berufstätigkeit ausgeübt werden kann. Dies kommt auch darin zum Ausdruck, daß ein sehr hoher Anteil der Personen, die mindestens die zehnte Klasse erfolgreich abgeschlossen haben, ohne Beschäftigung ist. Nicht selten sind Frauen mit hohem Bildungsabschluß von der Arbeitslosigkeit betroffen, da es für sie noch weniger ihrer Qualifikation entsprechenden Stellen gibt als für Männer. Neben dem staatlichen Bereich und den sozialen Dienstleistungen gibt es kaum Berufsfelder, die für Frauen mit hohem Bildungsabschluß in Frage kommen. Diese Feststellungen treffen in der Tendenz für Angehörige der Fischerkaste als auch anderer Kasten gleichermaßen zu. In dieser ersten statistischen Aufbereitung zur Bildungssituation in Nochikuppam kommt ein großes Problem deutlich zum Vorschein: einer immer größer werdenden Gruppe junger Menschen mit einem für indische Verhältnisse gutem formalen Bildungsstand stehen viel zu wenige qualifizierte Arbeitsplätze gegenüber, die darüberhinaus auch ein zufriedenstellendes Einkommen ermöglichen.
Tab. 37: Formale Bildung nach einzelnen Berufsgruppen (andere Kasten)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Im Grunde genommen ist es lediglich der staatliche Sektor, der von der großen Mehrzahl der befragten Personen als Beschäftigungsalternative zur Fischerei für sich und ihre Kinder gesehen wird. In den qualitativen Interviews, die im Anschluß an die mehr quantitativ angelegten Bestandsaufnahme von ganz Nochikuppam durchgeführt wurde, wurde dieses Problem immer wieder angesprochen. Bevor in den folgenden Kapiteln die eng mit der Fischerei verbundenen Berufe eingehend untersucht werden, seien hier noch kurz ein paar Worte zu den wichtigsten anderen Berufsgruppen angemerkt, die in Nochikuppam anzutreffen sind.
12.2.3 Beschäftigung in Exportunternehmen
173 Personen, in der Mehrzahl junge Frauen, arbeiten für eine der vielen Unternehmen in Madras, die Exportprodukte herstellen. Zum größten Teil handelt es sich dabei um Firmen, die Schuhteile anfertigen, zum geringeren Teil um Bekleidungsexporteure.
Frauen, die für eine Schuhfabrik arbeiten, erhalten zu Beginn ihrer Berufstätigkeit eine etwa zweiwöchige Einweisung (training). Um für ein Bekleidungsunternehmen arbeiten zu können, wird zumeist eine mehrmonatige Schneiderinnenausbildung vorausgesetzt, die sie - ohne dafür entlohnt zu werden - in manchen Unternehmen erhalten können. Das Risiko, nach dieser „Ausbildung“ von dem Unternehmen nicht weiterbeschäftigt zu werden sowie der Umstand, daß die Arbeit nur im Unternehmen und nicht zu Hause gemacht werden kann, ist der Hauptgrund, weshalb die meisten Frauen es vorziehen, für eine der Schuhfabriken zu arbeiten.
Etwa zweimal wöchentlich gehen die Frauen zu der jeweiligen Firma, liefern die von ihnen angefertigten Schuhteile ab und nehmen Material für neue Schuhe mit. Ihre Bezahlung richtet sich nach der Anzahl der hergestellten Schuhoberteile und nach der Qualität der Arbeit. Für ein Paar fertiggestellte Schuhoberteile erhalten die Frauen 20 Rs. Je nach Arbeitseinsatz und Geschicklichkeit können sie auf diese Weise monatlich zwischen 300 und 500 Rs verdienen.
Tab. 38 : Arbeiterinnen für Exportunternehmen: Alter und Familienstand
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Der eigentliche Arbeitsprozeß kann - wie bereits erwähnt - zu Hause stattfinden. Dadurch können die Frauen die Arbeit für das Unternehmen sehr gut mit ihrer Hausarbeit verbinden. In den meisten Fällen ist es auch so, daß sie von weiblichen Haushaltsangehörigen bei der Schuhproduktion unterstützt werden. Bereits Mädchen, die kaum älter als 10 Jahre sind, wachsen so allmählich in dieses Gewerbe hinein. Männer, die von einer Schuhfabrik angestellt sind, sind in der Regel nicht mit der Schuhproduktion beschäftigt. Einige wenige arbeiten als „Qualitätskontrolleure“, die meisten als Lagerarbeiter.
12.2.4 Fast-Food-Vendor
Die meisten der etwa 260 Fast-Food-Vendors, die in Nochikuppam leben, sind in den letzten 30 Jahren von außerhalb zugewandert. Dennoch haben sie auch noch heute vielfältige Kontakte zu den Verwandten in ihren Heimatdörfern. Wenn es möglich ist, besuchen sie zu den wichtigsten Feiertagen (Diwali, Pongal, Tamil New Year) diese, die Heiraten werden in der Regel mit Partner aus der Heimatregion arrangiert, wenn es die finanziellen Verhältnisse erlauben, werden Geldüberweisungen zu Angehörigen, die im Heimatdorf verblieben sind, getätigt. Auf der anderen Seite werden viele von ihnen, vor allem wenn nahe Verwandte in den Heimatdörfern Landwirtschaft betreiben, mit von dort mit Reis und anderen (lagerbaren) Nahrungsmitteln versorgt. Gerade solche Haushalte kehren in den landwirtschaftlichen Spitzenzeiten geschlossen in ihr Heimatdorf zurück, um mitzuhelfen.1 Sie geben dann ihre Wohnung in Nochikuppam auf, um nach ihrer Rückkehr dorthin eine andere Wohnung zu beziehen. Wegen seiner zenralen Lage zum Marina Beach und den niedrigen Mieten haben sie Nochikuppam als Wohnort gewählt. Entscheidend ist auch, daß hier Angehörige ihrer Familien oder Kaste bereits vertreten sind, was ihnen den beruflichen Neubeginn in einer fremden Umgebung erleichtert. Ohne Ausnahme haben sie ihre Unterkunft von Angehörigen der Fischerkaste gemietet. Sie leben entweder in Wohnungen des Slum Clearance Board, wobei manche sich eine Wohnung mit Angehörigen der Fischerkaste teilen, oder sie haben sich gleich eine ganze Apartmentwohnung gemietet. Für ein einzelnes Zimmer bezahlen sie eine monatliche Miete von 100 bis 150 Rs, für eine ganze Wohnung zwischen 250 und 300 Rs. Der größere Teil lebt jedoch in Hütten, die ihnen von den Fischern vermietet werden. Je nach Größe der Hütte beträgt die Miete zwischen 50 und 120 Rs, wobei sich manchmal zwei oder gar drei Haushalte eine Hütte teilen, die mit Wänden aus Palmblättern unterteilt sind.
Die Produkte, die sie am oder in der Nähe des Marina Beach verkaufen, werden von den Frauen des Haushaltes selbst bzw. in frauenlosen Haushalten von den Männern hergestellt und dann gewöhnlich von den Männern verkauft. Einige Haushalte beschäftigen auch Kinder, die sie aus ihren Heimatdörfern mitgebracht haben.
Das tägliche Einkommen der Verkäufer von „snacks“ schwankt zwischen 10 und 30 Rs und zwischen 20 und 40 Rs bei den Tee- bzw. Kaffeeverkäufern. Während bei den „snack“-Verkäufern die besten Verkaufstage auf die Wochenenden bzw. Feiertage fallen - wenn besonders viele Tagestouristen den Marina Beach aufsuchen - machen die Verkäufer von Tee und Kaffee ihr bestes Geschäft unter der Woche, wenn die Büros der Behörden geöffnet haben. Das verfügbare Haushaltseinkommen ist bei diesen Gruppen durchweg von den Veränderungen der Preise für Kerosin, bzw. den Zutaten für die Zubereitung der von ihnen verkauften Nahrungsmittel abhängig1.
12.2.5 Regierungsangestellte
Insgesamt 189 Personen waren zum Zeitpunkt der Befragung fest bei einer staatlichen Behörde oder einem staatlichen Industriebetrieb angestellt. Zusätzlich gab es noch 22 Personen, die als Arbeiterinnen und Arbeiter bei staatlichen Einrichtungen beschäftigt waren, hauptsächlich bei der Stadtverwaltung von Madras (Corporation of Madras) als Straßenreinigungskräfte und im Hafen als Arbeiter. Im ersten Fall handelte es sich ausschließlich um Frauen, im zweiten ausschließlich um Männer. Insgesamt 29 Personen bezogen eine staatliche Pension. Damit hatten 240 Personen Einkommen aus staatlichen Quellen. Die wichtigsten Arbeitgeber sind in Tab. 39 aufgeführt. Bei weitem der wichtigste staatliche Arbeitgeber ist der Hafen, gefolgt von staatlichen Banken und den Sicherheitskräften.
Tab. 39: Beschäftigung im staatlichen Sektor
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Bei der Mehrzahl der Beschäftigungsverhältnisse handelt es sich um untere Verwaltungsbeamte (clerk). Lediglich 21 Personen übten eine etwas gehobenere Position aus, sechs bei der Polizei, vier bei All India Radio (Techniker) je zwei in einer Bank, im Hafen und bei einer staatlichen Busgesellschaft (Pallavan Transport Corporation; Schaffner) und fünf bei anderen staatlichen Einrichtungen. Auch wenn die Einkommens-unterschiede unter den Regierungsan-gestellten dadurch nicht unbedeutend sind, haben alle dieser Erwerbstätigen bestimmte Vorteile, die sie von den anderen Beschäftigten unterscheiden. Sie haben praktisch ein unkündbares Arbeitsverhältnis, sind kranken-, unfall- und rentenversichert, erhalten neben ihrem Grundgehalt, das mindestens 1300 Rs/Monat beträgt, noch bestimmte Zuschläge, von denen der Ausgleich für die Preissteigerung (Dearness Allowance) der wichtigste ist. Für die Arbeiterinnen bei der Regierung gelten z.T. ähnliche Bedingungen, sofern ein festes Arbeitsverhältnis besteht. Bis auf drei Gelegenheitsarbeiter im Hafen ist dies der Fall. Im Unterschied zu den Regierungsangestellten ist das Arbeitsverhältnis der ArbeiterInnen kündbar und z.T. zeitlich befristet. Vier der Frauen, die bei der Straßenreinigung beschäftigt sind, haben ihre Arbeit erhalten, nachdem ihr Ehemann, der bei der Regierung beschäftigt war, verstorben war. Diese Regelung der Hinterbliebenenversicherung ist in Indien sehr häufig anzutreffen. Wenn ein Regierungsangestellter noch vor Erreichung des Pensionsalters stirbt können seine Frau oder eines seiner Kinder häufig eine Anstellung bei der Regierung erhalten. In den vorliegenden Fällen handelt es sich um sehr einfache und niedrig bezahlte Tätigkeiten, was wohl nicht zuletzt damit zusammenhing, daß die Witwe aufgrund ihres geringen Bildungsniveaus für wenig andere Aufgaben geeignet schien.
Außerhalb des staatlichen Sektors gab es nur sehr wenige Beschäftigte, die im organisierten Sektor1 angestellt waren. Es gab zwar 162 Personen, die bei privaten Unternehmen beschäftigt waren, doch die Mehrzahl der Beschäftigten arbeiteten in Betrieben, die zu klein waren, um rechtlich dem organisierten Sektor anzugehören. Sie fielen deshalb auch nicht unter die Bestimmungen der verschiedenen Sozialversicherungsgesetze. Nur neun Personen, die bei privaten Unternehmen beschäftigt waren, unterlagen deshalb den Bestimmungen zur Sozialversicherung. Alle anderen, d.h. alle sonstigen im privaten Sektor abhängig Beschäftigte und alle Selbstständigen (Fischer, Fast-Food-Verkäufer etc.) waren sozial nicht oder auf einem erheblich niedrigeren Niveau abgesichert als die oben genannten Gruppen. Dies traf auch auf die 171 Personen zu, die für Exportunternehmen arbeiteten.
In der quantitativen Erfassung (möglichst) aller Bewohner von Nochikuppam konnten diese Strukturen lediglich im Überblick offengelegt werden. Hinzu kommt, daß bei der Gesamtbefragung lediglich eine Momentaufnahme vorgenommen wurde. Es ist deshalb auch nicht möglich, eine Aussage darüber zu machen, wie stabil diese festgestellte Struktur ist. Fluktuationen in den Beschäftigungsverhältnissen wurden z.B. erst später, im Zusammenhang mit der intensiven qualitätiven Befragung ausgewählter Haushalte, erfragt. In diesem Zusammenhang soll auch die Frage nach der Verflechtung von Produktionsformen und der Zusammenhang zwischen Subsistenz- und Marktproduktion näher untersucht werden.
Zunächst wird es aber wichtig sein, die wichtigste Beschäftigung der Menschen in Nochikuppam näher zu untersuchen: den Fischfang und die mit ihm eng verbundenen Aktivitäten.
13 Naturräumliche Bestimmungsfaktoren für die KleinFischer von Madras
Fischerei ist in hohem Maße von den vorhandenen naturräumlichen Bedingungen abhängig. Dazu gehören die klimatologischen und meeresbiologischen aber auch die meeresgeologischen und meereshydrologischen Verhältnisse. Die naturräumlichen Rahmenbedingungen und ihre Veränderungen haben großen Einfluß auf mehrere Aspekte des Fischfangs. Sie bestimmen die Arbeitsbedingungen und -sicherheit der Fischer. Sie entscheiden darüber, ob diese an einem bestimmten Tag überhaupt zum Fischen ausfahren können oder nicht. Sie beeinflussen die Fischfangmethoden und die Wahl der eingesetzten Werkzeuge, und sie sind wichtige Bestimmungsfaktoren des Fischreichtums einer Region, sowohl in räumlicher als auch in zeitlicher Hinsicht. So kann von fischereiwirtschaftlichen Gunst- und Ungunstregionen als auch von einer ausgeprägten Saisonalität in der Fischerei gesprochen werden.
Naturräumliche Bedingungen sowie wirtschaftliche und technologische Veränderungen stehen in einer engen Wechselbeziehung. Bevor z.B. an der Südostküste Indiens durch den Garnelenfang die Fischerei während des Nord-Ost-Monsuns zu einem einträglichen Geschäft wurden, galten die Monate Oktober bis Januar als die „Hungermonate“ der Kleinfischer. Heute erzielen sie genau in dieser Zeit den bei weitem größten Teil ihres Jahreseinkommens. Der moderne Sektor wiederum konnte sich durch die neuen Technologien von den naturräumlichen Bedingungen - ungünstige Winde, hohe Wellen, schwankende Fischpopulationen etc. - zu einem gewissen Maße unabhängig machen, hat aber gleichzeitig zu einer Veränderung einer Reihe dieser Faktoren beigetragen (z.B. Überfischung).
Windverhältnisse und Seegang
Das Klima des indischen Subkontinents wird durch den Monsun geprägt. Während des Sommers liegt über Innerasien ein Hitzetief, in das der kräftige SW-Monsun hineinweht und kräftige Niederschläge mit sich bringt, da die Luftmassen während ihres mehrere tausend Kilometer langen Weges über dem warmen Indischen Ozean große Wassermengen aufnehmen können. Von den Niederschlägen des SW-Monsuns, der von etwa Anfang Mai bis Ende September dauert, wird vor allem die Westküste Indiens beeinflußt, während die Ostküste in dieser Zeit bedeutend geringere Niederschläge erhält. Dies trifft in besonderem Maße für den südöstlichsten Bundesstaat Tamil Nadu zu, der dann im Regenschatten der West-Ghats liegt.
Während des Süd-West-Mosuns erreichen die Flüsse, die ins Arabische Meer münden, ihren Höchstand und führen besonders viele organische Schwebstoffe mit sich. Das führt während dieser Zeit zu einer erhöhten Fischpopulation in den küstennahen Gebieten. Damit fällt die Zeit hoher Fischpopulation mit ungünstigen Witterungsverhältnissen für die Kleinfischerei zusammen. Analog dazu verhält es sich mit dem Nord-Ost-Monsun, der von Mitte Oktober bis Ende Januar auftritt. Die Innertropische Konvergenzzone (ITC), die im Sommer weit nach Norden verschoben war, erstreckt sich nun etwa entlang des fünften südlichen Breitengrades. Aus einem über dem asiatischen Festland liegenden Hochdruckgebiet (Kältehoch) strömt nun die Luft hin zur ITC. Der NO-Monsun erreicht jedoch bei weitem nicht die Intensität des SW-Monsuns, die Windgeschwindigkeiten und auch die mit ihm einhergehenden Niederschläge sind bedeutend geringer. Außer an der Luvküste von Sri Lanka und an der Coromandelküste bringt er kaum Niederschläge mit sich.
Abb. 8: Jahresgang der Beständigkeit des Windes an der Coromandelküste
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Doch auch dort ist die Regenzeit von sehr großer Bedeutung für den Fischfang, da auch hier aus oben beschriebenen Gründen die küstennahe Fischpopulation besonders hoch ist. Wie auch an der Westküste ist auch an der Ostküste die Kleinfischerei während dieser Zeit durch die widrigen Witterungsverhältnisse nur eingeschränkt möglich.
Entsprechend den Jahreszeiten herrschen an der Coramandelküste zwei Hauptwindrichtungen vor: eine süd-westliche während der Monate des Sommer-Monsuns und eine nord-östliche während des Winter-Monsuns. Die Windbeständigkeit ist dabei während des SW-Monsuns etwas höher als während des NO-Monsuns. In den Monaten Juni - September erreicht sie Werte von über 80 Prozent.1 In dieser Zeit überwiegen an der Coromandelküste westliche bis südwestliche Winde, d.h. die Winde wehen in dieser Zeit meistens vom Land her. Von Dezember bis Mitte Februar gibt es eine zweite Periode hoher Windbeständigkeit. In dieser Zeit herrschen jedoch nord-östliche Winde vor (DHI 1990:29-36).
Die durch die Monsune vorgegebene Windrichtungen werden durch die lokalen Land-Seewind-Systeme überlagert, wie am Wechsel der Windrichtungen im Tagesgang deutlich wird. Für die Kleinfischerei sind die vorherrschenden Windrichtungen von ausschlaggebender Bedeutung. Dies gilt vor allem dann, wenn die Fischerboote über keinen Motorantrieb verfügen und die Fanggebiete durch Segelkraft erreichen müssen. Sie nutzen die zur Ausfahrt günstigen Winde in der Nacht und kehren nach Tagesbeginn von der Fangfahrt zurück, wenn die schnellere Erwärmung der Landoberfläche zu einer Windumkehrung geführt hat.
Abb. 9: Anzahl der Wirbelstürme, die an Madras vorüberzogen (1877 - 1980)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
An Tagen mit geringen Windstärken oder gar Windstillen kann es vorkommen, daß die Fischer keine Fangfahrten unternehmen können, da sie die Fanggebiete nicht erreichen. Vor allem in den Monaten von Februar bis April und September/Oktober, d.h. in den Übergangsmonaten zwischen Sommer- und Wintermonsun, kommt dies häufig vor. Ähnliches gilt aber auch für Tage mit zu starken Winden. Fangfahrten auf den Kattumaramen sind dann zu gefährlich. Am häufigsten treten Winde mit einer Stärke von über sechs Beaufort zwischen Mai und August und zwischen November und Januar auf. Sturmstärken (über 8 Beaufort) werden im Seegebiet vor Madras jedoch sehr selten erreicht, sieht man einmal von den tropischen Wirbelstürmen ab. Tropische Wirbelstürme, im Golf von Bengalen Zyklone genannt, treten vor allem im Mai und den Monaten Oktober bis Dezember auf. Wenn ein Sturm innerhalb von 210 km Entfernung von einem Hafen auf die Küste trifft, kommen die Aktivitäten dort i.d.R. zum Erliegen. Kreuzt er innerhalb von 50 km die Küstenlinie, wird der Hafen schwer getroffen: mit Beschädigungen der Anlagen ist dann zu rechnen (DHI 1990: 52). Gravierende Auswirkungen auf die Kleinfischerei sind jedoch bereits früher zu erwarten.
Nach den Aufzeichnungen zwischen 1877 und 1980 besteht für Madras eine statistische Wahrscheinlichkeit von 34,5 Prozent, daß innerhalb eines Jahres ein Zyklon die Küste näher als 210 km kreuzt. Zwei oder gar drei solcher Wirbelstürme innerhalb eines Jahres sind mit 11,8 bzw. 2,9 Prozent Wahrscheinlichkeit sehr selten.1 Während eines Wirbelsturmes ist der Fischfang in der Kleinfischerei - aber auch in der mechanisierten Fischerei - für etwa eine Woche nicht möglich. Relativ selten kommt es allerdings vor, daß Fischer während ihrer Arbeit von solchen Stürmen überrascht und dadurch gefährdet werden. Aufgrund von Wetterbeobachtungen können sie einen herannahenden Wirbelsturm schon mehrere Tage im voraus erkennen. Hinzu kommt, daß moderne Wettervorhersagen auch von den Kleinfischern genutzt werden und sie bei Zyklonenwarnungen ihre Fangfahrten einstellen und ihre Boote und Netze vom Strand weg in Sicherheit bringen. Dennoch bedeutet ein tropischer Wirbelsturm eine nicht geringe Gefahr für die Küstenbevölkerung. Vielfach sind ihre Hütten den starken Winden nicht gewachsen und werden deshalb zerstört. Tieferliegende Wohnorte werden von Wirbelstürmen oftmals überflutet
In engem Zusammenhang mit den vorherrschenden Windstärken und der Windrichtung steht der Seegang. Wie zu erwarten, treten die höchsten Wellen in den Monaten mit hohen Windstärken auf. Der Fischfang mit Kattumaramen ist in diesen Monaten stark beeinträchtigt, weil die Fischer mit ihren Booten nicht die starke Brandung überwinden können.
Bei den bislang meist fehlgeschlagenen Versuchen, neue Bootstypen in Tamil Nadu einzuführen, hat sich die starke Brandung immer wieder als Hauptproblem bemerkbar gemacht. Es lassen sich kaum Boote konstruieren, die an die lokalen Verhältnisse besser angepaßt sind als die Kattumarame, und zwar jene aus Holz. Ehrgeizige Versuche, Kattumrame z.B. aus PVC-Röhren herzustellen, sind - neben dem Nachteil der glatten Oberfläche des PVC - vor allem daran gescheitert, daß die Kattumrame viel zu leicht waren und von den Brandungswellen zum Spielzeug umfunktioniert wurden.
Meeresgeologische Verhältnisse und Fischreichtum
Im Gegensatz zur Westküste ist an der Ostküste der Kontinentalschelf erheblich schmaler. Ebenfalls geringer als an der Westküste ist hier die Fischdichte. Sie beträgt an der unteren Ostküste für die Zone bis zu 10 Seemeilen vor der Küste 2 Tonnen/km2. Die entsprechenden Werte für die Westküste sind 4,2 Tonnen/km2 und für die obere Ostküste 6,5 Tonnen/km2 (FSI 1988: 27ff). Beträchtlich sind auch die saisonalen Veränderungen der Fischdichte. Von September bis Dezember erreicht die untere Ostküste mit Werten zwischen 7,5 und 28 Tonnen/km2 ihren jährlichen Höchststand (FSI 1988: 31). Allerdings wirkt sich in diesen Monaten negativ auf den Fischfang aus, daß an vielen Tagen wegen den widrigen Witterungsverhältnissen nicht zum Fang ausgefahren werden kann. In den Monaten Oktober bis Dezember wird deshalb in Tamil Nadu am wenigsten Fisch gefangen. Während die Fischdichte im küstennahen Gewässer in der Zeit des Nord-Ost-Monsuns am größten ist, nimmt sie ab Januar bis zum Einsetzen des Süd-West-Monsuns stark ab. In dieser sehr trockenen Jahreszeit führen die Flüsse kaum Wasser und damit auch kaum Nährstoffe für Meeresfische mit sich. Durch die bis Mitte Mai beständig ansteigenden Temperaturen steigt auch die Wassertemperatur in flachen Schelfbereichen an, so daß die Sauerstoffkonzentration im Meerwasser zurückgeht. Entsprechend dem Wechsel der Windrichtungen wechseln auch die Meeresströmungen. Für die Kleinfischerei, solange sie ohne Motorkraft betrieben wird, erfordert dies erhebliche jahreszeitliche Umstellungen, da sich die Fischer auf die sich verändernden Windrichtungen und Meeresströmungen einstellen müssen und in manchen Jahreszeiten bestimmte Fanggebiete gar nicht aufsuchen können. In der Übergangszeit zwischen den Monsunen herrscht häufig ein geringer Seegang. Von den befragten Fischern wird dies als weiterer Grund für den Rückgang der Fischdichte in diesen Monaten genannt. Im klaren, ruhigen Wasser fühlen sich viele Fische vor ihren Feinden nicht sicher und wandern deshalb in tiefere Meeresgebiete ab.
Wie in allen tropischen Meeren ist der Fischartenreichtum auch im Golf von Bengalen sehr groß, wohingegen die Population der einzelnen Arten im Gegensatz zu Küsten gemäßigter Breiten geringer ist. Die sieben wichtigsten in Tamil Nadu gefangenen Fischarten machten 1991 etwa die Hälfte der Fänge ein, wobei verschiedene Sardinenarten1 und Silver Bellies2 mit jeweils elf Prozent und verschiedene Barsche und Barschartige3 mit acht Prozent die wichtigsten Fischarten waren.
Mit sechs Prozent nahmen Garnelen4 und Hummer die vierte Stelle ein. Von wichtiger ökonomischer Bedeutung waren zusätzlich noch Sardellen (4 %),5 Makrelen (5 %)6, Haie und Rochen (5 %). Besonders für die Kleinfischerei bedeutsam sind außerdem Fischarten, die relativ geringe Anteile am Gesamtfischfang haben. In diesem Zusammenhang zu nennen sind verschiedene Arten der Fliegenden Fische7 und Seerfische (Spanische Makrelen).8 Ökonomisch von großer Bedeutung für die Kleinfischer ist auch der aalartige Ribbon-fish, 9 der vielerorts getrocknet als eine Delikatesse gilt.
Madras ist von den naturräumlichen Bedingungen her ein sehr gutes Fischereigebiet. Innerhalb des Stadtgebietes münden zwei Flüsse ins Meer. Die Stadt liegt auch am südlichen Ende eines Gebietes, das sich im Norden bis zur Krishna-Mündung in Andhra Pradesh erstreckt, in dem sehr hohe küstennahe Garnelenvorkommen auftreten. Für die Kleinfischerei von Tamil Nadu ist dies besonders wichtig, denn die im Hafen von Madras beheimateten Trawler suchen deshalb in aller Regel Fanggründe vor der Küste Andhra Pradeshs auf und verschonen die Kleinfischer der südlichen Coromandelküste. Im Meeresgebiet vor Madras konzentriert sich das Fischvorkommen hauptsächlich auf die Gebiete mit lehmigen und felsigen Meeresböden, während in den sandigen und kaum mit Vegetation bewachsenen Gebieten nur spärlich Fische vorkommen.
14 Die Entwicklung der Kleinfischerei von Madras
14.1 Fischereifahrzeuge und Fischereigerät
Im Zusammenhang mit der Beschreibung der indischen Fischereientwicklung wurden Konflikte angesprochen, die die Kleinfischerei mit anderen fischereiwirtschaftlichen Subsektoren (Trawlerfischerei, Tiefseefischerei, Aquakulturen) hat. Im folgenden Kapitel sollen hingegen die Veränderungen beschrieben werden, die in den letzten Jahrzehnten in der Kleinfischerei selbst stattgefunden haben.
Nach der Unabhängigkeit wurde die Fischereientwicklung zunächst besonders als Maßnahme für die Verbesserung der Ernährungslage ärmerer Bevölkerungsgruppen angesehen. Dies war so lange der Fall, bis mit der steigenden Nachfrage nach Garnelen auf den internationalen Märkten - und damit einhergehend dem starken Anstieg der Weltmarktpreise für diese Fischereiprodukte - eine Umorientierung der Zielsetzung hin zur Devisenbeschaffung erfolgte. Unabhängig davon, welches die Ziele der Fischereientwicklung zu verschiedenen Zeiten waren, die Methoden zur Erreichung der Ziele blieben stets nahezu unverändert. Sie bestanden erstens darin, eine technologische Modernisierung des Fischfangs voranzutreiben und zweitens in Maßnahmen zur Verbesserung der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse der Fischerbevölkerung. Der Aspekt der technologischen Modernisierung stand dabei immer im Vordergrund. Schon in kolonialer Zeit war der Verbesserung der Boote und Netze der Fischer höchste Priorität eingeräumt worden.1 Nach Erlangung der Unabhängigkeit wurde diese Schwerpunktsetzung von den Fischereibehörden der Indischen Union bzw. Tamil Nadus - vielfach in bilateraler Zusammenarbeit aber auch multilateral in Zusammenarbeit mit der FAO und einigen ihrer Unterorganisationen - konsequent weitergeführt.2 Auch bei Entwicklungsvorhaben nichtstaatlicher Organisationen nahm und nimmt die Technologieförderung im Kleinfischereibereich einen hohen Stellenwert ein (vgl. Gillet 1985). Beim Fischereigerät wurden gleichzeitig neue Netzarten eingeführt, die leichter und haltbarer sind und mit denen ein Mehrfaches dessen gefangen werden kann als mit den traditionellen Baumwollnetzen.
Daneben wurde von verschiedenen Stellen immer wieder der Versuch unternommen, die wirtschaftliche und soziale Situation der Fischerbevölkerung auch durch nicht-technologische Maßnahmen zu verbessern. Auf staatlicher Seite wurde dieses Ziel vor allem durch die Errichtung von Fischereigenossenschaften zu erreichen versucht. Gleichzeitig berücksichtigte man die Angehörigen der Fischerkaste in einer ganzen Reihe von Programmen, die von der indischen Regierung bzw. den Regierungen der Bundesstaaten für Armutsgruppen eingerichtet wurden.
Wer heute Fischerdörfer in Tamil Nadu besucht, wird freilich feststellen müssen, daß der technologische, aber auch der soziale Wandel sehr selektiv vonstaaten gegangen ist. Die traditionellen Fischerboote prägen noch immer das Bild, zumeist sind sie unmotorisiert. In manchen Fischerdörfern können die Entwicklungsruinen der "westlich inspirierten" Bootsbauer besichtigt werden, zumindest wenn sie aus langlebigen Materialien wie z.B. PVC hergestellt und inzwischen nicht vermodert oder einer anderen Nutzung zugeführt wurden.
Beim den Netzen hingegen sieht es gerade umgekehrt aus. Von den Kleinfischern werden heute fast ausschließlich Netze aus Kunstfasern benutzt. Baumwollnetze sind - mit Ausnahme einiger Strandwaden und Schleppnetzen - beinahe vollkommen verschwunden. Hier hat tatsächlich ein technologischer Wandel stattgefunden, der weitaus mehr bedeutet, als eine einfache Substitution des Netzmaterials. Mit diesem technologischen Wandel hat sich die Kleinfischerei in Tamil Nadu grundlegend geändert. Das betrifft vor allem die Arbeitsorganisation der Fischer und auch die Machtstrukturen in den Fischerdörfern.
Die Tatsache, daß die Fischer in Tamil Nadu mehrheitlich nicht bereit waren, die Technologievorschläge der Fischereiexperten hinsichtlich neuer Bootstypen zu übernehmen, sagt über ihre Innovationsfreudigkeit ebenso wenig aus wie die Tatsache, daß sich hinsichtlich der Netze die Innovationen fast vollständig haben durchsetzen können. Die Fischer sind weder per se innovationsfeindlich noch Veränderungen gegenüber grundsätzlich positiv eingestellt, sondern sie entscheiden von Fall zu Fall, wie sinnvoll sich eine Neuerung vor dem Hintergrund ihrer Realität einsetzen läßt. Sie sind dabei - wie am Beispiel der Netzarten ersichtlich wird - durchaus bereit, grundlegende Veränderungen, die weit über den technologischen Aspekt hinausgehen, in einer relativ kurzen Zeitspanne zu übernehmen.
Besonders wichtig ist deshalb die Frage, weshalb bestimmte traditionelle Fischfangmethoden von den meisten Fischern aufgegeben wurden, während sich andere Innovationen nicht haben durchsetzen können. Gesellschaftliche Veränderungen - auch hinsichtlich der materiellen Kultur - können deshalb nur dann sinnvoll bewertet werden, wenn der Analyse des gegenwärtigen Zustandes eine Rekonstruktion der Vergangenheit vorausgeht.
14.1.1 Die „traditionelle“ Kleinfischerei an der Coromandelküste vor Einführung von Kunstfasernetzen
Nur wenige Quellen beschäftigen sich mit dem Zustand der Kleinfischerei in Tamil Nadu vor der Unabhängigkeit Indiens. Aus diesen wenigen Berichten und den Beschreibungen älterer Fischer wird jedoch deutlich, daß sich in diesem Wirtschafts- und Lebensbereich in den vergangenen 40 Jahren ein bedeutender Wandel vollzogen hat; ein Wandel, der sowohl die materielle Kultur als auch die Arbeitsorganisation der Fischer betrifft und der zu weitreichenden Veränderungen der Fischergesellschaft insgesamt geführt hat. Nur für den oberflächlichen Betrachter scheint es so zu sein, als ob die „traditionellen“ Fischer seit Generationen ihrer Beschäftigung auf immer dieselbe Art und Weise nachgingen und dabei auch seit altersher dieselben Hilfsmittel einsetzen.
Eine Aufarbeitung der Wandlungsprozesse in der Kleinfischerei von Madras zerstört diesen Mythos vom „traditionellen“ und vor allem „konservativen“ und „modernisierungsfeindlichen“ Fischer ein für alle Mal und zeigt sehr deutlich auf, daß eher das Gegenteil der Fall ist: nämlich immer dann, wenn Innovationen sich sinnvoll in den Arbeitsablauf einbauen ließen, wurden sie in erstaunlich kurzer Zeit fast vollkommen übernommen und haben die „Tradition“ so nachhaltig ausgelöscht, daß sie heute nur noch rudimentär erkennbar ist. Als einzige kolonialzeitliche Quelle liegt mit Hornells The Fishing Methods of the Madras Presidency (1924) eine ausführliche Beschreibung der materiellen Kultur der Kleinfischer im Bereich der Coromandelküste vor. Einige seiner Anmerkungen betreffen auch die Arbeitsorganisation der Fischer. Anugraham (1940) geht in seiner Studie über die Fischer von Madras ebenfalls kurz auf diese Aspekte ein, konzentriert sich jedoch vor allem auf Fragen des Genossenschaftswesens und der Vermarktung.
Alle weiteren Arbeiten über Fischerdörfer in Tamil Nadu sind erschienen, als die einschneidensten Veränderungen hinsichtlich der Technologie und Arbeitsorganisation in der Fischerei bereits vollzogen waren. Sehr aufschlußreich ist die Arbeit von Norr aus dem Jahr 1972, die entstand, als der Wandel in Technologie und Arbeitsorganisation in der Kleinfischerei um Madras bereits weit vorangeschritten war. Leider war sich die Autorin dessen nicht bewußt und beschreibt deshalb die vorgefundenen Produktionsmethoden und Arbeitsorganisation als schon seit Generationen bestehend.1 Abgesehen von dieser Fehlinterpretation ist die Arbeit Norrs von unschätzbarem Wert, weil sie sowohl Elemente der „alten traditionellen“ wie auch der „neuen traditionellen“ Kleinfischerei ausführlich analysiert.
Etwa zeitgleich mit Norrs Arbeit entstand auch die Untersuchung von Blake über den technologischen Wandel in der marinen Kleinfischerei um Madras. Diese Untersuchung konzentriert sich sehr stark auf die Arbeit des Madras Fisheries Department und läßt deshalb die Fischer selber wenig zu Wort kommen. Sie ist jedoch ein ausgezeichnetes Dokument über die Perspektiven und die Arbeitsweisen indischer Fischereibehörden.
14.1.1.1 Die Fischereifahrzeuge
Der Kattumaram
Die im Bereich der Coromandelküste von den Kleinfischern eingesetzen Fischereifahrzeuge sind im wesentlichen Kattumarame2 und Plankenboote, letztere von den Fischern als Periya Valai bezeichnet. Die Bezeichnung Kattumaram leitet sich aus den beiden tamilischen Worten Kattu = zusammengebunden und Maram = Hölzer ab. Die Fischer selbst bezeichnen ihr Boot oft nur als Maram. So einfach dieses Fischereifahrzeug auch aussehen mag, es scheint dennoch das einzige Boot zu sein, das sich bei den vorherrschenden naturräumlichen Bedingungen einsetzen läßt und dennoch innerhalb der finanziellen Möglichkeiten der Fischer liegt. Es ist schwer genug, um von den Brandungswellen nicht zurück an den Strand geworfen zu werden, es ist durch seine Konstruktion flexibel genug, um auch starke Brandungswellen unbeschadet überstehen zu können, sein Tiefgang ist gering genug, um an der flachen Küste nicht auf Grund zu laufen, und es ist unsinkbar. Sein Nachteil besteht vor allem darin, daß es der Besatzung mit ihrer Ausrüstung nur wenig Raum und Schutz bietet und daß sein Aktionsradius auf etwa 20 Seemeilen beschränkt ist. In jüngster Zeit gibt es auch zunehmend Schwierigkeiten, die zum Bau der Kattumarame notwendigen Hölzer zu beschaffen. Es werden leichte Hölzer mit geringer Wasserabsorption verwendet,3 die vor allem in den Bergen des südlichen Tamil Nadu, Keralas und auf Sri Lanka verbreitet sind.
Die Fischerei selbst scheint durch die relativ geringe Größe der Kattumarame jedoch kaum beeinträchtigt sein, denn das Boot ist auf jeden Fall groß genug, um einen Fang von mehreren hundert Kilogramm Gewicht aufnehmen zu können. Der geringe Aktionsradius wird von den Fischern selbst auch nicht als hinderlich empfunden, konzentrieren sich die Fischvorkommen doch auf küstennahe Gebiete, die von den Kattumaramen leicht erreicht werden können. Je nach Windverhältnissen wäre es allerdings oftmals hilfreich, wenn die Boote mit Außenbordmotoren ausgerüstet würden. Dies scheiterte in der Vergangenheit jedoch zumeist an den hohen Anschaffungskosten solcher Motoren. Ein weiterer Grund ist, daß sie sich nur unzureichend gegen eine Versandung schützen lassen und daher hohe Ausgaben für Wartungs- und Reparaturdienstleistungen anfallen. Erfahrungen im Norden von Madras haben jedoch gezeigt, daß sich zumindest die Infrastruktur für diese Dienstleistungen sehr schnell ansiedelt, sind die Kattumarame erst einmal mit Außenbordmotoren ausgestattet.
Blake bezeichnet den Kattumaram an der Coromandelküste als "by far the most adaptable and dependable craft available for the kinds of fishing done" (Blake 1970: 42).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 10: Konstruktionsschema eines Kattumarams
Hinzu kommt, daß die weitgehend ungeschützten Landeplätze einen Bootstyp erfordern, der leicht aus dem Wasser genommen werden kann. Dies ist vor allem in jenen Jahreszeiten wichtig, in denen mit tropischen Wirbelstürmen zu rechnen ist. Die Fischer müssen dann ihre Ausrüstung vom Strand zu gesicherten Plätzen schaffen. Von den Kattumaramen gibt es zwei unterschiedliche Typen, den Bootskattumaram und den Floßkattumaram. Beim Bootskattumaram1 werden die beiden äußeren Balken deutlich höher gesetzt als die mittleren und bilden dadurch eine Art Bordwand. Der Floßkattumaram2 hingegen erhält lediglich durch die leicht versetzte Anordnung der verschiedenen Stämmen eine leichte Rundung. Die verschiedenen Varianten des Floßkattumarams unterscheiden lediglich hinsichtlich ihrer Länge und der Anzahl der verwendeten Baumstämme. Sie sind zwischen fünf und neun Meter lang und bestehen aus drei bis maximal neun behauenen Stämmen, die durch eine kunstvolle Seilführung miteinander verbunden werden. Der schnabelförmige Bug, der sich aus drei bis fünf Teilen zusammensetzt, nimmt die Funktion eines Vorstevens ein.
Bei der Ausfahrt zum Fang werden diese Boote zunächst mit langen Stangen über die Brandung gestakt; ist diese schwierigste Hürde überwunden, kann das Segel gesetzt werden, das von den Fischern i.d.R. aus ausgedienten Plastiksäcken selbst hergestellt wird. Nach jeder Fangfahrt werden die Kattumarame aus dem Wasser gehoben und in ihre Bestandteile zerlegt, damit sie gut austrocknen können. Da sie ständig dem aggressiven Seewasser ausgesetzt sind, ist ihre Lebensdauer relativ gering. Die Fischer selbst geben sie mit etwa acht Jahren an, wobei allerdings zu berücksichtigen ist, daß die Stämme in dieser Zeit mehrmals behauen werden müssen und dadurch an Dicke und Länge einbüßen. In Madras werden die Kattumarame von ihren Besitzer häufig verkauft, bevor sie ein Alter erreicht haben, in dem sie nicht mehr voll seetüchtig sind. Sie können dann noch ein paar Jahre im Fischereihafen zum Entladen der Trawlerboote eingesetzt werden.
Der Bau eines Kattumarams nimmt etwa eine Woche in Anspruch. Gewöhnlich stellt ein Fischer sein Boot nicht selbst her, da er weder das notwendige Werkzeug noch die Erfahrung dafür besitzt. Zumeist beauftragt er einem anderen Fischer, der sich auf die Konstruktion von Kattumaramen spezialisiert hat. In einigen Fischerdörfern südlich von Madras werden die meisten Boote für die gesamte Region hergestellt. LKWs bringen die Stämme aus dem südlichen Tamil Nadu oder aus Kerala herbei. Ein großer Kattumaram, der etwa neun Meter lang ist, kostet ca. 10.000 Rs. Die Preise sind in den letzten Jahren stark angestiegen, da die zum Bau notwendigen Hölzer und die Transportkosten immer teurer werden.
Plankenboote (Periya Valai)
Zusätzlich zu den Kattumaramen werden an der Küste von Madras auch Plankenboote zum Fischfang eingesetzt. Von den Fischern werden diese Boote als Periya Valai bezeichnet. Das tamilische Wort Valai bedeutet Netz; der vorausgestellte Ausdrück Periya bedeutet groß. Der Begriff Periya Valai (=großes Netz) bezeichnet somit eigentlich das Netz, das auschließlich von diesen Booten aus eingesetzt wird. Im Sprachgebrauch der Fischer wird mit diesem Ausdruck aber auch das Boot als solches bezeichnet. In der Literatur findet sich auch zuweilen die Bezeichnung Padagu oder Masula1 -Boot.
14.1.1.2 Die Netztechnologie
Taschennetze
Noch vor 30 Jahren war die wichtigste Netzgattung, die an der Coromandelküste eingesetzt wurde, das Taschennetz (Bagnet). Unter diesem Begriff werden all jene Netze zusammengefaßt, bei denen die Fische in einer Netztasche gefangen werden. Zumeist handelt es sich dabei um eine aktive Fischereitechnik. Taschennetze werden entweder von Booten aus eingesetzt oder aber vom Strand aus (Strandwade; Shore Seine; Periya Valai). Bei den vom Boot aus eingesetzten Netzen kann zwischen Schleppnetzen (Boat Seine) und Hebenetzen (Lift Nets) unterschieden werden. Im ersten Fall wird das Netz hinter Booten hergezogen, im zweiten Fall wird es unter einen Fischschwarm gebracht und anschließend eingeholt, wobei sich das Netz gleichzeitig schließt.
Das wichtigste Netz, das von den Fischern zur Zeit Hornells eingesetzt wurde, war das Mada Valai, im südlichen Tamil Nadu auch Eda oder Yeda Valai genannt (Hornell 1924: 61). Bei diesem Netz handelte es sich um ein äußerst flaches Taschennetz mit einem weiten, beinahe quatratischen Netzmund von bis zu 19 m Seitenlänge. (Hornell 1924: 63). Die Maschenweite betrug zwischen 0,65 und 6,5 cm, wobei sie zur Mitte des Netzes hin geringer wurde, während sie an den Netzrändern am größten war. An den vier Netzecken wurden Kokosfaserseile befestigt, mit denen das Netz auf die Kattumarame gehoben werden konnte.
Das Mada Valai wurde auf zwei Arten eingesetzt. Einmal in Verbind-ung mit sogenannten Kambis 2 oder aber ohne diese. Hornell (1924) be-schreibt den Fang mit dem Mada Valai in Verbindung mit Kambis wie folgt:
"At the beginning of the fishing season the owners of each mada valai moor out at sea a number of fish lures (kambi) for the purpose of attracting fishes to their shade. Each kambi consists of a long coir rope beflagged with coconut leaves. [...] Each mada valai is worked in conjunction with 8 or 10 or even more of these kambis. Three to five can be fished in one day, and several days' rest have to be given to these before enough fishes gather around them again.[...] Hence either the fishermen must have a considerable number of kambis to allow of rotational fishing and sufficient rest intervals, or the work must be discontinued periodically and other forms of fishing prosecuted (Hornell 1924: 63f).
Vier Kattumarame waren für den Fischfang mit einem Mada Valai notwendig. Zwei große, aus vier Stämmen bestehend und jeweils mit vier Fischern besetzt, und zwei kleinere Boote (3 Stämme), die gewöhnlich mit zwei oder höchstens drei Fischern besetzt waren. Sobald die Boote ein Kambi erreicht hatten, wurde durch geschicktes Manövieren der Boote das Netz direkt unter den Fischschwarm gebracht, der sich um das Kambi angesammelt hatte. Danach wurde das Netz gleichmäßig eingeholt, wobei es durch eine Zugleine gleichzeitig geschlossen wurde. Nachdem das Netz auf einen der beiden großen Kattumarame gehoben und dort geleert worden war, konnte die Arbeit an einem anderen Kambi fortgesetzt werden.
Abb. 11: Mada Valai (Hebenetz) beim Fang an einem Kambi
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Das Mada Valai wurde – unabhängig von Kambis - auch zum Fang von großen Fischschulen ein-gesetzt. Sobald solche Fischschulen gesichtet waren, wurde das Netz so ausgebracht, wie es schon beim Fang am Kambi beschrieben wurde (Hornell 1924).
Weitere Netze, die ähnlich wie das Mada Valai aufgebaut waren (Kavalai Valai; Nathuthara Valai, Mapu Valai), spielten in der Fischerei eine deutlich geringere Rolle. Neben dem Mada Valai war das Thuri Valai das zweitwichtigste Netz an der Coromandelküste. Bei diesem Netz handelte es sich um ein Schleppnetz, das von zwei Booten hinter sich hergezogen wurde. Am Netzmund des Netzes waren zwei Seile befestigt, von denen je eines mit einem der beiden Boote verbunden war.
Abb. 12: Ein Thuri Valai (Schleppnetz) im Einsatz
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die Boote schwammen parallel zueinander entgegen der Strömungsrichtung des Wassers und hielten so den Netzmund geöffnet. Auch bei diesem Netz nahm die Maschenweite zum Zentrum des Netzes hin ab; sie betrug am äußeren Rand etwa 4,5 cm und am Ende, bei der Netztasche, etwa 1,3 cm. Das Netz hatte eine Länge zwischen 11 und 13 m. Ähnlich konstruiert war das Eru oder Yeru Valai. Auch hier handelte es sich um ein Taschennetz, das von zwei Kattumaramen aus betrieben wurde. Es war etwa 11 m lang. Anders als das Thuri Valai wurde es allerdings stationär betrieben, d.h. es wurde nicht hinter den beiden Booten hergeschleppt, sondern diese waren lediglich dazu da, die Netzöffnung offenzuhalten, solange das Netz mit seiner Öffnung der Meeresströmung entgegen auslag.
Ein weiteres Taschennetz war das Kola Valai. Auch hier waren zwei Kattumarame notwendig. Im Gegensatz zu den bisher beschriebenen Netzen war dieses weitaus komplizierter gebaut. Das eigentliche Netz war etwa 4 m lang; es hatte eine kreisrunde Öffnung mit einem Durchmesser von etwa 1 m. An die Netzöffnung angefügt waren zwei, jeweils etwa 10 m lange "Arme", die mit Hilfe von Holzstangen auseinandergehalten wurden. Damit sollte verhindert werden, daß die Armkonstruktion in sich zusammenfiel, wenn das Netz durchs Wasser gezogen wurde. Die Maschen dieses Netzes waren sehr eng geknüpft (durchgehend etwa 0,7 cm weit), und das Netz wurde hauptsächlich zum Fang von Fliegenden Fischen (kola) und einigen Makrelenarten eingesetzt.
Von den traditionellen Netzen auch heute noch in jedem Fischerdorf anzutreffen ist lediglich das Periya Valai, ein Strandwadennetz. Es handelt sich hierbei um ein Netz, das mit einem Plankenboot ausgebracht und vom Strand aus über zwei lange Seile eingebracht wird. Das Netz selbst besteht aus mehreren Teilen, die voneinander gelöst werden können. Die Netztasche ist 8,5 m lang, an ihrer hinteren Seite etwa 3 m weit; sie verjüngt sich in Richtung der Netzöffnung, wo die Weite nur noch 1,8 m beträgt. An der Netzöffnung beträgt die Maschenweite etwa 4,5 cm, am Netzende gerade noch 0,85 cm. An der Öffnung der Netztasche befinden sich zwei Netzflügel, die etwa 15 m lang sind und eine Maschenweite von 10 cm haben. Daran schließen sich zwei weitere Flügel an, die etwa 300 m lang sind und eine Maschenweite von etwa 50 cm aufweisen. An den äußeren Netzflügeln sind etwa 1000 m lange Kokosfaserseile angebracht, mit denen das Netz vom Strand aus durch das Wasser gezogen wird. Mit hölzernen Schwimmern und Gewichten aus Stein wird das Netz offengehalten. Zusätzlich werden zu diesem Zweck auch Holzstangen eingesetzt. Das Netz wird bei günstiger Witterung1 von einem Plankenboot etwa einen bis anderthalb Kilometer von der Küste entfernt ausgebracht. Nachdem das Boot mit den Enden der Zugseile an den Strand zurückgekehrt ist, wird das Netz von bis zu 30 Fischern gleichmäßig eingeholt. Die beiden Zugseile werden dabei etwa 200-300 m weit auseinandergehalten, so daß die Netzflügel einen großen Einzugsbereich abdecken. Je näher das Netz an den Strand kommt, desto enger rücken die beiden Zugseilenden zusammen. Sobald die Netztasche nur noch etwa 30-50 m vom Strand entfernt ist, springen einige Fischer und auch Kinder des Dorfes ins Wasser, wobei sie kräftig schreien und wilde Bewegungen vollführen. Dadurch sollen die Fische davon abgehalten werden, in letzter Sekunde noch aus dem Netz zu entkommen. Ist das Netz nur noch etwa 10 m vom Strand entfernt, werden die Netzflügel von der Netztasche abgetrennt. Die Öffnung der Netztasche wird dann von etwa 20 Fischern über dem Wasserspiegel gehalten und an den Strand getragen. Anschließend wird der Fang sogleich in Körbe umgeladen und an Ort und Stelle versteigert.
Der Fang von fliegenden Fischen mit Tauchnetzen
Von April bis Ende August ist an der Coramandel Küste die Fangsaison für Fliegende Fische.2 Dann kommen große Fischschwärme vom offenen Meer in küstennahe Gewässer, um dort abzulaichen. Der Fang von dieser Fische bringt die Fischer mit ihren Booten am weitesten von der Küste weg. Bis zu 20 Seemeilen fahren sie bei ihrer Suche nach den Fischschwärmen aufs Meer hinaus. Dabei wird ein besonders großer Kattumaram eingesetzt, der aus sieben großen Stämmen besteht und eine Länge von bis zu elf Metern und eine Breite von bis zu 2,5 m erreicht. Die Besatzung eines Bootes besteht aus bis zu sieben Fischern. Außer zwei großen Tauchnetzen (dipnet; Tamil: Kacha Valai) führen sie einige Kambis mit sich. Beim Kacha Valai handelt es sich um ein rechteckiges Netz mit einer Kantenlänge von etwa 1,7 m auf 1,4 m. An ihren beiden schmaleren Seiten ist jeweils eine Stange von etwa 2 m Länge angebracht, die dem Netz Stabilität verleihen soll und außerdem den Fischern als Griff dient. Sobald sie einen Schwarm Fliegender Fische gesichtet haben, holen die Fischer die Segel und den Mast des Kattumarams ein. Sogleich werden die Kambis zu Wasser gelassen, und die Fische beginnen sich um diese zu versammeln, um an den Blattbüscheln der Kambis ihre Eier abzulegen. Die Fischer können nun mit ihrem Netz, das sie wie eine Schöpfkelle benutzen (aber auch mit den bloßen Händen), die Fische ins Boot befördern (Hornell 1924: 78).
Der Fischfang mit Leinen und Angelhaken
Der Fischfang mit Schnur und Angelhaken wurde und wird entweder vom Strand oder von einem Kattumaram aus betrieben. Im ersten Fall sind es vor allem ältere Fischer oder solche ohne eigenes Boot, die sich so ein kärgliches Einkommen erwirtschaften können. Vom Kattumaram aus betrieben, ist diese Art des Fischfangs jedoch äußerst einträglich, weil geringen Investitionskosten für Angelschnur und Haken relativ hohe Gewinnmöglichkeiten gegenüberstehen. Gefischt wird dabei hauptsächlich nach Großfischen wie Seerfisch, Haien oder auch Segelfischen, die allesamt erst in größeren Wassertiefen anzutreffen sind. Aus diesem Grunde müssen die Fischer mindestens 5-10 Seemeilen aufs Meer hinausfahren. Diese Art des Fischfangs ist gleichzeitig auch die gefährlichste, denn der Kampf der Fischer mit den Großfischen erfordert nicht nur viel Geschick, Erfahrung und vor allem auch Kraft, sondern kann einen Kattumaram auch in eine bedrohliche Situation bringen.
Die Angelleinen sind mit einem einzigen Angelhaken versehen. Als Köder dienten zu Zeiten Hornells entweder Strandwürmer oder Garnelen (!) (Hornell 1917: 79).
Der Fischfang mit Kiemennetzen
Kiemennetz (gill-net) ist eine Sammelbezeichnung für Netzarten, die zaunähnlich ins Wasser gelassen werden. Ihr Fangprinzip beruht darauf, daß bei möglichst feinen und daher wenig sichtbaren Netzwänden die Maschengröße so gewählt wird, daß die Fische ab einer bestimmten Größe beim Versuch, die Maschen zu durchschwimmen, mit ihren Kiemen im Netz hängen bleiben. Die Maschenweite dieser Netze richtet sich demnach nach der Fischart, die gefangen werden soll; durch die gewählte Maschenweite wird es Jungfischen ermöglicht, durch das Netz hindurchzuschwimmen.
Je nach Fangmethode unterscheidet man bei Kiemennetzen zwischen Treibnetzen, die zusammen mit dem Fangboot im Wasser driften und Stellnetzen, die stationär sind. Mit Hilfe von Schwimmkörpern und Gewichten kann das Netz für eine bestimmte Wassertiefe ausgelegt werden. Hierbei unterscheidet man zwischen Boden-Netzen (bottom-gill net), bei denen die Gewichte so gewählt werden, daß die Netzunterseite zum Meeresgrund hinabsinkt; die Schwimmkörper verhindern dabei, daß das gesamte Netz in sich zusammensinkt. Je nachdem, wie man die Schwere der Gewichte wählt, kann man auch erreichen, daß die Netze im freien Wasser schweben, bzw. daß die Netzoberseite an der Wasseroberfläche ist. Durch dieses Prinzip kann man - neben der Wahl der zu fangenden Fischart über die Maschenweite - auch eine Selektion über den Standort des Netzes durchführen. So wird es möglich, sich auf Bodenfischarten, freischwimmende Fische oder aber Fische, die sich gewöhnlich nahe der Wasseroberfläche aufhalten, zu konzentrieren. Kiemennetze sind an der Coromandel Küste schon recht lange bekannt, hatten früher jedoch nur eine geringe Bedeutung.
Abb. 13: Funktionsweise eines Kiemennetzes
"The number of Gill-Nets is limited on the Coromandel coast and they have much less economic importance than the class of nets enumerated above [..]. The fewness of their number favours the contention of the Madras fishermen that this type of net is not indigenious and have been imported and adopted within comparatively recent times" (Hornell 1924: 75).
Als Hornell diese Feststellung 1924 zu Papier brachte waren die Kiemennetze den Fischern allerdings schon seit etwa 50 Jahre bekannt. Bereits 1886 beschwerten sich Fischer aus Madras in einer Petition an die Regierung der Madras Presidency über den Einsatz solcher Kiemennetze. In der entsprechenden Petition heißt es:
" [...] the apparent reason for not obtaining fish is that 30 or 40 men have started a new kind of fishing net, called vallay vallai, for about the last 10 years and use them in the sea at nights.[...] When these nets are used there being no bag attached to these nets to allow the fish to get into safely, the fish get entangled in the ropes of the vallay vallai in a suspending position throughout, bleed and die instantaneously and the smell of this blood terrified shoaling fish and drove them to deeper water" (zit. nach Hornell 1924: 61).
14.2 Die Arbeitsorganisation in der "traditionellen" Kleinfischerei
Die Arbeitsorganisation1 in der Fischerei wird bestimmt durch die eingesetzte Technologie, die Verteilung der Produktionsmittel unter den Fischern, dem Wechsel zwischen für die Fischerei günstigen und ungünstigen Monaten sowie der Organisation jener Tätigkeiten, die dem eigentlichen Fischfang vor- und nachgelagert sind. Die betrifft vor allem die Konservierung des Fisches und seine Vermarktung, aber auch die Instandhaltung und Neubeschaffung von Netzen und Booten.
Eng verbunden mit der eigentlichen Organisation der Arbeit ist die Aufteilung des Fanges unter den einzelnen am Fang beteiligten Fischern. Sie richtet sich streng nach den eingebrachten Anteilen an Produktionsmitteln und Arbeitskraft. Der Fischfang mit den "traditionellen" Netzen war ein äußerst komplexer Vorgang. Beim Einsatz des Mada Valai wurden vier Kattumarame und bis zu 16 Fischer benötigt, beim Thuri Valai zwei Kattumarame und bis zu sechs Fischer. Das Periyar Valai wiederum benötigte bis zu 30 Personen, von denen ein Teil das Plankenboot mit dem Netz aufs Meer hinausruderte, um anschließend zusammen mit weiteren Fischern das Netz vom Strand aus einzuholen. Lediglich die ursprünglich wenig verbreiteten Kiemennetze konnten von einem einzigen Boot aus betrieben werden, mit einer Anzahl von Arbeitskräften, die i.d.R. von einem einzigen Haushalt aufgebracht gestellt konnten.
Die meisten Fangoperationen aber wurden von Fischerteams durchgeführt, die Mitglieder aus mehreren Haushalten umfaßten. Dabei gab es eine deutliche Schichtung zwischen den Besitzern von Booten und Netzen und solchen Fischern, die beim Fang lediglich ihre Arbeitskraft zur Verfügung stellten. Ein Besitzer von Boot und Netz hatte großes Interesse daran, daß er genügend Arbeitskräfte für seine Fangfahrt zur Verfügung hatte sowie daß er weitere Boote mobilisieren konnte, wenn er ein Netz einsetzen wollte, mit dem der Fang von einem Boot allein aus nicht möglich war. Um sich die erforderlichen Arbeitskräfte zu sichern, vergaben die Boots- und Netzbesitzer oftmals Kredite an Fischereiarbeiter mit der Auflage, daß diese ihre Arbeitskraft im Bedarfsfall zur Verfügung zu stellen hatten. Diese Kredite waren in aller Regel zinslos und brauchten nicht zurückgezahlt werden, solange der Fischereiarbeiter für den kreditgebenden Fischer arbeitete. Nach einem altersbedingten Ausscheiden des Fischereiarbeiters konnte der "Kontrakt" von einem seiner Söhne weitergeführt werden. Wollte ein Fischereiarbeiter seinen "Arbeitgeber" wechseln, so übernahm dieser nicht selten den Kredit. Bei Erwerbsunfähigkeit aufgrund eines Unfalls in Zusammenhang mit dem Fischfang, erlosch der Kredit.
An dieser Stelle wird bereits deutlich, daß die Bindung über einen Kredit neben wirtschaftlichen auch soziale Funktionen übernahm. Durch diese Bindung entstanden Fischerteams, die sich teilweise über Generationen hinweg aus den gleichen Familien rekrutierten, und sie übertrug dem Besitzer von Boot und Netz eine soziale Verantwortung für seine Arbeitskräfte. Diese Verantwortung beschränkte sich nicht nur auf den Fischfang selbst, sondern reichte weit darüber hinaus.
„The owner of equipment [...] is also expected to give his employees small loans (in addition to the money that binds them to work for him) for domestic needs and events such as funerals and marriages“ (Norr 1972: 105).
Wenn ein solcher "Kontrakt" vom Arbeitgeber aufgelöst werden sollte, kam es nicht selten zu heftigen Spannungen zwischen ihm und dem Fischereiarbeiter. Nach Angaben älterer Fischer kam dies jedoch nur selten vor, etwa dann, wenn der Bootsbesitzer mit der Arbeitsleistung des Fischereiarbeiters unzufrieden war oder wenn es zwischen beiden zu andersartigen unauflösbaren Differenzen gekommen war. I.d.R. wurden solche Fälle dem Dorfrat zur Entscheidung vorgelegt.
Die Fischerteams nahmen auch eine wichtige Rolle im politischen Leben des Fischerdorfes ein. Boots- und Netzbesitzer waren die dörflichen Eliten, und sie erwarteten von ihren Arbeitern Loyalität in dorfpolitischen Angelegenheiten. Dies traf vor allem auf die Besitzer von Strandwadennetzen zu, von denen es immer nur sehr wenige in einem Dorf gab. Das Periya Valai wurde als Symbol politischer Macht angesehen. Mit dem Niedergang der Strandwadenfischerei setzte deshalb auch ein Statusverlust der Besitzer ein. Trotz der großen Statusunterschiede innerhalb der Fischerteams werden von Norr die Entscheidungsfindungsprozesse als verhältnismäßig egalitär beschrieben. Der Besitzer der Produktionsmittel organisiert zwar die Fangfahrt, legt ihren Beginn fest und entscheidet über Art und Anzahl der mitgeführten Netze, doch während der Fangfahrt hat er keine herausragende Position inne (Norr 1972: 106).
Ohne Frage verlangt der Fischfang ein hohes Maß an Kooperation innerhalb eines Fischerteams. Der de facto bestehende sozio-ökonomische Statusunterschied innerhalb der Bootsbesatzung kann jedoch nicht geleugnet werden. Konfliktträchtig sind vor allem Extremsituationen, etwa dann, wenn z.B. bei ungünstigen Witterungsverhältnissen entschieden werden muß, ob das Team zum Fang ausfahren soll oder nicht. Hier wirkt sich vor allem aus, daß der Boots-/Netzbesitzer aufgrund seiner besseren ökonomischen Situation eher auf eine Fangfahrt verzichten kann als die Fischereiarbeiter. Die Bindungen zwischen den Fischereiarbeitern und Bootsbesitzern berücksichtigten jedoch diese unterschiedlichen Interessen. Jedem Fischereiarbeiter war es gestattet, auf anderen Booten zum Fang auszufahren, solange er von jenem Fischer nicht benötigt wurde, an den er durch einen Kredit gebunden war.
14.2.1 Die Aufteilung des Fischfangs
Erbrachte Vorleistungen in Form von Produktionsmitteln und Arbeitskraft bilden damals wie heute die Grundlage für die Aufteilung des Fanges zwischen den Besitzern von Booten und Netzen und haushaltsfremden Arbeitern.
Schon frühe Berichte heben hervor, daß die Bezahlungen monetär vorgenommen wurden, d.h. der Fang wurde immer zuerst veräußert und der Erlös dann nach festgelegten Regeln aufgeteilt. Die Berechnung der einzelnen Anteile ist um so komplizierter, je komplexer die Fangoperation ist. Für die Fischereiarbeiter am ungünstigsten war dabei der Fischfang mit der Strandwade. Hier kam ihnen zwar die Hälfte des Fangwertes zu, da sie jedoch diesen Anteil mit etwa 30 anderen Arbeitskräften teilen mußten, blieb für den einzelnen Arbeiter wenig übrig. Ein Fischereiarbeiter, der sowohl beim Ausbringen des Netzes wie auch anschließend beim Einholen vom Strand aus mithalf, erhielt zwei Anteile.
Tab. 40: Aufteilung der Fänge zwischen Boots- und Netzbesitzer (angenommener Fangwert 1000 Rs)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
eigene Befragung November 1990 - Mai 1992
Beim Einsatz eines Kambi Valai erhielten die Fischereiarbeiter nur ein Drittel des Fangwertes. Ein weiteres Drittel erhielt der Errichter des Kambis, während Boots- und Netzbesitzer das verbleibende Drittel unter sich aufteilten. Der Netzbesitzer erhielt davon etwa 60 Prozent, während die vier Bootsbesitzer insgesamt 40 Prozent bekamen. Da hier jedoch die Anzahl der benötigten Arbeitskräfte geringer war, erhielt jeder Arbeiter absolut gesehen einen größeren Anteil. Anders als beim Fang mit der Strandwade beteiligten sich hier jedoch Netz- und Bootsbesitzer i.d.R. am Fangvorgang, so daß diese auch anteilig für ihre Arbeitskraft entlohnt wurden. Beim Fang mit dem Mada Valai, dem Thuri Valai und den Kiemennetzen erhielten die Arbeitskräfte jeweils eine Hälfte des Fangwertes; das tatsächliche Einkommen eines Arbeiters ergab sich auch hier durch die Anzahl der Arbeitskräfte, die für eine bestimmte Fangmethode benötigt wurde. Mit gewöhnlich zehn benötigten Arbeitskräften war dieser Anteil beim Mada Valai am geringsten. Beim Thuri Valai war er - bei durchschnittlich nur fünf Arbeitskräften - bereits doppelt so hoch, und am höchsten war er beim Fang mit den Kiemennetzen, bei dem mindestens zwei, höchstens aber vier Arbeitskräfte benötigt wurden.
Neben dem Anteil aus dem Verkaufserlös des Fanges hatte jeder am Fang beteiligte Haushalt ein Anrecht auf ein paar Fische für den Eigenverbrauch. War das Fangergebnis so gering, daß nach Abzug des Subsistenzanteils kaum noch vermarktungsfähiger Fisch übrig blieb, dann wurde der Fang vollständig auf die Haushalte aufgeteilt. In diesem Fall wurde der ungleiche Einsatz von Produktionsmitteln nicht berücksichtigt, was eine Besserstellung der produktionsmittellosen Arbeitskräfte bedeutete und als Umverteilung wirtschaftlichen Reichtums in Krisenzeiten gewertet werden kann. Witwen und ältere, arbeitsunfähige Fischer konnten sich für ihren eigenen Verbrauch ebenfalls einige Fische von einem Fang mit nach Hause nehmen.
"Relatives who have not gone fishing that day or who are in chronic need often come down and ask for a fish or two. These requests are difficult to deny without public embarrassment.[...] People in real need can sell the fish and buy rice. Gifts of fish are also very important for their social meaning. They reinforce previously existing social bonds and strengthen feelings of social solidarity within the community. For these reasons, the importance of these payments and gifts in kind is greater than its cash value would indicate"(Norr 1972: 108).
Außerdem wurden stets einige Fische zurückbehalten, wenn der Fang versteigert wurde. Sobald alle Fänge der einzelnen Boote verkauft waren, wurden diese zurückbehaltenen Fische zugunsten der Dorfkasse versteigert.
Zusammenfassend läßt sich also sagen, daß die Aufteilung des Fangs zu erheblichen Einkommensunterschieden geführt hat zwischen den Fischern, die Produktionsmittel besaßen und solchen, die lediglich ihre Arbeitskraft zur Verfügung stellen konnten. Neben dem Moment der wirtschaftlichen und sozialen Polarisierung weist die Art der Fangaufteilung aber auch Züge von sozialer Verantwortung der wohlhabenderen Fischer auf. In Krisenzeiten und für besonders verwundbare Gruppen des Dorfes war dadurch eine gewisse Absicherung gewährleistet, daß Teile des Fangs zu Subsistenz- und Wohlfahrtszwecken verwendet wurden.
Ob der große Einkommensunterschied zwischen Fischern und Fischereiarbeitern einzig dadurch erklärt werden kann, daß erstere erhebliche Aufwendungen zum Kauf und Unterhalt von Booten und Netzen hatten, läßt sich aufgrund fehlender Daten nicht berechnen. Hier muß berücksichtigt werden, daß die Besitzer der Produktionsmittel die sozio-ökonomische Elite des Dorfes darstellten. Eine Akkumulation von Kapital hätte nicht stattfinden können, wenn der Mehrverdienst lediglich zur Instandhaltung und Wiederbeschaffung von Netzen und Booten ausgereicht hätte. Deutlich wird auch, daß durch die Art der Aufteilung des Fangertrages soziale Mobilität innerhalb der Fischerei kaum möglich war. Der Anteil für eine einzelne Arbeitskraft war derart niedrig, daß unmöglich Rücklagen gebildet werden konnten, um sich ein Boot oder Netz kaufen zu können. Der Besitz von Produktionsmitteln in der Fischerei ist ähnlich zu bewerten wie Landbesitz in der Landwirtschaft. Da in der Meeresfischerei der Zugang zur Ressource Fisch i.d.R. jedem offen steht,1 kann nur über den Besitz an Produktionsmitteln eine wirtschaftliche und soziale Differenzierung erreicht und fortgeschrieben werden.
Bei der Analyse des frühen Fischfangs an der Coromandelküste wird überdies deutlich, daß weitaus mehr Arbeitskräfte vorhanden gewesen sein müssen als Boote und Netze. Viele Fangoperationen konnten nur durchgeführt werden, wenn ein Netz von vielen Arbeitskräften bedient wurde. Am ungünstigsten war das Verhältnis beim Fang mit dem Strandwadennetz, am günstigsten beim Fang mit den Kiemennetzen. Anders ausgedrückt: die beschriebene Organisation des Fischfangs setzte eine wirtschaftliche und damit soziale Hierarchie voraus. Diese Hierarchie ist tendenziell umso größer desto ungünstiger das Verhältnis zwischen Netzen und die zum Betreiben der Netze notwendigen Arbeitskräften ist.
14.3 Der heutige Stand der Fischereitechnologie in der Kleinfischerei von Madras
14.3.1 Stand und Perspektiven hinsichtlich der Bootstechnologie
Hinsichtlich den verwendeten Bootstypen hat sich in der Kleinfischerei an der Coromandelküste bislang kaum etwas verändert. Noch immer werden vor allem Kattumarame und Plankenboote eingesetzt, die in Konstruktion und Größe genau den Booten entsprechen, die bereits bei Hornell und Anugraham beschrieben werden. Versuche, die Holzstämme der Kattumarame duch andere Materialien wie z.B. PVC oder Stahlbeton zu ersetzen, müssen inzwischen als gescheitert angesehen werden. Ebenso wenig haben sich bislang gänzlich andere Bootstypen in der Kleinfischerei durchsetzen können, von denen z.B. vom Bay of Bengal Programm der FAO verschiedene Varianten erprobt wurden. Die Motorisierung der Kattumarame hat, nach anfänglichen Mißerfolgen, inzwischen wieder einige Popularität erhalten. Ob diese Motoren größere Verbreitung finden können, hängt nicht zuletzt davon ab, ob eine Infrastruktur zur Wartung und Reparatur der Motoren aufgebaut werden kann. Wenn dieses infrastrukturelle Defizit behoben werden kann, ist zu erwarten, daß die Einführung dieser Motoren sozial selektiv vonstatten gehen wird, weil die gegenwärtige Fischerelite genügend Einfluß bei den Fischereibehörden hat, sich Kredite und Zuschüsse sichern zu können.
Jede Maßnahme, die dazu geeignet ist, die Fangerträge der Fischer zu steigern, begünstigt die Produktionsmittelbesitzer unverhältnismäßig stark, da sie den Löwenanteil des Fangerlöses erhalten. Solange die Prozentuale Aufteilung des Fangertrages zwischen Besitzern von Produktionsmitteln und Arbeitskräften dabei gleich bleibt, könnten auch die Fischereiarbeiter von einer solchen Motorisierung profitieren. Höhere Fangergebnisse bedeuten für sie ebenfalls höhere Einkommen, selbst wenn sich absolut gesehen der Unterschied zu den Boots- und Netzbesitzern vergrößert. Zu befürchten ist jedoch, daß der Einsatz von Außenbordmotoren auch Auswirkungen auf die Aufteilung der Fangerträge hat. Die hohen Anschaffungskosten - obgleich zwar (anfänglich) durch staatliche Kredite und Zuschüsse gemildert - werden vermutlich dazu führen, daß ihre Besitzer einen höheren Fanganteil für sich beanspruchen. Gegenwärtig gibt es z.B. unter den Fischern nördlich von Madras intensive Diskussionen darüber, den Fanganteil zugunsten der Bootsbesitzer - und dadurch zuungunsten der Fischereiarbeiter - zu verändern. Das vorgebrachte Hauptargument besteht darin, daß anders die hohen Wiederbeschaffungs- und Wartungskosten für einen Außenbordmotor nicht aufgebracht werden können.1
Fischer als auch Fischereiarbeiter stehen den Außenbordmotoren aufgeschlossen gegenüber, nicht zuletzt deshalb, weil sie die Fischfangoperationen in vielerlei Hinsicht erleichtern. Sie machen die Fischer mobiler, bringen sie schneller zu den Fischgründen und nach dem Fang zurück zum Strand. Sie machen sie gleichzeitig unabhängiger von den lokalen und saisonalen Wind- und Strömungsverhältnissen. Da diese Motoren beim Fang selbst nicht eingesetzt werden können, besteht auch nicht die Gefahr, daß nun plötzlich die ökologisch bedenklichen Grundschleppnetze von Kattumaramen aus eingesetzt werden. Dennoch beinhaltet die Einführung von Außenbordmotoren für die Kattumaramfischerei auch deshalb reichlich sozialen Sprengstoff, weil nicht ausgeschlossen werden kann, daß sich im bestehenden Konflikt zwischen den unmotorisierten Kleinfischern und der mechanisierten Trawlerfischerei eine dritte Gruppe etablieren könnten, die in Konflikt zu den beiden anderen Gruppen geraten könnte. Da der gegenwärtige Konflikt zwischen Kleinfischerei und Trawlerfischerei ein Konflikt zwischen unterschiedlichen Gruppen ist, die um die gleiche Ressource konkurrieren, würden bei der Etablierung einer dritten Gruppe, die ebenfalls an dieser Ressource interessiert ist, die unmotorisierten Kleinfischer als schwächstes Glied dieser Konstellation aller Wahrscheinlichkeit nach erhebliche Verluste hinnehmen müssen.
14.3.2 Stand und Perspektive der Netztechnologie in der Kleinfischerei
Anders als zu Zeiten Hornells und Anugrahams sind heute die wichtigsten Netze, die an der Coromandelküste eingesetzt werden, Kiemennetze. Norr (1972) hat ihre Untersuchung in einer Zeit durchgeführt, als die früheren Netzarten gerade noch präsent, aber bereits zu einem großen Teil von den neuartigen Netzen abgelöst worden waren. Inzwischen ist der Übergang zu den Kiemennetzen aus Kunstfasern weitgehend abgeschlossen. Von den traditionellen Netzen hat sich nur das Strandwadennetz behaupten können, während die anderen Netze - falls noch vorhanden - nur noch gelegentlich eingesetzt werden. Über 90 Prozent der Fischfangoperationen werden heute mit Kiemennetzen aus Kunstfasern durchgeführt.
Im der untersuchten Fischersiedlung wurden während der Untersuchung vier verschiedene Kiemennetzarten vorgefunden: Das Kavalai Valai (zum Fang kleinerer Sardinenarten), das Thatta-Kavalai Valai oder auch Pannu Valai genannt (zum Fang von größeren Sardinenarten und Makrelen), das Mani Valai (zum Fang von Garnelen) und das Kolla Valai (zum Fang von Fliegenden Fischen). Auch wenn den einzelnen Netzen bestimmte Fischarten zugeordnet werden, heißt dies keineswegs, daß nicht auch andere Fischarten ähnlicher Größe damit gefangen werden. So wurde das Thatta-Kavalai Valai jahrelang auch zum Fang von Garnelen verwendet, bevor mit dem Mani Valai ein Netz aufkam, das dafür besser geeignet ist. Ein ähnlicher Wandel vollzieht sich im Moment beim Fang von Fliegenden Fischen, wozu bislang ebenfalls das Thatta-Kavalai Valai verwendet worden war. Seit wenigen Jahren gibt es nun das Kolla Valai, das von der Maschenweite in etwa mit dem Thatta-Kavalai Valai übereinstimmt, jedoch schmaler und dadurch leichter und billiger ist.
Tab. 41: Charakteristika der wichtigsten Kiemennetze in Nochikuppam
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Eigene Erhebung: November 1990-Februar 1991
Großmaschige Kiemennetze, wie sie teilweise in den Fischerdörfern südlich von Madras zu finden sind - etwa das Surai Valai zum Haifischfang oder ein Netz zum Seerfischfang (Vanjiram Valai) - sind in Nochikuppam nicht verbreitet.Das größte und auch das teuerste Kiemennetz ist das Kavalai-Vailai. Ein kleines Netz dieser Art wiegt mindestens 10 kg, meistens werden jedoch Netze eingesetzt, die deutlich größer sind.1 Das Kavalai-Netz kann, wie auch das Thatta-Kavalai Valai praktisch das ganze Jahr über verwendet werden, das Kolla- und Mani-Valai jedoch nur zu ganz bestimmten Jahreszeiten. Die beiden letztgenannten Netze sind erheblich kleiner und dadurch wesentlich billiger als die beiden erstgenannten Netze.
14.4 Verteilung von Booten und Netzen in Nochikuppam
Insgesamt gibt es in Nochikuppam etwa 150 Fischerhaushalte, die entweder Boot oder Netze, zumeist aber beides besitzen. Mit Ausnahme zweier Haushalte, die sowohl jeweils ein Masula Boot als auch einen Kattumaram besitzen, entfallen auf die restlichen Haushalte jeweils nur eine Bootskategorie. Von den 119 Haushalten, in denen es einen oder - selten - zwei Kattumarame gibt, besitzen 17 Haushalte kein einziges Netz. Umgekehrt gibt es 26 Haushalte, die ein oder mehrere Netze besitzen, aber keinen Kattumaram. In sieben Haushalten mit Kattumaramen gibt es zwei solcher Boote. Zwei Haushalte aus Nochikuppam betreiben von Kasimedu aus, dem Fischereihafen im Norden von Madras, jeweils einen mechanisierten Trawler. Sie haben dazu eine Crew angestellt, deren Mitglieder weder aus Nochikuppam sind noch der Fischerkaste angehören. Sie werden nach einem Festlohn bezahlt. Wenn der Fang einen bestimmten Betrag übersteigt, erhalten sie noch eine Prämie.
Von den Netzen, die vor Einführung der Kiemennetze aus Kunstfasern in der Kleinfischerei verwendet wurden, sind heute noch elf Stück in Nochikuppam anzutreffen. Vier davon, nämlich die Strandwadennetze, werden noch regelmäßig eingesetzt, während vier Mada Valai und drei Thuri Valai nur noch ganz selten verwendet werden. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn in der Nähe des Dorfes ein größerer Fischschwarm gesichtet worden ist. In solchen Fällen werden vor allem Mada Valais eingesetzt, und die Fangergebnisse, die bei solchen Einsätzen erzielt werden, sind zumeist ungewöhnlich hoch.
Alle anderen Netze in Nochikuppam sind Kiemennetze aus Kunstfasern. Bei der Befragung aller Haushalte von Nochikuppam wurden 244 solcher Kiemennetze gezählt, wobei am häufigsten das Kavalai Valai vorkommt, gefolgt vom Mani Valai und Thatta - Kavalai Valai. Das Kolla Valai ist am wenigsten verbreitet, was auch darauf zurückzuführen ist, daß es erst seit wenigen Jahren benutzt wird.
Tab. 42: Verteilung von Netztypen auf die Fischerhaushalte
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Eigene Erhebung: November 1990-Februar 1991
Ein Großteil jener Fischer, die lediglich ein einziges Netz besitzen, haben ein Kavalai Valai. Auch in den Haushalten mit mehr als einem Netz ist das Kavalai Valai am häufigsten. Diese Feststellung gilt sowohl für die Haushalte, die einen Kattumaram besitzen als auch für Haushalte ohne Boot. Bei der Verteilung der drei anderen Netzarten spielt hingegen der Besitz eines Bootes eine größere Rolle. Bei den Haushalten ohne Kattumarame ist das Thatta-Kavalai Valai am zweithäufigsten, während die Haushalte mit Booten das Mani Valai höher einschätzen. Deutlicher ist dieser Unterschied beim Kolla Valai ausgeprägt. Bei den Haushalten ohne Boot ist dieses Netz nur ein einziges Mal vorhanden. Bei der Verteilung der einzelnen Netzarten wird deutlich, daß die Gegenüberstellung von Produktionsmittelbesitzern und Fischereiarbeitern mitunter nicht eindeutig ist, da sie bei jeder Fangoperation neu bestimmt werden muß. Ein bootsloser Besitzer eines einzigen Netzes wird dann zwangsläufig zum Fischereiarbeiter, wenn eine andere Netzart eingesetzt wird als die, die er selbst besitzt. Mitunter kann es auch vorkommen, daß er zwar ein entsprechendes Netz besitzt, der Bootsbesitzer aber, bei dem er die Fangfahrt mitmacht, bereits mit genügend Netzen versorgt ist. In diesem Fall kann er sein Netz gar nicht auf die Fangfahrt mitnehmen und erhält auch nicht den dafür üblichen Anteil vom Fang.
14.5 Die gegenwärtige Arbeitsorganisation in der Kleinfischerei
Bei der Arbeit mit einem Kattumaram werden je nach Größe des Bootes, den Witterungsbedingungen, dem erwartenten Fischvorkommen und der Art der eingesetzten Netze zwischen zwei und fünf Personen benötigt. Gewöhnlich besteht ein solches Fischerteam aus dem Bootsbesitzer, der zumeist auch Netze für den Fang bereitstellt, und mithelfenden Haushaltsangehörigen. Reicht die Zahl der Angehörigen nicht aus, werden zusätzliche noch Fischereiarbeiter angestellt. Wenn es die Situation erfordert und die haushaltsfremden Arbeitskräfte dazu in der Lage sind, bringen sie auch Netze für den Fang mit ein.
Die Art und Weise der Aufteilung des Fanges geschieht nach einem festen Schlüssel, nach dem die eine Hälfte des Fangwertes auf die Produktionsmittel entfällt und die andere Hälfte auf die Arbeitskräfte. Damit wird das Prinzip der Fangaufteilung, das bereits beim Fang mit Kiemennetzen aus Baumwolle gebräuchlich war, auch beim Fang mit Kiemennetzen aus Kunstfasern angewendet. Wenn ein familienfremder Arbeiter ebenfalls Produktionsmittel einbringt, wird für die Bereitstellung des Bootes ein zusätzlicher Anteil von 10 Prozent vom Fangwert dem Bootsbesitzer zugerechnet, d.h. 40 Prozent des Fangwertes ist dann für den/die Netzbesitzer.
Grundsätzlich wird bei einer Fangfahrt nur eine einzige Netzart verwendet, d.h. bereits zu Beginn der Fangfahrt wird darüber entschieden, welche Fischarten gefangen und welche Fischgründe dazu aufgesucht werden. Hingegen ist es nicht unüblich, mehrere Netze derselben Art miteinander zu verbinden, um dadurch die Gesamtlänge des Netzes zu erhöhen und somit einen größeren Meeresbereich abfischen zu können. Dies wird vor allem dann getan, wenn ein geringes Fischvorkommen vermutet wird. Zu Zeiten hoher Fischdichte würden zusätzliche Netze nur Platz auf dem Kattumaram wegnehmen, zumal ein guter Fang mit einem einzigen Netz an die Ladekapazität eines Bootes heranreichen kann. Gelegentlich entfernen die Fischer bereits auf See die Fische aus dem Netz, so daß es an Ort und Stelle ein zweites oder drittes Mal ausgebracht werden kann. In der Regel findet jedoch das "Entleeren" des Netzes nach Rückkehr der Boote am Strand statt.
Viele der Fischereiarbeiter befinden sich nach wie vor in einem Schuldverhältnis zum Bootsbesitzer, das sie zur Arbeit für ihn verpflichtet. Wie traditionell üblich, werden auf diesen Kredit keine Zinsen erhoben. Der Betrag, den sie vom Bootsbesitzer erhalten können, ist jedoch auf etwa 2000 Rs begrenzt. Für die Fischereiarbeiter ist ein solches Schuldverhältnis eine ambivalente Angelegenheit. Zwar können sie so zu einem langfristigen zinslosen Kredit kommen, müssen aber eben für den Kreditgeber arbeiten. Die meisten der befragten Fischereiarbeiter bewerteten ein solches Schuldverhältnis negativ. Es schränkt sie in ihren Entscheidungen erheblich ein. Sie haben kein Mitspracherecht in der Frage, wann sie zum Fischen ausfahren, sondern erwarten in der Regel am frühen Morgen am Strand die Ankunft ihres "Arbeitgebers", um dann mit ihm zum Fischfang aufzubrechen. Entscheidet sich dieser aus irgendwelchen Gründen dazu, an diesem Tag nicht fischen zu gehen, kann dies u.U. für sie bedeuten, daß sie an diesem Tag auch nicht fischen gehen können. Andererseits kommt es vor allem in der Garnelenfangzeit - in den Monaten Oktober bis Januar - häufig vor, daß der Bootsbesitzer zusätzliche Arbeitskräfte aus seinem eigenen Haushalt mobilisiert.1 Für Fischereiarbeiter entstehen gerade in dieser Zeit häufig Einkommensausfälle, weil es schwierig ist, Boote zu finden, bei dem sie kurzfristig Aufnahme finden können.
Die Fangfahrten mit dem Kavalai Valai und dem Thatta-Kavalai Valai beginnen meistens sehr früh am Morgen bei Dunkelheit, manchmal bereits kurz nach Mitternacht. So können die Fischer die für sie günstigen Landwinde zur Ausfahrt nutzen, um dann bereits am Vormittag, unter Ausnutzung des inzwischen gedrehten Windes, zum Strand zurückzukehren. Eine frühe Rückkehr zum Strand hat auch den Vorteil, daß der Fisch noch am Vormittag an Fischhändler verkauft oder von den Fischersfrauen zum Markt gebracht werden kann. Je später ein Boot zurückkehrt, desto geringer ist zumeist der Verkaufserlös, weil mit fortschreitender Tageszeit die Zahl der am Strand wartenden Fischhändler zurückgeht. Da Fisch eine schnell verderbliche Ware ist, sind die Fischer bemüht, ihre Rückkehr keinesfalls in die heißen Nachmittagsstunden fallen zu lassen. Zu dieser Zeit sind kaum Aufkäufer am Strand vorzufinden und die Märkte so wenig frequentiert, daß ein Verkauf des Fanges erst wieder in den Abendstunden möglich ist.
Beim Mani Valai und vor allem beim Kolla Valai unterscheiden sich Beginn und Dauer der Fangfahrten von dem üblichen Muster. Die Vermarktung der mit dem Mani Valai gefangenen Garnelen ist unabhängig von der lokalen Vermarktungssituation. Sie wird - zumindest wenn die Garnelen Exportqualität erreichen - über Agenten der Exportfirmen durchgeführt. Diese nehmen Garnelen ohne Preisabschläge bis spät in die Nacht hinein entgegen. Garnelen werden küstennah gefangen, so daß die Fischer die Fanggründe auch bei ungünstigen Windverhältnissen rasch erreichen können. Auch aus diesem Grund ist ein Beginn der Fangfahrt in den frühen Morgenstunden nicht zwingend. Beim Kolla Valai (Fliegende Fische) ist eine Rückkehr zum Strand im Laufe des Vormittags nicht möglich, da die Fischgründe bis zu 20 Seemeilen von der Küste entfernt sind und die Fahrt dorthin und zurück mehrere Stunden in Anspruch nimmt. Beim Fang von Fliegenden Fischen würde sich deshalb eine Motorisierung der Boote sehr günstig auswirken, zumal diese Fische auf dem Markt sehr gute Preise erzielen und bei einer einzigen Fangfahrt die Boote i.d.R. bis an die Grenze ihrer Kapazität beladen sind. Ebenfalls für eine Motorisierung spricht der Umstand, daß die die kurze Fangsaison für Fliegende Fische in eine Periode ungünstiger Windverhältnisse fällt. In manchen Jahren muß diese Fischerei vollkommen ausfallen, weil die Fischer die Fanggebiete nicht erreichen können, oder weil es unsicher ist, ob sie von dort wieder zurückkommen.
14.5.1 Geschlechterspezifische Merkmale der Arbeitsorganisation
Der Fischfang vom Boot aus ist ausschließlich eine Beschäftigung der Männer. Frauen fahren weder mit Kattumaramen noch mit Masula-Booten aus. Frauen hätten auf diesen Booten nichts zu suchen und würden durch ihre Anwesenheit - so befragte Fischer und Fischersfrauen - sogar den günstigen Ausgang einer Fangfahrt gefährden. Die Fischer geben als zusätzliche Begründung an, daß diese Beschäftigung für Frauen zu anstrengend und zu gefährlich sei. Die Fischersfrauen wollen dieses Argument nicht gelten lassen. Sie verweisen darauf, daß die Fischerei zwar in hohem Maße Übung und Erfahrung erfordere, Muskelkraft aber lediglich zweitrangig sei und nur an Tagen mit besonders widrigen Umweltbedingungen voll zum Tragen käme. Allerdings konnte sich keine der befragten Frauen vorstellen, diese Arbeit auch tatsächlich zu machen.
Bedenkt man jedoch, daß nur wenige hundert Kilometer südlich in der Palk Street hunderte von Frauen derselben Kaste in ihren Sarees der gefährlichen Beschäftigung des Perltauchens nachgehen, ist diese Begründung wenig einleuchtend (Shetty 1991).
Norr (1972: 74) will beobachtet haben, daß Frauen beim Einholen der Strandwaden mithalfen. Dies ist nicht die Regel, aber auch nicht vollständig auszuschließen. Auch bei anderen Beschäftigungen konnte während der Feldforschung beobachtet werden, daß Frauen mithalfen, wenn "Not am Mann" war. Dies traf vor allem auf das Entfernen der Fische aus den Netzen zu, eine Tätigkeit, die bei der Befragung eindeutig als "männliche" charakterisiert wurde. In Spitzenzeiten konnte vielfach beobachtet werden, daß Frauen mithalfen, um diese Tätigkeit schneller beenden und den Fisch früher an Fischhändler verkaufen bzw. auf nahegelegene Märkte bringen zu können.
Traditionell ist das Vermarkten der Fische die Aufgabe der Fischersfrauen. Die Fischhändler, die jeden Morgen mit ihren Fahrrädern an den Strand kommen, um dort Fisch zu ersteigern, sind jedoch ausnahmslos Männer, wenngleich nicht aus der Fischerkaste. Das Bild von den Fischersfrauen, die den Fisch ihrer Männer vermarkten und dadurch die Kontrolle über die Haushaltsfinanzen besitzen, ist deshalb, zumindest was die Vermarktung in Madras betrifft,1 in mehrerer Hinsicht korrekturbedürftig. Durch die geringen Gewinnspannen, die beim Fischverkauf erzielt werden können, ist es meistens günstiger, den Fisch nach dem Anlanden am Strand direkt an Fischhändler zu verkaufen, die ihn dann mit ihren Fahrrädern in küstenabgelegene Gebiete bringen, als wenn die Fischersfrauen die Kosten für den Transport dorthin selbst aufbringen würden. Fischersfrauen übernehmen die Vermarktung i.d.R. nur dann, wenn der Fisch nicht anderweitig verkauft werden konnte und sie begeben sich dabei auf Märkte, die sie in kürzester Zeit zu Fuß erreichen können. Häufig sind dies die Fischmärkte im Fischerdorf selbst, wo die erzielbaren Preise verständlicherweise am niedrigsten sind.
Dennoch gibt es auch im untersuchten Fischerdorf Frauen, die durch die Fischvermarktung einen nicht unbedeutenden Teil zum Haushaltseinkommen beitragen. Dabei verkaufen sie allerdings keinen Fisch, der von Fischern aus diesem Dorf gefangen worden ist. Sie beschaffen sich vielmehr auf dem im Norden von Madras gelegenen Fischereihafen und bringen ihn auf Märkte, die sich in küstenabgelegenen Gebieten befinden. Oftmals sind diese Fischersfrauen lediglich Zwischenhändlerinnnen, d.h. sie bringen große Körbe mit Fisch mit einer motorisierten Fahrradrickshaw vom Fischereihafen nach Nochikuppam, wo er dann an andere Fischersfrauen weiterverkauft wird. Dabei haben sie sich auf Fischarten höherer Qualität spezialisiert, die von den Kleinfischern selten gefangen werden (Seerfisch, Haie, Barsche, Krabben, etc.). Selbst auf dem Fischmarkt von Nochikuppam erzielen diese Fischarten einen guten Preis, weil sie nicht mit den Fischen konkurrieren, die von den ortsansässigen Fischern gefangen werden.
