Die polnische Kirche war 1965 geprägt durch das Selbstbewußtsein einer Kirche, die auf eine lange und angesehene Tradition zurückblicken konnte und die überwältigende Mehrheit der Nation hinter sich hatte. Laut Statistischem Jahrbuch von 1966/67 bezeichneten sich 90 % der Bevölkerung Polens als praktizierende Katholiken.
Die Entwicklung der Beziehung zwischen Staat und Kirche in der Zeit zwischen 1945 bis 65, also während der ersten 20 Jahre der Volksrepublik Polen, läßt sich in vier Phasen zusammenfassen:
(1) die Anfangsjahre, die das kommunistische Regime zur Konsolidierung brauchte und in denen sich die Kirche relativ ungestört dem Wiederaufbau widmen konnte;
(2) die schlimmsten Jahre des Totalitarismus von etwa 1949 bis 56, der 1953 in der Internierung des Primas Wyszynski kulminierte;
(3) die kurze Phase des Einvernehmens zwischen Staat und Kirche bis 58, bedingt durch die Schwäche der Gomulka-Regierung;
(4) und die Phase bis 65, in der sich Gomulka allein schon aus innerparteilichen Gründen zu einem harten Kurs gegen die Kirche veranlaßt sah.
In der folgenden Arbeit wird zuerst auf die kirchlichen Initiativen eingegangen, die dem Briefwechsel der Bischöfe vorangegangen waren. Daraufhin werden die Umstände der Entstehung des polnischen Bischofsbriefs geschildert, sowie ein kurzer Überblick über die Inhalte der Briefe gegeben. Bei den Reaktionen auf den Briefwechsel wird besonderes Augenmerk auf die Reaktionen in Polen gelegt, da einerseits der erste Schritt von polnischer Seite kam; andererseits die Räsonanz in Polen ungemein stärker war als in Westdeutschland. Der Brief-wechsel der Kardinäle Wyszynski und Döpfner der Jahre 1970 und 1971 wird in diese Arbeit nicht einbezogen.
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
II. Der Briefwechsel im Jahre 1965
a) Erste Initiativen
b) Der polnische Bischofsbrief
c) Die deutsche Antwort
III. Reaktionen auf den Briefwechsel
a) Reaktion in Westdeutschland
b) Reaktion in Polen
c) Kraftprobe mit dem Staat
IV. Schlussthesen
V. Quellen- und Literaturverzeichnis
I. Einleitung
Die polnische Kirche war 1965 geprägt durch das Selbstbewußtsein einer Kirche, die auf eine lange und angesehene Tradition zurückblicken konnte und die überwältigende Mehrheit der Nation hinter sich hatte. Laut Statistischem Jahrbuch von 1966/67 bezeichneten sich 90 % der Bevölkerung Polens als praktizierende Katholiken.
Die Entwicklung der Beziehung zwischen Staat und Kirche in der Zeit zwischen 1945 bis 65, also während der ersten 20 Jahre der Volksrepublik Polen, läßt sich in vier Phasen zusammenfassen:
(1) die Anfangsjahre, die das kommunistische Regime zur Konsolidierung brauchte und in denen sich die Kirche relativ ungestört dem Wiederaufbau widmen konnte;
(2) die schlimmsten Jahre des Totalitarismus von etwa 1949 bis 56, der 1953 in der Internierung des Primas Wyszynski kulminierte;
(3) die kurze Phase des Einvernehmens zwischen Staat und Kirche bis 58, bedingt durch die Schwäche der Gomulka-Regierung;
(4) und die Phase bis 65, in der sich Gomulka allein schon aus innerparteilichen Gründen zu einem harten Kurs gegen die Kirche veranlaßt sah.
In der folgenden Arbeit wird zuerst auf die kirchlichen Initiativen eingegangen, die dem Briefwechsel der Bischöfe vorangegangen waren. Daraufhin werden die Umstände der Entstehung des polnischen Bischofsbriefs geschildert, sowie ein kurzer Überblick über die Inhalte der Briefe gegeben. Bei den Reaktionen auf den Briefwechsel wird besonderes Augenmerk auf die Reaktionen in Polen gelegt, da einerseits der erste Schritt von polnischer Seite kam; andererseits die Räsonanz in Polen ungemein stärker war als in Westdeutschland. Der Briefwechsel der Kardinäle Wyszynski und Döpfner der Jahre 1970 und 1971 wird in diese Arbeit nicht einbezogen.
II. Der Briefwechsel im Jahre 1965
Nach dem Krieg herrschte zwischen Polen und Deutschland nicht nur eine politische Beziehungslosigkeit vor; es fehlte auch völlig der Kontakt zwischen der deutschen und polnischen Kirche.
