„Armageddon kommt oder ist in vollem Gange.
Macht euch große Sorgen denn jetzt sind wir in der Zange. Ich bange um mein Leben, denn ich höre von den Beben und nur für einhundertvierundvierzigtausend wird es Rettung geben. Hast du gehört? Armageddon ist da. Nichts ist wie es ist und nichts bleibt wie es war.“ So heißt es im Lied Armageddon von den Söhnen Mannheims mit Xavier Naidoo als Frontmann. Im Hintergrund hört man bedrohliche, fast schon hardrockartige Musik. „Armageddon“, der letzte große Kampf, das Ende der Menschheit oder gar der Untergang der Welt? Themen, die in den Liedern Xavier Naidoos immer wieder direkt oder indirekt angesprochen werden. Aber was will Xavier damit aussagen? In dieser Arbeit soll untersucht werden, wie es sich mit der Endzeit verhält und wie das, was darüber in der Apokalypse des Johannes geschrieben steht in den Liedtexten Xavier Naidoos verarbeitet wurde.
Im ersten Teil soll zunächst allgemein etwas zum Verhältnis von Popmusik und Religion gesagt werden. Denn Xavier Naidoo ist nicht der erste Popstar, der über religiöse, christliche oder endzeitliche Dinge singt und er wird wahrscheinlich nicht der Letzte sein. Diese Themen haben die Menschen zu allen Zeiten beschäftigt und werden es auch weiter tun. In diesen Kontext gilt es, auch die Texte von Xavier Naidoo einzuordnen.
Die Apokalyptik und insbesondere die Apokalypse des Johannes werden im zweiten Teil betrachtet, um damit eine Grundlage für die Interpretation der Liedtexte zu schaffen und einen Vergleich mit verschiedenen theologischen Aussagen über die Johannesapokalypse ziehen zu können.
Was sagen nun aber die Liedtexte Xavier Naidoos selbst aus? Der dritte Teil soll u.a. dieser Frage nachgehen. Zunächst soll eine kurze Biographie die Person hinter den Liedtexten beleuchten. Danach erfolgt eine Analyse der Liedtexte auf intratextueller Ebene, um mit einer gewissen Objektivität die Liedtexte zu untersuchen. Der anschließende Teil setzt sich intensiv mit der Frage auseinander, an welchen Stellen die Liedtexte die Johannesapokalypse verarbeiten, und wie das im Detail geschehen ist. Den Abschluss bildet ein Gesamtbild der Johannesapokalypse in den Liedtexten Xavier Naidoos.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Religion und Popmusik
2.1 Vom Spiritual zur Popmusik – ein historischer Abriss
2.2 Von Sacro-Pop bis Heavy Metal
2.3 Religiöse in der Popmusik
2.4 Apokalyptik in der Popmusik
3 Die Apokalypse des Johannes
3.1 Apokalyptik als religionsgeschichtliches Phänomen
3.1.1 Begriffsklärung
3.1.2 Apokalyptik im Alten Testament und frühen Judentum
3.1.3 Frühchristliche Apokalyptik
3.2 Die Johannesapokalypse
3.2.1 Inhalt und Gliederung
3.2.2 Autor und Abfassungszeit
3.3 Die Rezeption der Johannesapokalypse
3.3.1 Die Johannesapokalypse in der Kirchengeschichte
3.3.2 Gegenwärtige Interpretationsansätze der Johannesapokalypse
3.3.3 Ausgewählte Topoi der Johannesapokalypse in der gegenwärtigen Diskussion
3.3.3.1 Zion – Harmagedon
3.3.3.2 Die Hundertvierundvierzigtausend
3.3.3.3 Die Hure Babylon
3.3.3.4 Das Gericht
3.3.3.5 Das himmlische Jerusalem
3.4 Zusammenfassung
4 Xavier Naidoo und seine Interpretation der Johannesapokalypse
4.1 Zu seiner Person – Biographie
4.2 Die Liedtexte Xavier Naidoos (intratextuell)
4.3 Die Johannesapokalypse in den Liedtexten
4.3.1 Armageddon
4.3.2 Zion
4.3.3 Die Hundertvierundvierzigtausend
4.3.4 Die Hure Babylon
4.3.5 Das Gericht
4.3.6 Das himmlische Jerusalem – die zukünftige Welt
4.3.7 Weitere Parallelen
4.4 Das apokalyptische Gesamtbild der Liedtexte und seine Interpretation
5 Resümee
Anhang
1 Einleitung
„Armageddon kommt oder ist in vollem Gange.
Macht euch große Sorgen denn jetzt sind wir in der Zange.
Ich bange um mein Leben, denn ich höre von den Beben
und nur für einhundertvierundvierzigtausend wird es Rettung geben.
Hast du gehört? Armageddon ist da.
Nichts ist wie es ist und nichts bleibt wie es war.“[1]
So heißt es im LiedArmageddonvon den Söhnen Mannheims mit Xavier Naidoo als Frontmann. Im Hintergrund hört man bedrohliche, fast schon hardrockartige Musik. „Armageddon“, der letzte große Kampf, das Ende der Menschheit oder gar der Untergang der Welt? Themen, die in den Liedern Xavier Naidoos immer wieder direkt oder indirekt angesprochen werden. Aber was will Xavier damit aussagen? In dieser Arbeit soll untersucht werden, wie es sich mit der Endzeit verhält und wie das, was darüber in der Apokalypse des Johannes geschrieben steht in den Liedtexten Xavier Naidoos verarbeitet wurde.
Im ersten Teil soll zunächst allgemein etwas zum Verhältnis von Popmusik und Religion gesagt werden. Denn Xavier Naidoo ist nicht der erste Popstar, der über religiöse, christliche oder endzeitliche Dinge singt und er wird wahrscheinlich nicht der Letzte sein. Diese Themen haben die Menschen zu allen Zeiten beschäftigt und werden es auch weiter tun. In diesen Kontext gilt es, auch die Texte von Xavier Naidoo einzuordnen.
Die Apokalyptik und insbesondere die Apokalypse des Johannes werden im zweiten Teil betrachtet, um damit eine Grundlage für die Interpretation der Liedtexte zu schaffen und einen Vergleich mit verschiedenen theologischen Aussagen über die Johannesapokalypse ziehen zu können.
