Das dienstliche Weisungsrecht ist durch Rechtsvorschriften, arbeitsvertragliche Vereinbarungen und die allgemeine Fürsorgepflicht der ArbeitgeberIn begrenzt. Rechtswidrige Anordnungen brauchen grundsätzlich nicht ausgeführt werden. Dabei besteht auch Kündigungsschutz. Schwieriger wird jedoch die Beurteilung von Fällen, in denen Weisungen zwar gesetzeskonform sind, aber nicht mit den moralischen Prinzipien bzw. mit dem Gewissen des Arbeitnehmers vereinbar sind. Dabei stellt sich die Frage, ob auch in diesen Fällen der Arbeitnehmer entgegen den Weisungen des Arbeitgebers handeln darf. Vorstellbar wären Fälle, in denen aus Gewissensgründen ein Arbeitnehmer eine Weisung ignoriert, wodurch dem Unternehmen ein großer finanzieller Schaden zugefügt wird. In diesem Fall stellt sich auch die Frage, inwiefern der Arbeitnehmer schadenersatzpflichtig werden könnte. Diese Fragestellung stellt den Ausgangspunkt der Arbeit dar.
Die besondere Relevanz dieser Fragestellung ergibt sich aus der Tatsache, dass in der Vergangenheit viele grausame Taten gerade aus dem Grund passiert sind, weil moralisch unhaltbaren – aber zu diesem Zeitpunkt rechtskonformen – Anweisungen Folge geleistet wurde. Die Arbeit zeigt auf, ob die österreichische Legislative aus arbeitsrechtlicher Sicht Anreize bietet, moralisch fragwürdigen Anweisungen nicht zu folgen.
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Ausgangssituation und Problemstellung
1.2 Zielsetzung und Fragestellungen
1.3 Methodische Vorgehensweise
1.4 Aufbau der Arbeit
2 Begriffsdefinitionen
2.1 Arbeitnehmer
2.2 Weisung
2.3 Gewissen und Recht
3 Weisungsrecht
3.1 Allgemeines
3.2 Grenzen des Weisungsrechts
4 Weisungen und Gewissenskonflikte
4.1 Gewissensfreiheit als Grundrecht
4.2 Gesetzliche Bestimmungen
4.3 Gerichtliche Beurteilung eines Gewissenskonflikts
4.3.1 Der Gewissenskonflikt wurde vorhergesehen bzw. war vorhersehbar
4.3.2 Der Konflikt wurde nicht vorhergesehen bzw. war nicht vorhersehbar
4.3.3 Gewissenswandel der ArbeitnehmerIn
5 Schadenersatzrecht
5.1 Schaden
5.2 Verursachung
5.3 Rechtswidrigkeit
5.4 Verschulden
5.5 Schadenbemessung
6 Dienstnehmerhaftpflichtgesetz
6.1 Anwendungsbereiche
6.2 Verschuldensausmaß
6.3 Mäßigungskriterien
7 Fazit
7.1 Zusammenfassung
7.2 Beantwortung der Forschungsfrage
7.3 Handlungsempfehlungen
7.3.1 Handlungsempfehlungen für ArbeitgeberInnen
7.3.2 Handlungsempfehlungen für ArbeitnehmerInnen
7.4 Persönliche Stellungnahme
Literatur- und Quellenverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Vorhersehbarkeit des Gewissenskonflikts
Abbildung 2: Mäßigungskriterien gemäß § 2 Abs 2 DHG 1965
1 Einleitung
1.1 Ausgangssituation und Problemstellung
Im Rahmen des Arbeitsvertragsrechts entsteht nach § 1151 ABGB 1811 dann ein Dienstvertrag, wenn sich jemand „auf eine gewisse Zeit zur Dienstleistung für einen anderen verpflichtet“. Dies charakterisiert sich beispielsweise durch die persönliche bzw. wirtschaftliche Abhängigkeit und die Weisungsgebundenheit der DienstnehmerIn (vgl. Drs 2015, S. 24 f.). Das dienstliche Weisungsrecht ist unter anderem durch Rechtsvorschriften, arbeitsvertragliche Vereinbarungen und die allgemeine Fürsorgepflicht der ArbeitgeberIn begrenzt (Drs 2015, S. 66). Rechtswidrige Anordnungen brauchen grundsätzlich nicht ausgeführt werden – beispielsweise wenn eine