Diese Arbeit schafft eine theoretische Grundlage elementarer Begriffe der Stressforschung und Stressentstehung aus arbeitspsychologischer Sicht. Dazu wird das transaktionale Stressmodell nach Lazarus und dessen arbeitspsychologische Erweiterung nach Bamberg herangezogen. Daraufhin wird ein Überblick des aktuellen Forschungsstandes in Bezug auf die zentrale Fragestellung gegeben. Im Methodikteil wird die Vorgehensweise der Durchführung und Auswertung der qualitativen Interviews nach der Qualitativen Inhaltsanalyse von Mayring dargestellt. Anschließend werden die aus der Erhebung gewonnenen Ergebnisse detailliert dargestellt, interpretiert, diskutiert und ein Fazit in Bezug auf die zentrale Fragestellung gezogen.
Digitalisierung, Globalisierung, demografischer Wandel, Wertewandel und Flexibilisierung der Arbeit – Megatrends, die den Wandel der Arbeitswelt und Gesellschaft seit bereits mehr als 20 Jahren bestimmen. Die Folgen der Trends zählen zu den größten Herausforderungen einer modernen Gesellschaft unserer Zeit. Besonders die voranschreitende Flexibilisierung der Arbeit, die auf die Auflösung starrer Arbeitsstrukturen zurückzuführen ist, stellt sowohl Unternehmen als auch Arbeitnehmer vor neue Herausforderungen und birgt Chancen und Risiken für beide Parteien.
Mit flexiblen Formen der Arbeit, die weder in Bezug auf Arbeitszeit noch auf Arbeitsort festgelegt sein müssen und große Handlungs- und Entscheidungsspielräume für Arbeitnehmer bieten, wird auf die neuen Anforderungen des Arbeitsmarktes reagiert. Die raum-zeitliche Flexibilisierung von Arbeit ist dabei aber vor allem durch den großen technologischen Fortschritt der Digitalisierung und die fortschreitende Globalisierung stark gewachsen.
Inhalt
Abstract
Einleitung
1 Theorie und aktueller Forschungsstand
1.1 Wandel der Arbeitswelt
1.2 Arbeitspsychologische Besonderheiten flexibilisierter Arbeit
1.3 Definition von Stress, Stressoren und Ressourcen
1.4 Transaktionales Stressmodell nach Lazarus
1.5 Arbeitspsychologische Erweiterung des transaktionalen Stressmodells nach Bamberg
1.7 Fragestellung
2 Methodik
2.1 Untersuchungsdesign / Erhebungsmethode
2.2 Stichprobe
2.3 Untersuchungsdurchführung
2.4 Datenanalyse und Datenauswertung
3 Ergebnisse
3.1 Anforderungen
3.2 Stressoren
3.3 Ressourcen
4 Diskussion
4.1 Interpretation der Ergebnisse
4.2 Kritische Würdigung
4.3 Fazit
Abstract
Die gegenwärtige Entwicklung des Arbeitsmarktes hin zu Flexibilisierung von Arbeitsformen in Hinblick auf Arbeitszeit und Arbeitsort stellt eine Herausforderung für verschiedene Bereiche der Gesellschaft dar.
Das Vorgehen der vorliegenden Arbeit hat das Ziel, spezifische Stressoren und Ressourcen raum-zeitlicher Flexibilisierung aus Sicht der Beschäftigten zu identifizieren. Um der zentralen Fragestellung nach Stressoren und Ressourcen dieser Arbeitsformen nachzugehen, wurden zunächst arbeitspsychologische Grundlagen der Stressforschung geschaffen. Die anschließende qualitative Erhebung wurde in Form von problemzentrierten Interviews mit Beschäftigten, die ihre Tätigkeit in raum-zeitlicher Flexibilisierung ausüben, durchgeführt.
Es konnten aussagekräftige Ergebnisse im Hinblick auf die oben genannte Fragestellung generiert werden, die in Verbindung mit den Erkenntnissen des theoretischen Hintergrunds im letzten Teil der vorliegenden Arbeit analysiert, interpretiert und diskutiert werden.