Was sagen nun aber die Liedtexte Xavier Naidoos selbst aus? Der dritte Teil soll u.a. dieser Frage nachgehen. Zunächst soll eine kurze Biographie die Person hinter den Liedtexten beleuchten. Danach erfolgt eine Analyse der Liedtexte auf intratextueller Ebene, um mit einer gewissen Objektivität die Liedtexte zu untersuchen. Der anschließende Teil setzt sich intensiv mit der Frage auseinander, an welchen Stellen die Liedtexte die Johannesapokalypse verarbeiten, und wie das im Detail geschehen ist. Den Abschluss bildet ein Gesamtbild der Johannesapokalypse in den Liedtexten Xavier Naidoos.
Zu der Betrachtung der Liedtexte müssen allerdings noch einige Vorbemerkungen gemacht werden:
Xavier Naidoo ist kein Theologe (siehe 4.1) und hat auch keine vergleichbare Ausbildung. Das lässt darauf schließen, dass er wahrscheinlich nie versucht hat, aus theologisch-wissenschaftlicher Perspektive an die Auslegung der Offenbarung heranzugehen. Ähnlich beurteilt Kögler die Haltung vieler Popmusiker, besonders der achtziger Jahre, wenn sie sagt, dass Künstler nicht theologisch sein wollen, sondern es „nur“ deren Absicht ist, die eigene Glaubenshaltung zur Sprache zu bringen.[2]Dass Xavier Naidoo sich auf jeden Fall mit seinen Freunden und Mitmusikern mit Glaubensfragen auseinandersetzt ist allerdings belegt. Darüber hinaus handelt es sich bei den Texten Xavier Naidoos umLiedtexte.. Diese müssen singbar sein, sollen sich schön anhören - poetisch, lyrisch und nicht wissenschaftlich-theologisch. Naidoos Absicht ist es also vermutlich nicht, einen fundiert ausgearbeiteten theologischen Kommentar zur Offenbarung zu präsentieren, sondern seine Glaubenserfahrungen und Entdeckungen mitzuteilen - wie ausgereift sie auch immer sein mögen. Dennoch oder gerade deswegen müssen Xavier Naidoos christliche, religiöse Inhalte ernst genommen werden.
Xavier verarbeitet nicht nur Teile der Johannesapokalypse in seinen Liedtexten, sondern noch viele andere biblische Texte. Da die Offenbarung selbst oft auf das Alte Testament zurückgreift (siehe 3.2.1), ist es nicht immer eindeutig, auf welche Bibelstellen (AT/NT) sich Naidoo in seinen Liedtexten bezieht.
Zum Material:
Die Liedtexte Xavier Naidoos beihalten viele religiöse Bilder und Anspielungen. In dieser Arbeit sollen jedoch nur die Lieder behandelt werden, welche direkt mit der Johannesapokalypse in Verbindung gebracht werden können. Diese Lieder stammen hauptsächlich aus Naidoos Solo-Alben und den zwei bisher erschienen Alben der Söhne Mannheims. Die Alben der Söhne Mannheims sind zu berücksichtigen, weil die Liedtexte fast ausschließlich von Xavier Naidoo stammen. Projekte mit anderen Künstlern bleiben unberücksichtigt, da bei diesen Projekten die Autorschaft des Textes nicht eindeutig zu klären ist und abgesehen davon, die Texte wenig zum Thema dieser Arbeit beitragen.
Leider kann auch keine Analyse der Video-Clips und der musikalischen Struktur der Lieder geleistet werden, da dies den Rahmen der Arbeit wegen der Fülle des Materials sprengen würde. Es kann bei einzelnen Liedern nur kurz auf das musikalische Gesamtbild geschaut werden.
Vergleicht man die im Booklet der verschiedenen Alben abgedruckten Liedtexte mit den gesungenen Texten, die tatsächlich auf der CD zu hören sind, so stellt man fest, dass es immer wieder kleine textliche Unterschiede gibt. Es wurde die jeweils sinnvoll erscheinendere Variante gewählt. Einige englische Rap-Texte, die auf den CDs zu hören sind, aber nicht im Booklet abgedruckt wurden, haben in dieser Arbeit keine Berücksichtigung gefunden, da auch hier die Autorschaft nicht gesichert ist. Die Vermutung liegt nahe, dass diese Raps nicht von Xavier Naidoo stammen, da sie nicht von ihm interpretiert werden, sondern meist vom Rapper „Metaphysics“.
Alle in dieser Arbeit verwendeten Liedtexte befinden sich im Anhang, sortiert nach Alben und Liednummern.
Noch eine persönliche Anmerkung zum Schluss:
Diese Arbeit soll weder in fanatischer Groupie-Manier die Lieder bzw. Liedtexte Xavier Naidoos verherrlichen und deren theologische Wahrheit bezeugen, noch soll sie, wie das in der Vergangenheit geschehen ist, ein blindes Verurteilen der Texte wegen ihrer „falschen“ Theologie sein. Es geht auch nicht um eine Beurteilung des persönlichen Glaubens von Xavier Naidoo. Ich habe großen Respekt vor der künstlerischen, musikalischen und kreativen Schaffenskraft Xavier Naidoos. Dennoch oder gerade deswegen sollen die Liedtexte unter dem Aspekt der Apokalyptik aus theologischer Sicht kritisch analysiert und gewürdigt werden.
2 Religion und Popmusik
Der Religionsbegriff soll im Rahmen dieser Arbeit sehr eng gefasst werden. Es ist hier mit Religion explizit die christliche Religion in Form von gesprochenen Worten gemeint. Dabei ist mir bewusst, dass Religion in umfassenderem Maß in der Popmusik zu finden ist. Beispielsweise haben Rockkonzerte aus religionsphänomenologischer Perspektive betrachtet einen kultisch-religiösen Charakter[3]. Ebenso haben Liedtexte, die sich mit Lebensfragen auseinandersetzen, immer noch eine religiöse Dimension. Diese Aspekte können an dieser Stelle jedoch nicht berücksichtigt werden.
Mit Schwarze und Bubmann werden hier die Begriffe Pop- und Rockmusik nicht getrennt, sondern alseinBegriff verwendet.[4]
Unter Popularmusik ist diejenige Musik zu verstehen, die an industrielle Produktionsmethoden gebunden und als Gebrauchsmusik auf möglichst leichte Aneignung und weitestgehende Verbreitung hin konzipiert ist. Der Begriff umfasst demnach einen weiteren Bereich als die Stilbezeichnungen ‚Pop’ und ‚Rock’. Er ist jedoch enger als derjenige der ‚populären Musik’, zu der etwa auch authentische Volksmusik oder bekannte Kirchenlieder zählen, die vom musikindustriellen System unberührt sind.[5]
Gemeint ist demnach eine Musik, welche die Mainstream-Popmusik genauso umfasst wie neuere und spezifischere Stile (z.B. Punk, Rap, HipHop, Techno, etc.).[6]Die Entstehung dieser verschiedenen Musikstile soll kurz skizziert werden, denn die Wurzeln der Popmusik liegen in der religiösen Tradition von Spirituals und Gospel[7], wie im folgenden zu sehen sein wird.