ArbeitgeberIn die ArbeitnehmerIn anweist, höher als die zulässige Höchstarbeitszeit zu arbeiten. Hierbei besteht auch Kündigungsschutz. (vgl. Drs 2015, S. 10) Schwieriger wird jedoch die Beurteilung von Fällen, in denen Weisungen zwar gesetzeskonform sind, aber nicht mit den moralischen Prinzipien bzw. mit dem Gewissen der ArbeitnehmerIn vereinbar sind. Dabei stellt sich die Frage, ob auch in diesen Fällen die ArbeitnehmerIn entgegen den Weisungen der ArbeitgeberIn handeln darf. Vorstellbar wären Fälle, in denen aus Gewissensgründen eine ArbeitnehmerIn eine Weisung ignoriert, wodurch dem Unternehmen ein großer finanzieller Schaden zugefügt wird, wie das folgende Szenario beispielhaft darstellen soll:
Eine österreichische ArbeitnehmerIn eines international agierenden österreichischen Industrieunternehmens vereitelt aus Gewissensgründen das Zustandekommen eines rechtlich einwandfreien Vertrags über die Errichtung einer neuen Industrieanlage in einem Entwicklungsland, welcher für das Unternehmen – auf Kosten einer nachhaltigen Umweltzerstörung und der Zwangsumsiedlung von zahlreichen Urvölkern – einen Millionen-Gewinn gebracht hätte.
In diesem Fall stellt sich auch die Frage, inwiefern die ArbeitnehmerIn für das Nichtzustandekommen des Vertrags schadenersatzpflichtig werden könnte. Diese Fragestellung stellt den Ausgangspunkt dieser Arbeit dar. Was diese Problemstellung so spannend und relevant macht, ist die Tatsache, dass viele historisch grausame Taten und Geschehnisse gerade aus dem Grund passiert sind, weil moralisch unhaltbaren – aber zu diesem Zeitpunkt rechtskonformen – Anweisungen Folge geleistet wurde. Diesbezüglich ist es sehr interessant zu erforschen, ob die österreichische Legislative aus arbeitsrechtlicher Sicht Anreize bietet, moralisch fragwürdigen Anweisungen nicht zu folgen.
1.2 Zielsetzung und Fragestellungen
Das Hauptziel der Arbeit bildet die Behandlung der Fragestellung, inwiefern eine ArbeitnehmerIn der ArbeitgeberIn schadenersatzpflichtig ist, wenn diese aus Gewissensgründen fahrlässig bzw. vorsätzlich das Zustandekommen eines Vertrags vereitelt, weswegen dem Unternehmen ein wesentlicher finanzieller Schaden entsteht. Aus den Forschungsergebnissen sollen generelle Handlungsempfehlungen sowohl für ArbeitgeberInnen als auch für ArbeitnehmerInnen abgeleitet werden.
Dieses Hauptziel erfordert die folgenden Teilziele: Anfangs ist eine überblicksmäßige genaue begriffliche Abgrenzung der für diese Arbeit relevanten Begriffe erforderlich. Dazu zählen die Begriffe Arbeitnehmer, Weisung sowie Gewissen und (positives) Recht. Um die für die Beantwortung der Forschungsfrage einschlägigen Gesetzestexte ganzheitlich verstehen zu können, ist es notwendig, zunächst eine überblicksmäßige Einführung in die jeweilige Rechtslandschaft – wie Weisungsrecht und Schadenersatzrecht – zu geben. Im Schlussteil sollen aus der Analyse der gesetzlichen Regelungen Handlungsempfehlungen sowohl für ArbeitnehmerInnen als auch ArbeitgeberInnen abgeleitet werden.
Aus diesen Haupt- und Teilzielen ergibt sich nun die folgende zentrale Forschungsfrage: Inwiefern ist die ArbeitnehmerIn der ArbeitgeberIn schadenersatzpflichtig, wenn diese aus Gewissensgründen eine rechtskonforme Weisung nicht ausführt, weswegen dem Unternehmen ein wesentlicher finanzieller Schaden entsteht?
