„Wahlen ändern nichts, sonst wären sie verboten“. Dieser Satz lässt sich noch immer auf vielen Häuserwänden lesen. Er spricht ein Thema an, dass regelmäßig nach Wahlen mit geringer Beteiligung in den Medien unter dem Schlagwort „Politikverdrossenheit“ die Runde macht. Wenn im Zuge einer solchen Berichterstattung den Motiven der Nichtwähler auf den Grund gegangen wird, werden diese häufig mit der Aussage zitiert, dass Wahlen ja ohnehin nichts ändern würden. So waren etwa im Oktober des Jahres 2000, 59% der Wahlberechtigten in der Bundesrepublik der Auffassung, dass eine CDU/CSU-Regierung „ihre Sache genauso machen würde“ wie die rot-grüne Bundesregierung (Forschungsgruppe Wahlen 2000, S.2). Mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten war also der Meinung dass zwischen einer CDU-geführten und einer SPD-geführten Regierung kein wirklicher Unterschied bestünde. Es stellt sich nun die Frage, ob diese These der Austauschbarkeit großer, sogenannter „Volksparteien“ auch aus politikwissenschaftlicher Sicht haltbar ist. Unterscheiden sich die Parteien in parlamentarischen Demokratien bezüglich ihrer Programmatik und ihrer Regierungspraxis überhaupt noch nennenswert? Hat der Wähler Grund zur Annahme, dass es egal sei wen er wählt?
Diesen Fragen soll hier nun nachgegangen werden. Zu diesem Zweck wird zunächst ein bekannter Erklärungsansatz des Einflusses von Parteien auf die Staatstätigkeit sowie ihrer gegenseitigen Unterscheidbarkeit erörtert: die sogenannte Parteiendifferenzthese. Nach einer kurzen Beschreibung der Annahmen der These wird der Forschungsstand näher beleuchtet. Gemäß der Fragestellung wird dabei zunächst geprüft, welche Forschungsergebnisse für eine Differenz der Parteiprogramme sprechen und welche nicht, um danach auf die Frage nach der Unterscheidbarkeit der Regierungspraxis unterschiedlicher Parteien einzugehen. Die Einschränkungen und Bedingungen, die sich nicht zuletzt aus dem Forschungsstand und den Befunden der Parteiendifferenzthese ergeben, werden im Anschluss präsentiert. Nach dieser ausführlichen Darlegung der Argumente und Befunde die für eine Differenz der Parteien sprechen, wird auf jene Standpunkte eingegangen mit denen der Behauptung der programmatischen Unterscheidbarkeit der Parteien widersprochen werden könnte. Hierbei wird die These vom Verfall der Parteiideologien eine zentrale Rolle spielen.
Inhalt
1. Fragestellung und Vorgehensweise
2. Parteiendifferenz – worin Parteien sich unterscheiden
2.1 Die Parteiendifferenzthese
2.2 Die Programme der Parteien - der aktuelle Forschungsstand
2.3 Die Regierungspraxis der Parteien
2.4 Bedingungen und Einschränkungen der Parteiendifferenzthese
3. Parteienkonvergenz – worin sich die Parteien gleichen
3.1 Mangelnde Steuerbarkeit von Gesellschaften
3.2 Der Verfall der Parteiideologien
3.3 Der Kampf um die Mitte
4. Wettbewerbsparteien und Programmparteien
5. Fazit
6. Literatur
1. Fragestellung und Vorgehensweise
„Wahlen ändern nichts, sonst wären sie verboten“. Dieser Satz lässt sich noch immer auf vielen Häuserwänden lesen. Er spricht ein Thema an, dass regelmäßig nach Wahlen mit geringer Beteiligung in den Medien unter dem Schlagwort „Politikverdrossenheit“ die Runde macht. Wenn im Zuge einer solchen Berichterstattung den Motiven der Nichtwähler auf den Grund gegangen wird, werden diese häufig mit der Aussage zitiert, dass Wahlen ja ohnehin nichts ändern würden. So waren etwa im Oktober des Jahres 2000, 59% der Wahlberechtigten in der Bundesrepublik der Auffassung, dass eine CDU/CSU-Regierung „ihre Sache genauso machen würde“ wie die rot-grüne Bundesregierung (Forschungsgruppe Wahlen 2000, S.2). Mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten war also der Meinung dass zwischen einer CDU-geführten und einer SPD-geführten Regierung kein wirklicher Unterschied bestünde.