Wichtig ist, daß durch diese Vermarktungsstrategie die Fischerhaushalte unabhängiger von ihren eigenen Fischfängen werden. Die mechanisierten Boote, die ihre Fänge im Fischereihafen anlanden, können häufig auch dann noch zum Fang ausfahren, wenn dies für die Kattumaramfischer aufgrund ungünstiger Witterungsverhältnisse nicht mehr möglich ist.
Die Vermarktung der Garnelen ist eine ausschließliche Angelegenheit von Männern. Sie sind die Ansprechpartner für die Agenten der Exportfirmen und sie erhalten auch die Bezahlung für die Garnelen. So ist in der lukrativen Garnelenfischerei die Vermarktung - und damit die Kontrolle über den Fangerlös - vollständig von den Fischersfrauen auf die Männer übergegangen.
In den meisten Fischerhaushalten verwalten jedoch auch heute noch die Fischersfrauen die Haushaltsfinanzen. Selbst wenn das Geld vom Fangerlös zunächst dem Mann zukommt, wird der in den meisten Fällen dieses Einkommen seiner Frau weitergeben und für sich lediglich ein kleines "Taschengeld" zurückbehalten.1 Die viel zitierte Kontrolle der Frauen über die Haushaltsfinanzen ist deshalb nicht das Resultat ihrer unmittelbaren wirtschaftlichen Aktivitäten, sondern wird erst dadurch wirksam, daß die Fischer ihre Einnahmen den Ehefrauen überantworten. Selbst in Haushalten, in denen niemand mehr in der Fischerei beschäftigt ist, sind es zumeist die Frauen, die die Haushaltsfinanzen verwalten.
Als ausschließliche Männerarbeit wurde von den befragten Fischern auch das Instandsetzen der Netze genannt. Während des Fangs reißen Maschen der Kiemennetze, wenn sich z.B. ein größerer Fisch darin verfängt und sich zu befreien versucht. Besonders gefürchtet sind bei den Fischern Delphine, die mitunter große Stücke aus den Netzen herausreißen. Unmittelbar nachdem die Fische am Strand entweder verkauft oder den Fischersfrauen zur Vermarktung übergeben worden sind, beginnen die Fischer damit, die Netze für die nächste Fangfahrt in Ordnung zu bringen. Mit Nylonschnur werden dabei die schadhaften Teile ausgebessert. Traditionell war es allerdings so, daß Frauen bei der Herstellung und Ausbesserung der Netze mithalfen bzw. diese Arbeit vollständig verrichteten.
"Many women in the fishing village are economally active. They sell fish, make and sell illicit rice beer, weave nets, buy ration cards and sell rice at a slight profit, and make interest on small loans to one another." (Norr 1972: 245)
Während der Untersuchung konnte dies jedoch kein einziges Mal beobachtet werden. Die Fischer berichteten auch davon, daß sie früher von der Fischereibehörde Nylongarn zur Verfügung gestellt bekamen, mit dem die Frauen Netze knüpften und diese z.T. auch an andere Fischer verkauften. Seit es jedoch die Nylonnetze "am Stück" zu kaufen gibt, ist das Knüpfen von vollständigen Netzen verschwunden. Die Fischer kaufen heute ausnahmslos die Rohnetze - d.h. ohne Schwimmer, Senkgewichte und Zugleinen -, die sie anschließend selbst gebrauchsfertig machen.
14.6 Zusammenfassung: Der Wandel in der Netztechnologie und ihre Auswirk-ungen auf die Arbeitsorganisation in der Kleinfischerei.
Vergleicht man die Arbeiten von Hornell (1924), Anugraham (1940) und Norr (1972) mit der heutigen Situation, dann wird deutlich, daß ein Wandel in der eingesetzten Netztechnologie stattgefunden hat. Auch wenn Hornell (1924) keine exakten Zahlen hinsichtlich der Anzahl der von ihm beschriebenen Netztypen vornimmt, geht aus seiner Beschreibung hervor, daß zu seiner Zeit das Mada-Valai und das Thuri-Valai die beiden häufigsten Netztypen waren, gefolgt vom Periya Valai. Kiemennetze aus Baumwolle waren den Fischern zwar bekannt, jedoch wenig verbreitet. Bei Anugraham (1940) wird die Bedeutung der einzelnen Netztypen ähnlich angegeben; auch hier liegen keine exakten Zahlen vor. Norr (1972) hingegen beschreibt sehr ausführlich wie in dem von ihr untersuchten Fischerdorf in Madras die einzelnen Netze verteilt waren. Sie zählte drei Strandwadennetze (Periya Valai), sieben Mada Valai, etwa 37 Boat-Seine-Netze (davon: ca. 32 Thuri Valai, 3 Eru Valai und 2 Kola Valai) und mehr als 53 größere Kiemennetze, wovon mehr als die Hälfte aus Nylon hergestellt waren. (Norr 1972: 336-339).
Anläßlich einer Wiederholungsstudie in demselben Fischerdorf aus dem Jahre 1980 wird das Ausmaß im Wandel der Netztechnologie eindrücklich dargestellt.
"Nylon nets were a relatively recent innovation in 1965. Less than a third of the nets in the village were nylon. In 1980, while the total number of nets has remained almost constant, nine of ten nets are nylon. The nylon net is a simple gill net, and its widespread adoption has diminished the importance of more complex fishing techniques and reduced the demand for fishing labor" (Norr/Norr 1982: 114f).
In dem vom Autor untersuchten Fischerdorf kamen bei mehr als 90 Prozent der Fangfahrten Kiemennetze zum Einsatz. Es gab daneben noch vier Periya Valai, die dann regelmäßig eingesetzt wurden, wenn es die Brandungsverhältnisse zuließen und eine geringe Anzahl Mada und Thuri Valai, die jedoch nur noch ganz selten zum Einsatz kommen. Deutlich wird dieser Wandel auch, wenn man die Zählung der Netztypen in der Kleinfischerei für ganz Tamil Nadu betrachtet. So waren 1980 von den 2581 im Stadtgebiet von Madras gezählten Netze 2107 (82%) Kiemennetze, 327 (13%) Schleppnetze (Boat-Seines, Thuri valai), 101 (4%) Taschennetze (bagnets, Mada Valai) und 46 (2%) Strandwadennetze (BOBP 1983).
Die frühere Arbeitsorganisation war für den Zusammenhalt der einzelnen Haushalte im Dorf günstiger als dies heute der Fall ist. Dadurch daß viele Fangoperationen nur in größeren Gruppen durchgeführt werden konnten, war die Notwendigkeit zur Kooperation unter den Fischern groß. Sicherlich war auch das Konfliktpotential deshalb geringer, weil die Machtpositionen im Dorf eindeutiger verteilt waren und nur schwer in Frage gestellt werden konnten.
Mit dem Einzug von Kiemennetzen aus Kunstfasern wurde der Fischfang stark verändert. So sind die neuen Netze z.B. haltbarer und erheblich leichter, so daß längere Netze auf den Fangfahrten mitgeführt werden können. Dies erlaubt es, bei einer Fangoperation ein erheblich größeres Fanggebiet abzudecken. Entscheidend ist jedoch, daß diese Netze im Wasser für die Fische praktisch unsichtbar sind. Die früheren Kiemennetze aus Baumwolle waren nicht fein genug und im Wasser deutlich sichtbar. Mit den Kunststoffnetzen wird dieses Manko überwunden.Der Wandel in der Netztechnologie hat den Fischfang revolutioniert, wenngleich sich gegenwärtig ein deutlicher Rückgang der Fänge abzeichnet. Als Folge der neuen Netztechnologie werden heute die meisten Fangoperationen in Kleingruppen durchgeführt. Einige Fischereiarbeiter konnten zu Besitzern von Produktionsmitteln werden, doch jene, die diesen Schritt nicht machen konnten, sehen sich jedoch zunehmend dem Problem ausgesetzt, eine regelmäßige Anstellung zu erhalten.
14.7 Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Landwirtschaft und Kleinfischerei
Ein Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, aus den Entwicklungen, die seit mehr als 30 Jahren im indischen Fischereisektor stattgefunden haben, Rückschlüsse auf mögliche Entwicklungen für den Agrarbereich des Landes zu ziehen. So wie die Exportorientierung in der Fischerei dazu führte, daß die ursprünglichen Produzenten oftmals aus der Produktion gedrängt wurden, da diese aufgrund der hohen Weltmarktpreise für Garnelen nicht mit wirtschaftlich und politisch einflußreichen Interessensgruppen konkurrieren konnten, kann nicht ausgeschlossen werden, daß ähnliche Verdrängungsprozesse auch im agraren Bereich auftreten. Es ist erklärtes Ziel der indischen Regierung, die Agrarexporte des Landes in naher Zukunft gewaltig zu steigern. Sowohl indische als auch transnationale Agro-Industrien haben in den letzten Jahren bereits große Anstrengungen unternommen, das Exportvolumen landwirtschaftlicher Güter zu steigern. Mit der Liberalisierung des Weltagrarmarktes durch die Auswirkungen der Uruguay-Runde des GATT kann nicht ausgeschlossen werden, daß mittelfristig die Agrarexporte Indiens weiter stark zunehmen.
Für die vorliegende Arbeit von großem Interesse ist, wie sich solche Verlagerungen von Handelströmen auf der lokalen Ebene auswirken. Der Rückgang der Fänge und damit der Einkommen in der Kleinfischerei ist eine dieser Auswirkungen, die statistisch festgestellt werden kann. Es wird allerdings angenommen, daß auch unter den Kleinfischern dieser Verdrängungprozeß nicht gleichmäßig stattgefunden hat, sondern daß auch hier Gruppen zu finden sind, die zumindest zeitweise von den hohen Weltmarktpreisen für Garnelen profitieren konnten, gleichzeitig aber von Entwicklungen auf dem Weltmarkt sehr stark abhängig wurden. Bevor dies allerdings vertieft werden kann und bevor Rückschlüsse von der Kleinfischerei auf Kleinproduzenten in der Landwirtschaft gezogen werden können, soll kurz herausgestellt werden, in wie weit sich die Kleinfischerei und der kleinbäuerliche Bereich überhaupt vergleichen lassen und welche internen Auswirkungen die verstärkte Exportorientierung auf die Kleinfischer hatten.
Das Einkommen in der Fischerei ist sehr großen Schwankungen ausgesetzt. Perioden, in denen die Fischer über einen längeren Zeitraum kaum oder überhaupt nichts fangen, wechseln sich mit solchen ab, in denen es ein kontinuierliches Einkommen gibt. Mitunter werden an einem einzigen Tag Fangergebnisse erzielt, die tausende von Rupien pro Fischerteam überschreiten.
So wurden z.B. zwischen dem 16. und 20. Dezember 1984 in Kovalam, einem Fischerdorf etwa 35 km südlich von Madras, insgesamt 13,5 Tonnen Garnelen (Penaeus indicus, Indian white shrimp) gefangen, die einen Verkaufserlös von fast einer halben Million Rupien einbrachten. Bemerkenswert an diesem Fang war zudem, daß Fischerteams von weither angereist waren, um ebenfalls von dem außergewöhnlichen Garnelenvorkommen zu profitieren.
"In this heavy fishing at Kovalam, fishermen from Thevanampatnam (121 km south of Kovalam) to Royapuram (nothern part of Madras city) participated. They transported their catamarans by lorries to Kovalam. The news of white prawn catch was conveyed even to the far off fishermen through postal communication by their friends and relatives from Kovalam and nearby villages" (MFIS, Oktober 1985:15ff).
Innerhalb von zwei Tagen hatte sich die Anzahl der eingesetzten Kattumarame in Kovalam etwa verzehnfacht.1 Einen ebenfalls außergewöhnlichen Fang hatten im Juli 1989 die Fischer dreier Dörfer am südlichen Stadtrand von Madras. Innerhalb von drei Tagen fingen sie mehr als 7,5 Tonnen Garnelen (Metapenaeus dobsoni; flower-tail shrimp). Allein am 16. Juli wurden von lediglich sechs Teams mehr als drei Tonnen gefangen, die für 68.508 Rs verkauft werden konnten (MFIS, Mai 1989: 8). Der bislang wahrscheinlich größte dokumentierte Einzelfang aus der Gegend um Madras stammt vom August 1988, als in einem Fischerdorf nördlich von Madras an einem einzigen Tag etwa 20 Tonnen Welse (Tachysurus Dussumieri, Dussumier's cat fish) gefangen wurden. Ein einziger Kattumaram brachte es dabei auf 14 Tonnen, die einen Verkaufserlös von über 100.000 Rs einbrachten (MFIS, August 1989:14).
Solch hohe Einzelfänge sind sicherlich nicht die Regel in der Kleinfischerei, sie sind aber auch nicht vollkommen auszuschließen. Sie dokumenieren anschaulich, daß die Einkommen der Fischer nur schwer vorhersehbar sind und in relativ kurzer Zeit gewaltige Erlöse erzielt werden können.
Anders als in der Landwirtschaft, in der die Landwirte ihr Einkommen am Ende einer längeren Anbauperiode mit der Vermarktung der Ernte erzielen, fällt in der Fischerei das Einkommen dann an, wenn tatsächlich gefischt werden kann und dabei auch etwas gefangen wird. Das Einkommen eines Landwirtes in Indien besteht in der Regel aus einer größeren Geldsumme sowie einem Teil der Anbauprodukte. Dies muß ausreichen, um die Familie bis zur nächsten Ernte zu versorgen und gleichzeitig auch die Ausgaben für die nächste Anbauperiode zu bestreiten. Je nach Anbausystem finden innerhalb eines Wirtschaftsjahres nur wenige Ernten statt. Ziel landwirtschaftlicher Betätigung ist es, die unterschiedlichen Phasen - von der Aussaat bis zur Ernte - so zu gestalten, daß das Ernteergebnis die Lebensfähigkeit des Betriebes/der Menschen aufrechterhalten kann.
Das Einkommen in der Fischerei hingegen setzt sich aus vielen Tageseinkommen zusammen; die wirtschaftliche Situation eines Fischers läßt sich erst durch Beobachtungen über einen längeren Zeitraum beurteilen. Perioden, die keine oder nur geringe Einkommen bringen, müssen durch Perioden ausgeglichen werden, in denen die Fänge überdurchschnittlich hoch sind, will der Fischer nicht in einen Verschuldungskreislauf geraten.
In der Regel behält ein Landwirt einen Teil seiner Ernte für den Eigenbedarf. Dies ist in der Fischerei, zumindest über einen Zeitraum von wenigen Tagen hinaus, nicht möglich, ohne die Qualität des Fisches stark zu vermindern. Ein Fischer kann zwar vom Tagesfang für den Verbrauch seiner Familie einige Fische beiseite legen, er wird aber schwerlich Vorräte für einen längeren Zeitraum bilden.2
Beide Arten der Einkommenserzielung haben ihre Vor- und Nachteile. Ein Landwirt ist gegenüber großen Abweichungen bei den natürlichen Rahmenbedingungen verwundbarer als ein Fischer. Zu geringe oder zu hohe Niederschläge können z.B. den Arbeits- und Kapitaleinsatz einer ganzen Anbauperiode zunichte machen und die Familie des Landwirts in ihrer Existenz bedrohen. Die Verhältnisse in der Fischerei sind hier deutlich anders. Eine unergiebige oder gar ausgefallene Fangfahrt bedeutet nicht den Ruin des Fischers. Erst wenn über eine längere Zeit hinweg die Erträge ausbleiben oder regelmäßig zu niedrig sind, tritt für ihn eine bedrohliche Situation ein.
Hinsichtlich der Gewichtung und Organisation von Produktionsfaktoren unterscheidet sich die Fischerei wesentlich von der Landwirtschaft. Hier ist der wichtigste Produktionsfaktor das Land, das in aller Regel in privaten Händen ist. In der indischen Küstenfischerei gibt es - mit wenigen Ausnahmen - keinen individuellen Besitz an Fanggründen, sondern das Meer ist eine allen - auch dorffremden- Gruppen zugängliche Ressource. Norr (1972) will dagegen festgestellt haben, daß den einzelnen Fischerdörfern bestimmte Fischgründe zugeordnet sind.
"Although individuals do not have rights to particular places to fish, villages as a whole do have rights to specific fishing grounds" (Norr 1972:88).
Während der Feldforschung konnte für diese Beobachtung keine Bestätigung gefunden werden; ganz im Gegenteil: es spricht sehr viel dafür, daß dies auch in früheren Zeiten nie der Fall war. Erstens war wegen des geringeren Ressourcendrucks eine solche Regelung früher weniger notwendig als sie es heute wäre, und zweitens können sich die älteren Fischer aus Nochikuppam nicht daran erinnern, daß solche Regelungen früher einmal bestanden. Norr hatte ihre Feldforschung Ende der 60er Jahre durchgeführt, so daß sich auch heute noch viele Fischer an solche Besitzrechte erinnern müßten, hätten sie jemals existiert.1 Drei Arten von Besitzrechten hat es allerdings früher in der Meeresfischerei von Tamil Nadu gegeben, zwei davon haben auch noch heute Bestand. Die Strandwaden können nur an dem Strandabschnitt eingesetzt werden, der zum jeweiligen Fischerdorf gehört. Wird dieses ungeschriebene Gesetz gebrochen, sind gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen den betroffenen Fischerdörfern nahezu unausweichlich.2 Weiterhin galt, daß ein Fischer sein Netz nur so ausbringen darf, daß kein anderer Fischer, der bereits in dem entsprechenden Gebiet fischt, beeinträchtigt wird. Durch die immer länger werdenden Netze läßt es sich nie vollkommen ausschließen, daß sich zwei Netze ineinander verfangen, zumal die meisten Netze nicht stationär, sondern frei im Wasser schwebend sind. Auseinandersetzungen zwischen Fischern aus diesem Grund sind zwar nicht selten, aber auch nicht besonders intensiv. In den meisten Fällen findet ein verbaler Schlagabtausch statt; sofern das Netz eines Fischers beschädigt wurde, wird dieser eine Entschädigung fordern. Notfalls wird der Streit dem Dorfrat zur Entscheidung vorgelegt. Früher hatten auch wenige Familien das Recht Kambis zu errichten. Dazu wurden ihnen bestimmte Meeresgebiete zugewiesen, die nicht von anderen Fischern ohne deren Erlaubnis abgefischt werden durften. Durch den Bedeutungsverlust der Kambifischerei ist diese Regelung heute weitgehend hinfällig geworden und führt dort, wo dieses alte Recht wieder eingeführt werden soll, zu heftigen Konflikten unter den Fischern (Weber 1989).
Da das Meer eine i.d.R. allen am Fang Interessierten zugängliche Ressource ist, tritt die Bedeutung der natürlichen Produktionsfaktoren zugunsten des Kapitalvermögens zurück. Von einem "reichen" Fischerhaushalt kann deshalb nicht gesprochen werden, wenn er etwa über ein großes Seegebiet verfügen kann. Der Status eines Fischers richtet sich vielmehr nach seinen Produktionmitteln und dem Produktionsfaktor Arbeit. Je mehr Produktionsmittel (Boote und Netze) und je mehr Arbeitskräfte zum Haushalt zählen, desto höher ist i.d.R. der sozio-ökonomische Status.
Da die Fischerei eine aneignende Wirtschaftsform ist, befindet sich jeder Fischer mit seinen Berufskollegen in dauerhafter Konkurrenz, vergleichbar mit Landwirten, die um begrenzte Wasservorkommen konkurrieren. Wirtschaftliche Konzentrationsprozesse manifestieren sich im Besitz von Produktionsmitteln. Ein Fischereiarbeiter, der zum Fischer aufsteigen will, muß demnach Produktionsmittel erwerben. So schlüssig diese Feststellung erscheint, ist sie doch grundlegend für die Bedingungen sozialer Mobilität in der Fischerei. Wenn später festgestellt wird, daß manche Fischer offensiv zu verhindern suchen, daß Fischereiarbeiter staatliche Kredite zum Kauf von Booten und Netzen erhalten, dann geschieht dies nicht nur, um diese Kredite in die eigenen Taschen umzulenken, sondern auch, um die wirtschaftliche und soziale Struktur aufrechtzuerhalten.
Wenn bislang produktionsmittelbesitzende Fischer mit Landwirten verglichen wurden, dann bietet sich nun ein entsprechender Vergleich zwischen Fischereiarbeitern und Landarbeitern an. Hier besteht der größte Unterschied in der Bezahlung. Ein Landarbeiter erhält in der Regel einen festen Arbeitslohn, der sich nach der Anzahl der Tage bemißt, an denen er tatsächlich gearbeitet hat. Dieser Lohn wird entweder in Geld ausbezahlt oder in Form von Naturalien. Teilweise treten auch Mischformen auf. Soziale Verbindungen, die über diesen ökonomischen Aspekt hinausgehen, haben in vielen Teilen Indiens in Form des Jajmani-Systems in der Vergangenheit eine große Rolle gespielt, sind heute jedoch zumeist nur noch rudimentär vorhanden. Hinweise, daß "jajmani-ähnliche" Beziehungen in der Kleinfischerei Tamil Nadus bestanden haben, finden sich nirgends. Norr (1972) schließt solche Austauschbeziehungen für ihr untersuchtes Fischerdorf in Madras aus, wenngleich ihre Argumentation nicht zufriedenstellen kann:
"Ocean fishing is not part of the jajmani system in the area where Minakuppam is located. While it might be possible for fishermen to trade their fish for grain with particular agricultural families, it is not a very likely arrangement. The catch of ocean fishermen is usually too large to make such a personalised system of distribution successful. More important, Brahmins and some other high castes are vegetarian. For other castes, fish is a luxury rather than a necessity. Therefore, neither Brahmin nor middle caste land owners are likely to pledge part of their harvest in exchange for fish" (Norr 1972:13).
Ein Fischereiarbeiter hat im Gegensatz zu einem Landarbeiter keinen festen Arbeitslohn. Sein Einkommen richtet sich nach der Höhe des Fanges. Sowohl in der Landwirtschaft wie auch in der Fischerei gibt es hinsichtlich der Arbeitsmöglichkeiten starke jahreszeitliche Schwankungen. Arbeitsspitzen wechseln sich mit Perioden geringen Arbeitskräftebedarfs ab. Wichtig ist daher, daß ein dauerhaftes Arbeitsverhältnis hergestellt werden kann, um auch in Zeiten geringeren Arbeitskräftebedarfs eine Anstellung und damit ein Einkommen zu haben. Während des Arbeitsprozesses führen die Fischereiarbeiter immer dieselben Tätigkeiten aus wie ihre Arbeitgeber. Dies ist in der Landwirtschaft nur selten der Fall. Hier ist die Organisation der Arbeit weitaus hierarchischer geregelt. Ein weiterer bedeutsamer Unterschied zwischen Landwirtschaft und Kleinfischerei besteht darin, daß in der Kleinfischerei Arbeiter und Besitzer von Produktionsmitteln ein und derselben Kaste angehören; zudem sind viele Fischereiarbeiter mit ihren Arbeitgebern verwandtschaftlich verbunden.
Die Kleinfischerei an der nördlichen Coramandelküste war wahrscheinlich nie eine reine Subsistenzwirtschaft. Die naturräumlichen Bedingungen lassen es nicht zu, daß im sandigen Küstenbereich Agrarprodukte in nennenswertem Umfang angebaut werden, sieht man von einigen Baumkulturen und verschiedenen Gemüsearten einmal ab.
Die von Norr angesprochene isolierte Lage der Fischerdörfer (Norr 1972:261), die außerhalb von Madras auch heute noch geradezu idealtypisch anzutreffen ist, mag sehr wohl auf den niedrigen gesellschaftlichen Status der Fischer zurückzuführen sein. In diesem Fall wären die Fischerdörfer vergleichbar mit den Siedlungsgebieten der Harijans, die nicht selten isoliert von den Siedlungsgebieten der Kastenhindus liegen. Ohne Zweifel haben aber auch die widrigen Anbaubedingungen der Küstenstreifen dazu geführt, daß außer den Fischern dort kaum andere Kasten- bzw. Berufsgruppen anzutreffen sind.1
Die Fischer hatten wahrscheinlich schon immer intensiven Kontakt mit landwirtschaftlichen Gruppen, wobei es allerdings Spekulation bleiben muß, ob der Austausch zwischen diesen beiden Gruppen natural oder monetär war. Für letzteres würde z.B. sprechen, daß es sich bei Fisch um eine leicht verderbliche Ware handelt und somit keine Vorräte für Zeiten angelegt werden können, in denen der Fischfang unmöglich ist. Deshalb ist es nicht unwahrscheinlich, daß die Fischer bereits vor vielen Generationen für solche Zeiten Geldvermögen angespart haben. Für eine sehr frühe Monetarisierung des Fischhandels spricht auch, daß noch heute das Kredit- und Sparwesen in den Fischerdörfern sehr gut ausgebaut ist und eine entscheidende Rolle in der Fischereiökonomie spielt. Zumindest in dem Zeitraum, der durch Aussagen älterer Fischer abgedeckt werden kann, wurde der Handel mit Fischen immer monetär betrieben (vgl. Anugraham 1940:101).
15 Die Analyse der Fangergebnisse im Zeitraum vom Mai 1991 - August 1992
Um im Rahmen der vorliegenden Arbeit eine realistische Vorstellung über die Höhe der in der Kleinfischerei erzielten Einkommen zu erhalten, wurden 16 Monate lang täglich die Fänge von 37 Fischerteams festgehalten.1 Neben der Ermittlung des Einkommens sollte auch festgestellt werden, welchen Schwankungen dieses sowohl hinsichtlich der verschiedenen Jahreszeiten als auch in Bezug auf verschiedene Fischerteams unterliegt. Gleichzeitig konnte ermittelt werden, wie sich das Einkommen der produktionsmittelbesitzenden Fischer von dem der Fischereiarbeiter unterscheidet.
15.1 Finanzierung der an der Untersuchung teilgenommenen Boote
Bei der Untersuchung wurde lediglich die Kattumaramfischerei berücksichtigt.2 Die dabei eingesetzten Boote waren zwischen sechs und neun Meter lang und zwischen null und zehn Jahre alt. Der Neupreis lag - je nach Größe und Alter - zwischen 3500 Rs und 10.000 Rs. Finanziert wurden die Boote in erster Linie durch Eigenkapital in Form von angespartem Bargeld und Auszahlungen aus Chit-Funds. 3
Tab. 43: Finanzierung der Kattumarame der untersuchten Fischerteams
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Bei der Verwendung von Fremdkapital waren die Pfandleiher die wichtigste Kapitalquelle, gefolgt von Krediten, die bei Verwandten aufgenommen wurden. Geldverleiher wurden relativ selten als Kapitalquelle herangezogen und wenn, dann wurden bei ihnen nur relativ kleine Kredite aufgenommen. In einem Fall wurde ein Kredit genutzt, der einem Angehörigen des öffentlichen Dienstes zustand (provident-fund loan). In drei Fällen wurde der Kauf dadurch mitfinanziert, daß der bislang genutzte Kattumaram verkauft wurde. Auffallend ist, daß zum Kauf eines Bootes immer mehrere - bis zu fünf - unterschiedliche Kapitalquellen ausgeschöpft wurden. Bis auf zehn Fälle waren zum Zeitpunkt der Erhebung (April 1991) alle Schulden zurückbezahlt. Bei den noch belasteten Booten stand in einem Fall noch eine Teilrückzahlung an Verwandte aus, für die keine Zinsen erhoben wurden.
Die übrigen neun Boote waren noch durch Außenstände bei einem Pfandleiher belastet, wofür monatlich1 Zinsen zwischen zwei und fünf Prozent entrichtet werden mußten. Für diese Schulden wurden zum Zeitpunkt der Erhebung lediglich die Zinsen bezahlt. Tilgungen wurden nur dann vorgenommen, wenn der ausstehende Betrag als Ganzes angespart war. Das Pfand kann erst dann ausgelöst werden, wenn der Pfandleiher den ausgeliehenen Gesamtbetrag erhält. Das Verhältnis zwischen aufgewendetem Kapital und ausstehenden Schulden betrug knapp 10 Prozent.
Alle Kattumarame, die von ihrem Besitzer zum Zeitpunkt der Erhebung bereits länger als vier Jahre genutzt wurden, waren schuldenfrei. Bei den noch mit Schulden belasteten Booten waren jene Kredite vollkommen zurückbezahlt, die bei einem Geldverleiher aufgenommen worden waren. Diese Kredite, die zu Zinssätzen zwischen fünf und 15 Prozent monatlich vergeben werden, können in Raten zurückbezahlt werden und werden im allgemeinen als erstes getilgt. Für die ausstehenden Kreditrückzahlungen fielen bei den Bootsbesitzern monatliche Zins-belastungen zwischen 30 und 100 Rs an. Es kann aber davon ausgegangen werden, daß ein Teil der ausstehenden Kreditsummen nur deshalb nicht zurückbezahlt wurde, weil das Geld in-zwischen anderweitig gebunden war. In manchen Fällen wurde ein neues Netz angeschafft, meistens jedoch das Geld zu einem höheren Zinssatz weiterverliehen.
15.2 Finanzierung der Netze
Insgesamt waren die Besitzer der 37 Kattumarame mit 111 Netzen ausgerüstet. Von allen Netzarten war das Kavalai Valai am häufigsten verbreitet. Jeder der Bootsbesitzer hatte ein solches Netz. An zweiter Stelle folgte das Mani Valai, das bei 35 der Bootsbesitzer vorhanden war. Ein Thatta-Kavalai Valai gab es bereits weitaus seltener, trotzdem besaßen mehr als der Hälfte der Bootsbesitzer ein solches Netz. Am wenigsten verbreitet war das Kolla Valai.
Auf 20 Booten wurden auch Netze eingesetzt, die nicht Eigentum des jeweiligen Bootsbesitzers waren. In diesen Fällen wurde das Netz von einem haushaltsfremden Fischer eingebracht, der dafür einen zusätzlichen Fanganteil erhielt. Bei vier Fischerteams betraf dies zwei Netztypen, bei einem sogar drei. Am häufigsten wurde ein Thatta-Kavalai Valai von haushaltsfremden Fischern eingebracht, gefolgt vom Kolla Valai und vom Mani Valai.
Bei zehn Fischerteams kam ein Kolla Valai während des gesamten Untersuchungszeitraums nicht zum Einsatz, während alle anderen Netzarten von allen Fischerteams eingesetzt wurden. Zusätzlich zu den vier unterschiedlichen Kiemennetzarten betrieben acht Fischerteams auch Leinenfischerei,1 wobei allerdings nur zwei Boote dies in nennenswertem Ausmaß taten. Schließlich haben sich drei der untersuchten Fischerteams auch an Fängen mit einem Mada Valai beteiligt.
Der Gesamtumfang der Investitionen für die Anschaffung von Netzen erreichte Größenordnungen bis zu 26.000 Rs. Das meiste Kapital wurde für den Kauf von Kavalai Valais verwendet, nicht nur, weil diese Netze am häufigsten verbreitet sind, sondern weil diese Netze bei weitem die größten und damit auch teuersten Kiemennetze sind. Das investierte Kapital für diese Netzart erreichte beinahe die Höhe der Investitionen für alle drei anderen Netzarten zusammen.
Tab. 44: Finanzierung der Netze der untersuchten Fischerteams
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Hinsichtlich der Finanzierungsquellen für die Netze spiegelte sich der Trend wider, der bereits bei der Finanzierung der Kattumarame beobachtet wurde. Die Finanzierung wurde regelmäßig durch mehrere Kapitalquellen sichergestellt. Wie schon bei den Booten, war auch hier die Kreditaufnahme bei Verwandten eine Ausnahme. Obwohl solche Kredite in aller Regel zinslos sind, wurde verhältnismäßig selten auf sie zurückgegriffen und auch erst dann, wenn andere Kreditquellen - mit Ausnahme des Geldverleihers - ausgeschöpft waren.
Am häufigsten wurde die Finanzierung durch Kapital in Form von Barvermögen bzw. als Sparkapital aus einem Chit-Fund sichergestellt, gefolgt von Krediten, die bei einem Pfandleiher aufgenommen wurden. Relativ unbedeutend waren auch hier Kredite von Geldverleihern. Wie bei den Kattumaramen war der Anteil ausstehender Kredite, gemessen am gesamten Investitionsvolumen, recht gering. Auch hier handelte es sich bei den noch nicht zurückbezahlten Krediten im allgemeinen um solche, die bei Pfandleihern aufgenommen worden waren.
Bei den Netzen war das Verhältnis zwischen investiertem Kapital und ausstehenden Schulden mit etwa 13 Prozent geringfügig ungünstiger als bei den Booten, was durch die kürzere Lebensdauer der Netze erklärt werden kann. Während ein neuer Kattumaram i.d.R. nach etwa acht Jahren angeschafft werden muß, ist bei einem Netz eine Neuanschaffung nach etwa vier bis fünf Jahren fällig. Gerade beim Erwerb eines Kavalai Valai, das bei der Neuanschaffung durchaus so teuer wie ein Kattumaram sein kann, kommt eine erhebliche finanzielle Belastung auf den Fischer zu.
Die Fischer versuchen, ihre Netze in einem festen Rythmus durch neue zu ersetzen. Sie sind dann nicht dazu gezwungen, in einem Jahr die Finanzierung zweier Netze aufbringen zu müssen. Jede Abweichung von diesem Rythmus kann den Fischer in finanzielle Not stürzen, z.B. wenn ein Netz verloren geht oder durch einen Trawler zerstört wird. Dennoch kann das Verhältnis zwischen investiertem Kapital und ausstehenden Schulden auch bei den Netzen als günstig bezeichnet werden. Solange keine großen Fangeinbußen eintreten, wird jeder der untersuchten Fischer diese Belastung aufbringen können.
15.3 Darstellung der Ergebnisse der Fanguntersuchung
Fangfahrten
Der Untersuchungszeitraum umfaßte 489 Tage; bei 37 untersuchten Fischerbooten ergeben sich daraus 18093 mögliche Fangtage. An ca. 55 Prozent dieser Tage fuhren die Fischer tatsächlich zum Fang aus, wobei aber nur an 43 Prozent der Tage so viel gefangen wurde, daß eine Vermarktung sich lohnte.
Abb. 14: Anzahl der Tage ohne Fangfahrten
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
An 12 Prozent der Fangtage wurde entweder überhaupt nichts gefangen, oder die Fänge waren so gering, daß es sich nicht lohnte sie zu vermarkten: die gefangenen Fische wurden dann zu gleichen Teilen1 unter der Bootsbesatzung für den Verbrauch in den eigenen Haushalten aufgeteilt. An 45 Prozent der möglichen Fangtage wurden keine Fangfahrten unternommen. Ungünstige Witterungsverhältnisse können jedoch nur teilweise für die vielen Tage ohne Fangfahrten verantwortlich gemacht werden.
Tab. 45: Fangfahrten während des Untersuchungszeitraums
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Bei den einzelnen Booten unterscheidet sich dieser Anteil um bis zu 26 Prozent. So fuhr das Boot mit den meisten Fangfahrten immer-hin 332 Mal zum Fischen aus, während dies bei dem Boot mit den wenigsten Fang-fahrten lediglich an 203 Tagen der Fall war. Häufig fielen Fangfahrten deshalb aus, weil nur wenige Fische im Meer vermutet wurden. In Perioden, in denen Fangfahrten aus diesem Grund ausgefallen sind, wurde häufig auch angegeben, daß nicht genügend Arbeitskräfte für eine Fangfahrt gefunden werden konnten. Die Entscheidung, eine Fangfahrt zu unternehmen, richtet sich also nicht nur danach, ob dies von den Witterungsverhältnissen her möglich ist, sondern auch, ob sich der Arbeitsaufwand rentiert. Der zweithäufigste Grund, eine Fangfahrt ausfallen zu lassen, war stürmisches Wetter. Dies war erwartungsgemäß besonders häufig in den Monaten Oktober, November und Dezember der Fall. Weitere bedeutende Ursachen für ausgefallene Fangfahrten waren geringe Windstärken oder ungünstige Windrichtungen. Insgesamt fielen in den Monaten März, April und Mai des Jahres 1992 die meisten Fangfahrten aus. Viele Fischer gingen in diesen Monaten gar nicht zum Fischen. Bei günstigeren Windverhältnissen hätten sie den Fang von Fliegenden Fischen in diesen Monaten intensiver betrieben. Anders in den Monaten Oktober 1991 bis Januar 1992, während denen der Fischfang häufig wegen zu starker Winde nicht möglich war. Die Anzahl der Fangfahrten schwankte von Monat zu Monat erheblich. Mit 90 Fangfahrten fiel der April 1992 für die Fischer fast vollständig aus. Statistisch gesehen entfielen in diesem Monat weniger als drei Fangfahrten auf jedes der 37 Boote. Der Mai 1991 stand dagegen mit insgesamt 950 Fangfahrten deutlich an der Spitze.
Fangeinnahmen
Insgesamt wurde von den 37 Teams in 16 Monaten Fisch im Wert von fast 1,2 Mio. Rs gefangen. Der bei weitem größte Anteil wurde mit Kiemennetzen gefangen, wobei das Kavalai Valai mit einem Fangwert von über 600.000 Rs etwas mehr als die Hälfte des Gesamtergebnisses einbrachte.
Tab. 46: Wert der vermarkteten Fänge nach Netztypen und Fischerteams (in Rs)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
An zweiter Stelle folgt das Mani Valai, mit dem etwas mehr als ein Viertel des Gesamtwertes erwirtschaftet wurde, gefolgt vom Thatta-Kavalai Valai mit etwa zehn Prozent, dem Kolla Valai mit etwa acht Prozent, den Angelleinen mit zwei und schließlich dem Mada Valai mit gerade einem Prozent des Gesamtwertes der vermarkteten Fische. Die Kiemennetze haben damit etwa 97 Prozent der Gesamtfangerlöse eingebracht. Bei den Ergebnissen der einzelnen Fischerteams zeigten sich sehr große Unterschiede. Das Boot mit dem niedrigsten Ergebnis konnte einen Fangwert von 16.625 Rs erzielen, während das Boot mit dem höchsten Ergebnis mit 49.479 Rs wertmäßig fast das Dreifache erwirtschaftete. Durchschnittlich entfiel auf jedes Fischerboot ein Fangerlös von etwas mehr als 32.000 Rs.
Der Erlös einer einzigen Fangfahrt lag pro Boot zwischen 100 und 200 Rs. Der Mittelwert betrug etwa 150 Rs. Es war also weniger die Höhe des Fangwertes pro Fangfahrt als vielmehr die Anzahl der unternommenen Fangfahrten, die das Einkommen der einzelnen Fischerteams bestimmte. Die große Diskrepanz zwischen den einzelnen Booten kann jedoch auf diese Weise nicht vollständig erklärt werden. So weisen die Boote mit den höchsten Fangerlösen auch regelmäßig überdurchschnittliche Werte bei den einzelnen Fangfahrten auf.
Obwohl mit dem Kavalai Valai wertmäßig mehr als die Hälfte des Fisches gefangen wurde, erbrachte dieses Netz mit 125 Rs pro Fangfahrt ein eher niedriges Ergebnis. Lediglich das Thatta-Kavalai Valai lag mit 98 Rs pro Fangfahrt noch niedriger.
Tab. 47: Durchschnittlicher Wert der Fänge nach Netztypen (in Rs)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Deutlich höher als bei den Kiemennetzen waren (mit Ausnahme des Mani Valais) die entsprechenden Werte bei der Leinenfischerei (343 Rs), beim Mani Valai (391 Rs) und beim Mada Valai, das mit durchschnittlich 767 Rs pro Fangfahrt das beste Ergebnis erzielte.
Tab. 48: Aufteilung der Fangergebnisse nach Netztyp und Wertegruppen
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Kavalai Valai und Thatta-Kavalai Valai waren jene Netzarten, die zwar realtiv niedrigere Erlöse einbrachten. Sie wurden jedoch praktisch das gesamte Jahr über verwendet, während die übrigen Netze nur eine kurze Periode im Jahr eingesetzt werden konnten, dann aber meistens sehr gute Fangergebnisse erzielten.
Beim Kavalai Valai hatten mehr als die Hälfte der Fänge einen Wert von bis zu 100 Rs. Lediglich beim Thatta-Kavalai Valai war der Anteil der niedrigen Fangwerte mit 71 Prozent noch größer. Ganz anders die Fangergebnisse mit dem Mani Valai: Etwa die Hälfte aller Fänge erbrachten einen Wert von über 200 Rs. Bei fast 10 Prozent der Fahrten wurden Garnelen im Wert von über 1000 Rs gefangen. Von den insgesamt 88 Fangfahrten, die einen Erlös von jeweils mehr als 1000 Rs einbrachten, entfielen mit 83 Fahrten weit über 90 Prozent auf dieses Netz. Auch die beiden höchsten Fänge mit jeweils 4000 Rs wurden mit einem solchen Netz erzielt.
Sehr große Schwankungen im Fangerlös traten in den verschiedenen untersuchten Monaten auf. Das niedrigste Monatsergebnis der gesamten 37 Teams wurde mit unter 10.000 Rs im April 1992 erzielt, das höchste im Dezember 1991 mit fast 200.000 Rs. Dieser gewaltige Unterschied liegt zum einen in den durchschnittlichen Erlösen pro Fangfahrt und zum anderen in der Anzahl der unternommenen Fangfahrten der jeweiligen Monate.
Tab. 49: Fangergebnisse nach Netztypen und Monate
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die Fänge im November und Dezember 1991 wichen hinsichtlich der durchschnittlichen Erlöse pro Fangfahrt erheblich von den Durchschnittswerten der übrigen Monate ab. Mit 336 Rs/Fangfahrt (November 1991) und 457 Rs pro Fangfahrt (Dezember 1991) lagen die Werte mehr als doppelt so hoch wie der Durchschnittswert für den gesamten Untersuchungszeitraum. Diese beiden Monate nahmen in vielerlei Hinsicht eine Sonderrolle ein. Absolut gesehen wurden in diesen beiden Monaten bei weitem die höchsten Fangerlöse erzielt, obwohl die Anzahl der Fangtage unterdurchschnittlich war. Betrachtet man diese beiden Monate etwas genauer, wird man feststellen, daß es im Grunde genommen nur die beiden Wochen zwischen dem 27. November und dem 10. Dezember 1991 waren, die ein solch hohes Ergebnis bewirkt haben. Während dieser 14 Tage1 wurde mit über 250.000 Rs etwa 20 Prozent des Gesamtergebnisses aus 16 Monaten erzielt.
Tab. 50: Fangergebnisse zwischen dem 27. November und 10. Dezember 1991 (in Rs)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Bei nahezu allen Fangfahrten in diesem Zeitraum wurde das Mani Valai eingesetzt. Von den Fangfahrten mit einem Erlös von jeweils über 1000 Rs wurden die meisten während dieser Zeit unternommen. Bei den einzelnen Fischerteams waren die Fangergebnisse in dieser Periode sehr unterschiedlich. Sie reichten von 400 Rs (T 21) bis 14.325 Rs (T 37). Zwischen zwei (T 21) und 33 Prozent (T 28) des Gesamtfangwertes aus 16 Monaten wurde während dieser Zeitspanne von den einzelnen Teams gefangen, wobei der durchschnittliche Wert zwischen 200 Rs (T 21) und 1268 Rs (T 34) betrug. Am 8. Dezember 1991 wurde mit insgesamt 47.375 Rs am meisten verdient. Die 32 Boote, die an diesem Tag zum Fang ausfuhren, verdienten durchschnittlich 1480 Rs. Das drittbeste Monatsergebnis lag mit 181 Rs pro Fangfahrt - erzielt im Mai 1992 - deutlich unter diesen beiden Spitzenwerten aus den Monaten November/Dezember 1991.
Das Kavalai Valai wurde in allen Monaten eingesetzt und hat bis auf die Periode der Garnelenfangzeit (November und Dezember 1991) sowie dem Juni 1991 und 1992 immer die höchsten Fangergebnisse erzielt. Im Juni 1991 wurde es vom Kolla Valai und vom Thatta-Kavalai Valai übertroffen, die in diesem Monat beide zum Fang von Fliegenden Fischen eingesetzt wurden. Im Juni 1992 reichten die Fänge mit dem Mani Valai beinahe an das Ergebnis heran, das mit dem Kavalai Valai erzielt wurde, da in diesem Monat die Garnelenfänge für diese Jahreszeit außergewöhnlich gut waren. Im März und April 1992 erreichten sowohl die Anzahl der unternommenen Fangfahrten als auch die durchschnittlichen Fangerlöse pro Fangfahrt jeweils die niedrigsten Werte. Die addierten Fangerlöse beider Monate machen gerade die Hälfte des drittschlechtesten Monats (Januar 1992) aus.
15.4 Aufteilung der Fangerlöse
Bislang wurden lediglich die Fangergebnisse als solche dargestellt, ohne zu berücksichtigen, daß die am Fang beteiligten Personen unterschiedlich stark vom Fang profitieren. Die vorliegenden Daten geben nun das Einkommen des Bootsbesitzers vollständig wieder, die Einkommen der Arbeitskräfte und haushaltsfremden Netzbesitzer jedoch nur in so weit, wie diese Einkommen auf dem jeweils untersuchten Boot erzielt wurden. Nicht erhoben wurden jedoch die Einkommen, die auf Booten erzielt wurden, die nicht in die Untersuchung einbezogen waren. Das genaue Einkommen der Fischereiarbeiter wurde also nicht täglich erhoben, sondern hochgerechnet. Bekannt war dabei die Höhe der Anteile für Arbeitskräfte auf den untersuchten Booten sowie die Anzahl der dort geleisteten Fangfahrten. Darüberhinaus war abzuschätzen, wie hoch die Einkommen auf anderen Booten während des Untersuchungszeitraums höchstens gewesen sein konnten, um so die ungefähre Höhe des Gesamteinkommens zu ermitteln. Grundlage für diese Berechnung bildete das durchschnittliche, das Mindest- und das Höchsteinkommen eines Fischereiarbeiters während einer Fangfahrt, das mit den durchschnittlichen Fangtagen während eines Monats multipliziert wurde. Durch diese Methode wurde die Spannbreite des Einkommens ermittelt, das ein Fischereiarbeiter monat-lich erwarten kann. Zusätzlich wurden die Einkommen von acht Haushalten von Fischerei-arbeitern festgehalten, so daß eine Überprüfung der errechneten Einkommen möglich wurde.
15.4.1 Arbeitskräfte- und Netzeinsatz während des Untersuchungszeitraums
Bei allen Kiemennetzen wird zum Fang immer nur ein einziger Kattumaram eingesetzt. Die Anzahl der mitgeführten Netze und der Arbeitskräfte kann jedoch aus unterschiedlichen Gründen variieren. Bei starken Brandungswellen wird eine größere Bootsbesatzung benötigt, um das Boot durch die Brandung zu bringen. Das Fangergebnis selbst ist weitgehend unabhängig von der An-zahl der Arbeitskräfte auf dem Boot. Die Zahl der mitgeführten Netze wird im wesentlichen vom erwarteten Fischreichtum bestimmt. Ist dieser voraussichtlich gering, werden mehrere gleichartige Netze aneinandergereiht, um ein größeres Meeresgebiet abfischen zu können; aber auch in besonders guten Fangperioden werden häufig mehrere Netze mitgeführt, da ein einziges Netz oft nicht ausreicht, um die gefangenen Fische aufzunehmen. Durch den Einsatz eines zusätzlichen Netzes verdoppelt sich gewöhnlich der Fangbetrag ebensowenig wie wenn eine zusätzliche Arbeitskraft vorhanden ist. Mit jedem Netz und jeder zusätzlichen Arbeitskraft sinkt daher der Anteil eines einzelnen Fischers/Fischereiarbeiters und schmälert das Haushaltseinkommen, sofern die zusätzlichen Netze und Arbeitskräfte von außerhalb des Haushalts des Bootsbesitzers stammen.
Während der Untersuchung schwankte die Anzahl der eingesetzten Netze zwischen einem und drei Netzen und die der Arbeitskräfte zwischen einer und vier. Zehn unterschiedliche Kombinationen traten dabei auf, wobei in lediglich sieben Fällen eine einzelne Person mit einem einzigen Netz zum Fang ausfuhr. Am häufigsten waren bei den Fangfahrten drei Personen beteiligt, wobei zumeist entweder ein oder zwei Netze eingesetzt wurden. Diese beiden Kombinationen wurden bei etwa 72 Prozent der Fangfahrten gewählt. Beim Kavalai Valai und Thatta-Kavalai Valai fuhren am häufigsten drei Personen zum Fang aus, die zwei Netze mit sich führten. Beim Mani Valai und vor allem beim Kolla Valai bestand das Bootsteam zumeist aus drei Personen, die ein einziges Netz beim Fang dabei hatten. Drei Netze und vier Arbeitskräfte wurden sehr selten eingesetzt, obwohl in dieser Kombination die höchsten Fangergebnisse erzielt wurden.
Tab. 51: Fangergebnisse nach Anzahl der eingesetzten Netze und Arbeitskräfte (in Rs)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Nach Möglichkeit wurde auf die vierte Arbeitskraft verzichtet, da sie - wie erwähnt - das Fangergebnis nicht beeinflußt, aber den Fanganteil aller Beteiligten reduziert. So wurden beim Mani Valai - in der Kombination ein Netz und zwei Arbeitskräfte - Garnelen im Wert von durchschnittlich etwa 230 Rs gefangen. Der Bootsbesitzer, der das einzige Netz zum Fang beisteuerte, erhielt hiervon 174 Rs. Bei der Kombination von drei Netzen und vier Arbeitskräften wurde mit 483 Rs ein deutlich höheres durchschnittliches Fangergebnis erzielt. Hat der Bootsbesitzer in diesem Fall lediglich ein einziges eigenes Netz eingesetzt, dann erhielt er mit 157 Rs deutlich weniger, obwohl der Fanggebnis mehr als doppelt so hoch war. Der Bootsbesitzer, der über die Zusammensetzung der Bootsbesatzung entscheidet, nimmt nicht mehr fremde Netze und Arbeitskräfte zum Fang mit als unbedingt notwendig. Am günstigsten ist es, wenn alle Netze und Arbeitskräfte aus seinem Haushalt stammen. Mit fast 650.000 Rs (55 %) entfiel der höchste Einkommensanteil auf die Boots-/Netzbesitzer, gefolgt vom Anteil für den ersten fremden Netzbesitzer, der mit gut 270.000 Rs etwa 23 Prozent vom Gesamtfang ausmachte. Da selten mehr als zwei Netze eingesetzt wurden, entfiel auf ein zweites fremdes Netz weniger als 1 Prozent des Gesamterlöses. Die erste (zusätzliche) Arbeitskraft wurde mit etwas mehr als 180.000 Rs zu etwa 15 Prozent am Gesamtertrag beteiligt, die zweite Arbeitskraft mit fast 72.000 Rs zu 6 Prozent und die dritte Arbeitskraft mit rund 3000 Rs zu weniger als einem Prozent.
Tab. 52: Aufteilung der Fänge nach Besitzern von Produktionsmitteln und Arbeits-kräfte (Kiemennetze und Leinenfischerei)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Entsprechend dem Gesamterlös der einzelnen Boote, war das jeweils erzielte individuelle Einkommen unterschiedlich hoch. Bei den Boots-/Netzbesitzern schwankte es zwischen knapp 9000 Rs (T 18 und T 27) und über 30.000 Rs (T 15 und T 22), wobei der durchschnittliche Wert etwa 17500 Rs betrug, beim ersten haushaltsfremden Netzbesitzer zwischen weniger als 600 Rs (T 13) und gut 17.000 Rs (T 19) bei einem Durchschnittswert von 7300 Rs. Die Werte für das zweite haushaltsfremde Netz betrugen selten mehr als wenige hundert Rupien mit einem Maximalwert von weniger als 1500 Rs (T 16). Bei 19 der untersuchten Boote kam ein zweites haushaltsfremdes Netz überhaupt nicht zum Einsatz.
Das Einkommen der ersten (zusätzlichen) Arbeitskraft betrug zwischen etwas mehr als 2300 Rs (T 27) und fast 9000 Rs (T 15 und T 22) bei einem Durchschnittswert von etwa 4900 Rs. Bei den zweiten zusätzlichen Arbeitskräften betrug die Spannbreite zwischen 130 Rs (T 19) und über 7000 Rs (T 15 und T 22) bei einem Durchschnittswert von knapp unter 1950 Rs. Am niedrigsten waren erwartungsgemäß die entsprechenden Werte bei den dritten zusätzlichen Arbeitskräften, wobei bei neun Fischerbooten bei keiner Fangfahrt eine dritte zusätzliche Arbeitskraft beschäftigt wurde.
Tab. 53: Durchschnittliches Einkommen pro teilgenommener Fangfahrt (in Rs)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Dementsprechend verdiente ein Bootsbesitzer monatlich zwischen 540 und fast 2000 Rs bei einem Durchschnittswert von knapp 1100 Rs. Die Fischer, die ein zusätzliches Netz beim Fang zur Verfügung stellten, verdienten durchschnittlich etwa 450 Rs, bei einem niedrigsten Wert von 37 Rs und einem höchsten von knapp 1100 Rs. Bei der ersten (zusätzlichen) Arbeitskraft, die durchschnittlich 307 Rs im Monat erhielt, reichten die entsprechenden Werte von unter 200 Rs (T 4, T17,T18,T21 und T 27) bis über 500 Rs (T 15 und T 22). Die oberste Einkommensgrenze bei den Arbeitskräften fiel damit in etwa mit der untersten Einkommensgrenze bei den Boots-/Netzbesitzern zusammen.
Aussagekräftiger für die Einkommenssituation sind jedoch die Durchschnittseinkommen pro teilgenommener Fangfahrt. Bei den Boots-/Netzbesitzern bewegte sich dieser Wert zwischen knapp 60 Rs (T 27 und T 32) und über 120 Rs (T 15 und T 22) bei einem Mittelwert von 83 Rs, beim ersten haushaltsfremden Netzbesitzer zwischen knapp 40 Rs (T 32 und T34) und fast 100 Rs (T 13). Hier betrug der Mittelwert 58 Rs.
Am größten war die Spannweite mit einem niedrigsten Wert von etwa 20 Rs (T 31) und einem Maximum von 257 Rs (T 4) beim zweiten haushaltsfremden Netz. Der Durchschnittswert betrug hier 50 Rs. Betrachtet man sich die Anteile für die Arbeitskräfte, wird deutlich, daß sie erheblich weniger erhielten als die Besitzer von Produktionsmitteln. Die erste Arbeitskraft erhielt pro Fangfahrt durchschnittlich 27 Rs, wobei die niedrigsten Werte knapp 20 Rs (T 4 und T 32) und die höchsten noch nicht einmal 40 Rs (T 15, T 16 und T 22) erreichten. Ähnlich verhielt es sich bei der zweiten Arbeitskraft. Der Mittelwert war mit 32 Rs pro mitgemachter Fangfahrt höher als bei der ersten Arbeitskraft, die Spannbreite gleichzeitig bedeutend größer.
Die niedrigsten Werte lagen bei etwas mehr als 10 Rs (T 12 und T 30) und waren niedriger als bei den ersten Arbeitskräften, die Maxima jedoch mit deutlich über 100 Rs (T 20 und T 24) erheblich höher. Sie überstiegen selbst die Maximalwerte der Boots-/Netzbesitzer. Eine Erklärung hierfür findet sich darin, daß hier Arbeitskräfte zum Einsatz kamen, die lediglich dann Fangfahrten mitmachten, wenn die Einkommen sehr hoch waren. Dies war in den Monaten November und Dezember der Fall. Da in dieser Zeit die Fangerträge überdurchschnittlich hoch waren, war auch das Einkommen dieser Arbeitskräfte überdurchschnittlich, die - wie gesagt - in Perioden mit niedrigeren Fangerträgen gar nicht eingesetzt wurden, da es sich bei den betreffenden Arbeitskräfte um Regierungsangestellte handelte, die während der Garnelenfangzeit vor ihrem Arbeitsbeginn zum Fischen ausfuhren.
15.4.2 Berechnung des durchschnittlichen Monatseinkommens eines Fischereiarbeiters
Fischereiarbeiter erhalten lediglich für ihre Arbeitskraft einen Fanganteil. Ihr Einkommen bestimmt sich darüberhinaus aber auch aus der Anzahl der Tage, an denen sie eine Beschäftigung finden können. Zur Berechnung des Monatseinkommens eines Fischereiarbeiters muß deshalb das durchschnittliche Einkommen pro Fangfahrt über einen längeren Zeitraum hinweg bekannt sein sowie die Anzahl der Tage, an denen ein Fischereiarbeiter gewöhnlich eine Beschäftigung finden kann. Wie oben gezeigt wurde erhielt eine Arbeitskraft durchschnittlich 27 Rs pro Fangfahrt. Während des Untersuchungszeitraums wären dies unter Berücksichtigung der tatsächlich stattgefundenen Fangtagen knapp 5700 Rs gewesen. Auf einen Monat umgerechnet ergeben sich so etwa 360 Rs, die ein Fischereiarbeiter verdiente. Führt man diese Berechnung auf der Grundlage des niedrigsten Anteils pro teilgenommener Fangfahrt (18 Rs) durch, erhält man ein monatliches Einkommen von 240 Rs; beim höchsten durchschnittlichen Anteil pro Fangfahrt (37 Rs) beträgt dieses 490 Rs. Nicht berücksichtigt bei dieser Berechnung ist, daß Fioschereiarbeiter während des Untersuchungszeitraums möglicherweise auch auf anderen Booten arbeiteten und sich dadurch die Gesamtzahl an den teilgenommenen Fangfahrten und dadurch auch ihr Einkommen erhöhte.
Eine andere Methode, eine Annäherung an das durchschnittliche Monatseinkommen eines Fischereiarbeiters zu erhalten, besteht darin, nur die Arbeitskräfte zu berücksichtigen, die an überdurchschnittlich vielen Fangfahrten teilgenommen haben. Bei dieser Berechnung wird unterstellt, daß diese Fischereiarbeiter bei weitem die meisten ihrer Fangfahrten auf den untersuchten Booten unternommen haben, so daß der Anteil von Einkommen, die auf anderen Booten erzielt wurden, relativ gering war. Durchschnittlich unternahm ein Boot während des 16-monatigen Untersuchungszeitraums 211 Fangfahrten. Kein einziges des 37 an der Erhebung beteiligten Boote erzielte an mehr als 285 Tagen vermarktbare Fänge. Auf keinen Boot wurde an mehr als 267 Fangtagen mit vermarkteten Fängen zusätzliche Arbeitskräfte angestellt.
Der durchschnittliche Anteil für die Arbeitskraft schwankt nach dieser Berechnung zwischen 296 Rs und 559 Rs. Der höchste Wert wurde auf Boot 15 erzielt. Dort hat eine zusätzliche Arbeitskraft an 245 Fangfahrten teilgenommen. Selbst wenn unterstellt wird, daß die zusätzliche Arbeitskraft von Boot 15 an weiteren 40 Fangfahrten auf einem anderen Boot teilgenommen hat und dort ebenfalls 37 Rs pro Fangfahrt erhielt, erhöht dies sein durchschnittliches Monatseinkommen um weniger als 100 Rs.
Tab. 54: Fanganteil der Fischereiarbeiter mit überdurchschnittlich vielen Fangfahrten
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Ein Fischereiarbeiter wird deshalb bestenfalls 700 Rs im Monat verdienen können, wobei sein Einkommen entsprechend der festgestellten Schwankungen der Fangerträge ebenfalls großen monatlichen Schwankungen unterworfen ist. Bei ihm kommt jedoch hinzu, daß er keinen Einfluß auf die Organisation von Fangfahrten hat. Wenn er an einem Tag auf dem Boot, auf dem er gewöhnlich zum Fang ausfährt, keine Anstellung findet, bedeutet dies häufig, daß er auch auf keinem anderen Boot eine Anstellung findet. Seine Stellung im Produktionsprozeß unterscheidet sich grundlegend vom produktionsmittelbesitzenden Fischer. Für diesen ist er eine zum Fang notwendige Person, die jedoch das eigene Einkommen schmälert. Wenn es möglich ist, wird der Fischer auf ihn verzichten. Dies ist dann etwa der Fall, wenn die Witterung es erlaubt, das Boot ohne die Hilfe des Fischereiarbeiters durch die Brandung zu manövrieren. An solchen Tagen benötigen alle Fischerboote weniger Arbeitskräfte, d.h. er wird mit hoher Wahrscheinlichkeit keine Möglichkeit zum Fischfang erhalten und damit auch nichts verdienen. Ähnlich verhält es sich an Tagen, die wenig lukrativ für den Fang sind, da nur schlechte Fangergebnisse erwartet werden. Viele Bootsbesitzer entschließen sich dann, nicht zum Fang auszufahren, mit der Folge, daß viele Arbeiter auch kein Einkommen erzielen können. Anders als die produktionmittelbesitzende Fischer können sich die Fischereiarbeiter es sich aber häufig nicht leisten, eine Fangfahrt ausfallen zu lassen. Sie sind auf ein, wenn noch so niedriges Einkommen angewiesen.
Damit ist eines der größten Probleme der Fischereiarbeiter angesprochen, nämlich während des gesamten Jahres eine Beschäftigung zu finden. Selbst wenn alle vorhandenen Kattumarame von Nochikuppam im Einsatz sind, ist ihre Anzahl zu gering, um allen vorhandenen Fischern und Fischereiarbeitern eine Beschäftigung zu bieten. Auf etwa 150 Boote kommen über 700 Arbeitskräfte, aufgeteilt auf 280 Personen aus Haushalten mit Produktionsmitteln und 435 Fischereiarbeitern. Dies entspricht einem Verhältnis von Booten zu Arbeitskräften von 1:4,8. An anderer Stelle wurde bereits darauf hingewiesen, daß selten mehr als drei Arbeitskräfte auf einem einzelnen Boot Beschäftigung finden. Bei lediglich drei Prozent der Fänge mit Kiemennetzen wurde die Arbeitskraft von vier Personen benötigt. Mit anderen Worten: es besteht ein Überangebot an Arbeitskräften. Selbst wenn davon ausgegangen wird, daß nicht alle Arbeitskräfte gleichzeitig Arbeit suchen - sei es, weil einige krank sind, momentan einer anderen Beschäftigung nachgehen oder aus Altersgründen nur noch gelegentlich Fischfang betreiben -, müßte es in Nochikuppam etwa 80 Boote mehr geben, damit alle Arbeitskräfte in der Fischerei eine dauerhafte Beschäftigung finden können. Oder es müßte geeignete berufliche Alternativen geben, die dazu führen, daß sich die Anzahl der Arbeitssuchenden in der Fischerei verringert. Im Grunde genommen reichen die 280 Arbeitskräfte aus den Fischerhaushalten fast aus, um die 150 Kattumarame im Ort ausreichend zu bemannen.
In den meisten Untersuchungen zur sozio-ökonomischen Situation der Kleinfischer in Tamil Nadu wird auf diese Problematik nicht eingegangen. Lediglich eine Untersuchung des Institute for Techno Economic Studies (ITES) (1988) liefert dazu genauere Daten. So wurden 1986 in Madras an durchschnittlich 221 Tagen Fangfahrten pro Fischerteam unternommen.
"The number of Fishing days per worker is only 72.10 revealing the fact, that the level of employment for hired labourer is low and they are very much underemployed" (ITES 1988:45)
Viele Fischereiarbeiter klagten während der Untersuchung darüber, daß sie selbst an solchen Tagen keine Beschäftigung finden, an denen die meisten Boote ausfuhren und auch aus Witterungsgründen viele Arbeitskräfte benötigt wurden. Vor allem während der Garnelenfangzeit zwischen Oktober und Dezember führt dies unter manchen, vor allem älteren Fischereiarbeitern zur Verbitterung. Obwohl an den wenigen Tagen, die in dieser Zeit zum Fischen geeignet sind, jeder Bootsbesitzer, der irgendwie dazu in der Lage ist, dies auch tut und obwohl durch die widrigen Witterungsverhältnisse viele zusätzliche Arbeitskräfte benötigt werden, finden manche von ihnen keine Beschäftigung. Personen, die während der übrigen Perioden im Jahr nicht fischen, versuchen nun auf einem Boot als Arbeitskraft eingestellt zu werden. Dazu gehöhren sogar solche, die einer einträglichen Arbeit im Dienste der Regierung nachgehen. Bevor sie sich gegen 10.00 Uhr morgens auf den Weg ins Büro machen, haben viele bereits eine Fangfahrt hinter sich. Verwandtschaftliche Beziehungen zu noch aktiven Fischern helfen ihnen dabei, den Fischereiarbeitern vorgezogen zu werden.
15.5 Subsistenzeinkommen
Neben den Einkommen, die durch die Aufteilung der vermarkteten Fänge entsprechend dem Einsatz der unterschiedlichen Produktionsmittel Fischern und Fischereiarbeitern zukommen, hat jeder auch ein Subsistenzeinkommen in Form einiger Fische, die er sich nach jeder Fangfahrt mit nach Hause nehmen kann. Dieses zusätzliche Einkommen kann nur geschätzt werden, da der genaue Wert kaum zu ermitteln ist. Bei der Untersuchung wurde deshalb der Bootsbesitzer zum Wert der Fische befragt, die er vom Fang für seine Familie zurückbehalten hatte. Da bei dieser Form der Distribution die eingebrachten Produktionsmittel unberücksichtigt bleiben und jedem am Fang beteiligten Haushalt mehr oder weniger derselbe Naturalanteil zusteht, ist der Status des jeweiligen Fischers - ob Besitzer von Produktionsmitteln oder Fischereiarbeiter - hier unbedeutend. Bleibt der Fangwert unter einer bestimmten Größenordnung (ca. 10 Rs), dann wird der Fang vollständig zu gleichen Teilen unter den an der Fangfahrt beteiligten Personen aufgeteilt, wobei jeder Haushalt - je nach Fangergebnis - Fisch im Wert von etwa zwei bis acht Rs erwarten kann.
Jene Monate, in denen die meisten Fangfahrten unternommen wurden, haben auch die höchsten Subsistenzerträge eingebracht. In den Monaten Mai, Juni, Juli und August 1991 erhielt jeder Haushalt, von dem sich Personen an den Fängfahrten der 37 untersuchten Booten beteiligte, jeweils Fisch im Wert von durchschnittlich etwa 135 Rs für den Eigenverbrauch.
Tab. 55: Durchschnittliches Monatseinkommen aus Vermarktung und Subsistenzanteil
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Während der Monate, in denen fast ausschließlich Garnelen gefangen wurden, war der Subsistenzanteil deutlich geringer. In den Monaten November und Dezember 1991 betrug er durchschnittlich 55 Rs pro Monat und Haushalt. Trotz sehr guter vermarktbarer Fänge in dieser Zeit war der Subsistenzanteil deshalb unterdurchschnittlich, weil Garnelen in Exportqualität wegen ihres hohen Verkaufspreises nicht für den Eigenverbrauch zurückbehalten werden. Der in diesen Monaten zurückbehaltene Naturalanteil bestand entweder in Garnelen minderer Qualität bzw. Fischen, die sich beim Garnelenfang ebenfalls in den Netzen verfangen hatten. Je nach Fischerteam betrug während des gesamten Untersuchungszeitraums der Subsistenzanteil für einen einzelnen Haushalt zwischen 1083 Rs (T 18) und 1820 Rs (T 16), wobei der durchschnittliche Wert 1460 Rs betrug. Im Durchschnitt hat demnach ein Fischerhaushalt monatlich Fisch im Wert von etwa 91 Rs zum Eigenverbrauch erhalten, wobei die Spannbreite bei den einzelnen Fischerteams zwischen 68 Rs und 114 Rs monatlich lag. Die so verteilten Mengen an Frischfisch war groß genug, um den monatlichen Proteinbedarf eines Fünf-Personen-Haushaltes etwa zur Hälfte zu decken. Der Bedarf an Phosphor, Eisen, Vitamin B6 und mehrfach gesättigten Fettsäuren wird dadurch ebenfalls zum größten Teil abgedeckt.1 Für die Bootsbesitzer betrug der Subsistenzanteil durchschnittlich knapp neun Prozent des monetären Einkommens. In sieben Fällen war er größer als zehn Prozent. Für die Fischereiarbeiter kann die Berechtigung, Fisch vom Fang für den Eigenverbrauch zu entnehmen, größer sein als der monetäre Fanganteil. Im Durchschnitt betrug der Naturalanteil 32 Prozent des monetären Anteils für eine Arbeitskraft. Vor allem in Haushalten mit mehreren Fischereiarbeitern, die auf unterschiedlichen Booten ihrer Arbeit nachgingen, wurde ein Teil dieser Fische verkauft.
15.6 Zusammenfassung der Analyse der Fangeinkommen
Mani Valai und Mada Valai erbrachten während der Untersuchung mit Abstand die höchsten durchschnittlichen Fangergebnisse, wobei jedoch das Mada Valai äußerst selten eingesetzt wurde. Dennoch ist das Kavalai Valai das Netz, das am häufigsten verbreitet ist. Nach Aus-kunft befragter Fischer wird dieses Netz als das wichtigste von allen Netzen angesehen, weil über einen längeren Zeitraum hinweg damit regelmäßig Einkommen erzielt werden können. Das Mani Valai, das ausschließlich zum Fang von Garnelen verwendet wird, erbringt pro Fangfahrt zwar mehr als doppelt so hohe Fangerlöse wie das Kavalai Valai und ist auch erheb-lich billiger als dieses, es wird von den Fischern jedoch als bedeutend unwichtiger angesehen.
Die Garnelenfangzeit erstreckt sich auf wenige Wochen im Jahr. Widrige Witterungsbedingungen beeinträchtigen in dieser Zeit die Aktivitäten der Kleinfischer. Die hohen Verdienstmöglichkeiten müssen deshalb als relativ unsicher angesehen werden, zumal gerade bei der Garnelenfischerei die Konkurrenz mit Trawlerbooten am schwerwiegendsten zum tragen kommt. Diese können während der Monsunzeit auch dann noch zum Fischfang ausfahren, wenn dies für die Kattumaramfischer nicht mehr möglich ist. Die Gefahr, daß die Trawler in dieser Zeit einen großen Teil der Garnelen fangen, ist eine der Hauptsorgen der Kleinfischer. Sehr häufig klagten sie darüber, daß ihnen an Tagen, an denen sie nicht zum Fang ausfahren können, nichts anderes übrig bliebe, als den Trawlern beim Fang zuzusehen und darauf zu hoffen, daß ihnen nicht alle Garnelen sprichwörtlich vor der Nase weggefischt werden. Diese Konstellation erklärt es, weshalb der Konflikt zwischen Kleinfischern und der Trawlerfischerei in den letzten Jahrzehnten immer mehr eskaliert ist. Der Versuch der Kleinfischer in Kerala, ein Fangverbot für Trawler während der Monsunzeit durchsetzen zu können, hat deshalb nicht nur ökologisch motivierte Gründe (Schutz des Fischlaiches). Durch dieses Gesetz sollen die Kleinfischer wenigstens während der Monsunzeit vor der Konkurrenz der Trawler geschützt werden, was für die Kleinfischer existenziell ist. Wie später zu zeigen sein wird, sind die Fangergebnisse während der Monsunzeit mit wichtigen wirtschaftlichen Aspekten im Leben der Kleinfischer aufs engste verknüpft. Durch diese Einkommen werden Schulden zurückbezahlt, die sich über das Jahr angesammelt haben, in dieser Zeit werden auch dringend benötigte Produktionsmittel gekauft bzw. ausgebessert. Der höhere Stellenwert des Kavalai Valais kann vor diesem Hintergrund als eine Strategie der Risikominimierung verstanden werden. Ein Fischer wird sich im Zweifelsfall für den Kauf dieses Netzes entscheiden, auch wenn es viel teurer als etwa ein Mani Valai ist, mit dem nur wenige Wochen im Jahr sehr hohe, aber auch unsichere Einkommen erzielt werden können.
Mit der Förderung der Tiefseefischerei wird das relativ sichere Einkommen aus dem Fang von bestimmten Fischarten gefährdet. Davon werden alle Fischarten betroffen sein, die in größeren Schwärmen auftreten, angefangen von den Sardinen, die mengen- und wertmäßig den größ-ten Anteil zum Einkommen der Kleinfischer beisteuern, über die Fliegenden Fischen, die sich während der längsten Zeit des Jahres in Meeresgebieten aufhalten, die von den Tiefsee-fangschiffen legal abgefischt werden können, bis hin zu Sardellen, die vor allem im Fischfang mit dem Periyar Valai eine große Rolle spielen. Wenn - wie beabsichtigt - mehrere hundert zusätzliche Fanglizenzen an (ausländische) Fangschiffe vergeben werden, ist damit in erster Linie der Teil der Einkommen der Kleinfischer bedroht, der bislang eher regelmäßig anfiel.
Die Einkommen der Fischer und Fischereiarbeiter unterscheiden sich schon heute erheblich voneinander. Ein Fischereiarbeiter, der beruflich und sozial aufsteigen will, steht vor dem Problem, daß hierzu erhebliche Anfangsinvestitionen vorgenommen werden müssen. Für Kattumaram und Kavalai Valai - die Grundausrüstung der Fischer - sind Investitionen in Höhe von mindestens 15.000 Rs, eher 20.000 Rs notwendig.1 Bei einem Monatseinkommen von höchstens 700 Rs ist ein Fischereiarbeiter nicht in der Lage, genügend Kapital zu bilden, um diese Investitionen vornehmen zu können. Selbst wenn aus einem Haushalt mehrere Personen ein Einkommen in dieser Höhe erzielen, bleibt nach Abzug der Lebenshaltungskosten nicht genügend übrig. Günstige Kreditquellen sind knapp. Kapital vom Geldverleiher zu Zinssätzen zwischen fünf, zumeist aber mindestens zehn Prozent im Monat verteuern die Investition so sehr, daß sie nicht mehr rentabel ist. Selbst wenn die Hälfte des benötigten Kapitals aus eigenen Mitteln aufgebracht werden kann, besteht noch eine Finanzierungslücke von 7.500 Rs. Beim Geldverleiher würden für diesen Betrag anfänglich monatlich allein 750 Rs für Zinszahlungen anfallen. Die Teilnahme an Chit-Funds, der hauptsächlichen Methode zur Kapitalbildung bei den Fischern, kommt für die meisten Fischereiarbeiter auch nicht in Frage, da die dazu notwendigen Einlagen über einen längeren Zeitraum hinweg nicht aufgebracht werden können. Für einen Chit-fund sind monatliche Aufwendungen zwischen 200 und 400 Rs nicht selten, seine Laufzeit kann über ein Jahr betragen. Es ist äußerst unwahrscheinlich, daß der Haushalt eines Fischereiarbeiters über eine solch lange Zeitspanne regelmäßig genügend verdient, um mit seinen Zahlungsverpflichtungen nicht in Rückstand zu geraten. Zumeist können sie auch nicht auf Kredite von Verwandten zurückgreifen. Bereits bei der Darstellung der Kreditquellen beim Kauf der Boote und Netze der untersuchten Fischerteams wurde deutlich, daß diese Finanzierungsquelle, obwohl sie die günstigste ist, bei Investitionskrediten kaum in Anspruch genommen wird. Wie später noch ausführlicher zu zeigen sein wird, hängt dies damit zusammen, daß es selbst bei den Fischern kaum Haushalte gibt, die solch große Geldsummen verfügbar haben. Sobald eine größere Geldsumme erwirtschaftet wurde, wird sie sogleich "angelegt", d.h. zumeist an andere zu hohen Zinssätzen verliehen. Diese Kredite sind jedoch in aller Regel relativ niedrige Konsumentenkredite mit kurzen Laufzeiten. Günstige staatliche Kredite könnten den Fischereiarbeitern helfen, diesen Teufelskreis zu durchbrechen, doch dazu haben sie in aller Regel keinen Zugang.
15.7 Einkommen außerhalb der Fischerei
In den 37 Haushalten, deren Boote die Grundlage für die Ermittlung der Fangergebnisse bildeten, lebten 254 Personen, wovon 135 männlichen und 119 weiblichen Geschlechts waren. 104 Personen waren erwerbstätig, die größte Zahl von ihnen, nämlich 65, gingen fischen. Im Durchschnitt lebten demnach fast zwei aktive Fischer in jedem Haushalt.
Tab. 56: Erwerbstätigkeit in den untersuchten Haushalten
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
In den Fischerhaushalten trugen zusätzlich 19 Frauen durch die Vermarktung von Fisch zum Haushaltseinkommen bei, vier Männer waren im öffentlichen Dienst beschäftigt, zwei Männer gingen einer Gelegenheitsarbeit nach, und jeweils ein Mann arbeitete für ein Schuhexportunternehmen bzw. als Auto-Rickshawfahrer. Von den Frauen arbeiteten insgesamt 12 für ein Schuhexportunternehmen. Durchschnittlich gingen 41 Prozent der Haushaltsmitglieder einer Erwerbstätigkeit nach.
Tab. 57: Zusammensetzung der Erwerbseinkommen der untersuchten Haushalte
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
In den acht zusätzlich untersuchten Haushalten der Fischereiarbeiter lebten insgesamt 63 Personen, wovon 38 einer Erwerbstätigkeit nachgingen. 26 der Männer waren Fischereiarbeiter, sechs Frauen betrieben Fischvermarktung, ein weiterer Mann war bei der Regierung angestellt, und fünf Frauen arbeiteten für ein Schuhexportunternehmen. Insgesamt waren 63 Prozent der Haushaltsmitglieder berufstätig. Durchschnittlich unterschied sich das monatliche Einkommen der Fischerhaushalte nicht wesentlich vom Einkommen der Haushalte der Fischereiarbeiter.
Beachtet man jedoch das durchschnittliche Einkommen pro Erwerbstätigem(r), kann ein beträchtlicher Unterschied festgestellt werden. In den Fischerhaushalten liegt dieses um über 80 Prozent über dem entsprechenden Wert der Haushalte der Fischereiarbeiter. Am deutlichsten ist der Unterschied beim Fischfang. Ein Fischer verdient hier mehr als doppelt so viel wie ein Fischereiarbeiter. Dieser Unterschied wird jedoch dadurch fast ausgeglichen, daß bei den Haushalten der Fischereiarbeiter pro Haushalt erheblich mehr Personen ein Einkommen durch den Fischfang erzielen. Die Frauen aus den Haushalten der Fischereiarbeiter, die Fischvermarktung betreiben, verdienen im Durchschnitt etwas mehr als ihre Kolleginnen aus den Fischerhaushalten. Da zudem in den Haushalten der Fischereiarbeiter ein größerer Anteil Frauen dieser Erwerbsbeschäftigung nachgeht, ist das durchschnittliche Einkommen aus der Vermarktung von Fisch in diesen Haushalten deutlich höher als bei den Fischerhaushalten. Die höchsten Durchschnittseinkommen verdienen Angestellte der Regierung. In allen der betreffenden Haushalte ist dies auch immer das höchste Einzeleinkommen, wobei es allerdings (andere) Haushalte gibt, in denen das Einkommen aus dem Fischfang höher ist. In den meisten Fällen tragen hier jedoch mehrere Personen zu diesem Einkommen bei. Die Einkommen der Frauen, die für ein Schuhexportunternehmen arbeiten, gewährleisteten, daß die betroffenen Haushalte ihr Konsumniveau aufrechterhalten konnten. Wie im anschließenden Kapitel zu den Haushaltsausgaben gezeigt werden kann, hätten sich viele dieser Haushalte ohne dieses Zusatzeinkommen verschulden bzw. ihren Konsum erheblich einschränken müssen.
15.7.1 Renteneinkommen in den untersuchten Haushalten
Einige der untersuchten Haushalten erzielten Einkommen, die nicht aus einer Erwerbstätigkeit stammten. Es handelte sich dabei um Einnahmen aus der Vermietung von Wohnraum, der Verpachtung von Werbeflächen sowie den Zinseinnahmen aus Geldverleih. Bei der Erhebung dieser Einkommen konnten allerdings lediglich die Einnahmen aus der Vermietung von Wohnraum näher quantifiziert werden, da sowohl bei den Einnahmen aus der Verpachtung von Werbeflächen als auch jenen aus Geldverleihgeschäften sich die betreffenden Haushalte nicht näher äußern wollten. In diesen Fällen ist lediglich bekannt, welche Haushalte während des Untersuchungszeitraum solche Einnahmen erzielten.
Bei den Einnahmen aus der Vermietung von Wohnraum handelte es sich einerseits um Einnahmen, die erzielt wurden, wenn Haushalte Wohnungen bzw. Einzelzimmer, die ihnen vom Slum Clearance Board zur Verfügung gestellt worden waren, an andere vermietet hatten. Teilweise wohnten die Eigentümer dieses Wohnraums gar nicht mehr in den betreffenden Appartementwohnungen, zum Teil hatten sie auch lediglich eines der beiden Zimmer untervermietet. Für eine ganze Appartementwohnung erhielten die Haushalte monatlich eine Miete zwischen 250 und 300 Rs, für ein einzelnes Zimmer zwischen 100 und 150 Rs. In drei Fällen wohnte der Eigentümer mit seiner Familie inzwischen in einem eigenen Steinhaus, in drei Fällen in einer Hütte und in vier Fällen wohnte er noch immer in einem der beiden Zimmer der betreffenden Wohnung. In vier Fällen wurden auch Mieteinnahmen durch die Vermietung von Hütten erzielt. Hier betrugen die Mieteinnahmen in beiden Fällen monatlich 100 Rs. Zwei Haushalte erzielten zusätzlich Einnahmen aus der Verpachtung jeweils eines Ladengeschäftes an der Kamaraj Salai. Sie erhielten dafür monatlich 400 bzw. 450 Rs. Einnahmen aus der Verpachtung von Werbeflächen hatten zwei Haushalte. Es handelte sich dabei um große Werbeplakate, die auf den Häusern der betreffenden Haushalte angebracht worden waren. Da Nochikuppam zentral in Madras an der wichtigsten Nord-Süd-Verbindung entlang der Küste liegt, können die Haushalte, deren Häuser sich direkt an der vielbefahrenen Kamaraj Salai befinden, solche Einnahmen erzielen. Unter Berücksichtigung dieser zusätzlichen Einkommen ergab sich für die einzelnen Haushalte während des Untersuchungszeitraums in etwa eine Einkommenssituation wie sie in nachfolgender Tabelle widergegeben ist.
Tab. 58: Ermitteltes Gesamteinkommen der untersuchten Haushalte (in Rs)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Bei den Haushalten der Fischereiarbeiter waren die Subsistenzeinkommen aus der Fischerei zumeist deutlich höher als bei den Fischerhaushalten. Dies lag daran, daß in Haushalten mit mehreren Fischereiarbeitern diese zumeist auf unterschiedlichen Booten beschäftigt waren und somit an vielen Tagen mehrerer solcher Subsistenzeinkommen erhielten. Dahingegen erwirtschafteten die Haushalte der produktionsmittelbesitzenden Fischer i.d.R. nur ein solches Einkommen, selbst wenn in einem Haushalt mehrere Personen Fischfang betrieben, denn diese fuhren zumeist alle auf dem eigenen Kattumaram zum Fischen aus und erhielten dann lediglich einen einzigen Subsistenzanteil.
Tab. 59: Einkommen nach Anzahl der unterschiedlichen Einkommensarten
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Es ist wenig überraschend, daß in jenen Haushalten, die die höchsten Einkommen erzielten, jeweils eine Person bei der Regierung angestellt war. Diese Haushalte erzielten häufiger auch Einkommen aus Geldverleihergeschäften (und Verpachtung von Werbeflächen), wohingegen die Haushalte mit einem unterdurchschnittlichen Einkommen i.d.R. keine solche zusätzlichen Einkommen hatten. Je mehr verschiedene Erwerbstätigkeiten innerhalb eines einzelnen Haushaltes anzutreffen waren, desto höher war tendenziell das durchschnittliche Einkommen dieser Haushalte.
Die Haushalte mit dem niedrigsten durchschnittlichen Einkommen waren jene, in denen lediglich aktive Fischer zu finden waren. Auffällig war, daß die häufigste Variante dreier Einkommensarten darin bestand, daß in Haushalten, in denen Personen Fischfang betrieben und in denen mindestens eine Frau der Fischvermarktung nachkam, mindestens eine weitere Person für ein Exportunternehmen arbeitete. Keiner dieser Haushalte hatte ein Einkommen aus Vermietung oder Geldverleih. Die Kombination aus "Vermietung" und "Arbeit in Exportunternehmen" trat nur in einem einzigen Fall auf (FA1), ebenso die Kombination "Arbeit in Exportunternehmen" und "Geldverleih" (ebenfalls FA1). Sobald ein Haushalt in der Lage ist, Einkommen aus Vermietung bzw. Geldverleihgeschäften zu erzielen, ist es nicht mehr notwendig, daß eine junge Frau aus diesem Haushalt für ein Schuhexportunternehmen arbeitet. Diese zum Haupterwerb in der Fischerei zusätzlichen Einkommen dienten zum Ausgleich der großen Einkommensschwankungen in der Fischerei. Hat ein Haushalt die Möglichkeit, durch Vermietung bzw. Geldverleihgeschäfte ein anderes regelmäßiges, d.h. kalkulierbares Einkommen zu erzielen, dann wird diese Einkommensart der Beschäftigung junger Frauen i.d.R. vorgezogen. Für Haushalte, die finanziell jedoch nicht so gut dastehen, ist diese Art der Kinderarbeit eine Möglichkeit, saisonalbedingte Einkommensschwankungen in der Fischerei auszugleichen. Nachdem im nächsten Kapitel die Entwicklung der Ausgabensituation untersucht wurde, wird deutlich werden, daß durch diese zusätzlichen Einkommen nicht wenige der in frage kommenden Haushalte vor der Überschuldung bewahrt werden konnten. Die Haushalte, in denen Renteneinkommen erzielt wurden, befinden sich alle in den Gruppe der Haushalte mit hohem Einkommen und mit mehr als drei unterschiedlichen Erwerbsarten. Alle Haushalte, in denen ein Regierungsangestellter vorhanden ist, befinden sich in diesen Gruppen.
Eine Diversifizierung bzw. Verflechtung der Hausheitseinkommen konnte vor allem bei den wohlhabenderen Haushalten festgestellt werden. Es ließe sich darüber streiten, ob dadurch zentrale Aussagen des Bielefelder Verflechtungsansatzes widerlegt oder bestätigt werden, nach denen Armutsgruppen im Kampf ums Überleben ihre Einkommen diversifizieren. In diesem Sinne könnte man argumentieren, daß dies tatsächlich der Fall sei, denn jene von den untersuchten Haushalten, die die besten Einkommenssituation vorweisen, sind auch die, die ihre Einkommen breit gefächert haben. Man könnte dies demnach als erfolgreicher Versuch der Überlebenssicherung durch Einkommensdiversifizierung betrachten. Auf der anderen Seite spricht aber auch einiges dafür, daß es überhaupt verfehlt ist, in diesem Zusammenhang von einer Überlebens strategie 1 zu sprechen, denn bei Haushalten mit vielen unterschiedlichen Einkommensquellen handelt es sich offensichtlich um solche, die als relativ gesichert betrachtet werden können. Mit anderen Worten: Je wohlhabender ein Haushalt ist, desto mehr Möglichkeiten hat er, zusätzliche Einkommensquellen zu erschließen, vor allem auch solche, die erwerbslose Einkommen ermöglichen. Solche erwerbslosen Einkommen ermöglichen es den Haushalten gleichzeitig, bei einer geringen Anzahl der Haushaltsmitglieder eine Diversifizierung der Einkommensarten zu erreichen, da diese Einkommen mit relativ geringem zeitlichen Aufwand erzielt werden können. Im vorliegenden Fall ist eine Verflechtung von Einkommensarten somit weniger das Resultat von Überlebens strategien als vielmehr von ökonomischer Sicherheit. Dennoch scheint es zuzutreffen, daß jene Haushalte ökonomisch am schlechtesten abschneiden, denen es - aus welchen Gründen auch immer - nicht gelungen ist, zumindest ein - wenn noch so geringes - regelmäßiges Einkommen zu erzielen und die vollkommen von den stark schwankenden Einkommen aus der Fischerei abhängig sind. Für diese Haushalte bleibt häufig nur der Weg, durch die Anzahl der Erwerbstätigen eine ökonomische Absicherung anzustreben. Sehr deutlich wird dies bei den Haushalten der Fischereiarbeiter, die das gegenüber den Fischerhaushalten niedriger Pro-Kopf-Einkommen aus der Fischerei durch eine höhere Erwerbsquote (fast) ausgleichen können.
Von entscheidender Bedeutung sind in diesem Zusammenhang die Bedingungen zur beruflichen Mobilität. Sowohl Fischer als auch Fischereiarbeiter bemühen sich immer wieder, eine alternative Beschäftigung zu finden. Aus unterschiedlichen Gründen wird ein solcher beruflicher Aufstieg jedoch erheblich erschwert, so daß das Problem der Unterbeschäftigung in der Fischerei zunehmend prekärer wird. Dies trifft vor allem auf die Gruppe der Fischereiarbeiter zu, deren Einkommen erheblich niedriger ist als die der Fischer, die keinen Einfluß auf die Organisierung der Fangfahrten haben und deren Kontakte zu potentiellen Arbeitgebern außerhalb der Fischerei noch schlechter sind als jene der Fischer.
Bei den Fischern stehen die relativ hohen Einkommen aus der Fischerei oftmals einer beruflichen Veränderung entgegen. Als eine Gruppe, die auch heute noch häufig einen relativ niedrigen Bildungsstand hat, kommen für sie fast nur Arbeitsalternativen in Frage, die im Bereich des informellen Sektors anzusiedeln sind. Die Einkommensmöglichkeiten dort werden von den Fischern aber noch schlechter angesehen als in der Fischerei selbst. Gerade von besser gestellten Fischerhaushalten wird deshalb versucht, über eine zunehmende schulische Qualifikation ihrer Söhne bessere Zugangsbedingungen zu formalen Beschäftigungsverhältnissen zu erreichen. Eindeutige Priorität erhält dabei die Beschäftigung im staatlichen Sektor.
Zuvor soll jedoch analysiert werden, welche Ausgaben den Einnahmen der untersuchten Haushalte während des Untersuchungszeitraums gegenüberstanden. Von Interesse dabei wird sein, wie sich die Ausgaben angesichts einer für indische Verhältnisse sehr hohen Inflationsrate entwickelt haben, wobei vor allem darauf zu achten sein wird, ob und in welchen Bereichen die Haushalte - angesichts stark ansteigender Lebenshaltungskosten - Einsparungen vorgenommen haben.
16 Die Analyse der Haushaltsausgaben im Zeitraum vom Mai 1991 - August 1992
Die Ausgaben der einzelnen Haushalte, insbesondere die Ausgabenstruktur und ihre Veränderung während des Untersuchungszeitraums, sind unter mehreren Gesichtspunkten von Interesse. So ist es wichtig zu wissen, welche Anteile der Gesamtausgaben für einzelne Ausgabengruppen aufgewendet werden. Nur so kann abgeschätzt werden, wie relevant Preissteigerungen im Leben der Menschen tatsächlich auch sind.
Bei der Berechnung der jährlichen Inflationsrate durch die indische Regierung werden z.B. die Preisveränderungen bei Gütern des täglichen Bedarfs (Essential commodities) wie Nahrung, Kleidung und Toilettenartikel) mit knapp 50 Prozent berücksichtigt (Economic Survey 1993-94: 65). Für die meisten Haushalte sind die Ausgaben für diese Produkte jedoch deutlich höher als die Hälfte der gesamten Haushaltsausgaben. Da aber die Preissteigerungen in den letzten Jahren gerarde in diesen Bereichen deutlich über denjenigen für langlebige Konsumgüter waren, wirkte sich die Inflation für Gruppen mit niedrigem Einkommen schwerwiegender aus als für solche, die einen relativ geringen Anteil ihrer Haushaltsausgaben für Nahrungsmittel und andere Produkte des täglichen Bedarfs aufwenden.
Dies trifft vor allem auf die Gruppe der Landarbeiter zu, deren Lebenshaltungskosten seit dem Frühjahr 1991 deutlich stärker anstiegen als die der Industriearbeiter und städtischen Angestellten. Erst im Sommer 1992 sank der Preisanstieg für diese Gruppe wieder auf unterdurchschnittliche Werte; zu Beginn 1993 gingen die Lebenshaltungskosten sogar absolut zurück, wobei jedoch der kräftige Anstieg des Vorjahres berücksichtigt werden muß.
Abb. 15: Entwicklung der Lebenshaltungskosten ausgewählter Gruppen
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Bei der Analyse der Haushaltsausgaben in Nochikuppam wurde versucht festzustellen, ob sich durch die starken Preissteigerungen während des Untersuchungszeitraums Veränderungen im Konsumverhalten der Haushalte feststellen lassen. Hierbei traten naturgemäß erhebliche methodische Schwierigkeiten auf, die die Aussagekraft der vorliegenden Daten bei manchen Ausgabegruppen relativieren. Relativ gesichert können Ausgaben für Waren und Dienstleistungen interpretiert werden, die regelmäßig und verläßlich anfallen, so z.B. für Nahrungs- und Genußmittel, für Kleidung, Energie und auch Transport.