1.3 Methodische Vorgehensweise
Die Forschungsfrage wird anhand einer literaturbasierten Forschungsarbeit beantwortet. Für die Begriffsdefinitionen wird zum Großteil auf klassische juristische Einführungsliteratur zu den Begriffen Arbeitnehmer, Weisung sowie Gewissen und Recht verwiesen als auch auf Literatur aus dem interdisziplinären (rechts-)philosophischen Bereich. Sowohl für die überblicksmäßige Einführung in die Rechtsgebiete als auch zur weitergehenden Recherche wurden insbesondere Einführungswerke aus den Themenbereiche Arbeitsrecht, Weisungsrecht und Schadenersatzrecht herangezogen. Generell wurde neben dem Bezug auf einschlägige Gesetzestexte und OGH-Entscheidungen auch auf Fachliteratur sowie Kommentare von Juristen verwiesen, um die Auslegung und Anwendung der jeweiligen Gesetze bestmöglich zu erläutern.
1.4 Aufbau der Arbeit
Die Forschungsarbeit ist so aufgebaut, dass durch die Zusammenstellung von allgemeinen und konkreten Bestimmungen individuelle Fälle geprüft werden können. Dies verwirklicht sich dadurch, dass sowohl im Zuge der gesamten Arbeit als auch in jedem einzelnen Kapitel der Leser schrittweise vom Allgemeinen (z. B. Grundrechte und Gesetze) zum Besonderen (z. B. Kommentare und OGH-Entscheidungen) geführt wird.
Die Arbeit beginnt mit einer genauen begrifflichen Abgrenzung der für diese Arbeit relevanten Begriffe (Kap. 2). Im Anschluss werden die allgemeinen Grundbestimmungen des Weisungsrechts dargestellt (Kap. 3). Als nächster Schritt wird bezugnehmend auf Weisungen im Zusammenhang mit Gewissenskonflikten ausführlich auf die einfließenden grundrechtlichen und gesetzlichen Bestimmungen sowie auf den gerichtlichen Entscheidungsprozess eingegangen (Kap. 4). Danach werden die Grundvoraussetzungen für den Anspruch auf Schadenersatz ausgeführt (Kap. 5) und durch die in Arbeitsverhältnissen relevanten Sonderbestimmungen des Dienstnehmerhaftpflichtgesetzes ergänzt (Kap. 6). Am Ende der Arbeit werden die Ergebnisse der Arbeit durch die Beantwortung der Forschungsfrage zusammengefasst, daraus Handlungsempfehlungen abgeleitet sowie eine eigene Stellungnahme samt eigenem Lösungsansatz abgegeben (Kap. 7).
2 Begriffsdefinitionen
2.1 Arbeitnehmer
Der ArbeitnehmerInnen-Begriff wird in den verschiedensten Gesetzen unterschiedlich festgelegt: Im Sozialversicherungsrecht gilt der DienstnehmerInnen-Begriff des § 4 Abs 2 ASVG 1955: „Dienstnehmer im Sinne dieses Bundesgesetzes ist, wer in einem Verhältnis persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit gegen Entgelt beschäftigt wird“. Im Betriebsverfassungsrecht werden nach § 36 ArbVG 1973 unter dem Begriff „Arbeitnehmer“ „alle im Rahmen eines Betriebes beschäftigten Personen“ definiert, welche „auf Grund eines privatrechtlichen Vertrags einem anderen für Dienstleistungen in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet sind“ (Mayr 2016, E1). Nicht als ArbeitnehmerInnen gelten beispielsweise die gesetzlichen Vertreter einer juristischen Person oder leitende Angestellte (vgl. Drs 2015, S. 24 f.).