Der Revisionismus der Regierung Adenauer war der Grund für das gespannte Verhältnis zum polnischen Primas Kardinal Wyszynski. Dieser sollte noch am 31. August 1965 anläßlich zur 20-Jahr-Feier Polens in Breslau die polnische Geschichte der Ostgebiete beschwören und damit eindeutig Stellung für ein Verbleiben der Ostgebiete bei Polen nehmen.
1960 leistete der damalige Bischof von Berlin, Julius Döpfner, Ungeheuerliches, indem er aussprach, was viele nicht auszusprechen wagten. Er brachte auf den Punkt, daß den Polen durch die deutsche Besatzung großes Unrecht angetan wurde, spricht aber gleichzeitig davon, daß 1945 den Deutschen durch die Vertreibung Unrecht von der anderen Seite angetan wurde. Das deutsche Volk könne nur unter großen Opfern den Frieden erlangen. Für die Zukunft sei die Gemeinschaft der Völker und Staaten letztendlich wichtiger als Grenzfragen[1]. Mit diesen Äußerungen war Döpfner ungewollt in Gegensatz zum katholischen Bundeskanzler Konrad Adenauer geraten, der den frommen Ostpreußen eine Heimkehr in Aussicht gestellt hatte[2].
a) Erste Initiativen
Die erste bekannte Aktivität zu einer neuen, aktiven Ostpolitik auf Seiten der Bundesrepublik war am 6. November 1961 das sogenannte „Tübinger Memorandum“ von einer kleinen Gruppe evangelischer Wissenschaftler. Das Memorandum war ursprünglich als Gesprächsgrundlage mit Bundestagsabgeordneten aller Parteien gedacht, kam aber im Februar 1962 an die Öffentlichkeit. Es fordert nach Einschätzung Edith Hellers unmißverständlich die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze, um damit die Beziehungen zu Polen zu entlasten[3]. Das Echo in der westdeutschen Öffentlichkeit auf das Memorandum war überwiegend negativ. Die Evangelische Kirche Deutschlands (EKD) distanziert sich sogar von dem Schriftstück und erklärt, es sei die private Äußerung einiger evangelischer Christen.
Die Thesen des „Bielefelder Arbeitskreises christlicher Bruderschaften“ von 1963, die dem Frieden Vorrang vor dem Rechtsgedanken einräumten, standen den 1965 veröffentlichten „Lübecker Thesen“ der Vertriebenenvertreter beinahe diametral gegenüber, die sich gegen eine Anerkennung von Unrecht wandten. Ein Kompromiß wäre ihrer Meinung nach ein Verzicht auf die Grenzen von 1914 gewesen; man habe sich durchgerungen, sich mit dem Gebiet von 1937 zu begnügen.[4]
Die Denkschrift der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD) „Zur Lage der Vertriebenen und zum Verhältnis des deutschen Volkes zu seinen östlichen Nachbarn“ – auch „Ostdenkschrift“ genannt – vom 14. Oktober 1965 ging nicht so weit wie das Tübinger Memorandum, da sie keine direkten politischen Empfehlungen aussprach oder Forderungen erhob. In der Ostdenkschrift wird der Standpunkt vertreten, die Westgebiete hätten für die vertriebenen Deutschen längst aufgehört, eine Lebensfrage zu sein. Für die Polen aber würden die Westgebiete nie aufhören, eine Existenzfrage für neun Millionen Menschen zu sein. Die Denkschrift verstand sich nicht als autoritatives Wort der Kirche, sondern wollte aus der Öffentlichkeit verdrängte Sachverhalte darlegen und den Gemeinden zu bedenken geben[5]. Hinsichtlich der Wirkung der Ostdenkschrift in Polen wurde in der Diskussion innerhalb politischer und kirchlicher Gruppen und in der Presse in Westdeutschland immer wieder festgehalten, daß die Versöhnung mit einem kommunistischen Staat utopisch sei, der Haß und Angstgefühle gegenüber den Deutschen schüre. Zudem legalisiere man das Unrecht der Vertreibung, wenn man für die Lebensrechte der Polen in deren neuen Westgebieten eintrete. Mit der Denkschrift habe die EKD ihre Kompetenz überschritten, da sie als Kirche keine politischen Belange berühren dürfe[6]. Die Proteste in Westdeutschland waren sogar so heftig, daß zum Teil Morddrohungen ausgesprochen und Brandstiftungen verübt wurden. In Polen war die Räsonanz unterschiedlich: Einerseits gestand das offizielle polnische Parteiorgan Trybuna Ludu den Verfassern der Denkschrift zu, an den gesunden Menschenverstand appelliert zu haben[7]. Andererseits schrieb die Tageszeitung Slowo Powszechne, die evangelische Denkschrift würde die Rechtskraft des Potsdamer Abkommens negieren[8]. Das Ostberliner SED-Organ Neues Deutschland wiederum war in einem Artikel vom 10. November 1965 der Meinung, die Denkschrift nehme nicht klar und eindeutig gegen den Revanchismus Westdeutschlands Stellung. Insbesondere würde sie den sogenannten Rechtsstandpunkt der Bundesregierung unterstützen: ihr Anspruch auf die Grenzen von 1937. Die katholischen Zeitungen in Polen bedauern, daß nur die evangelische Kirche zu den Fragen des Ausgleichs mit Polen Stellung genommen habe. Die unerwartet breite Diskussion des evangelischen Friedensdokumentes, an der sich auch Marxisten beteiligten, hat nach Ansicht Scharffenorths den Boden für den Bischofsdialog vorbereitet[9].