2.1 Vom Spiritual zur Popmusik – ein historischer Abriss
Wesentlich für die Entstehung der Rockmusik ist das Zusammentreffen zweier Kulturen auf dem amerikanischen Kontinent: zu den Vorboten des Rock`n`Roll, der in den fünfziger Jahren entstand, zählen nämlich gemeinhin die afro-amerikanischen Musikstile (Spiritual, Gospel, Blues Rhythm&Blues), die sich dort seit dem 17. Jahrhundert in folge der Sklavenverschleppung nach Amerika entwickelten.[8]
Den Sklaven, die seit 1619 in die USA gebracht wurden, war der Umgang mit ihren kulturellen Traditionen (beispielsweise das Trommeln) verboten. Stattdessen wurden sie Ende des 17. Jahrhunderts missioniert und lernten das europäische Liedgut (English Hymns) kennen. Diese Kirchenchoräle und Hymnen verbanden sich mit typisch afro-amerikanischen Stilmerkmalen. So entstanden dieSpirituals. Inhaltlich handelten sie von biblischen Geschichten, dem qualvollen Leben und von Erlösung und Befreiung.[9]
So finden sich in den Texten Exil- und Exodus-Erzählungen: z.B. Mose, der die Kinder Israels aus Ägypten führt; David, der Goliath besiegt; Jesus, der den Tod besieg und vieles mehr.[10]
Nach Abschaffung der Sklaverei 1867 spezialisierten sich einige Schwarze auf das Musizieren zum Broterwerb. Der Blues entstand. Die Musik war weniger geistlich und diente den Schwarzen besonders in Großstädten als Tanz- und Unterhaltungsmusik.[11]Der Blues war das „zentrale musikalische Medium der Reflexion afro-amerikanischer Lebenserfahrung“[12]. Er spiegelt leidvolle Erfahrung, Hoffnungen, Wünsche, Sehnsüchte. Wegen Blasphemie und der sexuellen Permissivität in den Texten waren die Blues-Musiker allerdings in den Kirchen nicht sehr beliebt. Eine Auseinandersetzung mit der Religion fand in den Liedtexten trotzdem statt, jedoch mehr im Sinne einer Theodizee-Frage. Schwarze meint sogar:
„Im Blues liegt der Ursprung der popularmusikalischen Sympathisierung mit dem Teufel, die dann in den sechziger Jahren in der Rockmusik wieder aufgenommen wurde.“[13]
Mitte der zwanziger Jahre entstanden in den schwarzen Straßenkirchen der Ghettos nordamerikanischer Großstädte die Gospels.[14]
„Dazu vereinten sich die Stile der Jubilees und Spirituals mit Elementen anderer Musikformen: Blues, Jazz, Boogie Woogie.“[15]
Der Gospel verbreitete sich schnell und war sogar auf dem Plattenmarkt erfolgreich (z. B. Mahalia Jackson). Dabei veränderten sich jedoch die Inhalte.
„Anstelle der Vielfalt der in der Frühezeit zitierten biblischen Traditionen war nun meist Gottes Heilshandeln in Christus alleiniger thematischer Bezugspunkt, wobei politisch-eschatologische Aspekte in den Intergrund traten.“[16]
Nach dem zweiten Weltkrieg entwickelte sich der Blues weiter zum Rhythm&Blues. Dieser Stil kann als eine Sammelbezeichnung für die professionalisierten Formen der schwarzen Tanz- und Unterhaltungsmusik angesehen werden. Rhythm&Blues war laut, derb, manchmal vulgär und erotisch, gedacht als
unbekümmerte Unterhaltung und Musik für den Körper“[17]
Die Musik war rhythmischer und hatte eine swingende Backbeat-Betonung. Auch die Gospels wurden in den fünfziger Jahren wieder im Rhythm&Blues integriert. Allerdings wurde die Spiritualität auf die Erotik übertragen. So sang Ray Charles: „Halleluja, I love her so“ und meinte damit natürlich eine Frau und nicht Jesus. Dennoch spiegelt sich in der Erotisierung des religiösen Erlebens die körperbetonten, auf alle Aspekte der Lebenswelt bezogenen Ausdrucksweisen afro-amerikanischer Spiritualität wider, wie sie in den Spirituals und Blues-Songs belegt sind.
Ab 1969 wurde diese Musik von der Plattenindustrie Soul genannt. Die Soul-Musik prägte die afro-amerikanische Popularmusik nachdrücklich (Funk, Disco, Rap, HipHop verdanken ihr wichtige Impulse), hatte aber auch erhebliche Auswirkungen auf das Leben und Wirken weißer Popmusiker bis in die Gegenwart.
In den fünfziger Jahren wurde der Rock`n`Roll zum Symbol einer rebellierenden Jugendgeneration.[18]Die Plattenindustrie hatte die Vorliebe weißer Jugendlicher zu schwarzer Musik entdeckt. Rhythm&Blues wurde durch weiße Musiker interpretiert und mit Country Music Elementen versetzt. Inhaltlich ging es um realitätsfremde Wunsch- und Traumerlebnisse, die als Ersatz für echte Erfahrungen dienten. Die Texte beschrieben die Erfahrungswelt Jugendlicher und dienten als Abgrenzung zur Erwachsenenwelt. Im Gegensatz zu Rhythm&Blues-Texten waren sie jedoch anständig und nicht anstößig. Religion spielte in ihnen keine Rolle, obwohl viele der Musiker aus streng religiösen Elternhäusern stammten.
