For many years now, MARIO BUNGE has adamantly been criticizing rational choice theory for various reasons. While HARTMUT ESSER, a strong advocate of the theory, stresses its applica-bility and usefulness in any form of social science as well as its basic simplicity, BUNGE and other opponents of “rational choice” consider it to be empty, inapplicable and even pseudoscientific, mainly because of its excessive generality. The objective of this paper is to take a closer look at both an enhanced and modern version of a rational choice model (i.e. ESSER’s) and BUNGE’s criticism of rational choice theory in general. This way, we will be able to judge where BUNGE’s reproaches do apply and where they don’t. It will be shown that BUNGE doesn’t take into account essential parts of the theory whereas in many points his criti-cism is indeed justifiable. This examination will concretize the viewpoint for a short conclud-ing look at whether and how rational choice theory can be useful for science.
Inhaltsverzeichnis
Abstract
Einleitung
1. Ein Modell rationalen Handelns mit Einschränkungen: Vorstellung des Esserschen Rational-Choice-Ansatzes
1.1. Nutzenmaximierung als Kern der Rational-Choice-Theorie
1.2. Einschränkungen des Handlungsspielraums: Restriktionen
1.3. „Bounded Rationality“, „Habits“ und „Frames“
1.4. Kurzfristige Orientierung und deren langfristige Folgen
1.5. Ein Beispiel
2. Bunges Kritik am Rational-Choice-Ansatz im Vergleich mit dem Esserschen Modell
2.1. Ontologischer und methodologischer Individualismus ohne Grenzen?
2.2. Die RC-Theorie: pseudowissenschaftlich?
2.2.1. Das Axiom der subjektiven Wahrscheinlichkeit
2.2.2. Unspezifizierte und unspezifizierbare Nutzenfunktion
2.2.3. Zusammenfassung und Konsequenzen: Das Dilemma der Allgemeingültigkeit
2.3. Der Mensch: Im Wesen ein Nutzenmaximierer?
2.4. Die Vergewaltigung des Rationalitätspostulats als Konsequenz der Immunisierung
3. Resümee und Abschlussbemerkungen: Sinn und Zweck der Rational-Choice-Theorie
Literaturverzeichnis
In dieser Arbeit verwendete Formatierungen:
„in Anführungszeichen normal“: uneigentliche Rede, („in Anführungszeichen“)
„in Anführungszeichen kursiv“: Zitat, entsprechend belegt (längere Zitate werden einge- rückt)
kursiv: artikulatorische Betonung
dick: Hervorhebung wichtiger Ausdrücke, Fachbegriffe
Kapitälchen: Namen von Autoren, Personen
Abstract:
For many years now, Mario Bunge has adamantly been criticizing ”Rational Choice Theory” for various reasons. While Hartmut Esser, a strong advocate of the theory, stresses its applicability and usefulness in any form of social science as well as its basic simplicity, Bunge and other opponents of “Rational Choice” consider it to be empty, inapplicable and even pseudoscientific, mainly because of its excessive generality.
The objective of this paper is to take a closer look at both an enhanced and modern version of a “Rational Choice” model (i.e. Esser’s) and Bunge’s criticism of “Rational Choice Theory” in general. This way, we will be able to judge where Bunge’s reproaches do apply and where they don’t. It will be shown that Bunge doesn’t take into account essential parts of the theory whereas in many points his criticism is indeed justifiable. This examination will concretize the viewpoint for a short concluding look at whether and how “Rational Choice Theory” can be useful for science.
Einleitung
Um die „Rational-Choice[1] -Theorie“ sind in den letzten Jahrzehnten immer wieder heftige Debatten entbrannt. Halten die Theorie auf der einen Seite ihre Befürworter euphorisch für einen der nützlichsten und mannigfaltigst verwendbaren Ansätze, so bläst ihr von der Gegenseite immer wieder ebenso harsche Kritik entgegen (s. hierzu Zimmerling 1993: 14f, 19-23). Äußerst heftig kritisiert seit längerem der 1919 in Argentinien geborene und seit 1966 in Kanada lehrende Mario Bunge den RC-Ansatz (vgl. Bunge 1996: 359ff; 1999: 87ff).