b) Der polnische Bischofsbrief
War nun der polnische Brief vom 18. November 1965 als Reaktion auf die Ostdenkschrift der EKD zu interpretieren? Der katholische Publizist Otto Roegele sagt nein, da der Brief schon längst vor dem Erscheinen der Denkschrift beschlossen und im wesentlichen bereits ausgearbeitet gewesen sei. Er spricht davon, man hätte bereits monatelang an der Formulierung des Briefes gearbeitet[10]. Piotr Madajczyk spricht ebenfalls davon, der am 18. November übersandte Text müsse bereits eine korrigierte Version der Botschaft gewesen sein, weil das deutsche Episkopat schon am 16. Oktober bei dem bekannten Kirchenhistoriker Hubert Jedina eine Expertise über den Text der Botschaft bestellt habe[11]. Nach Edith Heller habe sich der Verfasser Boleslaw Kominek – Erzbischof in Breslau - zwar schon länger mit dem Gedanken getragen, einen Brief zu verfassen; realisiert habe er es aber innerhalb eines Monats. Vom Entwurf bis zur Unterschrift Wyszynskis wären maximal sieben Wochen vergangen[12]. Kominek selbst erwähnt in einem Brief vom 20. Januar 1966 an Präses Kurt Scharf, daß es zum deutsch-polnischen Briefwechsel auch ohne die evangelische Denkschrift gekommen wäre[13].
Kominek schreibt den Brief in einem italienischen Kloster in deutscher Sprache nieder – er sollte später auch nie eine polnische Übersetzung davon anfertigen; Walter Dirks, Herausgeber der Frankfurter Hefte, nahm lediglich eine sprachliche Korrektur vor. Dem 1903 geborenen Bergmannssohn Kominek war von Kindheit an das Verheerende der Nationalismen buchstäblich eingebleut worden – auf der preußisch-deutschen Schulbank, wenn er polnisch, im Elternhaus, wenn er deutsch sprach. Kominek verstand sich als Brückenbauer zwischen den beiden Ländern und nahm deshalb auch während des Konzils in Rom bereits Kontakte zu seinen westdeutschen Brüdern auf.[14]
Die Annäherung beider Kirchen gestaltete sich auch deshalb so schwierig, da für einen Teil der deutschen Kirchenhierarchie die polnische Schuld so überwältigend war, daß man wie selbstverständlich von der Pflicht Polens ausging, den ersten Schritt zur Versöhnung zu tun. Polen auf der anderen Seite wartete wiederum auf den ersten Schritt von Westdeutschland.
[...]
[1] Vgl. Heller, Macht Kirche Politik, S. 82.
[2] Vgl. Stehle, Polen – Deutschland – Rom, in: Herder-Korrespondenz 33 (1979) 1, S. 12.
[3] Vgl. Heller, Macht Kirche Politik, 1992, S. 83.
[4] Vgl. Odin, Denkschriften der EKD, 1966, S. 151.
[5] Vgl. Scharffenorth, Echo und Wirkung in Polen, 1968, S. 14.
[6] Ibid., S. 16.
[7] Ibid., S. 19.
[8] Vgl. Stehle, Allianz der Kalten Krieger, in: Die Zeit vom 17. Dezember 1965.
[9] Vgl. Scharffenorth, Echo und Wirkung in Polen, 1968, S. 40.
[10] Vgl. Roegele, Versöhnung oder Haß, 1966, S. 13.
[11] Vgl. Madajczyk, Annäherung durch Vergebung, in: VfZ 40 (1992), S. 229.
[12] Vgl. Heller, Macht Kirche Politik, 1992, S. 96.
[13] Vgl. Stehle, Polen – Deutschland – Rom, in: Herder-Korrespondenz 33 (1979) 1, S. 14.
[14] Vgl. Stehle, Versuchen wir zu vergessen, in: Die Zeit vom 9. November 1990.
- Arbeit zitieren
- Stefan Meingast (Autor:in), 2001, Der Briefwechsel der westdeutschen und polnischen Bischöfe 1965, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/49658
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