In den sechziger Jahren entstanden mit einer Musikerbewegung in England, die den Beat hervorgebracht hatte, die Beatles. Ihre Texte handelten von der Sehnsucht nach Liebe, Zuneigung, Selbstbestätigung, Ekstase und der Suche nach sich selbst.[19]Ende der Sechziger wuchs die Sehnsucht nach religiösen Erfahrungen. In den siebziger Jahren wurde die Suche nach Erlösung durch Drogen, fernöstliche Religion oder auch den christlichen Glauben (Jesus-People) stärker, was sich z.B. in den Musicals „Hair“ und „Godspell“ widerspiegelt. Auf der anderen Seite hielt auch das satanische Gedankengut Einzug in die Rockmusik.[20]
Die Rockmusik differenzierte sich in den achtziger Jahren in Punk, New Wave, Synthi-Pop und Heavy Metal. In den Texten der Bands wie „The Police“ oder „Simple Minds“ finden sich deutlich religiöse Motive, wenn auch nicht explizit christliche.
„Der eigentliche Aufschwung religiöser Thematik kommt jedoch erst in den Achtzigern. Da wird die irische Band U2 nicht als verschroben abgelehnt, wenn ihre Texte und ihre öffentlichen Äußerungen eine klare christliche Orientierung bezeugen – freilich eine prophetisch-rebellische, die gut zu ihrer harten Rockmusik passt.“[21]
Die weitere Musikgeschichte der „weißen“ Musik in den neunziger Jahren spielt für diese Arbeit eine untergeordnete Rolle, weshalb hier nicht weiter darauf eingegangen wird. Die Musik der Schwarzen brachte allerdings noch weitere interessante Musikstile hervor. In den siebziger Jahren entstand parallel zum Rock in den Ghettos der Großstädte Amerikas der Rap oder HipHop. Zu instrumentaler Musik, die von DJs gemixt wurde, sprachen oder besser „rappten“ die Schwarzen. Damit stand der oft sehr umfangreiche Text wieder mehr im Mittelpunkt. Die Rap-Texte spiegelten das Leben der Schwarzen in den Ghettos. Sie handelten von Gewalt, Sex, Drogen, Diskriminierung und zuweilen auch von Gott.[22]Dies ist bis heute so geblieben, auch wenn mittlerweile einige weiße Rapper hinzugekommen sind. Auch Soul und Rhythm&Blues, heutzutage nur noch „R`n`B“ genannt, haben sich weiterentwickelt. Die meist schwarzen Sänger haben heute immer noch eine tiefe emotionale Verbindung zu ihren Wurzeln.
Dies zeigt sich schon auf vielen Plattenhüllen, auf denen Gott, Jesus und der Kirche genauso oft gedankt wird wie den Produzenten, Arrangeuren und Fans.[23]
Interessant ist, dass die Musik Xavier Naidoos eine Mischung aus Soul, Rap,
HipHop und R`n`B darstellt – zeitweise mit rockigen Elementen ergänzt. Sie ist damit direkt an die (spirituellen) Wurzeln der afro-amerikanischen Musik angebunden. Die typischen Elemente afro-amerikanischer Musik (Rhythmus-Betonung, Improvisation, Call-and-Response[24]), die aus dem religiösen Gemeinschaftsrahmen schwarzer Tradition entstammen, finden sich in den Liedern Xavier Naidoos wieder.
2.2 Von Sacro-Pop bis Heavy Metal
Ob Musik im Gottesdienst, softer Pop aus dem Radio oder Heavy Metal – in fast jedem Musikstil finden sich Beispiele religiöser Inhalte. Im folgenden soll es nun aber nicht um eine Analyse der einzelne Musikstile an sich gehen, sondern um eine funktionale Gliederung. Denn Sacro-Pop, Godrock oder Hellrock lassen sich nicht unbedingt einer jeweiligen Musikrichtung zuordnen. Sie orientieren sich am „Sitz im Leben“ und der Rezipienten. Im folgenden werden diese verschiedenen Kategorien[25]kurz erklärt. Dabei bleiben wir im Bereich der Popmusik.[26]
Sacro-Pop:
Die freie Internet-Enzyklopädie Wikipedia definiert Sacro-Pop wie folgt:
Beim Sacro-Pop werden geistliche Texte zu modernen rockigen und popigen Rhythmen gesungen. Zu hören ist diese Musik vornehmlich in Jugendgottesdiensten, zunehmend auch auf entsprechenden Konzerten.[27]
Detaillierter beschreibt ihn Bubmann als eine Verbindung von popmusikalischen Stilmitteln der sechziger Jahre und deutscher Songtradition. Der Schwerpunkt liege auf leicht mitsingbaren Kanones und Refrainliedern.[28]Die Bandnamen spielen kaum eine Rolle. Dieser Musikstil wird besonders in den Kirchengemeinden und auf Kirchentagen genutzt und gepflegt. In der katholischen Kirche taucht er auch unter dem Namen „neues geistliches Lied“ auf.
Eine Untergruppierung des Sacro-Pop ist die Praise-Music, die fast eine eigenständige Kategorie darstellt. Hauptsächlich in (amerikanischen) Freikirchen praktiziert, ist diese Form der Anbetungsmusik meist professioneller und auf gleichem Niveau mit aktueller Popmusik. Geprägt ist sie unter anderem von der amerikanischen Filmmusik.[29]
Godrock,Gospelrockoderchristliche Rockmusik:
Diese verschiedenen Begriffe stehen für dasselbe Phänomen. Bubmann definiert diese Musik so:
Gospelrock ist Rock- und Popmusik, die möglichst im aktuellen Sound und professionell produziert die Botschaft Jesu dem Massenpublikum nahe bringen will.[30]
Im Vergleich zu Sacro-Pop liegt hier ein größerer Schwerpunkt auf der Unterhaltung und Identität der Musiker/Bands. Gospelrock besteht aus vorwiegend amerikanischen Produktionen und ist auch bei uns im Radio zu hören. „Dahinter steht eine inzwischen gut ausgebaute christliche Musikindustrie, große Labels, also Plattenfirmen, Vertriebsfirmen, eigene Zeitschriften, Festivals…“[31]Dies trifft insbesondere für Nordamerika zu. In Deutschland ist dieses Marktsegment noch vergleichsweise klein (trotz beachtlichen Wachstums in den letzten Jahren). In Amerika dagegen ist der Gospelrock mit Größen wie Bob Dylan, Aretha Franklin, Amy Grant, Mary Mary, P.O.D. usw. fest im Musikmarkt etabliert und integriert[32]. Eine genaue Differenzierung auf Grund einer unterschiedlichen Hörerschicht, wie sie in Deutschland zu finden ist gestaltet sich deshalb in Amerika als schwierig. So finden sich die Rezipienten bzw. Hörer des Gospelrock in Deutschland bevorzugt in christlichen Kreisen.