Angaben zu andere Ausgabengruppen sind weitaus schwieriger zu interpretieren, etwa die Ausgaben für soziale oder religiöse Zwecke, die sehr unregelmäßig - z.T. nur einmal in mehreren Jahren (z. B. Hochzeiten, Tempelbesuche) anfallen, oder auch die Ausgaben für Arztbesuche und Medikamente, die zumeist unvorhersehbar sind.
Ein anderes methodisches Problem tritt dann auf, wenn ein "Ausreißer" die Daten so stark entstellt, daß sich Fehlinterpretationen einschleichen können. So etwa bei den Ausgaben der Fischerhaushalte für Arztbesuch/Medizin im Monat November 1991. Ein einziger Fall sehr hoher Ausgaben hat in diesem Monat die Ausgaben für Gesundheit für alle Haushalte in die Höhe schnellen lassen.
16.1 Untersuchungen zum Ausgabeverhalten von Fischerhaushalten in Tamil Nadu
Die zwischen Mai 1991 und August 1992 durchgeführte Erhebung der Ausgaben bei Fischer- und Fischarbeiterhaushalten sollte zunächst Klarheit darüber bringen, wie die Menschen, die hauptsächlich vom Fischfang leben, ihre Ausgabenstruktur an die Tatsache anpassen, daß sie während eines Jahres mit erheblichen Schwankungen ihrer Einnahmen konfrontiert sind. Wie sich im Laufe der Untersuchung erst zeigen sollte, deckte der Untersuchungszeitraum auch eine Periode ab, in der die Lebenshaltungskosten in Indien sehr stark anstiegen. Die gewonnenen Daten wurden deshalb auch dafür verwendet herauszufinden, wie die untersuchten Haushalte auf Veränderungen reagieren, die sie als Konsumenten bestimmter Waren und Dienstleistungen betreffen.
Bislang gibt es kaum gesicherte Erkenntnisse darüber, wie die Ausgabenstruktur von Fischerhaushalten in Tamil Nadu beschaffen ist. Die wenigen verfügbaren Untersuchungen geben darüberhinaus keine Auskunft darüber, ob und wie sich die Haushaltsausgaben im Untersuchungszeitraum verändert haben.
Im Rahmen einer 1986 im Auftrag des Fischereidepartments von Tamil Nadu durchgeführten Erhebung in zehn Prozent aller Fischerhaushalte Tamil Nadus wird vom Institute for Techno Economic Studies (ITES) auch die Ausgabenstruktur von Fischerhaushalten aus dem Jahr 1966 angegeben. Aus unerfindlichen Gründen wird für das Jahr 1986 jedoch eine andere Kategorisierung der Ausgaben gewählt, so daß ein Vergleich zwischen beiden Jahren nur schwer möglich ist. Die Chance, Erkenntnisse über den Wandel des Ausgabenverhaltens über einen längeren Zeitraum hinweg zu gewinnen, wurde damit vertan.
Tab. 60: Ausgabenstruktur von Fischerhaushalten in Tamil Nadu (Angaben in %)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Nach dem ITES gaben 1966 die Fischer 76 Prozent ihrer Haushaltsausgaben für Nahrungsmittel aus, während es zwanzig Jahre später knapp 71 Prozent waren. Der Anteil für Kleidung hat sich von 2,6 auf 10,3 Prozent erhöht, der für Gesundheit von 0,3 auf 5,6 Prozent. Für Bildung wurden 1986 2,2 Prozent ausgegeben, während es 1966 lediglich 0,2 Prozent waren. Mit einer Steigerung von 0,9 auf 7,1 Prozent sind die Anteile für soziale/religöse Zwecke ebenfalls deutlich angestiegen, während sie für alle sonstigen Ausgaben von 5 auf 3,8 Prozent gefallen sind.
Die vorgelegten Daten stecken jedoch voller Ungereimtheiten, so daß ihre Aussagekraft stark relativiert werden muß. 1966 betrugen die Ausgaben für Energie und Alkohol/Zigaretten zusammen 15,1 Prozent der Haushaltsausgaben; 1986 werden diese beiden Ausgabengruppen gar nicht mehr extra aufgeführt, müßten also in den "sonstigen Ausgaben" enthalten sein. Die Ausgaben in dieser Kategorie sind jedoch viel zu gering, um die zu erwartenden Ausgaben für Energie und Alkohol/Zigaretten beinhalten zu können. Zusätzlich muß angenommen werden, daß sich in den 20 Jahren, die die Untersuchungen auseinanderliegen, die Konsumgewohnheiten auch in der Fischerei stark verändert haben. Langlebige Konsumgüter wie z.B. Transistorradios, Fernsehgeräte, Fahrräder etc. haben seither in vielen Haushalten Einzug gehalten. Vom ITES wird auf diesen Sachverhalt hingewiesen:
"Although the assets (in the households; d. Verf.) may not suggest real economic affluence, these are real signs of growing economic prosperity in these households. The households [...] are in a position to buy items of physical assets which make their living more comfortable as a result of the increase in their income levels due to mechanisation and scientific modern methods of fishing because of government's financial, technical and extension help. [...] the fishermen appear to be gradually changing their spending priorities as a consequence of their higher income level" (ITES 1988:42f, Betonung vom Autor hinzugefügt).
Abgesehen davon, daß in 97,3 Prozent der untersuchten Haushalte kein mechanisiertes Boot vorhanden war (!) (ITES 1988:80), spiegelt sich die angeblich festgestellte relative Prosperität in keinster Weise im Ausgabenverhalten der Haushalte wieder. Gegenüber 1966 hätte hier eine Diversifizierung der Ausgaben auftreten müssen; tatsächlich stattgefunden hat - nach den vorgelegten Daten - aber einer Konzentration auf weniger Bereiche.
Aus den frühen 80er Jahren liegen zur Ausgabenstruktur in Fischerhaushalten Angaben des Bay of Bengal Programms (BOBP 1983), sowie eine Studie des Agricultural Economic Research Centre (AERC) der Universität Madras vor (AERC 1986). Mit Anteilen zwischen 60 und 70 Prozent nehmen in beiden Studien die Ausgaben für Nahrung bei weitem die größte Bedeutung ein, beim BOBP gefolgt von den Ausgaben für Freizeitaktivitäten (14-16 Prozent), beim AERC für Kleidung (16 - 20,4 Prozent). Während nach den Angaben des BOBP die untersuchten Haushalte weder Geld für Energie noch für Transport (!!!) ausgaben und für das Wohnen keine Angaben verfügbar waren, schweigt sich das AERC über die Ausgaben für Energie, Zigaretten/Alkohol und Wohnen aus.
Die älteren Untersuchungen nehmen keine Unterscheidung zwischen Haushalten von produktionsmittelbesitzenden Fischern und Fischereiarbeitern vor. Solche Differenzierungen finden sich erst in Untersuchungen, die allesamt nach 1985 entstanden sind.
In einer Studie ermittelten Sampathkumar/Selvaraj (1987) in acht Fischerdörfern des Tirunelveli-Distriktes die Haushaltsausgaben für Fischereiarbeiterhauhalte.1 Durchschnittlich gaben danach die untersuchten Haushalte knapp 60 Prozent ihrer Ausgaben für Nahrungsmittel aus, gefolgt von Zigaretten/Alkohol mit elf Prozent und für Kleidung mit knapp neun Prozent. Etwa fünf Prozent wurde für Energie ausgegeben, während für alle anderen Produktgruppen deutlich weniger ausgegeben wurde. Mit noch nicht einmal einem halben Prozent der Haushaltsausgaben wurde am wenigsten für Bildung aufgewendet.
Aus dem Jahr 1990 stammt eine Untersuchung von Senthilathiban/Selvaraj in sechs Fischerdörfern des Tirunelveli-Distriktes. Untersucht wurden diesmal die Ausgaben von 85 Fischerhaushalten. Auch hier nahmen die Ausgaben für Nahrung eine Größenordnung von 60 Prozent ein, gefolgt von Ausgaben für Kleidung (7,7 Prozent), Wohnen (6,4 Prozent) und Energie (5,4 Prozent). Leider sind die Ausgaben für Zigaretten/Alkohol nicht näher ausgewiesen, so daß ein Vergleich zu den Ergebnissen der Untersuchung von Sampathkumar/Selvaraj (1987) erschwert wird.
In einer Untersuchung zweier Fischerdörfer im Norden von Madras ermittelten Sathiadhas/Panikkar (1989)1 den höchsten Ausgabenanteil - wie zu erwarten - bei den Aufwendungen für Ernährung mit 57 Prozent bei den Fischerhaushalten bzw. mit 65 Prozent bei den Haushalten der Fischereiarbeiter. Bei den Ausgaben für Kleidung und Zigaretten/Alkohol ist - im Vergleich zu den Ergebnissen von Sampathkumar/Selvaraj (1987) - die Gewichtigkeit vertauscht. Mit Werten von 11 bzw. 14 Prozent sind hier die Ausgaben für Kleidung höher als bei der erstgenannten Studie, während die Ausgaben für Zigaretten und Alkohol mit vier Prozent bzw. sechs Prozent deutlich geringer sind.
Nach den Nahrungsmitteln sind die Ausgaben für Freizeitaktivitäten bei Sathiadhas/Panikkar (1989) am höchsten, für die immerhin zwischen sieben und 20 Prozent der Haushaltsausgaben aufgewendet wurden. Bei Sampathkumar/Selvaraj (1987) ist dieser Bereich mit Werten zwischen 1,4 und 3,3 Prozent bedeutend geringer. Die beträchtlichen Unterschiede zwischen beiden Studien könnten hier durch die unterschiedliche Lage der jeweiligen Fischergemeinden erklärt werden. In den beiden städtischen Fischergemeinden wird z.B. höchstwahrscheinlich mehr für die kommerzielle Freizeitgestaltung - vor allem Kino - ausgegeben als in den acht ländlichen Fischergemeinden im Tirunelveli-Distrikt. Widersprüchlich bleibt jedoch, daß bei Sampathkumar/Selvaraj (1987) die absoluten Ausgaben beträchtlich höher sind2 als bei Sathiadhas/Panikkar (1989). Da die durchschnittliche Haushaltsgröße in beiden Studien identisch ist - sowohl bei Sampathkumar/Selvaraj (1987) als auch bei Sathiadhas/Panikkar (1989) beträgt diese 5,5 Personen je Haushalt - scheidet dies als mögliche Erklärung aus. Nicht unwahrscheinlich ist, daß das Datenmaterial von Sathiadhas/Panikkar (1989) unvollständig ist, da bestimmte Ausgabenposten, die zu erwarten sind, gar nicht aufgeführt werden. So fehlen Angaben zum Bereich Transport ebenso wie zu den Bereichen Wohnen und Religion/Soziale Zeremonien.
Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß sämtliche vorliegenden Angaben zur Ausgabenstruktur von Fischer-/Fischereiarbeiterhaushalten mit einer Fülle von Unstimmigkeiten behaftet sind. Hinzu kommt, daß keine dieser Untersuchungen darüber Auskunft gibt, wie sich das Ausgabenverhalten der Fischer während des Untersuchungszeitraums verändert, wovon - wie bereits angesprochen - ausgegangen werden muß, da die Einkommen aus der Fischerei starken saisonalen Schwankungen unterliegen.
16.2 Die Struktur der Haushaltsausgaben in Nochikuppam
Bei der Analyse des Autors von 37 Fischerhaushalten und acht Fischereiarbeiterhaushalten3 sind die Haushaltsausgaben in etwa mit den Ergebnissen der Untersuchung von Sampathkumar/Selvaraj (1987) vergleichbar. Ausgaben für Nahrungsmittel stehen eindeutig an erster Stelle, gefolgt von Ausgaben für Zigaretten/Alkohol. Mit 5 Prozent nehmen die Ausgaben für Energie den dritten Rang ein, gefolgt von Ausgaben für Gesundheit (4 %) und Kleidung (3 % bzw. 4 %).
Tab. 61: Ausgabenstruktur der untersuchten Haushalte
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Insgesamt gaben die Haushalte am Ende des Untersuchungszeitraums nicht mehr aus als zu Beginn. Es wurde auch festgestellt, daß zwischen den Monaten Schwankungen von mehr als 40 Prozent stattfanden. Mit Ausgaben in Höhe von 89 Prozent der Durchschnittswerte aller Monate wurde im September 1991 am wenigsten ausgegeben. Die Ausgaben der Fischereiarbeiter erreichten im Dezember 1991 mit 132 Prozent der Durchschnittsausgaben den höchsten Wert; bei den Haushalten der Fischer wurde mit 131 Prozent der durchschnittlichen Monatsausgaben im November 1991 am meisten ausgegeben.
Abb. 16: Die Entwicklung der gesamten Haushaltsausgaben
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Erwartungsgemäß wurden demnach die höchsten Ausgaben dann getätigt, wenn auch die höchsten Einkommen erzielt wurden. Es konnte festgestellt werden, daß sich während des Untersuchungszeitraums die Gewichtung für bestimmte Ausgabengruppen verschoben, woraus geschlossen werden kann, daß in manchen Bereichen weniger ausgegeben wurde, während die Ausgaben in anderen Bereichen anstiegen.
16.2.1 Die Ausgaben für Nahrung
Die Ausgaben für Nahrung wurden in drei Gruppen untergliedert, für die gesondert Daten erhoben wurden. Die erste, bei weitem ausgabenintensivste Gruppe, enthält jene Haushaltsausgaben, die für die Essenszubereitung im Haushalt selbst aufgewendet wurden, während die beiden anderen Gruppen Ausgaben für Nahrungsmittel berücksichtigte, die außerhalb des Haushaltes zu sich genommen wurden. Eine Gruppe hiervon umfaßt den Kauf von Tee, Kaffee und Milch,1 die andere den Kauf von kleinen Zwischenmahlzeiten, in Indien zumeist Tiffin genannt.2 Im allgemeinen besteht das Essen in den Haushalten aus Reis, Sambar, Rasam,3 Gemüse, viel Fisch, wenig Hülsenfrüchten, je nach Haushalt entweder einmal wöchentlich oder einmal monatlich Fleisch (Huhn oder Schaf).
Abb. 17: Entwicklung der Ausgaben für Nahrung (Fischerhaushalte)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Der Anteil, der für Nahrungsmittel insgesamt aufgewendet wurde, war etwas höher als in den meisten zum Vergleich herangezogenen Studien. Er betrug durchschnittlich 69 Prozent bei den Fischerhaushalten und 63 Prozent bei den Haushalten der Fischereiarbeitern, wobei die Schwankungen bei der ersten Gruppe zwischen knapp 48 Prozent und 84 Prozent und bei der zweiten zwischen knapp 45 Prozent und 85 Prozent beträchtlich waren. Während des Untersuchungszeitraums verschob sich die Gewichtung der Nahrungsausgaben. Im Mai 1991 gaben die Haushalte der Fischer 69 Prozent ihrer gesamten Haushaltsausgaben für Nahrung aus, im August 1992 war dieser Anteil auf 76 Prozent angestiegen.
Bei den Haushalten der Fischereiarbeiter war der Anteil der Ausgaben für Nahrung an den Gesamtausgaben am Ende des Untersuchungszeitraums geringer (64 Prozent) als zu dessen Beginn (67 Prozent). Hier machte sich bemerkbar, daß für Kaffee, Tee und vor allem den Zwischenmahlzeiten (Tiffin) gegen Ende des Untersuchungszeitraums deutlich weniger ausgegeben wurde als zu dessen Beginn, während die Ausgaben für im Haushalt zubereitete Speisen sich über dem Durchschnitt aller Monate bewegten. Ähnlich war die Entwicklung der Nahrungsausgaben der Fischerhaushalte. Für Kaffee, Tee und Tiffin wurde ebenfalls weniger ausgeben, doch die Ausgaben für im Haushalt zubereitete Speisen stiegen stärker an als bei den Haushalten der Fischereiarbeiter.
Bei den Nahrungsmitteln, die außerhalb des Haushaltes eingenommen wurden, ist im Laufe der Untersuchung bei beiden Gruppen eine deutliche Verringerung feststellbar. Hier wurde tatsächlich weniger konsumiert. Die Einsparungen in diesen beiden Bereichen waren jedoch nicht hoch genug, um bei den Fischerhaushalten die Kostensteigerung bei den im Haushalt zubereiteten Nahrungsmittel ganz ausgleichen zu können. Diese stiegen in den Haushalten der Fischer stärker als bei den Fischereiarbeiter.
Abb. 18: Entwicklung der Ausgaben für Nahrung (Fischereiarbeiterhaushalte)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Bei Preissteigerungen für Nahrungsmittel von über 20 Prozent im Untersuchungszeitraum muß bei beiden Gruppen davon ausgegangen werden, daß sie ihren Nahrungskonsum reduziert haben, denn ansonsten hätten die Ausgaben ungleich deutlicher ansteigen müssen.
Die hohen Ausgaben für Nahrungsmittel (und andere Waren des täglichen Bedarfs) im Mai 1991 sind durch das generell hohe Preisniveau dieser Periode (Nachwirkungen des Golf-Krieges), aber auch durch die für diesen Monat verhältnismäßig hohen Einkommen in der Fischerei erklärbar.1 Ausschlaggebend waren allerdings die explosionsartigen Preissteigerungen im Zusammenhang mit der Ermordung des früheren indischen Ministerpräsidenten Rajiv Gandhi am 21. Mai nahe Madras (s.o).
Die Ausgabensteigerungen der folgenden Monate fielen zusammen mit der generellen Preissteigerung dieser Periode, wurden allerdings auch beeinflußt von den guten Fischfängen in dieser Zeit. Viele befragte Personen wiesen in dieser Zeit immer wieder darauf hin, daß es zwar stimme, daß viele Nahrungsmittel sehr teuer geworden seien, sie ihren Konsum nicht einschränken mußten, da die Einkommen sehr gut seien.
In den Monaten Oktober 1991 - Januar 1992 sanken sowohl bei den Fischerhaushalten als auch den Fischereiarbeiter die Anteile für Nahrungsmittelausgaben, ohne daß jedoch die absoluten Ausgaben in diesem Bereich zurückgingen. Die saisonalbedingte besonders gute Einkommenssituation dieser Monate hatte dazu geführt, daß in anderen Bereichen die Ausgaben anstiegen, und dadurch der Anteil für Nahrungsmittelausgaben verhältnismäßig gering war. Wie später bei der Darstellung der Entwicklung anderer Ausgabenposten zu zeigen sein wird, waren diese Monate, die mit der Garnelenfangzeit zusammenfallen, in vielerlei Hinsicht für das wirtschaftliche Leben der Kleinfischer wichtig.
16.2.2. Das Ausgabenverhalten für Alkohol in Nochikuppam
1 Gemeinhin gelten Fischer in Tamil Nadu als eine Kastengruppe, die besonders viel trinkt und bei der der Konsum von Alkohol weniger stark tabuisiert ist als bei anderen Kasten. Schon allein aus diesem Grunde wurde der Ermittlung der Ausgaben für Alkoholika eine sehr große Beachtung geschenkt, da vermutet wurde, daß dafür ein beträchtlicher Teil des Haushaltseinkommens ausgegeben wird, der zudem ausschließlich männlichen Erwachsenen "zugute" kommt.
Abb. 19: Entwicklung der Ausgaben für Zigaretten und Alkohol
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Sowohl bei den Haushalten der Fischer als auch bei den Fischereiarbeiterhaushalten waren diese Ausgaben nach den Ausgaben für Nahrungsmittel mit durchschnittlich 8 Prozent bzw. 14 Prozent der größte Ausgabenposten. Die Unterschiede zwischen und innerhalb beider Gruppen waren allerdings beträchtlich. Sie schwankten bei den Fischerhaushalten zwischen weniger als einem und 19 Prozent und bei den Haushalten der Fischereiarbeitern zwischen zwei und 29 Prozent der Gesamtausgaben, bzw. absolut zwischen 80 und 5161 Rs bei den Fischerhaushalten und 340 und 5680 Rs1 bei den Haushalten der Fischereiarbeiter.
Im Jahresverlauf zeigte sich, daß höhere Ausgaben für Arrak dann auftraten, wenn die Einkommen in der Fischerei relativ gut waren. Allerdings waren die höchsten Ausgaben nicht in den Monaten mit dem höchsten Einkommen (November und Dezember 1991) zu verzeichnen, sondern in den darauffolgenden Monaten. Vor allem während der Garnelenfangzeit (November/Dezember) wurde für Arrak weniger ausgegeben, als das Einkommen erwarten ließe. Abgesehen davon, daß die Verwendung dieses höheren Einkommens häufig bereits anderweitig verplant waren, war jeder Fischer bestrebt, den Alkoholkonsum so zu begrenzen, daß er jeden Tag seine volle Arbeitskraft einsetzen konnte. Die schwierigen Witterungsverhältnisse verlangten dies; die hohen Einkommensaussichten boten einen weiteren Anreiz dazu.
1992 gingen die Ausgaben auch in den einkommensschwachen Monaten nicht auf das niedrige Niveau der entsprechenden Monate von 1991 zurück, obwohl 1992 die Einkommen aus der Fischerei in diesen Monaten (vor allem März und April 1992) deutlich niedriger ausfielen. Inzwischen hatte sich der Preis für Arrak jedoch um ca. 40 Prozent erhöht.2 Das Verbot traditioneller Alkoholika und die damit verbundene Schließung der staatlichen Arrak-Ausgabestellen ließ die Preise für dieses alkoholische Getränk stark in die Höhe steigen. Diese Preissteigerung führte bei den Fischereiarbeitern zu erheblichen Mehrausgaben, während die Fischerhaushalte die Preissteigerung durch Einschränkung des Alkoholkonsums auffingen.
Im Vergleich zum Mai 1991 gaben die Fischereiarbeiterhaushalte im August 1992 fast 50 Prozent mehr für Arrak aus, die Fischerhaushalte jedoch nicht einmal 10 Prozent mehr. Im Verlauf des Untersuchungszeitraums nahm bei den Haushalten der Fischereiarbeiter der Anteil für Alkohol/Zigaretten von Monat zu Monat zu und betrug im August 1992 20 Prozent der Haushaltsausgaben; ein Anteil, der doppelt so hoch war wie bei den Fischerhaushalten. Monatlich wurden in den Fischereiarbeiterhaushalten pro Haushaltsmitglied zwischen 20 und 40 Rs ausgegeben, wobei beachtet werden muß, daß diese Ausgaben lediglich von den männlichen erwachsenen Haushaltsmitgliedern getätigt wurden. Bei den Fischerhaushalten überschritten die monatlichen Pro-Kopf-Ausgaben in diesem Bereich in keinem der untersuchten Monate den Betrag von 20 Rs.
Wie weit der jahrelange Arrakkonsum zu Abhängigkeiten bei den Konsumenten geführt hat, ließ sich nur schwer bestimmen, zumal die ermittelten Ausgaben höchstwahrscheinlich in der Realität sogar noch übertroffen wurden.3 Zwar scheinen die Konsumenten fähig zu sein, ihre Trinkgewohnheiten an das jeweilige Einkommensniveau anzupassen, der Grund hierfür dürfte jedoch schlichtweg der sein, daß für Arrak kein Geld ausgegeben werden kann, wenn keines verfügbar ist. Immerhin wurde in keinem einzigen Fall für den Kauf von Arrak ein Kleinkredit aufgenommen. Bei verschiedentlichen Gesprächen wurde sowohl von Fischern als auch von Fischersfrauen immer wieder nachdrücklich darauf hingewiesen, daß eine Kreditaufnahme für diesen Zweck praktisch ausgeschlossen ist. Besonders wichtig in diesem Zusammenhang ist, daß Kredite in aller Regel von Frauen organisiert werden.
Geht man von nicht mehr als zwei Konsumenten je Haushalt und einem Preis von fünf Rs für ein 0,2 l Glas Arrak aus, dann wurden monatlich von jedem Konsumenten in den Fischerhaushalten mindestens 12 Gläser Arrak getrunken. In den Fischereiarbeiterhaushalten waren es hingegen mindestens 21 Gläser, wahrscheinlich aber mehr.
16.2.3 Die Ausgaben für Kleidung
Die Haushaltsausgaben für Kleidung betrugen bei den Haushalten der Fischer etwa drei Prozent und bei den Fischereiarbeiterhaushalten etwa vier Prozent der Gesamtausgaben. Durchschnittlich wurden während der untersuchten 16 Monate bei beiden Gruppen pro Haushaltsmitglied etwas mehr als 100 Rs für Bekleidung ausgegeben, wobei sich die Ausgaben auf die Monate Oktober 1991, November 1991 und Januar 1992 konzentrieren. In diesen drei Monaten werden etwa 60 Prozent der Ausgaben für Bekleidung getätigt. Der Kauf von Kleidung ist in Indien sehr eng mit den wichtigen Festtagen verbunden. In Tamil Nadu sind besonders vor Diwali (Anfang November) und vor Pongal (Mitte Januar) die Ausgaben für Bekleidung besonders hoch.
Abb. 20: Entwicklung der Ausgaben für Kleidung
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Von staatlicher Seite wird dieser Brauch in der Form häufig aufgegriffen, daß vor Diwali und/oder Pongal Kleidungsstücke an bedürftige Familien kostenlos verteilt werden. So wurde im Januar 1992 an alle Haushalte, die in ihrer Ration-Card ein Haushaltseinkommen von 300 Rs und weniger eingetragen hatten, jeweils ein Sari für die Frau des Haushaltsvorstandes (Wert etwa 40 Rs) und ein Dhoti für den Haushaltsvorstand selbst (Wert etwa 30 Rs) verteilt.
Gerade solche "Geschenke" von der jeweiligen Regierung scheinen sich im Gedächtnis der Menschen sehr nachhaltig einzuprägen. So konnten viele Befragte angegeben, welche Regierung der letzten 10 Jahre an welchen Feststagen welche Kleidungsstücke kostenlos verteilt hatte und welche Qualität diese Kleidung hatte. Während der Untersuchung wurden zu zwei Anlässen von der Regierung Tamil Nadus Kleidung an Armutsgruppen verteilt. Die Berechtigten in Nochikuppam erhielten diese Kleidung.
Daneben spielen beim Kleidungskauf auch individuelle Feste (vor allem Hochzeiten) eine große Rolle, wobei bei Hochzeiten inzwischen die Kosten für die "Festkleidung" der Familie des Bräutigams immer häufiger von der Familie der Braut übernommen wird, also Bestandteil der Mitgift geworden ist.1 Kinder erhalten sehr häufig die Kleidungsstücke ihrer älteren Geschwister; bis zum Alter von etwa 5 Jahren sind hier die Ausgaben gerade bei ärmeren Haushalten minimal, d.h. neben wenigen "Hemdchen" und "Höschen", die sehr billig (jeweils unter 10 Rs) gekauft werden können, fallen kaum Ausgaben an. Bemerkenswert ist jedoch, daß selbst bei sehr armen Haushalten eine deutliche Unterscheidung zwischen "Alltagskleidung" und "Festtagskleidung" vorgenommen wird, und auch die Kinder immer mindestens ein Kleidungsset für festliche Anlässe haben.
16.2.4 Die Ausgaben für Gesundheit
Kosten für Arztbesuche und Medikamente sind in der Regel unvorhersehbar und außer bei chronischen Krankheiten zumeist auch unregelmäßig. Die Wahl, ob Kosten eingegangen werden oder nicht, besteht häufig nicht, wohl aber der Versuch, die Kosten zu begrenzen. Außerdem werden Ausgaben in diesem Bereich weitaus individueller getätigt, als dies etwa bei Ausgaben für Nahrung und Kleidung der Fall ist; die Unterschiede auf Haushalts- und Personenebene fallen deshalb erheblich größer aus. Auf Grund dieser konkurrierenden Variablen ist die Interpretation der Entwicklung der Ausgaben im Gesundheitsbereich mit Vorsicht anzugehen, und Aussagen über ein verändertes Ausgabenverhalten sind nur möglich, wenn zusätzliche Hintergrundsinformationen herangezogen werden.
Dazu wurden sowohl Personen aus Nochikuppam als auch ein Arzt, den viele der Bewohner von Nochikuppam bei Bedarf aufsuchen, zusätzlich befragt. Im Mittelpunkt standen dabei weniger Fragen zur gesundheitlichen Verfassung der Menschen als deren Ausgabenverhalten für Gesundheit, das sich in Form von Ausgaben für Arztbesuche und Medikamente ausdrückt. Dennoch wurden bei diesen Gesprächen auch medizinische Sachverhalte immer wieder angesprochen, wodurch ein beschränkter Einblick in Gesundheitsprobleme gewonnen werden konnte.
Bislang gibt es kaum Untersuchungen über die gesundheitliche Situation der Menschen in südindischen Fischerdörfern. In vielen sozio-ökonomischen Erhebungen werden dazu, wie auch zur Ernährungslage, Angaben gemacht, die jedoch zumeist reine Beschreibungen sind und daher oftmals den subjektiven Eindruck des Wissenschaftlers wiedergeben.
Blake (1970) weist so z.B. darauf hin, daß die Fischerbevölkerung Tamil Nadus im Allgemeinen in einer besseren gesundheitlichen Verfassung sei als vergleichbare landwirtschaftliche Gruppen. Er weist dies dem Umstand zu, daß die Fischer im Gegensatz zu anderen einkommensschwachen Gruppen ausreichend mit tierischem Eiweiß versorgt seien. Allerdings finden sich Anzeichen für bestimmte Mangelerscheinungen, die durch die einseitige Kost verursacht würden. Blake spricht in diesem Zusammenhang den Mangel an Vitamin A, an Riboflavin (Vitamin B2) und Calcium an (Blake 1970:121).
In einer Zusammenstellung der wenigen Untersuchungen zur Ernährungssituation in indischen Fischergemeinden geht das Bay of Bengal Programme auch allgemeiner auf die Gesundheitssituation in südindischen Fischergemeinden ein (BOBP 1986). So hat z.B. eine Untersuchung zur Ernährungssituation zweier Fischersiedlungen im Madras (Nochikuppam und Ayodyakuppam) ergeben, daß 55 Prozent der Kinder im Alter von weniger als fünf Jahren leicht oder mäßig unterernährt waren. Drei Prozent der Kinder wiesen Anzeichen einer ernsthaften Unterernährung auf (BOBP 1986: 2). Häufig wurde auch eine unzureichende Versorgung mit Vitaminen festgestellt, vor allem der Mangel an Vitamin A (Retinol) und B; desweiteren waren Malaria, Masern, Entzündungen der Atemwege und Durchfall besonders häufig verbreitet. Bei einer weiteren Untersuchung im Kanyakumari und Tirunelveli Distrikt wurde bei einer nicht unerheblichen ("considerable") Anzahl von Frauen und Kindern ein Vitamin A-Mangel festgestellt, der in einigen Fällen zur Erblindung geführt hatte. Die häufigsten Erkrankungen waren jedoch Infektionen der Atemwege, Keuchhusten und Darmparasiten (Würmer).
Nach Einschätzung eines Arztes aus der Nachbarschaft von Nochikuppam, sind die am häufigsten auftretenden Krankheiten Infektionen der Atemwege und Krankheiten, die auf unzureichende hygienische Bedingungen zurückzuführen sind. Hinzu kommen Fälle von Malaria und mitunter Verletzungen, die im Zusammenhang mit der Fischerei stehen. Anzeichen von Magelernährung, besonders bei Kindern, seien relativ häufig. Die Ursachen sieht er vor allem in der einseitigen Kost der Menschen selbst, die in der Hauptsache aus Reis besteht, während die Versorgung mit bestimmten Vitaminen und Calcium zu gering sei.
Die Menschen in Nochikuppam essen nach Einschätzung des Arztes zuwenig Gemüse, das zudem häufig so lange gekocht würde, daß viele der Vitamine zerstört würden; und sie trinken zu wenig Milch, was besonders bei Kindern im Wachstumsprozeß zu Mangelerscheinungen führe. Im Vergleich zur Ernährungssituation in Landarbeiterfamilien, wo zur Fehlernährung häufig noch Unterernährung hinzukäme, sei die Situation in Nochikuppam jedoch besser. Die qualitative Ernährung sei bei den Fischern in der Regel schon allen deshalb besser, da durch den Konsum von viel Fisch Jod- und Eisenmangel1 nur sehr selten auftreten. Im Vergleich zu Fleisch (Huhn oder Schaf) ist auch die Versorgung mit Vitamin B6 (Pyridoxin) beim Verzehr von Fisch bedeutend besser, ebenfalls die Versorgung mit Calcium, wenngleich hier aus dem Verzehr von Fisch allein die täglich benötigten Mengen nicht erreicht werden können.2
Aus Ernährungsgründen sucht in der Regel niemand der Menschen aus Nochikuppam einen Arzt auf. Generell hatte der befragte Arzt auch den Eindruck, daß während des Zeitraums der Untersuchung Patienten aus Nochikuppam immer seltener in seine Praxis kamen.
Obwohl die Fischer berechtigt wären, das staatliche Gesundheitswesen zu nutzen, das kostenlos ist, ziehen sie es vor, sich von privaten Ärzten behandeln zu lassen, was je nach Untersuchung ab 10 Rs aufwärts kostet. Hinzu kommen dann noch die Kosten der Medikamente. Auch wenn es in Nochikuppam selbst keinen Arzt gibt, ist die medizinische Versorgung durch einige niedergelassene Ärzte in der unmittelbaren Nachbarschaft sehr gut. Wollen die Fischer auf das staatliche Gesundheitswesen zurückgreifen, dann bleibt ihnen lediglich der Gang bzw. die Busfahrt in eines der staatlichen Krankenhäuser von Madras.
Im Allgemeinen wird die Qualität dieser Gesundheitsdienste als sehr niedrig angesehen (vgl. auch Kundu 1993; Rosen 1988); hinzu kommt, daß beim Besuch in den staatlichen Krankenhäuser zumeist lange Wartezeiten anfallen, die lediglich durch ein kleines, finanzielles Entgegenkommen von Seiten der Fischer abgekürzt werden können. Von den meisten Fischern wird deshalb die staatliche Gesundheitsversorgung keineswegs als kostenlos wahrgenommen, zumal auch bei der Behandlung in staatlichen Krankenhäusern die Kosten für Medikamente oftmals von den Patienten aufgebracht werden müssen.
1986-87 ließen sich nach den Ergebnissen einer repräsentativen Stichprobenerhebung 58 Prozent der stationär behandelten Patienten in Tamil Nadu in staatlichen Krankenhäusern behandeln. 57,5 Prozent dieser Patienten gaben an, daß sie für die Behandlung keine Kosten aufbringen mußten. Pro Krankheitsfall betrugen in diesem Jahr die Kosten in staatlichen Krankenhäusern 728 Rs, während in privaten Krankenhäusern durchschnittliche Kosten von 1070 Rs anfielen. Von den ambulant behandelten Patienten wurden 32,5 Prozent in staatlichen Einrichtungen (Krankenhäusern, Primary Health Centres) versorgt. Knapp 43 Prozent von ihnen gaben an, daß die Behandlung kostenlos war. Pro Krankheitsfall entstanden in staatlichen Einrichtungen Kosten von durchschnittlich 47 Rs, in privaten Krankenhäusern und Arztpraxen waren es 64 Rs pro Krankheitsfall. 7,4 Prozent der befragten Personen gaben an, daß aus finanziellen Gründen auf ärztliche Hilfe verzichtet werden mußte (Kundu 1993).
Für untere Einkommensgruppen haben niedergelassene Ärzte eine ähnlich hohe Bedeutung wie staatliche Krankenhäuser, während private Krankenhäuser Patienten aus niederen Einkommensgruppen weitaus seltener behandeln (Kundu 1993:259).
Abb. 21: Entwicklung der Ausgaben für Gesundheit
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Sowohl die Haushalte der Fischer als auch jene der Fischereiarbeiter gaben während der Untersuchung etwa vier Prozent ihrer Haushaltsausgaben für Arztbesuche und Medikamente aus, wobei die Schwankungen bei den Fischerhaushalten zwischen 274 und knapp 5000 Rs und bei den Haushalten der Fischereiarbeiter zwischen 55 und 2645 Rs beträchtlich waren. Bei beiden Gruppen wurden durchschnittlich knapp 900 Rs für Gesundheit ausgegeben, wobei allerdings der Durchschnittswert bei den Fischerhaushalten durch Ausgaben in Höhe von 4700 Rs1 in einem einzigen Fall verzerrt wird. Ohne diesen besonderen Krankheitsfall betrug hier der Durchschnittswert 772 Rs pro Haushalt. Eine Entwicklung der Ausgaben, die in einem erkennbaren Zusammenhang mit den Einkommen aus der Fischerei steht, ist nicht festzustellen, ebenso entwickeln sich die Ausgaben bei den Fischerhaushalten und den Haushalten der Fischereiarbeiter häufig gegenläufig. Während der Monsunzeit (Oktober-Januar), also der Zeit, in der die Fischer ganz besonders ungünstigen Witterungsverhältnissen ausgesetzt sind, sind ebenfalls keine außergewöhnlich hohen Ausgaben für Gesundheit feststellbar.
Erkennbar ist jedoch, daß während des Untersuchungszeitraumes bei den Haushalten der Fischereiarbeiter die Ausgaben im Gesundheitsbereich deutlich zurückgehen. Außer im Januar 1992, überschreiten sie in der zweiten Hälfte des Untersuchungszeitraums nicht die Durchschnittswerte aller Monate. Diese Beobachtung für sich reicht allerdings nicht aus, um eine Veränderung im Ausgabeverhalten festzustellen.
Berücksichtigt man jedoch die durchschnittliche Höhe der einzeln getätigten Ausgaben, wird eine solche Verhaltensänderung deutlich. Zu Beginn der Untersuchung wurde in jedem einzelnen Fall bedeutend mehr für Gesundheit ausgegeben als am Ende. Mit 35 Rs/Ereignis fallen die höchsten Ausgaben im Mai 1991 an; ab Dezember 1991 werden regelmäßig weniger als 10 Rs/Ereignis ausgegeben, d.h. weniger als ein einzelner Arztbesuch kostet. Gleichzeitig werden jedoch erheblich häufiger Ausgaben für Gesundheit getätigt. In der Tendenz ist ähnliches auch in den Fischerhaushalten feststellbar, wenngleich dies - im Gegensatz zu den Haushalten der Fischereiarbeiter - nicht zu einer deutlichen Reduzierung der Gesundheitsausgaben führt, da die zunehmende Häufigkeit der Ausgaben die abnehmende Höhe/Ereignis zum größten Teil kompensiert.
Durch die Zuspitzung ihrer finanziellen Situation litt die Qualität der medizinischen Versorgung der Menschen in Nochikuppam. Sie begaben sich nur dann noch in ärztliche Behandlung, wenn dies unumgänglich erschien. Dies war auch schon - nach Angaben des Arztes aus der Nachbarschaft - vorher der Fall. Er berichtete davon, daß häufig die Patienten erst dann zu ihm kämen, wenn der Krankheitsverlauf bereits weit vorangeschritten sein, so daß eine Therapie erschwert würde. Nun wird die Hemmschwelle zum Arztbesuch weiter erhöht. Statt dessen verlassen sich die Menschen immer häufiger auf die Selbstbehandlung. Sie kaufen sich die Medikamente in Apotheken bzw. Gemischtwarenläden, die meist auch die wichtigsten Standardpräparate anbieten und sparen sich die Kosten für den Arztbesuch.
Tab. 62: Häufigkeit und Höhe der Ausgaben für Gesundheit (Fischerhaushalte)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Ein ähnliches Verhalten ist in ländlichen Gebieten festzustellen, in denen die medizinische Versorgung unzureichend ist. Wenige Standardmedikamente werden hier zur Behandlung fast aller auftretenden Krankheiten eingesetzt, ohne zuvor einen Arzt oder Angehörigen eines Basisgesundheitsdienstes konsultieren zu können.
In einer Untersuchung zur Situation von Fischersfrauen in drei ländlichen Fischersiedlungen in Tamil Nadu stellt Drewes (1982) hinsichtlich der medizinischen Versorgung fest:
"Some basic modern medicines are available, mainly general pain-killing tablets which can be got from the shops in all the three villages, and in Pattipulam, from the headman; he distributes them to the fisherfolk on request and eight out of nine women approach him for tablets. Nine of ten of the women answered that they have to buy tablets. In Perianeelangarai nearly four out of five of the women get free tablets from a person referred to as L.F.A. (Lady for First Aid). This however does not seem to meet their needs sufficiently as three out of four mentioned that they buy medicine from the shop" (Drewes 1982:15)
Tab. 63: Häufigkeit und Höhe der Gesundheitsausgaben (Fischereiarbeiterhaushalte)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die zunehmende Häufigkeit der Ausgaben für Gesundheit muß nicht unbedingt bedeuten, daß die Menschen durch ihr verändertes Verhalten in gesundheitlichen Angelegenheiten nun öfters krank werden. Von einem Arzt erhalten sie i.d.R. die Menge der Medikamente verschrieben, die notwendig ist, um die Kranktheit vollständig auszukurieren. Nun kaufen sie den Medikamentenbedarf für einen kürzeren Zeitraum ein und kaufen dann Medikamente nach, wenn die Krankheit noch immer nicht geheilt ist. Diese Art der Selbstbehandlung birgt vielerlei Risiken in sich. Viele unterschiedliche Krankheiten weisen ähnliche Symptome auf. Eine Grippe ist für den Laien, d.h. ohne spezielle Diagnoseverfahren, nur schwer von einer Malaria zu unterscheiden. Hohes Fieber, Gliederschmerzen, z.T. auch Erbrechen oder Durchfall, sind bei beiden Krankheiten typische Symptome. Antibiotika helfen bei keiner.
Ähnlich bei Durchfallerkrankungen, die im Zusammenhang mit hohem Fieber auftreten. Auch hier sind die Krankheitssymptome selbst für einen Arzt oftmals so unklar, daß zur Ermittlung des Krankheitsbildes aufwendigere Diagnosen notwendig sind. Eine Selbstbehandlung, die auf einer Fehleinschätzung der Krankheit beruht, kann so schwerwiegende Folgen haben. Vor allem bei infektiösen Krankheiten, die zumeist mit Antibiotika behandelt werden, kommt ein weiters Risiko hinzu. Werden diese Krankheiten nicht vollkommen auskuriert, können Resistenzen gegen die eingesetzten Antibiotika auftreten. Da sich häufig nach dem Beginn der Medikamenteneinnahme eine Verbesserung des Krankheitszustandes einstellt, werden die Medikamente zu früh abgesetzt, denn sie müssen auch dann noch für einen bestimmten Zeitraum eingenommen werden, in dem keine Krankheitssymptome mehr auftreten. Wird dies nicht beachtet, kann nach kurzer Zeit die Krankheit erneut ausbrechen, wobei inzwischen u.U. eine Resistenz der Krankheitskeime gegen das Antibiotika eingetreten ist. Sollte durch die GATT-Vereinbarungen, die zu einer Änderung der indischen Patentbestimmungen führen werden, eine starke Verteuerung von Medikamenten eintreten, ist mit einer weiteren Verschlechterung der medizinischen Versorgung von Armutsgruppen zu rechnen. Sie werden die Selbstbehandlung dann noch früher abbrechen (müssen).
16.2.5 Haushaltsausgaben für Energie
Energie wurde in den untersuchten Haushalten hauptsächlich zum Kochen und zur Beleuchtung benötigt. In einigen wenigen Fällen kam zusätzlich noch der Bedarf zum Betrieb elektrischer Geräte hinzu. Etwas mehr als der Hälfte der untersuchten Fischerhaushalte verfügen über einen Stromanschluß. Bei den Haushalten der Fischereiarbeiter war dies lediglich in zwei von acht Haushalten der Fall. Gekocht wurde in der Regel mit Kerosin. Gaskocher, wie sie in Haushalten der indischen Mittelschicht verbreitet sind, gab es in den untersuchten Haushalten keine. Gelegentlich wurde zusätzlich zum Kerosin Feuerholz verwendet, vor allem in Haushalten, die in Hütten lebten. Haushalte, die über Stromversorgung verfügten, stellten so ihre Beleuchtung sicher, während in allen anderen Haushalten Kerosinlampen zum Einsatz kamen. Sehr viele Haushalte, die in Wohnungen des Slum Clearance Boards lebten, verfügten über keinen "offiziellen" Stromanschluß, sondern wurden über den Anschluß einer Nachbarwohnung versorgt. Die Stromgebühren waren dann "anteilig" zu bezahlen, wobei nicht selten Streitigkeiten darüber entstanden, wie hoch ein angemessener Anteil zu sein hat, da Gebührenzähler fehlten.
Abb. 22: Entwicklung der Ausgaben für Energie
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Sowohl die Fischerhaushalte als auch die Haushalte der Fischereiarbeiter gaben etwa fünf Prozent der Haushaltsausgaben für Energie aus. Während des Untersuchungszeitraum veränderte sich dieser Anteil nicht wesentlich, woraus geschlossen werden kann, daß die absoluten Ausgaben für Energie dann am höchsten waren, wenn auch die Ausgaben in anderen Bereichen hoch waren. Bei beiden Gruppen wurde im Dezember 1991 besonders viel für Energie ausgegeben, am wenigsten bei den Haushalten der Fischereiarbeiter im September 1991 und April 1992 und bei den Fischerhaushalten im Juni 1991, September/Oktober 1991 und April 1992.
Einsparmöglichkeiten bestanden vor allem beim Kochen. Vor allem in den Haushalten der Fischereiarbeiter konnte beobachtet werden, daß in einkommensschwachen Zeiten auf eine warme Mahlzeit am Tag verzichtet wurde, nämlich auf das Frühstück. In Zeiten mit gutem Einkommen bereiten die Frauen ihren Männern und sich zum Frühstück häufig Dosai, ein aus Linsen- und Reismehl gebratener Pfannkuchen, der zusammen mit verschiedenen Saucen und Chutneys gegessen wird. In Perioden mit niedrigem Einkommen wird dieses Frühstück häufig durch den Verzehr von Kanchi ersetzt. Kanchi ist gekochter Reis vom Vorabend, der über Nacht in Wasser eingelegt wird. Viele ältere Bewohner von Nochikuppam berichteten davon, daß es früher immer nur diese Speise zum Frühstück gegeben hätte. Erst als sich die wirtschaftliche Situation in der Fischerei verbessert hatte, gingen die Haushalte immer mehr davon ab, Kanchi zum Frühstück zu essen. Heutzutage wird darauf nur noch zurückgegriffen, wenn die Haushalte sparen müssen bzw. wenn vom Reis des Vorabends Reste übrig geblieben sind. Auf diese Art kann so täglich auf die Zubereitung einer warmen Mahlzeit verzichtet und damit Kerosin eingespart werden.
16.2.6 Haushaltsausgaben für Transport
Im Oktober 1991 wurden die Busfahrpreise in Tamil Nadu um etwa 20 Prozent erhöht. Zwar gehörten auch danach die Preise für öffentliche Verkehrsmittel - nach Angabe der Regierung - noch immer zu den billigsten in ganz Indien, für die Menschen bedeutete dies nichts desto weniger eine erhebliche Einschränkung ihrer Mobilität. Dies traf insbesondere für Gruppen mit niedrigem Einkommen zu, doch auch die Mittelschichten wurden von dieser Fahrpreiserhöhung getroffen, da parallel dazu auch die staatlich reglementierten Preise für Auto-Rickshaws und Taxen anstiegen.
In den untersuchten Fischerhaushalten wurden etwa drei Prozent der Haushaltsausgaben für Transport aufgewendet; bei den Haushalten der Fischereiarbeiter waren es vier Prozent. Am höchsten waren die Ausgaben bei Haushalten, aus denen Frauen Fischvermarktung betrieben, bzw. ein Haushaltsmitglied einer Arbeit außerhalb Nochikuppams nachging und seine Arbeitsstelle mit einem öffentlichen Verkehrsmittel erreichen mußte. In diesen Fällen lagen die Ausgaben für Transport wie zu erwarten über dem Durchschnitt für alle Haushalte und betrugen in einem Fall sogar 12 Prozent der Haushaltsausgaben (FA3).
Während des Untersuchungszeitraums gingen die Ausgaben für Transport trotz der angesprochenen Preiserhöhung sehr stark zurück. Bei den Fischerhaushalten betrugen sie im August 1992 gerade noch 83 Prozent vom Mai 1991, bei den Haushalten der Fischereiarbeitern waren es sogar nur noch 76 Prozent.
Insgesamt kann festgestellt werden, daß erheblich weniger Fahrten unternommen wurden. Bei den Fischerhaushalten ging die Häufigkeit von Fahrten (Hin- und Rückfahrt) von 388 im Mai 1991 auf 148 im August 1992 zurück, bei den Haushalten der Fischereiarbeiter von 143 auf 54 im gleichen Zeitraum. Bei den Fischerhaushalten wurden im Mai 1991 durchschnittlich 10,5 Fahrten unternommen, während es im August 1992 gerade noch vier Fahrten waren. Bei den untersuchten Haushalten der Fischereiarbeiter war die Anzahl der monatlichen Fahrten bedeutend höher, nahm aber während der Untersuchung ebenfalls stark ab. Im Mai 1991 wurden hier durchschnittlich 18 Fahrten unternommen, im August 1992 waren es nur noch 10,5 Fahrten pro Haushalt. Am stärksten haben bei beiden Gruppen die Ausgaben für Fahrten innerhalb des Stadtgebietes von Madras abgenommen (bis zu 5 Rs). Viele Wege, die vorher mit dem Bus zurückgelegt wurden, wurden nun zu Fuß bewältigt bzw. mit dem Fahrrad.
Abb. 23: Entwicklung der Haushaltsausgaben für Transport
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Weniger stark abgenommen hatten Fahrten über 5 Rs, die am häufigsten zwischen September 1991 und Januar 1992 unternommen wurden. Da in diese Zeit die wichtigsten Feiertage Tamil Nadus fallen (Diwali im Oktober und Pongal im Januar), kann davon ausgegangen werden, daß diese Fahrten häufig zum Besuch von Verwandten unternommen wurden.
Tab. 64: Häufigkeit und Höhe der Ausgaben für Transport (Fischerhaushalte)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Mit dieser Einschränkung der Moblität sanken auch die Möglichkeiten, außerhalb der Fischerei eine Beschäftigung zu finden, da die steigenden Kosten für Transport, den Radius, innerhalb dessen es überhaupt lohnend ist, eine Beschäftigung anzunehmen, sinken ließ. Von drei Personen, deren Haushalte allerdings sich nicht an der Untersuchung beteiligten, ist bekannt, daß sie nach der Fahrpreiserhöhung ihre Beschäftigung aufgegeben haben, da die Fahrt zu ihrem Arbeitsplatz zu teuer geworden war.
Tab. 65: Häufigkeit und Höhe der Ausgaben für Transport (Fischereiarbeiterhaushalte)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
16.2.7 Sonstige Haushaltsausgaben
Zu den Ausgaben, die bislang nicht angesprochen wurden, gehörten die Ausgaben für Wohnen, für religiöse Zwecke, für Bildung und sonstige Haushaltsausgaben. Alle dieser Ausgaben fielen so unregelmäßig an, daß es wenig sinnvoll erschien, eine Entwicklung während des Untersuchungszeitraums analysieren zu wollen.
Alle der untersuchten Haushalte bezahlten keine Miete; zum Teil lebten sie in eigenen Hütten, zum größeren Teil jedoch in Wohnungen des Slum Clearance Boards, für die sie eine Miete von ca. 30 Rs monatlich entrichten müßten, dies jedoch nicht tun. Ausgaben für Wohnen beinhalteten deshalb in der Regel die Ausgaben zur Instandhaltung des Wohnraums. Bei Hütten muß etwa alle drei bis vier Jahre das Dach vollständig erneuert werden, wobei Kosten in der Größenordnung von 1000 Rs anfallen. In den Wohnungen des Slum Clearance Boards müssen größere Ausgaben mitunter deshalb getätigt werden, weil die Bauausführung höchstwahrscheinlich sehr unzureichend war, und deshalb von Zeit zu Zeit größere Instandhaltungsarbeiten notwendig werden. Zum Teil sind die Flachdächer undicht, zum Teil stürzen auch hin und wieder Mauern ein, die von den Bewohner selbst wiedererrichtet werden müssen, da das Slum Clearance Board nichts zur Instandhaltung der Wohnungen unternimmt. Vertreter des SCB verweisen darauf, daß die Bewohner der Wohnungen solange keinen Anspruch auf Instandhaltungsmaßnahmen hätten, solange sie ihre Mieten nicht bezahlten.
Ausgaben für religiöse Zwecke fielen hauptsächlich bei Tempelbesuchen außerhalb Madras an. Hier handelte es sich in der Regel um organisierte "Gruppenreisen", die mehrere Familien aus Nochikuppam gemeinsam unternahmen. Unter den sonstigen Ausgaben wurden die Ausgaben für Freizeitaktivitäten (hauptsächlich Kinobesuche), für Konsumgüter und Boote/Netze zusammengefaßt. Wie die Ausgaben für Wohnen wurden hier die höchsten Ausgaben im Zeitraum zwischen November und Januar getätigt, weil in dieser Zeit die Einkommen überdurchschnittlich hoch waren und daher aufgeschobene Anschaffungen gemacht werden. Im Oktober und November 1991 haben sich auch Fischer aus acht Haushalten ein neues Mani Valai gekauft, um damit für die Garnelenfangzeit bestens gerüstet zu sein.
Als letzte ausgewiesene Ausgabegruppen bleibt die der Ausgaben für Erziehung der Kinder. Bei den Haushalten der Fischer betrugen sie etwa ein Prozent der gesamten Haushaltsausgaben, bei den Fischereiarbeiter waren es sogar ein noch geringerer Anteil. Angesichts dieser niedrigen Ausgaben in diesem Bereich ist es wenig sinnvoll, hier einen Trend über den gesamten Untersuchungszeitraum feststellen zu wollen, zumal nicht in allen untersuchten Haushalten überhaupt Kinder im schulpflichtigen Alter waren. Selbst in den Haushalten, in denen Kinder sich in diesem Alter befanden, müssen niedrige oder gar keine Ausgaben nicht bedeuten, daß kein Schulbesuch stattfand. Da der Besuch staatlicher Schulen kostenlos ist und - wie in Privatschulen üblich - auch keine Ausgaben für die Schuluniformen anfielen, halten i.d.R. nicht hohe Kosten schulpflichtige Kinder vom Schulbesuch ab, sondern eher die Tatsache, daß sie bereits frühzeitig zum Haushaltseinkommen beitragen müssen, sei es indem Söhne mit ihren Vätern zum Fischen ausfahren, oder daß Töchter ihrer Mutter bei der Hausarbeit entlasten, so daß diese auf den Fischmarkt gehen kann. Immer häufiger arbeiten Mädchen im schulpflichtigen Alter auch für Schuhexportfirmen.
Bei der Haushaltsbefragung wurde bezüglich des Schulbesuches festgestellt, daß - im Gegensatz von vor etwa zehn Jahren - Eltern inzwischen auch zögern, ihre Kinder auf eine weiterführende Schule zu schicken, da sie die Erfahrung machen mußten, daß ein besserer Bildungsabschluß nicht automatisch zu einem beruflichen Aufstieg und somit wirtschaftlichen Besserstellung der Familie führt. In einigen Fällen kann sogar vermutet werden, daß durch ein hohes Bildungsniveau der Söhne Haushalte ökonomisch sogar zurückgeworfen wurden, da diese Söhne bislang keine Arbeit finden konnten, jedoch als Fischer auch nicht mehr in betracht kommen, da sie diese Arbeit noch nie gemacht haben und sich häufig auch schlichtweg weigern, mit ihren Vätern zum Fischen auszufahren.
16.3 Vergleich der Haushaltsausgaben und -einnahmen
Mit lediglich einer einzigen Ausnahme (FA3) haben während des Untersuchungszeitraums alle Haushalte mehr eingenommen als ausgegeben, oder um es genauer zu sagen: die fest-gehaltenen Ausgaben waren in nahezu allen Fällen durch die festgestellten Einnahmen abgedeckt.
Jene Haushalte, die weitere, jedoch in der Höhe unbekannte Einnahmen hatten, sind gleichzeitig die, die bereits im Hinblick auf die festgestellten Einnahmen und Ausgaben am Ende des Untersuchungszeit-raums die höchsten Überschüs-se hattenEs kann angenommen werden, daß zumindest jene Haushalten, von denen bekannt war, daß sie Geldverleihergeschäfte betrieben, diese Überschüsse in solchen Geschäften angelegt hatten und dadurch ihre ohnehin sehr gute finanzielle Position noch erheblich ausbauen konnten.
Bei den meisten Haushalten war jedes Einkommen notwendig, damit kein Defizit erwirtschaftet wurde. Lediglich bei Haushalt F10 hätte jeweils ein beliebiges Einkommen ausfallen können und dennoch wäre ein Überschuß erzielt worden. Nachfolgende Tabelle stellt diesen Sachverhalt ausführlicher dar. Dabei wurde der erwirtschaftete Überschuß (bzw. bei FA3 das Defizit) und die jeweiligen unterschiedlichen Einkommensarten miteinander verrechnet. Auf diese Weise konnte festgestellt werden, ob ein bestimmtes Einkommen unbedingt notwendig war, um im betreffenden Haushalt ein mögliches Defizit auszugleichen.
Hinsichtlich der Überschüsse gab es leichte Unterschiede zwischen den Haushalten der Fischer und jenen der Fischereiarbeiter. So hatten die Haushalte der Fischer durchschnittlich einen Überschuß von etwa 6700 Rs, während der der Fischarbeiterhaushalte lediglich 6000 Rs betrug. In beiden Gruppen bestanden allerdings erhebliche Unterschiede zwischen einzelnen Haushalten.
Haushalt F4 hatte z.B. lediglich Einkommen aus dem Fischfang. Während des Untersuchungszeitraums wurden 16 Rs mehr eingenommen als ausgegeben, d.h. (rechnerisch) hätte der Haushalt sich um über 17.000 Rs verschulden müssen, wäre kein Einkommen aus dem Fischfang erzielt worden. Es versteht sich von selbst, daß jene Haushalte, die lediglich eine einzige Einkommensart (Fischfang) hatten, vollständig von diesen Einkommen abhängig waren. Interessant wird die Betrachtung jedoch bei Haushalten mit mehreren Einkommensarten. So gab es lediglich drei Haushalte, die auch ohne ihre Einnahmen aus der Fischerei einen Einnahmeüberschuß erwirtschaftet hätten. In allen drei Haushalten (F10, F21 und FA7) wurden Einkommen durch die Beschäftigung im staatlichen Sektor erzielt. Bei der Hälfte der Haushalte, in denen junge Frauen für Exportfirmen arbeiten, hätten die anderen Einnahmen nicht ausgereicht, die vorgenom-menen Ausgaben zu decken. In diesen Fällen war die Arbeit für Exportunternehmen, die in den allermeisten Fällen Kinderarbeit ist, unbedingt notwendig, um das Konsumniveau des Haushaltes aufrecht erhalten zu können bzw. um eine Verschuldung vermeiden zu können. Bei den anderen sieben Haushalten, die solche Einnahmen hatten wurde mit Ausnahme von zwei Haushalten (F19 und FA1) nur unwesentlich mehr verdient, um ein solches Defizit zu vermeiden. Es ist zu vermuten, daß diese Beschäftigungen nur deshalb aufgenommen wurden, um eine mögliche Verschuldung oder Konsumbeschränkung in diesen Haushalten vermeiden zu können.
Tab. 66: Einnahmen und Ausgaben der Haushalte
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Ähnliches traf in aller Regel für jene Haushalte zu, in denen Frauen Fischvermarktung betrieben. Auch hier war in den allermeisten Fällen das aus dieser Erwerbstätigkeit erzielte Einkommen unbedingt notwendig. Ohne diese Einkommen hätten 17 der 25 Haushalte zu wenig verdient, um die angefallenen Ausgaben abdecken zu können. Erstaunlich ist allerdings, daß auch die Haushalte mit Einkommen aus der Beschäftigung im staatlichen Sektor Zusatzeinkommen haben mußten, um ihre gesamten Ausgaben bestreiten zu können. Die Gehälter der Staatsbediensteten reichten in fünf von sechs Fällen nicht aus, um sämtliche Haushaltsausgeben abzudecken.
Tab. 67: Überschuß bzw. Defizit durch unterschiedliche Einkommensarten
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Es war allerdings keineswegs so, daß bei allen Haushalten alle Einkommen zusammen gerade ausreichten, um die Haushaltsausgaben zu finanzieren. Nicht wenige Haushalte erzielten beträchtliche Überschüsse. Diese Überschüsse stiegen tendenziell mit der Anzahl der unterschiedlichen Einkommensarten an. Während Haushalte, die lediglich Einkommen aus dem Fischfang hatten, durchschnittlich einen Überschuß von etwa 3200 Rs pro Haushalt erwirtschafteten, betrug der Überschuß bei Haushalten mit zwei unterschiedlichen Einkommensarten etwa 5100 Rs, während er bei Haushalten mit drei Einkommensarten 4100 Rs war. Am höchsten war aber dieser Überschuß bei Haushalten mit vier und mehr unterschiedlichen Einkommensarten. So hatten Haushalte, deren Mitglieder aus vier unterschiedlichen Bereichen Einkommen erzielten durchschnittlich 16.000 Rs mehr als sie tatsächlich ausgaben, bei Haushalten mit fünf Einkommensarten waren es etwa 14.000 Rs und der einzige Haushalt, in dem Einkommen aus sechs unterschiedlichen Breichen erwirtschaftet wurden (F10; Fischfang, Beschäftigung im staatlichen Sektor, Gelegenheitsarbeit, Vermietung, Geldverleih und Verpachtung von Werbeflächen), hatte am Ende des Untersuchungszeitraums über 30.000 Rs mehr eingenommen als ausgegeben. Bei diesen Ergebnissen gilt es zu beachten, daß gerade die Haushalte mit sehr hohen Überschüssen, noch zusätzliche Einkommen aus Geldverleih erzielten.
FAZIT
Nach Berücksichtigung der Haushaltsausgaben bestätigt sich jene Tendenz, die bereits bei der ausschließlichen Betrachtung der Einkommenssituation festgestellt wurde: jene Haushalte schnitten ökonomisch in aller Regel am Günstigsten ab, denen es gelungen war, ihre Einkommensstruktur zu diversifizieren. Die mit Abstand besten Ergebnisse waren bei Haushalten festzustellen, die neben produktiven Einkommen auch Renteneinkommen hatten. Die Diversifizierung bzw. Verflechtung von Einkommensarten scheint auch unter dieser Betrachtung eher das Ergebnis von relativem Wohlstand denn von einer aus Armut geborener Überlebensstrategie zu sein.
17 Selbsthilfe und staatliche Intervention
In den beiden vorausgegangenen Kapiteln wurde die Entwicklung der Einnahmen und Ausgaben von Haushalten untersucht, aus denen Mitglieder Fischfang betreiben. Dabei zeigte sich, daß die Einnahmen großen jahreszeitlichen Schwankungen ausgesetzt sind, was wiederum auch Auswirkungen auf das Ausgabeverhalten der untersuchten Haushalte hatte. Überlagert wurde dies jedoch von Prozessen, die ihre Ursachen außerhalb der dörflichen Ökonomie haben. Steigende Preise in vielen unterschiedlichen Bereichen führten dazu, daß sich die Struktur der Haushaltsausgaben veränderte. In einem einzigen Fall konnte auch festgestellt werden, daß die Kleinfischer von Preissteigerungen profitieren konnten: steigende Dieselpreise im Zusammenhang mit Rationalisierungsmaßnahmen anläßlich des Golf-Krieges im Frühjahr 1991 wirkten sich negativ auf die Trawlerfischerei aus. Dadurch gingen die Anlandungen von Fisch im modernen Sektor zurück, und die Kleinfischer konnten für ihre Produkte erheblich bessere Preise erhalten. Abgesehen von dieser für die Kleinfischer günstigen Phase im Frühsommer 1991, verschlechterte sich während des Untersuchungszeitraums die sozio-ökonomische Situation in der Kleinfischerei zusehends.
Im folgenden Kapitel soll untersucht werden, wie unterschiedliche Segmente der Fischergesellschaft auf diese Situation reagierten, und welche Unterstützung sie dabei von staatlicher Seite erwarten können. Einsparungen bei den Ausgaben für bestimmte Waren und Dienstleistungen waren eine Reaktion auf diese Entwicklung. Darauf wurde ausführlich im vorangegangenen Kapitel eingegangen. Im folgenden wird zu zeigen sein, wie sich das Kredit- und Sparverhalten einzelner Haushalte verändert hat, welche Rolle gruppenspezifische (Chit-Funds) und dörfliche Institutionen (Dorfkasse) dabei spielten und wie die Rolle des staatlichen Verteilungssystemes und anderer sozial motivierte Programme der Regierung von Tamil Nadu auf lokaler Ebene zu bewerten ist.
17.1 Der informelle Kreditsektor in der Kleinfischerei
Im Zusammenhang mit den Erhebungen zu den Haushaltsausgaben wurde auch ermittelt, wann und in welcher Höhe die einzelnen Haushalte Kreditrückzahlungen vornahmen, von wem diese Kredite gewährt worden waren, und welche Bedingungen daran geknüpft waren.
Bei der Finanzierung der Produktionsmittel wurde bereits darauf verwiesen, daß Investitionen in der Regel aus unterschiedlichen Quellen finanziert werden (vgl. auch: Anbarasan/Fernandez 1986:11f), wobei der größte Teil des Kapitals aus eigenen Mitteln aufgebracht wird, zum Teil aus Geldvermögen, das in Chit-Funds angespart wurde.
Ergänzt wurden die eigenen Mittel durch Fremdkapital. Hier standen an erster Stelle Finanzmittel, die gegen eine entsprechende Sicherheitsleistung bei einem Pfandleiher aufgenommen wurden. Unbedeutender waren Kredite, die im Familien- und Bekanntenkreis aufgenommen wurden und solche von lokalen Geldverleihern. Vollkommen fehlen Bankkredite (vgl. auch: Anbarasan/Fernandez 1986:11; Blase 1982:8; Drewes 1982:20) und Kredite und Zuschüsse der Entwicklungsbehörden (vgl. auch: Anbarasan/Fernandez 1986:11).
Dies sollte auf den ersten Blick verwundern, waren seit der Unabhängigkeit auch im Fischereibereich Genossenschaften gegründet worden, zu deren wichtigsten Aufgaben es gehörte, staatliche Entwicklungskredite und -zuschüsse ihren Mitgliedern zur Verfügung zu stellen.
"Credit facilities in the form of loans and subsidies for the development of small-scale fisheries of India were extended by the central and state governments through their development projects, Fisheries Cooperative Societies and specific programmes. [...] Besides, various financial institutes, agricultural development banks and commercial banks also provide credit and loan facilities. Nevertheless, in many cases, the slow pace of development of the small-scale fisheries, despite ist national importance, has been attributed to inadaquate finance and credit facilities avaiable to this sector. Where such a facility is available, it is frequently not utilized due to the fishermen's ignorance of the existing opportunities and hesitation to opproach the financial institutes" (Vedavyyasa Rao 1980: 282).
Ähnliches vermerkt auch Rajan (1976) in Bezug auf die Fischereigenossenschaften in Tamil Nadu:
"Fishing is a way of life for the fishermen and not a buisiness proposition yet. Their life is un-enviable, the economic lot is still less enviable and the occupational hazards innumerable. With their out moded boats and biblical fishing techniques they continue their struggle alternaly in land and sea. Experiences passed on through generations guide them in their search for fish. [...] Formation of co-operatives have come as a summer rain to help improve their economic condition, modernise fishing techniques and put them on the path of economic recovery. In fact most of the fishermen have come under the cooperative fold and are beginning to enyoy the benefits" (Rajan 1976: 306).
Mitte der 70er Jahre gab es fast in jedem Fischerdorf Tamil Nadus eine Fischereigenossenschaft (Rajan 1976: 308), für 1987 gibt das Tamil Nadu Fisheries Department die Anzahl der Genossenschaftsmitglieder mit über 117.000 an (TNFD 1988: 14). Demnach gab es mehr Genossenschaftsmitglieder als aktive Fischer (TNFD 1988: 5). Es kann allerdings davon ausgegangen werden, daß die allermeisten dieser Institutionen nur eingeschränkt als Genossenschaften bezeichnet werden können. Sie sind weniger Organisationen, die sich aus den Beiträgen bzw. Anteilen ihrer Mitglieder finanzieren, sondern vielmehr der verlängerte Arm der Fischereibehörde. Damit trifft für diese Genossenschaften das zu, was Leppin Mitte der 80er Jahre bereits für landwirtschaftliche Genossenschaften in Indien feststellte:
"Nur wenige Kooperativen haben wirklich versucht, eigene Ressourcen zu erzeugen, um die Regierungshilfe auf längere Sicht überflüssig machen zu können. So seien zum Beispiel die Agrarkreditprimärgenossenschaften infolge dieses Versäumnisses de facto zu ländlichen Verteilungsstellen für staatliche Kredite degeneriert" (Leppin 1985: 242f).
Auch im Fischereibreich gab es in der Vergangenheit immer wieder unterschiedliche Programme, nach denen Kleinfischer staatliche Unterstützung zum Erwerb von Booten und Netzen erhalten konnten und die über die Genossenschaften abgewickelt wurden, doch in den letzten Jahrzehnten waren die Fischer von Nochikuppam nach eigener Auskunft weitgehend von diesen Finanzquellen ausgeschlossen. Auch Untersuchungen in anderen Fischerdörfern Tamil Nadus stellen mit großer Regelmäßigkeit fest, daß Kreditprogramme staatlicher Behörden fast vollkommen an den Kleinfischern vorbeigehen. So berichtet Selvaraj bereits im Jahr 1975:
"The role of cooperatives in improving the financial position of small fishermen has not been an effective one. Cooperative loans, subsidies, and other facilities are readily available to motor-boat fishermen. The small fishermen on the other hand are forced to fall back on the moneylender for their credit needs and are obliged to pay him the usual usurious interest rates. Their obligations to the moneylenders thus reduce their net income and further ties them into the vicious cycle of poverty referred to earlier" (Selvaraj 1975:20).
Selvaraj scheint recht zu haben, wenn er betont, daß Kredite und Zuschüsse vor allem zur Mechanisierung des Fischfangs bereitstanden, und Kleinfischer diese nur in sehr seltenen Fällen erhalten konnten. In seiner Untersuchung übersieht er allerdings bezüglich der Verschuldungssituation der Kleinfischer in Tamil Nadu zwei wichtige Aspekte. Erstens unterscheidet er nicht zwischen produktionsmittelbesitzenden Fischern und Fischereiarbeitern, und zweitens geht er davon aus, daß Geldverleiher und Fischer zu zwei unterschiedlichen Gruppen gehören. Dies ist jedoch nicht immer der Fall. Wohlhabende Fischer sind in der Regel auch Geldverleiher. Daneben gibt es zwar auch andere Berufsgruppen, die an Angehörige der Fischerkaste Kredite gegen Zinsen vergeben (Fisch- bzw. Garnelenhändler, Netzhersteller etc.), doch meistens werden Kredite bei aktiven Fischern aufgenommen.
Nach einer Untersuchung des Institute for Techno Economic Studies, Madras, brachten 1986 96,2 Prozent der Kleinfischer in Madras die Finanzmittel zum Kauf von Booten selbst auf, 1,1 Prozent der befragten Haushalte gaben an, einen staatlichen Kredit erhalten zu haben und knapp drei Prozent waren auf den informellen Kreditsektor angewiesen bzw. konnten von Verwandten oder Bekannten einen Kredit aufnehmen (ITES 1988:98).
Zu einem ähnlichen Ergebnis gelangen Anbarasan/Fernandez (1986) in einer Studie zum Kreditsektor bei Kleinfischern in Adirampattinam. Von 132 Krediten, die zum Kauf von Netzen verwendet wurden, wurde lediglich ein einziger von einer Bank gewährt. Von der Genossenschaft, über die staatliche Entwicklungskredite vergeben werden sollten, konnte kein einziger Fischer einen Kredit erhalten. Am häufigsten wurde Kapital bei Fisch- bzw. Garnelenhändlern aufgenommen (69 Fälle), gefolgt von Krediten durch Bootsbesitzern (33 Fälle) und Geldverleihern (16 Fälle). In neun Fällen wurde ein Teil des Kapitals bei einem Pfandleiher aufgenommen. Investitionskredite von Verwandten und Freunden waren mit insgesamt vier Fällen sehr selten (Anbarasan/Fernandes 1986:13).
Drewes (1982) stellt ebenfalls fest, daß formelle Kredite für die Kleinfischer kaum erhältlich sind. In den drei von ihr untersuchten Dörfern nahmen jeweils 20 Prozent der kreditnehmenden Haushalte die Hilfe eines Garnelenhändlers bzw. eines Pfandleihers in Anspruch, 17 Prozent der Haushalte erhielten Kredite von Verwandten, acht Prozent von Bootsbesitzern, jeweils sechs Prozent von Geldverleihern bzw. Nachbarn und jeweils zwei Prozent von Reishändlern, lokalen Läden oder dem Dorfpräsidenten (Drewes 1982:44).
Lediglich Anbarasan (1985) stellt in zwei der drei von ihr untersuchten Fischerdörfern in Tamil Nadu eine größere Bedeutung von staatlichen Krediten fest. In Chemmencherry Kuppam hatten alle der befragten Haushalte über die Fischergenossenschaft Kredite erhalten, in Thiruchinankuppam waren es immerhin noch knapp die Hälfte der befragten Haushalte, während im dritten Dorf, Panaiyur Kuppam, keiner der befragten Haushalte einen Genossenschaftskredit erhalten hatte (Anbarasan 1985:22).
"Most loans are taken from marwaris/pawnbrokers and the loan amounts are fairly high. Loans obtained from net owners or traders bond the fishermen to work for the owner or sell the catch exclusively to the trader till such time as the loan is repaid in full. In Thiruchinankuppam and Chemmencheri, loans have been sanctioned by banks and are usually channeled through cooperative societies. These loans are mainly for the purchase of gear or, in the case of fisherwomen, for fish marketing" (Anbarasan 1985:22).
Nicht nur die Aussagen der Fischer aus Chemmencherry Kuppam deuten darauf hin, daß es seit einigen Jahren keine Kredite der Fischereigenossenschaft und des Fischereidepartments zum Kauf von Kattumaramen und Netzen mehr gibt. Weder im Haushaltsplan der Regierung von Tamil Nadu noch den neueren Statistiken der Fischereibehörde werden solche Kredite ausgewiesen. Im Haushaltsjahr 1991-92 wurde lediglich der Kauf von Sperrholzbooten (Marine Plywood Fishing Boat) und mechanisierten Booten mit Krediten und Zuschüssen unterstützt (Tamil Arasu Juli 1992:65). Außerdem bestand ein Kreditprogramm für Kleinfischer, die sich Außenbordmotore für ihre Kattumarame anschaffen wollten.
17.1.1 Die Rückzahlung von Krediten während des Untersuchungszeitraums
Während des Untersuchungszeitraums haben die Fischerhaushalte Kreditrückzahlungen vorgenommen, die durchschnittlich fünf Prozent der gesamten Haushaltsausgaben betrugen. Je nach Haushalt schwankte dieser Anteil zwischen 0 und 13 Prozent. Bei den Haushalten der Fischereiarbeiter wurden durchschnittlich elf Prozent der gesamten Haushaltsausgaben für Rückzahlungen von Krediten aufgebracht, wobei hier der niedrigste Wert vier und der höchste 24 Prozent betrug. Bei beiden Gruppen waren im Dezember 1991 die Rückzahlungen mit Abstand am höchsten. Bei den Fischerhaushalten wurde in diesem Monat eine Summe zurückbezahlt, die mehr als zehn Mal die Summe des Monats mit dem zweithöchsten Betrag (Mai 1991) übertraf, bei den Haushalten der Fischereiarbeiter wurde in diesem Monat etwa der doppelte Betrag zurückbezahlt als im Monat mit der zweithöchsten Summe (August 1992). Die Garnelenhauptfangzeit ist also nicht nur die Periode mit den höchsten Einkommen, den höchsten Ausgaben in vielen Bereichen, sondern auch die Zeit, in der Schulden zurückbezahlt werden, die sich das Jahr über angesammelt haben (vgl. auch: Kurien 1981:52).
Abb. 24: Entwicklung der Kreditrückzahlungen
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Während der Untersuchung stiegen die Ausgaben für Kreditrückzahlungen bei den Haushalten der Fischereiarbeiter deutlich an. Anders bei den Haushalten der Fischer. Zwar waren auch bei ihnen die Kreditrückzahlungen in der zweiten Hälfte der Untersuchungsperiode höher als in der ersten, doch der Anstieg war bei weitem nicht so groß wie bei den Haushalten der Fischereiarbeiter. Am deutlichsten wird der starke Anstieg beim Vergleich jener Monate, für die sowohl 1991 als auch 1992 Angaben vorliegen. Während in den Monaten Mai bis August 1991 die Werte unterdurchschnittlich waren, näherten sie sich im Mai und Juni 1992 dem Durchschnitt aller Monate stark an und überschritten diesen dann im Juli und August 1992. In diesem Monat wurden von den Haushalten der Fischereiarbeiter Rückzahlungen gemacht, die mehr als fünf Mal so hoch waren als jene im August 1991. Vor allem die besseren Fänge im Juli, August und September 1991 können als Erklärung dafür herangezogen werden, daß in diesen Monaten die Kreditbelastungen der Fischereiarbeiterhaushalte sehr niedrig waren.
Vergleicht man die Entwicklung der Kreditstruktur bei den Haushalten der Fischereiarbeiter, dann wird mehreres deutlich. In der zweiten Hälfte des Untersuchungszeitraums wurden deutlich häufiger Kredite zurückbezahlt (und aufgenommen)1 als in der ersten. Gleichzeitig stiegen auch die durchschnittlichen Einzelzahlungen leicht an. Bis auf zwei Fällen, die beide in den Dezember 1991 fielen, waren die Kredithöhen immer unter 400 Rs im Einzelfall. In diesem Monat wurden noch weitere "hohe" Kredite zurückbezahlt, so daß der Dezember 1991 nicht nur der Monat mit der insgesamt höchsten Kreditsumme sondern auch mit dem höchsten rückbezahlten Einzelkrediten war. Pro Haushalt wurden Kredite in der Höhe von 645 Rs zurückbezahlt, eine Summe, die fast doppelt so hoch war als im August 1992, dem Monat mit der zweithöchsten Rückzahlungssumme pro Haushalt. Für die Fischereiarbeiter war der Dezember 1991 also der Monat, in dem sie sich von der Schuldenlast der vorausgegangenen Monate zu befreien suchten. Fallen die hohen Einkommen aus der Garnelenfischerei aus - sei es weil die Witterungsverhältnisse nicht zulassen, daß die Boote zum Fang ausfahren oder sei es, weil ein Fischereiarbeiter in dieser Zeit keine Beschäftigung finden kann, da Personen, die das Jahr über nicht fischen gehen, nun beim Garnelenfang mithelfen wollen.
Tab. 68:Häufigkeit und Höhe der Kreditrückzahlungen (Fischereiarbeiterhaushalte)
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Die Struktur der Kreditrückzahlungen der Fischerhaushalte unterscheidet sich deutlich von der der Fischereiarbeiterhaushalte. Auf den geringeren Anstieg der gesamten Rückzahlungssumme wurde bereits hingewiesen. Hinzu kam, daß die Häufigkeit der Rückzahlungen im Laufe der Untersuchung sehr stark anstieg, gleichzeitig aber die Summe pro Rückzahlungsereignis zurückgeht. Mit anderen Worten: Von den Haushalten der Fischer wurden öfters Rückzahlungen vorgenommen, die jedoch auch niedriger waren. Am deutlichsten kommt dies darin zum Ausdruck, daß die maximalen Rückzahlungssummen in der zweiten Hälfte des Untersuchungszeitraums erheblich gesunken waren.
Durchschnittlich wurden in einem Fischerhaushalt monatlich etwa eine Kreditrückzahlung getätigt, wobei in keinem Monat mehr als zwei Rückzahlungen vorgenommen wurden. In einem Haushalt der Fischereiarbeiter waren es durchschnittlich mehr als vier Rückzahlungen pro Monat, im Juli 1992 sogar 6,4 Kreditrückzahlungen.
Tab. 69: Häufigkeit und Höhe der Kreditrückzahlungen (Fischerhaushalte)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die Entwicklung beim Kreditverhalten scheint bei den Fischern auf den ersten Blick also weitaus günstiger gewesen zu sein als bei den Fischereiarbeitern. Bei ihnen waren die Kreditrückzahlungen weitaus weniger angestiegen als bei der Gruppe der Fischereiarbeiter, doch diese vermeinlich günstigere Situation kam dadurch zustande, daß die Fischer in der zweiten Hälfte des Untersuchungszeitraums seltener Kredite für Investitionszwecke aufnahmen. Die sich zuspitzende finanzielle Situation bei den Fischern hatte also dazu geführt, daß diese notwendige Neuanschaffungen von Netzen und möglicherweise Booten erst einmal zurückstellten.
Tab. 70: Verwendung der rückbezahlten Kredite
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Sowohl die Fischerhaushalte als auch die Haushalte der Fischereiarbeiter benötigten den größeren Teil der rückbezahlten Kredite für Konsumzwecke und hier vor allem für den Kauf von Nahrungsmitteln. In einem Fischerhaushalt wurden während der Untersuchung durchschnittlich 8,4 Kredite zurückbezahlt, die zum Kauf von Nahrungsmitteln aufgenommen worden waren. In jedem zweiten Monat wurde demnach ein solcher Kredit zurückbezahlt. Bei den Haushalten der Fischereiarbeiter waren diese Art der Kredite deutlich häufiger. Durchschnittlich wurden über 43 solcher Kredite zurückbezahlt, d.h. in jedem Monat des Untersuchungszeitraums fast drei.
Die zu Investitionszwecken aufgenommenen Kredite wurden vor allem für die Fischvermarktung verwendet. Kredite zum Kauf von Netzen und Booten fielen hauptsächlich im ersten Untersuchungszeitraum (einschl. Dezember 1991) an.
Tab. 71: Kredite nach unterschiedlichen Quellen
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Die Investitionskredite wurden zum größten Teil von einem Fischer gewährt. Hier handelte es sich in allen Fällen um Kredite im Zusammenhang mit der Fischvermarktung. Zumeist waren es kurzfristige Kredite, der mit keinen Zinsen belastet waren. Ein solcher Kredit wird während der Auktion von Fischen aufgenommen und in der Regel bereits am folgenden Tag, d.h. nach dem Verkauf der Fische, zurückbezahlt. Kreditgeber ist immer jener Fischer, von dem die Fische ersteigert werden. Es handelt sich hierbei also eher um einen Vorschuß auf den Verkaufserlös als um einen "echten" Kredit. Kreditgebender Fischer und die jeweiligen Frauen sind einander gut bekannt, wobei sich die Frauen jedoch nicht an einen bestimmten Fischer binden, sondern auch an Fischauktionen anderer Fischer teilnehmen können.
In wenigen Fällen wurde auch berichtet, daß Fischer den Frauen eine größere Geldsumme zur Verfügung stellten, die dann über einen längeren Zeitraum hinweg getilgt wurde. Diese Art der Kreditverbindung war jedoch nicht im Zusammenhang der Versteigerung von Fisch zu beobachten, sondern ausschließlich dann, wenn ein Fischer seine Fänge ausschließlich von einer bestimmten Gruppe Frauen vermarkten ließ. Die "Zinsen" für diesen Kredit wurden hierbei auf den Preis für die Fische aufgeschlagen, den der Fischer erhielt.
In den Haushalten der Fischereiarbeiter spielten daneben auch noch sogenannte Thandal -Kredite eine gewisse Rolle. Dabei handelt es sich um einen Kredit eines Geldverleihers, der in täglichen Raten zurückbezahlt wird. Geschäftsleute von außerhalb Nochikuppams bieten diese Kredite an. In Nochikuppam gibt es zwei unterschiedliche Arten dieses Kredits. Bei der ersten werden die Zinsen bereits vor Auszahlung des Kredits von der Kreditsumme abgezogen. Der Rest muß dann in täglichen Raten von zumeist füng Rs, manchmal auch zehn Rs abbezahlt werden. Bei einer Kredithöhe von 110 Rs werden so z.B. lediglich 100 Rs ausbezahlt, obwohl 22 Raten zu je fünf Rs zurückbezahlt werden müssen.
Meistens werden jedoch die Zinsen den täglichen Rückzahlungen zugerechnet. In beiden Fällen beträgt der Zinssatz 10 Prozent. So wird z.B. vereinbart, daß ein Kredit über 100 Rs in 10 täglichen Raten zurückzuzahlen ist. Jede einzelne Rate beträgt dann 11 Rs, die täglich von einem Bediensteten des Geschäftsmanns in der Wohnung des Schuldners eingesammelt wird.
Die höchsten Kredite waren verständlicherweise solche für Investitionszwecke, vor allem für die Anschaffung von Booten und Netzen. Sie betrugen bei den Fischerhaushalten durchschnittlich 825 Rs. In 15 Fällen wurden von diesen Haushalten auch Kredite aufgenommen, um den eingegangenen Zahlungsverpflichtungen für einen Chit-Fund (vgl. Kapitel 18.2) nachkommen zu können.
Ein bedeutender Anteil der aufgenommenen Kredite wurde auch für die Rückzahlung bestehender Schulden verwendet. Damit wurde praktisch eine Umschuldung vorgenommen. Meistens geschah dies in der Art und Weise, daß Kredite an einen Geldverleiher durch solche zurückbezahlt werden, die bei einem Pfandleiher oder Verwandten/Freunden aufgenommen wurde. In vielen dieser Fällen konnte beobachtet werden, daß von Verwandten/Nachbarn/Freunde kein Bargeld geliehen wurde, sondern daß diese Wertgegenstände zur Verfügung stellten, die dann zu einem Pfandleiher gebracht wurden. Professionelle Pfandleiher finden sich in Nochikuppam keine, sondern die kreditsuchenden Menschen müssen zu einem der vielen Pfandleiher im westlich angrenzenden Mylapore gehen. Geldverleiher hingegen gibt es in Nochikuppam in unterschiedlichen sozialen Gruppen. Praktisch jeder, der mehr Geld besitzt als er unmittelbar für seinen Lebensunterhalt benötigt, ist ein potentieller Geldverleiher.
17.1.2 Die Institition des Geldverleihs
In der Literatur wird die Institution des Geldverleihers - zumindest legen dies die Ergebnisse der Untersuchung in Nochikuppam nahe - häufig überbewertet. Es gibt sie, die Menschen greifen bei Bedarf auch auf sie zurück, doch man kann keineswegs sagen, daß sie das informelle Kreditwesen beherrschen. Bei Investitionskrediten, die in der Regel langfristig geplant werden können, spielen sie kaum eine Rolle; bei Konsumentenkrediten allenfalls für Gruppen mit niedrigem Einkommen und dadurch notwendigerweise auch wenigen Sachwerten, die zum Pfandleiher gebracht werden können.
Die hohen Zinssätze1 der GeldverleiherInnen sind weniger durch hohe Renditen zu erklären, die die Kreditnehmer durch die Kredite erwirtschaften könnten (vgl. Kurien 1981:52) als durch die relative Monopolsituation, die Geldverleiher gegenüber ärmeren gesellschaftlichen Gruppen einnehmen. Ersteres könnte nur dann der Fall sein, wenn die beim Geldverleiher aufgenommenen Kredite hauptsächlich zu Investitionszwecken verwendet würden. Die Ergebnisse der Untersuchung zeigen jedoch eindeutig, daß für Investitionskredite nur in Ausnahmefällen auf die Hilfe der Geldverleiher zurückgegriffen wird.
Die wirtschaftstheoretische Diskussion, die um die Erklärung der hohen Zinssätzen im informellen Kreditsektor geführt wird, kann an dieser Stelle weder aufgearbeitet noch am vorliegenden Fall erörtert werden (vgl. Bhaduri 1977; Bhorooah 1980; Mohan Rao 1980; Sarap 1987, 1990, 1991). Die Ergebnisse der Feldforschung in Nochikuppam zeigen, daß es enge Verbindungen zwischen dem formellen und informellen Kreditsektor gibt. Trotzdem muß es zweifelhaft bleiben, ob sich die Zinshöhe im formellen Sektor in irgendeiner Weise auf die Zinssätze des informellen Sekotrs niederschlägt. Vieles deutet vielmehr darauf hin, daß sich die hohen Zinssätze im informellen Sektor durch die Monopolsituation der Geldverleiher erklären läßt, die dadurch entsteht, daß Gruppen mit niedrigem Einkommen (und keinen Sicherheiten) keinerlei Zugang zu formellen Krediten haben.
"A typical borrower in the unorganised credit market has no access to organised credit because the collateral he offers is unacceptable in the organised market. This, in turn, gives a certain monopoly power to the rural moneylender" (Sarap 1990: 93, vgl. Mohan Rao 1989).
Auch wenn in Nochikuppam viele Hinweise diese Annahmen zu bestätigen scheinen, müssen wichtige Fragen offenbleiben. So ist es z.B. nur schwerlich möglich von einer monopolartigen Stellung des Geldverleihers auszugehen, da offensichtlich sehr viele Personen aus Nochikuppam solche Geschäfte abwickeln. Weshalb aus diesem Grund sich die einzelnen Geldverleiher in ihren Angeboten nicht unterbieten, um möglichst viele Kunden zu erhalten, konnte nicht vollständig geklärt werden. Viele Befragte wiesen jedoch darauf hin, daß sie nicht von jedem der GeldverleiherInnen im Ort auch tatsächlich einen Kredit erhalten können.
"Ich gehe immer zu der gleichen Frau, wenn ich einen Kredit benötige. Schon die Mutter meines Ehemann hat immer nur dort Kredite erhalten. Wollte ich von woanders her einen Kredit bekommen, dann wäre das schwieriger, denn am Anfang sind die Frauen, die Geld verleihen immer sehr vorsichtig. Ich bin aber so wie es ist ganz zufrieden. Manchmal, wenn ich meinen Kredit nicht rechtzeitig zurückbezahlen kann, läßt die Verleiherin schon mit sich reden und drückt ein Auge zu. Das ist aber nur, weil wir uns so gut kennen und sie genau weiß, daß es nicht meine Schuld ist, wenn ich mit der Rückzahlung in Rückstand gerate" (Valliammal, 45 Jahre, Fischerkaste).
Es ist - wie aus diesem Zitat hervorgeht - nicht möglich, nur ökonomische Prinzipien bei dieser Problematik zu berücksichtigen. Der informelle Kreditsektor unterscheidet sich vom formellen auch dadurch, daß die Verbindungen, die eingegangen werden, auch eine soziale Dimension haben. Unabhängig davon ist jedoch, daß durch die enge Verzahnung des formellen und informellen Kreditsktors Kaufkraft von den ärmeren gesellschaftlichen Gruppen zu den reicheren strömt (Lipton 1976).
"The existing power structure in rural India is such that even the organised credit which is almost subsidized [...] flows to the rich who use that to exploit the poor even further" (Sarap 1987: 83f).
Tendenziell konnte festgestellt werden, daß mit sinkendem sozio-ökonomischen Status auch die Zugangsmöglichkeiten zu günstigen Kreditformen, auch im informellen Bereich, sinken. Die meisten der befragten GeldverleiherInnen rechtfertigten die hohen Zinssätze, indem sie darauf verweisen, daß sie Geld verleihen, ohne dafür irgendwelche Sicherheitsleistungen zu fordern. Ihr Geschäft sei deshalb riskant und die hohen Zinsen lediglich eine Absicherung gegenüber säumigen Kunden. Widersprüchlich dazu bleibt jedoch ihre Aussage, daß es sehr selten vorkomme, daß ein Kredit vollkommen abgeschrieben werden müsse. Vor allem Gruppen, denen ansonsten kaum andere Kreditquellen offenstehen, müssen peinlichst genau darauf achten, nicht als unzuverlässige Kreditnehmer bekannt zu werden. Gerät eine Person in Zahlungsrückstand, spricht sich dies sehr schnell unter den Bewohnern Nochikuppams herum. So stellt Norr (1972) in ihrer Untersuchung eines Fischerdorf in Madras diesbezüglich fest:
"They (the women lending money, d. Verf.) do not require any security for their loans and will lend very small sums of money. Quarrels over repayment are loud and frequent, but they do not disturb the village interrelationship. There are strong informal pressures that both force borrowers to repay at least some interest and money fairly soon, and keep lenders from being too greedy or harsh in their demands. If a borrower or lender gets a bad reputation others will refuse to deal with her any longer" (Norr 1972:53).
Reicht dieser soziale Druck nicht aus, wird der "Fall" dem Dorfrat zur Entscheidung vorgelegt, der im Extremfall über eine Enteignung z.B. der Hütte oder Wohnung entscheiden kann. Solche Fälle sollen - nach Aussage vieler Befragter - in den vergangenen zehn Jahren jedoch keine aufgetreten sein, sondern meistens gelang es, den Streitfall vorher zu schlichten, z.B. indem vereinbart wurde, daß die ausstehende Schuld in kleinen Raten abgetragen werden konnte und Zinszahlungen zunächst ausgesetzt wurden.