Einleitung
Digitalisierung, Globalisierung, demografischer Wandel, Wertewandel und Flexibilisierung der Arbeit – Megatrends, die den Wandel der Arbeitswelt und Gesellschaft seit bereits mehr als 20 Jahren bestimmen. Die Folgen der Trends zählen zu den größten Herausforderungen einer modernen Gesellschaft unserer Zeit (Jeschke, 2012). Besonders die voranschreitende Flexibilisierung der Arbeit, die auf die Auflösung starrer Arbeitsstrukturen zurückzuführen ist, stellt sowohl Unternehmen als auch Arbeitnehmer vor neue Herausforderungen und birgt Chancen und Risiken für beide Parteien (Badura, Ducki, Schröder, Klose & Meyer, 2012). Mit flexiblen Formen der Arbeit, die weder in Bezug auf Arbeitszeit noch auf Arbeitsort festgelegt sein müssen und große Handlungs-und Entscheidungsspielräume für Arbeitnehmer bieten, wird auf die neuen Anforderungen des Arbeitsmarktes reagiert. Die raum-zeitliche Flexibilisierung von Arbeit ist dabei aber vor allem durch den großen technologischen Fortschritt der Digitalisierung und die fortschreitende Globalisierung stark gewachsen (Hofmann, 2012). Da auch die Anzahl von Beschäftigten in diesen Arbeitsformen stetig wächst, gilt es die veränderten Arbeitsbedingungen und Gestaltungsmöglichkeiten raum-zeitlicher Flexibilisierung näher zu betrachten und spezifische Stressoren und Ressourcen zu identifizieren und in die Stressforschung zu integrieren (Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung e.V., 2016).
Zunächst sollen theoretische Grundlage mit Hilfe von Darstellung der Merkmale des Arbeitswandels und Definitionen grundlegender Begriffe der Stressforschung und Stressentstehung aus arbeitspsychologischer Sicht geschaffen werden. Dazu wird das transaktionale Stressmodell nach Lazarus und dessen arbeitspsychologische Erweiterung nach Bamberg herangezogen. Daraufhin wird ein Überblick des aktuellen Forschungsstandes in Bezug auf die zentrale Fragestellung gegeben. Im Methodikteil wird die Vorgehensweise der Durchführung und Auswertung der qualitativen Interviews nach der Qualitativen Inhaltsanalyse von Mayring dargestellt. Anschließend werden die aus der Erhebung gewonnenen Ergebnisse detailliert dargestellt, interpretiert, diskutiert und ein Fazit in Bezug auf die zentrale Fragestellung gezogen.
1 Theorie und aktueller Forschungsstand
1.1 Wandel der Arbeitswelt
In den letzten 50 Jahren ist ein starker Wandel der Arbeitswelt zu beobachten. Während 1950 noch der Großteil der Beschäftigten im Industriesektor tätig war, ist es heute der Dienstleistungssektor, der den größten Beschäftigungsbereich bildet (Kabas, 2007).
Die Entwicklung der Verteilung der Erwerbstätigen auf die drei Wirtschaftssektoren in Deutschland ist in den Aufzeichnungen des statistischen Bundesamtes seit 1950 deutlich zu erkennen: Im Jahr 1950 waren von insgesamt 19,57 Millionen Beschäftigten noch 24,6 Prozent in dem primären Sektor (Land-und Forstwirtschaft, Fischerei) sowie 42,9 Prozent in dem sekundären Sektor (produzierendes Gewerbe) und nur 32,5 Prozent in dem tertiären Sektor (Dienstleistungen) tätig. Auffallend anders sieht die Verteilung im Jahr 2015 aus: von insgesamt 43,032 Millionen Beschäftigten waren nur noch 1,5 Prozent der Beschäftigten im primären Sektor sowie 24,4 Prozent im sekundären Sektor und 74,1 Prozent im tertiären Sektor angestellt (Statistisches Bundesamt, 2016). Vergleicht man unter Berücksichtigung des Beschäftigungszuwachses die Daten des statistischen Bundesamtes, ist eine enorme Umverteilung innerhalb der Sektoren zu erkennen. Dieser Entwicklung liegt der Einfluss bestimmter Trends zugrunde und diese sind dafür verantwortlich, dass der Dienstleistungssektor immer weiter wachsen und in auch Zukunft weiterhin den größten Beschäftigungsbereich darstellen wird (Kabas, 2007). Dabei bringt der Wandel zur Dienstleistungsgesellschaft am deutschen Arbeitsmarkt vor allem den Übergang von körperlicher Arbeit zur psychischen Arbeit mit sich und beinhaltet neue Herausforderungen sowohl für Arbeitnehmer als auch für Unternehmen (Kabas, 2007). Diese Entwicklung wird zudem durch wachsende Flexibilisierung von Arbeitsformen begleitet, die insbesondere Arbeitsgestaltung, Arbeitszeiten und Arbeitsorte betrifft (Badura, Ducki, Schröder, Klose & Meyer, 2012).