Seiner Kritik soll in dieser Arbeit mit dem Modell Hartmut Essers ein RC-Ansatz entgegengesetzt werden, der Allgemeingültigkeit beansprucht. Essers Theorie stellt dabei in ihrem Grundgerüst ein Derivat des Ansatzes von Siegwart Lindenberg dar (vgl. Lüdemann/Rothgang 1996: 282). Das Interessante hieran ist, dass weder Esser noch Lindenberg von Bunge in dessen Kritiken erwähnt werden, sie tauchen – genauso wenig wie andere RC-Theoretiker nach 1990 – auch nicht in dessen Literaturverzeichnissen auf. Nun soll dies kein Vorwurf sein, da Esser und Lindenberg in Übersee nicht zu den bekannteren RC-Verfechtern gehören. Doch gerade weil das Essersche Modell erstens auch anderen neueren RC-Ansätzen nicht unähnlich ist, zumindest hierzulande als hinlänglich bekannt gelten kann und auch sehr häufig herangezogen wird, liegt es nahe, zu untersuchen, ob Bunge bei seiner RC-Kritik aktuellere Ansätze in ihren Feinheiten überhaupt wirklich kennt.
Dabei soll versucht werden, klarzustellen, zu welcher Art von Erkenntnissen der RC-Ansatz überhaupt verhelfen kann, welchen Ansprüchen er also gerecht werden kann und will (vgl. Zimmerling 1994: 22), wie er empirisch angewandt werden kann. Weiterhin will diese Arbeit dazu beitragen, typische Missverständnisse im Zusammenhang mit dem RC-Ansatz auszuräumen.
Zunächst wird hierfür das RC-Modell Essers möglichst knapp mit allen seinen Grundbegriffen vorgestellt. Dem soll ein kurzes Beispiel folgen, in dem gezeigt wird, wie das Modell konkret zu verstehen und umzusetzen ist. Anschließend wird im zweiten Kapitel auf die wichtigsten Punkte von Bunges Kritik näher eingegangen. Das letzte Kapitel dient einer kurzen Zusammenfassung und einem abschließenden Kommentar darüber, ob und wie man die RC-Theorie sinnvoll in der Wissenschaft verwerten kann.
1. Ein Modell rationalen Handelns mit Einschränkungen –
Vorstellung des Esserschen Rational-Choice-Ansatzes
1.1. Nutzenmaximierung als Kern der Rational-Choice-Theorie
Es gibt vielerlei Arten, das Wort „Rationalität“ zu definieren[2]. Zum universalen Ausgangspunkt wird in der RC-Theorie eine bestimmte Form von Rationalität gemacht, in die – so wird postuliert – alle anderen Rationalitätskonzepte als bloße Varianten integriert werden können. Es handelt sich hierbei um die „praktische“ bzw. „instrumentalistische Rationalität“ (vgl. Bunge 1987: 6, ders. 1996: 360f), also das ökonomische Prinzip der Nutzenmaximierung. Da dieses auch dem Selektionsprozess der Evolution des Lebens zu Grunde läge und der Mensch trotz seiner Ablösung von der „biogenetischen Fixierung“ ja immer noch ein lebender Organismus sei (Esser 1993: 219), übernimmt es Esser als Kern der „Grundregel der Selektion“. „Selektion“ muss hierbei immer als eine Nutzenmaximierung versprechende Wahl aus verschiedenen bestehenden Handlungsalternativen verstanden werden (ders.: 222). Handeln dient also der „Nutzenproduktion“ (ders. 2000: 59).
Maximieren soll aber keineswegs bloß als egoistisches Ausbeuten verstanden werden: Auch Altruismus bzw. Investition in soziale Kooperation – hierzu zieht Esser die Erkenntnisse der schottischen Moralphilosophie des 19. Jahrhunderts heran – gehören zum Erfüllen der eigenen Interessen (ders. 1993: 223, 227, 242). Die jeweilige, Nutzenmaximierung versprechende Handlung erfolgt in diesem Rahmen als ein Ergebnis des Produkts zweier Konstanten: Der Erwartung und deren Eintrittswahrscheinlichkeit einerseits und der Bewertung dieser Erwartung andererseits (ders.: 223-225). Erwartungen können angeboren oder erlernt sein, man kann sie als subjektive Vorstellungen von erwarteten Konsequenzen einer Handlung („Kausalhypothesen“) verstehen. Hierzu gehört ebenfalls, zu kalkulieren, mit welchen wahrscheinlichen Kosten die Handlung und deren Folgeereignis verbunden sind (ders.: 224).