Gospelrock ist jedoch keineswegs auf einen bestimmten Musikstil beschränkt. Es gibt keinen Musikstil, der nicht von Christen adaptiert und mit christlichen Inhalten gefüllt worden ist. Ein anschauliches Beispiel stellt das jährlich stattfindende „Freakstock-Festival“ dar, bei dem von Rap bis Heavy Metal jeder Musikstil - christlich interpretiert - zu finden ist.[33]
Säkularer Pop mit religiösen Elementen:
Auch in der säkularen Popmusik finden sich reichlich Beispiele für christliche Bilder (siehe auch 2.3). „Dabei vereinnahmt, ge- und missbraucht Popmusik in jüngerer Zeit zunehmend den traditionellen religiösen Zeichen- und Symbolvorrat“[34], so die zentrale These von Tischer. Er bezeichnet die Religion der Popmusik als eine synkretistische Religion, d.h. mythisches, christliches und teilweise fernöstliches Religionsgut vermischen sich. So beispielsweise bei den Beatles oder Prince. Es gibt jedoch auch Künstler, die sich mit der christlichen Religion und der Beziehung zu Gott in ihren Liedern auseinandersetzen, einfach weil dies Teil ihres Lebens ist oder weil sie mit religiösem Wortschatz aufgewachsen sind. Dabei steht der missionarische Charakter, der meist beim Godrock zu finden ist, im Hintergrund. Unter den bekannten Musikern sind beispielhaft zu nennen: Elvis Presley, Cliff Richard, Van Morrison, Destiny Child, U2, Peter Maffay, usw.
Hellrock:
Der Begriff Hellrock, den ich in Anlehnung und Gegenüberstellung zum BegriffGodrockgewählt habe, soll aufzeigen, dass es in der Popmusik auch Künstler gibt, die sich auf eine kritische bis rebellische Art mit dem Thema Religion beschäftigen. Gott wird angeklagt, verurteilt, verspottet oder es wird über den Teufel gesungen. Die härteste Ausprägung findet sich in der Hardrock- und Heavy Metal-Musik, und hier besonders im Death Metal. Viele Texte benutzen religiöse Symbole (Engel, Satan,…) um die Ablehnung Gott gegenüber auszudrücken. Bei einigen Bands kann dies bis zum Satanismus und okkulten Praktiken auf der Konzertbühne führen (Black Sabbath, Iron Maiden,…).
In dieser funktionalen Aufteilung wird deutlich, dass religiöse Elemente in der Popmusik ganz unterschiedlich und aus verschiedenen Motiven heraus eingesetzt werden. Eine Einordnung Xavier Naidoos erweist sich als schwierig. Zum einen schreibt er seine Lieder nicht für den kirchlichen Bereich (Sacro-Pop), da er der Meinung ist, dass man mit eindeutigen religiösen Aussagen keine Chance im Radio hat.[35]Außerdem sind seine Lieder für den gottesdienstlichen Einsatz wenig geeignet. Genauso wenig will er seine Musik funktionalisieren und sie nur als „Mittel“ benutzen um Menschen zu missionieren (wie z.T. beim Godrock). Trotzdem meint er es sehr ernst mit seinen Aussagen und setzt sie auch bewusst ein, um seine Gedanken zu verbreiten und klar zu stellen, wie seine Beziehung zu Gott ist. Sein starker Glaube an den christlichen Gott lässt es dann auch nicht zu ihn in die fast beliebig gewordene, synkretistische Popreligiosität einzuordnen. So ist seine Musik meiner Meinung nach zwischen Godrock und Popmusik mit religiösen Inhalten anzusiedeln.
2.3 Religiöse in der Popmusik
Die Verknüpfung von Religion und populärer Musik ist seit den Anfängen der Rockmusik immer wieder sichtbar geworden.[36]„Religiöse Motive lassen sich in allen Entwicklungsphasen der Rock- und Popmusik nachweisen.“[37]Und längst ist die Verwendung von Bibelzitaten oder aus dem christlichen Kontext stammenden Bildern in der Pop/Rock-Musik nicht mehr überschaubar.[38]Volker Schütz führt z.B. für die Zeit von 1955-1979 allein basierend auf den Songtiteln etliche Lieder an, die sich explizit mit religiöser Thematik beschäftigen. Er stützt sich dabei auf eine Statistik aus dem Rock Music Source Book:
1. Religion / Prayer: dazu werden 16 thematische LP-Alben und 91 Songs aufgelistet
2. God /Lord: 113 Songs
3. Jesus Christ: 71 Songs
4. Anti-Institutional Religion: 27 Songs
5. Alternative Forms of Prayer, Worship an Meditation: 24 Songs.[39]
Hier soll deshalb an ausgewählten Größen der Popmusikgeschichte die Vielfalt religiöser Themen in den Liedtexten exemplarisch belegt werden.
- Elvis Presleyist in einer religiösen Gemeinde aufgewachsen. „Um zu zeigen, dass ihm der Glaube etwas bedeutete, nahm z.B. Elvis Presley religiöse Lieder in Form von Gospel auf. In einer Musikersession mit Jerry Lee Lewis, Johnny Cash und Carl Perkins sangen sie 1956 bspw. Blessed Jesus Hold my HandundLittle Talk With Jesus.”[40]Ein anderer Welterfolg wurde für ihn das LiedCryin In The Chapel(1956).
- My Father’s House(1982) lautet ein Song vonBruce Springsteen. Dieser Song ist bestimmt von der religiösen Sehnsucht nach Versöhnung. Versöhnung mit dem Vater. Diese wird in Anlehnung an das Gleichnis vom Verlorenen Sohn (Lk 15) formuliert.[41]
- Cat Stevens: MitMorning has brokenlandet er 1971 einen Hit. Der Text des Liedes steht ganz in der Tradition der biblischen Schöpfungspsalmen, die hymnisch Gottes Schöpfungs- und Bewahrungshandeln preisen.
- Bob Dylankonvertiert 1978 zum Christentum. Seine christlichen Überzeugungen finden sich auf den AlbenSlow Train Coming(1979),Saved(1980), undShot Of Love(1981). Auch andere Lieder, vor und nach diesen Alben, beinhalten eine Fülle religiöser Symbole.