Der technische Fortschritt und die damit einhergehende wachsende Digitalisierung, die Globalisierung, der demographische Wandel und institutionelle Veränderungen bilden nach dem Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit (IZA) die bedeutenden Trends der Arbeitswelt im 21. Jahrhundert (Eickhorst & Buhlmann, 2015). Das IZA benennt die Trends als die „vier zentralen Triebkräfte“ für die Entwicklung und Zukunft der Arbeitsmärkte und der Arbeitswelt (Eickhorst & Buhlmann, 2015, S.2). Rosenstiel (2007) ergänzt zudem den Wertewandel als wesentlichen Veränderungstreiber und die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung e.V. (DGUV) stellt insbesondere die Bedeutung von zunehmender Flexibilisierung der Arbeit sowie Veränderungen der Arbeitsanforderungen als Trends, die die Arbeitswelt bestimmen, heraus (DGUV, 2016). Die Bewältigung aller aus den Trends resultierenden, starken Veränderungsprozesse zählt nach Jeschke zu den größten Herausforderungen fortgeschrittener Industriegesellschaften unserer Zeit (Jeschke, 2012).
Im Folgenden sollen die Megatrends des Wandels der Arbeitswelt, die sich in dem Großteil der Literatur wiederfinden, kurz erläutert werden. Megatrends beschreiben langfristige und übergreifende Transformationsprozesse, die mit hoher Wahrscheinlichkeit über einen Zeitraum von 15 Jahren vorhergesagt werden können (Müller-Gerndt & Traut, 2012). Die Flexibilisierung wird detailliert behandelt.
Digitalisierung
Die Digitalisierung bringt neue Technologien und technische Entwicklungen mit sich und wird durch den technischen Fortschritt immer weiter voran getrieben. Dabei ist der größte Treiber für Veränderungen in der Informationstechnologie zu sehen (Hirsch-Kreinsen, Ittermann & Niehaus, 2015). Informations-und Kommunikationstechniken ermöglichen miteinander verbundene, zeitlich unbeschränkte Prozesse in Produktion und Dienstleistung und nehmen somit Einfluss auf die Arbeitsgestaltung sowie auf die Entwicklung der Arbeitsformen (Hirsch-Kreinsen et al., 2015).
Globalisierung
Die Digitalisierung und ihre weltweiten Informations-und Kommunikationstechniken beschleunigen die Globalisierung enorm. Die mit der Globalisierung einhergehende internationale Verflechtung von Dienstleistungs-, Güter-sowie Finanzmärkten, die Verlagerung von Produktion und die zunehmende Mobilität von Arbeitskräften führen zu grundlegenden strukturellen Veränderungen der Arbeitswelt und ihrer Prozesse (Mayer et al., 2011). Die Globalisierung bietet Arbeitnehmern Möglichkeiten, in globalen Teams zu arbeiten, von einem internationalen Wissensaustausch zu profitieren und kulturell vielfältig arbeiten zu können. Mit den Effekten der Globalisierung verlieren herkömmliche Betriebsstrukturen zunehmend an Bedeutung (Müller-Gerndt & Traut, 2012).