Der Dorfrat kann auch versuchen, auf Verwandte des Schuldners Druck auszuüben, daß diese die Schulden übernehmen. Sowohl Mitglieder des Dorfrates als auch befragte Geldverleiher gaben an, daß die Gründe, weshalb eine Zahlungsunfähigkeit eingetreten ist, ausschlaggebend für die weitere Behandlung des Falles seien. Bei Fällen, in denen die finanzielle Not offensichtlich unverschuldet eingetreten war, etwa durch den Tod eines verdienenden Haushaltsmitgliedes, besteht auch die Möglichkeit, daß die Dorfkasse ein zinsloses Darlehen gewährt, das jedoch den Betrag von etwa 300 Rs nicht überschreiten sollte.
Zinssätze in Höhe zwischen 5 und 15 Prozent monatlich lassen den Geldverleih zu einem hochprofitablen Geschäft werden, das zudem mit einem relativ geringen Risiko behaftet ist. Nur selten müssen Schulden vollkommen abgeschrieben werden, häufiger kann jedoch der vereinbarte Rückzahlungstermin nicht eingehalten werden. Aus Sicht des Geldverleihers kein unwillkommener Umstand.
Das "Betriebskapital" eines Geldverleihers kann aus unterschiedlichen Quellen kommen, wenngleich nur wenige bereit sind, darüber genauer Auskunft zu geben. Zwei befragte Personen, die aus diesem Geschäft ein einträgliches Nebeneinkommen beziehen, gaben an, daß sie günstige Kredite, über die sie als Angestellte der Regierung verfügen können, an andere weiterverleihen. Auf diese Art und Weise verdienen sie nach eigenen Angaben monatlich mehr als durch ihre eigentliche Beschäftigung im staatlichen Sektor.
Gerüchte zufolge sollen Personen Kredite, die sie über das Fischereidepartment erhalten hatten, weiterverliehen haben. In einem Fall soll eine Person für mehr als zehn andere Fischer Kredite erhalten, diese jedoch nicht ordnungsgemäß weitergeleitet haben. Diesbezügliche Nachfragen beim Fischereidepartment blieben ergebnislos. Es besteht auch begründeter Anlaß zu der Vermutung, daß Personen, die in den Schmuggel von Alkoholika verwickelt sind, auch im Kreditgeschäft eine immer stärker werdende Rolle einnehmen.
Eine Form der Kreditaufnahme konnte während der Untersuchung nicht festgestellt werden: zinslose Kredite, die Fischereiarbeiter von Besitzern von Booten erhalten und sich damit zur Arbeitsleistung auf diesen Booten verpflichten. Nahezu alle befragte Fischereiarbeiter gaben zwar an, daß sie in der Vergangenheit einen solchen Kredit erhalten hatten, der auch gegenwärtig noch nicht zurückbezahlt sei, doch inzwischen rückten die Bootsbesitzer immer mehr von dieser Praxis ab, neue derartige Kredite zu vergeben, da sich immer genügend Arbeitskräfte für den Fischfang finden lassen.
Sehr stark in Kreditgeschäfte engagiert sind Frauen, die praktisch den informellen Kreditsektor kontrollieren. Es sind fast immer Frauen, die Geld verleihen, und es sind auch fast immer Frauen, die sich Geld (bei anderen Frauen) ausleihen. Lediglich Kredite, die im Zusammenhang mit der Vermarktung von Garnelen gewährt werden, werden zwischen Fischern und den Agenten der Exportfirmen abgewickelt. Die Dominaz der Frauen im informellen Kreditgeschäft ist ohne Zweifel ihrer Dominanz im Handel mit Fisch zuzuschreiben. Kredit und Fischhandel haben also sehr enge Berührungspunkte. Die Frauen benötigen nicht selten Kredit, um sich Fisch kaufen zu können, und sie verleihen ihre Gewinne aus dem Fischverkauf in aller Regel auch.
"Natürlich könnte ich meinen Gewinn behalten und mir morgen in Kasimedu wieder Fisch dafür kaufen. Doch weshalb sollte ich das tun ? Der Fischer dort erwartet nur, daß ich ihm regelmäßig den Fisch bezahle, den ich am Tag zuvor bei ihm ersteigert habe. Und so werde ich es auch halten. Ich ersteigere den Fisch in Kasimedu, ohne gleich dafür zu bezahlen, ich verkaufe den Fisch hier in Nochikuppam an andere Frauen, die ihn dann auf die Märkte bringen, ich behalte so viel Geld zurück, daß ich den Fischer in Kasimedu bezahlen kann, doch meinen Gewinn verleihe ich an andere Frauen hier in Nochikuppam, wenn sich welche finden, die einen Kredit haben wollen. Eigentlich finden sich immer welche (Valliammal, Fischhändlerin, 45 Jahre).
Gleichzeitg waren es auch ausnahmslos Frauen, die Chit-Funds organisieren, einer Mischform zwischen Kredit- und Sparsystem, das in allen aufgesuchten Fischerdörfern der Coromandelküste vorgefunden wurde..
17.2 Das Sparverhalten der Kleinfischer
Viele Untersuchungen über die sozio-ökonomische Situation von Kleinfischern in Tamil Nadu verweisen darauf, daß Fischer keine Sparrücklagen für die Zukunft anlegen. Häufig werden Fischer als Menschen beschrieben, die in den Tag hineinleben und sich keine Gedanken um die Zukunft machen.
"Another important cause of indebtness among the fishermen is the lack of a sense of stewardship of money. Even if they get a low or fluctuating income, they can try to make both ends meet if they carefully control their purses. Most of them know the art of making money if the sea yields, but not the art of wisely spending it. [...] Theirs is a day to day living; what they get, they spend on immediate needs and do not care to put by something in reserve to meet the needs of the days of poverty. In the days of plenty, somehow or other their expenses mount up proportionaly to their income, for on such occasions they find justification and comfort in the Epicurean view of life" (Anugraham 1940:123).
Auch jüngere Untersuchungen greifen dieses Bild des Fischers, der nichts für einkommensschwache Zeiten zurücklegt, immer wieder auf. Selvaraj (1975) stellt in seiner Untersuchung zur sozio-ökonomischen Situation der Kleinfischer in Tamil Nadu dazu fest:
"Over 80 per cent of the fishermen are not able to save anything. Even among the less than 20 per cent who save over half save less than Rs. 50 per annum. In other words, the savings are almost nil among the small fishermen, because the small fishing industry is being executed as a means to subsistence." (Selvaraj 1975:21).
Kurien (1981) führt die mangelnde Sparbereitschaft der Fischer auf psychologische und ökonomische Gründe zurück. Ihr Einkommen sei während vielen Perioden im Jahr so niedrig, daß sie keine Sparrücklagen vornehmen können, ohne ihr geringes Konsumniveau nicht noch weiter zu senken. An Tagen mit guten Fängen gönnen sie sich dann Dinge, die sie sich sonst nicht leisten können.
"An extra glass or two of toddy or arrack; some good clothes for children and wife; may be a good meal if they live near a town. This may be considered the so called 'excessive' part-something which all of us do when we get a bonus or increment. In other words it's the 'normal human excess'" (Kurien 1981:52).
Zufriedenstellen können diese Aussagen allesamt nicht. Sollten die Fischer tatsächlich so "irrational" handeln und ihre gesamten Überschüsse tatsächlich aufbrauchen ohne auch nur einen einzigen Gedanken an die Zukunft zu verschwenden ? Vieles spricht gegen eine solche Einstellung. Keine der angeführten Untersuchungen bemerkt z.B. den Widerspruch, der darin besteht, daß Fischer einerseits angeblich keine Sparrücklagen anlegen, gleichzeitig aber Jahr für Jahr erhebliche Investitionen in Netze und Boote vornehmen. Selbst wenn diese Investitionen vollkommen über Kredite finanziert würden, bliebe dem Fischer nichts anderes übrig, als zur Schuldentilgung einen Teil seines Einkommens beiseite zu legen. Ökonomisch sinnvoller ist jedoch, auf diese Investitionen hin langfristig Geld anzusparen, damit der notwendige (und teure Kredit) möglichst niedrig gehalten werden kann.
Aus der ausgesprochenen Saisonalität des Fischfangs ergibt sich zusätzlich ein Zwang zum Sparen für die Fischer, denn ansonsten würden sie im Extremfall sich und ihre Familien dem Hungertod ausliefern. Seit vielen Generationen wissen sie, daß sie zu manchen Jahreszeiten an vielen Tagen keinen Fang erzielen können, weder für den Eigenbedarf noch für den Verkauf. Ältere Fischer konnten davon berichten, daß es schon Jahre gegeben hatte, in denen sie während des Nord-Ost-Monsuns mehr als zwei volle Monate nicht zum Fischen ausfahren konnten. Auch wenn solche Extreme - so die Fischer - sehr selten eintreffen, sie müssen darauf vorbereitet sein.
Viele der angesprochenen Untersuchungen scheinen außer acht zu lassen, daß Sparen nicht nur bei einer offiziell registrierten Bank in Form eines Sparbuches möglich ist. Bezeichnend ist, daß nur wenige Autoren sich die Mühe machen, danach zu fragen, ob die Fischer auf eine andere Art und Weise eine Zukunftsvorsorge treffen. Während der Untersuchung in Nochikuppam konnten vier wichtige Arten des "Sparens" festgestellt werden.
(a) die Teilnahme an sogenannten Chit-Funds, (b) die Bindung von Geldvermögen in Sachwerten, vor allem Gold und Metallgefässen (Kupfer- und Messingtöpfen), (c) der Geldverleih und (d) die Dorfkasse.
17.2.1 Kollektive Spar- und Kreditkassen (Chit-funds)
Die wichtigste Form des Sparens in Fischerdörfer besteht in der Teilnahme an sogenannten Chit-Funds (Anbarasan 1985:23; Anbarasan/Fernandez 1986:14; Sivasubramaniam 1991:40). Beschreibungen solcher Chit-Funds in Indien finden sich bei Geertz (1962), Ardener (1964), Anderson (1966) und Kurtz (1973). Maloney/Sharfuddin Ahmed (1988) berichten von solchen Funds in Bangladesh und vermuten dabei, daß diese Art des informellen Sparens eine aus Indien eingebrachte Innovation ist, deren eigentlicher Ursprung jedoch nicht mit vollkommener Sicherheit ausgemacht werden könne.
"In India the coustom was traditionally practiced in the South, and more so in Kerala. It is not possible to say if the idea is indigenous to South India, or came there from Southeast Asia before the 19th century" (Maloney/Sharfuddin Ahmed 1988:105).
Nevadomsky (1985) schließlich untersuchte Chit-Funds unter der indischen Bevölkerung von Trinidad und verweist darauf, daß es ähnliche Institutionen auch in vielen anderen Ländern gäbe, so etwa in Lateinamerika, Jamaika, Guyana und einigen afrikanischen Ländern.
Geertz (1962) stellt die Vermutung auf, daß Rotating Credit Associations, zu denen er die Chit-Funds zählt, ein Phänomen von Gesellschaften im wirtschaftlichen Übergang seien. Durch sie würden Gruppen, die zuvor Subsistenzwirtschaften betrieben, allmählich in die "moderne" Wirtschaft integriert, wobei durch diese Institutionen die Funktionsweise der Geldwirtschaft besser "erlernt" werden könne.
Kurtz (1973) und auch Lommitz (1977) argumentieren hingegen, daß diese Spar- und Kreditsysteme Ausdruck einer voranschreitenden Marginalisierung bestimmter Bevölkerungsgruppen seien und diesen als Überlebensmechanismen dienten. Bei einer solchen Betrachtungsweise seien diese Institutionen keine "middle rungs for development" (Geertz 1962) und begünstigten auch nicht die Kapitalakkumulation (Wu 1974), sondern für Gruppen, die nahe am Existenzminimum leben, seien sie eine Möglichkeit, in Notzeiten Geldressourcen mobilisieren zu können. Diese Sichtweise beinhaltet automatisch das Versagen von formellen Kredit- und Sparinstitutionen in Bezug auf solche Armutsgruppen.
17.2.2 Chit-Funds in Nochikuppam
Wann die Menschen in Nochikuppam damit begonnen haben, Geldressourcen durch Chit-Funds zu mobilisieren, ist unbekannt. Nach Aussagen älterer Fischer hat es diese Form des kollektiven Sparens schon immer gegeben, wenngleich sie in älteren Beschreibungen zur Fischerei in Tamil Nadu an keiner Stelle erwähnt wird. Ein Chit-Fund besteht aus einer Gruppe Personen (zumeist Frauen), die sich gegenseitig verpflichten, über einen bestimmten Zeitraum hinweg regelmäßige Zahlungen in eine gemeinsame Kasse einzubezahlen. Organisiert wird der Fund von einem Mitglied, das verantwortlich ist, daß die anderen MitgliederInnen ihre Zahlungen rechtzeitig leisten. Der so angesparte Betrag wird unter den teilnehmenden MitgliederInnen versteigert, wobei jede Person den angesparten Betrag nur einmal ersteigern kann.1 Wer eine Auszahlung erhalten hat, muß weiterhin regelmäßig Zahlungen an den Fund vornehmen. Eine Chit-Fund -Gruppe bleibt so lange bestehen, bis jedes ihrer Mitglieder einmal eine Auszahlung erhalten hat. Erst anschließend kann sich eine neue Gruppe in einer anderen Zusammensetzung bilden.
So schließen sich z.B. 10 Fischersfrauen zusammen, die sich verpflichten, jeden Monat einen Betrag von 100 Rs in den Chit-Fund einzubezahlen. Monatlich kommen so 1000 Rs zusammen, die Dauer des gesamten Chit-Funds beträgt folglich 10 Monate.
Jeden Monat werden die angesparten 1000 Rs ausgeschüttet. In Nochikuppam wird dazu eine Versteigerung durchgeführt. Jene Frau, die das höchste Gebot abgibt, kann die Chit-Fund -Summe für sich beanspruchen. Beträgt das höchste Gebot z.B. 200 Rs, werden lediglich 800 Rs ausbezahlt. Der Versteigerungsbetrag wird in gleichen Teilen unter den 10 Teilnehmerinnen am Fund aufgeteilt.
Im zweiten Monat findet keine Versteigerung statt, sondern dann erhält die Organisatorin des Funds den vollen Betrag von 1000 Rs ausbezahlt. In den beiden letzten Monaten finden meistens ebenfalls keine Versteigerungen mehr statt, weil die verbleibenden beiden Frauen sich absprechen, welche den angesparten Betrag zuerst erhalten soll. Für manche Frauen ist ein Chit-Fund eine Art des Sparens. Solange sie zu einem bestimmten Zeitpunkt keine größere Geldsumme benötigen, können sie bis zum Ende des Chit-Funds abwarten und dann ohne Versteigerung die volle Sparsumme eines Monats erhalten. Zusätzlich steht ihnen jeden Monat noch der zehnte Teil des Versteigerungsbetrages (Dividende) zu.
Abb. 25: Funktionsweise eines Chit-Funds (Beispiel)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Frauen, bzw. Haushalte, die dringend eine größere Geldsumme benötigen, werden sich bereits früher an den Versteigerungen beteiligen. Je nachdem, wie dringend der Geldbedarf ist, werden sie sich dabei gegenseitig überbieten. Insgesamt erhalten sie dann weniger als sie während der 10 Monate in den Fund einbezahlt haben. Für sie bedeutet ein Chit-Fund eine günstige Möglichkeit, einen größeren Kredit erhalten zu können, denn trotz ihres Verlustes schneiden sie immer noch besser ab, als wenn sie beim Geldverleiher einen Kredit zum Zinssatz von 10 Prozent pro Monat aufnehmen, zumal die "Zinsen" bereits bezahlt sind, wenn die Frauen diesen "Kredit" erhalten. Bei einem herkömmlichen Kredit fallen Zinszahlungen dagegen so lange an, bis der Kredit vollkommen zurückbezahlt wurde.
Am günstigsten schneidet jedoch die Organisatorin des Chit-Funds ab. Sie erhält bereits im zweiten Monat die volle Sparsumme, ohne dafür an einer Versteigerung teilnehmen zu müssen. Nach zehn Monaten hat sie wie alle anderen Frauen ebenfalls 1000 Rs in den Fund einbezahlt, kann über diese Summe jedoch bereits vom zweiten Monat an verfügen, sie z.B. zu einem Zinssatz von 10 Prozent im Monat weiterverleihen. Allerdings wird von ihr erwartet, daß sie die Einlagen säumiger Frauen vorschießt. In den seltenen Fällen, in denen dies vorkommt, wird sie diesen Frauen Zinsen in Höhe von 10 Prozent/Monat in Rechnung stellen.
Chit-Funds werden vor allem von Fischersfrauen organisiert und zumeist sind es auch Fischersfrauen, die daran teilnehmen. Mitunter nimmt ein Haushalt gleichzeitig an mehreren Funds teil, die dann unterschiedliche Laufzeiten und unterschiedlich hohe Einlagen haben.
In Haushalten der Fischereiarbeiter ist das Sparen in einem Chit-Fund seltener, da sie gewöhnlich nicht über viele Monate hinweg hohe Einkommensüberschüsse haben. Deshalb sind hier die Einlagen erheblich niedriger, und oftmals wird die Versteigerung nicht in monatlichen sondern wöchentlichen Intervallen vorgenommen. In Monaten mit niedrigem Einkommen beteiligen sich Frauen aus Fischereiarbeiterhaushalten dann an keinen Chit-Funds.
Chit-Funds können somit nur eingeschränkt als Überlebensmechanismus marginalisierter Gruppen verstanden werden, denn die Möglichkeit an ihrer Teilnahme setzt einen bestimmten sozio-ökonomischen Status voraus, den gerade die einkommensschwächsten Gruppen nicht erreichen können. Solange die Einkommen nicht dauerhaft über dem Existenzminimum liegen, d.h. solange nicht über einen längeren Zeitraum hinweg Einkommensüberschüsse erzielt werden, würde die Teilnahme an einem solchen Chit-Fund auf eine Reduzierung der Konsumausgaben hinauslaufen.
Chit-Funds in Nochikuppam sind wichtig für die Kapitalbildung der Fischer. Zusammen mit anderen Kreditquellen tragen sie dazu bei, daß Boote und Netze in regelmäßigen Abständen erneuert werden können. Innovationen, die z.B. eine höhere Produktivität ermöglichen, können dadurch jedoch nur finanziert werden, wenn die Kosten dafür nicht wesentlich höher sind als für Erneuerungsinvestitionen. Der Erwerb eines Trawlers z.B. ist wegen den sehr hohen Kosten, die ein solches Boot verursacht, nicht mit einem Chit-Fund zu finanzieren. In diesem Sinne können Chit-Funds eine dynamische kapitalistische Entwicklung nicht fördern, sondern sie stellen - zusammen mit anderen Finanzierungsquellen - lediglich sicher, daß das erreichte Produktionsniveau aufrecht erhalten werden kann.
17.2.3 Sparen durch Geldanlage in Sachwerten
Eine weitere häufige Form des Sparens besteht im Kauf von wertbeständigen Sachwerten, gegen die beim Pfandleiher günstige Kredite aufgenommen werden können, bzw. die jederzeit verkauft werden können. In den meisten Fällen wird Gold gekauft, manchmal aber auch Töpfe aus Kupfer bzw. Messing. In diesem Fall werden also hauptsächlich Werte angesammelt, die in "Kredite" umgewandelt werden können. "Kredite" vom Pfandleiher und das Sparen in Wertgegenständen hängen i.d.R. also unmittelbar miteinander zusammen.
"Credit is given according to the weight or the value of the objects. The monthly rate of interest is usually 3% for gold objects, 5% for silver and 10% for brass, but it might vary depending on the relations with the money-lender.1 Some people in the village, who are on very good terms with their money-lenders, sometimes help friend by pawning their jewellery for them so that they will get better rates of interest" (Kajler/Truve 1989: 8).
Solche Kredite vom Pfandleiher, bei denen als Sicherheit Gold hinterlegt wird, sind zu Zinssätzen von drei, manchmal zwei Prozent im Monat zu erhalten. Im Gegensatz zu Spareinlagen bei einer Bank, die zum Zeitpunkt der Erhebung mit etwa fünf Prozent im Jahr verzinst wurden (Economic Survey 1992-93:50),2 müssen für diese Art des "Sparens" sogar Zinsen bezahlt werden. Allerdings verliert das Gold durch Inflation nicht an Wert, so daß sich real der Verlust in Grenzen hält, bzw. bei einer hohen Inflationsrate und gleichzeitig steigendem Goldpreis diese Art der Geldanlage theoretisch sogar günstiger sein kann als ein Sparbuch. Ein weiterer Vorteil dieser Art des Sparens sollte auch nicht übersehen werden:
"Pawnbroking has ist attractive points for the lender (the pawnbroker) as well as the borrower (the pledger). No credit relation, in fact, exists in a typical pawn contract. The pledger sells [...] his pawn for a certain sum below the going (appraised) market value and retains the right to buy it back within a specific time by returning the original sum plus interest. If he does not, he will loose his property, but no further debt exists and hence no ever-increasing debt load" (Bouman/Houtman 1988: 73).
Zur Finanzierung größerer Ausgaben wird das Gold jedoch verkauft, da die Zinsbelastung beim Pfandleiher zu hoch ausfallen würde und die Gefahr, das Gold weit unter Wert zu verlieren zu groß ist.. Deutliches Zeichen für diese Art des Sparens sind die Goldketten, die viele Fischersfrauen um den Hals tragen. Sie sind aus vielen kleinen Goldhülsen hergestellt, die an der Baumwollschnur ihres Thalis 3 aufgereiht werden und in finanziellen Notzeiten stückweise versetzt bzw. verkauft werden können. Fast jede Fischersfrau, die nach der Art des Sparens befragt wird, zeigt zunächst auf diese Goldkette, bevor sie dann die Chit-Funds erwähnt.
Durch die Legalisierung der Goldimporte nach Indien und den dadurch sinkenden Goldpreis haben arme Menschen, die auf diese Art und Weise sparen, vorübergehend einen empfindlichen Vermögensverlust hinnehmen müssen. In allen Jahren zuvor war der Goldpreise jährlich erheblich angestiegen. Im Dezember 1991, d.h. drei Monate bevor die Goldeinfuhren legalisiert wurden, betrug er in Indien etwa 470 Rs/g. Bis zum Januar 1993 war er bis auf 394 Rs/g gesunken, um anschließend wieder allmählich zu steigen. Erst im Dezember 1994 hatte er mit 471 Rs/g wieder das Niveau vom Dezember 1991 erreicht (The Hindu, verschiedene Ausgaben). Über diese drei Jahre hinweg war der Wert des Goldes also nicht gestiegen, wohl aber die Lebeshaltungskosten. Die "Verzinsung" war somit negativ. Durch die Liberalisierung der Goldimporte haben nur jene Gruppen profitieren können, die Auslandsreisen unternehmen und bei dieser Gelegenheit günstig bis zu fünf kg Gold nach Indien einführen konnten. Sie konnten damit auf einmal so viel verdienen wie ein Fischer gemeinhin nicht einmal in mehreren Jahrzehnten.
17.2.4 Der Geldverleih als Mittel des Sparens
Für die meisten Haushalten in Nochikuppam ist der Geldverleiher/die Geldverleiherin eine Person bzw. Institution, die möglichst selten aufgesucht wird, nämlich dann, wenn keine anderen Kreditquellen zugänglich sind und wenn notwendige Ausgaben nicht mehr länger hinausgezögert werden können. Für Personen, die, zumeist nebenberuflich, Geld verleihen, ist diese Beschäftigung jedoch die günstigste Art des Sparens. Mehr noch: zumindest wenn dieses Geschäft in größerem Umfang betrieben wird, kann dadurch Kapital erwirtschaftet werden, das anschließend produktiv angelegt werden könnte, wären die Einkommen aus dem Geldverleih nicht so lukrativ Durch kaum eine andere Tätigkeit kann eine höhere Rendite erzielt werden. Bei Zinssätzen von gewöhnlich zehn Prozent im Monat verdoppelt sich das eingesetzte Kapital in weniger als einem Jahr, bei einem Risiko, das von den befragten Personen, die in diesem Bereich tätig sind, als gering eingeschätzt wird. Sie wissen genau, an wen sie Geld verleihen und sind auch bereit, an besonders zuverlässige Kunden, die einen hohen Kredit mit einer voraussichtlich langen Laufzeit benötigen, Zinsnachlässe zu gewähren. In der Regel werden bei ihnen jedoch kleinere Kredite aufgenommen, die möglichst schnell wieder zurückbezahlt werden. Auslagen haben diese GeldverleiherInnen so gut wie keine und auch der zeitliche Aufwand für ihr Geschäft hält sich in Grenzen, da die Schuldner i.d.R. das Haus des Geldverleihers/der Geldverleiherin aufsuchen. Lediglich wenn Kreditrückzahlungen überfällig sind, kann es schon einmal vorkommen, daß das Haus des Schuldners aufgesucht werden muß. Nicht selten läßt dieser es allerdings nicht so weit kommen, sondern versucht bereits vorher einen Zahlungsaufschub oder eine Absprache über Ratenzahlung zu erwirken.
17.2.5 Die Dorfkasse in Nochikuppam
Dorfkassen spielten in der Vergangenheit im ländlichen Indien eine sehr wichtige Rolle, weil sie den Dörfern ein Stück finanzieller Unabhängigkeit brachten (vgl. Berg et al. 1984:78ff; Mutalik Desai 1967:117ff; Srinivas 1985:32). Diese Kassen wurden von den traditionellen dörflichen Selbstverwaltungsorganen (Panchayats) unterhalten, die wiederum gleichzeitig meistens auch mit der Verwaltung des dörflichen Tempels betraut waren.
In allen während der Feldforschung besuchten Fischerdörfern in Tamil Nadu konnten noch Hinweise auf solche Kassen gefunden werden, wenngleich sie häufig inzwischen in ihrer Bedeutung beträchtlich gesunken waren. In Nochikuppam selbst gibt es lediglich im südlichen Teil1 noch heute eine gut funktionierende Dorfkasse. Für den mittleren Teil sind die Angaben widersprüchlich. Hier werden zwar bei verschiedenen Anlässen Abgaben für eine Dorfkasse erhoben, wer das Geld erhält und wofür es ausgegeben wird, ist jedoch nebulös. Im nördlichen Teil Nochikuppams gibt es seit etwa 20 Jahre keine Dorfkasse mehr.
In früheren Jahren bestanden die Einnahmen der Kasse hauptsächlich in Abgaben, die im Zusammenhang mit der Versteigerung von Fisch erhoben wurden. Diese Abgaben werden zwar im südlichen Teil Nochikuppams auch heute noch eingesammelt, da jedoch Fischversteigerungen seltener durchgeführt werden, ist die Bedeutung dieser Abgabe geringer geworden. Etwa fünf Prozent der Versteigerungserlöse fließen auch heute noch der Kasse zu. Bei jeder Fischversteigerung wird ein Teil des Fanges beiseite gelegt, der dann anschließend zugunsten der Dorfkasse verkauft bzw. versteigert wird. Die einzelnen Beträge werden von einer Fischersfrau eingesammelt, zusätzlich in einem Buch registriert und in monatlichen Abständen dem Verwalter der Dorfkasse ausgehändigt. Nach Angaben dieser Frau kommen an Tagen mit durchschnittlichen Fänge etwa 120 - 200 Rs zusammen. Es gibt aber auch Tage, die mehr als 1000 Rs für die Dorfkasse einbringen.
Früher wurde zusätzlich auch eine Haussteuer1 erhoben, die jedoch inzwischen abgeschafft wurde. Weitere traditionelle Einnahmen waren Abgaben bei Hochzeiten, die im südlichen und mittleren Teil Nochikuppams auch heute noch erhoben werden. Bereits bei der Verlobungszeremonie bezahlt der Bräutigam einen Betrag von etwa 100 Rs und die Braut einen von 30 Rs in die Dorfkasse ein. Bei der Hochzeit wird eine weitere Abgabe erhoben, deren Höhe sich nach dem Wert der "Geschenke" bemißt (gift-money). Etwa drei Prozent des Wertes der Geschenke wird an die Dorfkasse abgeführt. Bei jeder Hochzeit kommt dabei - nach Aussage des Verwalters der Dorfkasse vom südlichen Ortsteils Nochikuppams - ein Betrag zwischen 100 und 300 Rs zusammen.
Verhältnismäßig neu sind Einnahmen, die von Agenten von Garnelenexportunternehmen an die Dorfkasse vom südlichen Nochikuppam bezahlt werden. Während der Fangsaison 1991 wurden nach Angaben des Verwalters der dortigen Dorfkasse 12.000 Rs einbezahlt. Die Fischer verpflichteten sich dadurch, ihre Garnelenfänge nur den Agenten weiterzuverkaufen, die diesen Betrag bezahlt haben.
1991 kam im südlichen Teil Nochikuppams eine weitere Einnahmequelle hinzu. Seither liefern die Wasserwerke von Madras (Madras Metropolitan Water Supply and Drainage Board, kurz: Metrowater) zweimal täglich Wasser an. Jeden Tag werden etwa 10.000 l Wasser in einem Tanklaster angeliefert und in einen bereitstehenden Metallcontainer gepumpt. Von hier aus wird es dann an Frauen aus den Haushalten weiterverteilt, die es sich in Plastikgefäße umfüllen lassen. Für 25 l Wasser müssen die Frauen 20 Paisa bezahlen. Das Geld wird von drei Frauen aus dem südlichen Teil Nochikuppam eingesammelt, die die Wasserverteilung überwachen. Jeden Tag fließen dadurch etwa 80 Rs der Dorfkasse zu, wovon 10 Rs an den von Metrowater angestellten LKW-Fahrer bezahlt wird, damit dieser auch regelmäßig Wasser anliefert.
Im Herbst 1991 wurden in die Dorfkasse vom südlichen Teil Nochikuppams 200.000 Rs einbezahlt. Das Geld stammte von einem Hotelbesitzer, der im südlich an Nochikuppam angrenzenden Nochinagar ein größeres Stück Land für sich beanspruchte und eine "Entschädigung" in genannter Höhe an die Dorfkasse bezahlte. Von diesem Betrag haben die Bewohner des nördlichen Nochikuppams insgesamt 20.000 Rs erhalten. Dadurch sollte eine Auseinandersetzung zwischen beiden Dorfteilen vermieden werden. An die Bewohner vom mittleren Teil Nochikuppams wurde nichts bezahlt. Diese hatten kurz zuvor von einem Geschäftsmann 40.000 Rs dafür erhalten, daß sie ihm ein Grundstück zur Nutzung überließen.
Verwendet wurde das Geld der Dorfkasse traditionell zu zwei Anlässen. Erstens für das alljährlich stattfindende Tempelfest und zweitens als kommunale Geldreserve für Notzeiten. Wenn über einen längeren Zeitraum hinweg die Einkommen aus der Fischerei niedrig waren, wurde an jeden aktiven Fischer und Fischereiarbeiter ein vom Dorfrat bestimmter Geldbetrag ausbezahlt. Früher geschah dies regelmäßig in den Monaten Oktober - Dezember, die vor dem starken Anstieg der Garnelenpreise als Hungermonate der Fischer galten.
Während der Untersuchung wurde drei Mal im südlichen Teil Nochikuppams Geld an Fischerhaushalte verteilt. Im Oktober 1991 erhielt jede erwachsene Person, die zu diesem Zeitpunkt regelmäßig Fischen ging, einen Betrag von 100 Rs. Personen unter 18 Jahren, die regelmäßig Fischen gingen, erhielten 50 Rs. Ausbezahlt wurde der Betrag anläßlich des im Oktober stattfindenden Diwali-Festes. Im Dezember 1991 wurde von dem Betrag, den die Dorfkasse von einem Hotelbesitzer aus Nochinagar erhalten hatte, an jeden Fischer- und Fischereiarbeiterhaushalt des südlichen Nochikuppams, unabhängig von dessen Größe und Zusammensetzung ein Betrag von 500 Rs ausbezahlt. Eine dritte Auszahlung wurde im Januar 1992 anläßlich des Pongal-Festes vorgenommen. Auszahlungsmodus und Höhe des Betrages entsprach dabei der Regelung vom Oktober 1991. Sofern die Auszahlungen nur an Personen getätigt wurden, die Fischfang betrieben (Oktober 1991 und Januar 1992) war der Betrag unabhängig von ihrem Status. Produktionsmittelbesitzende Fischer erhielten nicht mehr als Fischereiarbeiter.
Diese Zuwendungen an die Fischer aus der Dorfkasse sind - auch wenn sie eng mit Festtagen in Verbindung standen - nicht mit dem Brauch zu vergleichen, nach dem an Diwali und Pongal Arbeitgeber ihren Beschäftigten - dem Weihnachtsgeld ähnlich - eine "Extrazahlung" gewähren. Sie ähneln eher Formen der Sozialen Absicherung, denn immerhin stammen die "Beiträge" für diese Versicherung von den späteren Nutznießern selbst. Dennoch gibt es auch bei der Distribution durch die Dorfkasse Aspekte, die eine (symbolische) Umverteilung gesellschaftlichen Reichtums zum Ausdruck bringen sollen. Wie schon bei der Aufteilung von Fisch unmittelbar nach dem Fang an einzelne Haushalte (Subsistenzanteile), bleiben auch bei der Zuteilung über die Dorfkasse Statusunterschiede unberücksichtigt. Ein Fischereiarbeiter erhält denselben Anteil wie ein Fischer. Auch bei weiteren traditionellen Einnahmen für die Dorfkasse kommt eine solche Umverteilung zum Ausdruck. Bei Hochzeiten in reicheren Haushalten ist die Zahlung an die Dorfkasse ungleich höher, da davon ausgegangen werden kann, daß der Wert der Geschenke höher ist als etwa bei Hochzeiten in Haushalten von Fischereiarbeitern. Auch durch die "Haussteuer" wurde eine solche Umverteilung bewirkt. Allerdings gibt eine solche ökonomische Sichtweise der Institution der Dorfkasse ihre Bedeutung nur unzureichend wieder. Sie ist auch ein wichtiger Aspekt dörflicher Identität und Solidarität, und ihr teilweiser Bedeutungsverlust vollzieht sich parallel zu gesellschaftlichen Desintegation im Dorf. Diese Desintegrationserscheinungen der dörflichen Gesellschaft kommen auch in einem weiteren Verwendungszweck von Geldern aus der Dorfkasse zum Ausdruck: immer häufiger dient die Dorfkasse dazu, bei internen Dorfstreitigkeiten Anwalts- und Gerichtskosten sowie Bestechungsgelder an die Polizei zu bezahlen (vgl. Kapitel 19).
17.2.6 Entwicklung der Sparrücklagen während des Untersuchungszeitraums
Sparrücklagen wurden auf Haushaltsebene bei der Untersuchung lediglich in Form von Beteiligungen an Chit-Funds untersucht. Der Kauf von Gold konnte während dieser Zeit nicht berücksichtigt werden, da aufgrund zurückgehender Goldpreise die meisten Haushalte zögerten, Einkommensüberschüsse in Form von Gold anzulegen. Spekulationen hinsichtlich der Veränderung des Goldpreises konnten keine beobachtet werden, wenngleich die Bewohner Nochikuppams über die Veränderungen des Goldpreises sehr gut informiert waren, und die Veränderung des Goldpreises auch häufig Anlaß zu Diskussionen gab.
"Natürlich wäre es nicht schlecht, jetzt Gold zu kaufen, da die Preise sehr niedrig sind. Doch woher sollen wir wissen, ob sie morgen nicht noch weiter sinken, und wir dann viel Geld verlieren. Für uns ist es sicherer, erst einmal abzuwarten, was mit dem Goldpreis weitergeschieht und darauf zu hoffen, daß unsere Goldvermögen nicht noch mehr an Wert verlieren" (Pattu, 51 Jahre, Fischer)
Gleichzeitig kam hinzu, daß Einkommensüberschüsse generell sanken, die Fischer und Fischereiarbeiter gar nicht viel Geld übrig hatten, das gespart werden konnte. Deutlich wird dieser Einschnitt in der Entwicklung der Sparrücklagen in Chit-Funds. Sowohl bei den Haushalten der Fischer als auch bei denen der Fischereiarbeiter, ist im Laufe des Untersuchungszeitraums ein deutlicher Rückgang der Sparleistungen festzustellen. Der Vergleich zwischen den Monaten, in denen für beide Jahre Angaben vorliegen, machen deutlich, daß von einem Zusammenbrechen der Sparfähigkeit gesprochen werden kann.
Auch hier führte das Zusammentreffen von starken Preissteigerungen und unterdurchschnittlichen Einnahmen aus der Fischerei zu einer Verschärfung der Situation, von der sowohl die Haushalte der Fischer als auch jene der Fischereiarbeiter gleichermaßen betroffen waren. Entsprechend dem Zusammenwirken dieser beiden Ursachen, waren die Werte der Sparleistungen in den untersuchten Monaten des Jahres 1992 - als Folge der weit unterdurchschnittlichen Fangeinkommen dieser Zeit - besonders niedrig.
Interessant zu wissen wäre es, ob Goldkäufe wieder zugenommen haben, nachdem im Januar 1993 der Goldpreis seinen niedrigsten Wert erreicht hatte und anschließend wieder im Wert anstieg. Da dieser Anstieg jedoch nach dem Untersuchungszeitraum einsetzte, konnten seine Auswirkungen nicht mehr in die Untersuchung einbezogen werden.
Ebenfalls nicht untersucht werden konnte die Entwicklung der Gewinne der Geldverleiher. Aus dieser Gruppe fanden sich keine Personen, die bereit waren, sich detailiert in die Karten schauen zu lassen. Bei den untersuchten Fischerhaushalten gab es mindestens sechs Haushalte, die nach eigenen Angaben Geldverleihergeschäfte in größerem Umfang betrieben. Vier dieser Haushalte erzielten während des Untersuchungszeitraums einen Einnahmeüberschuß von mehr als 10.000 Rs, wobei der höchste Überschuß über 25.000 Rs betrug. In allen untersuchten Haushalten, in denen eine Person im öffentlichen Dienst beschäftigt war, wurde Geld in größerem Umfang verliehen.
Abb. 26: Entwicklung der Sparrücklagen in Chit-Funds
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die Entwicklung des Sparverhaltens umfaßt mehrere Aspekte. Erstens - darauf wurde bereits hingewiesen - sank insgesamt der angesparte Betrag im Laufe des Untersuchungszeitraums deutlich. Ersparten im Mai 1991 die 37 untersuchten Fischerhaushalte noch über 9600 Rs, so waren es im August 1992 nur noch etwas mehr als 2200 Rs.
Tab. 72: Häufigkeit und Höhe der Sparrücklagen (Fischerhaushalte)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Dieser Rückgang kann zum einen dadurch erklärt werden, daß sich die Haushalte seltener an Chit-Funds beteiligten. Während im Mai 1991 mit 32 Beteiligungen rechnerisch1 fast alle Haushalte der Fischer an einem Chit-Fund teilnahmen, waren es im August 1992 nur noch zehn Haushalte. Verringert hat sich auch die Höhe der Einzahlungen in die Funds. Während in der ersten Hälfte des Untersuchungszeitraums die maximalen Einzahlungen zwischen 850 und 1000 Rs waren, waren sie in den meisten Monaten des Jahres 1992 weitaus niedriger.
In den Fischerhaushalten wurde während der Untersuchung ein Betrag in Chit-Funds angespart, der neun Prozent der Haushaltsausgaben betrug. Bei den Haushalten der Fischereiarbeitern waren es vier Prozent. Von den 37 untersuchten Fischerhaushalten beteiligten sich während der Untersuchung 33 Haushalte zumindest zeitweise an einem Chit-Fund, während es unter den acht Haushalten der Fischereiarbeiter lediglich vier Haushalte gab, die dies taten. Durchschnittlich sparten diese 33 Fischerhaushalte monatlich einen Betrag von etwa 160 Rs, die vier Haushalte der Fischereiarbeiter etwa 130 Rs.
Tab. 73: Häufigkeit und Höhe der Sparrücklagen (Fischereiarbeiterhaushalte)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Während des Untersuchungszeitraums gingen sowohl bei den Fischerhaushalten als auch bei den Haushalten der Fischereiarbeiter die Beteiligungen an Chit-Funds deutlich zurück, am stärksten bei den Haushalten der Fischereiarbeiter, die im August 1992 nur noch etwa 10 Prozent des Betrages vom Mai 1991 einbezahlten. Bei allen untersuchten Ausgabeposten war der Rückgang der Sparleistungen am deutlichsten ausgeprägt und setzte -zumindest was die Haushalte der Fischereiarbeiter betrifft - auch am frühesten ein. Auch wenn lediglich das Sparverhalten von vier Haushalten der Fischereiarbeiter während der Untersuchung dokumentiert werden konnte, ergaben auch qualitativ durchgeführte Befragungen, daß in diesem Bereich wohl die größten Einschnitte vorgenommen werden mußten. Es fanden sich kaum Personen, die nicht immer wieder beklagten, daß durch die sich zuspitzende finanzielle Situation ihnen die Möglichkeit genommen würde, Rücklagen für die Zukunft anzulegen. Zum Zeitpunkt der Untersuchung war noch nicht absehbar, welche Konsequenzen die beschriebenen Entwicklungen bei der Sparfähigkeit haben würden. Es kann angenommen werden, daß ein Weiterbestehen dieser Situation über einen längeren Zeitraum hinweg für viele Haushalte einen Statusverlust bedeuten würde. Die notwendigen Erneuerungsinvestitionen für Boote und Netze wären gefährdet. Für die Fischer würde dies mittel- bis langfristig einen Abstieg zum Fischereiarbeiter bedeuten, sofern sie nicht andere günstige Kreditquellen erschließen können bzw. in der Vergangenheit genügend Rücklagen bilden konnten, um einige Zeit davon "zehren" zu können. Auf jeden Fall muß mit einer gesellschaftlichen Polarisierung gerechnet werden, von der jene Gruppen profitieren werden, die wohlhabend genug sind, um Geldverleihergeschäfte zu betreiben.
17.3 Staatliche Intervention in sozialen Bereichen
17.3.1 Das Public Distribution System in Nochikuppam
Das in ganz Indien bestehende staatliche Verteilungssystem für Nahrungsmittel und andere Dinge des täglichen Bedarfs steht auch den Menschen von Nochikuppam offen. Es gibt im Ort selbst keinen Ration-Shop, sondern die Haushalte sind einem Laden im westlich angrenzenden Mylapore zugeordnet, der in wenigen Minuten zu Fuß erreicht werden kann.
Tab. 74: Gesamtausgaben für Nahrung und Nahrungskauf im Ration-Shop
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Alle 37 Fischerhaushalte und 8 Haushalte von Fischereiarbeitern besaßen eine Ration-Card und benutzten diese auch regelmäßig zum Einkauf im Ration-Shop. Sie kauften dort vor allem Reis, Zucker und Kerosin, während ein Teil der Haushalte mitunter auf die Weizenration verzichtete. Speiseöl gab es während der Untersuchung lediglich in drei Monaten zu kaufen. Das ungenügende Angebot an Speiseöl in den Ration-Shops scheint sich auch danach nicht verbessert zu haben.
"Each cardholder in Madras would be supplied a kg of palmoil during March. This would be on a "first come first served" basis as the stock available on hand was just 360 tonnes. A onetime supply at one kg each to all card holders would need 1200 tonnes of the oil" (The Hindu 27.1.1993).
Zum Kauf der Rationen gaben die einzelnen Haushalte zwischen 3,9 und 11,3 % ihrer gesamten Ausgaben für Nahrungsmittel aus. Zwischen den Haushalten der Fischer und denen der Fischereiarbeiter waren keine wesentlichen Unterschiede feststellbar, wohl aber hinsichtlich der Haushaltsgröße. Den höchsten Anteil ihrer Nahrungsmittelausgaben konnten erwartungsgemäß kleinere Haushalte durch den Kauf der Rationen bestreiten, je größer die Anzahl der Haushaltsmitglieder war, desto mehr Nahrungsmittel mußten über den freien Markt bezogen werden. Damit setzt sich konsequent eine Politik fort, die auch in anderen Bereichen immer wieder festgestellt werden konnte, nämlich daß größere Haushalte beim Empfang staatlicher (Sozial-) Leistungen benachteiligt werden.
Während der Untersuchung ging die Bedeutung der Ration-Shops für die Nahrungsmittelausgaben zurück, d.h. die Haushalte wurden immer mehr vom freien Markt abhängig. Vor allem die Kürzung der Reisrationen von 20 kg/Monat auf 12 kg/Monat, die nach der Regierungsübernahme der AIADMK durchgeführt wurde, läßt diese größere Abhängigkeit vom freien Markt erklären. Ihre Ausgaben für Energie bestritten die Haushalte durchschnittlich zu etwa 35 Prozent im Ration-Shop, wobei vier Haushalte ihren gesamten Bedarf an kommerzieller Energie im Ration-Shop einkauften.
Tab. 75: Kosten und Wert der Rationen1
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Während des 16-monatigen Untersuchungszeitraums sparte ein Haushalt durch seine Einkäufe im Ration-Shop durchschnittlich etwa 2200 Rs. An anderer Stelle wurde bereits darauf hingewiesen, wie schwierig es ist, den Einfluß des PDS auf die Preise des freien Marktes exakt zu bestimmen. Aus diesem Grund konnte auch nicht ermittelt werden, wie sehr die Haushalte durch den Einkauf im Ration-Shop finanziell entlastet wurden. Es muß angenommen werden, daß ohne die Existenz des PDS die Nahrungsmittelpreise niedriger als die Marktpreise, aber gleichzeitig auch höher als die subventionierten Preise in den Ration-Shops wären.
Tab. 76: Besitz von Ration-Cards in Nochikuppam
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Mit jeder Reduzierung der zustehenden Ration und dadurch der Notwendigkeit, einen größer werdenden Anteil der Nahrungsmittel über den freien Markt zu beziehen, kommen die Haushalte näher an eine Schwelle, ab der wegen dem PDS insgesamt mehr für Nahrung ausgegeben werden muß, als wenn es das System nicht gäbe. Diese Schwelle überschritten haben bereits jene Gruppen, die keinen Zugang zum PDS haben, d.h. ihren gesamten Bedarf an kommerzieller Nahrung über den freien Markt beziehen. Im Zusammenhang mit der qualitiativen Haushaltsbefragung wurden deshalb auch die Zugangsbedingungen zum PDS ermittelt sowie die Zufriedenheit der Konsumenten mit dem Angebot der Ration-Shops. Von 119 befragten Haushalten gaben lediglich 102 an, eine Ration-Card zu besitzen. Knapp 15 Prozent der Haushalte war demnach nicht berechtigt, in einem der staatlichen Lebensmittelläden einzukaufen. Während über 93 Prozent der Haushalte der Fischerkaste über eine Ration-Card verfügten, hatten mehr als ein Drittel der Haushalte anderer Kasten keine.
Zwar sind alle Haushalte in Tamil Nadu theoretisch berechtigt, sich eine solche Karte ausstellen zu lassen, manche müssen allerdings Jahre darauf warten. Ration-Cards werden nur alle fünf Jahre ausgestellt,1 d.h. Haushalte, die im ersten Jahr nach der Ausstellung neu gegründet werden, müssen vier Jahre warten, bis sie eine Berechtigungskarte erhalten können. Bei allen 6 Haushalten der Fischerkaste ohne eine solche Karte war dies der Grund, weshalb sie zum Zeitpunkt der Befragung nicht berechtigt waren, subventionierte Nahrungsmittel und Kerosin kaufen zu können.
Das Verfahren zur Ausstellung neuer Ration-Cards ist sehr aufwendig, wie sich Anfang 1993 zeigte:
"The applications were being sorted out streetwise in Madras and village-wise in districts and a spot enquiry by officials would begin in the first week of March. The officials, making enquiries at the address given by the applicants, would issue an acknowledgement slip with particulars of the probable date and the nearest fair price shop from where the ration card could be obtained. It would be issued only on production of the acknowledgement slip given by the official. [...] If for any reason, the applicant or other family members were not present or the house was locked during the visit of an official, one more opportunity will be given before deciding on whether or not to issue the new card" (The Hindu 27.2.1993).
Wer auch bei diesem zweiten Besuch des Beamten des Civil Supplies Departments nicht zu Hause angetroffen wurde, muß bis 1998 ohne Ration-Card auskommen.
Bei den Haushalten anderer Kasten kommt erschwerend hinzu, daß sie häufig gar nicht offiziell in Nochikuppam wohnen. Rein rechtlich halten sich so z.B. alle Haushalte illegal in Nochikuppam auf, die in einer der Wohnungen des Slum-Clearance-Boards wohnen. Da die offiziellen Besitzer dieser Wohnungen keine Miete bezahlen, ist ihnen viel daran gelegen, daß die Behörden keine Kenntnis von einem bestehenden Miet- bzw. Untermietverhältnis haben. Neun Haushalte anderer Kasten gaben an, daß sie sich aus diesem Grunde nicht um die Ausstellung einer Ration-Card bewerben können, zwei Haushalte waren erst nach der Ausstellung der letzten Ration-Cards nach Nochikuppam gezogen, so daß sie auch aus diesem Grund keine Bezugskarte beantragen konnten. Grundsätzlich werden durch das bestehende System Migranten benachteiligt, das sie ihre bisherige Ration-Card nicht an ihrem neuen Wohnort benutzen können, gleichzeitig aber zumeist auch Jahre warten müssen, bis sie eine gültige Karte ausgestellt bekommen.
Tab. 77: "Alternativer" Verwendungszweck der Ration-Cards
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Nicht alle Haushalte, die über eine Ration-Card verfügen, nutzen diese auch vollständig. Zum Teil war sie an den Betreiber des Ration-Shops verpfändet. Die Haushalte erhielten dann etwa 70 Prozent des Marktwertes der monatlichen Rationen. Manche Haushalte verkaufen auch die Rationen, die sie nicht selbst benötigen, vor allem Weizen, Reis und Zucker, zum geringeren Anteil auch Kerosin. Entweder verzichteten sie auf diese Rationen und erhielten dann vom Betreiber des Ration-Shops einen Anteil am Wert des jeweiligen Produktes, oder sie holten ihre Rationen ab und verkauften sie an einen lokalen Händler. Sowohl die Haushalte, die ihre Ration-Card verpfändet hatten, als auch jene, die einen Teil der Ration verkauften, konnten keiner einkommensschwachen Gruppe zugerechnet werden. Sie verzichteten auf die ihnen zustehenden Rationen, weil sie mit der Reis- und Zuckerqualität unzufrieden waren und es sich leisten konnten, diese Produkte in einer besseren Qualität auf dem freien Markt zu kaufen. Die aus diesen Gründen nicht beanspruchten Lebensmittel- und Kerosinrationen wurden auf dem freien Markt zu den dort üblichen Preisen verkauft. Für den Betreiber eines Ration - Shops ist dies ein willkommener Nebenverdienst.1 Rationen, die von Berechtigten nicht beansprucht, d.h. weder abgeholt noch an den Besitzer des Ration-Shops verkauft werden, gelangen ebenfalls auf den freien Markt. Da jeder Ration-Shop monatlich ausreichend Lebensmittel- und Kerosinlieferungen erhält, damit er den Bedarf der für ihn registrierten Kunden befriedigen kann, bleiben - je nachdem, in welchem Wohngebiet sich ein solcher Laden befindet, unterschiedliche viele Rationen übrig, die nicht abgeholt werden. Hinzu kommt, daß 1992 in Tamil Nadu schätzungsweise zehn Prozent der im Umlauf befindlichen Ration-Cards gefälscht waren, d.h. es gab viel mehr Karten als tatsächlich zum Einkauf Berechtigte.2
"A random survey conducted in different constituencies had showed that at least 10 per cent of the family cards were bogus. Steps were being taken to eliminate such bogus cards and action would be taken against officials responsible for issuing the cards without proper verification" (The Hindu 9.11.1992; vgl. auch: The Hindu 22.12.1991;5.1.1992; 6.1.1992; 13.3.1992; 2.1.1993; 27.2.1993).
Tab. 78: Kritik an den Ration-Shops
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Kritisiert wurde von den befragten Haushalten vor allem, daß die Qualität der Produkte im Ration-Shop äußerst mangelhaft sei sowie daß Speiseöl und Zucker nicht in ausreichenden Mengen zur Verfügung ständen. Viele der Befragten würden es auch gerne sehen, wenn die Produktpalette der Läden erweitert würde. Am häufigsten wurde dabei der Verkauf von Gewürzen und Linsen angeregt. Einige der Befragten waren mit der Zuverlässigkeit des Verkaufspersonals unzufrieden. Hier wurde bemängelt, daß oftmals falsch abgewogen würden. Zwei Befragte äußerten, die in den Ration-Shops angebotenen Produkte seien zu teuer.
17.3.2 Staatliche Programme für Kleinfischer und andere Berufsgruppen
Außer dem Public Distribution System gibt es eine ganze Reihe staatlicher Maßnahmen, an denen sich zumindest theoretisch Personen aus Nochikuppam beteiligen können. Für Kleinfischer sind dies Kredite und Zuschüsse zum Kauf von Trawler und Außenbordmotoren, sowie die weiter oben angesprochene Unfallversicherung, sowie das Sparprogramm. Zusätzlich gibt es vom Fischereidepartment ein Craft and Gear Compensation Fund, aus dem der Verlust und die Beschädigung von Booten und Netzen infolge von Naturkatastrophen (Wirbelstürme) oder durch Trawlerboote teilweise entschädigt werden kann.
Darüberhinaus können Fischer - wie auch andere gesellschaftliche Gruppen - Unterstützung vom Chief Minister's Welfare Fund erhalten. Solche Unterstützungen werden z.B. gewährt, wenn Slumgebiete Raub einer Feuersbrunst oder einer Überschwemmung werden. Während der Untersuchung gab es kein Programm, durch das Fischer bzw. Fischereiarbeiter Kredite und Zuschüsse zum Erwerb von Booten und Netzen erhalten konnten.
Für Gruppen, die keine Fischfang betreiben, gab es so gut wie keine Programme. Wie auch bei den Kleinfischern wirkte sich hier die städtische Lage Nochikuppams negativ aus, da viele Programme für Armutsgruppen im Rahmen von Maßnahmen des Integrated Rural Development Programmes durchgeführt werden, bei dem sich städtische Gruppen nicht beteiligen können. Die Pensionsprogramme für Armutsgruppen scheinen in Nochikuppam überhaupt nicht implementiert zu werden. Viele wissen zwar, daß es ein solches Programm gibt, zwei Frauen gaben während der Untersuchung auch an, daß sie einen Antrag auf eine Witwenrente gestellt hätten, doch trotz intensiver Recherchen war es nicht möglich, auch nur eine einzige Person ausfindig zu machen, die eine solche Pension erhielt.
Tab. 79: Anzahl der bekannten Programme im sozialen und wirtschaftlichen Bereich
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die Tabelle zeigt, daß unter den Angehörigen der Fischerkaste das Wissen um bestimmte Programme am höchsten ist.1 Unter den männlichen Befragten gab es lediglich zwei Personen, die kein einziges Programm nennen konnten, an dem sie sich theoretisch beteiligen könnten. Über 38 Prozent der Befragten konnten mindestens vier solcher Programme nennen. Die Mehrzahl der Frauen aus der Fischerkaste, sowie die befragten Männer und Frauen aus anderen Kasten gaben an, daß sie kein staatliches Programm kennen, an dem sie sich persönlich beteiligen könnten. Lediglich zehn Frauen aus der Fischerkaste konnten mindestens ein Programm erwähnen, wobei zumeist das Pensionsprogramm für Witwen, sowie ein angegebliches Kreditprogramm für Fischersfrauen genannt wurde, dessen tatsächliche Existenz allerdings zweifelhaft bleiben mußte.
Tab. 80: Art der bekannten Programme im sozialen und wirtschaftlichen Bereich
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Ein Schneider aus einer anderen Kaste gab an, daß es für ihn theoretisch die Möglichkeit gäbe, durch die Regierung einen Kredit zum Kauf einer Nähmaschine zu erhalten.
"Ich habe vor etwa drei Jahren einmal versucht, einen Kredit für eine Nähmaschine zu erhalten. Mein Antrag wurde jedoch abgelehnt, weil die staatlichen Stellen nur ungern Kredite an Personen aus Nochikuppam vergeben. Das liegt daran, weil die Fischer hier dafür bekannt sind, daß sie ihre Kredite nie zurückbezahlen".
Fast 80 Prozent der befragten Männer aus der Fischerkaste erwähnten Kreditprogramme, das Sparprogramm und die Unfallversicherung. Häufig genannt wurde auch der Craft and Gear Compensation Fund.
Überraschenderweise nannten manche der Befragten ein Kreditprogramm, das es schon seit einigen Jahren gar nicht mehr gibt: jenes zur Anschaffung von Booten und Netzen. Immerhin waren 27 Personen der Ansicht, daß dieses Programm nach wie vor durchgeführt würde, wobei einige von ihnen jedoch betonten, daß sie aus unterschiedlichen Gründen nicht wirklich daran teilnehmen könnten. So erzählte Kuppan, ein 38-jähriger Fischer aus dem südlichen Teil von Nochikuppam:
"Programme gibt es viele, doch an den meisten können wir gar nicht teilnehmen. Aus dem "Net-relief-Fund" kann niemand mehr Geld bekommen, weil der Präsident der Genossenschaft ein schlechter Mensch ist und bislang nicht ersetzt werden konnte, weil die Regierung die Wahlen immer weiter hinauszögert. Ähnlich sieht es bei Krediten zum Kauf von Booten und Netzen aus. In allen anderen Fischerdörfern kann man solche Kredite bekommen. In Kovalam, in Chemmencherry, Mahabalipuram, nur hier nicht. Auch das liegt am Präsidenten, der sich nur darum kümmert, daß seine Leute (his people) Kredite erhalten".
Mit dieser Meinung stand Kuppan nicht alleine da. 21 Prozent der befragten Fischer und 24 Prozent der Fischereiarbeiter waren der Ansicht, daß es in Nochikuppam deshalb keine Kredite gäbe, weil die örtliche Fischergenossenschaft nicht richtig funktioniere. Über die Hälfte der befragten Fischereiarbeiter klagte zusätzlich darüber, daß von den Krediten sowieso nur wohlhabende Personen profitieren. Perumal, ein 40-jähriger Fischereiarbeiter aus dem nördlichen Teil von Nochikuppam, beschwerte sich deshalb:
"Vom Fischereidepartment können wir theoretisch Kredite zum Kauf von Booten und Netze erhalten. So steht es jedenfalls auf dem Papier. In Wirklichkeit bekommen diese Kredite aber nur einflußreiche Leute, auch solche, die gar nicht mehr fischen gehen, sondern im Hafen arbeiten".
Balakrishnan, ein 36-jähriger Fischereiarbeiter aus dem mittleren Teil des Dorfes ergänzt:
"Ja, es gibt Kredite zum Kauf von Booten und Netzen, aber coolies können diese Kredite nicht bekommen. Ich kenne keinen einzigen coolie, der jemals einen solchen Kredit erhalten hätte".
Ananthan, ein junger Fischer ist sich dagegen sicher, daß es schon seit einigen Jahren keine Kredite mehr gegeben hat.
"Kredite zum Kauf von Netzen und Booten gibt es deshalb keine mehr, weil früher große Unregelmäßig-keiten aufgetreten sind. Vor einigen Jahren hatte die Regierung 50 Kredite zum Netzkauf bewilligt, doch nur 10 Fischer haben das Geld auch tatsächlich erhalten. Das übrige Geld haben sich die genommen, die für die Geldverteilung verantwortlich waren. Dies ist erst dann bekannt geworden, als einige Fischer einen Kredit aufnehmen wollten, dann aber gesagt bekamen, sie müßten den alten Kredit erst zurück bezahlen. Gegen die, die die Fischer über's Ohr gehauen haben, ist aber nichts unternommen worden".
Die meisten Personen, die sich sicher waren, daß es keine Kredite zum Kauf von Netzen und Booten mehr gibt, konnten sich erklären, weshalb dennoch so viele andere Personen glaubten, diese Programme würden noch immer durchgeführt. Für Ramalingam, einem 46-jähriger Fischer war das wenig verwunderlich:
"Wann immer die Regierung ein neues Programm beschließt, kommen die Leute der Partei hierher und erzählen jedem davon. Das heißt nicht, daß dann auch jeder einen Kredit oder einen Zuschuß erhalten kann, aber die meisten wissen zumindest von den Programmen. Wenn die Programme dann wieder eingestellt werden, kommt niemand, um uns darauf hinzuweisen. Manche beantragen noch immer Kredite beim Fischereidepartment, die es schon lange nicht mehr gibt. Sie werden dann einfach hingehalten und wenn sie Pech haben müssen sie auch noch "kleine Geschenke" geben".
Knapp 30 Prozent der befagten Fischer und 12 Prozent der Fischereiarbeiter gaben an, daß es im Augenblick nur ein Programm zu Kauf von Außenbordmotoren gäbe. Selvaraj, ein älterer Fischer meint dazu skeptisch:
"Das Programm zum Kauf von Motoren wurde schon vor mindestens zwei Jahren angekündigt. Es waren sogar schon Leute vom Fischereidepartment hier, die sich die Namen derer aufgeschrieben haben, die einen solchen Motor wollen. Aber bislang hat noch kein einziger Fischer einen Motor erhalten. Ein Motor kostet 26.000 Rs und die Regierung gibt davon 1/3 als Zuschuß. Etwa 12.000 Rs muß man selber haben und den Rest kann man dann von einer Bank als Kredit erhalten. Viele werden es deshalb nicht sein, die am Ende sich tatsächlich einen solchen Motor kaufen können".
Noch schwieriger ist es, sich einen Trawler kaufen zu können, selbst wenn die staatliche Unterstützung dabei großzügig ist. Balaraman, ein pensionierter Bankangestellter und einer der beiden Trawlerbesitzer im Dorf rechnete vor:
Heute kostet ein Trawler über 300.000 Rs. Wenn man nicht mindestens 80.000 Rs hat, braucht man erst gar keinen Antrag stellen. Man kann zwar von der Bank über 100.000 Rs als Kredit erhalten und die Regierung gibt einen Zuschuß von 20 Prozent des Kaufpreises, aber wer von den Fischern hat schon so viel Geld. Außer-dem braucht man auch gute Beziehungen, sonst dauert es ewig bis man den Zuschuß der Regierung erhält".
Ähnlich schätzt Krishnaraj, ein 40-jähriger Fischer die Situation ein:
"Wer sich einen Trawler kaufen will, braucht mindestens 100.000 Rs eigenes Geld. Er kann dann von der Bank und vom Fischereidepartment Kredite und Zuschüsse erhalten, doch kein einziger Fischer aus dem Dorf hat sich jemals einen Trawler kaufen können. Die einzigen Leute hier, die einen oder sogar zwei Trawler haben, arbeiten alle bei der Regierung".
17.3.2.1 Das Sparprogramm für Fischer
Wie weiter oben bereits erwähnt wurde, hat die Regierung von Tamil Nadu bereits 1982 ein Programm eingerichtet, das den Kleinfischern helfen soll, besser über einkommensschwache Zeiten hinweg zu kommen. Ohne den Sinn dieses Programmes an sich in Frage stellen zu wollen, ist es dennoch vielsagend, daß der von den Fischern angesparte Betrag, zusammen mit dem Zuschuß der Regierung in den Monaten Oktober, November und Dezember an die Fischer ausbezahlt wird, also dann, wenn die Einkommen aus der Fischerei bei weitem am höchsten sind. Dies hängt damit zusammen, daß früher diese Monate als die Hungermonate für die Fischer galten, und es ist augenscheinlich noch nicht bis an die Schreibtische im Fischereidepartment vorgedrungen, daß sich dies durch den Garnelenfang seit etwa 30 Jahren grundlegend geändert hat.
Für die Fischer selbst ist dies jedoch kein Grund, das Sparprogramm nicht als ein sinnvolles Programm aufzufassen. Es fand sich während der Untersuchung keine einzige Person, die dieses Programm grundsätzlich in Frage gestellt hätte. Zwei Kritikpunkte wurden jedoch geäußert. Der erste betrifft den finanziellen Umfang des Programmes. Als im Frühjahr 1992 der monatliche Sparbetrag von zuvor 10 Rs auf 45 Rs erhöht wurde, wurde dies von einigen Fischereiarbeitern kritisert, die befürchteten, in einkommensschwachen Monaten den Sparbetrag nicht aufbringen zu können und deshalb aus dem Programm gestrichen zu werden.
Kuppan, ein 45-jähriger Fischereiarbeiter zeigte sich deshalb besorgt, als er von den Plänen der Regierung hört:
"Das Sparprogramm ist das nützlichste Programm, das die Regierung jemals durchgeführt hat. Jeder kann daran teilnehmen und auch wenn die Unterstützung gering ist, hilft sie uns doch ein wenig. Ich weiß aber nicht, ob ich am Programm noch teilnehmen kann, wenn der monatliche Betrag auf 45 Rs erhöht wird. Gut, ich kann dann statt 180 Rs im Jahr über 700 Rs von der Regierung erhalten, doch was passiert, wenn ich zwei oder drei Monate nicht genug Geld habe, um meinen Anteil bezahlen zu können?"
Trotz dieser Einwände hielten unter den Fischereiarbeitern die Mehrzahl der bislang am Sparprogramm teilnehmenden Personen die Erhöhung des Sparbetrages für gut. Mani, ein 25-jähriger Fischereiarbeiter gibt sich zuversichtlich:
"Eigentlich gibt es eine ganze Menge von Programmen, aber alle stehen nur den reichen Fischern zur Verfügung. Die armen werden immer beschissen. Eine Ausnahme ist das Sparprogramm. Das ist für uns alle sehr wichtig und auch arme Fischereiarbeiter können daran teilnehmen, selbst wenn der Betrag auf 45 Rs erhöht wird".
Ähnlich schätzt der 48-jährige Fischereiarbeiter Thulasi die Situation ein:
"Das Sparprogramm ist endlich mal etwas sinnvolles, das sich die Leute vom Fischereidepartment für arme Fischer haben einfallen lassen. Wenn der Betrag auf 45 Rs erhöht wird, werde ich trotzdem weiterhin daran teilnehmen. Notfalls muß ich mir in manchen Monaten dann das Geld bei meinem Bruder ausleihen. Mein Sohn nimmt auch am Sparprogramm teil. Wenn der Betrag aber noch weiter erhöht wird, kann es schwierig sein, das Geld dafür aufzubringen, denn wenn ich deswegen zum Geldverleiher gehen muß, lohnt sich das Programm für mich vielleicht nicht mehr. Genau kann ich das jedoch heute noch nicht sagen".
Erheblich eindeutiger war die Bewertung jedoch bei den Fischern. Lediglich drei Personen waren der Ansicht, daß ein Sparbetrag von 10 Rs im Monat ausreichend sei. Alle übrigen hielten 10 Rs im Monat viel zu wenig. Manche meinten sogar, die Regierung solle sich überlegen, ob sie den Betrag nicht noch weiter als auf 45 Rs erhöht. So meint Rajendran, ein 30-jähriger Fischer:
"Was sind schon 180 Rs im Jahr, die uns die Regierung gibt. Damit können wir noch nicht einmal eine Woche leben, wenn wir kein Einkommen haben. Wenn sie uns jetzt über 700 Rs geben, dann ist das viel besser, doch noch besser wäre es, wenn der Betrag auf 60 Rs erhöht werden würde. Dann würden wir von der Regierung jedes Jahr fast 1000 Rs bekommen. Da meine beiden Söhne auch am Sparprogramm teilnehmen würde unsere Familie dann fast 3000 Rs von der Regierung erhalten. Damit kann ich dann wirklich was anfangen. Ich glaube, daß wir sehr wohl in der Lage wären, jeden Monat 180 Rs für drei Personen beiseite legen zu können"
Tab. 81: Teilnahme und Bewertung des Sparprogramms
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Zu Beginn der Feldforschung haben viele Fischer und Fischereiarbeiter am Sparprogramm nicht teilnehmen können, obwohl sie es gerne getan hätten. Lediglich im südlichen Teil Nochikuppams konnten alle Fischer und Fischereiarbeiter am Programm teilnehmen. Subramaniam, ein 32-jähriger Fischersohn, der zu diesem Zeitpunkt an der Universität von Madras seine Doktorarbeit schrieb, hatte sich bereit erklärt, jeden Monat von jedem Fischer den jeweiligen Sparbetrag einzusammeln und beim Fischereidepartment abzuliefern. Für die Fischer war er eine zuverlässige Person, dem man das Geld anvertraute, ohne daß befürchtet werden mußte, hintergangen zu werden.
Im mittleren und nördlichen Teil Nochikuppams gab es niemanden, der diese zeitaufwendige Arbeit übernehmen wollte und der auch von den Menschen dort akzeptiert wurde. Aus diesem Grund war dort die Beteiligung am Sparprogramm wesentlich niedriger als im südlichen Teil von Nochikuppam. Personen aus diesen beiden Ortteilen mußten, wollten sie am Sparprogramm teilnehmen, jeden Monat das Geld persönlich zum Fischereidepartment bringen. Inzwischen hat Subramanian, mit der Unterstützung weiterer Personen aus Nochikuppam, erreichen können, daß auch dort regelmäßig die Sparbeträge eingesammelt und ordnungsgemäß an das Fischereidepartment weitergeleitet werden. Für diesen Zweck hat Subramanian einen Ausweis drucken lassen, in den jeden Monat die erbrachte Sparleistung einer Person vermerkt wird.
Nach wie vor problematisch ist jedoch, daß sich Personen an diesen Programm beteiligen, die dazu nicht berechtigt sind. Im Falle älterer, nicht mehr aktiver Fischer, mag man geteilter Meinung sein, ob diese berechtigt sind, den Zuschuß der Regierung in Anspruch zu nehmen und sich dadurch eine Alterspension verschaffen, die ihnen an anderer Stelle vorenthalten wird. Viel problematischer ist jedoch, daß auch Personen, die noch nie selbst Fischfang betrieben haben, sich den Zuschuß nicht entgehen lassen wollen. Sie lassen sich dann als Mitglied der Fischergenossenschaft registrieren und geben an, daß sie Fischer seien. Für die Personen, die vor Ort die Sparbeträge einsammeln, ist dieser Betrug zwar offensichtlich, doch sie können sich nur schwer dem Druck derjenigen widersetzen, die die staatliche Leistung ungerechtfertig erhalten, da diese über gute politische Verbindungen verfügen.
Die Sachbearbeiter im Fischereideapartment selbst können die Angaben der Teilnehmer am Sparprogramm nicht überprüfen. Für sie stellen die Funktionäre der Genossenschaften die Verbindung zu den Menschen in den Fischerdörfern dar. Da in Nochikuppam die Genossenschaft so gut wie nicht funktioniert bzw. eine sehr zwielichtige Funktion einnimmt bleibt ihnen nichts anderes übrig, die Angaben zu glauben.
Dieses institutionelle Handicap läßt sich praktisch auf alle staatlichen Programme übertragen. Sinnvolle Programme sind nur dort durchführbar, wo der Informationsfluß zwischen den programmverantwortlichen Institutionen (hier Fischereidepartment) und den örtlichen Institutionen (hier Fischereigenossenschaft) funktioniert und wo keine Partikularinteressen der Genossenschaftsfunktionäre wirksam werden. Korrupte Praktiken im Bereich der Genossenschaft, auf die während der Untersuchung von verschiedensten Seiten immer wieder hingewiesen wurden, so daß sie als gegeben angenommen werden müssen, sind jedoch nur möglich, wenn auch im Fischereidepartment sich Personen finden, die den örtlichen Genossenschaftsfunktionären den Rücken stärken bzw. mit ihnen gemeinsame Sache machen. Nagaraj, ein 40-jähriger Fischereiarbeiter, meint zu Genossenschaft:
"Auf dem Papier gibt es einige Programme für Fischer, doch die meisten sind nur für ganz bestimmte Leute. Entweder braucht man viel Geld oder Einfluß beim Präsidenten der Genossenschaft, um für die Programme ausgewählt zu werden. In der Regel gibt die Regierung viel zu wenige Kredite. Wenn dies nicht so wäre, dann könnte hier schon längst jeder ein eigenes Boot und Netze haben, doch noch immer gibt es so viele Fischer, die als coolie arbeiten müssen. Das zeigt doch, daß die Kredite immer nur ganz bestimmte Leute bekommen, die sie dann oft auch für ganz andere Dinge verwenden. Ich habe auch schon öfters bei der Genossenschaft um einen Kredit nachgefragt, aber noch nie einen bekommen. Das liegt in jüngster Zeit auch daran, daß die Genossenschaft nicht mehr funktioniert (is not working well). Das Dorf ist zu groß geworden und deshalb versucht man jetzt, die Genossenschaft in drei Teile aufzuteilen, doch bislang weigert sich das Fischereidepartment, das zuzulassen, weil es in jedem Dorf nur eine Genossenschaft geben kann. Für uns wäre die Aufteilung jedoch das Beste. Wenn dies nicht geschieht, wird es immer wieder Streit geben und wir können gar nichts mehr bekommen".
Vermutlich will das Fischereidepartment einer Aufteilung der Genossenschaft auch deshalb nicht zustimmen, weil dadurch eine seit Jahren bestehende Patronagestruktur zwischen dem Fischereidepartment und der Fischergenossenschaft in Nochikuppam bedroht wäre. Aus wahrscheinlich ähnlichen Gründen schiebt die Regierung schon seit Jahren die Genossenschaftswahlen in ganz Tamil Nadu hinaus. Man will die bestehenden Strukturen nicht zerstören. In Nochikuppam z.B. würden dies mit Sicherheit zur Abwahl des Genossenschaftspräsidenten führen.
17.3.2.2 Die Unfallversicherung für Fischer
"Die Unfallversicherung für Fischer ist eine nützliche Sache; allerdings ist hier in Nochikuppam seit ich hier leben, noch kein Fischer bei der Arbeit ums Leben gekommen. Trotzdem gibt es hier einige Leute, die Geld aus der Versicherung erhalten haben" (Mayandi, Fischer, 45 Jahre).
Während der Untersuchung konnten sechs Familien ausfindig gemacht werden, die seit dem Bestehen der Unfallversicherung eine Zahlung für den Tod eines Fischers erhalten haben. Nach Aussage vieler Befragter dürfte die tatsächliche Anzahl mindestens dreimal so hoch sein.
Bei der Analyse der Funktionsweise dieser Versicherung soll nicht versucht werden zu beantworten, ob die Versicherung rechtmäßig in Anspruch genommen wurde. Diesbezüglich wurden aus verständlichen Gründen keine Nachforschungen angestellt und die eher zufällig zugetragenen Informationen lassen es nicht zu, einigermaßen gesicherte Angaben hierzu zu machen.
Tab. 82: Unfallversicherung für Fischer
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Es muß davon ausgegangen werden, daß die Unfallversicherung allen Fischern und Fischereiarbeitern in Nochikuppam bekannt ist. 57 von 63 befragten Personen aus diesen beiden Gruppen nannten von sich aus die Unfallversicherung als ein bestehendes Programm, wobei allerdings 16 Personen die Versicherungssumme (21.000 Rs) nicht richtig wiedergeben konnten. Fast einmütig war auch die Meinung, daß Personen aus dieser Versicherung nur dann Geld erhalten könnten, wenn sie verschiedenen anderer Personen dabei kleine Geschenke machten. Am häufigsten wurde angegeben, daß der genaue Umfang dieser Geldgeschenke unbekannt sei. Bei den genannten Beträge wurde die Bestechungssumme zumeist mit 5000 Rs angegeben.
Duraikanu, ein 60-jähriger Fischer, beschreibt genauer, was alles zu tun ist, um Geld aus der Unfallversicherung zu erhalten:
"Wenn jemand Geld für einen verstorbenen Fischer erhalten will, dann benötigt er erst einmal die Hilfe einer einflußreichen Person aus dem Dorf. Diese wird dann die Kontakte zu wichtigen Regierungsstellen herstellen. Zunächst einmal braucht er eine Bescheinigung über die Todesursache von einem Arzt. Gleichzeitig muß er auf der Polizeistation auch eine Meldung machen. Der Antrag wird dann beim Assistant Direktor des Fischereidepartments gestellt. Man muß mindestens mit Ausgaben von 5000 Rs rechnen, damit man die Summe von 21.000 Rs erhalten kann".
Durai, ein 50-jähriger Fischereiarbeiter, hebt die Stellung dieser Mittlerperson in dieser Angelegenheit hervor:
"Um Geld aus der Unfallversicherung zu erhalten, muß man erst einmal mit wichtigen Leuten aus dem Dorf reden und ihnen für ihre Hilfe auch etwas bezahlen. Um das Geld rasch ausbezahlt zu bekommen, muß man etwa die Hälfte als Schmiergeld bezahlen. Wenn man sich mehr Zeit lassen kann, dann ist es viel billiger, aber auch viel aufwendiger. Man hat erst einmal Probleme mit der Polizei, die einem so lange hinhält, bis man ihr genügend gegeben hat. Auf dem Fischereidepartment wird man dann von einer Stelle zur anderen geschickt und überall wird ein Entgegenkommen erwartet. Nimmt man allerdings die Hilfe von einer einflußreichen Person im Dorf wahr, spart man sich viele Unannehmlichkeiten. Für sie ist es kein Problem, das Geld für einen zu bekommen, denn sie kennen die richtigen Leute, die die Dinge in Bewegung bringen (to make things run)".
Auch Mani, ein junger Fischereiarbeiter weist auf den Zusammenhang zwischen den Offiziellen im Fischereidepartment und einflußreichen Personen in Nochikuppam hin:
"Aus der Unfallversicherung kann jemand u.U. sogar das ganze Geld ausbezahlt bekommen; allerdings muß er dann sehr hartnäckig bleiben. Ob jemand Schmiergeld verlangt kommt darauf an, welche Unterstützung ein Fischer im Dorf hat. Wenn die officials denken, daß er Schwierigkeiten machen könnte, dann verzichten sie auf das Schmiergeld. Schwierigkeiten kann aber nur jemand machen, der wirklich einen guten Einfluß im Dorf hat. Die Leute im Fischereidepartment wissen das sehr genau, denn sie haben auch ihre Leute hier im Dorf".
Govindammal, eine 18-jährige, unverheiratete Fischersfrau, berichtet von den Schwierigkeiten, Geld aus der Unfallversicherung zu erhalten:
Als letztes Jahr mein Vater plötzlich gestoprben war, wollten wir Geld von der Unfallversicherung bekommen, doch das war sehr schwierig, weil wir am Anfang von niemandem Unterstützung erhielten und auch nicht genau wußten, wie wir vorgehen müssen. Bislang haben wir das Geld noch nicht bekommen, doch ich glaube, daß es nicht mehr lange dauern wird. Bislang haben wir etwa 5.000 Rs ausgegeben, aber nur dadurch haben wir überhaupt eine Chance, daß wir eines Tages Geld aus der Versicherung erhalten".
Tab. 83: Bestechungssummen bei der Unfallversicherung
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Von ähnlichen Problemen wußte der 45-jährige Fischereiarbeiter Ranganathan zu berichten, der im Juni 1991 bereits seit fast einem Jahr versuchte, Geld von der Unfallversicherung zu erhalten.
"Ich weiß schon gar nicht mehr, was ich machen soll. Bislang war ich auf so vielen unterschiedlichen Stellen, bei der Polizei, beim Fischereidepartment und habe auch schon mehr als 3000 Rs bezahlt, doch bislang weiß ich noch nicht einmal, ob ich überhaupt etwas erhalten werde".
Wie diese und andere Aussagen deutlich vor Augen führen, sind Schmiergeldzahlungen im Zusammenhang mit staatlichen Programmen die Regel und Abweichungen davon eher als Ausnahme zu betrachten. Vieles deutet auch darauf hin, daß diese Korruption nur möglich ist, wenn ein eng umwobenes Beziehungsgeflecht unterschiedlicher Akteure besteht, die allesamt in irgendeiner Weise von dieser Form der Korruption profitieren. Angefangen von den Personen, die eine Leistung beanspruchen, bis hin zu den unterschiedlichen Stellen, die bei der Bewilligung dieser Leistung mitwirken. Es kann angenommen werden, daß diese Beziehungsgeflechte erheblich weiter reichen, als in den beschriebenen Fällen gezeigt werden konnte.
Während der Untersuchung zeigte sich auch, wie schwierig es ist, dieser Form von Korruption wirksame Maßnahmen entgegenzusetzen. Der bereits an anderer Stelle erwähnte Subramanian versuchte mit einer Handvoll Gleichgesinnter, Fischern und Fischereiarbeiter Hilfestellung beim Umgang mit Behörden zu geben. Sie fungierten als Anlaufstellen, wenn es galt Anträge auszufüllen, sie begleiteten einzelne Personen bei ihren Behördengängen und gingen in einzelnen Fällen sogar alleine dorthin. Im Grunde versuchten sie, die Rolle der Mittelsmänner zu übernehmen, ohne jedoch dafür eine Bezahlung zu verlangen. Von vielen befragten Personen wurde diese Dienstleistung als äußerst sinnvoll betrachtet, wobei sich allerdings herausstellte, daß sie bei weitem nicht so erfolgreich war, als die der bezahlten, professionellen Mittelsmänner. Der 60-jährige Duraikanu drückt es wie folgt aus:
"Wenn Subramanian uns weiterhilft, dann will er dafür nur das Geld für die Busfahrt zum Fischereidepartment. Andere verlangen viel mehr, je nachdem, bei was sie uns helfen. Allerdings sind sie dann meistens auch erfolgreicher".
Das hauptsächliche Problem besteht darin, daß erfolgreiche Mittelsmänner nicht nur Bindeglied in der Kommunikation zwischen dem Bürger und den Behörden sind, sondern über politischen Einfluß verfügen. In der Regel sind sie im politischen Leben des Dorfes aktiv und haben dadurch auch gute Kontakte zu hohen Politikern in Tamil Nadu. Über diesen Weg können sie in unterschiedlichen Behörden ihren Einfluß geltend machen.
Dies muß für die einzelnen Bürger nicht immer bedeuten, daß sie dadurch der Willkür der örtlichen Politiker und Behörden ausgeliefert sind. In der Regel kommen - zumindest bei der angesprochenen Form der Korruption - auch die Bürger besser weg, als wenn sie sich auf diese Art des Umgangs mit Behörden nicht einlassen. Nach der Auffassung eines Mittelsmannes
"[...] erhalten die Menschen bedeutend mehr als wenn sie auf unsere Hilfe verzichten würden und vor allem sparen sie viel Zeit und Unannehmlichkeiten. Wir machen nichts anderes als viele anerkannte Berufsgruppen. Ein Rechtsanwalt z.B. verdient sein Geld auch dadurch, daß er Leute berät und ihnen in manchen Dingen weiterhilft. Wir kennen uns eben besser aus, als viele andere und lassen uns dieses Wissen bezahlen. Und bisher waren noch alle mit unserer Arbeit zufrieden...!!!!
18 Der Wandel in der politischen Struktur von Nochikuppam
Sieht man sich die Fülle der Veröffentlichungen an, die in den vergangenen 20 Jahren zu Fischerdörfern in Indien erstellt worden sind, so fällt auf, daß dabei hauptsächlich Arbeiten zur Fischereitechnologie und -wirtschaft und zum Themenbereich der sozio-ökonomischen Lage der Fischer dominieren. Völlig in den Hintergrund tritt der Themenbereich der politischen Organisation der Fischer; selbst in einem Themenheft der Bay of Bengal News, herausgegeben vom Bay of Bengal Programme der FAO1 zu “People's Participation” , wird auf diesen Bereich an keiner Stelle eingegangen, sondern Körperschaften, in denen diese Partizipation verwirklicht werden soll, sind ausschließlich Nichtregierungsorganisationen im Fischereibereich, die in den meisten Fällen an den traditionellen Körperschaften vorbei installiert worden sind.
Bei der Lektüre zumeist älterer anthropologischer Beschreibungen von Fischerdörfern in Tamil Nadu und anderen Teilen Indiens dagegen werden die traditionellen politischen Institutionen in Fischerdörfern als sehr mächtig und gut organisiert beschrieben.(für Tamil Nadu:Thurston /Rangaachari 1909, Anugraham 1940, Norr 1972, Berg et al. 1984; für Kerala: Klausen 1968; für Orissa: Tietze et al. 1985; für West Bengalen: Raychaudhuri 1972). Thurston/Rangaachari (1909) vermerken dazu:
"The Pattanavans afford a good example of a caste, in which the time-honoured village council (panchayat) is no empty, powerless body. For every settlement or village there are one or more headman called Yejamanan, who are assisted by a Thandakaran and a Pairaiyan Chalavathi"(Thurston/Rangaachari 1909, vol.6: 183).
Norr (1972) verweist auf wichtige Funktionen, die die “village headmen” eines Fischerdorfes zur Zeit ihrer Untersuchung wahrnahmen:
"They must witness all marriages and perform certain other ritual duties. They supervise the care of the village temple and the organization of the temple festival, and manage the funds for these collective enterprises to which all villagers contribute. When caste laws are broken or a serious quarrel emerges among villagers, the headmen must try to settle it, usually by calling a meeting of the panchayat. All the adult males of the village attend and give their opinions; then the elders come to an agreement on what must be done" (Norr 1972: 57).
Traditionell wurden die politischen Ämter in Fischerdörfern vererbt. Die politische Struktur war damit relativ starr, die Anzahl möglicher Aspiranten auf politische Ämter beschränkt. Anders als in den meisten landwirtschaftlichen Dörfern, in denen es traditionell verschiedene Kastenräte (jati-Panchayats) gab, war der Dorfrat einer Fischersiedlung in Tamil Nadu die politische Vertretung aller Dorfbewohner. Im Vergleich zu landwirtschaftlichen Siedlungen, die fast immer “multi-caste-villages” sind, war daher der Faktor “Kaste” bei der innerdörflichen Konfliktstruktur unerheblich. Hier erleben wir einen der wenigen Fälle in Indien, in denen sich eine lokale politische Identität in Bezug auf das gesamte Dorf entwickeln konnte. Dies war (und ist) in landwirtschaftlichen Dörfern - wie erwähnt - seltener der Fall. Hier beziehen sich solche Identitäten sehr häufig lediglich auf jenen Teil des Dorfes, in dem die eigene Kaste oder in der Hierarchie gleichrangig eingestufte Kasten leben. Vielfach hat sich dieses Bewußtsein auch in der Morphologie von Dörfern niedergeschlagen, etwa in dem Umstand, daß die Siedlung der Harijans sehr häufig räumlich vom “Hauptdorf” getrennt ist und im Bewußtsein der Bewohner des “Hauptdorfes” diesem auch gar nicht zugehörig betrachtet wird.
Bei innerdörflichen politischen Entscheidungen und Konflikten spielen solche Prinzipien eine große Rolle, da die Frage nach der politischen Identität gleichzeitig auch eine Frage nach der sozialen Identidät ist. Gruppen, die sich außerhalb dieser sozialen Identität befinden, werden deshalb im Entscheidungsprozeß leicht übergangen.
Neben der Kastenzugehörigkeit spielten (und spielen) Verwandtschaftsbeziehungen eine sehr wichtige Rolle bei der Austragung politischer Konflikte. Menschen erwarten, daß sie in politischen Streitigkeiten Unterstützung von ihren Verwandten erhalten und Verwandt-schaftsgruppen, in denen dies nicht gewährleistet ist, verlieren schnell an Prestige und Einfluß. Wie auch während der Untersuchung in Nochikuppam festgestellt werden konnte, spielt dabei die Befähigung, Personen für handgreifliche Auseinandersetzungen mobilisieren zu können, eine nicht zu vernachlässigende Rolle. Allerdings sind es längst nicht mehr ausschließlich Kasten- und Verwandtschaftsbande, innerhalb derer sich eine solche Rekrutierung vollzieht.
In Gemeinschaften, in denen eine einzige Kaste dominiert, verlaufen die Konfliktstrukturen nicht entlang von Kastenlinien, sondern zwischen verschiedenen Eliten der gleichen Kaste. Kastenkonflikte, das bestätigen auch Beispiele aus der Gegenwart, treten vor allem dort auf, wo eine (oder mehrere) sozial untergeordnete Kaste(n) ökonomisch und gegebenenfalls auch politisch dominant wurde(n).
Bei Konflikten innerhalb einer Kaste gehen die jeweiligen Eliten mit anderen Kastenmitgliedern Koalitionen ein, bei deren Bildung ökonomische Abhängigkeit und Verwandtschaftsbeziehungen die wichtigsten Faktoren sind. In einem gesellschaftlichen System, in dem “Patron-Klient-Beziehungen” eine große Bedeutung zukommt, unterstützen ökonomisch Abhängige die politischen Aspirationen ihrer Patrone, weil sie sich dadurch wirtschaftliche und andere Zugeständnisse erhoffen. Sie sind erst dann bereit, die Fronten zu wechseln, wenn sie von der anderen Seite größere Zugeständnisse erwarten können und wenn ein solcher Wechsel auch sonst wenig bedrohlich für sie erscheint. Bei Verwandtschaftsbeziehungen ist die Bindung noch erheblich stärker, weil ein Ausscheren aus dem Verwandtschaftsverband einer gesellschaftlichen Isolierung gleichkommt und der Dissident in Zukunft von seiner Verwandtschaftsgruppe keinerlei Unterstützung mehr erwarten darf.
Schon seit längerem kann Nochikuppam kaum noch als eine politische Einheit bezeichnet werden kann, zumindest wenn man das politische Bewußtsein der Bewohner zu Grunde legt. Wie jedes andere Fischerdorf in der Umgebung hatte auch Nochikuppam einen Dorfrat, der die innerdörflichen Entscheidungen in Händen hielt. Dieser Dorfrat war Zentrum der politischen Macht, aber auch gleichzeitig der sozialen. Heute können wir in Nochikuppam starke Auflösungserscheinungen hinsichtlich der politischen Identität feststellen, die schon allein dadurch gekennzeichnet sind, daß es inzwischen drei Ortsteile (Süd, Mitte, Nord) gibt, denen sich die Fischer zumeist eindeutig zuordnen. Diese Dreiteilung findet auch in den traditionellen Institutionen ihren Ausdruck, denn es existiert kein traditioneller Panchayat mehr, der das Organ aller Fischer des Dorfes, sondern der südliche und mittlere Teil besitzen jeweils einen eigenen Dorfrat, während der nördliche Teil noch nicht einmal mehr einen solchen Dorfrat hat. Einen "headman" gibt es niergends mehr. Die Funktionen der traditionellen politischen Institutionen haben sich mit dieser innerörtlichen Dezentralisierung von Macht ebenfalls aufgeteilt bzw. sind z.T. ganz verschwunden.
Die Dezentralisierung dörflicher Macht steht in engem Zusammenhang mit den technologischen und institutionellen Veränderungen, die in der Kleinfischerei stattgefunden haben. Diese Veränderungen haben die traditionelle Elite in sehr starkem Maße bedroht.
Die traditionelle soziale Schichtung in Nochikuppam wie auch in anderen Fischerdörfern der Region war dreigeteilt. An der Spitze standen die Fischerhaushalte, die ein Plankenboot und das dazugehörige Periya Valai besaßen. Gleichzeitig wurde von diesen Haushalten auch der informelle Kreditsektor dominiert. Aus diesem Grunde ließen sich die Angehörigen dieser Haushalte mit dem Titel "Chettiar" anreden.1 Da zum Betrieb des Periya Valai mindestens 30 Arbeitskräfte notwendig sind, waren die Besitzer für sehr viele Fischereiarbeiter Arbeitgeber und mit diesen auch durch Kreditbindungen eng verknüpft.
In der sozialen Ordnung unter den Strandwadenfischern standen die Kattumaram-Fischer. Sie hatten ein eigenes Boot und ein Teil von ihnen auch eigene Netze, vor allem Mada Valais und Thuri Valais. Ökonomisch war die Kattumaram-Fischerei jedoch weitaus weniger profitabel als die Fischerei mit dem Strandwadennetz, da der Preis für Fisch in dieser Zeit sehr niedrig war und mit dem Strandwadennetz eine erheblich größere Menge Fisch gefangen werden konnte. Von jedem Fang erhielt - an anderer Stelle wurde darauf ausführlicher eingegangen - der Besitzer des Strandwadennetzes die Hälfte des Fanges, während beim Einsatz des Mada Valai bzw. Thuri Valai den Besitzern der Produktionsmittel geringere Anteile zufielen, da der Fangerlös i.d.R. auf mehere Produktionsmittelbesitzer aufgeteilt werden mußte. Ganz unten in der sozialen Ordnung standen die Fischereiarbeiter, die ihre Arbeitskraft für die Strandwadenfischerei als auch für die Kattumaram-Fischerei zur Verfügung stellten.
Mit der starken Förderung der mechanisierten Fischerei durch den Staat, der Einführung der Kiemennetze aus Nylon sowie durch die guten Einkommensmöglichkeiten aus der Garnelenfischerei setzten zunächst zwei Entwicklungen ein, die die gesamte soziale und politische Struktur veränderten. Zuvor war politisches Prestige sehr eng mit den Standwadennetze verbunden. In dieser Zeit gab es drei Familien, die solche Netze besaßen und jede von ihnen gab über 40 Personen regelmäßig Beschäftigung. Die Besitzer der Periya Valai stellten also die politische Elite des Dorfes und sie hatten auch die Verwaltung des Dorftempels inne (s.u.).