2.2 Weisung
Weisungen sind „einseitige Anordnungen“ der ArbeitgeberIn und „dienen der Konkretisierung der Arbeitspflicht“. Die Weisungsgebundenheit der ArbeitnehmerIn ergibt sich unter anderem aus der mit dem Abschluss des Arbeitsvertrags entstandenen persönlichen Abhängigkeit. (Drs 2015, S. 66) Nach Tomandl ist eine Weisung eine „rechtsgeschäftliche Willenserklärung“, welche dazu dient, die im Arbeitsvertrag notwendigerweise generell vereinbarten Pflichten zu konkretisieren. Eine Weisung kann sich zudem sowohl an einzelne als auch an mehrere ArbeitnehmerInnen richten. (2016, S. 260)
2.3 Gewissen und Recht
Der Begriff „Gewissen“ kann im rechtswissenschaftlichen Sinne als „höchstpersönliche innere Stimme“ und „absolute Richtschnur menschlichen Handelns“ definiert werden. Das persönliche Gewissen ist vielen religiösen, ethischen, gefühlsmäßigen, weltanschaulichen oder politischen Einflüssen ausgesetzt. Zur Gewissensentscheidung tragen nicht bloße Meinungen oder Ansichten bei, sondern „die ganze Persönlichkeit in ihren Grundfesten ergreifende unabweisbare sittliche Gebote“. (Grassl-Palten 1994, S. 12-14)
In der Philosophie spielt das Gewissen vor allem im Zusammenhang mit der Willensfreiheit eine große Rolle: Die Willensfreiheit bezieht sich auf die „Selbstbestimmung des Gewissens durch ein allgemeines Gesetz“ und verwirklicht sich durch „die vernünftige Entscheidung, das zu tun, was wir tun sollen“. Beispielsweise lässt sich durch das selbst gegebene Gesetz „Man darf nicht betrügen!“ das eigene Wollen bestimmen. (Hölzl et al. 1998 S. 43 f.) Nach Kant ist es notwendig, dass diese selbstgegebenen, autonomen moralischen Gesetze „das formale Merkmal eines Gesetzes, nämlich die universelle Form“ erfüllen. Dieser „Gesetzescharakter“ drückt sich in der ersten Hauptformal des kategorischen Imperativs aus: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, da[ss] sie ein allgemeines Gesetz werde.“ Wenn die zu prüfende Verallgemeinerung denkunmöglich ist, dann stellt dies eine vollkommene Pflicht dar, diese Handlungsweise zu unterlassen. (Pauer-Studer 2006, S. 37-48) Das Gewissen hat hierbei nicht die Beurteilung der Handlungen zu übernehmen – denn dies ist die Aufgabe der Vernunft –, sondern zu prüfen, ob die beurteilten Handlungen auch wirklich übernommen bzw. umgesetzt wurden. Das Gewissen übernimmt somit die Rolle eines „inneren Gerichtshofs“ des Menschen – der Mensch in der Rolle als „eigener Zeuge“. (Eisler 1994, S. 203 f.)
In der Rechtswissenschaft charakterisiert sich das positive Recht dadurch, dass es „von Menschen“ – und nicht etwa von „göttlicher Anordnung“ – und „für Menschen“ – beispielsweise für die Marktteilnehmer und nicht etwa für „den Markt“ – nach bestimmten Erzeugungsregeln gesetzt bzw. „positiviert“ (lat. „ponere“ = setzen) wird und mit staatlicher Zwangsgewalt durchgesetzt werden kann. Rechtsnormen zielen unter anderem darauf ab, das Verhalten der Menschen bzw. der staatlichen Organe vorhersehbar zu machen sowie ein geordnetes, friedliches und gewaltfreies Zusammenleben zu ermöglichen. Zudem ermöglicht das Recht, „abstrakte Ordnungs- und Zuordnungsmodelle“ zu kreieren, wie beispielweise „Juristische Personen“ oder Aktiengesellschaften, welche nur aufgrund von Rechtsvorschriften existieren und Wirkungen erzeugen können. (Eberhard et al. 2013, S. 3 f.) Der Begriff des Rechts kann sowohl im subjektiven als auch objektiven Sinne verstanden werden, welche zusammen die gesamte Rechtsordnung eines Staates bilden: Das objektive Recht bezeichnet die „generell-abstrakten allgemeinverbindlichen Regeln des menschlichen Zusammenlebens“ – wie z. B. das ABGB. Das subjektive Recht leitet sich aus dem objektiven Recht ab und bezeichnet die „durchsetzbare Berechtigung“ privater Personen – wie z. B. Ansprüche der ArbeitnehmerIn aus einem Arbeitsvertrag. Die subjektiven Rechte treten beispielsweise als absolutes, relatives, dingliches oder Gestaltungs-Recht in Erscheinung. (Schwimann 2013, S. 7)