- Stingbzw. The Police: Im LiedO My God(1983) erlebt der Ich-Erzähler einen zynischen Gott, der ihn leiden lässt. Dieses Lied liest sich wie ein emotional hochbesetzter Kommentar zu Psalm 22, meint Schwarze. Es sei eine Anklage an den Erlöser, der so unüberwindlich fern zu bleiben scheint.[42]
- In mehreren Songs nimmtPrincereligiöse Elemente auf. Im SongThe Ladder(1985) drückt sich die Sehnsucht nach Erlösung aus („everybody’s looking for the ladder, everybody wants salvations of the soul“). The Cross(1987) nimmt das Thema der Kreuzigung Jesu auf (“Don’t die without knowing the cross… All your problems will be taken to the cross.”). Mit seinem AlbumLovesexyentwickelt er gar eine Art Liebestheologie, in der sich Erotik und Religiosität verbinden („Love is God, God is love, girls an boys love God above“[43]).[44]
- Herbert Grönemeyer: 1988 veröffentlicht er das LiedMit Gott. Dieses Lied ist eine Kritik an dem heuchlerischen Verhalten der CDU, die sich scheinbar so gar nicht christlich verhält: „Mit Gott an unserer Seite, Jesus in einem Boot, dem Ablass in unserem Namen, das C strahlt über uns riesengroß“ lautet ein Teil des Refrains. Zwar richtet sich dieses Lied nicht direkt an Gott, es setzt sich aber mit der gelebten christlichen Religion auseinander.
- Madonna: MitLike a Prayer(1989), insbesondere mit dem dazugehörigen Video, sorgte sie für sehr viel Aufsehen. Im Video inszeniert sie ein Kapitel schwarzer Befreiungstheologie[45]und vermischt Frömmigkeit mit Erotik.[46]
- Die Heavy-Metal-TitanenMetallicabeschäftigen sich u.a. mit der Erlösungstat Christi, wenn auch in konfrontativer Art: „’The God That Failed’ (CD Metallica, 1991) ist eine Abrechnung mit einem gescheiterten Gott, dessen heilende Hand durch den Nagel am Kreuz zurückgehalten wird (the healing hand held back by the deepended nail).”[47]
- Die Toten Hosengreifen in dem LiedAlles wird gut(1990) „kritisch-ironisch religiöse Metaphern auf“[48], beispielsweise die des Paradieses. 1996 präsentieren sie die religionskritische PlatteOpium fürs Volk. Sie beginnt mit dem „Vater unser“[49]und lässt „tiefere Anfragen nach der Gerechtigkeit und nach der Menschenfreundlichkeit Gottes hörbar werden.“[50]
- Puff Daddy, einer der erfolgreichsten HipHop-Künstler und Produzenten der letzten Jahre in Amerika singt über seinenBest Friend(1999). Dieser ist kein geringerer als Jesus („Here was my Lord Jesus Christ, my best friend“). Das Lied erzählt von der persönlichen Beziehung des Sängers zu Gott und drückt seine Dankbarkeit gegenüber Gott aus, weil der ihn in seinem Leben immer festgehalten hat.
- Janette Biedermann: Ihr LiedThe Infant Light(2004) ist zwar eine Art Weihnachtslied. Das ändert allerdings nichts an der Tatsache, dass auch Janette als aktueller Popstar religiöse Symbole benutzt und selbst über Christus singt
„If you can not sing like the angels […] you can tell `bout the love of Jesus. [….] Lord of all, Christ the holy, Thy was born for you.“
Auf dem AlbumDeliciousinterpretiert sie sogar den GospelAmazing Grace.
- Andere deutsche Künstler der vergangen Jahre, deren Lieder religiöse Elemente aufweisen, sindPeter Maffay, Pur, Marlon, Marius Müller Westernhagen, Udo Jürgens, Moses P., Zeichen der Zeit und Allee der Kosmonauten.[51]
Soweit ein kurzer Abriss. Allgemein bleibt festzustellen, dass religiöse, christliche Motive in Liedtexten der Popmusik seit den neunziger Jahren tendenziell zugenommen haben. Dies genauer zu untersuchen wäre eine wertvolle Aufgabe, der hier nicht nachgegangen werden kann.
Bezogen auf das Thema der Arbeit ist festzustellen, dass es keineswegs eine bahnbrechende Neuerung ist, wenn Xavier Naidoo Lieder mit christlichen Inhalten veröffentlicht. Er steht damit in einer langen Tradition von Künstlern der Öffentlichkeit. Neu ist allerdings die Fülle seiner Lieder mit religiösem Inhalt und die Beachtung der Liedtexte in den Medien, gerade weil sie in deutscher Sprache gesungen und somit von vielen verstanden und wahrgenommen werden.
2.4 Apokalyptik in der Popmusik
Es ist nicht verwunderlich, dass auch die Apokalyptik in der Popmusik von einigen Künstlern verarbeitet worden ist, da sie sich mit Themen wie Zukunft, Leben nach dem Tod etc. beschäftigt und damit die Menschen angeht (siehe 3.1). Auch hier seien ein paar Beispiele genannt ohne einen Anspruch auf Vollständigkeit erheben zu wollen.
Auffallend ist, dass sich besonders zwei Musikstile mit diesem Thema beschäftigen. Das ist zum einen der Bereich des Hard Rock, Heavy Metal (Black Metal) oder Gothic und zum anderen der Reggae.
Der Reggae hat seinen Ursprung in Jamaika. Nachdem in den fünfziger Jahren der Ska (eine Stilmischung aus Mento/Calypso und Rhythm&Blues) entstanden war, entwickelte sich dieser in den sechziger Jahren zum Reggae, der Kultmusik der Rastafari-Religion. Diese seit 1930 bestehende Religion hat als schriftliches Zeugnis die Bibel und besonders das Buch der Offenbarung. Allerdings glauben sie, dass die Bibel von den Weißen gefälscht worden ist. Sie halten die Schwarzen für das wahre auserwählte Volk (= Israel) und verehren den (inzwischen verstorbenen) äthiopischen Kaiser als lebenden Gott. Die enge Verbindung von Reggae und der Rastafari-Religion begann Anfang der siebziger Jahre. Als 1975 der äthiopische Kaiser (Haile Selassie) starb, „schrieb Bob Marley, der unbestrittene König des Reggae, seinen Song ‚Jah live’ (Jah = Jahwe), Gott lebt.“[52]„Die Texte (des Reggae, Anm.) reflektieren das Schicksal des unterdrückten Volkes Israel und seine Befreiung und zitieren oft auch längere Passagen aus den Psalmen.“[53]Dies drückt sich u.a. in Bob Marleys LiedBabylon Systemaus:
Me say: de Babylon system is the vampire, falling empire, Suckin’ the blood of the sufferers, [….] ‘Cause we’ve been trodding on ya winepress much too long: Rebel, rebel!