Mit den Veränderung in der Fischerei war die traditionelle Elite des Dorfes bedroht. Nicht nur, weil die neuartigen Netze zu einer Individualisierung des Fischfangs führten und dadurch die ökonomische Abhängigkeit der Fischereiarbeiter von den Strandwadennetzbesitzern reduizierten. Hinzu kam, daß die hohen Garnelenpreise dazu führten, daß die Fischerei mit den Kiemennetzen aus Nylon nun profitabler war als die Strandwadennetzfischerei. Die alte Elite sah sich davon bedroht, nicht mehr genügend Arbeitskräfte für den Fischfang mit dem Strandwadennetz zu finden, da immer mehr Fischereiarbeiter im Begriff waren, sich einen eigenen Kattumaram anzuschaffen. Die Fischer, die bereits solche Boote besaßen, überflügelten die Besitzer der Strandwadennetze ökonomisch, da durch die hohen Garnelenpreise die Kattumaramfischerei zu einem einträglichen Geschäft geworden war.
Durch die Errichtung einer Fischergenossenschaft in den 50er Jahren war zum traditionellen Machtgefüge eine neue Institution hinzugekommen, über die wirtschaftlichen Entwicklung des Dorfes gelenkt werden sollte. Die Genossenschaft sollte sich um eine technologische Modernisierung der Kleinfischerei kümmern, d.h. sie sollte günstige Bedingungen dafür schaffen, daß die Kiemennetze aus Nylon sich schnell verbreiten konnten. Dazu wurden von staatlichen Stellen Kredite und Zuschüsse zum Kauf von Kattumaramen und Netzen vergeben. Dieser anvisierte Wandel bedrohte so die dörfliche Elite nicht nur in ihrer Funktion als wichtigsten Arbeitgeber, sondern auch als Kreditgeber.
Die Fischerelite konnte allerdings die Schaltpositionen in der Genossenschaft übernehmen und versuchte diese neu errungene Position zur Festigung ihres sozio-ökonomischen Status zu instrumentalisieren. Es gelang ihr zum Teil die von der Regierung vergebenen Modernisierungskredite und -zuschüsse zu erhalten. Allerdings gab es schon zu diesem Zeitpunkt Kattumaramfischer, die ebenfalls ökonomisch eine wichtige Rolle spielten und auch an der politischen Macht im Dorf beteiligt werden wollten. Einerseits stellte sie das Prinzip, wonach die traditionellen politischen Ämter im Dorf vererblich waren, in Frage, andererseits beanspruchten sie auch Funktionärsposten in der neu errichteten Genossenschaft.
Beide Gruppen hatten wenig Interesse am Aufstieg der Fischereiarbeiter zu Produktionsmittel besitzenden Fischern, vor allem nicht, als sich zu Beginn der 80er Jahre erste Anzeichen einer Überfischung bemerkbar machten. Im Gegenteil, die Fischerelite versuchte, Fischererarbeiter am Erwerb von Booten und Netzen zu hindern. Sie wollte die Anzahl der unabhängig Beschäftigten in diesem nun lukrativen Geschäft gering halten und damit den Druck auf die knapper werdenden Ressourcen nicht noch weiter erhöhen. Gleichzeitig lag ihr daran, ein ausreichendes Angebot an Arbeitskräften zu sichern, die sie auf ihren eigenen Booten beschäftigen konnten.
Durch die Kontrolle über die Fischergenossenschaft war dies ein Leichtes. Es konnte zwar niemand am Fischfang selbst gehindert werden, doch der Fischerelite gelang es durch die Kontrolle der Vergabe der staatlichen Kredite die Oberhand über die Produktionsmittel zu behalten. Nebenbei konnte sie ihre eigenen Produktionsmittel über Genossenschaftskredite/-zuschüsse regelmäßig erneuern, bzw. erhaltene Kredite und Zuschüsse zweckentfremdet, d.h. in der Regel zu Geldverleihergeschäften nutzen.
Über die (gelenkte) Vergabe der Investitionskredite wurde der Fischfang weiterhin von der Fischerelite kontrolliert, die allerdings zahlenmäßig angewachsen war. Fischereiarbeiter wurden eingesetzt, wann immer sie benötigt wurden, wobei die Anzahl der Arbeitskräfte immer mehr anstieg, ohne daß es entsprechend mehr neue Boote gab.
Die Bindungen eines Fischereiarbeiters an einen bestimmten Arbeitgeber durch einen Kredit wurden dadurch nicht mehr so wichtig, da im Bedarfsfalle immer genügend Arbeitskräfte zur Stelle waren. Die noch heute in dieser Form bestehenden Arbeitsverhältnisse sind ein Relikt aus einer Zeit, in der die Arbeitskraft noch knapper war.
Eine ganz andere Entwicklung war, daß immer mehr Personen aus der Fischerkaste eine Anstellung im öffentlichen Dienst erhalten konnten. Dies hatte erhebliche Auswirkungen auf die traditionelle Machtverteilung im Dorf. Die Fischerelite sah sich nun einer anderen ökonomischen Elite gegenübergestellt, die allmählich diese nicht nur ökonomisch überflügelte, sondern durch ihre Beziehungen nach außen an großer Machtfülle gewann.
Zwei Aspekte sind besonders wichtig gewesen: Erstens konnten sich einige der Emporkömmlinge im Bankenbereich etablieren und damit Kontrolle über Kredite sicherstellen. Noch heute handelt es sich hierbei um Personen, die sicherlich keine führende Funktion in einer Bank einnehmen, doch durch ihre Beziehungen war es ihnen möglich, Kredite zu organisieren.
Zweitens wurde der Einfluß politischer Parteien im Dorfleben immer wichtiger. Heute sind alle wichtigen Parteien Tamil Nadus (AIADMK, DMK, Congress(I) und CPI(M)) in Nochikuppam durch Funktionäre vertreten. Ihre Aufgabe besteht in erster Linie darin, in Wahlkampfzeiten lokal für die jeweiligen Parteien zu werben und auch Mitglieder zu rekrutieren. Da auf politischem Wege ebenfalls Kredite mobilisiert werden können, haben diese Funktionäre - vor allem wenn sie der jeweiligen Regierungspartei angehören - ebenfalls Einfluß auf den "staatlichen" Kreditbereich. Zu ihrer Aufgabe gehört es z.B. Kontakte von Bürgern zu höheren Parteifunktionären (Minister, Parlamentsabgeordnete) herzustellen, die dann "Empfehlungsschreiben" für Banken und andere Behörden ausstellen. Von befragten Personen wurde immer wieder angegeben, daß dazu Geldgeschenke erwartet werden.
Entscheidend war jedoch, daß es inzwischen in Nochikuppam sehr viele Personen gab, die zur wirtschaftlichen Elite des Dorfes gerechnet werden konnten. Viele von ihnen hatten auch politische Ambitionen. Positionen, die politische Macht repräsentierten waren allerdings weitaus geringer vorhanden als die Anwärter auf solche Positionen.
Am deutlichsten kam dies während der Untersuchung zum Ausdruck, als von verschiedenen Seiten Verhandlungen mit der Fischereibehörde geführt wurden, die örtliche Fischergenossenschaft dreizuteilen. Dadurch würden erheblich mehr Personen aus dem Dorf eine Kontrolle über diese wichtige Institution erhalten. Ähnliches gilt für die Funktion des "village-headman". Bereits seit einigen Jahren ist diese Stelle verwaist, weil sich die Bewohner des Ortes auf niemanden einigen können.
"In Nochikuppam gibt es keinen "Headman" mehr. Das war früher so, aber inzwischen ist das Dorf zu groß geworden und deshalb können wir uns auf keine Person einigen. Heutzutage gibt es sehr viele, die beanspruchen "Headman" zu sein. Sie versuchen die Unterstützung möglichst vieler Leute zu erhalten, doch niemand kann von sich behaupten, daß alle mit ihm einverstanden sind" (Duraikanu, Fischer, 60 Jahre).
Im mittleren Teil hat man das Problem "gelöst", indem die Mitgliederzahl im Dorfrat erheblich ausgeweitet wurde.
"Für Nochikuppam als gesamtes gibt es keinen "Headman" mehr, aber jeder einzelne Teil hat einen Dorfrat. Hier im mittleren Teil besteht dieser Dorfrat aus 50 Personen und vier oder fünf von ihnen nehmen gemeinsam die Stellung eines "Headman" ein" (Viswanathan, Fischereiarbeiter, 45 Jahre).
Ähnlich äußert sich auch Nagaraj, ein 40-jähriger Fischereiarbeiter aus dem südlichen Teil Nochikuppams.
"Seit einigen Jahren haben wir in Nochikuppam keinen "Headman" mehr. Das ist wahrscheinlich auch der Grund, weshalb es immer wieder zu Streitereien im Dorf kommt. Wir haben niemanden, der die unterschiedlichen Gruppen beschwichtigen kann. Wer immer vorgibt, "Headman" zu sein, unterstützt nur einen Teil der Menschen und das führt dann immer wieder zu Problemen".
Der Wandel in der wirtschaftlichen, sozialen und letztlich auch politischen Struktur hat zu einer zunehmenden Desintegration von Nochikuppam geführt. Viele gerade der älteren Fischer sehen darin eine wichtige Ursache für etliche Probleme, die heute im Dorf anzutreffen sind.
18.1 Ein Tempelstreit als Ausdruck dörflicher Desintegration
Traditionell war die politische Macht in einem Fischerdorf in einem Amt bzw. in einer Institution zentralisiert. Ein aus wenigen Fischern bestehender Dorfrat, angeführt von einem village-headman waren anerkannte Autoritäten, sowohl in politischer, juristischer als auch kultureller Hinsicht. Dort, wo diese Institutionen auch heute noch bestehen, ist dies in manchen Bereichen noch immer der Fall.
Auf manche Funktionen des Dorfrates im südlichen Nochikuppam wurde an anderer Stelle bereits hingewiesen. In Rechtsangelegenheiten ist es z.B. heute noch üblich, daß Streitfälle erst dann ordentlichen Gerichten vorgelegt werden, wenn durch Vermittlung des Dorfrates keine Einigung erzielt werden konnte.
"Wenn es hier Probleme gibt, dann ist es die Aufgabe des Dorfrates zwischen einzelnen Familien zu vermitteln. Normalerweise versuchen wir das, ohne die Polizei einzuschalten, denn wir wollen kein Geld für die Polizei ausgeben" (Gopal, Fischereiarbeiter, 75 Jahre, mittleres Nochikuppam).
Devaki, eine 45-jährige Fischersfrau weiß vom Dorfrat aus dem südlichen Teil Nochikuppams ähnliches zu berichten:
"Hier gibt es einen Dorfrat mit etwa 10 Mitgliedern; ich selbst kenne sechs von ihnen. Ihre wichtigste Aufgabe besteht darin, Streitigkeiten zu schlichten; bevor jemand zur Polizei gehen kann, muß er erst versucht haben, durch die Vermittlung des Dorfrates zu einer Einigung zu kommen".
Die meisten dieser Streitigkeiten scheinen durch Kreditangelegenheiten zu entstehen, sowie durch innerfamiliäre Probleme (z.B. Mann schlägt Frau, Kinder kümmern sich um ihre alten Eltern nicht, Mann trinkt und vernachlässigt Familie etc.).
Der Dorfrat hat auch noch immer die von Norr (1972) erwähnte Funktion im kulturellen Leben des Dorfes. Ohne seine Zustimmung kann keine Hochzeit stattfinden, die älteste Person des Dorfrates nimmt bei den Hochzeitszeremonien eine wichtige Rolle ein. In früheren Jahren waren der village-headman und sein Vertreter auch die Verwalter des Dorftempels und haben in dieser Funktion auch über die Dorfkasse gewacht.
Bezeichnend ist, daß - nach Auskunft vieler Befragter - sich die ersten Desintegrationserscheinungen in Nochikuppam an der Zuständigkeit über die Verwaltung des Dorftempels bemerkbar machen. Dieser Streit, der bereits vor etwa 30-40 Jahren stattgefunden hatte, bestimmt auch noch heute das Leben in Nochikuppam so sehr, daß nachfolgend versucht werden soll, die Ursachen dieses Streites aufzurollen. Duraikanu, ein 60-jähriger Fischer aus dem südlichen Teil Nochikuppams, sieht in diesem "Tempelstreit" eine wichtige Ursache für die Konflite in Nochikuppam:
"In den letzten Jahren haben die Streitigkeiten hier im Dorf sehr stark zugenommen. Inzwischen hat es sich in drei Teile gespalten. Begonnen haben die Probleme vor vielen Jahren, als es einen heftigen Streit um die Verwaltung des Tempels gab. Ein Fischer aus dem Chettiar-Kommittee hat dabei viel Geld unterschlagen. Er selber wohnte im nördlichen Teil von Nochikuppam und die Fischer aus dem südlichen Teil haben damals gegen ihn ein Gerichtsverfahren durchgeführt".
Paneer, ein 73-jähriger Fischer aus dem südlichen Teil Nochikuppams sieht in Unregelmäßigkeiten bei der Tempel-Verwaltung ebenfalls die Ursache für den Streit.
"Streitereien gab es deshalb, weil die Einkünfte des Tempels nicht ordnungsgemäß verwaltet wurden. Der Tempel hatte viele Einnahmen. Eigentlich gehört das ganze Land im Dorf dem Tempel. Gelder aus der Fischversteigerung, eine Haussteuer, Gelder bei Hochzeiten und vieles mehr sind in die Tempelkasse geflossen. Der Mann, der damals den Tempel verwaltet hat, hat ihn als sein Eigentum betrachtet. Deshalb haben die Fischer aus dem südlichen Teil Nochikuppams ein Gerichtsverfahren gegen ihn durchgeführt. Sie wollten, daß der Tempel dem Dorf gehört und auch die Einnahmen des Tempels den Menschen im Dorf zugute kommen. Wir haben diesen Prozeß schließlich gewonnen und dem Rechtsanwalt, der uns beraten hat, zwei Kühe als Geschenk gegeben. Er wollte dann eine Feier im Tempel durchführen. Schon damals haben wir ihn gewarnt, daß diese Provokation Schwierigkeiten verursachen würde. Trotzdem wurde eine Prozession durchgeführt, doch wider Erwarten gab es keine Schwierigkeiten. Erst zwei Jahre später, als zur Erinnerung an den Sieg erneut eine Prozession stattgefunden hat, gab es einen heftigen Kampf zwischen den einzelnen Parteien. Leute aus dem nördlichen Teil haben Steine und Sodaflaschen auf das Götteridol geworfen. Damals mußte dann die Polizei mit vielen Leuten eingreifen. Seither ist das Dorf gespalten und seither hat es kein Tempelfest mehr gegeben".
Bei diesem Streit ging es aber offensichtlich nicht nur darum, Unregelmäßigkeiten in der Tempel-Verwaltung zu verfolgen, sondern die Bemühungen der Fischer aus dem südlichen Teil Nochikuppams hatten zum Ziel, die Vererbbarkeit des Amtes des Tempelverwalters abzuschaffen. Da die Verwaltung des Tempels und die politische Führung des Dorfes praktisch ein einziges Amt waren, ging es dabei um nichts weniger als die Macht der alten Elite zu brechen. Dies war die Voraussetzung, daß andere Gruppen überhaupt in der dörflichen Machtstruktur sich etablieren konnten, denn solange die politischen Ämter erblich waren, stand die Machtverteilung im Dorf unabänderlich fest.
Der Streit um den Tempel ist deshalb mehr als die Auseinandersetzung um den Zugang zu einer religiösen Stätte, auch mehr als die Auseinandersetzung um die Verwaltung dieser religiösen Stätte; der Streit ist vielmehr der Kampf um die politische Vorherrschaft im Dorf. Viswanathan, ein 45-jähriger Fischereiarbeiter aus dem mittleren Teil des Dorfes meint dazu:
"Soweit ich weiß, traten damals bei der Verwaltung des Tempels keine Unregelmäßigkeiten auf. Das haben die Fischer aus dem südlichen Teil nur vorgeschoben, weil sie selber die Tempelverwaltung übernehmen wollten. Vorher war das Dharmakartha vererblich, aber viele waren damit nicht mehr einverstanden, sondern wollten, daß das Dharmakartha den Menschen des Dorfes gehöre. Das sagten sie als sie den Prozeß geführt haben".
Aiyavu, ein 65-jähriger Fischer aus dem mittleren Teil Nochikuppams und vor vielen Jahren einer der einflußreichsten Männer des Dorfes, meint, daß das Tempelproblem von den Fischern aus dem südlichen Teil überbewertet werde:
"Heute besteht Nochikuppam aus drei Teilen. Früher war es ein ruhiges Dorf, in dem alle Leute zusammengearbeitet haben, aber das ist heute nicht mehr so. Das Dorf hat sich gespalten, weil es Probleme mit der Genossenschaft gab. Der Präsident kam aus dem südlichen Teil und er hat sich um die Fischer aus dem nördlichen und mittleren Teil nicht gekümmert. Er half nur denen aus seinem Teil, obwohl wir ihn alle gewählt hatten. Erst später kam das Problem wegen des Tempels hinzu, als die Fischer aus dem südlichen Teil versuchten, die Kontrolle über den Tempel zu bekommen; aber da war das Dorf schon gespalten".
Der Tempelstreit ist mehr als nur eine Episode in der jüngeren Geschichte Nochikuppams. Er ist Symbol für die Zerstrittenheit der Menschen hier und auch aktuelle Konflikte vollziehen sich zumeist in den Konstellationen, wie sie beim Tempelstreit offen zu Tage getreten waren. Ananthan, ein 27-jähriger Fischer aus dem mittleren Teil Nochikuppams, erzählt z.B.:
"Vor vier Jahren haben wir hier drei Trawler aufgebracht, die zu nahe an der Küste gefischt haben. Wir haben die Besatzung gezwungen, hier anzulanden und haben dann von den Besitzern der Boote Geld verlangt. Am Anfang waren wir uns alle einig, daß das gesamte Dorf das Geld bekommen sollte, doch dann haben plötzlich die Fischer aus dem südlichen Teil alles für sich beansprucht. Es gab dann einen fürchterlichen Streit und die Fischer aus dem südlichen Teil haben dann einen Teil des Geldes an Leute aus dem nördlichen Teil gegeben. Wir selbst haben aber nichts bekommen"
Es ist nicht zu erwarten, daß eine Lösung dieses Konflikts in den Grenzen des "Gesamtdorfes" stattfinden wird, denn mit den Jahren sind immer mehr Störungsfaktoren hinzugekommen. Was anfangs die Auseinandersetzung zwischen einigen wenigen Verwandtschaftgruppen war, die alle ihre ökonomische Basis in der Fischerei hatten, ist inzwischen viel komplexer geworden. Zum einen sind Gruppen hinzugekommen, die ihre ökonomische Basis außerhalb der Fischerei haben, aber dennoch in einem Bereich, der sehr stark mit der Fischerei verbunden ist. Dies trifft -wie bereits erwähnt- vor allem auf diejenigen zu, die es geschafft haben, im staatlichen Bankensektor unterzukommen. Hier sind es nicht enge Verwandtschaftsbeziehungen, die dörfliche Macht darstellen, sondern die Verbindung zum Kreditsektor. Auf diesem Wege kann eine dörfliche Unterstützung mobilisiert werden.
Ähnlich ist es im Bereich der Genossenschaft, auch hier wird die Macht im Dorf dadurch begründet, daß Personen als Vermittler von staatlichen Begünstigungen auftreten können. Die Forderung vieler im Dorf, die Genossenschaft solle die politische Dreiteilung des Dorfes ebenfalls nachvollziehen, ist ein Ausdruck davon, denn letztlich würden sowohl die dörfliche Elite als auch die normalen Fischer von einem solchen Schritt profitieren. Die dörfliche Elite dadurch, daß der großen Nachfrage nach institutioneller Macht ein größeres Angebot eingeräumt würde. Für die "normalen" Fischer hätten ein solcher Wandel den Vorteil, daß die drei Genossenschaften (vermutlich) wieder funktionsfähig wären. Jeder Teil des Dorfes hätte seine eigene Genossenschaft, die Dezentralisierung der politischen Macht hätte sich dann auch bezüglich der Institution "Genossenschaft" durchgesetzt.
Nicht nur die ökonomische Basis der dörflichen Elite hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert, auch andere Bestimmungsgründe sind hinzugekommen, so etwa der Einfluß der Parteien. In jüngster Zeit gibt es zusätzlich Hinweise, daß der inzwischen etablierte Alkoholschmuggel eine weitere Gruppen im dörflichen Machtkampf hat entstehen lassen.
18.2 Ein "Landkonflikt" als Ausdruck politischer Diversifizierung
Landstreitigkeiten sind ein häufiger Grund für heftige Auseinanderstzungen im ländlichen Indien (vgl. Saha 1994). In den Ballungszentren ist dies nicht weniger der Fall, vor allem deshalb, weil die Grundstückspreise dort teilweise schwindelerregende Höhen erreichen.
Nochikuppam wird von den städtischen Behörden zwar als Slum eingestuft, doch dies heißt bei weitem nicht, daß hier die Bodenpreise geringer wären und Bodenspekulation nicht entstünden, bei denen die Grenzen der Legalität nicht selten verschwimmen.
Genau das Gegenteil ist der Fall. Vor allem da die Eigentumsverhältnisse oftmals ungeklärt, in den meisten Fällen aber zumindest undurchsichtig sind und natürlich auch deshalb, weil Nochikuppam in einem Teil von Madras gelegen ist, in dem die höchsten Grundstückspreise bezahlt werden (Gopinatha Rao 1991), sind solche Konflikte vorprogrammiert. Für die vorliegende Arbeit ist es von Interesse, wie diese Konflikte in der Gemeinschaft der Fischer ausgetragen werden, vor allem in wie weit sie sich an Konfliktstrukturen orientieren, die bereits vorhanden sind. Während der Durchführung der Feldforschung kam es in zwei Fällen zu solchen Landkonflikten; einer davon soll nachfolgend genauer beschrieben und dann hinsichtlich seiner Auswirkung auf die Konfliktstrukturen im Dorf analysiert werden.
18.2.1 Ein "Landverkauf" in Nochinagar
Südlich an Nochikuppam angrenzend, am westlichen Rand von Nochinagar, direkt an der Kamaraj Salai gelegen, befindet sich ein Hotel, dessen Besitzer wenige Wochen nach dem Regierungsantritt der AIADMK ein Stück Land, das östlich an sein Anwesen angrenzt, für sich beanspruchte. Das Grundstück ist etwa 1000 m2 groß und dürfte einen Wert zwischen 4-7 Mill. Rs haben.1 Bislang war es mit Hütten bebaut, in denen sowohl Fischer (etwa 10 Hütten) wohnten, die sich Nochikuppam zugehörig fühlen als auch Harijans (etwa 30 Hütten), die sich Nochinagar zurechnen, auf dessen Gebiet sich das Grundstück auch befindet. Neben den Hütten gab es auch noch ein Laden dort, in dem Feuerholz verkauft wurde und der einer Fischerfamilie aus Nochikuppam gehörte.
Ende August 1991 begannen Arbeiter damit, die Hütten abzureißen, um dann eine über 3m hohe Mauer um das gesamte Grundstück herum zu errichten, damit niemand mehr dort eine Hütte errichten konnte. Offensichtlich fand diese Tätigkeit in Abstimmung mit den Fischern statt, denn von ihrer Seite regte sich keinerlei Widerstand, was sicherlich nicht der Tatsache zuzuschreiben war, daß die Abriss- und Bautätigkeiten von drei Polizisten überwacht wurden.
In den folgenden Wochen konnte dann beobachtet werden, daß es innerhalb von Nochikuppam immer wieder zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen unterschiedlichen Gruppen aus Nochikuppam kam, die teilweise den Charakter von Straßenschlachten annahmen. In einem Fall waren es sicherlich 300 Männer, die dabei aneinander gerieten. Die genauen Ursachen für diese Streitigkeiten konnten zunächst nicht ausgemacht werden, es wurde nur schon sehr bald deutlich, daß sie irgend etwas mit dem Grundstück zu tun hatten, das wenige Wochen zuvor in den Besitz des Hotelbesitzers aus Nochinagar übergegangen war. Befragte Fischer waren allerdings nicht bereit, genauere Angaben hierzu zu machen.
Nach der heftigsten Auseinandersetzung bot es sich dann an, Fischer ganz konkret auf die Vorkommnisse hin anzusprechen. Ein Fischer aus dem südlichen Teil von Nochikuppam fand folgende Erklärung für den Streit:
"Genau weiß ich auch nicht, was der Grund für die Streitigkeiten heute morgen war. Es ging wohl darum, daß Politiker aus dem Dorf vom Hotelbesitzer Geld bekommen haben, damit dieser das Land für sich haben konnte. Insgesamt hat er ihnen 3 lakh Rs gegeben, von dieser Summe wurden 2 lakh an die Fischerfamilien aus dem südlichen Teil (von Nochikuppam) verteilt. Nun kamen Fischer aus dem mittleren und nördlichen Teil und wollten auch etwas von diesem Geld haben, weil sie der Meinung sind, daß das Grundstück dem gesamten Dorf gehörte"
Weitere Nachforschungen brachten etwas mehr Licht in diesen Fall, wenngleich einige wichtige Fragen nie vollständig geklärt werden konnten. So ist es nach wie vor unklar, wer die rechtmäßigen Eigentümer des Grundstückes waren, bevor es in den Besitz des Hoteleigentümers überging. Die einzelnen Angaben befragter Personen lassen kein gesichertes Bild zu und der Autor hat es aus naheliegenden Gründen vorgezogen, nicht bei offiziellen Stellen diesbezüglich nachzufragen.
"Die Eigentümer des Landes lebten hier in Nochikuppam. Sie waren jedoch keine Fischer. Vor einigen Jahren zogen sie an einen anderen Ort und niemand weiß genau, wo sie heute leben" (Duraikanu, Fischer, 60 Jahre, südlicher Ortsteil).
Diese Antwort muß unbefriedigend bleiben, denn es ist nur sehr schwer vorstellbar, daß ein Eigentümer eines Grundstückes mit diesem Wert dieses einfach aufgibt.
Von insgesamt 77 Personen, die zu diesem Thema Angaben machten, gaben zehn an, daß das Land zuvor in Privatbesitz war, 22 meinten es hätte der Regierung gehört. Eine Persom meinte, daß das Land schon immer Eigentum des Lodge-Besitzers war.
Tab. 84: Angaben zum "Landverkauf" nach Ortsteilen
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Am häufigsten wurde jedoch behauptet, daß das Land schon immer zu Nochikuppam gehört habe. 28 Personen vertraten diese Ansicht. Vor allem Personen, die sich dem mittleren Ortsteil zugehörig fühlten, vertraten diese Auffassung und leiteten daraus einen Anspruch ab, auch einen Teil von dem Geld zu erhalten. Die befragten Personen aus dem südlichen und nördlichen Ortsteilen waren hingegen mehrheitlich der Auffassung, das Land hätte der Regierung gehört. Nach ihrer Sichtweise wurde es gar nicht verkauft, sondern die Fischer des südlichen Teiles haben eine Entschädigung dafür erhalten, daß sie das Land nicht mehr benutzen konnten.
Eines scheint offensichtlich zu sein: Es ist äußerst unwahrscheinlich, daß es sich aus rechtlicher Sichtweise um Dorfland handelte. Wäre dies der Fall gewesen, dann hätten es die Fischer weit unter Wert verkauft. Hinzu kommt schließlich auch, daß das betreffende Grundstück gar nicht zum heutigen Siedlungsgebiet von Nochikuppam gehört, und die Fischer sich somit lediglich auf einen traditionellen Eigentumsanspruch berufen könnten.
"Früher war das Land ein Teil von Nochikuppam, doch seit vielen Jahren leben dort Harijans. Viele von ihnen kamen hierher, weil sie den Fischern mithalfen, das Periya-Valai einzuholen. In den 70er Jahren hat dann das Slum-Clearance-Board Wohnungen für die Harijans gebaut, aber auch heute betrachten noch viele Fischer Nochinagar als ein Teil unseres Dorfes (Aiyavu, 65 Jahre, ehemals Fischer, mittlerer Ortsteil).
Völlig undurchsichtig sind jedoch die Eigentumsverhältnisse der Grundstücke westlich der Wohnblocks. Rein rechtlich scheint es so zu sein, daß das Land nach wie vor Gemeinschaftsbesitz des Dorfes ist. Glaubwürdige Informanten haben darauf hingewiesen, daß alle "Eigentümer" der dort errichteten Steinhäuser keinen rechtskräftigen Titel auf das Land haben (Patta). Rein faktisch sieht die Situation aber vollkommen anders auch. Auch ohne einen Grundbucheintrag betrachten die Familien, die dort ihre Häuser errichtet haben, das Land als ihr Eigentum und es ist äußerst unwahrscheinlich, daß von staatlicher Seite dieser Anspruch tatsächlich in Abrede gestellt wird. So würde z.B. jeder Versuch, Familien von diesem Land zu vertreiben, mit Sicherheit untolerierbare Unruhen hervorrufen.
Anders sieht es aus, wenn "Eigentümer" solcher Grundstücke diese veräußern wollen. Rein rechtlich können sie das nicht, doch faktisch geschieht dies sehr häufig. Viele Aussagen zum Tempelproblem weisen darauf hin, daß ein wichtiger Aspekt dieses Streites in solchen "Bodenspekulationen" besteht.
"Die Streitereien in Nochikuppam kommen daher, weil manche Gruppen Land verkaufen, das ihnen gar nicht gehört. Sie sind nur um ihren eigenen Vorteil bedacht. Die Leute, die sich früher um den Tempel gekümmert haben, haben ihn für sich beansprucht, aber die Fischer aus dem südlichen Teil haben dagegen geklagt. Als sie Recht bekamen haben sie ein Tempelfest gefeiert. Als sie dann eine Prozeßion machen wollten, haben Leute aus dem mittleren und nördlichen Teil Soda-Flaschen auf das Götteridol geworfen und es gab einen heftigen Kampf" (Thulasi, 48 Jahre, Fischereiarbeiter, südlicher Ortsteil).
"Vor mehr als 20 Jahren gab es mit den Chettiars, die den Tempel verwalteten, einen Streit, weil sie den Tempel für sich beanspruchten. So hatten sie z.B. ihre Häuser so stark vergrößert, daß es nicht mehr möglich war, eine Prozeßion um den Tempel herumzuführen. Die Fischer aus dem südlichen Teil wollten deshalb, daß die Häuser wieder entfernt würden; so kam es zu einem Streit, bei dem auch die Polizei eingreifen mußte" (Krishnaraj, 50 Jahre, Fischer, südlicher Ortsteil).
"Im mittleren Teil des Dorfes gibt es einen Tempel. Eine Familie, die den Tempel verwaltete, sagte, daß dies ihr Tempel sei. Hätten wir das akzeptiert, dann hätte sie das ganze Tempelland bekommen und das ganze Land hier im Dorf gehört dem Tempel" (Kasinathan, 40 Jahre, Fischer, südlicher Ortsteil).
"Immer wenn Leute von hier zum Tempel gehen wollen, machen die Leute aus dem nördlichen Teil Schwierigkeiten; oftmals bekommen sie von einem Reichen Arrack oder Geld, damit sie Schwierigkeiten machen. Angefangen haben diese Probleme wegen dem Tempel-Land. Einige Familien haben dort große Häuser gebaut und deshalb wurden die Wege zu eng, um eine TempelProzeßion durchführen zu können. Das gesamte Land hier, mit Ausnahme der Slum-Clearance-Board-Häuser gehört dem Tempel; in den letzten 12 Jahren wurde kein Tempelfest mehr gefeiert, weil keine Prozessionen mehr möglich sind" (Arumugan, 31 Jahre, Fischer, südlicher Ortsteil).
Interessante Erkenntnisse ergeben sich, wenn man vergleicht, welche Argumente unterschiedliche Gruppen bezüglich des Tempelproblems und des "Landverkaufs" anführen. Mehrheitlich verweisen Bewohner des südlichen Ortsteils darauf, daß der Tempelstreit dadurch ausgelöst wurde, weil man korrupte Machenschaften der Tempelverwaltung beenden wollte. Der Tempel und die mit ihm zusammenhängenden Rechte (Landrechte, Dorfkasse) sollten (wieder) allen Bewohnern des Dorfes gehören. Ganz anders ihre Position beim "Landverkauf". Hier wird der kollektive Landbesitz bestritten; das Land gehört nach Auffassung der meisten in dieser Angelegenheit Befragten aus dem südlichen Nochikuppam nicht dem Dorf, die erhaltenen Gelder brauchten deshalb nicht unter allen Bewohnern aufgeteilt zu werden.
Überraschend ist allerdings, daß die Bewohner aus dem südlichen Ortsteil etwa zehn Prozent des erhaltenen Geldes trotzdem an den nördlichen Teil weitergeben haben. Dies hatte zwei Gründe: Erstens beanspruchten Fischer, die im mittleren und nördlichen Teil lebten, einen Anteil und solange dieser nicht bezahlt wurde, flammten Kämpfe zwischen diesen Gruppen immer wieder auf. Fischer aus dem mittleren Teil hatten jedoch einige Wochen zuvor Geld (etwa 50.000 Rs) und Reis (nach unterschiedlichen Angaben jede Familie etwa 3-15 kg) aus einem anderen "Landverkauf" erhalten und sich geweigert, diese Zuwendungen mit allen Bewohner Nochikuppams zu teilen. Ihre Verhandlungsposition war deshalb sehr schlecht und als sich der Dorfrat aus den südlichen Nochikuppam dazu entschloß, den Fischern aus dem nördlichen Ortsteil 20.000 Rs zu überlassen, verloren die Fischer aus dem mittleren Teil auch ihre Verbündeten. Ihnen blieb nichts anderes übrig, als sich damit abzufinden, daß sie von den 200.000 Rs, die der Lodge-Besitzer bezahlt hatte, nichts erhalten würden.
Bermerkenswert ist, welche Rolle der Dorfrat bei dem "Landgeschäft" übernimmt. Der "Grundstücksverkauf" wurde nicht von einzelnen Personen abgewickelt, sondern immer nur nach Zustimmung des Dorfrates. Das Geld, das der Lodge-Besitzer an die Fischer gab, haben zum größeren Teil keine Privatpersonen erhalten, sondern es ist der Dorfkasse zugeflossen und von ihr an die aktiven Fischer aus dem südlichen Teil im Dezember 1991 verteilt worden.
"Nachdem bekannt geworden war, daß der Lodge-Besitzer darauf bestand, daß die Hütten, die auf diesem Grundstück gebaut worden waren, verschwinden müssten, hat sich erst einmal der Dorfrat zusammengesetzt und beratschlagt, was zu tun sei. Der Lodge-Besitzer erklärte sich am Anfang bereit, für jede Hütte eine Entschädigung von 700 Rs zu zahlen, doch das war uns viel zu wenig. Die Leute aus Nochinagar (Harijans) haben dem jedoch zugestimmt, denn bevor zu überhaupt nichts bekommen würden waren sie mit 700 Rs zufrieden. Die Fischer aus Nochikuppam, die dort wohnten wollten für sich aber 100.000 Rs haben. Am Ende konnte der Dorfrat, der einen Politiker von der AIADMK als Vermittler einschaltete, erreichen, daß jede Familie, die dort wohnte, eine Entschädigung von 5000 Rs bekam. Für den Feuerholzladen wurden sogar 80.000 Rs bezahlt. Damit war der Dorfrat jedoch noch nicht zufrieden. Wir wollten auch etwas für das Dorf haben. Am Anfang wurde überlegt, ob der Lodge-Besitzer für das Dorf ein paar Läden errichten sollte, die dann von der Dorfkasse an einzelne Personen verpachtet werden könnten. Doch das hätte wahrscheinlich nur wieder neuen Streit gegeben, denn einige Familien, von denen niemand mehr fischen geht, wollten diese Läden übernehmen. So haben wir uns darauf geeinigt, daß der Lodge-Besitzer uns 200.000 Rs geben solle, die wir dann an alle Fischersfamilien verteilt haben" (Kuppan, 38 Jahre, Fischer, südlicher Teil).
Alle zu diesem Sachverhalt befragte Fischer und Fischereiarbeiter aus dem südlichen Ortsteil gaben an, daß ihre Haushalte von diesem durch die Dorfkasse verteilten Geld 500 Rs erhalten haben.
"Auch manche Leute, die nicht mehr fischen gehen, haben von dem Geld etwas bekommen, aber darüber weiß ich nichts genaues" (Arumugan, 31 Jahre, Fischer, südlicher Teil).
Wahrscheinlich handelte es sich hierbei um Personen, die mithalfen, das Geschäft unter Dach und Fach zu bringen. Wie aus einigen der Aussagen ersichtlich wird, ist der Dorfrat und die mit ihm eng verbundene Dorfkasse ausschließlich für aktive Fischer vorgesehen. In diesen beiden Institutionen versuchen die Fischer ein Gegengewicht zur zunehmenden Dominanz von Gruppen zu schaffen, die zwar ihrer Kaste angehören, aber selbst nicht mehr aktiv fischen gehen. Der "Tempelstreit", der "Landverkauf" und die Begrenzung der traditionellen politischen dörflichen Institutionen auf aktive Fischer, sind deshalb als unterschiedliche Aspekte eines Interessenskonfliktes zwischen aktiven Fischern und einer neuen Elite aufzufassen. Allerdings verschwimmen die Konfliktlinien durch die Existenz der Parteien im Dorf. Die örtlichen Politiker -zumindest die der AIADMK- unterstützten beim "Landverkauf" die Interessen der Fischer, obwohl sie Teil der neuen Elite sind. Freilich werden sie dafür auch gut bezahlt; es gibt Hinweise dafür, daß sie einen Betrag erhalten haben, der nicht wesentlich unter der Summe liegt, den die Fischer aus dem südlichen Teil insgesamt erhalten haben.
"Viele wichtige Leute aus dem südlichen Teil sind in der AIADMK. Früher waren sie sehr arm, doch inzwischen ist mancher durch die Politik reich geworden. Durai ist der Vorsitzende der AIADMK hier. Er hat vom Lodge-Besitzer 300.000 Rs bekommen und hat dann den Fischern davon 200.000 Rs gegeben und den Rest für sich behalten" (Mayandi 37 Jahre, Fischer, mittlerer Teil).
Tab. 85: Angaben zu Zahlungen im Zusammenhang mit dem "Landverkauf"
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Überraschend an dieser Aussage ist, daß ein Name genannt wird.1 In praktisch allen "offiziellen" Gesprächen in diesem Zusammenhang, war dies nie der Fall. Dem Autor sind zwar die wichtigsten Akteure namentlich bekannt, doch diese Informationen wurden nicht durch die eigentliche Befragung gewonnen, sondern durch eine Reihe von Informanten, zu denen während der Untersuchung ein besonderes Vertrauensverhältnis aufgebaut werden konnte. Es ist wahrscheinlich, daß durch die "Enttarnung" einer Person einem Außenstehenden gegenüber ein ganz bestimmter Zweck erreicht werden sollte; zumindest sollten die Fischer aus dem südlichen Teil und ihre "Helfershelfer"2 in einem negativen Licht erscheinen.
Deutlich wird dieser Aspekt des Konfliktes auch darin, wenn man sich die Angaben zu den getätigten Zahlungen betrachtet. So weit dies überhaupt überprüft werden konnten, wurden vom Lodge-Besitzer an den südlichen Teil 200.000 Rs bezahlt, von denen 20.000 Rs an die Fischer im nördlichen Teil weitergegeben wurden. Dies deckt sich mit der Mehrzahl der Angaben von befragten Personen aus diesen beiden Ortsteilen, während von befragten Personen aus dem mittleren Ortsteil häufig überhöhte Summen genannt wurden. Abgesehen davon, daß in diesem Sachverhalt ein wichtiges methodisches Problem zum Ausdruck kommt, sagt es auch sehr viel über den Konflikt zwischen einzelnen Gruppen aus.
18.3 Die Bedeutung des "Middleman" im Dorfleben
In der gebräuchlichen Übersetzung wird der englische Begriff "middleman" gerne als "Zwischenhändler" übersetzt. Dabei wird dem Umstand Rechnung getragen, daß im ökonomischen Prozeß der Warenverteilung in der Regel keine direkte Beziehung zwischen Produzent und Konsument zustande kommt, sondern daß eine Ware zunächst durch die "Hände" unterschiedlicher Gruppen geht, bevor sie beim Konsumenten eintrifft. Diese zwischengeschalteten Gruppen, eben die Zwischenhändler, erwirtschaften ihren Profit dadurch, daß sie Waren dort aufkaufen, wo ein Überangebot1 besteht und sie dorthin bringen, wo die Nachfrage nach einem Gut ohne ihre Dienste nicht befriedigt werden könnte.
Im Ausdruck "Zwischenhändler" kommt ihre Position bezogen auf die Bereiche Produktion und Konsumption zum Ausdruck. Sie stehen zwischen diesen Bereichen.
In der Beschreibung einer südindischen Marktszene führt Bohle (1984) die Aktivitäten und Funktionen eines solchen "middleman" am Beispiel eines Großhändlers für Trockenfisch eindruckvoll vor Augen. Die Aktivität des Großhändlers besteht zunächst einmal darin, daß er Trockenfisch von der südindischen Koromandelküste mit einem LKW auf Märkte im Hinterland transportiert und diesen Fisch dann an Wanderhändler verkauft (Bohle 1984: 13).
Daß sich die Funktion des Großhändlers allerdings nicht auf Transport- und Vermarktungsaktivität beschränkt, wird in der weiteren Beschreibung der Szene deutlich, denn er entpuppt sich nicht als "blosser" Händler, sondern auch als "Geldgeber" für die Wanderhändler, die aufgrund seiner Kredite erst finanziell in die Lage versetzt werden, ihrem Geschäft nachgehen zu können. Mit diesen Kredite beeinflußt er das Marktgeschehen in dreifacher Weise: erstens sorgt er dafür, daß Marktaktivitäten überhaupt möglich werden, denn ohne seine "Vorleistungen" würde u.U. die Dynamik aus dem Marktgeschehen genommen werden. Zweitens bindet er durch seine "Kredite" bestimmte Wanderhändler direkt an sich, d.h. er sichert sich seinen Abnehmerkreis, in dem er über Kreditverpflichtungen ein personales Verhältnis zu den Wanderhändlern eingeht. Drittens kann er mit seinem Auftreten als Financier auch die Bedingungen des Warenaustausches beeinflussen, denn viele seiner Kunden sind bei ihm verschuldet. Im beschriebenen Beispiel ist die Tätigkeit des "middleman" auf den Handel mit Trockenfisch bezogen, er ist Glied in einer Handelskette, der Ausdruck "Zwischenhändler" ist deshalb zutreffend. Seine Tätigkeit als Kreditgeber ist insofern sekundär als sie direkt im Bezug zu seiner hauptsächlichen Tätigkeit steht. Eine inhaltliche Ausweitung des Begriffes "middleman" bedeutet es jedoch, wenn man darunter jene Person versteht, die "vermittelnd" tätig wird, die Dinge "ins Laufen" bringt. Srivastava/ Chaturvedi (1986) legen in ihrer Untersuchung über die Institution des "Rural middleman" eine solch weitergehende Definition zu Grunde.
"...a rural middleman is that member of a village community who acts as 'contact' between the needy member (client) of a village, on the one hand, and bureaucrats, politicians, traders, judical, administrative and police officers etc. (patron), on the other. (Srivastava/Chaturvedi 1986:41)
Sie führen die Entstehung der dörflichen Institution des Middleman auf den zunehmenden staatlichen Einfluß auf den Entwicklungsprozeß in Indien zurück.
"The distinctive phenomenon of middlemanship emerged from the historical process of State intervention and developmental process in India" (Srivastava/Chaturvedi 1986: 1).
Indem die dörfliche Gesellschaft immer mehr von externen Kräften beeinflußt wird, steigt auch der Bedarf nach solchen Bindegliedern. Mit ihnen verändern sich auch die dörflichen Normen, da in vielen Fällen die "Spielregeln" von außerhalb vorgegeben werden und die dörflichen Repräsentanten dieses neunen Systems sich als sehr lernfähig erweisen.
Es ist auffallend, daß nahezu alle Personen, denen in Nochikuppam nachgesagt wird, sie würden solche Funktionen übernehmen, keine aktiven Fischer sind, sondern entweder durch ihren Beruf (zumeist Regierungsangestellte, sehr häufig im Bankensektor) oder ihre politischen Aktivitäten sehr enge Beziehungen zu externen Einflußgruppen aufbauen konnten. Die einzige Ausnahme stellen diesbezüglich die Funktionäre der Genossenschaft dar, die als aktive Fischer ein sehr enges Verhältnis zum Fischereidepartment haben.
18.4 Zusammenfassung: Der Wandel in der politischen Struktur Nochikuppams
An Hand zweier Konfikte (Tempelstreit und "Landverkauf") wurde versucht, wichtige Prozesse in der politischen Dynamik Nochikuppams nachzuzeichnen. Diese Konflikte sind nicht die einzigen bestehenden. So steht z.B. der Arrakschmuggel, in den vor allem Bewohner des nördlichen Ortsteils verwickelt sind, als latenter Konflikt im Raum, der auch auf die beiden anderen Ortsteile ausstrahlt. Alkohol, der negative Einfluß von Parteien und das Tempelproblem werden in dieser Reihenfolge als wichtigste Ursachen von Streitereien in Nochikuppam genannt.
Die Konflikte wirken bis in einzelne Familien hinein, die sich deshalb zerstritten haben. Sie haben große Auswirkungen auf die traditionellen dörflichen Institutionen. So ist z.B. im südlichen Dorfteil von Nochikuppam die Dorfkasse inzwischen durch Ausgaben im Zusammenhang mit Streitigkeiten zum Teil ihrer traditionellen Funktionen beraubt worden. Enorme Geldsumme aus der Dorfkasse wurden in den letzten Jahren für Gerichtskosten und Bestechungsgelder für die Polizei ausgegeben. Durch diese Entwicklungen werden vielerlei soziale Institutionen, angefangen von Familienverbänden bis hin zur sozialen Funktion der Dorfkasse, höchstwahrscheinlich unwiederruflich zerstört.
Tab. 86: Begründungen von Streitigkeiten in Nochikuppam
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Ökonomische und politische Struktur in Nochikuppam sind in vielfältiger Weise verzahnt. Kredite fließen aus dem organisierten Wirtschaftsbereich in den Kleinfischersektor, zum größten Teil als informelle Kredite von Geldverleihern. Auf der anderen Seite sind aber auch Entzugseffekte feststellbar. Zum einen durch die hohen Zinssätze, zum anderen durch die Provisionszahlungen an die "Mittelmänner", wenn staatliche Leistungen in Anspruch genommen werden. Eine Ausnahme bildet hier das beschriebene Sparprogramm für Fischer, bei dem die Mittelsmänner (bislang) umgangen werden konnten. Entscheidend dafür ist, daß in diesem Fall jeder aktive Fischer einen Anspruch auf diese staatliche Leistung hat, der jährliche staatliche Zuschuß gering ist und damit der Anreiz für Mittelsmänner, sich in diesem Bereich zu engagieren und schließlich, daß sich Personen aus dem Dorf gefunden haben, die Funktion der Mittelsmänner zu übernehmen, ohne dafür die übliche Provision zu verlangen.
Eine wirtschaftliche Dynamik kann durch die bestehende Struktur nicht angeregt werden, selbst wenn mehr Geld in den informellen Sektor hineinfließen sollte als aus ihm abgezogen wird. Die dorfinternen Machtstrukturen bewirken, daß die "günstigen" Mittel (staatliche Zuschüsse und Kredite) den dörflichen Eliten zukommen, die dann die wirtschaftliche und u.a. auch die politische Macht dieser Gruppen vergrößern. Da teure Kleinkredite der Geldverleiher hauptsächlich von einkommensschwachen Gruppen nachgefragt werden, die diese nicht für Investitions- sondern Konsumptionszwecke nutzen, können durch sie auch keine wirtschaftlichen Entwicklungsprozeße eingeleitet werden. Wirtschaftliche und politische Macht diversifizieren sich zwar einerseits, indem die Gruppe der Dorfelite größer und mannigfaltiger wird. Andererseits kann aber auch festgestellt werden, daß sich die Kluft zwischen "Arm" und "Reich" und zwischen "Macht" und "Ohnmacht" vergrößert.
Personen, die sich politisch engagieren, können zwar über die Parteien Kredite erhalten, doch diese dürften sich nur auf wenige Personen beschränken, die wiederum der Elite zuzuordnen sind. Zusätzlich wird von Informanten darauf hingewiesen, daß solche Begünstigungen "erfolgsorientiert" sind, d.h. sie fachen die "Stimmenjagd" bei Wahlen und die daraus resultierenden Konflikte weiter an. Für den politisch unaktiven Bürger fallen lediglich Geschenke der Parteien in Wahlkampfzeiten an. Sie können dann ihre Stimme gegen Reis und Kleidung zwar verkaufen, dadurch aber ihre wirtschaftliche Situation nicht verändern und an der politischen Struktur auch nichts ausrichten.
Es wäre allerdings zu einfach, die gesellschaftliche Entwicklung des Dorfes durch die bislang beschriebenen Umstände hinreichend erklären zu wollen. Hinzu kommen Aspekte, die mehr familiären und individuellen Charakter haben, d.h. Konflikte innerhalb von Familien, die z.B. durch Schlagworte wie "Generationen- und Geschlechterkonflikte" umschrieben werden können, aber auch solche, die durch Unsicherheitsgefühle und Zukunftsängste in einem sich immer schneller wandelnden gesellschaftlichen Umfeld ausgelöst werden. Um solche Aspekte wird es im folgenden Kapitel gehen. Grundlage der dort gemachten Aussagen ist eine Befragung von 217 Personen über ihre subjektive Einschätzung der Vergangenheit und der Gegenwart und ihre Erwartungen bzw. Befürchtungen bezüglich der Zukunft.
19 Das Leben in einem Fischerdorf aus Sicht der Menschen selbst
Bei einer Befragung von 217 Personen aus unterschiedlichen sozialen Gruppen zwischen Mai 1991 und Mai 1992 wurde versucht, die subjektive Einschätzung der Lebenssituation einzelner Menschen in Nochikuppam zu ermitteln. Jede Person wurde für diese Befragung mindestens zweimal aufgesucht, damit eine einzige Befragung auf maximal zwei Stunden begrenzt werden konnte. Bei den befragten Personen handelte es sich in aller Regel um Haushaltsvorstände und ihre Ehefrauen. Versucht wurde, die Befragungen zeitgleich an unterschiedlichen Orten durchzuführen, was jedoch nicht immer möglich war. Die Frauen wurden von einer Interviewerin befragt, der eine Übersetzerin zur Seite stand, während die Gespräche mit den Männern vom Autor und seinem Übersetzer geführt wurden. Nicht immer ließ es sich einrichten, daß die Gespräche in Abwesenheit anderer Personen durchgeführt wurden. Sobald andere Personen anwesend waren, entstanden zwar nicht selten interessante Gruppendiskussionen, es muß jedoch angenommen werden, daß dadurch der Gesprächsverlauf beeinflußt wurde. Jede befragte Person wurde zu Beginn des Gesprächs darauf hingewiesen, daß es ihr frei stehe, gestellte Fragen offen zu lassen. Damit sollte vermieden werden, daß - um der Interviewerin oder dem Interviewer einen Gefallen zu tun - falsche Angaben gemacht wurden.
19.1 Die Wahrnehmung der eigenen Lebenssituation
19.1.1 Die quantitative Dimension
Über 40 Prozent der 217 befragten Personen gaben an, daß sich ihr Leben seit ihrer Kindheit verbessert habe. Nach Ansicht von knapp 32 Prozent der Befragten hat sich seither eine Verschlechterung eingestellt und knapp 28 Prozent waren der Meinung, daß sich für ihr Leben in dieser Zeit kaum etwas verändert habe.
Tab. 87: Subjektive Einschätzung der Lebenssituation
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Dieses recht grobe Bild soll im folgenden genauer betrachtet werden. Bei der Untersuchung wurde deutlich, daß die männlichen Befragten ein positiveres Bild über ihre derzeitige Lebenssituation haben als die weiblichen. Fast die Hälfte aller Männer sahen gegenüber ihrer Kindheit eine Verbesserung, während dies bei weniger als einem Drittel der Frauen der Fall war. Hinsichtlich der Kastenzugehörigkeit und des Wohnortes innerhalb Nochikuppams gab es kaum signifikante Abweichungen von den Durchschnittswerten aller Befragter. Lediglich die Bewohner des südlichen Ortsteils gaben überdurchschnittlich häufig an, daß sich ihre Lebenssituation verschlechtert habe. Dies hing höchstwahrscheinlich damit zusammen, daß aus diesem Ortsteil ein überdurchschnittlich hoher Anteil von Fischereiarbeitern befragt wurde.
Tab. 88: Lebenssituation nach Alter und Bildungsabschluß
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tendenziell wurde mit zunehmendem Alter der Befragten eine positivere Einschätzung geäußert. Lediglich bei den besonders jungen und den besonders alten Personen war eine Abweichung von diesem Trend feststellbar. Im erstgenannten Fall überwog eine positive Einstellung deutlich. Dies dürfte darauf zurückzuführen sein, daß fünf der befragten Personen unter 21 Jahren unverheiratet waren. Damit entfiel die drückende Verantwortung für eine eigene Familie. Viele der verheirateten Personen gaben dies als wichtigen Grund für eine Verschlechterung ihrer Lebenssituation an.
"Als ich noch jünger war, da war mein Leben besser. Nicht daß ich damals mehr hatte, aber ich lebte noch bei meinen Eltern und sie kümmerten sich um mich. Heute habe ich eine eigene Familie und damit sehr viel Verantwortung. Als coolie verdiene ich nicht viel und manchmal weiß ich nicht, wie ich meine Familie versorgen soll, vor allem jetzt, da alles so teuer geworden ist" (Vinayamoorthy, 42 Jahre, Fischereiarbeiter).
Die weniger positive Einstellung der über 60-jährigen dürfte mit der Abhängigkeit zusammenhängen, die sie nach Beendigung ihres "produktiven" Lebens wahrnehmen. Sie müssen zumeist von ihren Kindern und anderen Verwandten versorgt werden und je nachdem, in welcher Atmosphäre sich das Verhältnis zwischen den Generationen entwickelt, wird nicht selten eine deutliche Verschlechterung der eigenen Lebenssituation empfunden.
"Als ich noch jung war, da kümmerten sich meine Eltern um mich. Damals ging es mir sehr gut. Dann habe ich eine eigene Familien gegründet und am Anfang sehr viele Schwierigkeiten gehabt. Als coolie verdient man nie genug, um ein sorgenfreies Leben führen zu können, doch irgendwie ging es immer. Jetzt bin ich aber alt. Ich kann nicht mehr arbeiten gehen und bin davon abhängig, daß meine Söhne genug fangen, um sich auch um mich kümmern zu können. Leider ziehen sie es vor, das Geld für allerlei unnütze Dinge auszugeben, anstatt sich auch einmal um ihren Vater zu kümmern. Manchmal versuche ich, ein wenig zu verdienen, indem ich beim Periya Valai mithelfe, doch leben kann ich von diesem Geld kaum" (Ganesan, 62 Jahre, ehemals Fischereiarbeiter).
Sämtliche männliche Personen über 60 Jahre, die eine Verbesserung ihrer Lebenssituation empfanden, waren Bezieher von Pensionen und damit von finanziellen Zuwendungen ihrer Kinder weitgehend unabhängig.
Ebenfalls war ein deutlicher Zusammenhang zwischen erreichtem Bildungsabschluß und subjektiver Einschätzung der Lebenssituation feststellbar. Es wird jedoch vermutet, daß hier weniger die schulische Qualifikation an sich als vielmehr die dadurch realisierte, verbesserte wirtschaftliche Situation zum Tragen kommt. Allerdings konnte gerade bei den jüngeren Bewohnern beobachtet werden, daß in den Fällen, in denen eine hohe Qualifikation nicht in eine entsprechende Berufstätigkeit einmündete, sehr häufig Frustrationen und Aggressionen auftraten. Bei nahezu allen vom Autor beobachteten handgreiflichen Konflikten taten sich jugendliche Arbeitslose mit einem überdurchschnittlichen Bildungsniveau als "Wortführer" einzelner Gruppen hervor. Besonders problematisch schien die Situation in Familien zu sein, in der die Generation der Eltern noch vollständig vom Fischfang lebt. Häufig wurden die Söhne in Erwartung einer einträglichen Arbeitsstelle unter großen Opfern relativ lange zur Schule geschickt. Nach Beendigung der Ausbildung fanden die meisten von ihnen jedoch keine der erreichten Qualifikation adäquate Arbeitsstelle. Sie waren jedoch auch nicht mehr dazu bereit, ihren Lebensunterhalt durch den Fischfang zu verdienen.
Tab. 89: Lebenssituation und Erwerbsfähigkeit
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Fast alle bei der Regierung beschäftigte Personen gaben an, ihre Lebenssituation habe sich seit ihrer Kindheit verbessert. Ein ähnlich hoher Anteil trat nur noch bei den Beziehern von Pensionen auf, bei denen es sich - von einer Ausnahme abgesehen - um ehemalige Regierungsangestellte handelte. Von den Produktionsmittelbesitzenden Fi-schern gaben immerhin knapp die Hälfte an, ihr Leben habe sich verbessert. Demgegenüber war der Anteil der Personen, nach deren Aussage sich das Leben verschlechtert hatte, bei den Fischereiarbeitern und den ArbeiterInnen für Schuhexportunternehmen besonders hoch.
19.1.2 Gründe für eine Verbesserung der Lebenssituation
Am häufigsten wurde der Grund für eine Verbesserung der eigenen Lebenssituation darin gesehen, daß es einem selbst - oder bei befragten Frauen häufig dem Ehemann - gelang, eine "gute Arbeit" zu finden.
"Mein Leben hat sich seit meiner Kindheit sehr verbessert. Vor meiner Hochzeit habe ich immer irgendwelche Gelegenheitsarbeiten gemacht. Das war nicht schlecht, denn damals mußte ich noch keine Familie versorgen. Als ich dann geheiratet hatte, konnte ich eine Stelle in einer Schule bekommen. Mein Onkel kannte den Direktor und so wurde ich als clerk dort eingestellt. Das war 1959. Am Anfang betrug mein Gehalt 50 Rs, das war damals noch viel Geld. Bevor ich pensioniert wurde, habe ich dann 1600 Rs im Monat bekommen" (Balakrishnan, 65 Jahre, pensionierter Büroangestellter, andere Kaste).
"In meiner Kindheit war das Leben viel schlechter als heute. Als ich in die 9. Klasse ging, da mußte ich die Schule verlassen, weil meine Familie Unterstützung brauchte. Damals half ich meinem Vater beim Fischen. Dann wurde hier in Madras eine Station des indischen Fernsehens eröffnet. Über einen guten Bekannter konnte ich dort eine Stelle als peon bekommen. Zwei Jahre später ging ich dann noch einmal zur Schule, um die 10. Klasse abzuschließen. Danach habe ich dann im I.T.I. (Industrial Training Institue) eine Technikerausbildung gemacht und anschließend wieder beim Fernsehen gearbeitet. Durch meine Arbeit hat sich nicht nur mein Leben, sondern auch das meiner Eltern verbessert." (Bubalan, 40 Jahre, Techniker, Fischerkaste).
Lediglich ein einziger Regierungsangestellter war der Auffassung, daß sich sein Leben seit der Kindheit verschlechtert habe:
"Als ich jünger war, da war mein Leben viel besser. Mein Vater war ein reicher Mann. Er war Tempel-Chettiar und einer der wichtigsten Männer im Dorf. Ich verdiene zwar heute auch nicht schlecht und mein ältester Sohn arbeitet wie ich bei der Eisenbahn, doch wir haben viele Sorgen. Ich habe vier Töchter, die alle in den nächsten Jahren heiraten müssen. Die älteste ist 25 Jahre alt und es ist eine Schande, daß sie noch immer nicht verheiratet ist. Die jüngste ist auch schon 16 Jahre alt und wird bald heiraten müssen, doch wir wissen nicht, woher wir das Geld für vier Hochzeiten nehmen sollen" (Sundaramoorthy, 55 Jahre, Southern Railway, Fischerkaste).Personen, die nicht der Fischerkaste angehören, schrieben eine Verbesserung in ihrem Leben häufig dem Umstand zu, daß sie durch die Migration nach Madras ihre berufliche Situation entscheidend verbessern konnten. Die meisten von ihnen stammen aus Kleinbauernfamilien.
"Als ich noch bei meinen Eltern lebte, da waren wir sehr arm. Wir hatten zwar ein wenig Land, doch häufig hat es das ganze Jahr überhaupt nicht geregnet, so daß wir auch nicht viel anbauen konnten. Zusammen mit meinem Bruder habe ich mir dann in Vandavasi etwas Land gekauft. Meine Eltern waren inzwischen gestorben und wir dachten, daß es dort vielleicht besser sei. Als es aber dort auch viel zu selten regnete, bin ich nach Madras gegangen. Mein Bruder lebt noch immer dort. Madras ist zwar nicht schön, aber hier kann man wenigstens Arbeit finden. Am Anfang habe ich als Hilfsarbeiter auf dem Bau gearbeitet, doch inzwischen bin ich Maurer. Ich verdiene 70 Rs am Tag; ein Hilfsarbeiter bekommt 40 Rs, eine Arbeiterin 20, wenn sie Glück hat 25 Rs. In meinem Heimatdorf kann ein coolie fürs Pflügen nicht mehr als 25 Rs am Tag bekommen, aber nur, wenn er eigene Ochsen hat" (Ramasami, 60 Jahre, Maurer, andere Kaste).
Von den Personen, die am Marina-Beach und im angrenzenden Behördenviertel Essen und heiße Getränke verkaufen, sahen nur wenige eine Verbesserung ihrer Lebenssituation.
"Richtig gut geht es uns hier in Madras auch nicht, doch in meinem Heimatdorf war es noch viel schlimmer. Mein Vater hatte ein wenig Land, doch von seinem Einkommen allein konnten wir nicht leben. Häufig hat er bei einem anderen Bauern etwas dazu verdienen müssen. Das wäre noch gegangen, wenn es die letzten Jahre vor meinem Wegzug mehr geregnet hätte. So konnte er nur wenig anbauen und Arbeit gab es auch keine. Er hat sich deshalb entschlossen, mich an einen Mann aus Madras zu verheiraten. Er dachte, daß ich dann gut versorgt sei. Als ich geheiratet hatte, holte mich mein Mann nach Madras. Er hatte schon vorher dort gelebt und meinte, daß es uns hier besser gehen würde. Doch ich kann keine Verbesserung sehen. Meine Verwandten sind weit weg. Ich sehe sie nur selten im Jahr. Als ich nach Madras kam, da kannte ich hier niemanden, noch nicht einmal meinen Mann (lacht). Mein Sohn ist körperbehindert, aber er muß am Strand Erdnüsse verkaufen, weil wir sonst nicht genügend Geld haben. Ich würde gerne zu meiner Familie zurückkehren, doch das ist nicht möglich, weil mein Mann lieber in Madras bleiben will" (Soroja, 50 Jahre, Straßenfegerin, andere Kaste).
Tab. 90 Begründungen für die Verbesserung der Lebenssituation
Bei den heute produktionsmittelbesitzenden Fischern hat sich häufig eine Verbesserung des Lebensstandards dadurch eingestellt, daß es ihnen gelungen war, ein Boot oder zumindest ein Netz zu kaufen. Immerhin sechs Personen gaben dies als Grund einer Verbesserung an.
"Mein Leben hat sich seit meiner Kindheit sehr verbessert. Als ich noch jung war, da gab es viele Tage, an denen wir nicht genügend zum Essen hatten, aber nach meiner Heirat habe ich Geld gespart, um mir zuerst ein Netz und dann ein Boot kaufen zu können. Das war aber nur möglich, weil ich für zwei Jahre eine Hilfsarbeit im Hafen bekommen hatte. Jetzt habe ich ein gutes Einkommen. Ich gehe wieder fischen und die Fischpreise sind sehr gut. Wir haben gute Möbel, einen Fernseher, Radio und auch an fast allen Tagen genügend zu Essen" (Viswanathan, 45 Jahre, Fischer).
"Ich kann mich nicht beklagen. Als ich noch ein Kind war, da hatten wir vielerlei Probleme. Das größte war, daß mein Vater als coolie arbeiten mußte und wir deshalb an den meisten Tagen hungrig blieben. Irgendwann hatte ich aber genügend Geld gespart, um mir ein eigenes Boot zu kaufen. Von einem Nachbarn konnte ich einen günstigen Kredit bekommen, außerdem war ich im ganzen Dorf als guter Fischer bekannt, so daß ich auch als coolie immer Arbeit finden konnte. Seit ich ein eigenes Boot habe, geht es uns viel besser. So nach und nach kamen dann alle wichtigen Netze hinzu" (Kuppan, 38 Jahre, Fischer).
Gerade unter den aktiven Fischern wird als entscheidend für die Möglichkeiten, die eigene Lebenssituation verbessern zu können, die Zahl der arbeitsfähigen und -willigen Kinder angesehen, wobei - hauptsächlich bei den Fischereiarbeitern - dies die Töchter miteinbezieht. Während der Befragungen und auch in anderen Gesprächen wurde immer sehr heftig die Frage diskutiert, ob Frauen bzw. Mädchen überhaupt einer bezahlten Tätigkeit nachgehen sollten. Selbst die Tätigkeit des Vermarktens von Fisch schien nicht von allen akzeptiert zu werden. So fiel es auf, daß diese Tätigkeit in der Mehrzahl von älteren, verheirateten Frauen durchgeführt wird, während die Berufstätigkeit von jungen, und vor allem unverheirateten Frauen, gesellschaftlich nur dann akzeptiert zu sein scheint, wenn ihre Arbeit ein unverzichtbarer Beitrag zum Haushaltseinkommen ist. Junge Frauen müssten - so der Tenor - sehr darauf achten, daß sie keinen schlechten Ruf bekämen, denn ihre Heiratschancen steigen und fallen mit ihrem Ansehen in der Gemeinschaft. Besonders Tätigkeiten, die außerhalb der Kontrolle der Dorfgesellschaft durchgeführt werden, lassen leicht „Getratsche“ aufkommen. Die Arbeit für ein Schuhexportunternehmen eröffnet vielen Frauen und jungen Mädchen in Nochikuppam die Möglichkeit, ein wenig zum Einkommen ihres Haushaltes beizutragen, ohne einen schlechten Ruf zu bekommen, denn diese Arbeit kann zu Hause durchgeführt werden.
19.1.3 Gründe für eine Verschlechterung
Obwohl die Mehrheit der Personen angab, ihre Lebenssituation hätte sich insgesamt seit ihrer Kindheit verbessert, wurden - absolut gesehen - weitaus mehr Gründe für eine Verschlechterung genannt. Dies hängt zum einen damit zusammen, daß viele der Befragten zwar der Auffassung waren, daß sich ihr Leben grundsätzlich verbessert habe, daß jedoch diese Entwicklung in den letzten Jahren unterbrochen worden sei. Die meisten Personen gaben immer gleich mehrere Begündungen für eine Verschlechterung an, während eine Verbesserung meistens durch einen einzigen Umstand erklärt wurde. Es fällt auf, daß für eine Verbesserung hauptsächlich ökonomische Begründungen angeführt wurden, während die Gründe für eine Verschlechterung breiter gestreut waren.
Am häufigsten genannt wurden steigende Preise und niedrige Einkommen, wobei allerdings beide Begründungen für unterschiedliche Berufsgruppen unterschiedlich schwer ins Gewicht fallen. Am deutlichsten spielen diese ökonomischen Begründungen bei den befragten Fische-reiarbeitern eine Rolle. 56 Prozent von ihnen gaben steigende Preise und 60 Prozent ihr nicht angemessen dazu gestiegenes Einkommen als Grund für eine Verschlechterung an.
Tab. 91 Begründungen für die Verbesserung der Lebenssituation
Unter den ökonomischen Gründen für eine Verschlechterung der Lebenssituation wurden darüberhinaus zurückgehende Fänge genannt, die für das Sinken der Einkommen verantwortlich seien. Diese Begründung wurde ausschließlich von aktiven Fischern angeführt, wobei sie von Produktionsmittelbesitzenden Fischer häufiger genannt wurde als von Fischereiarbeitern.
"Ich glaube nicht, daß sich mein Leben groß verbessert hat. Früher konnte ein Fischer mit dem, was er gefangen hat, seine Familie ernähren, doch heute gibt es kaum noch Fische im Meer, da die Trawler alles wegfangen. Früher hatten wir immer genug; wir konnten sogar etwas sparen und Gold kaufen, doch heute müssen wir häufig Schulden machen" (Balraj, 65 Jahre, Fischer).
"Mein Leben hat sich nur wenig verändert. Früher brauchte man keine Angst um die Zukunft haben, doch heute ist alles so ungewiß geworden. Die Leute, die einen Trawler haben, fangen alle Fische und stören uns bei der Arbeit. Die Fänge reichen nicht mehr aus, um eine Familie zu unterhalten. Früher kam es nur ganz selten vor, daß wir überhaupt nichts gefangen haben. Ein paar Fische waren immer in den Netzen, doch heute kommen wir oftmals zurück, ohne einen einzigen Fisch gefangen zu haben." (Raju, 75 Jahre, ehemals Fischer).
Knapp ein Drittel der befragten Fischereiarbeiter sahen im Verlust von Boot und/oder Netz einen wichtigen Grund für dieVerschlechterung ihrer Lebenssituation. Die meisten konnten überalterte Boote/Netze aus finanziellen Gründen nicht ersetzten oder Produktionsmittel mußten verkauft werden, um hohe, z.T. unerwartete Ausgaben tätigen zu können.
"Als ich noch bei meinen Eltern lebte war das Leben relativ einfach. Seit ich aber verheiratet bin und eine eigene Familie habe, da merke ich, wie schwierig es ist, mit einem solch geringen Einkommen seine Familie zu versorgen. Mein Vater hatte ein Boot und einige Netze, die jedoch mein älterer Bruder erhalten hat, als mein Vater nicht mehr fischen ging. Ein paar Jahre konnte ich noch mit meinem Bruder fischen gehen, doch seit seine Söhne alt genug zum Fischen sind, kann er mich nicht mehr beschäftigen. Seither geht es uns noch schlechter" (Amalanathan, 41 Jahre, Fischereiarbeiter).
Die Aufteilung der Produktionsmittel beim Generationenwechsel, sowie hohe Ausgaben für die Heirat von vor allem weiblichen Haushaltsmitgliedern wurden als Ursachen genannt, die zu einem ökonomischen Statusverlust führen können. In der Regel erhält der älteste Sohn - wenn er selbst aktiver Fischer ist - das Boot und die Netze des Vaters. Für die anderen Söhne bleibt kaum etwas übrig, zumal Geld- und Goldvermögen - wenn überhaupt vorhanden - erst nach dem Tod der Eltern unter den Söhnen aufgeteilt werden. Nicht selten passiert es, daß diese Vermögen dann jedoch weitgehend aufgebraucht sind, denn sie dienen den älteren, nicht mehr erwerbstätigen Personen zum Lebensunterhalt.
Exzessive Trinkgewohnheiten der (Ehe)-Partner wurden an dritter Stelle genannt, wobei aus naheliegenden Gründen dies ausschließlich von Frauen angeführt wurde. Mehr als 11 Pro-zent aller befragten Frauen gaben zusätzlich an, daß sie von ihren Männern geschlagen würden. Es muß vermutet werden, daß hier eine große Dunkelziffer besteht.
"Mein Leben hat sich seit meiner Heirat sehr verschlechtert. Mein Mann schlägt mich sehr häufig. Manchmal ist es so schlimm, daß ich bei meiner Nachbarin Schutz suchen muß (Nachbarin beim Gespräch anwesend, d. Verf.). Er gibt mir nicht viel Haus-haltsgeld und macht immer Schwierigkeiten, wenn mir das wenige Geld nicht ausreicht" (Krishnaveni, 28 Jahre, Hausfrau, andere Kaste).
"Vor der Heirat war mein Leben viel besser; jetzt fühle ich mich unglücklich. Mein Mann kümmert sich um überhaupt nichts. Er sitzt nur daheim rum und schlägt sich den Bauch voll. Wenn ich ab und zu in mein Dorf zurückkehre, dann fragen mich meine Verwandten, was mein Mann für eine Arbeit macht. Ich schäme mich dann zu sagen, daß er gar keine richtige Arbeit hat und nur ab und zu am Strand Erdnüsse und andere Dinge verkauft. Ich kann meine Eltern auch nicht um Geld bitten, denn dann müßte ich ihnen sagen, daß mein Mann mich schlecht behandelt. Wenn ich mich bei ihm beschwere, dann schlägt er mich und seine Mutter. Er hat reiche Verwandte, die ihm ganz bestimmt eine gute Arbeit besorgen könnten, aber manchmal denke ich, daß er das gar nicht will." (Shanti, 25 Jahre, Hausfrau, andere Kaste).
"Seit mein Mann vor vielleicht 7 Jahren mit dem Trinken angefangen hat, hat sich mein Leben sehr verschlechtert; das meiste Geld gibt er für arrack aus. Würde ich nicht auch etwas verdienen wüßte ich nicht, wie ich die Familie ernähren sollte" (Padmini, 35 Jahre, Fischvermarktung, Fischerkaste).
Auffallend ist, daß Frauen aus Nicht-Fischer-Kasten, viel häufiger angegeben, sie würden von ihren Männern geschlagen, als dies bei den Frauen aus der Fischerkaste der Fall ist. Diese sind offenbar besser gegen gewalttätige Übergriffe geschützt, denn sie können sich beim Dorfrat jederzeit über ihre Ehemänner beschweren. Ob dies allerdings grundsätzlich zu einer Verbesserung ihrer Situation führt, konnte nicht nachgeprüft werden. Es darf in diesem Zusammenhang nicht vergessen werden, daß sich der Dorfrat, dort wo es ihn überhaupt noch gibt, ausschließlich aus Männern zusammensetzt. Frauen sind in der Regel zu seinen Sitzungen nicht zugelassen, es sei denn, es steht eine Entscheidung an, von der sie unmittelbar betroffen sind.
"Normalerweise kommen Frauen nicht zu unseren Sitzungen, denn sie interessieren sich nicht für die Dorfpolitik. Manchmal aber, wenn sich z.B. eine Frau beschwert hat, daß eine andere ihren Kredit nicht zurückbezahlen will, oder wenn es andere Streitigkeiten gibt, in die Frauen verwickelt sind, können sie auch vom Dorfrat angehört werden. Sie können dann auch andere Frauen mitbringen" (Mohan, 38 Jahre, Fischer, Mitglied im Dorfrat des südlichen Ortsteils).
Besser geschützt sind die Frauen aus der Fischerkaste auf jeden Fall dadurch, daß sie innerhalb einer Gemeinschaft leben, die Druck auf den Ehemann ausüben kann. Eine Verhandlung vor dem Dorfrat rückt den gewalttätigen Ehemann zumindest in das Licht einer Öffentlichkeit, in der das Schlagen von Frauen nicht akzeptiert ist. Weit wirksamer ist jedoch, daß die Frau über Verwandte versuchen kann, auf den Ehemann einzuwirken. Die meisten Frauen haben in Nochikuppam selbst Verwandte, ihr Elternhaus ist darüberhinaus leicht erreichbar. Es ist durchaus üblich, daß Frauen bei Familienkonflikten für eine bestimmte Zeit oder u.U. auch ganz zu ihren Eltern zurückkehren. Nicht nur gewalttätige Auseinandersetzungen, sondern Streitigkeiten aller Art können Auslöser für einen solchen Schritt sein.
Frauen aus anderen Kasten haben diesen Schutz der Gemeinschaft nicht in diesem Umfang. Die Verwandten der Migrantinnen aus dem Ramnad- und Puttukottai-Distrikt wohnen mehr als 500 km entfernt, und eine Rückkehr in ihr Elternhaus ist dadurch erheblich schwieriger. Hinzu kommt, daß im Falle der Fischersfrauen die Kommunikation zwischen den Fischerdörfern sehr gut ist. Besuche von Verwandten und Bekannten aus dem Heimatdorf sind sehr häufig und in der Regel wissen die Menschen sehr gut darüber Bescheid, was sich in anderen Dörfern so alles ereignet. Bei den Migrantinnen, die von weither kommen, ist dies nicht der Fall.
In diesem Zusammenhang ist auch wichtig, daß viele der befragten Ehepaare bereits vor der Heirat miteinander verwandt waren. Von 91 Ehepaaren war dies 32 Mal der Fall. Bis auf zwei Fälle handelte es sich hierbei um Paare aus der Fischerkaste. Die weit verbreitete Kreuzcousinenheirat festigt bereits bestehende Verwandtschaftsbeziehungen und sorgt für eine beständige Kommunikation zwischen der Familie des Ehemanns und der der Ehefrau (vgl. Agarwal 1991: 198).1 So berichtet auch Kapadia (1993) in ihrer Studie über Veränderungen der Heiratsstrategien von Nicht-Brahmanen in einem Dorf im Trichur-Distrikt, Tamil Nadu, daß durch die bei diesen Gruppen üblichen Heiraten zwischen Verwandten die Stellung der Frau entscheidend verbessert wird:
"Several non-Brahmin Tamil women told me of the favourable position women enjoyed in close-kin marriage. They pointed out that in traditional close-kin marriage, a woman retained comparatively high status and a considerable degree of independence because of the equal relationship that existed between her family and the groom's family. My Pallar friend, Sivagami [...] said: 'When a girl is married among her own close kin she is not among strangers - she is among the people she has grown up with. If she quarrels with her husband, she isn't worried at all - she goes straight to her parents, who come and tell off her in-laws and her husband" (Kapadia 1993: 35).
Mit dem wirtschaftlichen und sozialen Differenzierungsprozeß geht auch in Nochikuppam die Anzahl der Heiraten unter Verwandten zurück. Nicht mehr der familiäre Hintergrund ist wichtigstes Auswahlkriterium, sondern der wirtschaftliche Status. Kapadia (1993) weist ebenfalls auf den Zusammenhang zwischen gesellschaftlicher Differenzierung und veränderten Heiratsstrategien hin. Eine ihre Informantinnen erklärt die Veränderungen wie folgt:
"It all started twenty years ago, when they built BHEL [Bharat Heavy Electricals Limited] this mammoth government enterprise near Trichy city. The young men who found employment there got good salaries - and so they thought they owned the world. They began asking for dowries and more marriage gifts and more paun1 on their brides. And they got it ! Everyone wanted salaried husbands for their daughters, not impoverished farmers. We had a few men of our caste employed there from the early days. They had only low-paid jobs - watchamn, peon - but if you worked at BHEL no one asked what you actually did. Everyone was just hugely impressed. 'Goodness!' they'd say, 'He works at BHEL!' and they'd give him their daughter. Even if he was only the watchman and stood at the gate!" (Kapadia 1993: 41f.)
Ein beträchtlicher Teil des elterlichen Vermögens wird für die Hochzeit der Töchter ausgegeben. In allen Haushalten, in denen mehrere unverheiratete Töchter lebten, wurden Befürchtungen geäußert, daß die Familien durch die bevorstehenden Heiraten ein erheblicher Statusrückgang erleiden müßten. Überraschend ist, daß die Hochzeitsausgaben der Familie des Bräutigams in fast allen untersuchten Fällen höher waren als diejenigen der Brautfamilie. Selbst wenn berücksichtigt wird, daß bei den Hochzeiten, die bereits mehrere Jahrzehnte zurückliegen, die Genauigkeit der Angaben zu wünschen übrig läßt, scheint sicher zu sein, daß sowohl für die Familie der Braut als auch für die des Bräutigams generell gewaltige Ausgaben anfallen, für die jahrelang gespart wird. Die unterschiedliche Belastung der Familien von Braut und Bräutigam ergibt sich jedoch nicht nur aus der absoluten Höhe der Ausgaben, sondern auch aus dem Fluß der Geld- und Sachleistungen. Bei Hochzeiten richtet die Familie des Bräutigams die Hochzeitsfeier aus. Die hierfür anfallenden Kosten setzen sich zusammen aus der Miete der Hochzeitshalle (marriage-hall), den Bewirtungs- und Reisekosten für die Gäste, dem Kauf des Hochzeitssarees für die Braut sowie aus dem Erwerb einer Goldkette, die der Braut zur Verlobung geschenkt wird.1 Die Kosten für die Familie der Braut bestehen in Geschenken, die der Familie des Bräutigams zukommen (Mitgift, dowry) und die in der Regel in Form von Gold sowie Kupfer- und Messinggefäßen zu erbringen sind. Die Mitgift, die heutzutage bei Heiraten in der Fischerkaste zu bezahlen ist, scheint weniger einen traditionellen Ursprung zu haben. Vieles spricht dafür, daß sie vielmehr erst in den letzten Generationen zur festen Gewohnheit geworden ist. Je nach dem Status der Eheleute werden inzwischen auch langlebige Konsumartikel (Fernsehgeräte, Motorroller etc.) als Teil der Mitgift gefordert.
Die Kosten für die Durchführung der Hochzeitsfeier werden zum großen Teil durch die Mitgift wieder ausgeglichen, d.h. ein großer Teil der Ausgaben der Familie des Bräutigams werden wieder eingenommen, während die Familie der Braut nur Ausgaben hat. Selbst die Goldkette, die die Braut bei der Verlobung erhält, kann schwerlich als Transferleistung von der Familie des Bräutigams zu der der Braut bezeichnet werden, es sei denn, das frisch vermählte Ehepaar zieht zur Familie der Braut. Dies war früher vollkommen ausgeschlossen, kommt inzwischen jedoch sehr vor, und zwar dann, wenn die Braut aus Nochikuppam stammt und der Bräutigam aus einem Fischerdorf außerhalb von Madras.
Die Familie des Bräutigams kann in bestimmten Fällen zusätzlich die Heiratskosten verringern. In Haushalten, in denen mehrere Söhne leben, die das Heiratsalter erreicht haben, werden oftmals Doppelhochzeiten durchgeführt. In 70 Familien war dies immerhin 28 mal der Fall. Dadurch verringern sich die anteiligen Kosten für die Hochzeitsfeier eines Sohnes erheblich, während sich die Kosten bei der gleichzeitigen Heirat zweier Töchter auf diese Art und Weise nicht reduzieren lassen. Begünstigt wird dies auch dadurch, daß es für Männer keine strengen gesellschaftlichen Vorgaben hinsichtlich des Heiratsalters gibt. Ein Mann, der mit 35 Jahren noch nicht verheiratet ist, wird kaum die Aufmerksamkeit der Gemeinschaft auf sich ziehen, während eine Frau, die mit 25 Jahren noch immer unverheiratet bei ihren Eltern lebt, nicht selten zur Zielscheibe dörflichen Geredes wird. Familien mit vielen Söhnen sind dadurch hinsichtlich der Heiratstermine viel flexibler, während diese bei Töchtern viel stärker von gesellschaftlich vorgegebenen Erwartungen bestimmt wird.
Bei "Liebesheiraten" fallen kaum Kosten an, weder für die Familie der Braut noch für die des Bräutigams. Dennoch spielen sie in Nochikuppam auch heute noch eine untergeordnete Rolle. Lediglich zehn von 91 befragten Eheleuten gaben an, daß ihre Heirat nicht von ihren Eltern arrangiert worden war, sondern durch den beiderseitigen Willen von Mann und Frau zustande gekommen war. Im Gegensatz dazu sahen sich Braut und Bräutigam in 44 Fällen bei der Verlobung das erste Mal.
"Meine Heirat wurde nicht von meinen Eltern arrangiert. Ich hätte damals auf sie hören sollen. Ich glaube, daß die Männer die Frauen immer betrügen. Bei arrangierten Hochzeiten kümmern sich die Verwandten wenigstens darum, daß der richtige Mann gefunden wird. Wenn dann Probleme entstehen, fühlen sie sich verantwortlich. Bei Liebesheiraten ist das anders. Die Verwandten wollen nichts mehr mit einem zu tun haben und bei Problemen muß man dann selbst sehen, wie man sie lösen kann" (Rajeswari, 28 Jahre, andere Kaste).
"Mit den Liebesheiraten ist das so eine Sache. Sie können gut gehen, allerdings müssen die beiden schon von Anfang an mit vielen Schwierigkeiten rechnen, da sie von niemandem Unterstützung bekommen. Bei arrangierten Hochzeiten kümmern sich die Eltern darum, ob der Mann und die Frau auch tatsächlich zusammenpassen. Wenn bei einer Liebesheirat der Mann die Frau einmal sitzen läßt, dann fühlen sich die Verwandten für sie nicht verantwortlich" (Lalitha, 28 Jahre, Fischerkaste).
"Liebesheiraten sind gut, weil die Frau und der Mann gegenseitig Zuneigung für einander empfinden. Meine Eltern waren mit meiner Heirat zunächst nicht einverstanden, doch als sie sahen, daß ich mich nicht umstimmen ließ, da haben sie schließlich zugestimmt und die Heirat arrangiert. Ich glaube auch heute noch, daß mein Entschluß damals richtig war" (Kala, 23 Jahre, andere Kaste).
"Mein Mann ist eines Tages auf mich zugekommen und hat mich gefragt, ob ich ihn heiraten möchte. Ich hatte ich schon vorher vom Sehen gekannt. Er hat in einem Restaurant gearbeitet, wo ich immer Wasser hingebracht habe. Meine Eltern haben mich dann aus dem Haus geworfen. Da bin ich zu ihm gezogen. Er lebte alleine, weil seine Familie nicht aus Madras kommt. Meine Eltern sind nicht zur Hochzeit gekommen und auch heute noch werde ich von ihnen und meinen Nachbarn geschnitten" (Krishnaveni, 28 Jahre, Fischerkaste).
Es ist nicht verwunderlich, wenn sich gerade Frauen für arrangierte Heiraten aussprechen. Dies dürfte weniger damit zusammenhängen, daß es von einer Frau als positiv empfunden wird, einen Mann zu heiraten, den sie vorher - wenn überhaupt - nur wenige Male gesehen hat, als vielmehr damit, daß "Liebesheiraten" sehr häufig mit der Aufkündigung der Familiensolidarität einhergehen. Sollten in der Ehe Schwierigkeiten auftreten, oder sollte sie sogar in die Brüche gehen, kann die Frau in vielen Fällen von ihrem Elternhaus keine Unterstützung mehr erwarten. Bezeichnend in diesem Zusammenhang ist, daß bei Diskussionen in Männerrunden zu diesem Thema mehrheitlich die Liebesheirat propagiert wurde. Auch wenn die Heirat der allermeisten von ihnen von den Eltern arrangiert wurde, betrachteten sie sie als Heirat "minderer Qualität".
"Es ist heutzutage nicht mehr richtig, wenn unsere Eltern bestimmen wollen, wen wir heiraten sollen. Wir wissen von uns doch am Besten, was wir von unserer Frau erwarten. Wir müssen mit ihr zusammenleben, nicht unsere Eltern und doch geben sie uns nicht das Recht, die Frau auswählen zu können" (Ramaswami, 32 Jahre, Fischerkaste).
Ebenfalls bezeichnend ist allerdings, daß auch die jüngeren Männer immer wieder das Bild einer "idealen Ehefrau" propagierten, das erstaunliche Ähnlichkeiten mit traditionellen Vorstellungen hat.
"Es ist wichtig, daß die Frau zum Mann passt. Sie sollte auf jeden Fall kleiner und mindestens fünf Jahre jünger sein als er. Es ist auch nicht gut, wenn sie über ihm steht. Ein Mann, der gebildet ist, sollte ebenfalls eine gebildete Frau bekommen, die allerdings nicht so lange zur Schule gegangen ist wie er selbst" (Chinnadurai, 34 Jahre, Fischereiarbeiter).
"Das wichtigste an einer Frau ist, daß sie dem Mann nicht das Gefühl gibt, er sei unnütz. Selbst wenn sie intelligenter ist als er, darf sie das nicht zeigen, doch die Eltern werden dies bei der Auswahl der Braut berücksichtigen. Früher war es nicht selten, daß eine Frau mindestens 10 Jahre jünger als der Mann war; auch heute sollten zwischen beiden mindestens fünf Jahre liegen, denn irgendwann muß sich die Frau um den Mann kümmern, wenn dieser alt ist und da ist es nicht gut, wenn sie selber schon zu alt ist." (Govindammal (weiblich), 61 Jahre, Fischvermarktung).
Von den befragten 91 Ehepaaren betrug bei 24 Paaren der Altersunterschied zwischen Mann und Frau fünf Jahre und weniger. In einem einzigen Fall waren Ehefrau und Ehemann gleich alt, wobei es sich hier um eine Liebesheirat handelte. In 48 Fällen waren die Männer zwischen sechs und zehn Jahren und in 12 Fälle zwischen elf und 15 Jahren älter als die Frauen. Bei drei Paaren betrug der Altersunterschied zwischen 16 und 20 Jahre und bei ebenfalls drei Paaren war er sogar größer als 20 Jahre, wobei es sich hier in zwei Fällen um Zweitehen des Mannes handelte. Die Wiederheirat einer Frau nach dem Tode des Ehemanns ist jedoch so gut wie ausgeschlossen.
Tab. 92: Unterschied beim Heiratsalter
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
"Normalerweise kann eine Frau, deren Mann gestorben ist, nicht wieder heiraten. Die Leute hier im Dorf würden das zwar akzeptieren, doch sie wird kaum einen Mann finden, vor allem dann nicht, wenn sie schon älter ist. Es kann auch passieren, daß eine Frau krank wird und sich nicht mehr um ihren Mann kümmern kann. Niemand wird es ihm dann übelnehmen, wenn er sich eine andere Frau nimmt, denn irgendwer muß ihn ja versorgen. Er muß sich allerdings auch weiter um seine kranke Frau kümmern. Wenn der Mann krank wird, dann wird eine gute Frau ihn bis an sein Lebensende versorgen. Es ist ausgeschlossen, daß sie sich deshalb einen anderen Mann nimmt, sie würde auch gar keinen finden. Sie kann allerdings Unterstützung von der Familie ihres Ehemanns erwarten" (Vijaya (weiblich), 52 Jahre, Fischvermarktung).
Es wurden dem Autor lediglich drei Fälle bekannt, in denen eine Witwe in den Haushalt des Bruders des verstorbenen Ehemanns aufgenommen und dann auch offiziell als zweite Ehefrau bezeichnet wurde. In zwei dieser Fälle waren die beiden Ehefrauen Schwestern.
In der Regel sind jedoch die Kinder für die Versorgung ihrer Eltern im Alter verantwortlich. Häufig wechseln sie sich dabei ab, d.h. einige Wochen verbringt so z.B. eine alte Witwe bei ihrem ältesten Sohn, dann beim zweitältesten, usw. Solange allerdings unverheiratete Kinder vorhanden sind, kümmern sie sich in aller Regel um ihre Eltern, weil sie gewöhnlich mit diesen noch zusammen in einem Haus leben. Von den verheirateten Söhnen wird dann jedoch im Bedarfsfall erwartet, daß sie sich zumindest finanziell an der Versorgung der Eltern beteiligen.
19.2 Zufriedenheit mit der eigenen Arbeit
Es überrascht wenig, daß über 70 Prozent aller Befragten auf die Frage, ob ihre Kinder einmal die gleiche Arbeit wie sie selbst machen sollen, mit "nein" antworteten. Heute gibt es in Nochikuppam Beispiele genug, in denen die durch die Kastenzugehörigkeit vorgegebene Berufstätigkeit überwunden wurde. Der Faktor Kaste ist lediglich insofern bedeutsam, als daß er eine „traditionelle“ Beschäftigung für die Menschen vorgibt, die mangels geeigneter Alternativen keinen anderen Beruf finden können.
Die gestellte Frage ist allerdings aufgrund ihrer hypothetischen Art wenig geeignet, die Zufriedenheit der Menschen mit ihrem Beruf ergründen zu können.1 Sie hat sich trotzdem als sehr hilfreich erwiesen, da sie einen geeignten Gesprächseinstieg über vielerlei Aspekte des beruflichen Selbstverständnisses und der beruflichen Mobilität bot.
"Mein jüngster Sohn möchte einmal Doktor werden. Ich weiß nicht, ob es uns möglich ist, ihm diese Ausbildung zu finanzieren. Ich will ihn aber auf jeden Fall lange zur Schule schicken, vielleicht kann er dann auch eine andere gute Arbeit bekommen. Meine beiden Töchter arbeiten für eine Schuhfabrik. Anfangs hat ihnen eine Frau aus der Nachbarschaft gezeigt, wie sie die Schuhe flechten sollen, doch inzwischen können sie die Arbeit alleine machen. Als sie zu arbeiten anfingen, da war ich schon einige Zeit krank und meine Familie brauchte ihr Einkommen dringend. Wenn ich genügend Geld verdienen würde, dann würde ich auch sie lange zur Schule schicken, denn vielleicht könnten sie dann Lehrerin werden oder eine gute Arbeit in einem Büro finden. Wenn sie aber erst einmal verheiratet sind, dann habe ich keinen Einfluß mehr darauf, ob sie auch weiterhin arbeiten können. Für meine erste Tochter war kürzlich der Bräutigam hier. Er will 10 sovereigns Gold haben und wir wissen noch nicht, wo wir so viel Geld hernehmen sollen. Meine Tochter ist aber schon 19 Jahre alt und so können wir nicht mehr lange warten, bis wir sie weggeben. Ich selbst habe vor 20 Jahren einmal zwei Jahre lang als Hilfsarbeiter im Hafen gearbeitet. Schon als ich damit anfing hat man mir gesagt, daß diese Stelle zeitlich begrenzt sei. Später habe ich dann noch einmal einige Zeit auf einer Hühnerfarm in Nandanan gearbeitet, doch da habe ich nicht viel verdient und bin dann bald wieder fischen gegangen" (Palaniyandi, 40 Jahre, Fischer).