Jetzt gilt es noch, den erwarteten Konsequenzen bestimmte Bewertungen zuzuweisen, um dann aus den Handlungsalternativen diejenige auszuwählen, die dem Menschen einen maximalen Nutzen bringen kann. Bewertungen nennt Esser „ die Zuweisung von emotionalen Besetzungen auf bestimmte – vorgestellte oder erlebte und abgespeicherte – Folgen der Selektion von Alternativen “ (ders.: 225), also eben auf die Erwartungen. Nutzenmaximierend sind dann diejenigen Handlungsalternativen mit denjenigen Erwartungen, die für das Individuum subjektiv am zuträglichsten bzw. am nützlichsten bewertet werden (ders.: 225) oder die geringsten Kosten verursachen[3]. Die Höhe der Bewertungen wird durch Vorlieben, Werte, Bedürfnisse – kurz: Präferenzen [4] gesteuert und definiert (ders.: 225).
All dies lässt sich in folgende Formel packen (Wert-Erwartungstheorie[5] ):
SEU (A) = U ∙ p
Errechnet werden mit dieser Formel die sog. SEU-Werte (S ubjective E xpected U tility, also der subjektiv zu erwartende Nutzen einer Handlungsalternative (A) (Esser 1990: 235). Das Individuum vergleicht die Werte aller Handlungsalternativen und wählt dann diejenige mit dem höchsten SEU-Wert aus. p ist dabei das erwartete Folgeereignis der Handlung und dessen Eintrittswahrscheinlichkeit (p robability der Erwartung) und “U“ die Bewertung dieser Erwartung (U tility) (ders.: 226f).
1.2. Einschränkungen des Handlungsspielraums: Restriktionen
Nun reicht dieses Modell alleine allerdings nicht aus, um menschliches Handeln zu erklären, schließlich kann man nicht in jeder Situation all das tun und lassen, was einem nutzenmaximierend erscheint. Menschliches Handeln hängt in großem Maße von der Situation ab, in der sich der Akteur befindet: Schon von vornherein begrenzen also Restriktionen die Handlungsmöglichkeiten des Menschen.[6] Hierbei ist zu unterscheiden zwischen natürlichen und sozialen Restriktionen (Esser 1993: 219). Natürliche Restriktionen bezeichnen die stets objektiv vorhandene Ressourcenknappheit des Menschen (ders.: 220). Darunter versteht Esser im allgemeinen Kontext die beschränkte Verfügbarkeit von Energie, (Real-)Zeit, räumliche Begrenzungen, Grenzen der emotionalen Belastbarkeit, Fähigkeiten der Informationsverarbeitung und Einschränkungen insofern, dass zwei Handlungen nicht gleichzeitig ausgeführt werden können (ders.: 220). Soziale Restriktionen kann man kurz als gesellschaftliche Normen oder Konventionen bzw. „institutionelle Verfassungen“ verstehen, welche die jeweilige Ausgangssituation für das Handeln definieren (ders.: 220). Anhand ihrer Ausgestaltung definiert der Akteur den Sinn der Situation (s. hierzu „ Frames “ unter 1.3.):
„Verfassungen und die Definition der Situation konstituieren beide soziale Regeln, die für das effektive Handeln in einer Situation den „objektiv“ jeweils geltenden Inhalt des „Sinns“ des Handelns bestimmen“ (ders.: 221).
Soziale Restriktionen wirken innerhalb natürlicher Restriktionen, sie schränken also die natürlichen Restriktionen noch weiter ein, können letztere aber nicht außer Kraft setzen (ders.: 221). Restriktionen nehmen Einfluss auf die Präferenzordnung, die Handlungsalternativen und somit auf die Handlungsfreiheit des Akteurs.