Dieses Babylon System bzw. die Gefangenschaft und Unterdrückung im karibischen Babylon ist auch Thema des LiedesIsraelitesvon Desmond Dekker undBy The Rivers of Babylonvon den Slickers, das später als gecoverte Discoversion von der deutschen Gruppe Boney M. herausgebracht wurde.[54]
Ein weiteres Lied mit dem TitelRivers of Babylonwurde von den The Melodians veröffentlicht. Auch hier handelt der Inhalt von der Sehnsucht nach Freiheit während einer Gefangenschaft und von der Erinnerung an Zion.
Zwei weitere Künstler, anderer Musikstile, die einen Song namensBabylongeschrieben haben sind David Gray[55]und Outkast[56]. Bei Outkast stehtBabylonfür das Leben auf der Erde, das voller Kampf und Sünde ist. Bei Gray wird damit die konkrete persönliche Situation der Einsamkeit und Verlassenheit beschrieben.
Kommen wir nun zu Beispielen aus der „härteren“ Musikszene.
Nagelfar war eine deutsche Gruppe der Black Metal Szene.[57]Ihr LiedBildnis der Apokalypsezeigt, wie sie sich das Ende der Welt vorstellen:
Jedem Leben ein Ende gesetzt,
wird die Horde gegen die Schöpfung gesetzt.
Der Marsch der Flammen ist begonnen,
und unser Reich zurückgewonnen.
Herr über Leben, Herr über Tod
Ich bringe mein Opfer, Vater, ihren Tod.
Die Gruppe Illuminate, die der deutschen Gothic-Szene angehört, fragt in ihrem SongApokalypseprovokativ:
Wer wird dein Leben retten, wenn der letzte Tag gekommen ist, wenn der Prinz der Finsternis zurücktritt und das Endgericht auf dich wartet?[58]
Demgegenüber klingt folgende Liedzeile eher negativ:
They’re stuck in this Babylon forever and they’re never gonna find their
way home.
Sie stammt von der Gruppe Turbonegro aus ihrem LiedBabylon forever.[59]
Auch die Gruppe Alkaline Trio (Punk) benutzt die Sprache der Johannesapokalypse. Sie interpretiert Armageddon in ihrem gleichnamigen Lied, als das Ende, den Untergang. Bevor dieser kommt will man sich freilich noch verabschieden, so heißt es im Lied.
Eine weitere Band, die sich mit christlichen Inhalten auseinandersetzt, ist P.O.D. Wie schon in den vorigen Liedern, wird auch bei ihnen das Motiv vonBabylonaufgegriffen. Eine Verarbeitung von Teilen der Johannesapokalypse ist eindeutig im LiedBreathe Babylonfestzustellen. Es handelt vom Kampf gegen Babylon und gegen das Böse. Die gerechten Kämpfer werden von Gott gebraucht, um das Böse zu vernichten. Die Plagen und das Tier der Johannesapokalypse, sowie der Sieg über diese werden im Lied erwähnt. Auch der Fall der Stadt Babylon wird proklamiert: „The city has fallen.“ Ganz im Sinne der Johannesapokalypse ist die Hoffnung auf eine neue Welt: „Just sitting here, waiting for the train to Zion.“
Die eher anti-christliche Heavy-Metal BandIron Maidonist eine der ganz wenigen Gruppen, welche die Johannesapokalypse tatsächlich zitiert. Ihr LiedThe Number of The Biestbeginnt damit, dass eine getragene Stimme Apk 12,12b und 13,18 vorträgt. Danach werden diese Verse im Text von der Gruppe selbst interpretiert. Im Lied geht es dann jedoch nicht um den biblischen Kontext, sondern nur darum auszudrücken, dass das Böse ein Teil der Wirklichkeit und von jedem Menschen ist.
Als populärstes Beispiel in jüngster Zeit gilt das LiedDie Flutvon Peter Peppner (Text) / Joachim Witt (Musik), das im Sommer 1998 Spitzenplätze in den deutschen Charts belegte. Das Lied „thematisiert das, was auch die Apokalyptik motiviert: Lebensangst und Weltangst“[60].
Die Liste der Beispiele für apokalyptische Themen lässt sich sicher nicht beliebig lange fortführen. Dennoch zeigt der Überblick, dass dieses Thema von Zeit zu Zeit immer wieder von Künstlern aufgegriffen wird. Eine derart umfangreiche Auseinandersetzung mit der (Johannes)apokalypse wie bei Xavier Naidoo, findet sich jedoch sonst in der Popmusik kein zweites Mal.
Damit verlasse ich zunächst die Musik und komme zur Johannesapokalypse selbst.
3 Die Apokalypse des Johannes
3.1 Apokalyptik als religionsgeschichtliches Phänomen
Apokalyptik ist ein Thema, das die Menschheit von jeher bewegt hat, es ist „nicht nur aktuell, sondern universell“[61]. Nicht nur in der Geschichte und Wirkungsgeschichte von Judentum und Christentum ist der Horizont apokalyptisch gerötet.[62]Apokalyptische Literatur findet sich in der persischen Religion, im Islam,[63]dem Hinduismus, Buddhismus[64]bis hin zu den Germanen.[65]Dennoch ist die Apokalyptik als solche heute in der christlichen Theologie, sowie im Religionsunterricht und erst recht in Gottesdienst oder Gemeindearbeit eher ein Randthema.[66]
Und trotzdem: Der Wunsch des Menschen, die Zukunft zu kennen, bleibt. Die Frage nach dem Weltende oder Weltuntergang beschäftigt die Menschheit so sehr, weil hierin die Existenz des Menschen und seine Zukunft angesprochen ist. Diese Ungewissheit der Zukunft, die immer wieder sichtbar wird, wenn große Naturkatastrophen über die Welt hereinbrechen - man denke nur an die Flutwelle im Pazifik im Dezember 2004 - kann große Ängste und Unsicherheit hervorrufen. Gerade in Zeiten von Umbrüchen, großen Veränderungen oder großer Bedrängnis haben die Menschen deswegen oft auf apokalyptische Literatur zurückgegriffen. So beispielsweise auch am Ende des 10. Jahrhunderts zum Übergang zum neuen Jahrtausend.[67]Dieses Kapitel soll einen kurzen Abriss über die Hintergründe, die Entstehung und den Umgang mit apokalyptischer Literatur geben. Damit soll zum einen Hintergrundswissen vermittelt werden und zum anderen soll damit deutlichgemacht werden, dass Xavier Naidoo mit seinen apokalyptischen Liedtexten in einer langen Tradition steht. Zunächst soll zum klaren Verständnis des Begriffes der Apokalyptik eine Begriffsklärung erfolgen.