Tab. 93: Berufliche Mobilität in Nochikuppam
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Wie Palaniyandi haben immerhin 35 der 217 befragten Personen in ihrem bisherigen Leben mindestens einmal eine andere Beschäftigung ausgeübt als diejenige, der sie zum Zeitpunkt der Befragung nachgingen.1 16 Personen hatten - inklusive ihres derzeitigen Berufes - sogar bereits mehr als zwei unterschiedliche Tätigkeiten gehabt. Bis auf eine Ausnahme handelte es sich hier nur um Männer. Über 35 Prozent der befragten Regierungsangestellten sind früher fischen gegangen und tun dies auch noch heute gelegentlich. Etwa 54 Prozent der befragten produktionsmittelbesitzenden Fischer und fast ein Viertel der befragten Fischereiarbeiter hatten zwischenzeitlich eine andere Beschäftigung ausgeübt, sind jedoch aus unterschiedlichen Gründen wieder in die Fischerei zurückgekehrt.
"Mein ältester Sohn hat lange die Schule besucht und danach noch eine Ausbildung beim Fischereidepartment gemacht. Anschließend konnte er dann in Guindy in einer staatlichen Netzfabrik eine Stelle finden. Nach einem halben Jahr wurde er aber entlassen, weil die Arbeiter wegen der niedrigen Löhnen streikten. Er hat dann eine Stelle als watchman angenommen, doch auch nur wenig verdient. Mehr als 300 Rs hat er in keinem Monat erhalten. Schon nach drei Monaten hat er deshalb mit dieser Arbeit aufgehört und in einem Hotel als Zimmerjunge gearbeitet. Die Bezahlung dort war aber auch sehr niedrig und als er dann die Gelegenheit hatte, in einem Ration-Shop arbeiten zu können, hat er die Stelle gewechselt. Ein Politiker der DMK hatte ihm die Stelle vermittelt, das war 1989. Er hat dort jeden Tag 25 Rs verdient, doch irgendwann gab es dann Probleme. Ich weiß auch nicht, was vorgefallen war, jedenfalls mußte er die Stelle aufgeben. Seither sucht er nach Arbeit. Er hat sich bei einem Unternehmen in Egmore beworben, aber seine Qualifikation war nicht gut genug. Auch mein anderer Sohn hat die Ausbildung beim Fischereidepartment gemacht. Der Vorteil dieser Ausbildung ist, daß man sich danach beim Arbeitsamt als arbeitssuchend melden kann. Jedesmal aber wenn er auf das Arbeitsamt geht, muß er dort Schmiergeld bezahlen. Er würde gerne einen Job bei der Regierung bekommen, aber schon um zu einem Auswahlgespräch eingeladen zu werden, muß man mindestens 1000 Rs bezahlen. Um dann die Stelle tatsächlich bekommen zu können, muß man mindestens 15.000 Rs bezahlen. Einmal hat er für das Central Marine Fisheries Research Institute in Egmore gearbeitet, aber nur einige Monate als Aushilfe. Er arbeitete auf einem Boot des CMFRI. Die Arbeit hat ihm sehr gefallen und er hat auch 35 Rs am Tag verdient. Eigentlich sollte er 105 Rs am Tag bekommen, aber 70 Rs wurden ihm für das Essen abgezogen" (Aiyavu, 65 Jahre, Fischer).
"Ich habe einmal zwei Jahre lang auf einem großen Fangschiff gearbeitet und dort die Netze geflickt. Das war zwischen 1973 und 1975. Der Mann meiner Schwester arbeitet damals im Hafen und er konnte mir deshalb diese Stelle besorgen. Die Arbeit war sehr gut und jeden Monat habe ich 700 Rs verdient. Das war damals sehr viel Geld. Ich mußte mit der Arbeit aufhören als das Schiff verkauft wurde. Danach habe ich als Lagerarbeiter bei Hindustan Teleprinters in Guindy gearbeitet. Die Firma gehört der Zentralregierung. Diese Arbeit hat mir auch sehr gut gefallen und ich verdiente jeden Tag 20 Rs. Das war 1981. Ich arbeitete fast zwei Jahre lang dort. Allerdings mußte ich alle drei Monate die Arbeit für ein paar Tage unterbrechen. Als ich dann für immer dort arbeiten wollte, hat der Assistant Director Geld von mir verlangt, aber ich hatte nicht so viel. Dann habe ich versucht, bei Ashok Leyland eine Arbeit zu bekommen und habe dafür sogar 3000 Rs ausgegeben. Ich wollte diese Stelle über den Arbeitsminister bekommen, aber sein Personal Assistant hat mich dabei übers Ohr gehauen. Danach bin ich dann wieder Fischen gegangen" (Murugan, 37 Jahre, Fischereiarbeiter).
"Vor etwa vier Jahren habe ich als watchman in einer privaten Firma gearbeitet, davor war ich drei Jahre lang watchman in einem Appartmenthaus in Adayar. Ich konnte die Arbeit über eine Vermittlungsagentur bekommen. Ich wollte diese Arbeit machen, da ich langsam älter wurde und das Fischen für mich immer schwieriger wurde. Außerdem habe ich Probleme mit den Augen. Bei beiden Stellen verdiente ich 450 Rs im Monat, bei der ersten bekam ich an Pongal und an Diwali noch jedes Mal 450 Rs zusätzlich. Vor zwei Jahren bin ich dann aber krank geworden und mußte ins Krankenhaus nach Tambaram. Als ich wieder gesund war, wollte man mich nicht wieder einstellen. Deshalb suche ich auch noch heute nach Arbeit. Im Moment verdient meine Frau das meiste Geld. Durch den Verkauf von Fischen kann sie jeden Tag 20, an guten Tagen sogar über 100 Rs verdienen. Meine beiden Söhne arbeiten beide im Lager einer Schuhfabrik und verdienen jeder auch noch einmal 500 Rs im Monat. Vielleicht können sie in dieser Stellung auch einmal aufsteigen" (Raju, 57 Jahre, ehemals Fischer).
Die Bereitschaft der Fischer und Fischereiarbeiter, ihre traditionelle Beschäftigung aufzugeben, ist sehr groß. Allerdings kehren viele Fischer immer wieder in ihren Beruf zurück, weil durch die niedrigen Verdienstmöglichkeiten in anderen Berufen ein Wechsel fragwürdig wird. Lediglich eine Arbeit in einer Behörde oder einem Staatsunternehmen bedeutet eine solch einschneidende Verbesserung, daß der Fischerberuf aufgeben wird. Um eine solche Anstellung erhalten zu können, sind jedoch gute Beziehungen und Geld, zumeist jedoch beides notwendig. In beiden Fällen haben produktionsmittelbesitzende Fischer einen Vorteil, denn in ihrem Verwandtenkreis findet sich fast immer jemand, der bereits eine Regierungsstelle hat und zumindest versuchen kann, Personen aus seiner Verwandtschaft ebenfalls eine solche Stelle zu beschaffen. In allen fünf Fällen, in denen ein ehemaliger Fischer eine Stelle bei der Regierung erhalten konnte, wurden solche Beziehungen als wesentlich angesehen. Verwandte übernehmen somit auch die Funktion von Mittelsmännern, wobei sie - zumindest nach Aussage der betreffenden Personen - nicht an der bezahlten Provision beteiligt werden.
Eines wurde durch die Befragung jedoch deutlich. Bildung alleine reicht zum beruflichen Aufstieg nicht aus. Der Arbeitsmarkt für qualifizierte, gut bezahlte Stellen ist so eng, daß freie Stellen praktisch nur gegen eine entsprechende Vermittlungsgebühr neu besetzt werden. Aussichten auf solch eine Stelle haben jedoch fast nur Personen mit guten Beziehungen. De Witt (1993) stellt in seiner Untersuchung in einem anderen Slum von Madras ähnliches fest:
"Most cases of employment mediation concerned outsiders: people who promised to help and often asked for large amounts for their proposed activities. One man paid Rs. 500 to a mediator to get a job as a watchman. But the mediator was a cheat, and did not do anything. [...] Another mediator - 'he is a reliable man' - demanded Rs. 3,000 for a job in the Municipal Corporation. One man knew a porter at the railway station who was ready to transfer his license to his name: he demanded Rs. 5,000 in cash saying this was a bargain. The actual price was said to be Rs. 10,000. A woman was very hopeful of getting a sweeper's job at an office: 'My sister will recommend me to someone she knows working there" (de Witt 1993: 147).
Fischereiarbeiter können (im staatlichen Sektor) i.d.R. lediglich Gelegenheitsarbeiten - hauptsächlich im Hafen - bekommen und dann versuchen, ein festes Arbeitsverhältnis aufzubauen, was jedoch in den meisten Fällen nicht gelingt.
Mehr als die Hälfte der befragten Fischer gab an, daß mindestens einer ihrer Söhne später einmal einen Regierungsjob machen solle, während lediglich ein Fünftel der befragten Fischereiarbeiter diesen Wunsch äußerte. Bei dieser Gruppe ist der Blick eher auf Beschäftigungen im privaten organisierten Sektor gerichtet, für den die Zugangsschranken bei weitem nicht so hoch sind wie im staatlichen Bereich.
Am ungünstigsten stellte sich die Situation von Personen dar, die nicht der Fischerkaste angehören. Lediglich einer der Befragten hatte bislang innerhalb von Madras die Beschäftigung gewechselt. Vor allem die nach Madras gekommenen Migrantinnen und Migranten haben kaum eine Chancen, sich beruflich zu verändern. Selbst bei den Kasten der Yadavars und Konars, die in Nochikuppam am zahlreichsten vertreten sind, reichen die Netzwerke kaum über Nochikuppam hinaus. Die meisten Beschäftigten aus diesen beiden Kasten arbeiten in sehr ähnlichen Berufen, so daß es kaum Personen gibt, die sich für andere Angehörige ihrer Kaste einsetzen können.
"Ich mag meine Arbeit nicht besonders, denn sie ist sehr schwer, aber es gibt nichts, was ich sonst noch machen könnte. Morgens um 3 Uhr beginnt meine Arbeit und ich kann nicht vor 11 Uhr abends nach Hause. Mein Sohn hat vor drei Jahren die 10. Klasse abgeschlossen und ist jetzt arbeitslos. Er hätte gerne eine Arbeit, die nicht so hart wie meine ist und bei der er auch gut verdienen kann, doch es ist nicht möglich, eine solche Arbeit zu finden. Wir haben schon alles probiert, doch bei allen guten Stellen muß man so viel Geld bezahlen. Außerdem kennen wir niemanden, der uns bei der Arbeitssuche helfen könnte" (Chandran, 48 Jahre, Arbeiter an einem Teestand, andere Kaste).
Neben guten Beziehungen und Geld wird von den meisten eine gute Ausbildung der Kinder als sehr wichtig für das spätere Berufsleben gesehen. Viele der Befragten äußerten jedoch Zweifel, ob es nicht ein Fehler war, ihre eigenen Kinder so lange zur Schule geschickt zu haben.
"Die Kinder zur Schule zu schicken ist nicht schlecht, nur damit alleine wird man auch nicht satt. Es ist besser, wenn die Söhne frühzeitig arbeiten gehen. Allerdings sollten sie versuchen, eine Stelle außerhalb der Fischerei zu finden. Wenn das aber nicht möglich ist, dann bleibt ihnen nichts anderes übrig als wie ich Fischer zu werden. Es ist schwieirg, die jungen Leute zum Fischen zu bewegen, denn sie haben dazu keine Lust und sie hören auch nicht mehr auf die Älteren im Dorf" (Ramalingam, 45 Jahre, Fischer).
In vielen Fällen wurden die hohen Erwartungen, die in eine gute Bildung der Kinder gesetzt wurden, schwer enttäuscht und haben viele Familien in interne Konflikte gestürzt.
"Eigentlich wollte ich, daß meine Söhne alle Fischer werden, aber mein Mann war dagegen und hat gemeint, daß es uns später auch einmal besser gehen wird, wenn sie lange zur Schule gehen und dann einen guten Beruf bekommen. Einer ist jetzt schon seit vier Jahren arbeitslos und weigert sich, fischen zu gehen, da er diese Arbeit nie gemacht hat. Die anderen beiden haben Arbeit in einer Fabrik gefunden. Sie arbeiten dort im Lager" (Ramani, 42 Jahre, Fischvermarktung).
"Mein Sohn geht nur widerwillig fischen, denn eigentlich erwartet er eine bessere Arbeit. Er hat die 12. Klasse abgeschlossen, doch wir hatten dann nicht genügend Geld, um ihn auf's College schicken zu können. Die ersten Jahre hat er lange nach einer anderen Arbeit gesucht, doch es ist nicht leicht eine zu bekommen. Dann ist er in schlechte Gesellschaft geraten und hatte auch Probleme mit der Polizei. Wir mußten viel Geld für ihn ausgeben. Jetzt geht er seit zwei Jahren wieder mit meinem Mann fischen, doch die Arbeit macht ihm keinen Spaß. Ich glaube nicht, daß er nach seiner Hochzeit auch weiter fischen geht. Wir wissen allerdings nicht, was er stattdessen machen soll" (Govindammal, 40 Jahre, Fischvermarktung).
Die Arbeitslosikeit von Personen mit einer guten Schulbildung wird in Indien immer mehr zu einem gesellschaftlichen Problem. So waren in Kerala 1988 z.B. 21 Prozent aller Personen, die mindestens die Mittlere Reife hatten, arbeitslos (Mathew 1995). Auch wenn für Tamil Nadu ähnliche Zahlen nicht vorliegen, kann dennoch davon ausgegangen werden, daß auch hier die Arbeitslosigkeit in gebildeten Schichten immer mehr zu einem Problem wird. Einer zunehmenden Anzahl gut ausgebildeter Menschen stehen viel zu wenige, qualifizierte Arbeitsplätze gegenüber. Die Folge davon ist, daß ein erheblicher Teil dieser Menschen Beschäftigungen nachgehen müssen, die weit unter ihre Qualifikation sind. Zum Teil kann man aber auch feststellen, daß Personen mit dem Einstieg ins Berufsleben so lange warten bis sie eine ihrer Qualifikation entsprechende Beschäftigung gefunden haben. Sie nehmen dabei Wartezeiten von mehreren Jahren in Kauf.
Fragt man einen aktiven Fischer nach den wichtigsten Kriterien für einen Beruf, wird am häufigsten ein regelmäßiges Einkommen genannt. Fast alle der befragten Fischereiarbeiter gaben dies an erster Stelle an, während ein höheres Einkommen bei 56 Prozent der Befragten eine große Rolle spielt. Die produktionsmittelbesitzenden Fischer messen diesen beiden Faktoren einen geringeren Stellenwert bei. Für sie besteht die Attraktivität einer anderen Arbeit vor allem darin, daß diese leichter sein sollte als die Fischerei und daß betriebliche Sozialleistungen (Provident Fund u.ä.) vorhanden sind.
"Junge Menschen sollten besser nicht fischen gehen, weil diese Arbeit sehr schwierig ist und man nur wenig verdienen kann. Man hat keine festen Arbeitszeiten, sondern man muß mitten in der Nacht losfahren. Wenn das Wetter schlecht ist, dann kann die Arbeit sehr gefährlich sein. Ich will meine beiden Söhne lange zur Schule schicken, damit sie später einmal eine bessere Arbeit finden. Gut wäre eine Anstellung bei der Regierung, doch ich glaube nicht, daß das möglich sein wird, denn dazu braucht man ein Empfehlungsschreiben von wichtigen Leuten (some higher authorities) und man muß, je nach Arbeitsstelle bis zu 20.000 Rs bezahlen. So viel kann ich aber nicht ausgeben und deshalb sollen meine Söhne später versuchen, in einem Privatunternehmen eine Arbeit zu finden (Pattu, 53 Jahre, Fischer).
Unattraktiv scheinen für die meisten Fischer und Fischereiarbeiter selbständige Tätigkeiten außerhalb der Fischerei zu sein. Von den 52 Läden, die es in Nochikuppam gibt, werden lediglich 12 von Angehörigen der Fischerkaste betrieben, obwohl bis auf vier Läden alle anderen Eigentum von Angehörigen der Fischerkaste sind. 36 Läden davon gehören aktiven Fischern und 12 Läden Personen, die nicht mehr dem Fischfang nachgehen. Für Fischereiarbeiter kommt es nicht in Frage, einen Laden anzumieten. Die Investitionenkosten für die Erstaustattung an Waren wurden von den befragten Ladenbesitzer mit 8.000 und 12.000 Rs angegeben, die monatliche Ladenmiete betrug - je nach Lage - zwischen 200 und 600 Rs. Fischer, die Eigentümer von Läden sind, haben wenig Interesse daran, ihre Läden selbst zu betreiben. Für sie ist die monatliche Miete ein sicheres und leichtverdientes Einkommen. Auch hier zeigt sich, daß es vor allem ökonomisch abgesicherte Gruppen sind, denen es gelingt, ihre Einkommensquellen zu diversifizieren.
Indem viele Fischereiarbeiter ihre Töchter für Schuhexportunternehmen arbeiten lassen, erhalten ihre Haushalte ein zusätzliches Einkommen. Aus der Sicht der Betroffenen hilft dieses Einkommen mit, die Reproduktion zu sichern. Dies deutet sich bereits darin an, daß die Mehrzahl der Beschäftigten für ein Schuhexportunternehmen angaben, ihr Leben habe sich seit ihrer Kindheit verschlechtert.1 Auch wenn häufig sehr junge Mädchen für solche Unternehmen arbeiten, hat niemand der Befragten dies als Ausbeutung empfunden. Für sie ist weniger die Forderung nach Abschaffung von Kinderarbeit wichtig als vielmehr der Wunsch nach einem gesicherten Arbeitsverhältnis, nach sozialer Absicherung im Krankheitsfall etc. Die Beschäftigung für Schuhexportunternehmen erfüllt neben der Ergänzung des Haushaltseinkommens eine weitere, fast ebenso wichtige Funktion: sie ermöglicht ein regelmäßiges, weitaus präziser voraussagbares Einkommen als ein Fischereiarbeiter i.d.R. erhält.
20 Zusammenfassung und Theoretische Einbettung
20.1 Nahrungsunsicherheit und gesellschaftliche Verwundbarkeit: Ein kon-zeptioneller Rahmen
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit Aspekten der Nahrungssicherheit in Indien. Nahrungssicherheit bzw. -unsicherheit wird dabei als ein wichtiger Indikator für Entwicklung bzw. Fehlentwicklung betrachtet. Der vorliegenden Analyse liegt die Annahme zugrunde, daß Nahrungsunsicherheit das Ergebnis einer ganzen Reihe komplexer Vorgänge und Strukturen ist, die sich auf unterschiedlichen Ebenen (global, national, bundesstaatlich, lokal) und in unterschiedlichen Dimensionen (naturräumlich, historisch, kulturell, politisch, ökonomisch) entwickeln und manifestieren. In diesem Sinne betrachtet der Autor Nahrungsunsicherheit in erster Linie als einen Ausdruck gesellschaftlicher bzw. struktureller Gewalt (vgl. Galtung 1991), die sich i.d.R. erst dann krisenhaft auswirkt, wenn naturräumliche und andere Ereignisse die Lebensumstände bestimmter gesellschaftlicher Gruppen verschlechtern und ihre Handlungsspielräume über ihre Bewältigungsmöglichkeiten hinaus unterminiert werden.
Das Erkenntnisinteresse und der Analyserahmen der vorliegenden Arbeit beschränken sich nicht auf eine einzelne Theorie oder einen speziellen Erklärungsansatz. In dem Bestreben, der Komplexität des Gegenstandes zumindest ansatzweise gerecht zu werden, ist es unvermeidbar, synthetisierend mit verschiedenen und sich z.T. überschneidenden Forschungsperspektiven zu arbeiten. Diese Vorgehensweise soll einen Beitrag zur Überwindung des scheinbaren Widerspruchs zwischen endogenen und exogenen Erklärungsansätzen von Unter- und Über- bzw. Fehlentwicklung ermöglichen und damit auch zu einem umfassenderen Verständnis von der Entstehung dieser Phänomene - ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit - beitragen.
Im Sinne des oben skizzierten Anliegens bieten z.B. die multikausal angelegten Konzepte der gesellschaftlichen Verwundbarkeit (social vulnerability) eine geeignete analytische Grundlage. Sie versuchen eine Neuverortung von Entwicklungsproblemen mittels eines differenzierten Instrumentariums an verschiedenen Forschungsperspektiven und -ansätzen in unterschiedlicher zeitlicher und räumlicher Tiefe vorzunehmen.
Der Begriff der Verwundbarkeit wurde zuerst von Chambers (1989) umfassend definiert:
„Vulnerability [...] refers to exposure to contingencies and stress and difficulty in coping with them. Vulnerability thus has two sides: an external side of risks, shocks, andstress, to which an individual or household is subject; and an internal side which is defencelessness, meaning a lack of means to cope without damaging loss. Loss can take many forms - becoming physically weaker, economically impoverished, socially dependent, humiliated or psychological harmed“ (Chambers 1989).
Verwundbarkeit kann demnach eine Vielzahl von unterschiedlichen Ursachen haben, die jeweils empirisch aufgearbeitet werden müssen. So werden - in Abgrenzung zum Begriff der Armut - außer der rein ökonomischen Dimension auch naturräumliche, soziale, kulturelle und politische Aspekte zur Bestimmung und Erklärung von Verwundbarkeit herangezogen (Bohle 1994: 401; Bohle/Downing/Watts 1994: 37f.).
Eine in sich geschlossene Theorie der sozialen Verwundbarkeit gibt es bislang nicht. Es ist vielmehr sogar fraglich, ob es sinnvoll ist, eine solche entwerfen zu wollen, da auf diese Weise die Stärke des Konzeptes, die gerade in seiner Offenheit besteht, beschnitten würde. Dennoch ist es notwendig, eine Systematik vorzulegen, die die Begründungszusammenhänge von Verwundbarkeit offenlegt. Nur so lassen sich mögliche Verursachungsmechanismen systematisch aufarbeiten und Vergleiche zwischen unterschiedlichen empirischen Befunden herstellen.
Eine solche Systematik sollte unterschiedliche Perspektiven aufzeigen, aus denen die Erforschung von gesellschaftlicher Verwundbarkeit vorgenommen werden kann. Sie sollte - im Sinne theoriegeleiteten wissenschaftlichen Arbeitens - als Richtschnur für Untersuchungen in unterschiedlichen gesellschaftlichen Kontexten dienen, um beeinflußende Variablen besser gewichten und aus ihren historischen, gesellschaftlichen, sozialen und kulturellen Zusammenhängen isolieren zu können.
Bohle et al. (1994) legen modellhaft eine Synthese dreier Forschungsperspektiven vor, die sie als zentral für die Erklärung von sozialer Verwundbarkeit ansehen. Es sind dies der humanökologische, der verfügungsrechtliche und der politisch-ökonomische Ansatz.1
‘We argue that the place and time-specific configuration of three key analytical variables - what we call human ecology, expanded entitlements and political economy - define the dimensions (or social space) of vulnerability’ (Bohle et al. 1994: 37).
Jeder der drei genannten Ansätze leuchtet den multidimensional space of vulnerability (vgl. Bohle/Watts 1993: 118) aus einer etwas anderen Perspektive aus. Diese Ansätze sollen lediglich als ‘Bündel von Ideen’ verstanden werden, welche sich in vielen Bereichen ergänzen und überschneiden (Bohle 1994: 402). Es ist dabei als besonders wichtig zu erachten, daß
‘(...) vulnerabililty must include both a sensitivity to temporal (ie monthly, seasonal, inter-annual) and geographical (ie national, regional, village) variability, and also a recognition of how different groups in society experience risk and mitigate hazards’ (Bohle et al. 1994: 38).
In anderen Worten: Verwundbarkeit als sozialwissenschaftliches Konzept muß - maßgeblich orientiert an verflechtungsanalytischen Ansätzen - in differenzierter Weise räumliche, zeitliche und gruppenspezifische Differenzierungen berücksichtigen, denn (...)
‘(...) vulnerability is a multi-layered and multidimensional social space defined by the determinate political, economic and institutional capabilities of people in specific places at specific times’ (Bohle et al. 1994: 39).
Der humanökologische Ansatz konzentriert sich zunächst sehr allgemein auf die Analyse vorhandener Ressourcensysteme und ihres Managements. Dabei fragt er besonders nach der Umgestaltung der Umwelt durch menschliche Aktivitäten und wie dieser Prozeß in dem jeweils vorhandenen Ressourcensystem angelegt ist. Im Kontext der Konzepte gesellschaftlicher Verwundbarkeit versucht die Humanökologie vor allem die (Umwelt-) Risiken, denen Menschen möglicherweise ausgesetzt sind sowie die ‘Qualität’ der Ressourcenausstattung zu analysieren und zu bewerten (Bohle et al. 1994: 40).
Der verfügungsrechtliche Ansatz (entitlement approach, Sen 1981; Dreze/Sen 1989) untersucht nicht - wie traditionell üblich - Nahrungsprobleme über die Angebotsseite (Produktion) zu thematisieren, sondern er versucht eine Annäherung über die Nachfrageseite (Konsumption) zu erreichen. Es geht in diesem Ansatz um die Erklärung der Veränderung von Verfügungsrechten, die Menschen/Gruppen in die Lage versetzen, Nahrungsmittel erwerben bzw. produzieren zu können. Dies betrifft etwa die Entwicklung der Austauschbeziehungen (exchange relations) zwischen verschiedenen Gruppen der Gesellschaft, die Bedingungen und Möglichkeit der Eigenproduktion, aber auch die soziokulturellen und politischen Verfügungsrechte, wie sie etwa in intradörflichen Selbsthilfe-Netzwerken oder in gesellschaftlich festgelegten politischen Normen wie z.B. dem Recht auf Nahrung, dem Recht auf Arbeit oder auch in staatlich organisierter Sozialer Sicherheit zum Ausdruck kommen (Bohle 1994: 402; Dreze/Sen 1989: 9 ff; 1990-I: 36 ff). Eine Erosion inividueller oder kollektiver Verfügungsrechte (entitlement decline) kann von unterschiedlichen räumlichen Ebenen ausgehen und auch unterschiedliche zeitliche Dimensionen aufweisen. In diesem Sinne ist der verfügunsrechtliche Ansatz in sich selbst bereits eine Kombination von unterschiedlichen Erklärungsansätzen, die sich alle der Frage widmen, wie es kommen kann, daß bestimmte Gruppen innerhalb einer Gesellschaft keinen Zugang zu Nahrungsmitteln haben, die eigentlich vorhanden sind oder die auf einfache Weise beschafft bzw. produziert werden könnten.
Der verfügungsrechtliche Ansatz stellt damit also Aspekte wie z.B. die Verteuerung von Nahrungsmitteln, die Verringerung von Beschäftigungsmöglichkeiten oder den Rückgang von Reallöhnen bzw. Produzentenpreisen in den Mittelpunkt der Untersuchung. Komplementär dazu werden auch diejenigen gesellschaftlichen Veränderungen in die Betrachtung einbezogen, die bewirken, daß Bewältigungsstrategien, die entwickelt wurden, um solche Verschlechterungen der Austauschbedingungen ausgleichen zu können, untergraben werden.
Aus der Perspektive der politischen Ökonomie geht es um die Analyse der politischen und ökonomischen Kräfteverhältnisse in und zwischen gesellschaftlichen Gruppen auf verschiedenen Maßstabsebenen (lokal - national - global). Ein Kernbegriff ist hier - in Anlehnung an Galtungs Konzept der Strukturellen Gewalt - der der Marginalität: Individuen oder gesellschaftliche Gruppen sind verwundbar, weil sie marginal sind, d.h. sie können an den Ressourcen, Errungenschaften, Leistungen und Möglichkeiten, die eine Gesellschaft bietet, gar nicht oder nur ungenügend patizipieren (vgl. Bohle 1994; Galtung 1972, 1991). In diesem Sinne kommt den Begriffen Macht und Ohnmacht eine besondere Bedeutung zu: in ihnen kommt zum Ausdruck, daß Nahrungs-un-sicherheit - in ihrer extremsten Form als Hungerkrise - in erster Linie das Resultat von sich verändernden gesellschaftlichen Machtverhältnissen ist.
‘Er (WATTS, d. Verf.) geht von der These aus, daß im ländlichen Raum der Dritten Welt gesellschaftliche Widersprüche, Brüche und Konflikte und damit Krisen vor dem Hintergrund von Modernisierung und Weltmarktintegration laufend anwüchsen (...). Letztlich führe dies zu langfristigen, strukturell angelegten ‘Reproduktionskrisen’ (...). Die geographische Analyse von Hungerkrisen, so Watts, müsse letztlich immer von lokalen/regionalen Verhältnissen ausgehen, die aber als eine ‘social logic of localities’ mit den krisenhaften Erscheinungen von Markt, Staat und Gesellschaft zu verbinden seien (Bohle 1992: 83).
Diese drei hier nur kurz umrissenen Perspektiven weisen eine ganze Reihe von Überschneidungen auf. Die Perspektiven von verfügungsrechtlichen und des politisch-ökonomischen Ansatzes sind zwar nicht identisch, lassen sich aber z.T. - vor allem in ihren ursächlichen Begründungszusammenhängen - nur schwer voneinander trennen. Die politische Ökonomie beschäftigt sich mit der Stellung unterschiedlicher Gruppen im Machtgefüge einer Gesellschaft und den daraus erwachsenden Konsequenzen. So kann z.B. das niedrige Lohnniveau von indischen Landarbeitern aus der Sichtweise der Politischen Ökonomie daraus erklärt werden, daß Landarbeiter in einer Gesellschaft, in der ländliche Massenarbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung herrschen, eine schwache Position einnehmen und keine starke Verhandlungsmacht besitzen. Die verfügungsrechtliche Perspektive beschäftigt sich eher mit Fragen kurzfristigerer Veränderungen. Bezogen auf das Lohnniveau von Landarbeitern spricht sie z.B. eher die Fluktuation der Löhne an, die sich aus einer sich saisonal verändernten Nachfrage nach Arbeitskräften ergeben kann.
Der Anstieg von Lebenshaltungskosten bezieht sich zunächst in eindeutiger Weise auf eine Veränderung in bestimmten verfügungsrechtlichen Konstellationen. Wenn die Einkommen diesen Preissteigerungen nicht angeglichen werden, findet ein Kaufkraftverlust statt. Aufgrund ihrer politisch-ökonomischen Stellung in der Gesellschaft können sich manche Gruppen dagegen absichern, andere hingegen nicht. So werden die Einkommen der Beschäftigten des organisierten Sektors regelmäßig der Inflationsrate angeglichen. Ähnlich sind staatliche Preisfestsetzungen aller Art zu bewerten. Sie schützen Konsumenten vor den Folgen sich verschlechternder Austauschbeziehungen. Der Abbau von Subventionen - d.h. der Rückzug des Staates aus seiner Funktion, steuernd in Märkte einzugreifen - ist jedoch nur aus einer politisch-ökonomischen Perspektive zu erklären. In ihr finden sich Hinweise darauf, daß die gesellschaftliche Macht derjenigen Gruppen zurückgegangen ist, die von diesen Maßnahmen bisher besonders profitierten. Zumeist sind diese Vorgänge jedoch derart komplex, daß voreilige Rückschlüsse irreführend sein können.
So wirkt sich der Abbau von Nahrungssubventionen auf unterschiedlichste soziale Gruppen in verschiedener Weise aus. Wenn für die steuerzahlenden Mittelschichten gleichzeitig Steuererleichterungen beschlossen werden, werden für sie die Folgen der Subventionsstreichungen abgefedert. Ähnliches ist bei der Verringerung von Düngemittelsubventionen feststellbar. Auf den ersten Blick könnte gefolgert werden, daß dies einen Machtverlust der Landwirtschaftslobby dokumentiert. Nimmt man gleichzeitig aber zur Kenntnis, daß die staatlich garantierten Produzentenpreise dergestalt angehoben werden, daß der Verlust aus der Subventionssenkung mehr als ausgeglichen wird, ergibt sich eine vollkommen andere Einschätzung.
Diese Beispiele machen deutlich, daß die wenigsten Maßnahmen isoliert betrachtet werden können. Einzelmaßnahmen sind selten geeignet, den politisch-ökonomischen Status bestimmter gesellschaftlicher Gruppen zu bewerten. So erweisen sich bezüglich ihres politisch-ökonomischen Status’ jene Gruppen als besonders verwundbar, bei denen Einschränkunngen von Verfügungsrechten in einem Bereich nicht durch Ausweitungen in einem anderen kompensiert werden.1 Verwundbarkeit stellt sich besonders häufig im Verlaufe gesellschaftlicher Transformationsprozesse ein (Subsistenz- vs Marktorientierung, Plan- vs Marktwirtschaft, Auflösung traditioneller Familienbande etc.), d.h. dann, wenn bestehende Strukturen, auf die sich Menschen eingerichtet hatten und die ihnen auch einen gewisssen Schutz gewährten, durch neue (nicht adäquate) ersetzt werden.
Die in vielen Bereichen intensiven Verflechtungen von verfügungsrechtlicher, human-ökologischer und politisch-ökonomischer Perspektive machen es unvermeidlich, daß bei dem Versuch einer getrennten systematischen Erfassung dieser Bereiche vielfach Wiederholungen auftreten. So reicht auch die human-ökologische Perspektive sowohl in den Bereich der Verfügungsrechte wie auch in den der Politischen Ökonomie hinein. Ressourcenmanagement und Politische Ökonomie sind eng miteinander verbunden. Durch die massive staatliche Förderung der mechanisierten Fischerei treten z.B. zwei gesellschaftliche Gruppen mit sehr unterschiedlicher Interessenslage und Machtausstattung in Konkurrenz um (a) denselben Raum und (b) dieselben Ressourcen. Beide Gruppen haben unterschiedliche Vorstellungen hinsichtlich des Managements dieser Ressourcen. Es zeigt sich, daß jene Gruppe sich durchsetzen kann, die über mehr politische und ökonomische Macht verfügt. Bei der Analyse der unterschiedlichen Konflikte im Fischereibereich zeigt sich, daß der Gewinner in einem Konflikt (z.B. die Trawlerfischer im Konflikt Kleinfischer vs Trawlerfischer) durchaus Verlierer in einem anderen Konflikt sein kann (z.B. die Trawlerfischer im Konflikt Trawlerfischer vs Tiefseefischer). Es ist sicherlich nicht zufällig, daß die Interessen der Tiefseefischerei hier synonym für die Interessen Transnationaler Unernehmen stehen.
20.2 Analytische Zuordnung der Untersuchungsergebnisse
20.2.1 Politisch-Ökonomischer Bereich
Aus der politisch-ökonomischen Perspektive wird Verwundbarkeit als Folge ungleicher gesellschaftlicher Machtverteilung angesehen. Je nach Analyseebene rücken dabei unterschiedliche Strukturen und Prozesse in den Mittelpunkt.
Bei der Betrachtung der globalen Systemebene tritt das Verhältnis zwischen Industrie- und den sog. Entwicklungsländern in den Vordergrund. Hier mußte zunächst geklärt werden, wie diese Struktur beschaffen ist und welche Veränderungen in ihr stattfinden. Dabei steht perspektivisch - im Sinne geographischer Forschung - vor allem die Verarbeitung der auf globaler Ebene stattfindenden Wandlungsprozesse im sozioökonomischen Gefüge auf lokaler/regionaler Ebene im Mittelpunkt der Analyse (vgl. Schmidt-Wulffen 1987: 135). Diese Wandlungsprozesse finden nicht zufällig statt, sondern sie sind von Interessen geleitet und bedienen sich bestimmter Instrumente, um diese Interessen in geeigneter Weise vertreten zu können. In der vorliegenden Arbeit wurden zwei dieser Interessen näher untersucht: die Strukturanpassungsprogramme von IWF und Weltbank sowie die Uruguay-Runde des GATT, die eine weitere Liberalisierung des Welthandels vorsieht. Mit diesen Instrumenten werden wirtschaftliche (und politische) Interessen aus den Industrienationen auf sog. Entwicklungsländer übertragen.
These 1 Aufgrund sich verschlechternder Kapitalverwertungsbedingungen in den Industrienationen wird die wirtschaftliche Entwicklung in bevölkerungsreichen sog. Entwicklungsländern zum ureigensten Interesse von Unternehmen in Industrienationen. Sie sehen dort die Märkte der Zukunft.
In den Industrienationen vollzogen sich nach dem erfolgreichen wirtschaftlichen (Wieder-) Aufbau der Nachkriegszeit weitreichende strukturelle Veränderungen. Die wirtschaftliche Dominaz der USA wurde durch das Erstarken europäischer und später auch südostasiatischer Wirtschaftsmächte abgeschwächt. Die Branchenstrukturen in den Industrienationen veränderten sich stark, der primäre und der sekundäre Wirtschaftssektor verloren zugunsten des tertiären an Bedeutung. Nach knapp zwei Jahrzehnten wirtschaftlicher Hochkonjunktur zwischen 1950 und 1970 deuteten sich schließlich erste wirtschaftliche Konjunktur- und Strukturkrisen an.
Das fordistische Akkumulationsmodell geriet in eine Krise, als die Erstnachfrage nach Konsumgütern in den Industrienationen in vielen Bereichen gedeckt war und die Produktion oftmals nur noch eine Ergänzungsnachfrage zu befriedigen hatte. Verstärkt wurde diese Krise durch den gewaltigen Produktivitätsfortschritt. Beide Prozesse führten dazu, daß im produzierenden Sektor eine gewaltige Zahl von Arbeitskräften freigesetzt wurde, die zunächst noch vom tertiären Sektor aufgenommen werden konnte. Als jedoch die Rationalisierungswelle auch auf den Dienstleistungsbereich übergriff, kam es zu einer in der Nachkriegszeit bislang nie dagewesenen Strukturkrise.
‘So gesehen geht nun eine Periode zu Ende, die man nennen könnte: Fordismus plus Sozialstaat. Fordismus als Kombination von Massenproduktion von Konsumgütern und Massenkaufkraft der großen Mehrheit der Bevölkerung - dies aber nicht in der US-amerikanischen Fassung: als Sozialdarwinismus des Marktes, bei dem sich eben der Stärkere durchsetzt und der Schwächere auf der Strecke bleibt, sondern als Sozialstaat, der die Schwächeren auffängt im ‘sozialen Netz’’ (Kühnl 1994: 748).
Die Wirtschaftsunternehmen versuchen mit unterschiedlichen Strategien, auf diese Krise zu reagieren. In einer ersten Phase werden Teile der Produktion in Regionen ausgelagert, in denen die Lohnkosten niedriger sind, als an den bisherigen Standorten in den Industrienationen. Dadurch wird zwar die interne Krise noch weiter verschärft (Kaufkraftschwund), die Bedingungen der Kapitalakkumulation jedoch vorübergehend verbessert. Langfristig zeigt sich aber, daß es nicht mehr ausreicht, bestimmte Bereiche der Produktion für die Märkte der Industrienationen in Regionen mit niedrigen Lohnkosten durchzuführen. Um die Bedingungen des Massenkonsums weiter zu optimieren und im Konkurrenzkampf mit anderen Produzenten zu überleben, müssen von den Unternehmen neue (Erst-) Konsumenten auf neuen Märkten hinzugewonnen werden, um so die Produktionskosten unter die der Konkurrenz senken zu können (Economies of - large - Scale). Am besten läßt sich diese Strategie in Regionen umsetzen, die bislang durch ein extrem niedriges Niveau an massenkonsumfähigen Industriewaren gekennzeichnet, gleichzeitig aber bevölkerungsreich sind und - absolut gesehen - große, konsumorientierte Mittelschichten aufweisen.
Diese von den Industrienationen ausgehende Globalisierung der Produktion (Transnationalisierung) ist nicht nur notwendig geworden, um die (betrieblichen) Bedingungen der Kapitalakkumulation zu optimieren, sondern sie ist auch möglich geworden, da sich Kommunikations- und Transportzeiten und -kosten stark verringert haben.
These 2 Eine Globalisierung der Produktion setzt voraus, daß die Produktionsbedingungen, die im Rahmen nationaler Souveränitäten gesetzt sind, einander angeglichen werden. Dies geschieht dadurch, daß die Industrienationen versuchen, Einfluß auf die politischen Entscheidungen in sog. Entwicklungsländern zu nehmen (z.B. Strukturanpassung) und indem nationale Entscheidungsbefugnisse dauerhaft an internationale Institutionen (z.b. GATT) abgetreten werden.
Die seit Beginn der 80er Jahre durchgeführten Strukturanpassungsprogramme sowie die von Mitte der 80er Jahre bis Ende 1993 verhandelte Uruguay-Runde des GATT sind ein Hilfsmittel der Industrienationen und der dort ansässigen Transnationalen Unternehmen, eine globale Angleichung der Kapitalverwertungsbedingungen zu erreichen. Im Interesse der Transnationalen Unternehmen werden dabei die Bedingungen des Marktzugangs (Investitionsauflagen, Beschränkung von Beteiligungsanteilen), des Beschaffungswesens, des Kapitaltransfers (einschl. des Technologietransfers) und anderer Produktionsbestimmungen neu verhandelt. Für die wirtschaftliche Globalisierung von besonderer Bedeutung ist dabei die freie Konvertibilität der Währungen, ihr freier, d.h. nicht von staatlichen Devisenbeschränkungen reglementierter Umlauf sowie die Entstaatlichung der Kontrolle von Warenströmen und Investitionsbedingungen. Ein wichtiges Ziel Transnationaler Unternehmen ist es, die Kontrollmöglichkeiten von Regierungen abzubauen, so daß sich ihre Mobilität vergrößert. Angestrebt ist eine Regulierung der Wirtschaft über den Markt bei gleichzeitigem Rückzug des Staates aus wirtschaftlichen Bereichen. Die Aufgabe des Staates soll sich darauf beschränken, geeignete Rahmenbedingungen zum Funktionieren einer freien Marktwirtschaft zu garantieren. Dazu gehört die Eindämmung der konsumptiven Staatsausgaben, um das Ziel der Preisniveau-Stabilität zu erreichen, die Gewährleistung der freien Mobilität von Kapital und Waren - aber nicht von Arbeitskraft !! - sowie die juristische und politische Absicherung des Privateigentums. Wenn es den Interessen des internationalen Kapitals dienlich ist, sollen staatliche Befugnisse sogar ausgebaut werden, wie dies beim besseren Schutz geistiger Eigentumsrechte eindrucksvoll demonstriert wird (vgl. Kapital 4.2.2.5 der vorl. Arbeit).
Auch wenn Strukturanpassungsprogramme und die fortschreitende Liberalisierung des Welthandels tendenziell ähnliche wirtschaftspolitische Veränderungen in sog. Entwicklungsländern mit sich bringen, unterscheiden sich beide Maßnahmen jedoch hinsichtlich der Methode der Einflußnahme.
Strukturanpassungsprogramme setzen an der externen Verschuldungssituation eines Landes an. Dringend benötigte Kredite werden nur dann gewährt, wenn Regierungen sich bereiterklären, ihre Wirtschaft nach den Vorstellungen von IWF und Weltbank umzustrukturieren.Beide Institutionen sind in ihren Strukturen undemokratisch, d.h. die Industrienationen - allen voran die USA - sind in beiden Institutionen mit einer derartigen Machtfülle vertreten, daß sie die wirtschaftliche Ideologie dieser Institutionen nahezu vollständig bestimmen können. Die Wirtschaftspolitik sog. Entwicklungsländer kann auf diese Art und Weise an den Interessen der Industrienationen ausgerichtet werden. Eine Regierung kann zwar im Prinzip nicht zum Abschluß eines Strukturanpassungsabkommens gezwungen werden, in der Realität zeigt sich aber, daß aufgrund der bestehenden Verschuldungssituation häufig gar keine Alternative dazu besteht.
Anders beim GATT. Hier werden Verhandlungen nicht bilateral unter formal ungleichen Partnern geführt, sondern alle Vertragsparteien sitzen - formal gleichberechtigt - am Verhandlungstisch. Wie schon bei den Strukturanpassungsprogrammen kann auch hier keine Nation gezwungen werden, den Verhandlungsergebnissen zuzustimmen. Jedoch zeigt sich auch hier sehr deutlich, daß ein Ablehnung der Ergebnisse dem betreffenden Land bzw. seinen Eliten eher schaden als nützen würde.
Die Frage, ob Strukturanpassung bzw. Handelsliberalisierung einem Land nützt oder schadet, kann in einem solchen Rahmen nicht sinnvoll beantwortet werden. Zu fragen ist vielmehr danach, welche gesellschaftlichen Gruppen von derartigen Prozessen profitieren und welche von ihnen geschädigt werden.1 Strukturanpassungsprogramme und Handelsliberalisierung führen immer - zumindest vorübergehend - dazu, daß sich die Lebensbedingungen bestimmter Bevölkerungsgruppen verschlechtern und die anderer verbessern. Lösungen, bei denen alle Bevölkerungsgruppen profitieren, wird es dabei nicht geben. Die relevante Frage nach den Auswirkungen von Stukturanpassung und Handelsliberalisierung ist deshalb nicht, ob sie nützen oder schaden, sondern wem sie nützen und wem sie schaden.
„Various studies of the IWF-led adjustment programmes have shown that while they had mixed impact on balance of payment and growth rates, they were accompanied by a rise in unemployment and inflation rates, shifted income distribution in favour of the rich and adversely affected the living conditions of the workers and poor sections“ (Singh 1993: 280).
These 3: Die externe Durchdringung von Volkswirtschaften in sog. Entwicklungsländern in Form von Portfolioinvestitionen2 und Joint Ventures2 hat einen eher negativen Effekt auf die Beschäftigungssituation, da davon ausgegangen werden muß, daß in den meisten Fällen die Kapitalintensität stark ansteigt, während die Arbeitsintensität zurückgeht. Das führt dazu, daß eines der dringlichsten Probleme der sog. Entwicklungsländer - die ausreichende Versorgung einer wachsenden Bevölkerung mit angemessenen Arbeitsplätzen - sich weiter verschärft.
Mit der zunehmenden Globalisierung von Produktion, Finanzströmen und der Angleichung der Kapitalverwertungsbedingungen geht eine teilweise Verschiebung der Quellen der Kapitalakkumulation einher. Viele Unternehmen, die sich in bevölkerungsreichen sog. Entwicklungsländern engagieren, verzichten darauf, dort eigene Produktionsstätten zu errichten und mit einheimischen Produzenten in Konkurrenz zu treten. Häufig werden vielmehr Beteiligungen an bestehenden Unternehmen vorgezogen. Die Investitionskosten können dadurch nicht nur niedriger gehalten werden, die ausländischen Inverstoren profitieren häufig auch von der bereits gut entwickelten Infrastruktur der einheimischen Partnerfirmen, z.B. hinsichtlich der Vermarktung. Der Trend zum Joint Venture, aber auch das verstärkte Engagement im Bereich der Finanz- und Versicherungsdienstleistungen ist Ausdruck dieser neuen Kapitalverwertungsstrategien.
Da unterschiedliche Unternehmen immer mehr global miteinander in Konkurrenz treten, sind arbeitsintensive Technologien selbst dort kaum noch einsetzbar, wo die Lohnkosten sehr niedrig sind. Es kommt nicht mehr nur darauf an, die Stückkosten eine Produktes niedrig zu halten, sondern die Anforderungen an Qualität und Quantität (Massenproduktion) führen auch in Nationen mit niedrigen Lohnkosten dazu, daß verstärkt kapitalintensive Technologien zum Einsatz kommen. Nicht das Lohnniveau ist daher mittel- bis langfristig der entscheidende Faktor bei der Investitionsentscheidung, sondern in zunehmendem Maße der Qualifizierungsgrad der Arbeiterschaft und die Produktivitätsrate, die mit ihr erreicht werden kann. Bei Portfolioinvestitionen und Joint Ventures werden zudem häufig keine neuen Produktionsstätten errichtet, sondern nur die Eigentumsform bestehender Unternehmen verändert. Diese Unternehmen werden dann mit Hilfe des auländischen Partners modernisiert, wobei i.d.R. Arbeitsplätze vernichtet werden1.
Hinzu kommt, daß durch eine solche Investitionsstrategie die Verlagerung von Standorten einfacher wird. Die ausländischen Unternehmen werden dadurch in ihren Investitionsentscheidungen flexibler. Es ist einfacher und weniger verlustreich, in wirtschaftlichen und politischen Krisenzeiten - oder wenn sich anderswo noch günstigere Standorte anbieten - Unternehmensbeteiligungen abzustoßen, als teuer errichtete Produktionsstätten aufzugeben. Mit dieser erhöhten Flexibilität der Transnationalen Unternehmen steigt jedoch auch das Risiko für die nationalen Volkswirtschaften. Wenn sich das Investitionsklima (relativ) verschlechtert, müssen sie u.U. mit schweren wirtschaftlichen Rückschlägen rechnen, die i.d.R. ebenso schwerwiegende gesamtgesellschaftliche Konsequenzen haben.
Parallel zu dieser, maßgeblich von den Industrienationen ausgehenden wirtschaftlichen Dynamik, finden sich in den sog. Entwicklungsländern Prozesse, die diesen Trend verstärken. Die Anfang der 80er Jahre ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückte Verschuldung vieler sog. Entwicklungsländer hatte ihre Ursachen (a) in der wirtschaftlichen Krise der Industrienationen (Rezession, zurückgehende Exporterlöse vieler sog. Entwicklungsländer, Protektionismus der Industrienationen), (b) im ständig wachsenden Haushaltsdefizit der USA, das die Zinssätze auf den internationalen Finanzmärkten stark ansteigen ließ, (c) in weltwirtschaftlichen und politischen Veränderungen (Ölpreiskrisen 1973/79) und (d) in ehrgeizigen, mit ausländischem Kapital finanzierten Projekten in den sog. Entwicklungsländern selbst, die entweder überdimensioniert waren, aufgrund der sich ändernden weltwirtschaftlichen Bedingungen (betriebswirtschaftlich) unrentabel wurden, oder die bereits von Beginn an gar keine wirtschaftliche Funktion hatten, sondern lediglich Prestigeobjekte einer verschwenderischen Staatselite waren.
In nicht wenigen der sog. Entwicklungsländern war jedoch die wirtschaftliche Krise der 80er Jahre Folge einer binnenorientierten Importsubstitutionspolitik, die gerade zu einem Zeitpunkt der Krise, als der Zugang zu den Märkten der Industrienationen für viele Produkte immer schwieriger wurde, eine Außenorientierung erfahren sollte. So führte der Versuch, die durch die Importsubstitutionspolitik verursachte technologische Rückständigkeit zu überwinden, zu einer Verschuldung, die in einer ganzen Reihe von Ländern kaum noch zu managen war und die auch das internationale Finanzsystem zeitweise in arge Bedrängnis brachte.
Die von IWF und Weltbank als Reaktion auf die Verschuldung (und Zahlungsunfähigkeit) eingeleiteten Strukturanpassungsprogramme förderten jedoch genau solche Wirtschaftspolitiken, die zum Entstehen des Verschuldungsproblems beigetragen hatten. Regelmäßig wurde die Überwindung der Wirtschaftskrise in einer noch weitergehenden Außenorientierung gesehen. Die nationalen Währungen wurden abgewertet, die Exportwirtschaft sollte stark augeweitet und die Importe (für bestimmte Produkte) eingefroren werden. Die betreffenden Länder sollten so mittelfristig in die Lage versetzt werden, durch einen Außenhandelsüberschuß genügend Devisen zu erwirtschaften, um ihren Schuldendienstverpflichtungen nachkommen zu können. Daß die Strukturanpassungspolitiken das Anliegen der Industrienationen hinsichtlich der Erschließung neuer Märkte begünstigen, wird nicht zuletzt daran deutlich, daß zumeist auch der Abbau von Importrestriktionen und -zöllen auf der ‘Anpassungsagenda’ steht.
These 4 Nicht nur die wirtschaftlichen Eliten der Industrienationen haben Interesse an einer stärkeren Anbindung sog. Entwicklungsgesellschaften an die Weltwirtschaft, sondern auch die eigenen wirtschaftlichen Eliten der betroffenen Nationen. Einerseits können sie nicht weiterhin vom Weltmarkt abgeschottet wirtschaften, da wegen der fehlenden Kaufkraft großer Bevölkerungsgruppen die interne Nachfrage kaum ausgeweitet werden kann. Andererseits müssen sie sich jedoch bei einer Öffnung der eigenen Märkte vor der überlegenen ausländischen Konkurrenz wirksam schützen. Die Errichtung von Joint Ventures ist eine Überlebensstrategie der einheimischen Industrie, da sie technologisch den auländischen Unternehmen stark unterlegen ist und von ihnen preislich leicht unterboten werden kann.1
Die internen Maßnahmen der Strukturanpassung (Privatisierung, Senkung der Staatsausgaben etc.), die auf den ersten Blick haupsächlich auf interne Machtkonstellationen zurückzugehen scheinen, sind durchaus auch extern induziert, denn die von den Transnationalen Konzernen beabsichtigte Marktdurchdringung setzt die ‘freie’ Konkurrenz zwischen Unternehmen, die Schaffung von weiterer Kaufkraft bei konsumorientierten Gruppen sowie die Lösung der internen und externen Staatsverschuldung voraus. Die ‘freie’ Konkurrenz zwischen Unternehmen macht es erforderlich, daß Staatsunternehmen, die durch die Inanspruchnahme staatlicher Begünstigungen Produktionsvorteile haben, verschwinden bzw. auf ihre Vorteile verzichten müssen. Allerdings sollte bei dieser - oberflächlich durchaus gerechtfertigten – Forderung berücksichtigt werden, daß zwischen nationalen (Privat-) Unternehmen und Transnationalen Unternehmen nicht selten so starke Asymetrien bestehen, daß von einer ‘freien’ oder gar ‘fairen’ Konkurrenz keine Rede sein kann. Sowohl hinsichtlich der technologischen wie auch der finanziellen Ausstattung sind die Transnationalen Unternehmen den nationalen (Privat)-Unternehmen überlegen. Aus diesem Grunde werden auch von den nationalen Unternehmen Unternehmensbeteiligungen von ausländischen Investoren favorisiert. Man kann auf diese Weise vom technologischen Vorsprung und der im Ausland bestehenden Vermarktungsstruktur profitieren und muß darüberhinaus weniger fürchten, vom inländischen Markt verdrängt zu werden. Dies würde z.B. dann geschehen, wenn das auländische Unternehmen als eigenständige Konkurrenz im Inland auftreten würde.
These 5 Angesichts der Ausgangsbedingungen und im Vergleich zu anderen sog. Entwicklungsländern kann die wirtschaftliche Entwicklung Indiens seit 1947 durchaus als positiv bewertet werden. Da es aber versäumt wurde, diese wirtschaftliche Entwicklung sozial abzusichern, geriet die indische Wirtschaft mit dem Ende der 80er Jahre in eine Nachfragekrise, die durch eine zunehmende Exportorientierung behoben werden soll. Die gesellschaftlichen Disparitäten verschärfen sich dadurch weiter.
Bei der wirtschaftlichen Entwicklung Indiens nach der Unabhängigkeit spielten sowohl der Staat als auch die private Industrie wichtige Rollen. Beide Wirtschaftssubjekte ergänzten sich durchaus sinnvoll. Die Privatindustrie sah in dem staatlichen Wirtschaftssektor zunächst weniger eine Konkurrenz um Ressourcen, als vielmehr einen sinnvoll ergänzenden Bereich, in welchem von staatlicher Seite aus Investitionen vorgenommen wurden, die sie selbst nicht erbringen konnte oder wollte. Die im Konzept der mixed economy durchgeführte sektorale Arbeitsteilung zwischen privater und staatlicher Industrie war nicht gegen die Interessen der Privatindustrie durchgesetzt, sondern sogar von führenden Vertretern derselben vorgeschlagen worden.
Erst allmählich wurde der staatliche Sektor der Wirtschaft von der Privatindustrie als Expansionshindernis wahrgenommen. Die Beanspruchung immer höherer staatlicher Leistungen belastete zum einen die öffentlichen Kassen immer mehr, und die vor ausländischer Konkurrenz geschützten Staatsbetriebe im Grundstoff- und Investitionsgüterbereich stellten zum anderen der Privatindustrie immer häufiger Produkte zur Weiterverarbeitung zur Verfügung, die weder preis- noch qualitätsmäßig mit den Produkten der ausländischen Konkurrenz Schritt halten konnten. Solange die indischen Unernehmen binnenmarktorientiert produzierten, konnte dieses Manko noch hingenommen werden, nicht zuletzt auch deshalb, weil die bestehenden Importschranken auch der privaten Industrie Schutz vor ausländischer Konkurrenz gewährten. Mit dem sich gegen Ende der 80er Jahre abzeichnenden Kaufkraftdefizit großer Teile der indischen Bevölkerung zeigte sich für die indische Industrie immer deutlicher, daß die Bedingungen der Kapitalakkumulation (kurz- bis mittelfristig) nur durch verstärkte Exportproduktion zu verbessern sind.
Diese Grenze der Nachfrage entstand dadurch, daß seit 1947 eine wirtschaftliche Entwicklung des Landes zwar stattgefunden hatte, es allerdings versäumt worden war, die Mehrheit der Bevölkerung daran zu beteiligen. Auch heute noch leben mehr als die Hälfte aller Inderinnen und Inder unter oder nahe der Armutsgrenze, d.h. sie verdienen nicht wesentlich mehr als sie zum bloßen Überleben benötigen. Diese Bevölkerungsgruppen scheiden als Konsumenten zur Ankurbelung der Wirtschft von vornherein aus.
Die seit Beginn der 80er Jahre eingeleitete neue Wirtschaftspolitik versucht, dieses strukturelle Problem auf zweierlei Art zu lösen. Erstens werden den konsumfähigen Mittelschichten weitreichende Zugeständnisse gemacht. Durch wiederholte Steuersenkungen und Amnestiemaßnahmen gegen Steuerhinterzieher und Schmuggler wird den Mittelschichten Kaufkraft in die Hände gegeben. Zweitens wird - verstärkt nach 1991 - die indische Wirtschft immer mehr auf den Export ausgerichtet. Diese Maßnahmen bewirken jedoch in ihrer Konsequenz, daß die dringend notwendigen gesellschaftlichen Umstrukturierungen nicht durchgeführt werden. Ganz im Gegenteil: mit der Förderung der Exportwirtschaft geht eine Kapitalintensivierung der Technologie einher. Indische, aber in verstärktem Maße auch Transnationale Unternehmen produzieren immer mehr für ausländische Märkte und den luxusorientierten indischen Binnenmarkt. Die Produktion für beide Märkte orientiert sich am westlichen (Export-)Standard und erfordert dadurch zunehmend eine technologische Modernisierung der Produktion.
Obwohl die Wachstumsraten der indischen Wirtschaft fast während der gesamten 80er Jahre sehr hoch waren, stagnierte in dieser Zeit die Beschäftigtenzahl im formellen Sektor. Die kapitalintensiven Technologien ließen jedoch die Verschuldung des Landes sehr stark ansteigen. Die Exporterwartungen konnten bei weitem nicht erfüllt werden, da sich - aufgrund der globalen Strukturkrise - die Märkte in den Industrienationen immer stärker mit Zollschranken und Einfuhrbeschränkungen abschotteten. Zunächst konnte zwar der indische Binnenmarkt die Konsumgüterproduktion aufnehmen, die indische Wirtschaft geriet jedoch gegen Ende der 80er Jahre in eine schwere Krise, da der Binnenmarkt mangels Kaufkraft großer Teile der Bevölkerung nicht weiter expandieren konnte.
These 6: Die seit Ende der 80er bis Anfang der 90er Jahre in Indien zutage tretende Wirtschaftskrise kann kaum als auslösendes Moment für die Öffnung der indischen Wirtschaft angesehen werden. Die Öffnungspolitik war bereits zu Beginn der 80er Jahre unter der Regierung Indira Gandhis begonnen und ab 1984 von Rajiv Gandhi weitergeführt worden. Auch die politische Krise, in der sich Indien seit Anfang der 90er Jahre befindet und die dazu führte, daß wichtige wirtschaftspolitische Entscheidungen nur halbherzig getroffen oder gar nicht angegangen wurden, kann nur in historischer Perspektive verstanden werden.
Die Krise, in der sich die indische Demokratie gegenwärtig befindet, kann im wesentlichen an vier Ursachen festgemacht werden: (a) in der Umstrukturierung des indischen Parteiensystems, d.h. dem Niedergang des Congress-Systems, der ein Machtvakuum zurückläßt, in dem sich unterschiedliche politische Kräfte zu etablieren versuchen, (b) in der Erosion der Legitimität der politischen Elite, innerhalb derer Korruption und die Verquickung von Politik und organisierter Kriminalität immer unübersehbarer werden, (c) in einer abnehmenden Zurückhaltung bei der Ausübung staatlicher Macht, was zu einer Eskalation gewalttätiger, regionaler Konflikte führte/ führt und (d) in einer veränderten Wahrnehmung des Staates, der ehemals als ein Instrument zur Verwirklichung sozialer Ziele gesehen wurde (Kothari 1991).
Sowohl die wirtschaftliche als auch die politische Krise des Landes lassen sich - vereinfacht ausgedrückt - auf die zunehmende Fragmentierung der indischen Gesellschaft zurückführen, die im Modernisierungsprozeß ihre Ursache hat. Es kristallisieren sich immer neue wirtschaftliche und politische Machtgruppen heraus, deren unterschiedliche Interessen immer weniger in Einklang zu bringen sind. Ausdruck dieses gesellschaftlichen Differenzierungsprozesses ist die Entstehung einer Vielzahl neuer Parteien und Bewegungen, in denen sich regionale, kulturelle, religiöse, sozio-ökonomische und ökologische Partikularinteressen vertreten sehen.
These 7: Die Umstrukturierung des indischen Pateiensystems: Die Entwicklung des Parteiensystems in Indien verlief aufgrund der kolonialen Vergangenheit des Landes vollkommen anders als in den Industienationen. Die bis Mitte der 60er Jahre unangefochten regierende Congress-Partei war aus dem Konflikt mit der britischen Kolonialmacht entstanden, wodurch internen Konflikten zunächst eine vergleichsweise untergeordnete Bedeutung zukam. Diese traten erst mit Erreichung der nationalen Unabhängigkeit in den Vordergrund, und das indische Parteiensystem begann sich allmählich entlang dieser Konfliktlinien auszudifferenzieren. Aufgrund der schwerwiegenden wirtschaftlichen, politischen und sozialen Probleme des Landes erfolgte bis heute eine zunehmende politische Destabilisierung, die sich im Parteiensystem und der Politischen Kultur niederschlägt.
„Die ‘Congress’-Partei war eine Dach-Partei, die sehr unterschiedliche Kräfte und Interessen vereinigte. (...) Verschiedene soziale und religiöse Gemeinschaften, verschiedene Religionen, verschiedene Interessen, linke und rechte Kräfte, alle waren in der Partei vertreten. Und sie wurde von einem in Indien oft genutzten System zusammengehalten: Konsens, dem Konsens über fundamentale Voraussetzungen in Indien. Das ist nun zusammengebrochen. Es gibt keinen Konsens mehr.“ (Kothari 1994: 36)
Makrosoziologische Modelle, die das Entstehen von Parteiensystemen und deren Veränderung untersuchen, gehen davon aus, daß sich die Entstehung von Parteiensystemen an den spezifischen gesellschaftlichen Konfliktstrukturen orientiert. Diese unterschiedlichen Konflikte werden von Gruppen mit divergierenden Interessen ausgetragen. Wenn sich nun Gruppen mit übereinstimmenden Interessenslagen organisieren, um sich gegen andere Interessensgruppen politisch durchzusetzen, ist der Grundstein für die Entwicklung politischer Parteien gelegt. So entstehen im Prozeß der Nationwerdung der Zentrum-Peripherie- und der Kulturkonflikt. Eine andere Konfliktebene spiegelt die heterogenen ökonomischen Interessen wieder. Hier sind z.B. die unterschiedlichen Interessen der einzelnen Wirtschaftssektoren zu nennen - am deutlichsten ausgeprägt im Stadt-Land Gegensatz - und der Klassenkonflikt. Ein weiterer wichtiger Konfliktbereich ist jener zwischen Kirche und Staat, der z.B. im Prozeß der Säkularisierung seinen Ausdruck findet. Für die Entstehung von Parteien aus diesen Konfliktebenen führt die Politische Soziologie den Begriff des Cleavages ein.
„Unter einem Cleavage sei verstanden ein dauerhafter politischer Konflikt, der in der Sozialstruktur verankert ist und im Parteiensystem seinen Ausdruck gefunden hat. Stinchcombe hat mit guten Argumenten vorgeschlagen, Cleavages am besten als Koalitionen zwischen Parteieliten und bestimmten sozialen Gruppen aufzufassen“ (Pappi 1977: 195).
Dieser Erklärungsansatz wurde vor dem Hintergrund der europäischen und nordamerikanischen Geschichte entwickelt. Fraglich ist, ob dadurch auch die Entstehung von Parteiensystemen aus einer kolonialen Abhängigkeit heraus erklärt werden kann. Die Entwicklung der Parteienlandschaften in sog. Entwicklungsländern verlief zumeist anders. Wenn das betreffende Land eine Kolonie war, war die wichtigste Konfliktebene die Auseinandersetzung mir der Kolonialmacht, die alle anderen (internen) Konfliktebenen in den Hintergrund treten ließ. I.d.R. wurde die koloniale Befreiungsbewegung nach Erlangung der Unabhängigkeit auch zur stärksten Partei.
So war der Indische Nationalkongress zunächst eine Bewegung, die ihre Ziele in der Erringung der nationalen Unabhängigkeit und ihrer konkreten Gestaltung sah. Um dies zu erreichen, versuchte sie, ein möglichst breites Spektrum gesellschaftlicher Kräfte hinter sich zu vereinen. Interne Interessensunterschiede wurden dem gemeinsamen Ziel der Unabhängigkeit erst einmal untergeordnet. Erst nach Erlangung der Unabhängigkeit konnte sich in Indien allmählich ein Parteiensystem herauskristallisieren, das interne Interessenslagen in den Mittelpunkt rückte. Die Entwicklung der Parteiensysteme westlicher Industrienationen zeigt deutlich die Tendenz, daß - ausgehend von einer großen Vielfalt - die meisten Parteien allmählich verschwanden und nur noch wenige „Volksparteien“ übrigbleiben, die sich ideologisch immer ähnlicher wurden. In Indien ist eine eher umgekehrte Entwicklung zu beobachten. Eine einzige große, aus dem Unabhängigkeitskampf hervorgegangene Partei bestimmte jahrzehntelang unangefochten die politischen Geschicke des Landes, sowohl auf nationaler Ebene wie auch in den meisten Bundesstaaten. Trotz eines Mehrheitswahlrechtes kam es jedoch seit Mitte der 60er Jahre1 allmählich zu einer Differenzierung der Parteienlandschaft.
Interne Konfliktstrukturen begannen aufzubrechen, regionale Identitäten verstärkten sich und wurden zunehmend politisch wirksam. Der säkulare Staat sah sich plötzlich der Bedrohung durch Parteien ausgesetzt, die eine religiös eingefärbte Programmatik vertraten, wie dies z.B. am Bedeutungsgewinn der BJP ersichtlich ist. Gleichzeitig begannen aber auch zunehmend Parteien und Bewegungen eine wichtige Rolle zu spielen, die die Klassen- bzw. Kastenfragen in den Mittelpunkt ihrer Programme rückten. Diese aufbrechenden Konfliktlinien stellten jedoch nur selten wirklich neue issues dar. Ihre Ursprünge lassen sich in den allermeisten Fällen bis in die Zeit vor der Unabhängigkeit zurückverfolgen.2
Die Entwicklung des indischen Parteiensystems wurde also durch den Unabhängigkeitskampf gestört. Es konnten sich in der Wählerschaft kaum Parteiidentifikationen ausbilden, die internen Konfliktebenen zuzuordnen gewesen wären. Die Konsequenz der politischen Sozialisation unter dem Eindruck des Unabhängigkeitskampfes war vielmehr die Identifikation großer Wählergruppen mit der Congress-Partei und ihrem charismatischen Führer Jawaharlal Nehru. Anders als in der Frage der nationalen Unabhängigkeit konnte die Congress-Partei nach 1947 zu vielen internen Konflikten jedoch nicht eindeutig Stellung beziehen. Sie mußte nun vielerlei, sich oftmals widersprechenden Positionen vereinen, um als ‘Volkspartei’ nicht unterzugehen. Mit zunehmender Ausdifferenzierung der indischen Gesellschaft wurde dies immer schwieriger, zumal der nationale Unabhängigkeitskampf - und damit auch die Identifikation mit der Congress-Partei - für die jüngeren Wähler mehr und mehr zu einem Teil der Geschichte wurde. Nehrus Tod im Jahr 1964 schwächte deutlich die Fähigkeit der Partei, unterschiedliche gesellschaftliche Interessen zu integrieren.
Die europäischen ‘Volksparteien’ waren dadurch entstanden, daß sich die traditionellen Konfliktlinien allmählich abschwächten und die Parteien es wagen konnten - und wagen mußten - neue Wählerschichten zu rekrutieren. Die Stabilisierung der europäischen Parteiensysteme fand in den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg vor dem Hintergrund einer langanhaltenden wirtschaftlichen Prosperitätsphase statt, was hinsichtlich des Parteiensystems einen Trend zur ‘ideologischen Mitte’ hervorbrachte.3
Von einem solchen Trend kann in Indien nicht die Rede sein. Nach Erreichen der nationalen Unabhängigkeit verloren die internen Konflikte nicht an Bedeutung, sie konnten - im Gegenteil - erst jetzt wirklich thematisiert werden. So bildete sich inzwischen eine Parteienlandschaft heraus, die von mehreren nationalen und einer Vielzahl regionaler Parteien geprägt ist. Im Zuge dieser Entwicklung ist es für die Parteien immer schwieriger geworden, ohne entsprechende Koalition überhaupt noch regierungsfähige Mehrheiten zu erlangen. Die seit 1989 existierenden Koalitions- und Minderheitsregierungen haben zu einem erheblichen Verlust an politischer Stabilität geführt. Es fehlt ein gesellschaftlicher Konsens, der tragfähige Koalitionen unterschiedlicher Parteien ermöglichen würde. Diese politische Instabilität greift auch zunehmend auf das Verhältnis zwischen der Zentralregierung und den Bundesländern über, besonders wenn sich in dieser Konstellation oppositionelle Parteien gegenüberstehen. Die Schwächung der Zentralregierung führt dabei zu einer Schwächung der Länderregierungen. Diese müssen aus machtpolitischen Gründen immer mehr dafür herhalten, das schwache Zentrum zu stützen - oder es im Falle der Opposition weiter zu schwächen - statt als Sprachrohr für unterschiedliche regionale, kulturelle, ökonomische u.a. Interessen aufzutreten. Und natürlich sind es auch die Bundesländer, die an den Folgen der wirtschaftlichen Krise am schwersten zu tragen haben. Die Verfassung ordnet ihnen zentrale entwicklungsrelevante Aufgaben zu, denen sie aufgrund ihrer zunehmend unzureichenden finanziellen Ausstattung kaum noch sinnvoll nachkommen können.
Die Unzufriedenheit der Wähler richtet sich gegen die Landesregierungen, die für die Gestaltung vieler, vor allem aber auch sozialer Bereiche zuständig sind. Diese Gestaltungskompetenzen bieten den Länderregierungen jedoch auch Profilierungsmöglichkeiten. Mittels populistischer Maßnahmen werden dabei die Widersprüche zwischen einer regierenden politischen Elite - die Partikularinteressen vertritt - und dem ‘gemeinen’ Wahlvolk verdeckt. Dieser Populismus, der seinen offensichtlichsten Ausdruck in teuren ‘Geschenken’ an unterschiedlichste Bevölkerungsgruppen findet, verschleiert die Notwendigkeit struktureller Veränderungen. Er bietet jedoch den Zielgruppen Identifikationsmöglichkeiten, da sie durch die ‘Geschenke’ ihrer Regierung - vordergründig - durchaus profitieren. Es ist allerdings absehbar, daß die sich immer mehr zuspitzende Lage von Zentral- und Landesregierung(en) einem ausufernden Populismus Grenzen setzen wird. Diese politische Strategie wird daher immer weniger geeignet sein, gesellschaftliche Spannungen zu kanalisieren. Als wirkungsvolles Instrument des Machterwerbs und -erhaltes wird es mittelfristig anderen Strategien Platz machen müssen, die u.U. noch schädlicher sind.
These 8 Die Erosion politischer Legitimität, die Verhältnismäßigkeit in der Machtausübung und das gewandelte Staatsverständnis: Die politische Elite entfremdet sich der Bevölkerung immer mehr und verliert ihre soziale Basis. Es wird immer deutlicher, daß die politischen Institutionen in vielen Fällen zum Privateigentum einzelner Politiker/Dynastien werden. Machterhalt wird zum dominierenden Motiv politischen Handelns. Die Mittel scheinen beliebig: erlaubt ist, was nützt.
Im Zuge des sich abzeichnenden Niedergangs des Congress-Systems setzte sich in Indien eine Politische Kultur durch, die dem demokratischen System schweren Schaden zufügte.
‘The present day political culture of the Congress (I) is the dominant political culture. This culture is far away from the one which started evolving in the nineteenth and the first half of the twentieth century. It is a culture of the tough professional politican whose only value in life is power. He looks politics as a career and wants to live ‘off politics’ as Weber said in his ‘Politics as a Vocation’. Sanjay Gandhi represented this culture fully. His crownies followed the same trend. The use of black money, use of income-tax raids, use of muscle power, of regular dacoits to terrorise the opponents, everythings has been considered fair in politics.’ (Sirisikar 1987: 96f).
Die Zerrüttung der politischen Kultur auf nationalstaatlicher Ebene setzte mit dem von Indira Gandhi Mitte der 70er Jahre verhängten Ausnahmezustand (endgültig) ein. Große Teile der politischen Opposition verschwanden hinter Gefängnismauern, die Pressefreiheit wurde eingeschränkt und die Menschenrechte in ungezählten Fällen mißachtet (Frank 1977). Auch wenn die Wählerschaft Indira Gandhi 1977 einen Denkzettel für die Mißachtung demokratischer Prinzipien und Institutionen verpaßte (Weiner 1989: 22), wurde in den folgenden eineinhalb Jahrzehnten die Politische Kultur des Landes weiter erodiert. Mit der Wahl von V.P. Singh zum Ministerpräsidenten gaben die Wählerinnen und Wähler im Jahr 1989 zwar ein weiteres Mal ihrem Unmut über den schleichenden Niedergang der indischen Demokratie Ausdruck, doch die darauf folgende Regierungszeit der National Front machte deutlich, daß das Verständnis von Politik als reiner Machtpolitik inzwischen auf alle Parteien übergegriffen hatte.
Die Korrumpiertheit und der zunehmende populistische Charakter indischer Politik hängen sehr eng miteinander zusammen, wie am Beispiel Tamil Nadus in der vorliegenden Arbeit ausführlich dargestellt wird. Die gestörte Entwicklung des Parteiensystems hat dazu beigetragen, daß es vielen Parteien sowohl an einer eindeutigen Ideologie wie auch an einer Stammwählerschaft mangelt. Für viele Wähler sind die Parteien austauschbar geworden. Bei den Wahlen versuchen die Parteien deshalb, möglichst alle gesellschaftlichen Segmente gleichermaßen zu erreichen. Da dies nicht durch eindeutige Sach- und Interessenspolitiken möglich ist, werden Themen aufgegriffen und populistisch aufbereitet, die über Klassen- und Kastenschranken hinweg große Teile der Bevölkerung ansprechen.1
So geht es in Wahlkämpfen immer weniger darum, daß Parteien mit unterschiedlichen Programmen und Visionen gegeneinander antreten. Wahlentscheidend ist vielmehr, welche Partei die geschickteste Massenpsychologie betreibt. Wahlkämpfe werden immer mehr zu teuren Materialschlachten. ‘Geschenke’ ködern die unterschiedlichsten gesellschaftlichen Gruppen, Poster überschwemmen Städte und Dörfer, pompöse Wahlkampfveranstaltungen werden überall abgehalten. All dies kann nicht mehr von den Parteien alleine finanziert werden, geschweige denn von einzelnen Kandidaten, die sich ihre Kandidatur nicht selten erkaufen müssen. Parteien und Kandidaten werden so immer mehr von Geldgebern abhängig, die konkrete Erwartungen an ihre Unterstützung knüpfen. Die Kandidaten selbst stecken i.d.R. riesige Geldsummen in den Wahlkampf, die sie selbst dann nicht wieder einnehmen könnten, wenn sie mehrere Legislaturperioden im Parlament blieben. Für sie lohnt sich der Einstieg in die Politik nur, wenn sich ihnen die Aussicht bietet, die Ausgaben für den Wahlkampf illegal oder halblegal kompensieren zu können.
Komplementär zu dieser Erosion politischer Legitimität wird der Staat immer mehr zum ‘Privateigentum’ einzelner Politiker. Er verliert dadurch die ihm ursprünglich einmal zugedachte Funktion als Instrument zur Durchsetzung sozialer Ziele. Diese Prozesse finden sich auf nationaler, viel ausgeprägter aber noch auf bundesstaatlicher Ebene, wie die vorliegende Arbeit am Beispiel Tamil Nadus aufzeigt.
Die hier skizzierten Entwicklungen werden von einer zunehmend unverhältnismäßigen Art der Machtausübung begleitet. Nach der Unabhängigkeit nahm die Konsolidierung des nationalen Gemeinwesens allererste Priorität ein (Nation Building). Hierin unterscheidet sich Indien nicht wesentlich von anderen, ehemals kolonisierten Staaten. Von den politischen Eliten wurde die staatliche Gewalt als ein Mittel verstanden, das den Aufbau und die Konsolidierung eines Nationalstaates gewährleisten sollte. Staat ist damit kein Organ der Zivilen Gesellschaft, sondern eine zentralisierte Autorität, die die zivile Gesellschaft nach ihren Interessen ‘sinnvoll’ strukturiert. Auf diese Weise wurden im Prozeß des Nation Buildings die sozioökonomischen und kulturellen Vorstellungen der politischen Eliten zum Maßstab. Regionale, und d.h. in diesem Zusammenhang besonders kulturelle Unterschiede wurden großzügig übergangen und Minderheiten in ein nationalstaatliches Konzept eingepaßt, das sie nicht selten zwang, ihre kulturellen Identitäten aufzugeben. In einer so extrem pluralistischen Gesellschaft wie der indischen wurden dadurch große Teile der Bevölkerung politisch, kulturell, aber auch ökonomisch entwurzelt. Diese Konzept der Nationwerdung rief in vielen Gebieten Indiens heftige Gegenreaktionen hervor, auf die der Staat wiederum gewalttätig reagierte.
‘The truly paradoxical logic of this scenario of the centralised nation state is, that it has become at once highly repressive and highly fragile, and the more the fragitility the more the repression (and vice versa)’ (Kothari 1991: 555).
Der indische Staat ist immer weniger in der Lage, diese Spirale der Gewalt zu kontrollieren. Ganz im Gegenteil, durch seine eigene, zunehmende Gewaltbereitschaft trägt er entscheidend dazu bei, daß regionale Konflikte immer weiter eskalieren. Ein schwacher Staat schwächt sich noch mehr, indem er hilflos gewalttätig um sich schlägt und den zentrifugalen Kräften damit weiter Nahrung gibt. Von den regierenden Parteien werden bestehende regionale Konflikte mit machtpolitischem Kalkül instrumentalisiert. So verwandelte z.B. Indira Gandhi nach ihrem erneuten Machtantritt Anfang der 80er Jahre das Punjab-Problem in ein Hindu-Sikh-Problem, verlagerte ein ökonomisches Problem in die religiöse Dimension. Sie gab damit das Prinzip des Säkularismus auf, indem sie selbst kommunalistisch agierte.
‘In gewisser Weise war die Kongresspartei die erste Partei, die sich des Kommunalismus bediente, und das ist die größte Abkehr vom Konsens der Nehru-Ära, der in erster Linie ein säkularer Konsens war. (...) Inwiefern die dominanten Parteien, also BJP und Kongreß, auf die kommunalistische, die religiöse Karte setzen, um an der Macht zu bleiben, ist eine sehr wichtige Frage für die Zukunft des indischen Staates’ (Kothari 1994: 37).
20.2.1.1 Politische Ökonomie und Mikroebene
Die lokale Ebene ist mit den bisher skizzierten übergeordneten politisch-ökonomischen Strukturen vielfältig verflochten. Die Lebenschancen von Menschen werden durch Veränderungen beeinträchtigt, die weit entfernt von ihrer eigentlichen Lebenswelt stattfinden. Diese Veränderungen betreffen sie sowohl als Produzenten bzw. Lohnempfänger sowie auch als Konsumenten.
Die Menschen in Nochikuppam, zumindest wenn sie noch dem Fischfang nachgehen, werden als Produzenten in erster Linie von der staatlichen Fischereipolitik beeinträchtigt. Diese Politik umfaßt dabei mehrere Aspekte, die es zu hinterfragen gilt: (a) Welche privatwirtschaftlichen Interessen können sich aus welchen Gründen bei der Formulierung einer Fischereipolitik durchsetzen? (b) Welche staatlichen Interessen kommen in ihr zum Ausdruck? © Welche Rolle wird dabei den Kleinfischern zugemessen?
Der Fischereibereich Indiens war einer der ersten Wirtschaftsbereiche, die modernisiert wurden. Anfänglich sollte dieser Prozeß zu einem sozialen Wandel innerhalb der Fischergemeinschaften führen, d.h. das staatliche Interesse bestand zunächst in der Verbesserung der Lebenssituation der Kleinfischer mittels technologischer, institutioneller und infrastruktureller Veränderungen. Nationale privatwirtschaftliche Interessen gab es in dieser Frühphase der Fischereimodernisierung kaum, da die indische Privatindustrie den Fischereisektor als wenig profitträchtig einschätzte. Internationale privatwirtschaftliche Interessen gab es jedoch bei den ausländischen Unternehmen, die ihre Fischereitechnologie (Boote, Motoren, Gefrieranlagen etc.) in Indien verkaufen wollten. Die Kleinfischer selbst hatten zunächst auch kein Interesse an einer Modernisierung, da sie schlichtweg die dazu benötigten Kosten von sich aus nicht aufbringen konnten. Erst als der indische Staat hierzu Kredite und Zuschüsse verteilte, wurde die neue Technologie von Teilen der Fischer übernommen. Diese Übernahme fand deshalb sehr selektiv statt, weil sie nur für jene Fischer möglich wurde, die Einfluß auf die Vergabe staatlicher Entwicklungsgelder nehmen konnten.
Mit den steigenden Garnelenpreisen auf dem Weltmarkt änderten sich die Interessenslagen. Die private Industrie sah sich aufgrund guter Profitmöglichkeiten ermutigt, im Fischereibereich zu investieren. Sie erhielt dabei die volle Unterstützung des Staates, der im Handel mit Meeresprodukten eine immer wichtiger werdende Devisenquelle erkannte. Für den Staat kann es aus dieser Interessenslage heraus eigentlich einerlei sein, ob die Garnelen von Kleinfischern, von ehemaligen Kleinfischern, die nun ein Trawlerboot erwerben konnten, oder von Unternehmern, die von außerhalb des Fischereibereichs kommen, gefangen werden. Es ist festzustellen, daß sich alle drei der genannten Gruppen am Garnelenfang beteiligen. Die staatliche Unterstützung ist jedoch sehr unausgewogen. Gefördert werden hauptsächlich moderne Fangformen, d.h. besonders die Trawlerfischerei. In diesem Zuge werden sowohl Industrieunternehmen wie auch modernisierungswillige Kleinfischer gefördert. Da letztere jedoch einen Anteil der Modernisierungskosten übernehmen müßten, was sie in den seltensten Fällen können, wird die moderne Fischerei schon sehr bald von Industrieunternehmen sowie von Gruppen dominiert werden, die höchstens hinsichtlich ihres Kastenstatus’ noch den Fischern zuzurechnen sind, die ansonsten aber einer anderen Beschäftigung nachgehen.
Die Kleinfischer werden durch diese Entwicklung schwer getroffen. Sie können zwar einerseits ebenfalls von den hohen Garnelenpreisen auf dem Weltmarkt profitieren, müssen aber gleichzeitig zusehen, wie die hohe Produktivität und Destruktivität der modernen Fischerei allmählich ihre Lebensgrundlagen zerstört. Entscheidend ist jedoch, daß die gesteigerte Produktivität, die ja auch in der Kleinfischerei festzustellen ist (Einführung von Kunststoffnetzen) nicht zu einem Rückgang der in diesem Bereich Beschäftigten führt.
These 9: Die Erfahrungen der Industrienationen, in denen die Bedeutung des primären Sektors zugunsten des sekundären und tertiären Sektors innerhalb weniger Jahrzehnte stark zurückging, läßt sich auf die sog. Entwicklungsländer nicht übertragen.
Der Prozeß des sektoralen Strukturwandels in den Industrienationen hat in einer Periode starken industriellen Wachstums stattgefunden. Das Arbeitskräfteangebot war so knapp, daß - zusätzlich zu den Arbeitskräften aus der heimischen Landwirtschaft - sogar Gastarbeiter aus anderen Nationen benötigt wurden. Dieser Mangel an Arbeitskräften führte zu rasch ansteigenden Löhnen auch für un- bzw. angelernten Arbeitskräfte und intergrierte diese in eine schnell wachsende Massenkonsumgesellschaft. Der enorme Bedarf an Arbeitskräften glich auch den Verlust an Beschäftigungsmöglichkeiten in den sekundären (z.B. Kleinunternehmen, Handwerk) und tertiären (Kleinhandel, z.b. Tante-Emma Läden) Sektoren mehr als aus. Der Anreiz, die Beschäftigung im primären Bereich aufzugeben, ging also nicht so sehr von diesem, als vielmehr vom sekundären Sektor aus.1
Die heutige Situation der Massenarbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung in sog. Entwicklungsländern läßt einen solchen Wandel nicht zu. Nahezu alle ökonomischen Nischen sind besetzt, und die Einkommen im informellen Sektor liegen deshalb nicht wesentlich über dem Reproduktionsniveau. Diese Situation kann den Fischern kaum einen Anreiz bieten, ihre traditionelle Beschäftigung aufzugeben, auch wenn die stagnierenden bzw. leicht zurückgehenden Fänge unter immer mehr Beschäftigten aufgeteilt werden. Einen entscheidenden Anteil an dieser noch vergleichsweise günstigen Situation für die Kleinfischer haben die hohen Preise, die für Garnelen auf dem Weltmarkt gezahlt werden. Langfristig zerstört aber gerade diese ökonomisch eher positive Ausgangslage die Lebensgrundlage der Fischer, da sie zu ungebremster Überfischung führt.
Sozial angemessen und wirtschaftlich sinnvoll wäre eine kapitalintensive Modernisierung des Fischereibereiches deshalb nur dann, wenn gleichzeitig für die Kleinfischer,die immer näher am Reproduktionsniveau wirtschaften, alternative Beschäftigungsmöglichkeiten geschaffen würden. Man kann die zunehmende Marginalisierung der Kleinfischer jedoch nicht dem Versagen des Arbeirsmarktes zuschreiben, da die Arbeitsmarktpolitik - d.h. in diesem Fall hauptsächlich die Technologiepolitik - selbst nur eine Auswirkung der politisch-ökonomischen Gesamtkonstellation ist. Alternativen zu dieser Politik sind deshalb zwar ökonomisch, politisch jedoch nicht durchsetzbar.
In Indien setzen sich - ebenso wie in den Industrienationen - Interessensgruppen durch, die dem Staat im Wirtschaftsprozeß eine vollkommen neue Rolle zuweisen. Die Möglichkeiten des Staates, zugunsten von Armutsgruppen zu intervenieren, werden dadurch beschnitten. Ihr Überleben wird immer abhängiger vom Marktgeschehen. Gleichzeitig führt eine zunehmende Globalisierung von Produktion, Distribution und Konsumption dazu, daß die Chancen bestimmter Bevölkerungsgruppen auf eine erfolgreiche Teilnahme am Marktgeschehen - sei es als Produzenten oder Konsumenten - tendenziell abnehmen.
Der Verlagerung von Produktionsstätten Transnationaler Konzerne nach Indien führt netto nicht zur Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze, da i.d.R. das Produktivitätsgefälle zwischen der abzuschaffenden alten und der neu eingeführten Technologie zu groß ist. Mit der Privatisierung der häufig personell stark überbesetzten staatlichen Unternehmen wird dieser Prozeß verstärkt. Die Anzahl der Arbeitsplätze im organisierten Sektor geht eher zurück, da - zusätzlich zum steigenden Produktivitätsniveau - viele Schritte des modernen Produktionsablaufes von Subunternehmen im informellen Sektor ausgeführt werden. Die Kluft zwischen sehr gut bezahlten Beschäftigungen im modernen und schlecht bezahlten im ‘informellen’ Sektor wird sich dadurch tendenziell noch vergrößern.1
So dehnen sich denn auch umfassende Sozialversicherungssysteme nicht etwa auf einen anwachsenden Beschäftigtenkreis aus, es bildet sich vielmehr eine ‘Arbeitsaristokratie’ heraus, die - im Gegensatz zu früher - allerdings mehr und mehr im privaten Sektor zu finden sein wird. Joint Ventures und Tochterfirmen Transnationaler Konzerne werden dabei am ehesten in der Lage sein, ihren Beschäftigten eine - für indische Verhältnisse - hohe Bezahlung und gute Sozialstandards zu gewähren. (vgl. die Thesen 3 und 4, S. 498, 500).
Die Schaffung ausreichender Erwerbsmöglichkeiten - d.h. die Abschaffung von Massenarbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung - wäre der Schlüssel zur Lösung vieler der im Rahmen der Untersuchung von den Betroffenen artikulierten Probleme. Dieses Erwerbsmöglichkeiten müßten jedoch ein Einkommen ermöglichen, das seine Bezieher langfristig deutlich über die Armutsgrenze hebt. Nur dann könnte von dieser (zusätzlichen) Beschäftigung ein Nachfrageimpuls für die Wirtschaft ausgehen. Dies wird jedoch nur dann möglich sein, wenn arbeitsintensiven Technologien erste Priorität bei der Schaffung von Arbeitsplätzen eingeräumt würden. Im Rahmen zunehmend globalisierter Produktionsverhältnisse ist genau dies aber wenig wahrscheinlich (vgl. These 3, S. 498). In der gegenwärtigen Situation wird der soziale Wandel für die Menschen in Nochikuppam (und anderswo) auch weiterhin dadurch erschwert werden, daß die berufliche Mobilität verhindert wird. Hier - wie auch in der Landwirtschaft - besteht ein deutliches Überangebot an Arbeitskräften, was zur Folge hat, daß Produktivität und Einkommen niedrig bleiben. Die Fischer z.B. verharren nicht etwa in ihrer (traditionellen) Beschäftigung, weil diese durch ihre Kastenzugehörigkeit vorgegeben würde, sonder weil es für sie keine annehmbaren Alternativen gibt. Selbst der Vorteil, inmitten eines Zentrums wirtschaftlicher Aktivitäten zu leben, ändert daran wenig. Nur sehr wenigen Personen gelingt es, im staatlichen Bereich eine Beschäftigung zu finden. Noch pessimistischer muß die Lage in ländlichen Gebieten beurteilt werden. Hier sind aufgrund der Standortnachteile alternative Beschäftigungsmöglichkeiten noch schwieriger zu realisieren als in der Millionenstadt Madras. Der staatliche Sektor beschränkt sich in ländlichen Gebieten auf wenige Verwaltungsstellen, die zudem die lokalen Eliten unter sich aufteilen und die nicht selten ‘erblich’sind. Die zunehmende Ausrichtung der indischen Wirtschaft auf externe Märkte verschärft zudem die Situation peripherer Räume, da aufgrund des Charakters globaler Produktion Agglomerationsvorteile (inernationale Verkehrsanbindungen, kurze Kommunikations- und Transportzeiten im Inland) immer wichtiger für Standortentscheidungen werden.
Die Veränderungen auf unterschiedlichen Ebenen setzen sich fort und treffen auf die lokal bestehende Machstruktur, die sich ebenfalls durch den Modernisierungsprozeß wandelt. So wie sich auf globaler, nationaler und bundesstaatlicher Ebene unterschiedliche Interessen durchsetzen, ist dies auch auf lokaler Ebenen der Fall. Auch hier gibt es Gewinner und Verlierer im Modernisierungsprozeß.