1.3. “Bounded Rationality”, „Habits“ und „Frames“
Einen wichtigen Aspekt, ohne den die RC-Theorie nur missverstanden werden kann, bildet die sog. „bounded rationality“. Damit ist gemeint, dass der Mensch nicht immer alle „objektiv“ vorhandenen Handlungsalternativen in Betracht zieht, da er auch nie über alles vollständig informiert sein kann. Und dies vor allem, weil das Beschaffen vollständiger Informationen viel zu große Anstrengungen mit sich brächte. Mit „bounded rationality“ ist das bisweilen scheinbar sture und unflexible Festhalten an bestimmten halbwegs funktionierenden Daumenregeln oder eingeübten Routinen zu erklären, auch wenn viel lukrativere Alternativen in unmittelbarer Aussicht stehen (ders. 1993: 224f). „Bounded rationality“ stellt somit auch eine Form von Restriktionen dar, weil sie eben direkt von den begrenzten Fähigkeiten des Menschen herrührt; allerdings eine nützliche, denn der Mensch wäre unter Berücksichtigung aller Informationen überhaupt nicht mehr handlungsfähig. Dies ist fundamental für alle Betrachtungen von Handlungsweisen, denn sonst müsste man von immer komplett informierten Individuen ausgehen, die alle Handlungsalternativen in Perfektion durchspielen, um einen wirklich optimalen persönlichen Nutzen zu erlangen, was dem realitätsfremden Modell des „homo oeconomicus“ gleichkäme (ders.: 225, 236f). Somit ist der Mensch auch nicht tatsächlich „objektiv“ nutzenmaximierend, da er nicht in jeder Situation die wirklich optimalste Handlungsalternative sucht. Vielmehr begnügt er sich bei seiner Kosten-Nutzen-Kalkulation mit der erstbesten Handlungsoption, die ihn hinreichend befriedigt („satisficing“) (ders. 1990: 236). Trotzdem ist dies in gewisser Sicht doch „rational“ und nutzenmaximierend, oder besser gesagt: Kosten minimierend (ders.: 236), denn der Mensch wäre nicht überlebensfähig, wenn er auch in solchen Situationen perfekt über Handlungsalternativen informiert wäre, die vergleichsweise unbedeutend oder leicht zu bewältigen sind (ders. 1993: 224).[7]
[...]
[1] Im Folgenden wird „RC“ als Abkürzung verwendet.
[2] So nennt beispielsweise Bunge sieben (Bunge 1987: 5ff) bzw. „mindestens“ zwölf (ders.: 1996: 360) verschiedene Rationalitätskonzepte, auf die hier allerdings nicht weiter eingegangen werden soll.
[3] Dabei sind auch Opportunitätskosten zu berücksichtigen, also derjenige Nutzen, der vom Grenznutzen (maximaler Nutzen aller Alternativen zusammen) verloren geht, wenn man sich für eine Handlung entscheidet.
[4] Es wird meist angenommen, dass es zumindest einige grundlegende Präferenzen gibt, die bei allen Akteuren vorhanden und auch relativ stabil sind (vgl. Zimmerling 1994: 16).
[5] Das Original (Expected Utility Theory) stammt von John von Neumann und Oskar Morgenstern, deren Buch „The Theory of Games and Economic Behavior“ (1944) als Geburt der Spiel- bzw. RC-Theorie gilt.
[6] Aus diesen drei Grundannahmen (Erwartungen, Bewertungen und Restriktionen) und dem Konzept der Findigkeit des Menschen – da dieser auch lernfähig und innovativ sei – entsteht bei Lindenberg (und mit ihm auch bei Esser) ein Modell des Menschen: das RREEMM-Modell, das den Menschen als einen „ Resourceful, Restricted, Evaluating, Expecting, Maximizing Man“ charakterisiert (Esser 1993: 237-9). Bei anderen Autoren ist dieses auch bekannt als RREE E MM-Modell, wobei das zusätzliche E für „Enabling“ steht; hiermit wird u.a. die Möglichkeit des Menschen betont, mit seinem Handeln selbst am Entstehen sozialer Milieus aktiv und bewusst teilzuhaben (Kunz 1997: 19f).
[7] Esser versucht mit „Frames“ und „Habits“ in erster Linie, den Methodendualismus zwischen „erklärenden“ und „interpretativen“ Ansätzen (hier nimmt er insbesondere Bezug auf das „interpretative Paradigma“ nach Alfred Schütz) in den Sozialwissenschaften zu überwinden (vgl. Srubar 1992: 157).
- Citation du texte
- Dipl. Kult. Lukas Oldenburg (Auteur), 2002, Bunge vs. Esser - Eine Analyse von Kritik an der Rational-Choice-Theorie, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/49598
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