Es stellt sich nun die Frage, ob diese These der Austauschbarkeit großer, sogenannter „Volksparteien“ auch aus politikwissenschaftlicher Sicht haltbar ist. Unterscheiden sich die Parteien in parlamentarischen Demokratien bezüglich ihrer Programmatik und ihrer Regierungspraxis überhaupt noch nennenswert? Hat der Wähler Grund zur Annahme, dass es egal sei wen er wählt?
Diesen Fragen soll hier nun nachgegangen werden. Zu diesem Zweck wird zunächst ein bekannter Erklärungsansatz des Einflusses von Parteien auf die Staatstätigkeit sowie ihrer gegenseitigen Unterscheidbarkeit erörtert: die sogenannte Parteiendifferenzthese. Nach einer kurzen Beschreibung der Annahmen der These wird der Forschungsstand näher beleuchtet. Gemäß der Fragestellung wird dabei zunächst geprüft, welche Forschungsergebnisse für eine Differenz der Parteiprogramme sprechen und welche nicht, um danach auf die Frage nach der Unterscheidbarkeit der Regierungspraxis unterschiedlicher Parteien einzugehen. Die Einschränkungen und Bedingungen, die sich nicht zuletzt aus dem Forschungsstand und den Befunden der Parteiendifferenzthese ergeben, werden im Anschluss präsentiert.
Nach dieser ausführlichen Darlegung der Argumente und Befunde die für eine Differenz der Parteien sprechen, wird auf jene Standpunkte eingegangen mit denen der Behauptung der programmatischen Unterscheidbarkeit der Parteien widersprochen werden könnte. Hierbei wird die These vom Verfall der Parteiideologien eine zentrale Rolle spielen.
Zu guter Letzt soll der Versuch unternommen werden, die beiden widerstreitenden Positionen Parteiendifferenz und Parteienkonvergenz zumindest ein Stück weit in Einklang zu bringen, sozusagen eine Synthese zu bilden.
Hierfür wird eine zusätzliche These herangezogen, die sich ebenfalls mit der Frage der Unterscheidbarkeit von Parteien beschäftigt und die Parteiendifferenzthese inhaltlich ergänzen könnte: die Unterscheidung zwischen zwei Typen von Parteien - der Wettbewerbs- und der Programmpartei.
In einem abschließenden Fazit werden schließlich die wichtigsten Punkte noch einmal kurz wiederholt und persönliche Schlussfolgerungen gezogen.