Die Rechtsphilosophie ist Teil der praktischen Philosophie und befasst sich mit der Frage, „wie der Geltungsanspruch des geltenden Rechts ethisch begründbar ist“. Der Rechtspositivismus geht davon aus, dass jede Norm unabhängig vom Inhalt Gesetz ist. (Hölzl et al. 1998, S. 49) Die Norm hat lediglich von einer höheren (Grund-)norm ableitbar bzw. nach den „rechtlich vorgesehenen Normerzeugungsregeln geschaffen worden“ zu sein (Eberhard et al. 2013, S. 5). Das positive Recht drückt sich in der gesamten Rechtsordnung als Zwangsordnung aus und verpflichtet die Staatsbürger unter Strafandrohung zum Gehorsam gegenüber den staatlich gesetzten Rechtsnormen – unabhängig von ethischen Prinzipien. Im Gegensatz dazu gehen im Rahmen der naturrechtlichen Begründung Vertreter eines „universalistischen Naturrechts“ davon aus, dass alle Menschen schon von Natur aus frei und gleich sind und nicht erst auf Grund eines Gesetzes. Schließlich könne es nach rechtspositivistischer Ansicht auch höchst ungerechte und moralisch unhaltbare Normen geben – z. B. Todesstrafe wegen des Tragens einer Brille –, denen nach naturrechtlicher Sicht „Geltung und Rechtscharkater abgesprochen werden muss“, auch wenn diese einwandfrei nach den rechtlichen Normerzeugungsregeln geschaffen worden sind. Das Natur- bzw. Vernunftrecht besteht demnach aus moralischen Normen, anhand derer gemessen wird, ob das positive Recht auch tatsächlich „richtiges Recht“ sein kann. Im naturrechtlichen Sinne ist blinder Gehorsam, der das eigene Gewissen ausblendet, unmoralisch. Deshalb sollte im Falle eines ungerechten Herrschers sogar zur „Pflicht zum Widerstand“ aufgerufen werden. (Hölzl et al. 1998, S. 49)
Der Zusammenhang zwischen den Begriffen „Gewissen“ und „Recht“ ergibt sich durch die folgenden Charakteristika: Wer „moralische Verpflichtungen und Werte nicht befolgt“, hat ein schlechtes Gewissen. Wer Gesetze und Normen nicht einhält, muss mit rechtlichen Konsequenzen rechnen, auch wenn er dabei kein schlechtes Gewissen empfindet. Nichtsdestotrotz ist es auch möglich, ein schlechtes Gewissen zu haben, obwohl alle Gesetze und Normen eingehalten worden sind. (Hölzl et al. 1998, S. 45)
3 Weisungsrecht
3.1 Allgemeines
Ein Dienstvertrag ist ein Dauerschuldverhältnis und charakterisiert sich durch die persönliche bzw. wirtschaftliche Abhängigkeit der ArbeitnehmerIn. Ein Dauerschuldverhältnis entsteht durch eine Beschäftigung auf bestimmte oder unbestimmte Zeit. Die persönliche und wirtschaftliche Abhängigkeit der ArbeitnehmerIn verwirklicht sich insbesondere durch die Einbindung in die betriebliche Organisation, Unterwerfung unter die betrieblichen Ordnungsvorschriften, persönliche Arbeitspflicht, disziplinäre Verantwortlichkeit, Kontrollunterworfenheit und Gebundenheit an Weisungen. (vgl. Drs 2015, S. 24 f.; Mayr 2016, E3; Tomandl 2011, S. 44 f.) Eine ungerechtfertigte Weigerung der ArbeitnehmerIn, einer Weisung Folge zu leisten stellt eine Vertragsverletzung dar, welche mitunter ein Entlassungsgrund sein kann (vgl. Tomandl 2011, S. 261 f.).