[...]
[1]Lied 40, Zeilen 1-7
[2]Vgl. Kögler, Die Sehnsucht nach mehr, S.230
[3]Vgl. Fermor: Ekstasis, 1999 und Schwarze, In der Flut des goldnen Lichts
[4]Vgl. Schwarze: Die Religion der Rock- und Popmusik
[5]Bubmann: Von Mystik bis Ekstase, S.60
[6]Böhm/Buschmann: Populäre Musik im Religionsunterricht, 2001
[7]Buschmann, Religiöse und biblische Motive in säkularer Popmusik, S.349
[8]Treml, Spiritualität und Rockmusik, S.171
[9]Vgl. Schwarze, Die Religion der Rock- und Popmusik, S.115
[10]Kögler, Die Sehnsucht nach mehr, S.15
[11]Treml, Spiritualität und Rockmusik, S.172
[12]Schwarze, Die Religion der Rock- und Popmusik, S.117
[13]Schwarze, Die Religion der Rock- und Popmusik, S.116
[14]Kögler, Die Sehnsucht nach mehr, S.15
[15]Schwarze, Die Religion der Rock- und Popmusik, S.118
[16]Schwarze, Die Religion der Rock- und Popmusik, S.119
[17]Kögler, Die Sehnsucht nach mehr, S.26
[18]Vgl. Bubmann, Sound zwischen Himmel und Erde, S.11
[19]Kögler, Die Sehnsucht nach mehr, S.76
[20]Schwarze, Die Religion der Rock- und Popmusik, S.129
[21]Bubmann, Pop und Religion, S.33
[22]Vgl. Kögler, Die Sehnsucht nach mehr, S.187-189
[23]Kögler, Die Sehnsucht nach mehr, S.134
[24]Vgl. Treml, Spiritualität und Rockmusik, S.185
[25]Zu den verschiedenen Formen populärer christlicher Musik vgl. Bubmann, Sound
zwischen Himmel und Erde, 1990
[26]Kirchenmusik, Volksmusik, etc., die auch religiös-christliche Inhalte haben, werden nicht berücksichtigt, da sie nichts zum Thema beitragen.
[27]Quelle: www.wikipedia.de, Stichwort Sakro-Pop, am 11.7.2005.
[28]Bubmann, Von Mystik bis Ekstase, S.73
[29]Vgl. Bubmann, Von Gospelrock bis Sacropop
[30]Bei Bubmann, Von Mystik bis Ekstase, S.71ff
[31]Bubmann, Von Mystik bis Ekstase, 1997
[32]Dort besser bekannt als Contemporary Christian Music (CCM). Vgl. www.wikipedia.de, Stichwort Christliche Popmusik, am 11.7.2005. Hier findet sich auch eine umfangreiche Liste christlicher Popinterpreten. Weitere christliche Bands unter www.sound7.de.
[33]Siehe unter www.freakstock.de am 11.7.2005.
[34]Buschmann greift die Thesen Tischers auf in: Buschmann, Rock, Pop, and all that DJ- Culture, 1998, S.48
[35]Fuchs-Gamböck/Klotz, Xavier Naidoo, S.69
[36]Treml, Spiritualität und Popmusik, S.213
[37]Schwarze, Die Religion der Rock- und Popmusik, S.113
[38]Wirtz, zitiert nach: Treml, Spiritualität und Rockmusik, S.262, Fußnote 419 Vgl. Kögler, Die Sehnsucht nach mehr, S.238
[39]Vgl. Schütz, Auf der Suche nach dem eigenen inneren Geheimnis. S.16 In: Treml, Spiritualität und Rockmusik, S.262, Fußnote 411
[40]Vgl. Kögler, Die Sehnsucht nach mehr, S.61-62
[41]Eine genaue Analyse des Liedes findet sich bei Böhm/Buschmann, Ein Gleichnis in der Rockmusik, S.53
[42]Schwarze, „Everybody’s got a hungry heart…“, S.187
[43]Aus dem LiedAnna Stesia.
[44]Vgl. Tischer, Postmoderner Synkretismus im Bereich der Rock- und Popmusik, S.41-42
[45]Buschmann, Religiöse und biblische Motive in säkularer Popmusik, S.348
[46]Tischer, Postmoderner Synkretismus im Bereich der Rock- und Popmusik, S.44
[47]Kögler, Everybody’s looking for an answer, S.117
[48]Tischer, Postmoderner Synkretismus im Bereich der Rock- und Popmusik, S.34
[49]Buschmann, Religiöse und biblische Motive in säkularer Popmusik, S.349
[50]Bubmann, Credo – Religion in der populären Musikkultur, S.84
[51]Eine Liste von Liedern, die religiöse Symbolik benutzen bzw. vom Glauben an Gott reden, befindet sich im Anhang. Vgl. auch Tischer, Religiöse Zeitzeichen, 1989
[52]Kögler, Die Sehnsucht nach mehr, S.91
[53]Vgl. Schwarze, Die Religion der Rock- und Popmusik, S.122
[54]Vgl. Kögler, Die Sehnsucht nach mehr, S.92
[55]David Gray, Album: White Ladder, 2000
[56]Outkast, Album: Atliens, 1996
[57]Die Gruppe bestand bis 2002.
[58]Illuminate: Apokalypse, Album: Verfall, 2003
[59]Album: Apocalypse Dudes
[60]Bickelhaupt/Böhm/Buschmann, Wann kommt die Flut?, S.21
[61]Martin, Weltuntergang, S.15
[62]Martin, Weltuntergang, S.15
[63]Brockhaus, Art. Apokalyptik, S.611-612
[64]Vgl. Kippenberg, Art. Apokalyptik, S.191
[65]Lanczkowski: Art. Apokalyptik, 1978, S.190
[66]Ausnahmen stellen freie christliche Gemeinden dar, die das Thema öfter behandeln.
[67]Vgl. Thierfelder, Endzeiterwartungen um 1000 und wir, S.5-23
- Quote paper
- Michael Weber (Author), 2005, Die Interpretation der Johannesapokalypse in den Liedtexten Xavier Naidoos, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/49681
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