Die lokalen Eliten waren ursprünglich charakterisiert durch ihre Verfügungsrechte an Produktionsmitteln (Fischer), ihrer Nähe zu sowohl traditionellen (Dorfrat, Tempel) als auch modernen (Parteien, Genossenschaften) Institutionen politischer und ökonomischer Macht sowie durch die Möglichkeiten, zusätzliche Einkommen mobilisieren zu können (Geldverleih, Renteneinkommen aus Entwicklungsprogrammen,Vermietungen etc.).1
Im Zuge des sozialen Wandels änderte sich die politisch-ökonomische Struktur des Fischerdorfes. So definiert sich Status heute nach weiteren und z.T. anderen wichtigen Kriterien, deren bedeutendste darin besteht, im staatlichen Sektor beschäftigt zu sein. Der politisch-ökonomische Strukturwandel führt im Fischerdorf zu Konflikten sowohl zwischen als auch innerhalb der Elitegruppen. Ein Resultat dieses Prozesses ist die allmähliche Desintegration der Gemeinschaft. Hiervon sind solche Gruppen und Individuen besonders betroffen, die bislang am dringlichsten auf den Schutz und die Solidarität dieser Gemeinschaft angewiesen waren. Dies ist selbst dann so, wenn ihre Verwundbarkeit bisher auf die ökonomische Ausbeutung im Rahmen der traditionellen Struktur dieser Gemeinschaft zurückzuführen war. Eine politisch-ökonomische Struktur kann für ein und dieselbe Gruppe gleichzeitig ausbeuterisch sein, ihr aber dennoch Schutz bieten.
Es besteht z.B. kein Zweifel daran, daß in Nochikuppam durch die ungleiche Verteilung ökonomischer Macht Fischereiarbeiter ausgebeutet werden. Gleichzeitig half ihnen bisher die von allen Mitgliedern der Gemeinschaft getragene Institution der Dorfkasse, Perioden mit niedrigem Einkommen besser überbrücken zu können. Produktionsmittelbesitzende Fischer, die auf diese Art der Unterstützung leicht verzichten können, sind von einem allmählichen Bedeutungsrückgang dieser Institution weitaus weniger betroffen als die Fischereiarbeiter. Ähnliche Prozesse lassen sich auch in anderen Beziehungsmustern zwischen Fischern und Fischereiarbeitern beobachten. Die ursprünglich bestehenden patron-client-Beziehungen weisen sowohl ausbeuterische wie auch solidarische Merkmale auf. Im Zuge zunehmender gesellschaftlicher Fragmentierung werden häufig solche ambivalenten Strukturen zerstört, ohne daß jedoch gleichzeitig neue, akzeptablere Beziehungsgefüge entstehen. Wie glücklich können sich Fischereiarbeiter schätzen, die sich noch regelmäßig ausbeuten lassen dürfen, wenn die Alternative dazu Arbeitslosigkeit bzw. dauerhafte Unterbeschäftigung ist!
Der Staat selbst hat in seiner Strukturpolitik versagt und versucht, die daraus entstandenen Defizite durch Sozial- bzw. Wohlfahrtspolitik abzumildern. Hier verstrickt er sich jedch zunehmend in Widersprüche. Solange die Struktur sich nicht zugunsten der Kleinfischer verändert, reproduzieren sich die gesellschaftlichen Probleme ständig. Der Staat versucht Probleme abzumildern, die er gleichzeitig - und stets aufs Neue - schafft. Erschwerend kommt hinzu, daß die Möglichkeiten des Staates, eine kohärente Sozialpolitik zu verfolgen, begrenzt sind. Sie scheitern (a) an seiner begrenzten finanziellen Ausstattung und (b) an seiner fehlenden Autonomie innerhalb der politisch-ökonomischen Konstellation. Als konsequente und wirksame Politik, die die Interessen der Kleinfischerei berücksichtigt, wäre eine sofortige Reduzierung der Trawlerboote und die Verweigerung neuer Lizenzen für die Trawlerfischerei zu bezeichnen, sowie die Einstellung der Kredit- und Zuschußvergabe zum Kauf dieser Boote. Gleichzeitig müßte sich der Staat um die Einhaltung der von ihm selbst erlassenen Gesetze bemühen (Verbot der Monsun-Trawlerfischerei, Einhaltung der Schutzzone für Kleinfischer etc.). Stattdessen fährt er mit seiner Modernisierungspolitik fort und versucht, die Kleinfischer durch ‘Sozialprogramme’ in einer gewissen Zufriedenheit zu halten. Diese ‘Sozialprogramme’ weisen stark populistische Züge auf. Durch sie erhalten die Kleinfischer keine tatsächlichen Rechte, sondern vermeintliche Ansprüche müssen immer wieder aufs Neue eingefordert und gegen die staatliche Bürokratie durchgesetzt werden. Häufig sind diese ‘Sozialprogramme’ weniger als echte Programme denn als ‘Geschenke’ zu betrachten, die über das ‘Wahlvolk’ ausgeschüttet werden. Hier zeigt sich sehr deutlich die Willkür solcher Maßnahmen und wie problematisch es ist, einklagbare Rechte zu erwerben.
Als Konsumenten sind die Kleinfischer - als Subsystem einer übergeordneten politisch-ökonomischen Struktur - vor allem von den Preissteigerungen bei Produkten des täglichen Bedarfs betroffen. Diese Preissteigerungen haben zwar eine deutlich verfügungsrechtliche Komponente, sind jedoch nur vor dem Hintergrund der Entwicklung der Politischen Ökonomie zu verstehen.
Die höhere Kaufkraft auf den Märkten außerhalb Indiens führt dazu, daß nach dem Wegfall von Exportbeschränkungen dem Binnenmarkt immer mehr Waren, darunter auch vielerlei Agrar- und Meeresprodukte, entzogen werden. Die Inlandspreise für diese Produkte steigen dadurch an. Die Handelsliberalisierung betrifft verschiedene Teile der Gesellschaft unterschiedlich stark, da die Auswirkungen auf die Preisentwicklung nicht für alle Waren gleichmäßig verlaufen. So werden langlebige Konsumartikel erheblich billiger, und die Preise für Produkte des täglichen Bedarfs, vor allem aber für Nahrungsmittel, steigen überdurchschnittlich stark an. Hinzu kommt, daß der indische Staat Zugeständnisse an bestimmte gesellschaftliche Gruppen macht, um die Folgen der Preissteigerungen abzufedern. So fördert die Regierung zur Steigerung des Wirtschaftswachstums - wie bereits erwähnt - konsumorientierte Mittelschichten, um durch deren Kaufkraft der Wirtschaft einen Nachfrageimpuls zukommen zu lassen. Gruppen, die nur wenig zum industriellen Wachstum beitragen, subventionieren diese Steuersenkungen. Einerseits werden Subventionen zurückgenommen, von denen z.T. auch Armutsgruppen profitieren konnten, andererseits versucht der Staat, die ihm erwachsenden Einnahmeverluste durch die Anhebung der indirekten Steuern auszugleichen. Armutsgruppen sind - entsprechend der Rationalität der (kapitalistischen) Massenkonsumgesellschaft - schon deshalb besonders verwundbar, weil sie arm sind und nicht als kaufkräftige Konsumenten auftreten können.
Sog. Arme bilden in Indien zwar die Mehrheit der Wahlberechtigten, diese ‘Macht’ nutzt ihnen jedoch nur wenig. Ihre Wahlmöglichkeiten sind de facto begrenzt: sie können sich in der gegenwärtigen Situation lediglich zwischen einer Partei entscheiden, die sich offen zur Entstaatlichung sozialer Bereiche und zur Globalisierung der Wirtschaft bekennt (Congress),oder einer Reihe anderer Parteien, die diese Prozesse verbal zwar heftig bekämpfen, allerdings keinerlei gangbare Alternativen anzubieten haben. Dieses Fehlen von Visionen ist letztlich das eigentliche Eingeständnis eines gescheiterten alternativen Entwicklungsweges zwischen kapitalistischer und sozialistischer Welt. Das Fehlen von Visionen ist aber auch Ausdruck dafür, daß sich die ökonomischen ‘Sachzwänge’ verselbständigt haben. Innerhalb der kapitalistischen Logik finden sich offensichtlich keine Alternativen, die die Verhandlungsposition von Armutsgruppen verbessern könnten. Nur ein starker Staat könnte als Gegenpol zu den mächtigen Wirtschaftsinteressen auftreten. Eine Voraussetzung für einen solchen Staat wäre allerdings seine Autonomie, d.h. er dürfte sich eben nicht in Abhängigkeit zu diesen Interessen befinden.1
Wenn die Massenkonsumgesellschaft wirklich ein erstrebenswertes Entwicklungsziel sein sollte, dann muß eine Gesellschaft, die sie anstrebt, auf Dauer die Gruppen, die sich schon rein ökonomisch nicht als Mitglieder einer solchen Gesellschaft ‘qualifizieren’ können (also Armutsgruppen), noch konsequenter als bisher ausgrenzen.2
Die durch die Ausdifferenzierung der indischen Gesellschaft zunehmend instabiler werdenden politischen Verhältnissse sowie die fortschreitende Bereitschaft des Staates, sein Gewaltpotential einzusetzen, hat auch für jene Menschen negative Folgen, die nicht direkt Opfer staatlicher Willkür werden oder (im Prinzip) unveräußerliche Rechte immer weniger durchsetzen können. So führt die wachsende politische Instabilität auch zu Unruhen, die die Produktion und Distribution von Nahrungsmitteln beeinträchtigen können und die - in Form einer konjunkturellen Angebotskrise - in Preissteigerungen münden kann. Während der Feldforschung zu der vorliegenden Arbeit war dies zu drei Anlässen3 zu beobachten.
Da die Krisensituationen jedoch - glücklicherweise - nur von kurzer Dauer waren, hielten sich die negativen Auswirkungen in Grenzen. Auch wenn Indien und insbesondere Tamil Nadu noch weit davon entfernt ist, daß gewalttätige Auseinandersetzungen - wie z.B. in etlichen Nationen Afrikas - Hungersnöte entstehen lassen, darf dennoch nichts darüber hinwegtäuschen, daß auch in SüdIndien in den letzten Jahren die Formen der Konfliktaustragung zwischen unterschiedlichen Gruppen und auch Bundesländern härter geworden sind, woran die amtierenden Regierungen einen nicht geringen Anteil hatten. So wurde wegen des Cauvery-Wassersteites zwischen Tamil Nadu und Karnataka im Dezember 1991 nicht nur das Eigentum vieler in Karnataka lebender Tamilen zerstört, der Konflikt führte auch zu erheblichen Flüchtlingsbewegungen zwischen beiden Staaten.
In Tamil Nadu selbst häufen sich seit Regierungsantritt der AIADMK im Jahr 1991 die Anzeichen dafür, daß die politische Kultur weiter unterminiert wird. Das Fehlen einer parlamentarischen Opposition scheint der Regierung Jayalalitha jegliches Gespür für politische Moral genommen zu haben. In offensichtlicher Weise werden von der Regierung Gesetze übertreten, Oppositionelle bedroht und von Schlägerbanden angegriffen etc.. Der Niedergang der politischen Kultur hängt erkennbar mit den zunehmenden wirtschaftlichen und sozialen Problemen des Bundeslandes zusammen. Die Regierung ist immer weniger in der Lage, die Unzufriedenheit der Menschen durch populistische Maßnahmen zu kontrollieren. Je offensichtlicher das Ende der von Jayalalitha geführten Regierung näherrückt, desto unerbittlicher werden die Angriffe gegen Kritiker der Regierung. Das bezieht auch die parteiinterne Opposition mit ein. Der Mordversuch an einem Rechtsanwalt, der eine Strafverfolgungsklage gegen Ministerpräsidentin Jayalalitha eingereicht hatte, verdeutlicht diesen zunehmenden Staatsterrorismus (Frontline, 14.7.1995).
Die Menschen in dem untersuchten Fischerdorf bleiben von diesen Ereignissen nicht unbehelligt. Die während der Feldforschung immer wieder ausbrechenden Gewalttätigkeiten haben nicht nur lokale/interne Ursachen, es treffen hier vielmehr unterschiedlichste Gründe zusammen. Das fängt an mit den Machtkämpfen lokaler Eliten, die sich aus der zunehmenden Differenzierung und Fragmentierung der Fischergesellschaft ergeben. Es geht über der zunehmenden Einfluß der Parteien im Dorfleben bis hin zur wachsenden Bereitschaft einzelner Bewohner der Siedlung, die Grenzen der Legalität zu übertreten. Vor allem beim Alkoholschmuggel sind immer wieder Fischer beteiligt.
Sie gehören somit den Kreisen an, in denen sich Kriminalität und Politik überschneiden. Außer dem schlechten Ruf, den die Fischer dadurch in der Öffentlichkeit erwerben, zerstören diese Vorgänge auch den inneren Zusammenhang der Gemeinschaft und vernichten wichtige Strukturen/Institutionen innerdörflicher Solidarität. So konnte während der Untersuchung festgestellt werden, daß die Dorfkasse, die zuvor den Menschen in Zeiten geringen Einkommens ein Überleben sicherte, heute häufig zur (juristischen) Austragung solcher Konflikte zweckentfremdet wurde. Gleichzeitig haben die unzähligen handgreiflichen Konflikte, die in den letzten Jahrzehnten in Nochikuppam ausgetragen wurden, Familien auseinandergerissen und die dörfliche Solidarität unterhöhlt.
20.2.2 Der verfügungsrechtliche Bereich
Aus der Perspektive der Politischen Ökonomie versucht die vorliegende Arbeit, eine Analyse der gesellschaftlichen Machtverhältnisse in Indien vorzulegen und die Verflechtung dieser Strukturen mit dem globalen System zu untersuchen. Entsprechend der (der Arbeit) zugrundeliegenden Fragestellung stehen dabei die Auswirkungen im Mittelpunkt, die diese gesellschaftlichen Konstellationen auf die Nahrungssicherheit unterschiedlicher sozialer Gruppen haben.
Die nachfrageorientierte verfügungsrechtliche Perspektive beschäftigt sich nun damit, wie Nahrungs un sicherheit konjunkturell, d.h. aus kurzfristig eingetretenen Krisenereignissen erklärt werden kann. Der Ansatz untersucht, wie Menschen aufgrund dieser Ereignisse verfügungsrechtliche Einschränkungen erfahren.
Vor dem Hintergrund der Fallstudie soll diese Perspektive also ausleuchten, unter welchen Umständen ein Haushalt in der Fischersiedlung Nochikuppam die Möglichkeit verliert, eine ausreichende Menge Nahrungsmittel zu erwerben.
Selbstverständlich entstehen diese kurzfristigen Ereignisse vor dem Hintergrund der Politischen Ökonomie einer Gesellschaft und ihre tieferen Ursachen sind auch nur aus ihr zu erklären. Grundsätzlich ist festzustellen, daß sich kurzfristig eintretende Krisensituationen auf die gesellschaftlichen Gruppen besonders negativ auswirken, die schon aufgrund einer schwachen politisch-ökonomischen Position verwundbar sind.
Trotz überdurchschnittlicher Ernteergebnisse - in allen Jahren zwischen 1989 und 1994 - stiegen während des Untersuchungszeitraums die Nahrungsmittelpreise erheblich. So standen z.B. 1991 - statistisch gesehen -jedem Menschen in Indien am Tag 510 g Nahrungsmittel zur Verfügung. Zu keinem Zeitpunkt seit der Unabhängigkeit war die indische Bevölkerung - statistisch gesehen - besser mit Nahrungsmitteln versorgt. Trotzdem stiegen die Nahrungsmittelpreise in diesem Jahr um über 20 Prozent und Nahrungsgetreide wurde sogar um knapp 26 Prozent teurer, obwohl mit 142 Mio. Tonnen das bislang höchste Ernteergebnis erzielt werden konnte. Die stark ansteigenden Preise können demnach nur schwerlich als Folge unzureichender Produktion betrachtet werden.
Da die Einkommen der meisten Gruppen im unorganisierten Sektor nicht annähernd entsprechend stark stiegen - in manchen Fällen gingen sie absolut gesehen sogar zurück - trat dort ein drastischer Kaufkraftverlust ein. Das in der Einleitung der vorliegenden Arbeit angeführte Beispiel der Handweber in Andhra Pradesh ist lediglich ein extremer Fall dafür, wie sich durch zunehmendes Auseinanderklaffen von Einkommen und Preisen eine akute Krisensituation entwickeln kann, die dort in einigen Fälle tatsächlich zum Tode durch Verhungern führte.
Die Gründe, die dazu geführt haben, daß seit 1991 viele gesellschaftliche Gruppen eine Verschlechterung ihrer Austauschbedingungen hinnehmen mußten, sind vielfältig. Der Beginn der angespannten Situation im Nahrungsmittelbereich läßt sich zeitlich an zwei wichtigen Ereignissen festmachen. Erstens waren aufgrund der kriegerischen Auseinandersetzungen im Mittleren Osten (Golfkrieg) die Erdölpreise in die Höhe geschnellt, was auch in Indien die Kosten für Transport, Düngemittel, Pestizide, Betriebsstoffe für die Landwirtschaft etc. stark anstiegen ließ. Der Golfkrieg war kaum zu Ende, als die indische Regierung als erste Maßnahme der im Juli 1991 begonnenen Strukturanpassung die indische Rupie um 20 Prozent abwertete. Die Kosten für Energie blieben dadurch auf einem hohen Niveau und sorgten weiterhin für ein ebenso hohes Niveau bei den Nahrungsmittelpreisen. Zweitens erfolgte - ebenfalls durch den Beginn der Strukturanpassung initiiert - eine Umstrukturierung des staatlichen Verteilungssystems für Nahrungsmittel (PDS). So erhöhte die Zentralregierung mit großer Regelmäßigkeit die Abgabepreise für Nahrungsmittel in den Fair Price Shops, nahm aber gleichzeitig durch ihre Aufkaufspolitik erheblich mehr Nahrungsgetreide vom Markt, als durch das PDS an Produzenten ausgegeben wurde. Die Regierung sorgte so für eine künstliche Verknappung und damit Verteuerung von Nahrungsmitteln auf dem freien Markt.
These 10:Die infolge der Verschuldung vieler sog. Entwicklungsländer durchgeführten Strukturanpassungsprogramme versuchen, diese näher an den Weltmarkt anzubinden. Durch zunehmende Agrarexporte setzt sich der Verfall der Weltmarktpreise für diese Produkte fort. Die i.d.R. durchgeführten Währungsabwertungen werten zudem auch Waren und Arbeitskraft ab. Das Bestreben sog. Entwicklungsländer auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig zu sein, führt in seiner Dynamik zu Anrechtsverlusten großer Teile der Bevölkerung.
Vom Verfall der Weltmarktpreise für Agrarprodukte sind solche Nationen besonders schwer betroffen, die eine wenig differenzierte Exportstruktur aufweisen und die bereits vor dem Preisverfall mit bestimmten Produkten auf dem Weltmarkt etabliert waren. Durch die Abwertung ihrer Währungen im Rahmen der Strukturanpassungsprogramme werden diese Länder mit ihren Produkten auf dem Weltmarkt zwar konkurrenzfähiger, müssen allerdings erheblich mehr exportieren, um ähnlich hohe Exporteinnahmen wie zuvor erzielen zu können. Während die Transnationalen Konzerne den Preisverfall z.T. kompensieren können, müssen die Produzenten selbst zumeist einen realen Einkommensverlust hinnehmen. Differenzierend wirken sich jedoch der bisherige Anteil am Exportgeschäft, die Art der vertriebenen Produkte und das interne Preisniveau für diese Produkte aus.
Eine Liberalisierung des Agrarhandels wirkt sich auf die einheimischen Produzenten negativ aus, wenn die Weltmarktpreise zurückgehen und das Preisniveau auf den Binnenmärkten sehr niedrig ist. Beide Märkte bieten den Produzenten dann wenig Aussicht auf eine Einkommensverbesserung. Steigt der Weltmarktpreis jedoch bei niedrigem Preisniveau auf dem Binnenmarkt, dann sind vor allem die Konsumenten von der Liberalisierung betroffen. Ein Angebotsrückgang auf dem Binnenmarkt, verbunden mit Preissteigerungen, ist die Folge, wenn der Staat nicht durch Interventionen preisstablisierend eingreift. Im Falle beider Szenarien müssen große Teile der Bevölkerung eine Verschlechterung ihrer Verfügungsrechte hinnehmen. Im ersten Fall sind es die Produzenten, die für ihre Produkte immer weniger Gegenwert erhalten, im zweiten Fall sind es die Konsumenten, die für ihre Nahrungsmittel immer mehr bezahlen müssen. Alarmierend ist allerdings, daß tendenziell diejenigen Teile der Bevölkerung durch die Kommerzialisierung von Nahrungsmittelproduktion und -vertrieb besonders negativ betroffen sind, die ohnehin mit geringer Kaufkraft ausgestattet sind.
Nahrungsmittelströme bewegen sich (nach kapitalistischer Logik) - wie andere Warenströme auch - zu den Orten kaufkräftiger Nachfrage, eben dorthin, wo die größten Renditen zu erzielen sind. Dies kann z.B. die benachbarte Stadt sein, in der kaufkräftige Mittelschichten leben. Immer häufiger liegen die kaufkräftigen Märkte jedoch im Ausland, weil Agrarexporte zur Devisenbewirtschaftung von staatlicher Seite stark gefördert werden. Diese Agrarstrategie wird von vielen der sog. Entwicklungsländer selbst bei zurückgehenden Weltmarktpreisen für Agrarprodukte verfolgt, weil sie, ohne zuvor teure Technologien aus dem Ausland einkaufen zu müssen, die Erwirtschaftung von Devisen ermöglicht.
Die Förderung einer exportorientierten Landwirtschaft kann in diesem Sinne als Versuch der herrschenden Eliten betrachtet werden, wertlose inländische Währung in wertvolle Devisen umzuwandeln, die sicherlich am wenigsten dazu eingesetzt werden, die Lebensumstände der Menschen zu verbessern, die nahe der Armutsgrenze leben. Geopfert werden dabei die Umwelt und die Arbeitskraft der Menschen auf der Produktionsebene. Je rücksichtsloser die ökologische und wirtschaftliche Ausbeutung ist, desto günstiger gestaltet sich das Verhältnis zwischen eingesetzter inländischer Währung und den erwirtschafteten Devisen. Erst diese Logik läßt ein Land auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig bleiben. Sie bewirkt aber gleichzeitig, daß volkswirtschaftliche Prinzipien im Welthandel außer Kraft gesetzt werden: je niedriger die Weltmarktpreise für bestimmte Produkte werden, desto intensiver sind die Bemühungen, noch mehr dieser Produkte abzusetzen. Sinkende Preise bewirken also sehr häufig nicht, daß die Produktion auf andere Bereiche verlagert wird. Verschiedene Nationen befinden sich so in einem erbitterten Konkurrenzkampf um Marktanteile. Hierin kommt einerseits das Dilemma von Nationen zum Ausdruck, die eine gering diversifizierte Exportstruktur aufweisen und die mangels Devisen nicht in andere Produktionsbereiche ausweichen können. Der Export landwirtschaftlicher (und mineralischer) Rohstoffe wird deshalb häufig als einzige Möglichkeit des Devisenerwerbs angesehen, da er - wie bereits erwähnt - keine devisenzehrenden Investitionsgüterimporte notwendig macht. Ein anderes wichtiges Problem der Exportstrukturdiversifizierung darf ebenfalls nicht unerwähnt bleiben. Selbst wenn ein Land/ein Unternehmen mit der Produktion von hochwertigen Industriewaren beginnen würde, ergäbe sich nicht selten ein Absatzproblem, denn vorbei sind die Zeiten, in denen bestimmte Produkte quasi mit Absatzgarantien ausgestattet waren. Die gegenwärtige weltweite Überproduktion in vielen Bereichen - z.B. auch bei den langlebigen Konsumgütern - hat dazu geführt, daß die führenden Industrienationen auf fast allen Märkten bereits in unerbitterlichen Konkurrenz miteinander liegen und die Preise auch für die meisten nicht-agraren Produkte mittlerweile sinkende Tendenzen aufweisen.1
„Jedes Jahr steigen die Löhne, mal mehr, mal weniger, je nach Konjunktur. Manchmal fallen die Zuwächse so mager aus, daß nach Abzug der Preissteigerungen real nichts davon übrigbleibt, aber in Geld ausgedrückt sinken die Löhne nie. Wir haben uns so daran gewöhnt, daß wir es für selbstverständlich halten. Aber wäre es nicht auch möglich, daß Produktivitätssteigerungen gesamtwirtschaftlich durch Preissenkungen statt durch Lohnerhöhungen weitergegeben werden? Vor 100 Jahren war das schon einmal so, daß 24 Jahre lang das Preisniveau in den Industrieländern zurückging. Und etliche Ökonomen halten genau dies auch heute wieder für möglich. Die Folgen wären kaum absehbar. Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts trat die Weltwirtschaft in fast unbeschränkten Freihandel ein - wie heute. Die Transportkosten sanken drastisch - wie heute. Ein Reigen umwälzender Erfindungen rationalisierte die Produktion, neue Industrieländer setzten die alten Produzentennationen unter heftigen Konkurrenzdruck - die Preise brachen rundum ein. Die Neuen damals, das waren Deutschland, Amerika und Japan. Von 1873 bis 1896 dauerte diese Epoche. Sie wirkt aus heutiger Sicht überraschend modern" (Die Zeit 7.7.1995: 32).
These11: Die Bedingungen einer fordistischen Gesellschaft können in sog. Entwicklungsländern nicht erreicht werden, da Massenkonsum eine breite Beteiligung der Bevölkerung an der Massenproduktion erfordert. Dies ist bei zunehmender Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung sowie bei steigendem Produktivitätsniveau nicht möglich.
Überwunden werden könnte diese Entwicklung, die es gerade sog. Entwicklungsländern schwer macht, ihre häufig einseitig auf landwirtschaftliche Produkte ausgerichtete Exportstruktur zu diversifizieren, durch das Einsetzen einer gegenwärtig nicht ersichtlichen globalen Nachfrageexplosion, die eine tatsächliche Verknappung und Verteuerung von Gütern bewirken würde.
Die jetzige globale Strukturkrise hat ja ihre Ursache nicht zuletzt auch darin, daß es inzwischen in fast allen Sektoren eine Überproduktion gibt, d.h., es wird absolut gesehen mehr produziert als nachgefragt.1 Dieses Problem wird sich mit steigenden Produktivitätsraten weiter verschärfen. Schon heute kann bei manchen Produkten in nur wenigen Produktionsstätten beinahe die gesamte Weltnachfrage befriedigt werden. Gerade angesichts so bevölkerungsreicher Nationen wie Indien oder China muß deshalb ernsthaft die Frage nach dem Sinn genereller Produktivitätssteigerungen bzw. nach der globalen Angleichung an ein Produktivitätsniveau gestellt werden, wie es heute schon z.B. in den Fabriken Taiwans oder Südkoreas erreicht wird. Wo wären mittel- bis langfristig Märkte für die dann einsetzende Produktschwemme?
So wie inzwischen aus ökologischen Überlegungen heraus immer wieder darauf hingewiesen wird, daß ein ähnlich ressourcenintensiver "Wohlstandsgewinn", wie er in den Industrienationen im Laufe des letzten Jahrhunderts verwirklicht wurde, für die Länder des Südens nicht mehr denkbar ist, genauso ist er aufgrund wirtschaftlicher Überlegungen auch gar nicht mehr möglich. Voraussetzung für die Entstehung der Massenkonsumgesellschaften des Nordens war eben auch die produktive Beteiligung der Massen bei der Massenproduktion, um die notwendige Kaufkraft für einen Massenkonsum überhaupt erst herzustellen. Bei dem heute erreichbaren Produktivitätsniveau wäre jedoch - rein quantitativ - bereits mit einem Bruchteil der indischen Arbeitnehmerschaft ohne weiteres die gesamte Weltproduktion vieler Produkte sicherzustellen. Und dies gilt ebenso für die Arbeitnehmerschaften in Ländern wie China, Indonesien, Brasilien etc. Trotz fehlender Datengrundlage wird an dieser Stelle angenommen, daß weltweit potentiell wesentlich mehr Arbeitskräfte zur Verfügung stehen, als sie bei bestehendem Produktivitätsniveau zur Befriedigung der Weltnachfrage benötigt würden. Die Arbeitslosenzahlen überall auf der Welt deuten dies eindrucksvoll an.
Die (klassische) Massenkonsumgesellschaft, die - wie nochmals zu betonen ist - eben auch eine Massenproduktionsgesellschaft ist, konnte nur in einer Zeit annähernder Vollbeschäftigung zur Entfaltung kommen.2 Die Bedingungen, die zum Entstehen einer solchen Massenkonsumgesellschaft geführt haben, sind heute weltweit nicht mehr vorhanden und es ist illusorisch, daß sie in absehbarer Zeit wieder geschaffen werden können.1
Weltweit findet eine Fragmentierung von Gesellschaften statt. Überall sind soziale Polarisierungstendenzen feststellbar. Gesellschaften teilen sich immer mehr in zwei Arten von „Subgesellschaften“ auf: die einen können am gesellschaftlichen Massenkonsum (auch weiterhin) teilnehmen, die anderen werden von diesem „Wohlstand“ zunehmend ausgegrenzt. Immer mehr Menschen werden ökonomisch überflüssig, d.h. ihre gesellschaftlichen Anrechte werden unterminiert, . In den Industrienationen zeichnet sich eine Marginalsierung großer Teile der Bevölkerung ab; in den sog. Entwicklungsländern entstehen parallel dazu Mittelschichten, die sich in ihren Konsumerwartungen kaum von den Mittelschichten der Industrienationen unterscheiden.
Von seiten der Reichen wird versucht, den Zustand der Strukturellen Heterogeniät in einen gesellschaftlichen Dualismus zu überführen. Die Verlierer, d.h. die Armen, werden zwangsabgekoppelt. Sie werden nicht mehr gebraucht, noch nicht einmal mehr zur Ausbeutung. Der Rückzug des Staates aus wichtigen sozialen Bereichen ist nur ein Aspekt dieses Prozesses. Privatisierung als umfassende Ideologie überläßt die Gesellschaft dem Markt und zwar nicht nur in vordergründig ökonomischen Bereichen. Besonders folgenschwer ist die Privatisierung sozialer Dienste, die Errungenschaften der Gesellschaft wie z.B. Gesundheits- und Altersversorgung zur Ware verkommen läßt. Die Güte der Versorgung kennt die feine Unterscheidung zwischen "vollwertigen" Teilnehmern der Konsumgesellschaft und solchen Menschen, die in ihr keinen Platz mehr finden. Nur erstere können sich diese Waren in einer guten Qualität kaufen. Das Prinzip der "Selbsthilfe" wird dabei zum Ausdruck einer (zynischen) Abkehr des Staates von seiner gesellschaftlichen Verantwortung. Armut wird von den "erfolgreichen" Teilnehmern der Massenkonsumgesellschaft immer mehr als fundamentale Bedrohung wahrgenommen, sei es in Form von Asylberechtigten, Sozialhilfeempfängern etc. Die Armen bedrohen den Staat, den die Reichen für sich vereinnahmt haben. Steigende staatliche Sozialausgaben bedeuten für sie wachsende Steuerbelastungen. Sie begreifen offensichtlich das Glück nicht mehr, Steuern bezahlen zu dürfen. Und sie nehmen auch nur unzureichend zur Kenntnis, daß sie sich selbstverständlich ihre Sozialversicherung zu großen Teilen durch Abzüge von ihrer Steuerpflicht (Krankenversicherung, Lebensversicherung, Wohnungsbau etc.) vom Staat bezahlen lassen.
These 12:Das in der globalen Produktion hohe Produktivitätsniveau zerstört intern gewachsene Wirtschaftsstrukturen in sog. Entwicklungsländern, da die klein- und mittelständischen Betriebe nach dem Wegfall des Außenschutzes der ausländischen Konkurrenz nicht standhalten können. Massenproduzierte Waren sind i.d.R. besser und billiger als Produkte der einheimischen, arbeitsintensiven Kleinbetriebe.
Eine arbeitsintensive Wirtschafts- und Technologiepolitik ist nur bei (teil-)abgeschotteten Märkten möglich, da die hohe Produktivität der kapitalintensiv wirtschaftenden Unternehmen Waren in einer Qualität und zu einem Preis ermöglicht, mit dem die einheimischen Unternehmen nicht konkurrieren können. In der globalen Wirtschaft werden die Produktionsstandards von den Industrienationen gesetzt. Ein und dieselbe Produktion ist oftmals auf verschiedene Märkte gleichzeitig ausgerichtet. Die Auswirkungen dieser globalen Produktion sind deshalb nicht rein ökonomisch, sondern sie schaffen in den sog. Entwicklungsländern darüberhinaus die Tendenz zur Angleichung an die dominaten Kulturmuster. Es entstehen auf diese Weise fast schon Monokulturen, die sich zwar am westlichen way of life ausrichten, deren propagierter Lebensstil jedoch gleichzeitig für große Teile der Bevölkerung - auch auf längere Sicht - keinesfalls realisierbar ist. Dieser kulturelle Imperialismus wertet jene Gruppen auf, die in der Lage sind, diese neue Kultur des Massenkonsums zu übernehmen. Er wertet gleichzeitig die Gruppen ab, die nicht dazu in der Lage sind oder die sich in einem Umfeld nicht zurechtfinden, in dem diese neue Kultur die Maßstäbe setzt. Dies gilt in wirtschaftlicher, politischer und sozialer, vor allem aber auch in psychologischer Hinsicht. Marginalisierung bedeutet in diesem Zusammenhang, die neue Art der Lebensführung nicht mitmachen zu können, weder materiell noch ideell. Bestimmte Gruppen der Gesellschaft werden nicht rückständig, weil sie sich selbst in negativer Weise verändern. Ihre "Rückständigkeit" liegt vielmehr in der Modernisierung ihres Umfeldes: das was sie kennen und können ist nichts mehr wert.1 Dieser Modernisierungsprozeß verläuft keineswegs linear und in eine Richtung, sondern er löst selbst Gegenreaktionen aus. Gerade unter den Opfern der "Entwurzelung" finden Bewegungen, die die Aufwertung traditioneller Werte propagieren, reichlich Anhänger. Die tieferen Ursachen für solche Bewegungen ist jedoch weniger ein Verlust an Verfügungsrechten, als ein Verlust der Existenzberechtigung !
These 13:Durch die Verhandlungsergebnisse der Uruguay-Runde des GATT werden die Interessen einzelner lokaler Gruppen weiter zugunsten von globalen Interessen geschwächt. Auf der einen Seite ist es für sog. Entwicklungsländer zwar verlockend, wenn die Weltagrarpreise steigen und der Zugang zu den Märkten der Industrienationen erleichtert wird. Andererseits muß allerdings befürchtet werden, daß ein lukrativerer Handel mit Agrarprodukten zu Verdrängungsprozessen und Nutzungskonflikten im landwirtschaftlichen Sektor führt, wie sie im Fischereibereich bereits seit einigen Jahrzehnten festzustellen sind.
Es ist sicherlich unumstritten, daß die Verschlechterung der Austauschbedingungen im Handel (TOT) einen wichtigen Grund für die wirtschaftliche Misere der sog. Entwicklungsländer darstellen. Allerdings kann nicht im Umkehrschluß gefolgert werden, daß eine Verbesserung dieser Austauschbeziehungen automatisch entwicklungsfördernd sei. Das zu beurteilen bedarf es - sieht man einmal von der Ebene der nationalen Handelsbilanz ab - differenzierterer Betrachtungen.
Es kommt darauf an, inwieweit lokale Interessen von einer solchen Verbesserung profitieren können und wie die agrarstrukturellen Verhältnisse im Einzelfall beschaffen sind. In Nationen/Regionen mit sehr ungleicher Landbesitzverteilung bedeuten verbesserte Austauschbeziehungen auf nationaler Ebene nicht, daß die eigentlichen Produzenten auch tatsächlich mehr verdienen - vor allem dann nicht, wenn sie abhängig beschäftigt sind. Die Löhne der Landarbeiter sind ein Teil der Produktionskosten, die schon allein wegen der Konkurrenzfähigkeit auf dem Weltmarkt niedrig gehalten werden müssen. Es gibt aus Sicht der Arbeitgeber keine ökonomische Begründung dafür, die Löhne deutlich über das Reproduktionsniveau anzuheben, zumal in den meisten der betroffenen Länder im landwirtschaftlichen Bereich chronische Unterbeschäftigung besteht. Wenn der Markt alleine also keine Aussicht auf eine Verbesserung der Einkommenssituation der abhängig Beschäftigten bietet, müßte der Staat sich auf die Seite dieser schwächeren Gruppen in der Gesellschaft stellen und regulierend in den (Arbeits)-Markt eingreifen. Es stellt sich allerdings die Frage, wie eine solche Intervention aussehen könnte. Erfahrungen mit staatlich verordneten Mindestlöhnen in Indien zeigen, daß diese selten eingehalten werden. Selbst wenn die staatliche Gewalt auf die Einhaltung dieser Löhne bestehen würde, wäre lediglich zu erwarten, daß Arbeitskraft durch Kapital ersetzt würde. Der Staat hat jedoch häufig gar kein Interesse daran, zugunsten der Arbeiterschaft in den (Arbeits)-Markt einzugreifen. Er hat vielmehr durchaus ein gewisses Interesse daran, die Löhne der Landarbeiter niedrig zu halten. Dieses Interesse ergibt sich aus zumindest drei Motiven: erstens soll die Landwirtschaft die industrielle Entwicklung des Landes subventionieren, zweitens soll die internationale Wettbewerbsfähigkeit indischer (Agrar)-Produkte gewährleistet werden - was die Notwendigkeit niedriger Produktionskosten impliziert - und drittens steht der Staat im Konflikt zwischen Landarbeiterschaft und der landbesitzenden Elite auf der Seite der letztgenannten Gruppe. Diese unterschiedlichen Interessenlagen, die die Verfügungsrechte verschiedener Gruppen bestimmen, lassen sich auch im Fischereibereich feststellen.
20.2.2.1 Verfügungsrechte und Mikroebene
Im empirischen Teil der Arbeit wurden unterschiedliche verfügungsrechtliche Aspekte angesprochen. Zum einen galt das Augenmerk der Betrachtung von Auswirkungen der Fischereipolitik auf die Kleinfischer, zum anderen wurde auch untersucht, wie sich die Austauschbedingungen von Gruppen, die Nahrungsmittel zukaufen müssen, verändert haben.
Aber das sind doch alle! besser: ... wie sich die Veränderungen/Verschlechterungen der Austauschbeziehungen auf die Kleinfischer als Konsumenten - also als Gruppe, die auf den Zukauf von Nahrungsmitteln angewiesen ist - auswirken.
Durch die staatlicher Förderung der Trawlerfischerei erleben die Kleinfischer einen Einkommensrückgang. Es wurde an anderer Stelle bereits darauf hingewiesen, daß sie zunächst von den hohen Garnelenpreisen auf dem Weltmarkt profitieren konnten. Ab Mitte der 80er Jahre wurde diese günstige Entwicklung jedoch dadurch abgebrochen, daß der Rückgang der Fänge infolge der Überfischung, sowie die mangels geeigneter Beschäftigungsalternativen beständig zunehmende Anzahl der Kleinfischer zu einem Rückgang der Einnahmen geführt hatte. Zu Beginn der 90er Jahre gesellte sich dieser Entwicklung der starke Anstieg der Nahrungsmittelpreise hinzu. Bei der Betrachtung aus der Perspektive der Politischen Ökonomie wurden die Gründe für diese Verteuerung bereits genannt. Für die Kleinfischer bedeutet das Zusammenfallen beider Entwicklungen (Rückgang der Einkommen, Ansteig der Nahrungsmittelausgaben) einen deutlichen wirtschaftlichen Abstieg.
Diesem Prozeß waren andere Veränderungen in der Kleinfischergesellschaft vorausgegangen. Zum einen wandelte sich die eingesetzte Technologie. Durch die Einführung neuartiger Netze aus Kunstfasern wurde nicht nur die traditionelle Machtstruktur in den Fischerdörfern verändert, diese Innovation führte auch dazu, daß der Fischfang individualisiert wurde und der Bedarf an (Fremd)-Arbeitskräften zurückging. Wäre es für die Fischereiarbeiter nun auf breiter Front möglich gewesen, selbst einen sozialen Aufstieg zum produktionsmittelbesitzenden Fischer zu schaffen, dann wäre zwar ihr Beschäftigungsproblem gelöst gewesen, die Folgen einer Überbesetzung des Kleinfischereisektors hätten sich jedoch trotzdem eingestellt und in ihren negativsten Konsequenzen lediglich auf andere Personengruppen übertragen. Durch die Kontrolle der Arbeitsorganisation können die produktionsmittelbesitzende Fischer jedoch die Anzahl der tatsächlich Beschäftigten im Fischereibereich steuern, indem sie nur wenigen Fischereiarbeitern Beschäftigung bieten. Um dieses wirkungsvolle Machtmittel zu erhalten, ist es notwendig, den Erwerb von Produktionsmitteln durch Fischereiarbeiter wirkungsvoll zu unterbinden. Diese Strategie setzt z.B. bei der Kontrolle über die Vergabe staatlicher Entwicklungsgelder an.
Die Modernisierung verändert jedoch für die produktionsmittelbesitzenden Fischer auch die Verfügungsrechte hinsichtlich der Raumnutzung. Ihnen wird zwar nicht ausdrücklich verboten das Meer zu nutzen, doch sie werden zunehmend im Zuge des Modernisierungsprozesses von ihren Ressourcen abgeschnitten. Die Fischer von Nochikuppam sind hier vor allem durch den Konflikt zwischen Trawlerfischerei und Kleinfischerei, und neuerdings auch vom Konflikt mit der Tiefseefischerei betroffen. Andere Konflikte stehen im Raum, wie z.B. der zwischen der Fischerei und dem Tourismus. Als vor einigen Jahren die Regierung von Tamil Nadu die Kattumarame aller Fischer am Marina Beach, einem Naherholungsgebiet von Madras, mit LKWs wegschaffen ließ, konnten diese durch Demonstrationen und die Mobilisierung der Presse erreichen, daß sie ihre Boote nach einigen Tagen zurückbekamen. Seither wurde unter dem Motto "Clean Marina Beach" häufig auf das "Umweltproblem" Fischerbevölkerung hingewiesen, ohne daß bislang erneut Schritte unternommen wurden, dieses Problem - etwa durch Umsiedlung der Fischer - end(gültig)lösen zu wollen. Die staatliche Politik versucht also einerseits, die Verfügungsrechte von Menschen - sowohl als Produzenten wie auch als Konsumenten - zu beschneiden, andererseits aber durch Sozial- bzw. Wohlfahrtsmaßnahmen einen gewissen Ausgleich für diese Gruppen zu schaffen.
Es ist sicherlich widersprüchlich, durch eine Modernisierungspolitik erst gesellschaftliche Sozialfälle zu schaffen, um sie dann wieder mit sozialpolitischen Maßnahmen gerade noch vor einer Katastrophe zu bewahren. Auch sind die staatlichen Konzepte, denen der Autor im Laufe seiner Untersuchung begegnete, in keinster Weise geeignet, gesellschaftliche Verwundbarkeit zu überwinden bzw. wenigstens zu verringern. Bezeichnend ist, daß sich in der Untersuchungsgemeinde keine einzige Person fand, die am bestehenden Pensionsprogramm für mittelose Witwen, Alte etc. teilnahm. Bezeichnend ist auch, daß berechtigte Personen dies - bis auf sehr wenige Ausnahmen - noch nicht einmal versuchten, da sie sich zwar nur geringe Chancen auf einen Erfolg ausrechneten, gleichzeitig aber um die Kosten wußten, die u.U. bei der Antragstellung auf sie zukommen. Solange solche Programme nicht transparent sind, d.h. solange nicht eindeutig ersichtlich ist, wer warum Leistungen erhält und wer nicht, kann man von einer sozialen Sicherungsmaßnahme überhaupt nicht reden. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist das Sparprogramm für Kleinfischer, an dem alle Kleinfischer teilnehmen können, bei dem die zu erbringenden Formalitäten sehr gering sind und das - trotz seines verhältnismäßig geringem finanziellen Umfangs - innerhalb kürzester Zeit von nahezu allen Fischern des südlichen Teils von Nochikuppam angenommen wurde. Bemerkenswert ist dabei auch, daß die Fischer sogar selbst einen Teil des Sparbetrages einzahlen. Hier zeigt sich überdeutlich, daß es wohl tatsächlich die Transparenz ist, die bei der Wirksamkeit staatlicher Maßnahmen eine entscheidende Rolle spielt. Bei allen anderen in Nochikuppam durchgeführten Programmen und Maßnahmen - sowohl im wirtschaftlichen wie auch im sozialen und politischen Bereich - wurden Beobachtungen gemacht, die auf starke Unregelmäßigkeiten bei der Durchführung dieser Programme hinwiesen. So bezieht sich die Forderung nach mehr Transparenz natürlich auch auf diesen Bereich. Die fehlende Einklagbarkeit von Leistungen führt nicht selten dazu, daß die staatlichen Verwaltungen Programme und Maßnahmen zum Rentenerwerb ausnutzen.
Die in Form von "Geschenken" an Armutsgruppen verteilten Leistungen können am allerwenigsten als verwundbarkeitsreduzierende Maßnahmen verstanden werden. Geschenke können keine Verfügungsrechte ersetzen. Tritt der Staat in seiner ganzen Machtfülle als Schenkender auf, so versucht er sich die Loyalität von StaatsbürgerInnen zu erkaufen, die er durch seine Politik der Marginalisierung zuvor riskiert hat. Solange diese Geschenke reichlich fließen, können sie von den Marginalisierten in ihre "Überlebensstrategie" eingebaut werden. Weshalb sollten sie auch auf Dinge/Geldmittel verzichten, die sie günstig erhalten können? In diesem Kontext muß auch der Versuch vieler Menschen verstanden werden, den Staat selbst "über's Ohr zu hauen". So werden - wenn es denn einmal die Möglichkeiten gibt - auch gerne Leistungen beansprucht, auf die - rein formal - gar keine Rechte bestehen. Am deutlichsten wurde dies bei der Unfallversicherung für Kleinfischer. Die Gelegenheiten, bei denen Menschen ungerechtfertigterweise staatliche Leistungen beanspruchen können, sind allerdings verschwindend gering und als Strategie zur Verminderung sozialer Verwundbarkeit völlig ungeeignet.
Um soziale Verwundbarkeit zu verringern, steht für die Menschen in Nochikuppam an allererster Stelle der Versuch, im staatlichen Sektor eine Beschäftigung zu finden und die Fischerei dann auch aufzugeben. Für diejenigen, denen dies tatsächlich gelingt, ändert sich das eigene Leben und das ihrer Angehörigen entscheidend. Vor diesem Hintergrund wird erst ersichtlich, welch politischer und sozialer Sprengstoff in der Reservierungsfrage steckt. Der Versuch des Staates, durch seine Reservierungspolitik regulierend in den (Arbeits)-Markt einzugreifen, entzweit die indische Gesellschaft. Die Alternative dazu hieße, den Arbeitsmarkt dem "freien Spiel der Kräfte" zu überlassen, was ähnlich schädliche Konsequenzen hätte. Da Angebot und (potentielle) Nachfrage weit auseinanderklaffen, kann so ziemlich jeder Arbeitsplatz käuflich erworben werden. Wie schon bei der Reservierungspolitik führt dies dazu, daß Arbeitsplätze nicht nach der Qualifikation der Bewerber sondern nach deren finanzieller Leistungsfähigkeit vergeben werden. Dadurch bleibt der wirtschaftliche (und soziale) Aufstieg vor allem den Eliten vorbehalten, wie auch in Nochikuppam festzustellen war.
Menschen bzw. Gruppen, die einen solchen beruflichen Aufstieg nicht erreichen können, sehen sich zunehmend verschärften wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ausgesetzt. Sie versuchen, auftretende Krisen auf unterschiedliche Weise abzufedern. Zu ihren Bewältigungsmöglichkeiten gehört Konsumverzicht, d.h. das Sparen. Dinge, die nicht unbedingt notwenig sind, werden seltener angeschafft und in Zeiten mit guten Einkommen werden vorausschauend Rücklagen für schlechtere Zeiten gebildet. Gerade für die Fischer, die schon immer mit starken Schwankungen ihrer Einkommen leben müssen, ist dies nichts grundsätzlich Neues.
So tritt denn auch an zweiter Stelle unter den Möglichkeiten, Verwundbarkeit zu verringern, der Versuch, zusätzliche Erwerbsmöglichkeiten zu erschließen, was angesichts der herrschenden Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung problematisch ist. In diesem Zusammenhang von "Überlebens strategien" zu sprechen, wäre ein Euphemismus: die Menschen müssen praktisch jede sich bietende Gelegenheit ergreifen und bereiten keineswegs planerisch ihre Zukunft vor.
Traditionelle Sicherungssysteme als Möglichkeit zur Krisenbewältigung erfahren hingegen einen starken Bedeutungsverlust. So kann z.B. die Dorfkasse, die früher den Mitgliedern der Fischerkaste half, einkommenschwache Notzeiten zu überbrücken, diese Funktion heute immer weniger wahrnehmen. Sie könnte allerdings - perspektivisch - in modifizierter Form dazu beitragen, den Mitglieder der Fischergesellschaft zumindest einen geringe sozialen Absicherung zu gewähren. Dazu wäre jedoch dörfliche Solidarität und ein Konsens in der Frage notwendig, was mit dem angesparten Geld zu geschehen habe. Durch die beschriebene Desintegration der Dorfgesellschaft wird dies jedoch immer unwahrscheinlicher. Diese Desintegration reicht bis tief in Familienstrukturen hinein und schwächt so eine weitere traditionelle Institution zur sozialen Absicherung. Gerade dieser letztgenannte Prozeß verläuft jedoch von Fall zu Fall sehr unterschiedlich. Ein Anrecht auf eine Alterspension würde aber auf jeden Fall die Verhandlungsposition älterer, nicht mehr arbeitsfähiger Haushaltsmitglieder bei solchen Familienkonflikten stärken.
20.2.3 Der humanökologische Ansatz
Die Handelsstrategie der indischen Regierung setzt zur Bewältigung der seit Ende der 80er Jahre andauernden schweren Wirtschaftskrise maßgeblich auf den Export von land- und fischereiwirtschaftlichen Produkten. Für deren Produktion müssen zunächst kaum teure Anlagen im Ausland gekauft werden. Zudem bestärken die Aussichten auf mittelfristig steigende Weltagrarpreise und einen verbesserten Zugang zu den Märkten der Industrienationen - im Rahmen der Vereinbarungen der kürzlich abgeschlossenen Uruguay-Runde des GATT - die indische Regierung in dieser Strategie. Auf Kosten der Nahrungssicherheit vieler Menschen soll die Auslandsverschuldung des Landes abgetragen werden.
Aus dem indischen Fischereibereich liegen seit Mitte der 60er Jahre Erfahrungen über die Auswirkungen einer solchen exportorientierten Politik auf lokale Produzenten, Konsumenten und die Umwelt vor. Stark ansteigende Garnelenpreise auf dem Weltmarkt hat die Garnelenfischerei in den letzten drei Jahrzehnten zu einem lukrativen Geschäft werden lassen. Kapitalkräftige Unternehmen wurden auf die Fischerei aufmerksam und haben - besonders durch den rücksichtslosen Einsatz ökologisch bedenklicher Schlepp- und Umschließungsnetze - das küstennahe Ökosystem und damit die Lebensgrundlage unzähliger Kleinfischer zerstört. Wenn das Nahrungsmittel Fisch in den 60er Jahren noch die preiswerteste Quelle tierischen Proteins war - und dadurch besonders wichtig für eine ausgewogene Ernährung einkommensschwacher Gruppen - so ist es heute für diese Teile der Bevölkerung nahezu unerschwinglich geworden.
Stagnierende Fänge in der Küstenfischerei haben dazu geführt, daß die indische Regierung heute der Tiefseefischerei besonderes Augenmerk schenkt. Kleinfischer und die Besitzer von Trawlerbooten - vor wenigen Jahren noch unerbitterliche Feinde - haben sich gegen diese neue Bedrohung zusammengeschlossen. Sie befürchten, daß die Intensivierung der Tiefseefischerei die Küstenfischerei endgültig ruiniert. Diesmal ist nicht nur die Klein- sondern auch die Trawlerfischerei in ihrer Existenz gefährdet.
Mit der Stagnation der Garnelenfänge im Meer hat in Indien auch die Bedeutung von Aquakulturen stark zugenommen. In vielen küstennahen Regionen entstanden in jüngster Zeit Garnelenteiche ortsfremder Unternehmen. Aus den Bundesstaaten Tamil Nadu, Andhra Pradesh und Orissa werden immer häufiger Konflikte mit Kleinfischern, aber auch mit Landarbeitern gemeldet, die entweder - wie das bei der Umwandlung ehemals befischter Brackwasserseen in Garnelenteiche der Fall ist - von ihren Ressourcen abgeschnitten werden oder ihre Beschäftigung verlieren. In Tamil Nadu und Andhra Pradesh hat die Garnelenzucht innerhalb weniger Jahre dazu geführt, daß manche Küstenabschnitte unbewohnbar geworden sind. Dörfer mußten umgesiedelt werden, weil das Grundwasser so versalzen war, daß es als Trinkwasser und zur Bewässerung der Felder nicht mehr verwendet werden konnte. In anderen Dörfern muß heute das Trinkwasser mit Tanklastwagen angefahren werden. Wie das Grundwasser werden auch die Böden unwiederbringlich zerstört. Wertvolles Ackerland wird in Garnelenteiche umgewandelt, in die Meerwasser gepumpt wird. Um die Garnelen vor Krankheiten zu schützen, werden Antibiotika und andere Chemikalien zugesetzt, die sich im Grundwasser und den Böden anreichern. Für die Unternehmen ist es unerheblich, ob sie Böden und Grundwasser vergiften. Sie können ihr trauriges Spiel in anderen Regionen wiederholen, während die Lebensgrundlagen der örtlichen Bevölkerung auch dann noch zerstört sein werden, wenn die Garnelenteiche schon längst wieder verschwunden sind. Die Bodenpreise haben sich im Zeitraum von weniger als zwei Jahren mehr als verzehnfacht. Viele Landwirte sind daher bereit, ihr Land an ortsfremde Unternehmen zur Zucht von Garnelen zu verkaufen. Tausende von Landarbeitern sind dadurch arbeitslos geworden.
Die Entwicklungen im Fischereibereich lassen wenig Verheißungsvolles erwarten, wenn ähnliche Bedingungen auch für den landwirtschaftlichen Bereich geschaffen werden. Die Uruguay-Runde des GATT hat eine solche Liberalisierung bereits eingeläutet¸ indische und multinationale Agro-Industrien haben begonnen, sich darauf einzurichten. Wie schon im Fischereibereich ist nun in der Landwirtschaft zu befürchten, daß lokale Produzenten über kurz oder lang ihre Verfügungsrechte über Produktionsfaktoren - in der Fischerei handelt es sich maßgeblich um den Besitz von Produktions mitteln - wie z.B. Anbauflächen oder den Zugang zu Bewässerungseinrichtungen - an die Agro-Industrien verlieren. Vielen bleibt schließlich keine andere Wahl mehr, als sich dort entweder als Lohnarbeiter zu verdingen oder als Betreiber von Satellitenfarmen Zulieferer für diese Industrien zu werden. Die zunehmende Industrialisierung der indischen Landwirtschaft führt zu einer Verlagerung von Handelsströmen. Voraussetzung dazu ist allerdings, daß sowohl nationale Exportbeschränkungen - z.B. Exportverbote, Kanalisierung der Exporte durch Staatsunternehmen etc. - wie auch Marktzugangsbarrieren abgeschafft werden. Strukturanpassung und die Uruguay-Runde des GATT beabsichtigen, solche für den Welthandel günstigeren Rahmenbedingungen zu schaffen.
Die zunehmende Exportorientierung der indischen Landwirtschaft ist zusätzlich hinsichtlich ihrer ökologischen Folgen bedenklich. So is es z.B. zu befürchten, daß sich dadurch der Einsatz von Pestiziden und Düngemitteln erhöht und daß die Nutzung von Marginalböden - und sei es nur zum Ausgleich für die Flächen, die der Nahrungsmittelproduktion entzogen werden - zunimmt.
20.2.3.1. Humanökologie und Mikroebene
"Im Mittelpunkt (der Humanökologie, d. Verf.) steht einerseits die Frage, wie eine Gesellschaft die physische Umwelt hinsichtlich Risiken und Bedrohungen erlebt (z.B. hinsichtlich Dürregefahren) und wie sie mit dieser Bedrohung umgeht. Andererseits haben auch die soziale Organisation und Reproduktion der Gesellschaft (z.B. in Form von Bevölkerungszuwachs) erhebliche Auswirkung auf den Zustand des Ökosystems und seine Nachhaltigkeit" (BOHLE 1994: 402).
Im vorliegenden Fall beschäftigt sich die humanökologische Perspektive mit der Beziehung zwischen der Fischereiwirtschaft und dem küstennahen marinen Ökosystem.
Wie die Analyse der Einkommensverhältnisse in Nochikuppam zeigt, unterliegen die Verdienste aus dem Fischfang sehr starken saisonalen Schwankungen. Schon darin besteht für die Fischerhaushalte ein gewisses Risiko,1 dem sie entgegentreten, indem sie in Zeiten guter Fänge Rücklagen für schlechte Zeiten bilden. Durch den Bedeutungsgewinn der Garnelenfischerei erhöht sich dieses Risiko drastisch, wenngleich sich auch die Chancen auf sehr gute Einnahmen verbessern. Zwei Faktoren sind dabei besonders bedeutsam. Zum einen fällt mit dem Garnelenfang die Zeit potentiell hoher Einkommen mit der Periode sehr schlechter Witterungsbedingungen zusammen. Das Risiko, daß aufgrund monsunal verursachter schlechter Fangbedingungen diese Einkommen ausfallen, ist sehr groß. Zum anderen begünstigen die Witterungsbedingungen aber die Trawlerfischerei im Ressourcenkonflikt. Diese können auch dann noch zum Fang ausfahren, wenn dies für die Kattumaramfischer schon längst nicht mehr möglich ist. Da sich die Garnelen auf verhältnismäßig engem Raum küstennah aufhalten, genügen den Trawlerbooten bereits wenige Fangtage, um einen beträchtlichen Anteil der Jahreseinkommen der Kleinfischer abzufischen. Es ist also nicht verwunderlich, daß die Kleinfischer - zusätzlich zur Einhaltung einer Schutzzone, in denen Trawler nicht fischen dürfen - das Verbot des Garnelenfangs durch Trawler in der Monsunzeit fordern. Die Bedingungen des Ressourcenmanagements vollziehen sich also - wie bereits die verfügungsrechtlichen Problematiken - vor dem Hintergrund der Politischen Ökonomie.
Ähnlich muß auch das Problem des Bevölkerungsdrucks in der Kleinfischerei bewertet werden. Es ist offensichtlich, daß heute die Anzahl der Kleinfischer in Tamil Nadu zu groß ist, als daß alle Fischer(-eiarbeiter) eine Beschäftigung finden könnten. Dies kann jedoch vor dem Hintergrund der Überfischung durch die Trawler sowie dem Fehlen geeigneter Beschäftigungsmöglichkeiten außerhalb der Fischerei gesehen werden.
Armut und hohes Bevölkerungswachstum werden häufig als Ursachen von Umweltzerstörung aufgefaßt. Die Argumentationsketten, die dieser Sichtweise zugrunde liegen, sind hinreichend bekannt. Arme Menschen sehen sich in ihrem Überlebenskampf gezwungen, ihre Umwelt so überzubeanspruchen, daß Umweltschäden unvermeidbar sind. Ähnlich beim Bevölkerungswachstum: durch eine rasche Zunahme der Bevölkerung steigt der Ressourcendruck stark an, so daß eine nachhaltige Ressourcennutzung nicht mehr möglich ist. Es ist allerdings wenig ersichtlich, wie arme Bevölkerungsgruppen wie die Kleinfischer, die einen Bruchteil des Konsumniveaus der Menschen in den Industrieländern oder der indischen Eliten aufweisen, ihre Umwelt nachhaltig zerstören sollten, ohne zuvor nicht ihrer ökologischen und wirtschaftlichen Grundlagen beraubt worden zu sein. Gleiches gilt für den Bevölkerungsdruck: auch hier kommt es am ehesten zu Problemen der Ressourcen(über)nutzung, weil ein Großteil der Ressourcen von einer Minderheit beansprucht wird, während der (armen) Bevölkerungsmehrheit die vorhandenen Ressourcen nur eingeschränkt zugestanden werden. Es ist in diesem Sinne ungerechtfertig, die Überfischung der Küstengewässer Indiens durch die hohe Anzahl traditioneller Fischer erklären zu wollen. Ohne die Bedrohung durch die Trawlerboote, die zudem noch mit staatlicher Billigung rechtswidrig betrieben werden, wäre es den Fischern ohne Zweifel möglich, ohne staatliche Unterstützung ein - in Anbetracht der Härte und Gefahren ihres Berufes - angemessenes Einkommen zu erzielen. Gelöst wäre dann aber immer noch nicht das Problem der Einkommensdiskrepanzen zwischen produktionsmittelbesitzenden Fischern und Fischereiarbeitern.
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1 Vgl. Bhattacharyya 1991; Krishnakumar 1995; Krishnakumar/Nagaraj 1992, 1994; Nagaraj et al. 1991abcdef; Padmanabhan 1991; Rajendra Prasad 1991;
2 Bei 33 von 53 vom Andhra Pradesh Handloom Weavers' Congress dokumentierten Todesfällen waren z.B. die verstorbenen Personen 50 Jahre und älter (Frontline, 6.12.1991: 52).
3 Auch in den folgenden Jahren wird immer wieder auf die Not der Handweber in Andhra Pradesh hingewiesen. 1994 stiegen die Materialkosten der Weber gegenüber dem Vorjahr um 35 bis 55 Prozent, die Verkaufspreise für handgewebte Produkte um lediglich fünf Prozent (Krishnakumar 1995: 110).
1 „Macht“ wird in diesem Zusammenhang nicht nur verstanden als die „Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben“ (Weber 1972: 28) durchsetzen zu können, sondern schon als den Versuch, eine solche Fähigkeit zu erreichen. Oftmals ist es nicht die konsolidierte Macht, die solche Krisen heraufbeschwört, sondern der Kampf um die Macht, d.h. gesellschaftlich bzw. politisch instabile Verhältnisse.
1 So stieg z.B. der Wert der Agrarexporte Indiens im Zeitraum von April bis November 1993 gegenüber demselben Zeitaum des Vorjahres um über 43 Prozent (The Hindu-IE 5.2.1994).
1 Vgl. dazu allgemein: Binsbergen/Geschiere (Hrsg.) 1985; Meillassoux 1972, 1976, 1983; Wolpe (Hrsg.) 1980; zu Indien: Bohle 1986a; sowie die in der Zeitschrift Economic and Political Weekly geführte Diskussion zwischen: Alavi 1975, 1981; Banaji 1972, 1977; Chattapadhyay 1972a,b; Frank 1973; Omvedt 1975; Patnaik 1971, 1972, 1976; Rudra 1975; 1978a,b,c; Rudra et al. 1970; Sau 1973.
2 Vgl. Harborth 1986, 1989, 1991; Lele 1991; Manshard 1983, 1984, 1986; Sachs 1980
3 Vgl. Bohle 1990; Bowler/Ilberz 1987; Whatmore 1991, 1993;
4 Vgl. Bohle 1992ab, 1994; Bohle/Watts 1993ab; Bohle et al. (Eds.) 1991, 1993; Krings 1994;
1 Zum unterschiedlichen Gebrauch des Begriffes der Entwicklung selbst vgl. Hirschmann 1967 (engl. 1958); Menzel/Senghaas 1986; Nohlen/Nuscheler 1982, 1992; Nuscheler 1982, 1991; Leipert/Simonis 1982; Satzinger/ Schwefel 1982; Seers 1974; Scheers 1980; Senghaas 1982; 1987;
1 Ähnliche Polarisierungstendenzen werden auch aus den USA vermeldet: Zwischen 1977 und 1988 stiegen dort die Einkommen aller Haushalte um durchschnittlich 2,2 Prozent, wobei 4/5 der Haushalte einen deutlichen Einkommensverlust hinnehmen mußten (z.B. bei den 10 Prozent ärmsten Haushalten einen Einkommensrückgang von 14,8 Prozent), während lediglich 1/5 der Haushalte einen Einkommenszuwachs zu verzeichnen hatten. (Kurien 1992: 80.
1 Der Begriff der Politischen Kultur bezeichnet sowohl die gesellschaftlich relevanten Meinungen (»beliefs«), Einstellungen (»attitudes«) und Werte (»values«) als auch die gesellschaftlich akzeptierten Methoden der Interessensdurchsetzung. "P.K. als Ausdruck geschichtlicher Traditionen, Ideologien und Mentalitäten, die sich durch spezifischen Wandel und Beeinflussung von Politik und Ökonomie sowohl sozialstrukturell wie auch bei den tatsächlich handelnden kollektiven Akteuren gegenüber den dauernden und neu auftauchenden Problemen sedimentiert haben [...], müßte, um das Politische der p.K. herauszubekommen, m.E. die jeweils spezifischen Handlungs-, Konfliktlösungsmuster der politischen Akteure bestimmen, die sich im » Kampf um die gerechte Ordnung « innerhalb einer Gesellschaft herausgebildet haben" (Fenner 1993: 515).
1 1992 führten 54 Nationen Afrikas und Asiens Strukturanpassungsprogramme in Zusammenarbeit mit dem IWF und der Weltbank durch. In den beiden vergangenen Jahrzehnten vergaben IWF und Weltbank an mehr als 70 sog. Entwicklungsländer Strukturanpassungskredite (Swaminathan 1994: 19).
2 So sanken die Ausfuhren Osteuropas und der ehemaligen UdSSR 1990 um 21 Prozent und 1991 um weitere 16 Prozent (Klingenbiel 1993: 429).
3 Die OECD prognostizierte für 1994/95: „Die mittel- und osteuropäischen Länder [...] könnten nach der Exportverlangsamung von 1993 Ausfuhrzuwächse verzeichnen, dagegen werden die Importe eines Teils dieser Länder durch den Mangel an ausländischen Finanzmitteln möglicherweise behindert werden“ (OECD 1994: 15).
1 Zur historischen Entwicklung von Fordismus/Taylorismus: Hurtienne 1984 Bd-2: 265-315; zur Geschichte der Mechanisierung: Giedion 1987.
1 Für die 70er Jahre vgl. Haude (1985), für Direktinvestitionen aus Entwicklungsländern Hansohm/Wohlmuth (1985).
1 Haude (1985) verweist allerdings auch darauf, daß diese Tendenzen zur horizontalen und vertikalen Expansion nicht eindeutig verlaufen und es einige Beispiele gibt, in denen Firmen „ihre Ausdehnung in andere als originäre Bereiche wieder zurückgenommen haben“ (ders. 1985: 14).
1 Zur allgemeinen Wirtschaftstheorie sei u.a. verwiesen auf Kromphardt (1987) und Wagner (1990: 151-158), zum Monetarismus u.a. auf Ehrlicher/Becker (1978) und Bell/Kristol (1984), zum Keynesianismus u.a. auf Scherf (1986).
1 1981 wurden die Einkommenssteuersätze - gestaffelt auf drei Jahre - um 25 Prozent gesenkt. Als mit weiterem Ausufern des Haushaltsdefizites neue Einkommensquellen gefunden werden mußten, wurden 1982 Verbrauchssteuererhöhungen beschlossen. Die Einführung einer Quellensteuer auf Zins- und Dividendeneinkommen wurde von einer starken Banken-Lobby erfolgreich verhindert. Der Steuerhöchstsatz wurde von 70 auf 50 Prozent reduziert (Guterman 1984: 90).
1 Durch eine Verringerung der Steuerhöhe bei gleichzeitiger Ausweitung der Steuerbasis sollte das Gesamtvolumen der Steuereinnahmen gesteigert werden (Laffer-Kurve) (vgl. Moore 1982: 277-296; de Thier 1988). Diese Annahme war offensichtlich eine Fehlprognose. Das amerikanische Budgetbüro schätzte den aus den neuen Steuergesetzen resultierenden Steuerausfall auf 627 Mrd. US-Dollar in den Jahren 1982-86, was einem Anteil von 66 Prozent des kumulativen Defizits dieser Jahre entsprochen hätte (de Thier 1988; Guterman 1984).
2 Eine ähnliche Politik - Reduzierung des Geldmengenwachstums, Verringerung des Staatsdefizits, Einschränkung des öffentlichen Sektors, angebotsorientierte Maßnahmen zur Stärkung der Privatwirtschaft - war in Großbritannien bereits im Jahr 1979 unter der Regierung Thatcher eingeführt worden (Couzens 1982: 243ff; Kromhardt 1987a: 198-204). Diese Ziele werden auch noch heute von der OECD als wichtige Aspekte einer „guten“ makroökonomischen Politik angeführt. Genannt werden dabei: „Verbesserung der öffentlichen Finanzen“, „Inflationskontrolle“, „Kohärenz von Finanz- und Geldpolitik“ sowie „Stärkere Flexibilisierung der Arbeitszeit“, „Förderung eines günstigen Klimas für die Entfaltung der unternehmerischen Initiative“, „Größere Flexibilität von Löhnen und Arbeitskosten“, „Reform der Beschäftigungsschutzbestimmungen“, „Reform des Systems der Arbeitslosengeld- und sonstigen Leistungen“ (OECD 1994a: xf; 1994b: 4-6).
3 Damit verbunden war auch ein hoher Dollarkurs, der die Exportfähigkeit der USA stark beeinträchtigte und der den Druck auf die hochverschuldeten sog. Entwicklungsländer weiter verschärfte. Generell vermindern die hohen Zinssätze die Investitionsbereitschaft der Industrie und begünstigen jene Privatpersonen und Organisationen, „die Geld zu verleihen haben [...] und normalerweise haben diese mehr Geld als diejenigen, die keines zu verleihen haben oder [...] die sich Geld borgen [...] Mit dieser Begünstigung der Wohlhabenden [...] steht eine restriktive Geldpolitik in scharfem Gegensatz zu einer restriktiven Fiskalpolitik, die durch Erhöhung der persönlichen Einkommensteuer wie der Körperschaftsteuer den Reichen Nachteile bringt“ (Galbraith 1988: 327f).
4 In Großbritannien kam es zu ähnlichen Prozessen. Wie in den USA konnten auch hier lediglich im Bereich der Inflationsbekämpfung Erfolge erzielt werden, während in den Jahren zwischen 1979 und 1983 das Bruttosozialprodukt zunächst zurückging und sich die Arbeitslosenzahlen verdreifachten (Kromphardt 1987a ).
1 Die Bewertung einer Verschuldungssituation kann keineswegs ausschließlich an der Höhe der absoluten Verschuldung vorgenommen werden. Es müssen die Höhe der Auslandsschulden und ihre Struktur berücksichtigt werden und diese zu bestimmten Wirtschaftsindikatoren in Bezug gesetzt werden (z.B. zu Wirtschaftskraft, Exportwerte, Importabhängigkeit etc.).
1 Zu den verschiedenen Programmen von IWF und Weltbank siehe Deutsche Bundesbank 1992 sowie Sandner/Sommer 1992.
2 Strukturanpassungsmaßnahmen von Weltbank und IWF werden im weiteren nicht unterschieden. Tendentiell setzt der IWF Schwerpunkte in der Währungs-, Handels-, Geldmengen- und Fiskalpolitik, während die Weltbank vor allem sektoral auf die Angebotsseite einer Volkswirtschaft einwirken will (Lingnau 1993: 450f, 455; Petersmann 1988: 59; Siegler/Theis 1993: 69f).
1 Vgl. Studien zu den Philippinen (Mosley 1991a: 49), Thailand (Sahasakul 1991: 74f), Malawi (Harrigan 1991a: 209), Kenia (Mosley 1991b: 276), Ecuador (Mosley 1991c: 415), Indonesien (Ahmed 1991: 377), Korea (Dailami 1991: 387) und Chile (Moran 1991: 470).
1 Ausführlich dazu Hetmeier (1993) und Massarrat (1993); zu mineralischen Rohstoffen Mezger (1988) sowie Egger (1993); zu agrarischen Rohstoffen Hathaway (1987) und Junne (1988).
1 Nach einer Auswertung der ersten 15 Strukturanpassungskredite 1986 stellte die Weltbank dazu fest: „Die Strukturanpassungskredite sind ein ungeeignetes Instrument, um sich direkt mit den längerfristigen Maßnahmen zu beschäftigen, die zur Armutsbekämpfung erforderlich sind; sie haben niemals diese Absicht verfolgt“ (nach Fues/Unmüßig 1988: 67).
1 Verringerung der Staatsausgaben, Deregulierung der Wirtschaft, Handelsliberalisierung, Schließung unrentabler Betriebe etc.
2 Ob die Finanzberater der peruanischen Regierung sich überhaupt in die Situation ihrer nichtprivilegierten Landsfrauen und -männer hineinversetzen können, muß bezweifelt werden, denn „these advisors to the government are directly on the IMF and World Bank pay-rolls. Their daily consulting incomes of $ 500-700 a day (including a 'daily subsistance allowance' of some $ 130 a day) were only slightly less than Peru's annual per capita income“ (Chossudovsky 1992: 341).
1 Zur begrifflichen Abgrenzung und Quantifizierung von nicht-tarifären Handelshemmnissen vgl. Lachmann 1994:190f; Seitz/Windfuhr 1989:72f; Senti 1986:145f. Diese Schutzmechanismen werden auch als „Grauzonenmaßnahmen“ bezeichnet, weil sie zwar dem Geist des GATT-Abkommens widersprechen, aber von diesem oftmals nicht erwähnt werden, da viele der Maßnahmen jüngeren Ursprungs und i.d.R. mit der Intention entstanden sind, die GATT-Bestimmungen umgehen zu können (Bender 1990: 52).
1 Wie sehr diese Ausnahmeregelungen inzwischen strapaziert wurden, verdeutlicht ein Aufsatz von Werner mit dem vielsagenden Titel „Das GATT heute: Die Ausnahme als Regel“ (ders. 1987: 43-70).
2 Vgl. Langhammer (1987); Müller (1983); Raghavan (1990); Seitz/Windfuhr (1989: 95-101); Senti (1986: 312-325; 1990); Tussie (1987); Whalley (1989).
3 Die Gründungsmitglieder bestanden aus zwölf Industrienationen und sechs Entwicklungsländern; inzwischen sind mehr als 2/3 der Mitgliedsländer des GATT Länder der sog. Dritten Welt.
1 Sondergenehmigungen bestehen für Baumwolle und Baumwollprodukte, Erdnüsse, Zucker und Milchprodukte (Senti 1986: 162f).
1 Ausführliche Darstellungen hierzu finden sich bei Breen 1993; Buntzel 1991; Fennel et al. 1993; Hathaway 1987; Miner/Hathaway 1988; Seitz/Windfuhr 1989; Tangermann 1987.
1 Der Selbstversorgungsgrad Japans im Nahrungsmittelbereich lag zu Beginn der 90er Jahre bei etwa 30% (Surendra 1993: 57).
2 Zur Cairns-Gruppe gehören die Länder Argentinien, Australien, Brasilien, Chile, die Fidschi-Inseln, Indonesien, Kanada, Kolumbien, Malaysia, Neuseeland, Philippinen, Thailand, Ungarn und Uruguay.
1 Ursprünglich war im MFA vorgesehen, die Exportquoten jährlich um 6% zu steigern. Dadurch sollte den sog. Entwicklungsländern wachsende Exportchancen eingeräumt und der Anpassungsprozeß in den Industriestaaten erleichtert werden. Indem sich die Industriestaaten aber immer häufiger auf die Ausnahmeregelung für den Fall einer “Marktzerrüttung“ beriefen, wurden sie von der Pflicht zur Quotensteigerung ausgenommen (Wortmann 1986). Mit der dritten Verlängerung des MFA (1981) wurden dann sogar Kürzungen der Kontingente beschlossen, was vor allem Südkorea und Hongkong betraf (Brunn 1993: 10).
1 Mexiko griff im Jahr 1987 die Forderung der USA nach Niederlassungsfreiheit auf, indem es Freizügigkeit für Arbeitskräfte aus den Ländern der sog. Dritten Welt verlangte: „Die allermeisten Entwicklungsländer haben eine Dienstleistung in besonderem Überfluß: menschliche Arbeitskraft. Ihre erste und wichtigste Liberalisierungsforderung laute deshalb: Arbeitskräfteexport durch Wanderarbeit, Offshore-Produktion und Subcontracting mit eigenen Arbeitskräften im Ausland“ (Handelsblatt 9.11.1987).
2 So erzielen zum Beispiel Indien, Pakistan und Südkorea mit Bauleistungen im Ausland (u.a. Entsendung von Baukolonnen) beträchtliche Deviseneinnahmen (Reinhardt et al. 1989: 24).
1 Neben den traditionellen Produktionsfaktoren Boden bzw. Ressourcen, Arbeitskraft und Kapital, gewinnt technologisches Vermögen eine immer größere Wichtigkeit, das deshalb durch staatliche Einflußnahme (Urheberrecht, Patentrecht) geschützt werden muß. Wichtig ist aber auch, daß technologisches Wissen nicht nur ein immer bedeutenderer Produktionsfaktor geworden ist, sondern daß Patente Monopole für ihre Inhaber darstellen, aus denen Renten - z.B. in Form von Lizenzgebühren - gewonnen werden können (Ipsen/Haltern 1991: 102). So beinhaltete 1947 weniger als 10 Prozent der US-Exporte immaterielle Bestandteile, während sich der entsprechende Anteil im Jahre 1986 auf bereits mehr als 27 Prozent belief (Ipsen/Haltern 1995: 211).
2 Beim Produktpatent ist ein bestimmtes Produkt geschützt, während ein Produktionspatent lediglich ein bestimmtes Verfahren schützt, dieses Produkt herzustellen. Gelingt es, dasselbe Produkt mit einer anderen Methode herzustellen, fällt dieses nicht unter Schutz des bestehenden Patentes.
1 So enthält das indische Patentrecht aus dem Jahr 1970 weitreichende Möglichkeiten des Staates, Lizenzen an Dritte weiterzugeben, wenn der Patentinhaber sein Patent nicht anwendet (compulsory licensing). Er erhält dafür eine angemessene Entschädigung (Keayla 1994: 151-164). Anders als in den Patentgesetzen westlicher Industrienationen sind in Indien bestimmte Bereiche aus ethischen, ernährungs- und gesundheitspolitischen Gründen nicht schützbar, so z.B. pflanzliche, tierische und menschliche Lebensformen (Ganesan 1994: 117, Table 1) sowie mikrobiologische Produktionsverfahren zur Weiterentwicklung von Tieren und Pflanzen (Menon 1994: 183).
2 Zu juristischen Aspekten handelspolitischer Abwehrmechanismen der USA und insbesondere zu ihrer Vereinbarkeit mit den GATT-Prinzipien vgl. Mavroidis (1992) und zu Aspekten der Politischen Ökonomie vgl. Bhagwati/Patrick (1990) und Stehn 1993.
1 Plan for Economic Development in India, bekannt auch als Tata-Birla-Plan (vgl. u.a. Ray 1979; Rothermund 1985: 148ff.)
1 Im Planentwurf waren Mittel für Getreideimporte im Umfang von 6 Mio. Tonnen auf fünf Jahre verteilt vorgesehen. Da die Ernten in zwei Jahren jedoch weit hinter den Erwartungen zurückblieben, mußten insgesamt 20 Mio. Tonnen Getreide importiert werden. Zusätzlich hatte die Planungskommission den Importbedarf für die vorgesehenen Investitionen - vor allem die der Stahlwerke - erheblich unterschätzt. Da sich gleichzeitig die Terms of Trade ungünstig für Indien entwickelten, stellte sich ein beträchtliches Handelsbilanzdefizit ein (Agarwal 1970: 35f.).
2 Ein internationales Bankenkonsortium, das unter Vermittlung der Weltbank von wichtigen westlichen Industrienationen in diesen Jahren indischer Bemühungen um westliches Kredite gegründet worden war. Das AIC wurde 1994 in India Development Forum umbenannt (Muralidharan 1994).
3 Okkupation von Goa 1961, Kauf sowjetischer Militärflugzeuge 1962, Kashmirkonflikt (Andersen 1992; Ganguly 1992; Wilson 1992)
1 In ihrer Außenpolitik nahm Indira Gandhi eine deutliche Position für die Sowjetunion ein und verbreitete einen verbalen „Anti-Amerikanismus“. Innenpolitisch deutete die Verstaatlichung der Banken und die Verabschiedung eines Kartellgesetzes (Monopolies and Restrictive Trade Pratice (MRTP) Act) diese Richtungsänderung an (Mitra Chenoy 1990: 285; Paranjape 1986: 61;Sandesara 1994).
1 Im Wirtschaftsjahr 1972/73 wies die Zahlungsbilanz noch einen geringen Überschuß von 280 Millionen Rs auf, der sich zwei Jahre später in ein Defizit von 9,6 Mrd. Rs. gewandelt hatte (Economic Survey 1977).
1 J.P. (1902-1979) hatte seine politische Laufbahn in der Congress-Partei begonnen. In politischen Kreisen wurde er oftmals als möglicher Nachfolger von Nehru genannt. Wegen Differnzen mit Nahru zog er sich 1957 aus der Politik zurück und schloss sich der Landschenkungsbewegung (Bhoodhan Movement) Vinoba Bhaves an. Beunruhigt von der autoritären Politik Indira Gandhis verbreitete er in den frühen 70er Jahren einen Appell an die indische Jugend, in dem er dazu aufrief, eine Bewegung „Jugend für Demokratie“ zu gründen. J.P. wurde in der ersten Nacht nach Verhängung des Ausnahmezustands (1975) verhaftet und erst kurz vor den Wahlen 1977 wieder freigelassen
2 Darunter auch Politiker der eigenen Partei, wie z.B. Chandra Shekhar, der daraufhin die Congress-Partei verlies und zu den Gründungsmitgliedern der Janata Partei gehörte, deren Präsident er zwischen 1977 und 1987 war.
1 In Delhi wurden, wie eine Untersuchungskommission unter Leitung des Richters Shah feststellte, 150.000 Hütten von Slumbewohnern von Bulldozern niedergewalzt, wodurch 700.000 Menschen obdachlos wurden (Shourie 1980:225).
2 Zwischen 1975 und 1977 wurden in Indien fast 12 Millionen Sterilisationen durchgeführt (Agrawal et al. 1993:95).
1 Im Vergleich zum Vorjahr ging die landwirtschaftliche Produktion um fast 17 Prozent zurück (World Bank 1990:147,Table 7.2).
1 Zwischen 1970 und 1980 erhöhten sich private Geldüberweisungen aus dem Ausland von 209 Millionen auf 2,9 Mrd. US-Dollar (Economic Survey 1993-94:S-80)
1 Ihnen wurde gestattet bis zu 25 Prozent der Produktion auf dem indischen Markt zu verkaufen (Statesman 02.02.1982).
1 Nur noch Betriebe mit einem Anlagevermögen von mehr als 1 Mrd. Rs (bislang 200 Millionen Rs.) fielen zukünftig unter die Bestimmungen des MRTP-Gesetzes, wodurch die Anzahl der von diesem Antimonopolgesetz betroffenen Betriebe von 2596 auf 1695 Unternehmen zurückging (Swamy 1994: 209; vgl. auch Rieger, nach dem die Anzahl der unter das MRTP-Gesetz fallende Betriebe 1163 betrug (ders. 1989: 102).
1 Im Falle einer ungenehmigten Betriebsschließung beträgt die Höchststrafe 5000 Rs und/oder 6 Monate Gefängnis. Unerlaubte Kündigungen sind schon für maximal 1000 Rs „zu haben“ (Garg 1992:138).
2 Von 1979 auf 1980 hatten sie um 20 Prozent zugenommen, um dann in den folgenden Jahren um lediglich 10 Prozent jährlich anzusteigen. 1986-87 stiegen sie dann um 24 Prozent und behielten diese Steigerung auch in den folgenden Jahren bei (Swamy 1994:214).
1 Erhöung der Düngemittelsubventionen, Verringerung der Einfuhrzölle für Pestizide, Abschaffung der Verbrauchssteuer auf Elektromotoren für Bewässerungspumpen, Reduzierung der Zinssätze für landwirtschaftliche Kredite um 1,5 bis 2,5 Prozent (Ghosh 1988; Kumar 1988; Rath 1988; Sen 1988).
1 1987 waren es gerade 4,7 Millionen Personen, die in Indien überhaupt Einkommenssteuer zu zahlen hatten, d.h. bedeutend weniger als 1 Prozent der Bevölkerung und auch bedeutend weniger als die 10-20 Prozent, die in aller Regel zur konsumorientierten Mittelschicht gerechnet werden (Nayak 1990:885).
1 Bereits als Rajiv Gandhis Finanzminister hatte er Korruption und Steuerhinterziehung heftig bekämpft und war deshalb zum Verteidigungsminister „degradiert“ worden. In diesem Amt deckte er dann auch korrupte Machenschaften auf, darunter den „Bofors-Skandal“, in dem es um Schmiergeldzahlungen eines schwedischen Rüstungskonzerns an führende Politiker der Congress-Partei ging.
1 Es ist schwierig, in diesem Zusammenhang von einer Stammwählerschaft zu sprechen, da die Parteienfluktuation in Indien sehr groß ist, führende Politiker häufig Parteien zu wechseln pflegen, und es deshalb notgedrungen häufig zur Neuordnung der Parteienlandschaft kommt. Der Widerspruch, Massenintegrationsparteien bei zunehmender Polarisierung der Wählerschaft gründen zu müssen, stellt ein bedeutendes Maß an Instabilität in der indischen Politik dar.
2 Bislang gab es im Zuständigkeitsbereich der Zentralregierung eine Reservierungsquote von 22,5 Prozent für Scheduled Castes (SC, d.h. Unberührbare; Dalits; Harijans) und Scheduled Tribes (ST, d.h. Stammesangehörige), sowie Quoten für Behinderte (3 Prozent), für die Angehörigen von Freiheitskämpfern und der Armee (zwischen 10 und 20 Prozent in bestimmten Berufen). Die verschiedenen Landesregierungen konnten höhere Quoten in ihrem Zuständigkeitsbereich festlegen. In Tamil Nadu sind so z.B. 69 Prozent der Arbeits- und Studienplätze im staatlichen Sektor für unterschiedliche Gruppen reserviert, wobei diese Praxis vom Obersten Gerichtshof in Neu Delhi als verfassungswidrig erklärt wurde, weil nach der indischen Verfassung die Reservierungsquoten 50 Prozent nicht überschreiten dürfen (Subramanian 1994: 32).
1 1988 betrug die Anzahl der neu zu besetzenden Stellen bei der Zentralregierung 204.290. Etwa 55.000 Stellen wären demnach unter die Reservierungsqoute für OBCs gefallen (India Today 15.09.1990: 36).
2 46 Prozent der Jungen und 50 Prozent der Mädchen schließen in Indien noch nicht einmal die Grundschule ab. Im Durchschnitt besuchen indische Kinder 2,4 Jahre lang eine Schule (Prabhu 1994:1013).
3 1989 gab es für 4522 Arbeitsplätze der Zentralregierung 454.000 Bewerbungen (India Today 15.09.1990:37).
4 Häufig als AJGAR-Allianz bezeichnet (vgl.Chakravarthy 1990; Menon 1990).
1 Nach dem indischen Wahlgesetz darf eine Wahl in einem Wahlkreis nicht durchgeführt werden, wenn einer der Bewerber stirbt. Immer häufiger werden deshalb Kandidaten einfach umgebracht, um einen ungünstigen Wahlausgang zu verhindern.
2 Arun Nehru, Arif Mohmmed Khan und Satyapal Malik wurden von Devi Lal unter Vorlage gefälschter Dokumente der Korruption beschuldigt (Shourie 1992:99-107).
3 Im März 1991 wurde Om Prakash Chautala erneut Ministerpräsident von Haryana, konnte sein Amt jedoch nicht lange wahrnehmen, da der Gouverneur von Haryana noch im selben Monat die Regierung absetzte. Die Wahlen im Juni 1991 wurden von der Congress-Partei mit überwältigender Mehrheit gewonnen. Die Untersuchungen der Vorfälle während der Nachwahlen im Februar 1990 ergaben, daß eine Beteiligung von Abhey Singh, Chautalas Sohn, an den Polizeiausschreitungen nicht nachgewiesen werden könne. Außerdem habe die Polizei in Notwehr gehandelt (Pande 1992).
1 Zum historischen Hintergrund des Konfliktes um die Ram Janmabhoomi (=Geburtsstätte Ramas) bzw. Babri Masjid (=Babra Moschee) vgl. Aggarwal/Chowdhry (1991) und Srivastava (1991).
2 Bei den Wahlen 1984 hatte die BJP gerade 2 Parlamentsmandate erhalten können, 1989 waren es 88 und 1991 sollten es dann 119 werden (Agrawal/Aggarwal 1990: 189f; Bhambhri 1991: 259).
1 Eine Karte der geplanten Prozessionsroute ist bei Aggarwal/Chowdhry 1991:3 abgedruckt. Insgesamt sollten bis zum 30. Oktober 10.000 km zurück gelegt werden. Die südlichste Stadt war Hyderabad, die nördlichste Rohtak (Haryana) und die östlichste Dhanbad (Bihar, an der Grenze zu West Bengalen).
1 Es ist zwar richtig, daß der US-Dollar-Wert der Verschuldung durch die Abwertung nicht beeinträchtigt wird, sondern lediglich ihr Wert in indischer Währung. Da Auslandsschulden jedoch nur in Devisen zurückbezahlt werden können, bedeutet die Abwertung, daß nun mehr Waren exportiert werden müssen, um Devisen für den Schuldendienst zu erwirtschaften.
1 Rüstungsproduktion, Atomkraft, Kohlebergbau, Erdölförderung, Eisenbahn und Bergbau im Bereich spaltbarer Mineralien (Economic Survey 1993-94: 93).
1 1991/92 wurden, je nach Klasse, Fahrpreiserhöhungen um 15-20% und die Erhöhung der Frachttarife um 10% beschlossen. Im Haushaltsplan 1992/93 wurden die Fahrpreise dann nochmals um 10-22% erhöht und die Frachttarife um 7,5%. Im Haushaltsplan von 1993/94 wurden die Fahrpreise dann abermals um 10% und die Frachttarife zwischen 10-12% erhöht. Mit dem Haushaltssplan 1994/95 erhöhten sich die Bahnpreise abermals.
1 Nach der Verkündigung des Haushaltsplans 1992-93 stieg z.B. der Aktienindex an der Bombayer Börse innerhalb einer Woche um 38 Prozentpunkte an. Manche Aktien konnten dabei einen Wertgewinn von über 200 Prozent erreichen (The Hindu 30.03.1992).
1 Bis Anfang 1994 waren in dieses Programm 41 Tonnen Gold eingebracht worden (Dandekar 1994).
1 So wird "Kopf-"arbeit i.d.R. gesellschaftlich höher bewertet als Handarbeit; ein Abteilungsleiter erhält z.B. ein höheres Einkommen als sein Untergebener, selbst wenn dieser erheblich mehr zur Entstehung eines Wertes beitragen sollte.
1 Die größten "kranken" Betriebe, die eine Monopolstellung einnehmen, sind: Food Corporation of India, Indian Airlines Corporation, Delhi Transport Corporation, Coal India Ltd, Vayudoot, Bharat Gold Mines, National Film Development Corporation und North Eastern Regional Agricultural Marketing Corporation; bei den mit privaten Firmen konkurrierenden Staatsunternehmen schreiben besonders die Textilbetriebe, vor allem die National Textil Corporation, Verluste. Unter den kranken Betrieben befinden sich auch etliche (mindestens 14), die einstmals in privatem Besitz waren, dann aber verstaatlicht wurden, als sie nicht mehr gewinnbringend arbeiteten (Bidwai 1994).
2 Zunächst hat sich die indische Regierung dazu entschlossen, bis zu höchstens 20 Prozent der Unternehmensbeteiligungen eines Unternehmens in private Hände zu geben. Von verschiedenen Seiten wird dies als zu gering erachtet. So schlägt das Rangarajan Kommittee die Abgabe von 74 Prozent der Beteiligungen vor (Bidwai 1994: 112) und Dandekar sogar den vollständigen Verkauf (Dandekar 1994: 987).
3 Für unprofitable Unternehmen bemerkt Swamy (1994): " Many large sick textil and engineering units are situated in prime locations in metropolitan cities where land prices have increased by many times their original book value. For example, the price of land where sick textile mills in Dehli and Bombay are located is not less than Rs 20,000 per square metre. Thus, the real estate value of these units makes them extremly wealthy even though their current production activities are unprofitable" (Swamy 1994: 264).
4 So waren bei der ersten Runde der Privatisierung lediglich 10 Finanzinstitute zugelassen, die Gebote einreichen durften (Muralidharan 1994: 117). Zwei dieser Institute, der Unit Trust of India (UTI) und die Life Insurance Corporation of India (LIC) konnten sich 76 Prozent der vergebenen Aktienpakete sichern (Brahmachary 1994: 252). Die "ersteigerten" Aktienpakete sollten von diesen Finanzinstituten in Form von Aktienfonds an der Börse angeboten werden.