2. Parteiendifferenz – worin Parteien sich unterscheiden
2.1 Die Parteiendifferenzthese
Wenn es um die Frage geht ob und wie Parteien sich voneinander unterscheiden und welchen Einfluss sie auf die Staatstätigkeit haben, wird ein Ansatz häufig genannt: die sogenannte „parties-do-matter“-These oder auch Parteiendifferenzthese. (Schmidt 2000, S.379)
Der Grundgedanke dieser These ist zunächst einmal die Annahme, dass Parteien unterschiedliche Wählermilieus ansprechen und demzufolge unterschiedliche Programme haben, je nachdem wie sich die potentielle Wählerschaft einer Partei politisch positioniert. Aus dieser programmatischen Differenz folgt, dass Parteien sich auch in ihrer Regierungspraxis unterscheiden, da sie ihre Politik gemäß den Ansprüchen ihrer Wähler zu gestalten haben um deren Stimmen nicht zu verlieren. Darüber hinaus geht die Parteiendifferenzthese davon aus, dass sich Parteien der unterschiedlichen Lager auch in der Sozialstruktur ihrer Mitglieder unterscheiden. So haben Parteien, die eine starke Umverteilungspolitik befürworten, häufig einen großen Anteil an Mitgliedern aus sozial schwächeren Schichten. (Schmidt 2000, S. 379, Schmidt 2002, S.533)
2.2 Die Programme der Parteien - der aktuelle Forschungsstand
Betrachtet man den aktuellen Forschungsstand, so spricht insgesamt mehr für die Parteiendifferenzthese als gegen sie. Folgende Tabelle gibt einen Überblick über die einschlägigen Studien bezüglich der programmatischen Polarisierung von Parteien.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Schmidt 2002. S.535
Wie die Tabelle zeigt, lässt einzig die Studie von J.C. Thomas den Schluss zu, dass Parteien in modernen parlamentarischen Demokratien inhaltlich austauschbar seien.
Alle anderen Studien betonen die deutliche Differenz der verschiedenen Parteien. Huber und Inglehart haben neben den klassischen Unterschieden zwischen Links- und Rechtsparteien auch zunehmende Differenzen zwischen materialistischen und postmaterialistischen Orientierungen unterschiedlicher Parteien ausgemacht. Nach Laver und Hunt wiederum sind vor allem Klasse, Religion und der Gegensatz von Ökologie versus (Wirtschafts-) Wachstum die drei Hauptkonfliktlinien zwischen den Parteien. Zudem kann davon ausgegangen werden, dass zu den „alten“ Konflikten insbesondere in der Sozial- und Wirtschaftspolitik in der die Parteien weitestgehend ähnliche Positionen vertreten, neue Unterscheidungen hinzugekommen sind, wie etwa die Spaltung in materialistische (z.b. konservative, christdemokratische Parteien) und postmaterialistische Parteien (z.b. grüne Parteien). (Schmidt 2002, S.536)
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass mit Ausnahme der Studien von Thomas, alle Untersuchungen zu dem Ergebnis kommen, dass sich die untersuchten Parteien zwar inhaltlich nahe stehen, aber dennoch genug programmatische Unterschiede bestehen um von unterschiedlichen Profilen sprechen zu können.
Neben den international vergleichenden Studien gibt es jedoch auch Untersuchungen die sich speziell mit einem einzelnen Parteiensystem, etwa dem der Bundesrepublik beschäftigt haben. So etwa die Studie von Hans-Dieter Klingemann und Andrea Volkens (2002) zur Struktur und Entwicklung von Wahlprogrammen. Ihr Ergebnis deckt sich weitgehend mit den bereits angeführten Studien.
Auch in der BRD stehen sich vor allem die großen Parteien inhaltlich nahe, weisen jedoch auch jeweils typische Profilmerkmale auf. So stimmen SPD, CDU und FDP vor allem in der Wirtschafts- und Sozialpolitik überein, unterscheiden sich jedoch in der Gewichtung der unterschiedlichen Themen und Positionen. GRÜNE und PDS besitzen im Vergleich dazu ein etwas eigenständigeres Profil. Bei den GRÜNEN steht die Umweltpolitik an erster Stelle, währen sich die PDS insbesondere in der Sozialpolitik abgrenzt. Auch lässt sich die Trennung von materialistischen und postmaterialistischen Wertvorstellung beobachten, etwa an den großen Unterschieden zwischen der CDU, mit überwiegend materialistischen Inhalten, und den GRÜNEN die vor allem postmaterialistischen Wertvorstellungen vertreten. (Klingemann / Volkens 2002)
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- Arbeit zitieren
- Jan Peter (Autor:in), 2005, Würden Wahlen etwas ändern, wären Sie verboten ? Über die Unterschiede in Programm und Regierungspraxis der Parteien in parlamentarischen Demokratien, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/49434
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