3.2 Grenzen des Weisungsrechts
Das Weisungsrecht ist durch Rechtsvorschriften, arbeitsvertragliche Vereinbarungen, Mitwirkungsrechte des Betriebsrats sowie durch die allgemeine Fürsorgepflicht der ArbeitgeberIn begrenzt. Darüber hinaus ist grundsätzlich nur das Verhalten während der Arbeitszeit regelbar. Weisungen, welche den Freizeitbereich der ArbeitnehmerIn betreffen, brauchen grundsätzlich nicht beachtet werden – mit Ausnahme von Freizeitbeschäftigungen, welche negative Auswirkungen auf die Arbeitsleistung der ArbeitnehmerIn erwarten lassen. (vgl. Drs 2015, S. 66) Die bedeutendsten Einschränkungen des Weisungsrechts ergeben sich durch den abgeschlossenen Arbeitsvertrag. Je konkreter die Pflichten bereits im Arbeitsvertrag vereinbart worden sind, desto enger ist das dienstliche Weisungsrecht der ArbeitgeberIn: Wenn beispielsweise im Arbeitsvertrag vereinbart worden ist, dass die ArbeitnehmerIn ausschließlich als AbteilungsleiterIn eingesetzt werden soll, kann diese durch Weisung nicht auf eine untergeordnete Position versetzt werden. (vgl. Tomandl 2011, S. 260 f.) Umgekehrt gilt: Je allgemeiner die Dienstpflichten im Arbeitsvertrag vereinbart worden sind, desto weiter reicht das Weisungsrecht der ArbeitgeberIn (vgl. Rebhahn/Kietaibl 2011, 13). Jedenfalls gilt eine Weisung, welche „den arbeitsvertraglich übernommenen Pflichtenkreis übersteigt“, als unwirksam (Tomandl 2011, S. 261).
Darüber hinaus darf die ArbeitgeberIn nicht sittenwidrig in die Persönlichkeitsrechte des Arbeitnehmers eingreifen (vgl. Tomandl 2011, S. 262). In einer OGH-Entscheidung vom 24. September 2015 wird diesbezüglich festgehalten, „dass der Eingriff des Arbeitgebers in die Persönlichkeitsrechte des Arbeitnehmers sehr gute Gründe braucht, um gerechtfertigt zu sein.“ Diese liegen in diesem zugrundeliegenden Fall nicht vor: Die Klägerin legte durch eine Dienstanweisung das Tragen einer neuen Dienstkleidung fest, welche ein einheitliches Erscheinungsbild der Arbeitnehmer zum Ziel hatte. Der Beklagte begann daraufhin im Dienst als Busfahrer ein rosafarbenes Haarband zu tragen und wurde mehrmals aufgefordert, das rosafarbene Haarband abzunehmen, da dadurch die Seriosität und Ernsthaftigkeit leiden könnte. Der Beklagte leistete dieser Weisung mit den Worten „Sicher net!“ keine Folge und wurde daraufhin vom Dienst umgehend suspendiert. Der Beklagte argumentierte, dass das Tragen des Haarbands nicht gegen betriebliche Interessen verstoße, sondern sogar der Verkehrssicherheit diene, da das Haarband verhindere, dass Haare ins Gesicht fallen könnten. Ein Trageverbot sei „unzumutbar, sittenwidrig und diskriminierend“. Die Interessensabwägung ergab, dass die betrieblichen Interessen – wie das einheitliche Erscheinungsbild sowie die Ernsthaftigkeit und Seriosität der ArbeitnehmerInnen – gegenüber den durch die Weisung beeinträchtigten Persönlichkeitsrechten nicht überwiegen. (OGH 2015, S. 2-13)
Auch bei der gerichtlichen Beurteilung von Gewissenskonflikten einer ArbeitnehmerIn aufgrund von Weisungen der ArbeitgeberIn ist grundsätzlich eine derartige Interessensabwägung im Einzelfall durchzuführen (vgl. Rebhahn/Kietaibl 2011, 21). Insbesondere bei arbeitsvertraglichen Vereinbarungen steht der Schutz der Gewissensfreiheit oftmals im Widerspruch zum Grundsatz der Vertragstreue (vgl. Grassl-Palten 1994, S. 10). Im folgenden Kapitel werden diesbezüglich zunächst die einfließenden grundrechtlichen und gesetzlichen Bestimmungen erläutert. Anschließend wird auf die Vorgangsweise bei der gerichtlichen Beurteilung von Gewissenskonflikten eingegangen.
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- Citation du texte
- Alexander Hölzl (Auteur), 2017, Grenzen des dienstlichen Weisungsrechts. Schadenersatzpflicht bei weisungswidrigen Handlungen aus Gewissensgründen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/496776
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