Demografischer Wandel
Langjährige Untersuchungen belegen, dass die Bevölkerungszahl in Europa und den USA in Zukunft stark sinken und zeitgleich die durchschnittliche Lebenserwartung und Lebensarbeitszeit stark ansteigen wird. Gegenüber dieser Entwicklung stehen die Schwellenländer mit steigender Bevölkerungsrate und niedrigem Durchschnittsalter. Diese demografischen Entwicklungen haben laut dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) drastische Folgen für Arbeitsmärkte, die sich immer stärker international orientieren, da es in Zeiten der Globalisierung für Unternehmen immer schwieriger werden wird, Arbeitskräfte zu halten (BMBF, 2000). Zusätzlich verändert die demografische Entwicklung Größe und Zusammensetzung des Erwerbspersonenpotenzials (Fuchs, Söhnlein & Weber, 2004). Da speziell in Deutschland die Erwerbsbevölkerung schrumpft, erfordert die daraus resultierende Arbeitskräfteknappheit eine Ausweitung der Alterserwerbsarbeit und die Anforderungen der Arbeitswelt müssen in Zukunft von weniger und zugleich älteren Erwerbstätigen erfüllt werden (Holz & Da Cruz, 2007).
Wertewandel
Der Wertewandel in der Arbeitswelt geht mit einer veränderten Einstellung der Arbeitnehmer zur Arbeit einher. Die Haltung gegenüber Arbeit und Beruf wurde im Laufe des Wertewandels besonders nachhaltig erfasst (Oppolzer, 1994). Der Wunsch nach Selbstverwirklichung, Anerkennung und neue Aufgaben werden die Arbeitseinstellung der nachfolgenden Mitarbeitergenerationen bestimmen (Personalmagazin.de, 2013). Den Wertewandel der heute 35-Jährigen charakterisiert besonders die große Bedeutung von Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben, der Wunsch nach Selbstverwirklichung, Anerkennung und neuen Aufgaben (Wirtschaftswoche.de, 2013). Diese Faktoren werden die Arbeitseinstellung der nachfolgenden Mitarbeitergenerationen bestimmen. Nach einer Studie der Robert Bosch Stiftung (2013, S. 10) mit Blick auf die Arbeitswelt im Jahre 2030, lassen sich jüngere Menschen „immer weniger von kollektiven Mustern oder entsprechenden Organisationsformen ansprechen, die eine dauerhafte Bindung voraussetzen.“ Neue Anforderungen an Beruf und Arbeit lassen sich jedoch in allen Generationen wiederfinden. Diese sind laut Zukunftsforschern wie Horx oder Zellmann und Statistiken des Bundesministeriums für Arbeit zusammengefasst vor allem Individualität (hinsichtlich Arbeitsverträgen, Arbeitszeit, Verschmelzung von Privat-und Berufsleben), Flexibilität (flexible Arbeitsplätze, Entgrenzung der Arbeitszeiten, Arbeitsgestaltung) sowie Mobilität (durch globale Vernetzung) (Kurzmann, 2015). Die European Value Survey Studie (2009, zitiert nach Kurzmann 2015) zum Wertewandel von Arbeitnehmern bestätigt, dass die Erwerbstätigen heute vor allem höhere Ansprüche an das Arbeitsumfeld und die Arbeitgeber haben. Diese Ergebnisse werden auch von der Studie der European Foundation for the Improvement of Living and Working Conditions (EWCS) bestätigt und erweitert. Zusammenfassend besagen die Ergebnisse, dass im Rahmen des Wertwandels die Anzahl der atypischen Beschäftigungsformen wachsen werden, der Anteil der Teilzeitarbeit an der Gesamtbeschäftigungszahl steigt sowie dass die Flexibilisierung der Arbeitszeiten in Bezug auf Lage und Dauer weiter zunehmen wird (Kurzmann, 2015).