1 Die große Spannbreite ergibt sich dadurch, daß bei den niedrigen Werten lediglich der Wert berücksichtigt wurde, den die Regierung ursprünglich realisieren wollte und bei den höheren Werten der tatsächliche Wert der Unternehmen zu Grunde gelegt wurde.
2 Die niedrigsten Schätzungen liegen bei knapp über 30 Mrd. Rs (31 Mrd.Rs: Officers Association of Public Sector Units; 33 Mrd. Rs.: Institut of Public Enterprises und 34 Mrd. Rs: Comptroller and Auditor General of India (CAG=Bundesrechnungshof). Der Präsident der Janata Dal(S), Subramaniam Swamy, schätzt die Verluste auf 80 Mrd. Rs. Die höchsten Schätzungen belaufen sich auf 120 Mrd. Rs (Public Policy Experts) und 509 Mrd. Rs (Brahmachary 1995: 251).
3 Subramaniam Swamy zufolge soll dadurch Ajay Kayan, ein Börsenmakler, der für die Citibank arbeitet, einen Profit von 30-50 Mrd. Rs gemacht haben. Ermöglicht wurden die Unregelmäßigkeiten, so Swamy, dadurch, daß A.N. Verma, ein Sekretär von Premierminster Rao, ohne Raos Wissen dem zuständigen Ausschuß für die Privatisierung mitgeteilt hatte, ein Großteil der Aktien solle unter Wert an den Unit Trust of India verkauft werden. Kayan habe anschließend die Aktien unrechtmäßig von der UTI aufgekauft und an andere Kreditinstitute (Citibank, Bank of America) weiterverkauft (Subramanian 1994: 116). "Detection of these irregularities had led to a furore in Parlament, and almost forced the Government to cancel its third round of disinvestment last year" (Muralidharan 1994: 117).
4 Der "reserve price" hatte bei der BEL 80 Rs betragen, bei der ersten Privatisierungsrunde konnte eine Aktie jedoch lediglich einen durchschnittlichen Wert von 30 Rs erreichen (Menon 1994: 99).
5 In seiner Rede zur Vorlage des Haushaltsplans 1994-95 weist Finanzminister Manmohan Singh selbst darauf hin, daß die Privatisierung "a bold programme for disinvestment of government equity in public enterprises [...] purely for debt reduction" sei (Budget 1994-95: 15f).
1 Im Haushaltsplan von 1994-95 wird der Freibetrag für Hochzeitsgeschenke bei der Geschenkesteuer von 30.000 auf 100.000 Rs erhöht (Budget 1994-95: 30). So brauchen viele, die gegen das "Anti-Mitgift-Gesetz" verstoßen, nicht gleichzeitig auch noch gegen Steuergesetze verstoßen (!!!).
1 Die Industrienationen müssen ihre Märkte nach sechs Jahren um drei Prozent und anschließend stufenweise in gleichen Schritten bis auf fünf Prozent des nationalen Verbrauchs öffnen (Pascher 1994).
1 Da der procurement price, den die indische Regierung beim Aufkauf von Nahrungsmitteln für das PDS bezahlt, geringer ist als der Marktpreis, ist aus dieser Bestimmung -entgegen der Befürchtung einiger Autoren (z.B. Sharma 1994: 173)- des Vertragstextes keine negative Auswirkung für das PDS in Indien zu erwarten.
1 Tatsächlich gibt es bei der indischen Regierung Überlegungen, die Nahrungssubventionen auf dem gegenwärtigen Stand einzufrieren (Economic Survey 1993/94: 66). In diesem Zusammenhang wird auch von manchen Autoren darüber nachgedacht, die staatlichen Getreidereserven deutlich zu verringern und in Dürrejahren Engpässe durch Importe zu überbrücken (Tyagi 1990: 196-200).
2 Damit sollten die Auswirkungen des indischen Patentrechts von 1859 verhindert werden, das dazu führte, daß etwa 90 Prozent der Produkte und Herstellungsverfahren, für die in Indien seit der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts Patente vergeben wurden, zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit gar nicht angewandt wurden, sondern lediglich die Produktion eines Produktes in Indien selbst verhindern sollten. (Abrol 1991: 107).
1 Wichtige Medikamente waren 1989 in Indien zwischen sechs und dreißig Mal billiger als in Großbritannien (Sridhar 1991:110) und zwischen 8 und 72 mal billiger als in den USA (Sharma 1994: 59; vgl. The Economic Times, 14.03.1993).
1 Würde man die Sicherheitsbedenken tatsächlich ernst nehmen, müßten viele in den USA verkauften Textilien vom Markt genommen werden, die vollständig aus synthetischen Fasern gefertigt werden.
1 Für die Einfuhr von Fischereiprodukten in die EU bestehen keine Mengenbeschränkungen, es fallen lediglich Zölle in Höhe von 4 (Garnelen) bis 19 Prozent (Makrelen) an. Die Einfuhrumsatzsteuer (in der BRD z.Zt. 7,5 Prozent) ist vom Importeur zu entrichten (IGCC 1988: 109ff).
2 So gingen einige Prognosen z.B. davon aus, daß die jährlichen Fangquoten 200 - 400 Mio. Tonnen erreichen könnten (Brown 1986: 7).
1 Vgl. Campleman 1973; ICFWS 1984, 1986; für die Philippinen: Bailey 1985, ICED 1986; für Ma-laysia: Consumers' Association of Penang 1980 und für Sri Lanka: Alexander 1975.
2 Bereits 1973 hatte Dwivedi für Indien vorgeschlagen: „ The trawl fisheries can become more remunerative in the near future by better utilization of the low priced fish. [...] The low priced fish can be used for fish meal industry. This industry can be revolutionised by starting modern fish meal factories near the landing centres “.
1 Ohne die zu Indien zählenden Inseln. Werden diese mitgerechnet, ergibt sich eine Küstenlänge von über 7500 km (Singhal 1992: 171).
1 Pro km2 beträgt das Potential in Tiefen über 50 m etwa 0,93 Tonnen. Im Vergleich dazu ist es in küstennahen Bereichen (0-50 m) mit 10,75 Tonnen fast zwölf mal so hoch (Frontline 18.11.1994: 83).
1 Bereits 1987 sah S.N. Dwivedi, Staatssekretär im Department of Ocean Development in der Förderung der Tiefseefischerei dringenden Handlungsbedarf für die Regierung, da sich eine Stagnation der indischen Anlandungen von Meeresprodukten andeutete: „ The speed at which this problem can be solved is the most critical factor because fish is a living resource and if it is not exploited at an appropriate time, it is lost to the nature (Dwivedi 1987: 24; Hervorhebungen vom Autor hinzugefügt).
1 Als erstes indisches Bundesland verabschiedet Kerala 1980 ein solches Gesetz; es folgen Goa (1982), Maharashtra (1982), Orissa (1982), Andhra Pradesh (1983), Tamil Nadu (1983) und Karnataka (1986) (Verghese 1989).
2 Ausführlich dazu: Galtung 1961, 1969, 1984; Ibrahim 1992; Klausen 1968; Kurien 1978; Kurien/Willmann 1982; Murickan 1987; Platteau 1984; Vijayan 1985).
3 Zu dieser Zeit waren vor allem einkommensschwache Gruppen Konsumenten von Fisch. Die Zielsetzung hatte damit auch auf der Nachfrageseite ausgesprochen sozial motivierte Aspekte.
4 Erst später sollten sich Außenbordmotoren in der Kleinfischerei Keralas durchsetzen können, wobei allerdings eine zunehmende Verschuldung der Fischer festzustellen ist. Ausführlich dazu: Achari 1986b.
1 1960 gab es in Kerala 115 mechanisierte Boote, 1980 waren es offiziell 3038 (Ibrahim 1992: 68).. Kurien hingegen gibt für 1994 die Anzahl der mechanisierten Boote in Kerala mit 5000 an. Auf mehr als 4500 dieser Boote geht der Besitzer selbst nicht fischen (Kurien 1994: 44).
2 Zwischen 1969 und 1982 gingen die Fänge der Kleinfischer von 355.000 auf 167.000 Tonnen zurück. Gewalttätige Auseinandersetzungen, die zwischen Kleinfischern und Purse-Seine-Fischern 1977/78 bereits in Goa stattgefunden hatten, gab es ab 1979 in Kerala immer öfter (Murickan 1987).
1 Nach dem Report einer staatlichen Untersuchungskommission (Kalavar-Committee, 1985) waren Mitte der 80er Jahre 56 Prozent der in Kerala operierenden Trawler unnötig. “This indicates that an investment of about 220 million Rupees has been a sheer economic waste “ (Choudhury 1986: 20).
1 1979 lebten 98,5 Prozent der Kleinfischerfamilien in Kerala unter der Armutsgrenze (Kumar 1988: 578).
2 Vgl. für Goa: D'Souza 1978; Pendse 1984; für Gujarat: Khakhar/Patil 1980; für Maharashtra: Mokashi 1972; für Karnataka: Dietrich 1989; für Tamil Nadu: Blake 1969; Marini 1977; Srinivasan 1978; für Andhra Pradesh: Prasada Rao/Kumar 1984; Subba Rao 1979, 1980, 1986; für Orissa: NFF 1989abc; Titze/Kalavathy 1984 ;für West Bengalen: NFF 1989abc;
1 Vgl. dazu ausführlich: Konflikt um Fischereirechte Pulicat-See, Tamil Nadu: CReNIEO 1991; Mathew 1991;Vania 1993; Vidyasagar/Rajadurai 1989; Chilika-See, Orissa: Ray 1994; Shankar 1992; Sridhar 1992a, 1992b. Ende April 1995 riefen Umweltschützer zur Zerstörung von Garnelenfarmen in Tamil Nadu auf (The Hindu 29.4.1995).
1 Am 30.04.1992 legte Ministerpräsidentin Jayalalitha den Grundstein für ein 11,5 Mio. Rupien teures Projekt bei Tuticorin, für das 50 ha Land in Garnelenteiche umgewandelt werden sollen. Wie in anderen Regionen kam es auch hier zu massiven Protesten der Bevölkerung (The Hindu 20.05.1994). „ Sirkuli taluk, in Nagapattinam Quaid-e-Milleth district in Tamil Nadu [...] has seen extensive conversion of 2000 ha of prime agricultural land into 150 shrimp farms “ (BDM, Dezember 1994: 17).
2 Ein ähnlicher Preisanstieg wird aus dem Nellore-Distrikt in Andhra Pradesh gemeldet. Hier sind die Preise innerhalb von zwei Jahren von 500 Rs/ha auf über 100.000 Rs/ha angestiegen (Subramanyam 1994:72).
1 Subventionen der Zentralregierung zur Förderung von exportorientierten Aquakulturen werden vor allem von der Marine Products Export Development Authority (MPEDA) und von der National Bank for Agriculture and Rural Development (NABARD) gegeben (Dasmunsi 1987; Pandey/Chaturvedi 1994; Singh 1993). Seit 1992 hat auch die Weltbank Kredite von über 100 Mio. US-Dollar zur Förderung von Aquakulturen in fünf indischen Bundesländer (Andhra Pradesh, Orissa, Uttar Pradesh, Bihar und West Bengalen) zur Verfügung gestellt. Damit sollen u.a. in küstennahen Backwater gebieten fast 4.000 ha Fisch- und Garnelenteiche angelegt werden (Pandey/Chaturvedi 1994).
1 So wurden 1976 beim schlimmsten Konflikt in Kerala 19 Kleinfischer getötet und viele Anzahl Trawler zerstört. In diesem Jahr starben in Tamil Nadu bei Auseinandersetzungen 16 Kleinfischer (Choudhury 1986: 20). Allein in der zweiten Hälfte der 70er Jahre forderte der Konflikt zwischen Kleinfischerei und mechanisierter Fischerei in Kerala mehr als 100 Tote. Noch Anfang 1993 wurden in einem Fischerdorf 60 km nördlich von Trivandrum 14 Trawler ein Raub der Flammen (Down to Earth, 15.05.1993: 33f).
1 Kellog hat dazu eine 60 Mio. US-Dollar teure Werbekampagne für Cornflakes begonnen. „ Auch wenn es schwierig sein dürfte, die indischen Verbraucher für das neue, schnelle Frühstück zu gewinnen, so verfüge der Konzern über »viel Erfahrung bei der Schaffung eines Absatzmarktes für seine Produkte in Ländern, in den die Eßgewohnheiten ganz verschieden sind«. [...] Er beabsichtigt, die Verbraucher durch Werbekampagnen zu »erziehen«, die sich an Eltern, Lehrer und Ärzte richten, und plant besondere Programme für Schulen, um für seine Produkte zu werben. Diese Strategie zeigt, daß die eigentliche Zielgruppe - wie auch in den USA - die Kinder sein werden “ (EPD-ENTWICKLUNGSPOLITIK, 6/1995: 45).
1 „ Taste is the key. The Indian consumer will not sacrifice taste for convenience or accept a low price for poor taste “ (Hindu Survey of Indian Industry 1993: 399).
2 Vgl.: Annadurai 1992, der eine umfangreiche Durchsicht der meisten zu diesem Thema in Indien erschienen Arbeiten vorlegt, sowie: Bapna 1990; Dholakia/Khurana (Eds.) 1979; Gupta 1977; Rao 1995; Tyagi 1990a, 1990b; Venugopal 1992
1 Die traditionellen Methoden zur Bekämpfung von Hungersnöten sahen die Briten vor allem (a) langfristig in der landwirtschaftlichen Produktionssteigerung hauptsächlich durch den Ausbau der Bewässerungsinfrastruktur und (b) kurzfristig im Transport von Nahrungsmitteln aus Überschuß- in Mangelgebiete sowie ihrer Verteilung, teilweise über Food for Work -Programme. Bei der Verteilung handelte es sich hauptsächlich um krisenbedingte ad hoc -Maßnahmen, so daß von einer Verteilungs politik kaum gesprochen werden kann (Merewether 1898; Mishra 1991: 277-323; Rajalakshmi 1991).
2 Ryotwari, Zamindari und Mahalwari; vgl. Baden-Powell 1892; Kuhnen 1965, 1980).
3 Hier allgemein verstanden als solche Landwirte, deren Produktion nicht hoch genug ist, um den Eigenbedarf zu decken und die deshalb zusätzliche Nahrungsmittel über den Markt beziehen müssen.
1 Entgegen der Erwartung der britischen Kolonialmacht und der sie unterstützenden Grundherren stellten sich die Bauern und Pächter bei diesen Wahlen auf die Seite des Congress und stimmten nicht für die von den Briten geförderten National Agriculturist Party (Rothermund 1985: 119).
1 Vielerorts besteht die Unterversorgung ländlicher Gebiete nicht darin, daß es dort keine FPS gäbe, sondern daß es in ihnen nur wenig zum Kaufen gibt (s.u.).
1 Ausführlich dazu: Bohle 1981, 1989, 1991; Frankel 1971
2 Bei keiner anderen Erwerbstätigengruppe sind die Löhne langsamer gestiegen wie bei den Landarbeitern. Zu Beginn der 80er Jahre lagen die Reallöhne nur geringfügig über dem Niveau von 1960 (IBRD 1989: 288).
1 In den Augen der indischen Entwicklungsplaner wurde gesellschaftliche und industrielle Entwicklung in den Jahren nach der Unabhängigkeit praktisch synomym gebraucht.
1 Im weiteren wird lediglich die Arbeitsweise der FCI dargestellt; die der NAFED entspricht dieser weitgehend.
1 Ausführlich zu Problemen der Preisfestsetzung im PDS: Kaul 1979.
1 So betrugen im Februar 1994 die Reispreise in den Fair Price Shops verschiedener Bundesländer zwischen 2,00 Rs (Andhra Pradesh) und 5,00 Rs (Assam, Maharastra) (jeweils für die schlechteste Qualität).
2 Eine Abweichung vom offiziellen Issue Price nach unten besteht lediglich für die Gebiete, die vom Integrated Tribal Development Project umfaßt werden und für jene Bundesstaaten mit hoher tribaler Bevölkerung (Nagaland, Meghalaya, Arunchal Pradesh, Mizoram, Lakshadweep) (Tyagi 1990b: 44).
3 Ausführlich zu den Verwaltungsproblemen auf der Ebene der Bundesländer: Buch 1979.
4 Bevor Ende der 50er Jahre diese Ration-card eingeführt wurde, in der jeder Einkauf in einem Fair Price Shop notiert wird, war es sogar so, daß lediglich die Abgabemenge für einen Einkauf begrenzt war. Ein Haushalt konnte demnach innerhalb eines Monats mehrere Male die Maximalmenge kaufen (Gupta 1977).
5 Ahmad/Singh (1982) verweisen darauf, daß - entgegen der Aussagen der Behörden - es oftmals für einen Haushalt eine zeitaufwendige und langwierige Prozedur bedeutet, eine solche Ration-Card zu erhalten. Anfang der 80er Jahre hatten etwa elf Prozent der Bevölkerung Delhis keine solche Karte (Ahmad/Singh 1982: 36).
6 So können in Andhra Pradesh Haushalte mit einem Jahreseinkommen von unter 6.000 Rs zusätzlich pro Haushaltsmitglied und Monat fünf kg Reis zum Preis von zwei Rs erwerben; in Karnataka stehen Haushalten mit einem Einkommen bis zu 3.600 Rs zehn kg Reis, Weizen und/oder Hirse zusätzlich zur Verfügung; in Tripura wird die Größe des Landbesitzes bei der Verteilung subventionierter Nahrungsmittel berücksichtigt, wobei jedes erwachsene Haushaltsmitglied monatlich acht kg Reis erwerben kann, wenn der Landbesitz unter zehn acres (ca. 4 ha) liegt (Tyagi 1990b: 42f; vgl. Parathasarathy 1994).
1 Venugopal 1992 spricht von zwei Litern pro Haushalt (ders. 1992: 86).
1 1989 kamen 24,9 Prozent der Reisproduktion Tamil Nadus aus dem Thanjavur-Distrikt; es folgten: South Arcot-Distrikt (12,8 Prozent), Chengalpattu-Distrikt (10,4 Prozent) und der Madurai-Distrikt (8,5 Prozent). Diese vier Distrikte trugen über 56 Prozent zur Reisproduktion bei, auf die restlichen 17 Distrikte Tamil Nadus entfielen weniger als 44 Prozent (nach: Statistical Handbook of Tamil Nadu 1991: 137-168).
2 Mitte der 80er Jahre konnte ein fünfköpfiger Haushalt in Tamil Nadu etwa ein Fünftel seines monatlichen Nahrungsbedarfs über die Fair Price Shops abdecken (MIDS 1988: 151).
3 Je nach Lage des FPS (Stadt <-> Land), bevorzugter Reisqualität und Kerosineinkauf.
1 Nach Jharwal (1993) machen die Rationen aus den FPS bei Armutsgruppen zwischen 11,8 Prozent bei Weizen und 17,5 Prozent (bei Reis) des monatlichen Getreideverbrauchs aus (zit.: in: Rao 1995: 217).
2 AHMAD/SINGH (1982) stellen fest, daß in 68 Prozent der von ihnen untersuchten Städte die Nahrungsrationen in monatlichen Abständen ausgegeben werden. „ Distribution presently is done forthnightly in cities with generally high wage levels. On the other hand, monthly distribution is a characteristic of cities with generally low wage levels “ (Ahmad/Singh 1982: 33).
1 Im Wirtschaftsjahr 1993/94 waren sie auf über 55 Mrd. Rs angestiegen (India Today 15.02.1995: 48).
2 Zwischen März 1991 und Dezember 1994 war der Großhandelspreisindex für Düngemittel um über 100 Prozent gestiegen und der für Elektrizität um etwa 66 Prozent (EPW 07.01.1995).
1 Der issue price für diese neu geschaffenen Fair Price Shops war 50 Rs/100 kg niedriger als der central issue price für das „noramle“PDS (Economic Survey 1993-94: 65).
2 in einem Land, in dem der Großteil der Erwerbstätigen kein regelmäßiges, eindeutig feststellbares Einkommen erzielt, ist eine Begrenzung nach ökonomischen Kriterien äußerst schwierig.
1 Das von Rama Rao im Wahlkampf angekündigte „ 2 Rs-for-a-kg Rice Scheme “ wird jährlich etwa 12,6 Mrd Rs kosten und damit etwa ein Drittel der jährlichen Einnahmen Andhra Pradeshs verschlingen (India Today 15.02.1995: 44).
1 “Those present at the meeting quote Rai as saying that imports of sugar, which would have prevented the anticipated rise in prices, would only be made “over (his) dead body “ (Swami 1994: 114f).
1 Der Begriff der „nicht-staatlich“ organisierten Sozialen Sicherheit ist dem Begriff der „traditionellen“ Sicherung vorzuziehen, weil es diese Organisationsformen auch in sog. „modernen“ Gesellschaften gibt und die sog. „traditionellen Sicherungssysteme“ nicht statisch sind, sondern von der gesellschaftlichen Dynamik beeinflußt und damit verändert werden.
2 Durch Art. 37 wird der verbindliche Charakter dieser Bestimmungen sehr stark eingeschränkt. Er lautet: „ The provisions contained in this part shall not be enforceable by any court, the principles therein laid down are nevertheless fundamental in the governance of the country and it shall be the duty of the State to apply these principles in making laws “ (COI 1992: 21).
3 Art. 41: Right to work, to education and to public assistance in certain cases - The State shall, within the limits of its economic capacity and development, make effective provision for securing the right to work, to education and to public assistance in cases of unemployment, old age, sickness and disablement, and in other cases of undeserved want.
Art. 42: Provision for just and humane conditions of work and maternity relief - The State shall make provision for securing just and humane conditions of work and for maternity relief (COI 1992: 23).
1 Nach dem WCA beträgt die Mindestentschädigung im Todesfall gegenwärtig 20.000 Rs, bei dauerhafter Arbeitsunfähigkeit 24.000 Rs.. Bei bleibenden Gesundheitsschäden (Behinderungen, Berufskrankheiten) wird entsprechend der Schwere des Gesundheitsschadens und des bisherigen Verdienstes eine Entschädigung bezahlt (Garg 1993: 225).Bei Betrieben mit über 20 Vollzeitbeschäftigten wird dieser Bereich seit 1948 von der gesetzlichen Krankenversicherung (Employees State Insurance (ESI )) abgedeckt.
2 für manche Berufsgruppen ist der Mutterschaftsschutz auch im Employees State Insurance Act von 1948 geregelt (Garg 1993: 70,72).
1 Ein Provident Fund (Vorsorgefonds) ist ein Zwangssparsystem, in dem individuell angespart wird. Er wird aus einkommensbezogenen Beiträgen von Arbeitsnehmern und/oder Arbeitsgebern finanziert und beeinhaltet i.d.R. keine Versicherungselemente. Beim Austritt aus dem Berufsleben erhält der Arbeitsnehmer den bis dorthin angesparten Geldbetrag in einer Summe ausbezahlt (vgl. Heinemann 1971: 161-178; Queisser 1993).
1 In der Regel 10 Vollzeitbeschäftigten bei Betrieben, in denen Maschinen eingesetzt werden bzw. 20 Vollzeitbeschäftigte bei reinen Handwerksbetrieben („ carrying on a manufacturing process without the aid of power “ Garg 1992: 59).
2 Vielfach ging jedoch die Initiative von verschiedenen Bundesländern aus, die die Zentralregierung zur Übernahme und damit zentralstaatlichen Regelung unterschiedlicher Bereiche veranlaßte, so etwa beim Mutterschaftsschutz und bei der betrieblichen Gratifikation (Johri 1982: 109f).
3 Im Gegensatz dazu werden die Maßnahmen im formellen Sektor häufig von autonomen Körperschaften durchgeführt und überwacht. So wird z.B. die Krankenversicherung von der Staatlichen Versicherungsanstalt für Arbeitnehmer (Wadhawan 1972: 449) verwaltet, einer Körperschaft, in der Repräsentanten der Zentralregierung, der Landesregierung sowie der Arbeitgeber und -nehmer vertreten sind (Garg 1992: 62f; Rath 1978: 224). Die Pensionskassen nach dem „Employees' Provident Fund“ werden auf unterschiedlichen Ebenen von Kuratorien treuhänderisch verwaltet (Board of Trustees) (Garg 1992: 42). Zusätzlich wachen auch die Gewerkschaften darüber, daß die bestehenden Gesetze eingehalten werden.
1 1986 betrug das durchschnittliche Jahreseinkommen eines Fabrikarbeiters in Indien etwa 9900 Rs (CSO 1990). Ein durchschnittliches Monatseinkommen von 1000 Rs für 1992 ist demnach eine eher zu niedrige Schätzung.
1 Von der Weltbank wurde dafür eine Summe von 500 Millionen US-Dollar (über 14 Milliarden Rupien) bereitgestellt. Im Haushaltsplan für das Wirtschaftsjahr 1992-93 wurden von der indischen Regierung zusätzlich dazu Finanzmittel in Höhe von 22 Milliarden Rupien ausgewiesen (Bhatty 1993: 14).
1 Beschäftigte, die jünger als 30 Jahre und älter als 50 Jahre sind, sollen drei Jahre lang eine Lohnfortzahlung erhalten, Beschäftige im Alter zwischen 30 und 50 Jahren vier Jahre lang (Bhatty 1993: 34).
2 Bei den Beschäftigten unter 30 Jahren sollen 60 Prozent des bisherigen Gehalts weiterbezahlt werden (Bhatty 1993: 34).
3 Hier wird unterschieden nach Alter des Arbeitsnehmers sowie wirtschaftlicher Leistungskraft (Sick Public Sector Units <=> Public Sector Units in General) des Unternehmens.
1 Physically Handicapped Pension, (PHP; 1974); Destitute Widows Pension, (DWP; 1975); Destitute Agricultural Labourers Pension, (DALP; 1981); Destitute Deserted Wives Pension, (DDWP; 1984)
1 Es handelt sich demnach zusätzlich zu einer Maßnahme zur Begrenzung des Bevölkerungswachstums und Erhöhung des Heiratsalters bei Frauen.
2 Ähnliches gilt auch für den organisierten Sektor: so sind Geschenke bei Hochzeiten bis zu einer Höhe von 100.000 Rs (ansonsten 30.000 Rs) von der Geschenkesteuer befreit. Auch können Kredite aus der Vorsorgekasse bei der Heirat der Tochter (!) aufgenommen werden.
1 900 Rs Altersrente plus den Wert der Mahlzeit im Rahmen des Schulspeisungsprogramms (340 Rs), ca. 150 Rs durch den kostenlosen Bezug von 52 kg Reis plus 120 Rs für Kleidung.
1 Generell kann festgestellt werden, daß in keinem anderen Bereich die staatlichen Leistungen für soziale Sicherung in den Jahren nach 1991 ähnlich stark ausgebaut wurden wie bei den Polizeikräften (vgl. Tamil Arasu, verschiedene Ausgaben nach August 1991).
1 Eine häufige Antwort von Fischern/Fischersfrauen bei der Frage nach dem finanziellen Umfang der Unfallversicherung für Kleinfischer.
1 Da noch nicht einmal Schätzungen über die Anzahl der FischkleinhändlerInnen vorliegen, wurde ihr Beitrag bei der Hochrechnung nicht berücksichtigt.
2 Nimmt man - wie das Tamil Nadu Fisheries Department - ein Bevölkerungswachstum von jährlich 1,75 Prozent an (TNFD 1988: 5).
3 Der entsprechende Anteil für die Gesamtbevölkerung Tamil Nadus war nach dem Census von 1981 6,51 Prozent (Statistical Handbook of Tamil Nadu 1991: 74). Da sich aufgrund des geringeren Bevölkerungswachtums dieser Anteil inzwischen erhöht hat, wird hier von einem hohen Wert von 7,5 Prozent ausgegangen. Nach den Hochrechnungen des Achten Fünf-Jahres-Plans wird dieser Wert für Indien im Jahr 2000 erreicht werden (GOI 1992-I: 26,Table 2.5).
1 Obwohl drawidisch eigentlich eine Rassenbezeichnung ist, wohingegen der Begriff tamilisch eine Kultur umschreibt, wird von einer Drawidischen Bewegung gesprochen, obwohl ihr Anliegen (vordergründig) dem Wiedererstarken tamilischer Kultur galt und sich ihre Bedeutung nie über den tamilischen Raum hinaus in andere drawidische Gruppen hat ausbreiten können, auch wenn sich die Forderungen der Bewegung auf den gesamten drawidischen Sprachraum bezog (vgl. Sivathamby 1993: 22ff).
1 „ The lack of generalized...ranking and even of general knowledge of the position of various non-Brahmin castes meant that ...non-Brahmins were now “lumped “with the non-Brahmin masses in cities and towns. In urban areas non-Brahmins from highly orthodox castes were treated as part of the undifferentiated category - non-Brahmin “ (Barnett 1975: 76).
1 Periyar wurde 1879 geboren. Er gehörte einer angesehenen Handwerker- und Händlerfamilie an. Bereits mit 13 Jahren wurde er verheiratet, doch schon sechs Jahre danach gab er sein weltliches Leben auf, um als Bettelmönch (sanyasi) durch ganz Indien zu reisen. Angewidert von der Ausbeutung der Massen durch Brahmanen, der er immer wieder begegnete, gab Periyar sein Mönchsein auf, um sich in seiner Heimatstadt Erode politisch und sozialreformerisch zu betätigen (Hardgrave 1975: 25f; Malhotra 1990: 424f; Rösel 1992: 481ff). 1920 schloß er sich dem Indischen Nationalcongress an, in dem er sich auch weiterhin für die Belange der unteren Kastengruppen einsetzte. Im indischen Nationalcongress stieß er jedoch mit seinen Aktionen und Forderungen auf den Widerstand der dort vertretenen Brahmanen. Als er 1924 zum Präsidenten des Indischen Nationalcongresses von Tamil Nadu gewählt worden war, brachte ein brahmanischer Parteifunktionär - noch bevor er sein Amt antreten konnte - einen Mißtrauensantrag gegen ihn durch, woraufhin er 1925 dem Congress den Rücken kehrte und die Self-Respect-Movement gründete (Ram 1974: 219).
2 „ Muslims, Sikhs, Europeans, Anglo-Indians and Indian Christians who benefited from the award were minorities in relation to the Hindus. But the non-Brahmins were a majority vis-a-vis the Brahmins (Ram 1974: 219).
1 Da der Indische Nationalcongress die Wahlen zu den „machtamputierten“ Parlamenten boykottierte, konnte die Justice Party in der Madras Presidency in dieser Zeit die Regierung stellen. (Rösel 1992: 455)
5 Sicherlich auch deshalb, weil das Wahlrecht in dieser Zeit von der Höhe des versteuerbaren Einkommens abhing. Bei den Wahlen 1920 waren deshalb in der Madras Presidency lediglich 1,5 Millionen Personen wahlberechtigt, d.h. gerade 3,1 Prozent der Bevölkerung (Baker 1976: 35,294). Tatsächlich an den Wahlen beteiligt hatten sich dann ca. 300 000 Wähler. Um für das Provinzparlament gewählt zu werden, genügte die Unterstützung von ca. 3000 Wählern (Rösel 1992: 454); wenn sich die Justice Party auch nach außen als Vertreterin nicht-brahmanischer Interessen darstellte, blieb sie weitgehend die Partei der nicht-brahmanischen Elite und schreckte auch nicht davor zurück, Polizeieinsätze gegen streikende Arbeiter aus den Reihen der Unberührbaren zu fordern (Rösel 1992: 468f).
3 Auf seinen Einfluß geht die Forderung der Justice Party nach einem unabhängigen Drawidanadu (=Land der Drawiden) zurück. Viel grundsätzlicher als es die Justice Party vor 1938 konnte, griff er das Brahmanentum als imperialen Eindringling aus dem Norden an und stellte ihm eine drawidische Kultur entgegen, die vor der Deformierung durch die eindringenden Arier urkommunistische Züge gehabt haben soll.
4 Die häufig von wirkungsvollen Aktionen wie z.B. Durchführung gemischtkastiger Massenheiraten, Erzwingung des Tempelzutritts für Kastenlose etc. begleitet waren.
5 So gründete er 1932 nach einer ausgiebigen Europareise, die ihn ins faschistische Italien, nach Deutschland und in die Sowjetunion führte, zusammen mit dem südindischen Kommunistenführer Singaravelu Chettiyar die Cuyamariyatai Iyakka Samatarmak Kadchi (Self-Respect Socialist Party), die die Verstaatlichung von Landbesitz und Industrie forderte (Sivathamby 1993: 35; Arnold 1977: 159). Er übersetzte auch das Kommunistische Manifest ins Tamilische (Ram 1974: 221).
1 U.a. bei der Muslim League, die ihrerseits ein vom hinduistischen Indien unabhängiges Pakistan forderte. Von Jinnah, dem Führer der Muslim League, wurde die Unterstützung für ein unabhängiges Dravidanadu jedoch abgelehnt (Ram 1974: 221f; 1975: 397).
2 Sie finden sich allerdings sehr stark in der „gesellschaftlichen Utopie“ wieder, die hinter dem zu gründenden Dravidanadu steckte. Hier vereinen sich die Vorstellungen Periyars, die er vom vorarischen SüdIndien hatte, mit seinem Bild des Kommunismus, das er von seiner Reise in die Sowjetunion mitgebracht hatte.
1 So unterstützten die größten Landbesitzer und Zamindare der Madras Presidency die Justice Party, darunter: der Raja von Bobbili (Landbesitz von 920 Quatratmeilen, Ministerpräsident von 1932-6); der Raja von Ramnad (Landbesitz von 2104 Quadratmeilen); Raja von Pithapuram (Landbesitz von 400 Quadratmeilen im fruchtbaren Godavaridelta, Finanzier der Justice Party); der Raja von Panagal (Ministerpräsident von 1921-6); der Raja von Venkatagiri (Landbesitz von 2200 Quadratmeilen); aus den Breichen Handel, Banken und Industrie kamen u.a.: Annamalai Chettiar (Bankier mit Niederlassungen in Indien, Burma und Ceylon); Muniswami Naidu (Geldverleiher; Reis- und Erdnußmühlen; Ministerpräsident 1930-2); Muthiah Chettiar (Sohn von Annamalai Chettiar; führender Geschäftsmann von Madras; Bürgermeiser von Madras 1932; Präsident der South Indian Chamber of Commerce 1932-6); Ramalingam Chetty (Bankier und Großhändler in Tiruppur; Direktor von drei Baumwollfabriken und mehreren Banken und Genossenschaften;hat sich 1936 dem Indischen Nationalcongress angeschlossen); Shanmugham Chetty (reicher Geldverleiher in Coimbatore; Beteiligung an sieben Banken, zwei Baumwollfabriken; Besitzer eigener Fabriken; Dewan von Cochin 1935); Thyagaraja Chetty (großer Landbesitz in Madras; Geldverleiher, Bankier und führender Unternehmer in der Baumwollbranche und anderen Bereichen; mächtigster indischer Geschäftsmann in der Madras Presidency; Begründer der South Indian Chamber of Commerce; 40 Jahre lang Mitglied in der Corporation of Madras, davon drei Jahre als ihr Präsident; zwischen 1912 und 1925 Mitglied des Legislative Council; zunächst Mitglied des Indischen Nationalcongresses, dann 1916 Mitbegründer der Justice Party) (alle Angaben aus: Baker 1976: 327-335 (Biographical Notes)).
1 Auslöser für diese Parteispaltung war die Heirat des damals 72 jährigen Periyar mit einer 28 jährigen Frau (Palmer 1971: 235), obwohl sich die DK gegen den großen Unterschied im Heiratsalter zwischen Männern und Frauen ausgesprochen hatte. Die wichtigsten Repräsentanten der DK, unter ihnen auch C.N. Annadurai, verließen daraufhin die DK (Malhotra 1990: 284); Hintergrund für die Spaltung war jedoch der diktatorische Führungsstil Periyars, der zur Folge hatte, daß die jungen, ehrgeizigen Funktionäre in der DK keine Möglichkeit sahen, sich zu profilieren (Nathan 1967: 2133;Nayak 1976: 412;Ram 1974: 222).
2 Mit dem Ministerpräsidenten K. Kamaraj, der der niedrigen Nadar-Kaste angehörte, wollte die Congress-Partei ihr Image ablegen, sie sei die Partei der Brahmanen und hohen Kasten.
3 Weitere „Titel“: Makkal Thilakam: Der Stolz der Menschen; Puratchi Thalaivar: Der revolutionäre Führer; Ponmana Chemmal: Der Schenkende mit dem goldenen Herzen.
4 Nach 1937, als die damalige Congress-Partei unter C. Rajagopalachari Hindi als Pflichtfach an den Schulen einführen wollte, und 1955, als von der Zentralregierung abermals der Versuch unternommen worden war, Hindi als Verwaltungssprache in Tamil Nadu einzuführen, war dies der dritte Versuch, dem Bundesland die Sprache des verhaßten Nordens aufzwängen zu wollen. Wie in den zwei Versuchen zuvor wurde dies von den drawidischen Parteien als Gelegenheit wahrgenommen, eine drawidische Identifikation wachzurufen, die sich gegen die Congress-Partei richtete: „ Language, an important factor in shaping the group identity, was conveniently used in this instance both by the national government as well as by the ethnic group “ (Palanithurai 1993: 75).
1 Bei den Wahlen von 1976 nahmen ca. 12,5% Erstwähler teil (Nayak 1976: 416).
2 Die Abkehr von einer separatistischen Politik fand jedoch bereits Anfang der 60er Jahre statt, als die Zentralregierung 1962 den Indisch-Chinesischen Grenzkonflikt zum Anlaß nahm, einen Zusatz in die indische Verfassung aufzunehmen, worin alle separatistischen Bewegungen und Parteien in Indien verboten wurden (Palanithurai 1993: 79).
1 Ausführlich zur Person Annadurais vgl. Rösel 1992: 502-513).
2 Neben Annadurai war auch sein Nachfolger im Amt Karunanidhi ein erfolgreiche Theater- und Filmautor.
1 Während Karunanidhis Regierungszeit (1969-1977) wurden etwa 20.000 Wohneinheiten geschaffen, wohingegen der Bau von 164.000 Wohneinheiten angestrebt gewesen war (Wiebe 1981: 64f).
2 Im September 1969 legte die von Karunanidhi eingesetzte Rajamannar-Kommision ihren vielbeachteten Report zur Verbesserung der Centre-State-Relations vor (Nayak 1976: 436).
1 Rajiv Gandhi konnte politisch erheblich durch die Ermordung seiner Mutter profitieren, während die AIADMK durch die schwere Erkrankung von MGR gewann, der den Wahlkampf ans Krankenbett (in den USA) gefesselt erlebte.
2 In dieser Zeit wurde die populistische Politik von Neu Delhi aus fortgeführt, mit der Absicht, die Congress(I)-Partei in Tamil Nadu zu stärken (Manivannan 1992: 166).
1 Hardgrave (1973: 304) spricht in diesem Zusammenhang von der „ politics of illusion “;
2 Weitere wichtige Politiker der DMK waren ebenfalls Schauspieler, so z.B. K.R. Ramaswamy, S.S. Rajendran und Shivaji Ganesan, nach MGR der populärste Schauspieler Tamil Nadus, der später zur Congress-Partei überwechselte und anschließend zur Janata Dal (Aside 31.03.1991; Hardgrave 1975: 27). Auch der Sohn M. Karunanidhis, M.K. Stalin ist sowohl ein gefeierter Filmstar als auch DMK-Politiker. Auch außerhalb Tamil Nadus bestimmen ehemalige Filmschauspieler häufig des politische Leben, etwa in Andhra Pradesh mit dem Ministerpräsidenten N.T. Rama Rao, in Karnataka mit Rajkumar und in Kerala mit Prem Nazir. Mit Amitabh Bachchan unterstützt der derzeit populärste Schauspieler Indiens und enger Freund der Gandhi-Familie den Congress(I).
3 Diese „Göttlichkeit“ ist keineswegs eine symbolische Umschreibung seiner Persönlichkeit, sondern viele Menschen in Tamil Nadu weisen ihm tatsächlich göttliche Eigenschaften zu. Als er am 24. Dezember 1987 starb, nahmen zwei Millionen verzweifelte Anhänger in Madras von ihm Abschied; 31 seiner Anhänger begingen Selbstmord. „[...] watching MGR film has become almost a ritual in itself. One can witness crowds gathered to watch MGR films, burning camphor before huge cut-outs of him, distributing water to the populace - as one would before a deity during temple festivals“ (Pandian 1988: PE-65).
4 So hat er z.B. bei einem Radiointerview als Motivation für die Einführung des Noon-Meals-Schemes gesagt: „ This scheme is an outcome of my experience of extrem starvation at an age when I knew only to cry when I was hungry. But for the munificience of a woman next door who extended a bowl of rice gruel to us and saved us from the cruel hands of death, we would have departed from this world long ago. Such merciful womenfolk, having great faith in me, elected me as Chief Minister of Tamil Nadu. To wipe the tears of these women I have taken up this project “ (MGR zit. in: HarrisS 1991: 10).
1 Z.B. Thozhilali (Arbeiter, 1964), Vivasayee (Kleinbauer, 1967), Padakotti (Bootsmann, 1964), Mattukara Velan (Kuhhirte Velan, 1970), Rickshawkaran (Rickshawfahrer, 1971), Meenava Nanban (Der Freund der Fischer, 1977). vgl. Pandian 1992: 148ff (Appendix II:MGR Filmography).
1 Die „aufgehende Sonne“ ist das Parteisymbol der DMK.
2 M.R. Radha, der Schurke in vielen MGR-Filmen, war bei diesem hochverschuldet. Mehrere Arrangements waren von MGR anderweitig besetzt worden, was im Januar 1967 zu einem heftigen Streit zwischen MGR und dem betrunkenen Radha führte, in dessen Verlauf er MGR mit drei Schüssen lebensgefährlich verletzte.
1 „ MGR kann nun kaum mehr Reden halten und oft werden die Mikrophone einfach abgestellt. Das stört seine Anhänger nicht. Sie geben sich gerne mit dem “Darshan “, dem “Anblick “des Idols und eventuellen Sakramentsresten “Tirtham “zufrieden. Der stammelnde und gestikulierende Chiefminister erscheint ihnen jetzt noch näher bei Gott “ (Rösel 1992: 610).
2 Wie sehr das Bild eines dem Reichtum entsagenden MGRs ein Mythos ist, zeigt der Wert seines Vermögens, der erst nach seinem Tod in seinem vollen Ausmaß offensichtlich wurde. Allein die Gold- und Silbergeschenke, die er im Laufe seiner schauspielerischen und politischen Laufbahn erhalten hatte, waren fast 10 Millionen Rupien wert (Subramanian 1991: 104).
3 Dies war dann auch ein Grund dafür, weshalb MGR die in Tamil Nadu geltende Prohibition aufhob. Er brauchte die Steuer und Lizenzeinnahmen, um seine „Wohlfahrtsmaßnahmen“ finanzieren zu können.
1 Nicht zu Unrecht wird Chandra Shekhar als „Marionette“ von Rajiv Gandhi bezeichnet, der die Regierungsfäden unsichtbar in Händen hält, jedoch nicht zur politischen Verantwortung gezogen werden kann. Er ist es, der den Zeitpunkt von Neuwahlen bestimmen kann, indem der Congress(I) Chandra Shekhar aufkündigt. Als dieser nach nur 120 Tagen zurücktritt hat seine Partei noch 54 Vertreter im Parlament.
1 Nicht nur die Aktivisten der LTTE hatten sich in Tamil Nadu Stützpunkte aufgebaut, sondern auch andere Organisationen wie z.B. die TELO (Tamil Eelam Liberation Organisation), die PLOT (People's Liberation Organisation of Tamil Eelam) und die EPRFL (Eelam People's Revolutionary Front), deren Führer K. Padmanabha und 12 weitere Aktivisten am 19. Juni 1990 (wahrscheinlich von LTTE-Terroristen) in Madras ermordet wurde .
2 Die Aktivisten unterschiedlicher Organisationen wurden dabei vom Research and Analysis Wing (RAW) des indischen Geheimdienstes ausgebildet (Joshi 1990:17)
3 So behauptet Jayalalitha in einem Interview: „ [...] the entire coastline of Tamil Nadu was out of the control of the State Government and the Central Government. It was actually under control of the militants [...] and they were allowed to engage themselves in illegal, nefarious and anti-natioanl activities [...] There were orders from above to let the militants go away. [...] Poor fishermen [...] were not allowed to go fishing and earn their livelihood “ (The Hindu 29.4.1991). Bei einer von der DMK organisierten Journalisten-Rundreise durch die betroffenen Gebiete wurden folgende Stimmen eingeholt: „ The villagers, mostly fishermen living on the coast say: 'We do not know whether they are militants. What we know is that they are Sri Lankan Tamils' “(The Hindu 2.12.1990).
4 In zweiwöchigem Abstand trafen sich hohe Vertreter der Landesregierung von Tamil Nadu mit Vertretern der Bundespolizei, des Küstenschutzes, der Marine und des Zolls (The Hindu 18.12.1990).
5 Wegen den anhaltenden Kämpfen im Norden Sri Lankas waren in den letzten Jahren mehr als 120.000 Tamilen nach Tamil Nadu, die dort -wenn sie nicht von Verwandten aufgenommen werden konnten- in 250 Flüchtlingslagern untergebracht wurden (The Hindu 30.11.1990).
1 Bamala war 1987 als Ministerpräsident des Punjabs selbst von der Anwendung des Artikel 356 betroffen. Seit die Regierung Barnala 1987 abgesetzt wurde, wird der Punjab (bis März 1992) ohne Unterbrechung von der Zentralmacht aus regiert, ohne daß sich der Zustand der öffentlichen Ordnung verbessert hätte, was an 4554 Toten zwischen 1988 und 1990 deutlich wird (Guhan 1991:113)
1 Sahay: „ Since the first week of February, 120 LTTE militants and Sri Lankan Tamils [...] had been arrested “. Außerdem seien verschiedene Gegenstände sichergestellt worden, darunter Funk- und Faxgeräte und einige tausend Liter Diesel und Benzin. Waffen konnten allerdings nicht gefunden werden (The Hindu 29.03.1991).
1 Von 232 Parlamentssitzen entfielen 224 auf die AIADMK, während die DMK, die bis zum Januar 1991 noch die Regierung gestellt hatte, lediglich ein einziges Mandat erhalten konnte.
1 Der Herausgeber und Verleger der regierungskritischen Zeitschrift Nakkeeran wurde wegen regierungsfeindlicher Artikel (z.B. über den Landkauf der Jaya Publications (s.u.)) inhaftiert, ebenso ein Drucker des Verlages, der später an den Folgen von Mißhandlungen durch die Polizei starb (Amnesty International 1993:191; Subramanian/Sridhar 1992:9). Einen Überblick über die Beschränkung der Pressefreiheit in Tamil Nadu gibt Subramanian 1992a:24-28)
2 Bevor Mrs. V. Chandralekha von der AIADMK-Regierung zum Commissioner of Archieves and Historical Research „ernannt“ wurde, war sie Vorsitzende der staatlichen Tamil Nadu Industrial Development Corporation (TIDCO), und in dieser Eigenschaft verlangte sie von Ministerpräsidentin Jayalalitha eine schriftliche Bestätigung der Konditionen, unter denen Anteile aus diesem Unternehmen privatisiert werden sollten. In einem Interview schildert Mrs. V. Chandralekha die Vorgänge um die Privatisierung der TIDCO wie folgt: „ TIDCO never sent any proposal for disinvestment. Then, all on a sudden, a letter came from the Government, asking us to disinvest and they had indicated the price alsoIt was a very major disinvestment decision. When such shortcuts were being resorted to, I said I would like to have a direction from the Government...Because I was not in agreement with the price fixed by the Government. The price was low “ (Frontline, 4.12.1992:134).
1 Aus dem Wahlkampfprogramm der Congress(I): „ In particular, the Congress is determined to roll back prices to levels obtaining in July 1990 in the case of diesel, kerosene, salt, edible oils, cycles and two-wheelers, electric bulbs, cotton sarees and dhotis of 40s count or below, stoves including smokeless chulhas, newsprint and postcards, inland letters and envelopes “ (zit. in: Bhambri 1991: 162).
1 Bereits nach Absetzung der Regierung von Tamil Nadu im Januar 1991 waren die Busse staatlicher Gesellschaften das Ziel von vandalierenden DMK-Anhängern. Nach der Ermodrung von Rajiv Gandhi im Mai 1991 ging ebenfalls eine beträchtliche Anzahl von Bussen in Flammen auf (The Hindu verschiedene Ausgaben Mai 1991). Im Wirtschaftsjahr 1992-93, für das konkrete Zahlen vorliegen, wurden bei politischen Agitationen insgesamt 1230 Busse, das waren fast 10 Prozent der von staatlichen Tranportunternehmen eingesetzten Fahrzeuge, beschädigt und 21 angezündet. Der Schaden belief sich auf 1,25 Mrd. Rs (The Hindu 7.4.1993)
1 Im Wirtschaftsjahr 1992-93 waren die Stromsubventionen für die Landwirtschaft auf über 8 Mrd. Rs angestiegen, nachdem von der Zentralregierung im Februar 1992 und 1993 jeweils die Kohlepreise erneut angehoben wurden. Überlegungen, den Landwirten pro Einheit verbrauchter Energie in Rechnung zu stellen, wurden zwar geäußert, bislang jedoch noch nicht in die Tat umgesetzt (Tamil Arasu April 1993).
1 Nach der Rückkehr ins Fischerdorf „ stellte sich die Frage, wer nun mehr Rechte an meiner Person hatte bzw [...] in wessen Haus ich wohnen mußte. Wie in ähnlichen Situationen zuvor fiel es mir schwer, mich diplomatisch zu verhalten, und wie gewohnt intrigierten die Frauen gegeneinander, indem sie über den jeweils schlechten Charakter der anderen schimpften.“(Schömbucher 1986:17). „ Later on we came into a conflict with the village headman. At first we had visited his house every day, but as work progressed, we did not have time to pay him these daily visits. One day when we met him on the beach he would not talk to us. Later he said that we did not pay him any respect and that he felt insulted.“ (Rosen 1988:9)
2 Das deutlichste Zeichen dieses Einsatzes ist eine von ihm initierte Abendschule für Fischerkinder im nördlichen Teil des Dorfes. Da Subramaniam selbst dem südlichen Teil angehört und da die Zugehörigkeit zu den einzelnen Dorffraktionen sich sehr stark auch auf den Ort des Wohnsitzes im Dorf niederschlägt, wurde dies von den meisten Fischern eindeutig als Zeichen seiner Unabhängigkeit bezüglich der Fraktionen gewertet. Gleichzeitig half er zusammen mit einigen anderen „gebildeten“ Fischersöhnen, den Menschen bei mancherlei Behördengängen, und er war dann auch maßgeblich dafür verantwortlich, daß das vom Fisheries Department initierte Sparprogramm zunächst im südlichen Nochikuppam organisatorisch lebensfähig wurde
1 Insgesamt wurden die Fangergebnisse von 37 Fischerbooten erfaßt. Gleichzeitig dazu wurden auch die Haushaltsausgaben der 37 Haushalte aufgenommen, denen diese Boote gehörten. Zusätzlich dazu wurden die entsprechenden Daten von 8 Fischereiarbeiterhaushalten aufgenommen.
1 21 Wohnblocks haben 12 Wohnungen, 13 Wohnblocks 18 Wohnungen und in zwei Wohnblocks befinden sich 24 Wohnungen.
1 Eine Ausnahme bildet die Missionierung der Paravas, der Fischerkaste im südlichen Tamil Nadu, die sowohl in zeitgenössischen Quellen (vgl. die Quellensammlungen von Schmitt (Hrsg.), Schurhammer 1963) als auch in der Sekundärliteratur umfangreich abgehandelt wurde (vgl. u.a. Kaufmann 1981;Maloney 1969). Im Laufe der Untersuchung war eine durchgängige Antwort von Vertretern verschiedener Behörden auf die Frage nach der Geschichte der Fischer von Madras immer wieder: „ These fisherpeople have no history. They live here since a long time, but they are unimportant. If they wouldn't be here, nobody would even notice this “.
1 Nach MacLean ist die erste portugisieschen Siedlung sogar bereits 1503 errichtet worden (MacLean 1885-I: 161).
1 Nicht mit den politischen Konstellationen vetraut, waren die Portugiesen davon ausgegangen, die nördlich von St. Thome gelegenen Fischerdörfer würden zum Machtbereich des Vijayanagar-Reiches gehören. Tatsächlich waren sie ein Teil des Golconda Sultants (Subramanyam 1990b: 202).
1 1781 wurden die niederländischen Stützpunkte Pulicat, Sadras und Nagapattinam von den Briten annektiert (MacLean 1885-I: 186).
2 Die Franzosen gründen im selben Jahr die Stadt Pondicherry, etwa 160 km südlich von San Thome (vgl. MacLean 1885-I: 174).
1 Beschreibungen finden sich bei: Caesar Frederike (1576, zit. auch in: Love 1913-I: 291), Pedro Barretto de Rezende (1646, zit. auch in: Love 1913-I: 297), John Fryer (1673, zit auch in: Love 1913-II: 281), Charles Lockyer (1702, zit. auch in: Love 1913-II: 81) und MacLean 1885-II: 162.
2 Mit dem Bau einer befestigten Hafenanlage wurde 1876 begonnen. Ein Sturm am 12. November 1881 zerstörte jedoch die bis dahin abgeschlossenen Arbeiten (MacLean 1885-II: 93), so daß der Hafen erst 1896 endgültig fertiggestellt werden konnte (IGI 1985: 511; vgl. auch: Armstrong 1930: 19).
3 Aus anderen Aufzeichnungen wird deutlich, daß es sich bei dieser „boatmen caste“ um die Fischerkaste gehandelt haben muß, so etwa bei MacLean: „ To the south of the fort [...] was a large fishing village, from which came the masulah boats employed for the company's shipping “ (MacLean 1885-I: 163).
1 Da viele der zugewanderten Haushalte illegal ein Untermietverhältnis in den von der Regierung den Fischern zugewiesen Wohnungen eingegangen sind, werden sie Außenstehenden gegenüber oftmals verschwiegen.
2 In einer Untersuchung, die vom Autor zeitgleich in einem Fischerdorf etwa 50 km südlich von Madras durchgeführt wurde, gehörten von 120 Haushalten lediglich drei nicht der Fischerkaste an.
1 Alle Angaben für 1991; Quellen: für Indien und Tamil Nadu: Economic Survey 1993-94: S-114; für Madras: Statistical Handbook of Tamil Nadu 1991: 34.
1 Bei diesen „snacks“ handelt es sich um sundal, einem Gericht aus Kichererbsen, sowie murugu, einem aus Linsenteig hergestellten Salzgebäck und Erdnüssen.
1 Die 10. Klasse (SSLC = Secondary School Leaving Certificate) entspricht formal der Mittleren Reife. Dieser Abschluß ist Bedingung für den Besuch der Higher Secondary School, die nach zwei Jahren zur Hochschulreife führt. Ein Abschluß, der dem uns bekannten Hauptschulabschluß entspricht, gibt es in Indien nicht.
1 Dies läßt sich mit ihrer Beschäftigung in Madras häufig gut in Einklang bringen, weil die Zeit des Wintermonsuns - also wenn in der Landwirtschaft die Aussaat der Reispflanzen durchgeführt wird - gleichzeitig auch die Zeit ist, in der der Marina Beach wenig von Besuchern aufgesucht wird.
1 Die wichtigsten Zutaten sind: Milch, Kaffee, Tee, Kichererbsen, Gewürze, Zucker, Linsen und Speiseöl.
1 Nach indischer Definition umfaßt der organisierte Sektor alle Betriebe mit mehr als zehn Vollzeitbeschäftigten. Betriebe mit weniger Beschäftigten gehören zwar nicht dem organisierten Sektor an, können aber gleichzeitig auch nicht in allen Fällen dem informellen Sektor zugerechnet werden.
1 Eine Beständigkeit von 100% bedeutet, daß der Wind stets aus der gleichen Richtung kommt.
1 Historische Beschreibungen der Wirbelstürme an der Küste von Madras finden sich bei: Love 1913-II:559 (für die Jahre 1639-1746) und bei MacLean 1888-II:282-284 (für die Jahre 1789-1881).
1 Hauptsächlich Sardinella gibbosa (gold striped sardine), Sardinella sirm (spotted sardine), Sardinella dayi (Day's sardine) und Sardinella fimbriata (finge-scale sardine), wobei die Sardinella gibbosa etwa 80 Prozent der Sardinenfänge ausmacht (MFIS, May 1991: 2f; Ramamurthy et al. 1988). Sarinen werden hauptsächlich von Kleinfischern mit Kiemennetzen gefangen.
2 An der Coromandelküste werden mindestens 16 verschiedene Leiognathidae bzw. Gerriadae -Arten (Silver Bellies, Ponyfishes) gefangen, von denen der Leiognathidai bindus (orange-fin pony fish) und der Secutor insidiator (pug-nose pony fish) mit Abstand die beiden ökonomisch wichtigsten Arten sind (MFIS, May 1991; Ramamurthy et al. 1988). Von den Kleinfischern mit Kiemennetzen gefangen.
3 Die Gruppe der barschartigen Fische (Carangidae) mit ökonomischer Bedeutung, die an der Coromandelküste gefangen wird, ist unüberschaubar.
4 Die wichtigsten Garnelenarten sind: Penaeidae: Penaeus indicus (Indian white shrimp), Penaeus monodon (giant tiger shrimp) und Metapenaeus monoceros (speckled shrimp); Non-penaeidae: Acetes indicus (sergestid shrimp), Nematopalaemon tenuipes (spider prawn), Exopalaemon styliferus (Roshna prawn), Exhippolysmata ensirostris (hunter shrimp) (MFIS, May 1991: 2f; Ramamurthy et al. 1988; van der Knaap 1989).
5 An der Coromandelküste wichtig sind drei Anchovie arten: Stolephorus commersonii (Commerson's anchovy), Stolephorus devisi (Davi's anchovy) und Stolephorus indicus (Indian anchovy) (MFIS, May 1991: 3).
6 Vor allem: Rastrelliger brachysoma (short-bodied mackerel) und Ratrelliger kanagurta (Indian mackerel) (MFIS, May 1991: 8; Ramamurthy et al. 1988).
7 Hauptsächlich: Hirundichthys coromandelensis und Cypselurus suttoni (Pajot/Prabhakaradu 1993). Werden ausschließlich im Zeitraum April - August gefangen, wenn sie von der Tiefsee zum Laichen in küstennahe Gewässer kommen. Erzielen einen sehr guten Preis.
8 Vor allem Scomberomorus guttatus (Indo-pacific seer fish) und Scomberomorus lineolatus (streaked seer fish) (MFIS, Mai 1991: 8). Seerfische werden von den Kleinfischern fast aus-schließlich mit Angelleinen gefangen. Sie zählen zu den schmackhaftesten Fische und haben kaum Gräten. Deshalb erzielen sie sehr gute Preise. und werden vor allem von besseren Restaurants und Konsumenten aus der Mittelschicht nachgefragt.
9 Hauptsächlich: Eupleurogrammus muticus (inshore hair tail), Lepturacanthus savala (small-head hait tail) und Trichiurus lepturus (large-head tail) (MFIS, Mai 1991: 8; Ramamurthy 1988: 8).
1 vgl. Blake 1977: 101; Gokhale 1988: 45-50
2 vgl. hierzu die unterschiedlichen Veröffentlichungen des Bay of Bengal Programmes zu Versuchen mit verschiedenen Fischereifahrzeugen.
1 Zur Zeit der Untersuchung waren Kiemennetze aus Nylon seit drei Jahren im Fischerdorf eingesetzt (Norr 1975: 360).
2 Die Bezeichnung Katamaran wird im allgemeinen für ein Doppelrumpf-Segelboot verwendet. In Indien jedoch versteht man unter einem Kattumaram (oder auch Katamaram, Kattamaram oder auch Katamaran) mit Kokosseilen zu einem Bootsfloß zusammengebundene Stämme, die u.U. noch durch seitlich aufgesetzte Planken erhöht werden (vor allem an der Küste von Andhra Pradesh und Orissa, wo diese Variante als Teppu bzw. Teppa bezeichnet wird).
3 z.B. Melia Dubia, Albizia Stipulta oder Bombax Malabaricum.
1 Verbreitungsgebiet: an der Süd-Westküste Indiens von Quilon bis hin zum Cape Comarin und von dort aus an der Ostküste bis hin zum Golf von Mannar und der Palk-Straße.
2 Dieser Typus ist vor allem an der Coromadelküste vom Cape Calimere bis hin zum Delta des Krishna-Flusses im Einsatz.
1 Die Bezeichnung Masula für diese Boote stammt wahrscheinlich von europäischen Kaufleuten, die seit den 16. Jahrhundert an der Coromandelküste Handelsniederlassungen errichtet hatten und die Boote zum Waren- und Personentransport von den auf See ankerten Schiffen zum Festland benutzt haben. In zeitgenössischen Reisebeschreibungen (vgl. z.B. Fryer 1698, Frederike 1597, Lockyer 1711) sind diese Boote (zumeist unter der Bezeichnung Mussoola) öfters beschrieben als die Kattumarame. Diese Quellen beschreiben exakt jene Boote, die heute an der Coromandelküste als Periya Valai bezeichnet werden.
2 Kambis sind an einem Ende mit Gewichten beschwerten, am anderen Ende mit Schwimmkörpern versehene Seile, an denen Palmwedel befestigt sind, die im Wasser versenkt werden und Fische an einem Ort konzentrieren sollen, da diese gerne den Schatten der Palmwedel aufsuchen..
1 Da das Plankenboot kiellos ist, kann es nur bei geringem Seegang eingesetzt werden. Der Fang mit dem Periya Valai beschränkt sich deshalb auf etwa sechs Monate im Jahr.
2 Im Golf von Bengalen gibt es mindestens zehn Arten Fliegender Fische, von denen sechs an der Coromandel Küste gefangen werden: Cypselurus suttoni, Cypselurus poecilopoterus, Cypselurus oligolepis, Cypselurus opistopus, Exocoetus volitans und Hirundichthys coromandelensis. Die fünf erstgenannten Arten erreichen eine Länge zwischen 23 - 35 cm, während die sechste Art lediglich bis zu 24 cm lang wird (vgl. Pajot/Prabhakaradu 1993).
1 Nachfolgende Ausführungen wurden auf Basis der im Rahmen der Feldstudie gemachten Aussagen älterer Fischer sowie durch Auswertung der spärlichen schriftlichen Quellen rekonstruiert.
1 Anders als in der Binnenfischerei gibt es in der Meeresfischerei Indiens i.d.R. keine individuellen Besitzrechte an Fischfanggründen. Ausnahmen davon sind darin zu sehen, daß Strandwadennetze nur im Strandbereich des eigenen Dorfes eingeholt werden dürfen, sowie daran daß in jedem Fischerdorf nur ganz bestimmte Familien das Recht hatten, an dafür vorgesehenen Stellen im Meer Kambis zu errichten.
1 Ähnliches stellen Vijayan/Kurien für Kerala fest. Durch die Motorisierung der Boote änderte sich die Aufteilung des Fanges bei Umschließungsnetzen (Thanguvallam) von 30 (Besitzer der Produktionsmittel) : 70 (Arbeitskraft) auf 40:60 (Vijayan/Kurien 1993: 8f).
1 Die Fischer geben die Netzgröße immer in kg an, da sie die Rohnetze nach Gewicht kaufen. Die Preise beziehen sich auf das Rohnetz. Hinzu kommen Ausgaben für Gewichte und Schwimmer, die z.T. von den ausgedienten Netzen übernommen werden können. Kauft sich ein Fischer jedoch zum ersten Mal ein Netz, dann muß der Anschaffungspreis um etwa 15-20 Prozent höher angesetzt werden, da Schwimmer und Gewichte vollständig angeschafft werden müssen.
1 Sehr viele ehemalige Fischer, die heute Regierungsangestellte sind, gehen in dieser Zeit früh morgens mit zum Fischfang, um dann nach ihrer Rückkehr ihrer eigentlichen Arbeit nachzugehen.
1 In den Fischerdörfer außerhalb Madras' ist die Fischvermarktung für den lokalen Konsum fast vollständig in der Hand der Fischersfrauen. Zu Fuß oder mit dem Bus bringen sie den Fisch auf die Märkte der landeinwärts gelegenen Dörfer bzw. nach Madras. Nur die Vermarktung von Garnelen unterliegt ihnen nicht. In der Haupt-fangzeit fahren jeden Tag Kühl-LKWs der Exportfirmen die Dörfer an und nehmen die Garnelen entgegen.
1 Norr (1972) führt diese Gepflogenheit darauf zurück, "that the customs of having women receive their husband's earnings may have originated at some earlier time when each fishermen's wife or mother actually sold his fish retail" (Norr 1972: 246f).
1 Am ersten Tag wurden 50 Kattumarame zum Garnelenfang eingesetzt, am zweiten bereits 300 und am dritten 560.
2 Dies bedeutet keineswegs, daß Fisch nicht haltbar gemacht werden kann. Die Fischersfrauen verarbeiten regelmäßig den Fisch, den sie nicht frisch verkaufen konnten, zu Trockenfisch, womit allerdings ein Wertverlust des Fisches einhergeht. Dieser Trockenfisch wird allerdings nicht für den Eigenverbrauch gelagert, sondern entweder auf Trockenfischmärkten, von wo er ins Landesinnere transportiert wird oder aber an Hühnerfarmen, verkauft.
1 Eine Klärung dieser Frage wird höchwahrscheinlich eine gegenwärtig durchgeführte Untersuchung des nieder-ländischen Geographen Maarten Bavinck zum Ressourcen-Management in der Fischerei Tamil Nadus erbringen.
2 Einige Fischerdörfer zwischen Madras und dem etwa 60 km südlich gelegenen Mahabalipuram sind aus diesem Grund seit Jahrzehnten miteinander verfeindet.
1 Häufig ist eine Fischersiedlung auch terminologisch einer landwirtschaftlichen Siedlung zugeordnet. Zu Chemmencherry gehört Chemmencherry Kuppam, zu Pallavakkam die Fischersiedlung Pallavakkam Kuppam, zu Neelangarai Neelangarai Kuppam etc. In diesen Fällen sind die Kuppams räumlich von den Hauptorten, die weiter im Landesinneren liegen, getrennt. Diese haben sich im Einzugsgebiet von Madras inzwischen in Richtung Küste ausgedehnt, so daß die Trennung heute z.T. aufgehoben wurde und die städtischen Siedlungen unmittelbar in die Fischersiedlungen übergehen.
1 Die Daten wurden von drei jungen Fischern gesammelt, die zuvor in ihre Aufgabe eingearbeitet worden waren. Um den Aufwand möglichst gering zu halten, wurde die Anzahl der Teams so gewählt, daß die Arbeit innerhalb von zwei Stunden bewältigt werden konnte. Mit den in die Untersuchung einbezogenen Fischerteams wurde vor Beginn der Untersuchung ausführlich der Sinn der Datenerhebung diskutiert. Es wurden nur solche Teams ausgewählt, die keine Bedenken an der Datensammlung hatten. Die Fischer erhielten für ihre Auskunft keine Gegenleistung. die mit der Erhebung der Daten betrauten Personen erhielten ein monatliches Gehalt von 350 Rs.
2 Die Fischerei mit dem Strandwadennetz (Periya Valai) wurde in den ersten vier Monaten des Jahres 1992 gesondert untersucht, um zumindest eine Vorstellung über die Rentabilität dieser Art der Fischerei zu erhalten. Die Besitzer der untersuchten Kattumarame haben sich allerdings an keiner Fangoperation mit einem Strandwadennetz beteiligt, wohl aber manche der Fischereiarbeiter.
3 Ein Chit-Fund ist eine Form kollektiven Sparens, bei der die Mitglieder des Funds in festgelegten Zeitabständen (zumeist einmal monatlich) eine zuvor festgelegte Geldsumme einbezahlen. Die angesparten Geldbeträge werden versteigert, verlost oder anderweitig zugeteilt, und jedes Mitglied hat das Recht, während eines Zyklusses einmal die Ertäge des Funds für sich zu nutzen. Nachdem alle Fund-Mitglieder einmal an der Reihe waren, beginnt ein neuer Fund mit zumeist anderer Zusammensetzung (s.u.)
1 Der Zinssatz beim Pfandleiher richtet sich nach dem verpfändeten Gut. Bei Gold wird meist ein Zinssatz von drei Prozent monatlich verlangt, bei anderen Gütern, etwa Haushaltsutensilien, ein Zinssatz von bis zu fünf Prozent.
1 Hier sind nur jene Fälle berücksichtigt, in denen ausschließlich mit Leinen und Haken gefischt wurde. Ansonsten ist die Leinenfischerei häufiger verbreitet, denn alle Fischerteams setzen Leinen mit Haken auch während Fangfahrten mit Netzen ein. So wird etwa eine Leine zu Wasser gelassen, während sich das Boot auf dem Weg zum Fanggrund befindet, wo dann ein Kiemennetz zum Einsatz kommt. Diese Fälle wurden nicht gesondert erfaßt, sondern die Fänge wurden dem Fangerlös durch das entsprechende Kiemennetz hinzugerechnet.
1 In diesen Fällen wird generell die unterschiedliche Verteilung der Produktionsmittel außer acht gelassen, d.h. bei geringen Fangergebnissen findet eine Fischverteilung zugunsten der Fischereiarbeiter statt.
1 Am 4. und 5. Dezember konnte zudem kein einziges Boot ausfahren, weshalb es sich eigentlich nur um 12 Tage handelte.
1 Berechnet nach den empfohlenen Werten für einen Mann im Alter zwischen 19 und 35 Jahren und den Ernährungswerten für Sardinen. Der Preis für ein Kilogramm Sardinen wurde mit 4,5 Rs angenommen. Da bei Kindern und älteren Erwachsenen der Bedarf bestimmter Nahrungselemente deutlich niedriger ist, dürfte der Ernährungswert der Fische aus dem Subsistenzanteil für den gesamten Haushalt eher noch höher sein. Ein Mann im berufstätigen Alter benötigt z.B. täglich etwa 55 g Eiweiß, während ein Kind im Alter zwischen ein und drei Jahren mit 22 g Eiweiß am Tag auskommt (alle Angaben zu Ernährungswerten: Erhardt 1992) .
1 Ein neuer Kattumaram mittlerer Größe kostete 1992 etwa 10.000 Rs; ein mittleres Kavalai Valai (15 kg) etwa 6.000 Rs.
1 Es ist inzwischen zur Mode geworden, unterschiedlichste Handlungsweisen von Armutsgruppen als Überlebens strategie zu bewerten. Der Autor sieht einem solchen inflationären Gebrauch dieses Ausdrucks mit Skepsis entgegen, vermittelt er doch häufig den Eindruck, Armutsgruppen könnten ihr Überleben dadurch planen, indem sie aus mehreren sich ihnen bietenden Alternativen auswählen können. Nicht selten stehen sie überhaupt nicht vor einer solchen Wahl, sondern sie müssen den einzigen gangbaren Weg einschlagen, der ihnen bleibt. Diese Erkenntnis ist wesentlich, denn könnten Armutsgruppen tatsächlich ihr Leben (strategisch) planen, wären sie erheblich weniger Ausbeutung und Unterbezahlung ausgesetzt
1 Bei dieser Studie wurde in jeder Fischergemeinde zehn Fischereiarbeiterhaushalte untersucht, insgesamt also 80 Haushalte.
1 Bei dieser Studie wurden alle 601 Haushalte von Pudumanikuppam und alle 137 Haushalte von Thiruvottiyoorkuppam untersucht. In knapp 60 Prozent der Haushalte beider Gemeinden gab es aktive Fischer. In Thiruvottiyoorkuppam hatten von diesen Haushalten 55 Prozent Boote und/oder Netze, in Pudumanikuppam nur 16 Prozent der Fischerhaushalte.
2 Sampathkumar/Selvaraj (1987) ermittelten jährliche Ausgaben zwischen 8.214 Rs und 14.625 je Fischarbeiterhaushalt, während bei Sathiadhas/Panikkar (1989) die Ausgaben für die entsprechende Gruppe 4.082 Rs bzw. 5.540 Rs betrugen.
3 Die 37 Fischer- und acht Fischereiarbeiterhaushalte sind mit denen identisch, in denen die Analyse der Fangergebnisse durchgeführt wurde.
1 In Haushalten mit niedrigem Einkommen wird kaum Milch, Tee oder Kaffee zubereitet, sondern meist gekauft. Es fehlen geeignete Kühlmöglichkeiten und die Zubereitung im Haushalt selbst benötigt bedeutend mehr Energie, als wenn diese Getränke heiß gekauft werden.
2 Verschiedene Pfannkuchen aus Reis- und Linsenmehl (Dosai) oder Weizenmehl (Chapati), die zusammen mit Chutneys oder Saucen gegessen werden. Diese Mahlzeiten werden auch in den Haushalten selbst zubereitet, häufig aber auch außerhalb eingenommen, etwa dann, wenn man unterwegs ist.
3 Sambar ist eine Gemüsesauce, die aus Tomaten, Zwiebeln und Tamarinde hergestellt wird; Rasam eine Pfeffersauce mit Tamarinde und Tomaten hergestellt.
1 Generell war ein enger Zusammenhang zwischen Fangergebnissen und Ausgaben für Nahrung feststellbar, der in den Perioden mit guten Fängen zu einer Erhöhung der Nahrungsausgaben führt.
1 Zusammen mit den Ausgaben für Alkohol wurden auch die Ausgaben für Zigaretten (Bidies) erhoben, die allerdings ein Bruchteil der Ausgaben für Alkohol ausmachen.
1 Bei einem Preis für ein 0,2 l Glas Arrak von 5 Rs bedeutet dies, daß im Haushalt mit den höchsten Arrak-Ausgaben täglich durchschnittlich etwa 2,5 Gläser Arrak konsumiert wurden.
2 Zu Beginn der Untersuchung kostete ein Glas Arrak etwa 4 Rs; nach der Einführung der Prohibition je nach Versorgungslage zwischen 5 und 6 Rs.
3 Viele Fischersfrauen gaben z.B. an, daß ihre Männer häufig einen Teil des Einkommens für sich behalten, um dafür Arrak zu kaufen.
1 Von der Familie des Bräutigams wird aber der Verlobungssari und der Hochzeitssari für die Braut bezahlt, was selbst bei ärmeren Haushalten zu Kosten von mehreren Tausend Rupien führt.
1 So enthalten Sardinen fast doppelt so viel Eisen (ca. 2,5 mg/100g) wie Schaf- und Hühnerfleisch (ca. 1,4 mg/100g).
2 Bei einem erwachsenen Menschen wird eine Calcium-Versorgung von 800 mg/Tag empfohlen. 100g Sardinen enthalten etwa 85 mg, 100g Schaffleisch ca. 8 mg, wohingegen 100g (Kuh)-Milch 120 mg Calcium haben.
1 Im November wurden in einem Fischerhaushalt 4.700 Rs für einen Krankenhausaufenthalt ausgegeben. Ohne diesen Posten wären die Ausgaben im November 1991 bei einem Wert von 110 anzusiedeln.
1 In mehr als 90 Prozent der Fälle waren die Laufzeiten der Kredite sehr kurz, d.h. sie wurden innerhalb eines Monats zurückbezahlt. Dadurch bedeuten häufigere Rückzahlungen i.d.R. auch häufigere Kreditaufnahmen. Nicht selten wurden bei der Rückzahlung mehrere Kredite der jüngsten Zeit gleichzeitig getilgt.
1 In Nochikuppam betrugen die Zinssätze zwischen fünf und 15 Prozent pro Monat. Am häufigsten wurden zehn Prozent gefordert. Die Höhe des Zinssatzes richtete sich nach der Kreditsumme (je höher desto günstiger der Zinssatz), dem angenommenen Risikos sowie dem Verhältnis zwischen Kreditgeber und -nehmer. Personen aus anderen Kasten, die bei Fischern einen Kredit aufnahmen, erhielten meistens ungünstigere Bedingungen als Fischer bzw. Fischereiarbeiter.
1 Andere Arten der Zuweisung sind die Verlosung oder die Absprache der MitgliederInnen untereinander (vgl. Maloney/Sharfuddin Ahmed 1988:107ff; Mutalik Desai 1967:123ff).
1 Oft werden in der Literatur Geldverleiher und Pfandleiher synomym verwendet, obwohl es sich um zwei unterschiedliche Institutionen handelt. Im Kontext dieser Arbeit wird von einem Geldverleiher dann gesprochen, wenn dieser Kredit vergibt, ohne dafür Wertgegenstände als Sicherheit zu nehmen. Bei Pfandleihgeschäften ist diese Absicherung des Kredits immer gegeben und zwar in der Form, daß der Pfandleiher das Pfand so lange in Besitz behält bis der Kredit und die vereinbarten Zinsen restlos beglichen sind.
2 Für Festgeldanlagen betrugen die Zinssätze zwischen 11 und 13 Prozent und waren damit z.T. höher als die KreditZinsen, die zwischen 11,5 und 19 Prozent betrugen (Economc Survey 1992-93:50).
3 Der Thali ist eine goldfarbene Baumwollkette mit einem goldenen Anhänger. In SüdIndien ist er das Symbol einer verheirateten Frau.
1 Zur politischen Einteilung Nochikuppams vgl. Kapitel 19.
1 Nach Aussage älterer Fischer war die Haussteuer entsprechend der Größe der Hauses/der Hütte und der Konstruktionsweise unterschiedlich hoch. Legitimiert wurde sie dadurch, daß die Häuser/die Hütten allesamt dem Tempel, d.h. dem Dorf gehörten.
1 Vor allem in der ersten Hälfte des Untersuchungszeitraums kam es vor, daß ein einzelner Haushalt während eines Monats an unterschiedlichen Chit-Funds beteiligt war. Bei den Fischerhaushalten gab es vier Haushalte, die während der gesamten Untersuchung an keinem Chit-Fund teilnahmen.
1 Beim Wert der Produkte wurde von einem Reispreis von 7 Rs/kg, einem Weizenpreis von 6 Rs/kg, einem Preis für Zucker von 12 Rs/kg, für Speiseöl von 45 Rs/l und einem Kerosinpreis von 8 Rs/l ausgegangen.
1 Im Frühjahr 1993 wurden in Tamil Nadu 12 Millionen neue Ration-Cards ausgestellt, die für den Zeitraum 1993 - 1998 gültig sind (Indian Express 21.1.1993).
1 Während der Untersuchung erhielt der Betreiber eines Ration-Shops eine monatliche Aufwandsentschädigung von 500 Rs. Diese wurde im März 1993 auf monatlich 600 Rs erhöht (The Hindu 27.2.1993).
2 Die gefälschten Ration-Cards dürften in der Mehrzahl von Betreibern von Ration-Shops gehortet worden sein, um die monatlichen Lieferungen an diese Shops zu erhöhen. Da niemand diese Rationen beansprucht, bleiben sie am Ende eines Monats übrig und können vom Verteiber des Ladens auf dem freien Markt weiterverkauft werden.
1 Gefragt wurde nach Programmen, die von ihnen genutzt werden könnten. Antworten wurden keine vorgegeben, weshalb es nicht auszuschließen ist, daß einige weitere Programme bekannt sind, jedoch nicht genannt wurden, weil sie im Leben der entsprechenden Person nicht wirklich relevant sind, so z.B. das Pensionsprogramm.
1 Bay of Bengal News, No.24, Dezember 1986
1 Traditionell ließ sich die Fischerelite mit der Bezeichnung "Chettiar" anreden, ohne jedoch der "Chettiar"-Kaste anzugehören. In diesem Titel kommen aber offensichtlich die Geldverleiheraktivitäten der Fischerelite zum Ausdruck, denn auch heute noch ist die "Chettiar"-Kaste die wichtigste Geldverleiherkaste in Tamil Nadu (vgl. Timberg/Aiyar 1980). Thurston/Rangaachari (1909) vermerken dazu: "the name Chetti is used both to denote a distinct caste, and also a title, and people bearing this title describe themselves loosely as belonging to the Chetti caste" (Thurston/Rangaachari 1909, vol I: 91)
1 1990 betrug der Wert für 1 gound Land (=223 m2) in dieser Gegend (Mylapore) zwischen 1 und 1,5 Mill. Rs (Gopinatha Rao 1991:29). Befragte Fischer gaben den Wert des Grundstückes mit 5 Mill. Rs an.
1 Wie alle Namen wurde auch dieser bei der Wiedergabe der Interviews verändert, um die Persönlichkeitsrechte der betreffenden Personen zu schützen.
2 Fast durchgänig wurden in diesem Zusammenhang die Fischer aus dem südlichen Teil von den befragten aus dem mittleren negativ dargestellt. Ähnliches konnte umgekehrt im Zusammenhang mit dem "Tempelproblem" beobachtet werden. Beide Erfahrungen geben ein sehr realistisches Bild vom inneren Zusammenhalt des Dorfes wieder.
1 Dies setzt keineswegs voraus, daß alle potentiellen Interessenten mit diesem Gut versorgt wären. Ein Überangebot kann auch dadurch entstehen, daß der Bedarf zwar nicht gedeckt ist, aber durch mangelnde Kaufkraft das jeweilige Gut trotzdem nicht nachgefragt wird.
1 Fast alle nicht-brahmanischen Gruppen in Tamil Nadu praktizieren Heiraten zwischen nahen Verwandten, zumeist Kreuzcousinen. Selbst wenn die Migranten in Nochikuppam dies praktizierten, würde die Stellung der Frauen nicht gesicherter, da dazu auch die räumliche Nähe zur Verwandtschaft Voraussetzung ist.
1 Paun: tamilischer Ausdruck für das Goldgewicht sovereign: ein sovereign entspricht acht Gramm Gold.
2 Wird nach der Verlobung die Hochzeit von der Familie des Bräutigams abgesagt, darf die Braut diese Goldkette behalten. Allerdings - so zumindest die Aussagen vieler Männer und Frauen - wirft die Absage einer Hochzeit zumeist ein schlechtes Licht auf die Braut, ganz egal von welcher Seite das Heiratsangebot zurückgenommen wurde. In vielen Fällen können sich die Parteien allerdings ohne großen Gesichtsverlust mit einem "Kunstgriff" aus der Affäre ziehen, indem sie darauf verweisen, daß das Horoskop beider Eheleute eine unglücklich verlaufende Ehe voraussage.
1 In den allermeisten Fällen sollte die Verneinung dieser Frage wohl ausdrücken, daß es die eigenen Kinder einmal besser haben sollen als man selbst, ein Ausdruck elterlicher Verantwortung, der sich in dieser Form überall auf der Welt findet.
1 In dieser Zahl nicht enthalten ist die berufliche Mobilität jener Personen, bei denen durch die Migration auch ein Wandel in der Beschäftigung einherging. Bei ihnen wurden lediglich die Beschäftigungswechsel seit ihrer Ankunft in Madras ausgewertet.
1 Allein die Tatsache, daß junge Mädchen arbeiten gehen ist Indiz dafür, daß der betreffende Haushalt auf dieses Einkommen unbedingt angewiesen ist.
1 Das von Bohle et al. (1994) vorgelegte Modell soll an dieser Stelle lediglich als Analyserahmen verwendet werden, ohne selbst diskutiert und auf seine Kohärenz hin untersucht zu werden. Diese Vorgehensweise erscheint verhältnismäßig unproblematisch, da durch die Offenheit des Modells unterschiedlichste entwicklungsthroretische Sichtweisen vereint werden können. In einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Modell selbst könnten z.B. die Überschneidungsbereiche zwischen der verfügungsrechtlichen, humanökologischen und politisch-ökonomischen Perspektive differenzierter ausgeleuchtet werden.
1 Im Falle des Abbaus von Nahrungssubventionen sind dies z.B. jene Gruppen, die nicht genug verdienen, um überhaupt in den Genuß von Steuererleichterungen kommen zu können. Bei der Verringerung der Düngemittelsubventionen in Kombination mit der Anhebung landwirtschaftlicher Produzentenpreise sind es jene Landwirte, die nicht (überwiegend) marktorientiert wirtschaften, aber dennoch Düngemittel einsetzen.
1 So kommen z.B. die hohen Deviseneinnahmen nicht allen gesellschaftlichen Gruppen gleichermaßen zugute. Das chronisch hohe Handelsbilanzdefizit Indiens zum Ende der 80er Jahre war z.B. nicht zuletzt auf die Ausweitung von Importen für die Bedürfnisbefriedigung der konsumorientierten Mittelschichten zurückzuführen. Ein Staat, der sich in erster Linie der Sicherung von Grundbedürfnissesn widmet, käme wohl auch mit geringeren Deviseneinnahmen aus.
2 Indirekte Investitionen. Portfolioinvestitionen sind Übertragungen von Geldkapital ins Ausland zum Zweck des Erwerbs von Forderungen, die keine direkten Eigentumsrechte begründen (---Direktinvestitionen), z.B. von Anteilen an Immobilienfonds, von Obligationen sowie von Anteilen an Unternehmen (Olsson/Piepenbrock 1993: 244).
3 ‘Zusammenarbeit nicht gebietsansässiger Unternehmen mit Partnern aus dem Gastland, die in ganz unterschiedlicher Form stattfinden kann (z.B. durch Kooperation, Lizenzvertrag, Gründung einer Gemeinschaftsunternehmung). J.V. werden von den Gastländern häufig vorgeschrieben, um (1) eine Beteiligung der eigenen Wirtschaft am Unternehmenserfolg im Inland und nicht zuletzt auch am Know-how der auländischen Vertragspartners sowie (2) staatliche Kontrollmöglichkeiten zu gewähren’ (Olsson/Piepenbrock 1993: 169).
1 Ohne Zeifel wird durch diese Entwicklung die Anzahl besonders qualifizierter und gut bezahlter Beschäftigungsmöglichkeiten zunehmen. Dies geschieht allerdings i.d.R. auf Kosten der wegrationalisierten, weniger produktiven Arbeitsplätze in dem betreffenden Unternehmen, wie auch auf Kosten von Beschäftigungsmöglichkeiten in Unternehmen, die diese Art der Modernisierung nicht mitmachen können und vom Markt gedrängt werden.
1 Hinzu kommt, daß die fehlende Konkurrenz - vor allem bei langlebigen Konsumgütern - ein sehr hohes Preisniveau hat entstehen lassen. Für die ausländische Konkurrenz, die mit erheblich höheren Produktivitätsraten produziert, sind die Märkte sog. Entwicklungsländer mit einer großen, konsumorientierten Mittelschicht auch delhalb so attraktiv, weil dort die Preise für langlebige Konsumgüter (z.B. Produkte der Elektronikindustrie und Autos) bei deutlich schlechterer Qualität erheblich über jenen der Industrienationen liegen.
1 Die Wahlen von 1967 deuten zu ersten Mal an, daß die Congress-Partei politisch verwundbar ist. In acht Bundesstaaten wird die Congress-Partei auf die Oppositionsbank verbannt und muß auch auf nationaler Ebene starke Verluste hinnehmen: „The year 1967 revealed something more basic - a combination of social conflicts within traditional caste hierarchy and widespread public discontent with the Congress itself around issues of rising prices, the high-handedness of both Congress bosses and officialdom, corruption, growth of large pockets of poverty of which the administration had no clue, and, above all, a leadership that failed to inspire confidence in the people“ (Kothari 1995b: 153).
2 So ist z.B. die 1923 gegründete Communist Party of India die zweitälteste nationale indische Partei. Der Konflikt zwischen Hindus und Moslems, der von Gruppierungen wie der BJP, dem RSS oder dem VHP aufgegriffen werden, hat noch tiefer in die Vergangenheit zurückreichende Wurzeln.
3 In den 60er Jahren lag die Arbeitslosenquote in der BRD durchgängig unter einem Prozent, die Reallöhne stiegen stark an bei gleichzeitigem Rückgang der Wochenarbeitszeit und zunehmender Urlaubsdauer (Statistisches Bundesamt 1985).
1 Natürlich wird es kaum möglich sein, issues zu finden, die alle gesellschaftlichen Gruppen in geeigneter Weise betreffen. Angesprochen werden vielmehr Themen aus Konfliktbereichen, die jeweils einen beträchtlichen Bevölkerungsanteil etwas ‘angehen’ (Hindus vs Moslems, Stadt vs Land, unterprivilegierte Kastengruppen vs privilegierte). Der Konflikt mit Pakistan kann z.T. ebenfalls in diesem Zusammenhang gesehen werden. Die (vermeintliche) äußere Bedrohung erfüllt eine innenpolitische Funktion. Durch die Schaffung eine äußeren Feindes wird versucht, innere Konflikte zu überdecken
1 Es gab allerdings auch sog. Push-Faktoren. So waren etwa in Realteilungsgebieten die Betriebsgrößen so gering geworden, daß eine lohnende Bewirtschaftung nicht mehr möglich war.
1 ‘Ninety two per cent of the labour force compromising roughly 290 million, however, comes under the informal sector. (...) The larger part of the informal sector is outside any form of collective bargaining. And since regulatory and protective laws come in the wake of unionisation, it follows that only a very small segment of the informal sector is covered by such regulation (Frontline, 30.6.1995: 106).
1 Einkommensdiversifizierung ist in diesem Sinne weniger als Folge einer Überlebensstrategie zu verstehen als vielmehr wichtiges Charakteristikum der wirtschaftlichen Eliten.
1 ‘(...) the modern state and its institutions (from the executive to the judiciary) were supported to be autonomous of dominant interests, be they monied interest in the form of the private sector and its international purveyors trying to influence economic decisions, be they the communal and caste interests seeking to hoodwink the state for sectarian ends, or be they the more professional mafia interests that have spread themselves through criminalisation of the polity at the grassroots. Today this autonomy has been eroded and given place to the growing sway of corporate inerests on the one hand and communal organisations and movements on the other, as well as of merchants of violence who have been spreading their tentacles far and wide (Kothari1991: 553).
2 In Phasen wirtschaftlicher Prosperität können Armutsgruppen von der Gesellschaft mitgetragen werden, in wirtschaftlichen Krisenzeiten und bei begrenzter Ressourcenausstattung ist dies jedoch nur bedingt möglich.
3 Es waren dies die Ablösung der DMK-Regierung (30.1.1991), die Ermordung Rajiv Gandhis (21.5.1991) und der Cauvery-Wasserstreit im Dezember 1991.
1 Darin soll keineswegs zum Ausdruck kommen, daß der Preisverfall für industrielle Güter etwa vergleichbar mit dem agrarer Produkte sei. Im Falle industriell gefertigter Waren kann der Preisverfall z.T. durch Produktivitätssteigerungen ausgeglichen werden. Im Agrarbereich ist dies aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit und gravierenden Unterbeschäftigung in sog. Entwicklungsländern nur sehr schwer möglich.
1 Dies gilt selbst für Nahrungsmittel. Dort, wo tatsächlich gehungert wird, geschieht dies nicht, weil global gesehen zu wenige Nahrungsmittel vorhanden wären, sondern, weil die geringe Kaufkraft der hungernden Bevölkerung keinen ausreichenden Marktanreiz bietet. Logistische Ausreden klingen wenig überzeugend. So wurde doch bereits im Zeitalter des Kolonialismus eindrücklich demonstriert, daß es - mit im Vergleich zu heute sehr einfachen Mitteln - möglich war, Produkte aus den abgelegendsten Gebieten der Welt herauszuschaffen - wenn sie nur hohe Profite versprachen. Der umgekehrte Weg scheint heute - im Zeitalter der Weltraumfahrt - hingegen problematisch. Oder ist es vielleicht doch etwa die geringe Profitrate, die problematisch ist?
2 Daß ein verheerender Krieg die ökonomische Voraussetzung für das fordistische Wirtschaftswunder der 50er und 60er Jahre war, sollte zu denken geben und zu erhöhter Wachsamkeit gegen Militarismus und nationale Chauvinismen auffordern.
1 Allerdings ist es angesichts der Komplexität gesellschaftlicher Vorgänge unmöglich, längerfristige Prognosen abzugeben. Massenkonsum wird es auch weiterhin geben, doch der Anteil der Bevölkerung, der daran wird teilhaben können, verändert sich zusehendst. So wird sich auch der Grundcharakter der Gesellschaften ändern und eine neue gesellschaftliche Qualität erreicht werden.
1 ("Vom Eingeborenen zum Unterentwickelten"; "Von Armut zu Elend", Kantowski 1985: 152f).
1 Weitere Risiken bestehen z.B. in den häufig auftretenden Wirbelstürme, die nicht selten Hab und Gut der Fischer zerstören sowie in den ungesunden Arbeitsbedingungen. Menschliche Aktivitäten verstärken diese Risiken. So wird angenommen, daß durch den globalen Temperaturanstieg die Anzahl und Intensität tropischer Wirbelstürme zunehmen wird. Da Kleinfischer auch besonders häufig intensiver Sonnenbestrahlung ausgesetzt sind, kann darüber spekuliert werden, ob sie von Prozessen wie z.B. auch dem Abbau der athmosphärischen Ozonschicht stärker betroffen sind, als andere gesellschaftliche Gruppen.
- Arbeit zitieren
- Eberhard Weber (Autor:in), 1995, Globalisierung und politische Ökonomie der Armut in Indien, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/497141
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