Flexibilisierung der Arbeit
Die Flexibilisierung der Arbeit beschreibt die veränderte Organisation von Arbeit in Bezug auf das Beschäftigungsverhältnis, Beschäftigungsgestaltung und die Beschäftigungszeit (Becke, 2012). Als alternativer Begriff zu Flexibilisierung wird auch „Entgrenzung“ der Arbeit verwendet. Entgrenzung lässt sich als Auflösung traditioneller räumlicher, zeitlicher oder organisatorischer Grenzen von Arbeit sowie die Aufweichung und Verschiebung der Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben verstehen (Gottschall & Voß, 2005). Die Flexibilisierung von Erwerbsformen hat einen starken Einfluss auf die Entwicklung des Arbeitsmarktes. Normalbeschäftigungen, die als „abhängige vollzeitige und dauerhafte Beschäftigung mit geregelten Normalarbeitszeiten, sowie kontinuierlichem Entgelt und Bestandsgarantien“ (Talós, 1999, S.74, zitiert nach Becke, 2012) charakterisiert werden, weichen neuen, atypischen Beschäftigungen. Dabei erstreckt sich das Feld atypischer Erwerbsformen von zeitlicher Befristung von Arbeitsverträgen über geringfügige Beschäftigung, Zeit-/Leiharbeit, Telearbeit und starker Entgrenzung von Arbeitszeit und Arbeitsort bis hin zu Alleinselbstständigkeit (Becke, 2012). Verantwortlich für die fortschreitende Auflösung der starren Arbeitsstrukturen sind gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklungen, die laut der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) auf die Globalisierung, die demografische Entwicklung und den Wertewandel zurückzuführen sind und die auch in Zukunft die Flexibilisierung vorantreiben werden (BAuA, 2013).
Die raum-zeitliche Flexibilisierung von Arbeit ist dabei aber vor allem durch den großen technologischen Fortschritt der Digitalisierung und die fortschreitende Globalisierung stark gewachsen (Hofmann, 2012). Diese Entwicklung bringt zum einen eine zeitliche Entgrenzung durch Flexibilisierung von Arbeits-und Beschäftigungsverhältnissen, wie Gleitzeit, ständige Erreichbarkeit, überlange Arbeitszeiten, geringe Erholungsphasen, Verwischung von Grenzen zwischen privater Lebensführung und Arbeit und zum anderen die räumliche Entgrenzung durch Telearbeit, mobiles Arbeiten, wechselnde Arbeitsorte und Pendeln mit sich (Gotschall & Voß, 2005). Formen der räumlichen Flexibilisierung können beispielsweise Tele(heim)arbeit, Remote Working oder virtuelle Teamarbeit sein, bei der die Teammitglieder standortübergreifend gemeinsam an einem Projekt arbeiten (DGUV, 2016). Denn der Arbeitsort muss durch die Anwendung moderner Informations-und Kommunikationstechnologien nicht mehr auf einen Ort, wie das Büro, festgelegt sein. Kommunikationsqualität sowie Kooperationsintensität sind nicht mehr durch räumliche Distanz gefährdet, sondern können gleichwertig durch neue Technologien gewährleistet werden (Hofmann, 2012). Zudem wird von einer fachlichen Entgrenzung gesprochen, die durch kontinuierliche Weiterqualifizierungen, hohe Lern-und Anpassungsbereitschaft der Arbeitnehmer, individuelle Karrierebiografien und steigende Komplexität der Anforderungen geprägt ist (Gotschall & Voß, 2005). Die Flexibilisierung in Form von Deregulierung von Beschäftigungsformen bringt für Arbeitnehmer neue Anforderungen und Eigenverantwortlichkeiten mit sich, um sich den genannten Entgrenzungsmechanismen anzupassen (Gotschall & Voß, 2005). Dabei entstehen neue Freiheitsgrade als Chancen einer individuellen Lebensgestaltung, aber auch neue Herausforderungen, Belastungen und gesundheitliche oder soziale Gefahren. Unter anderem können verringerter Kündigungsschutz und soziale sowie materielle Unsicherheit über die Zukunft und mögliche gesundheitliche Schädigung durch fehlende Regenerationszeiten Risiken in der Flexibilisierung von Erwerbsformen darstellen (Sauer, 2012). Auf der Seite der Unternehmen hat sich durch den Abbau rechtlicher Vorgaben die Nutzung bestimmter Formen flexibler Beschäftigung in den letzten Jahren erleichtert. Den Unternehmen wurde dadurch die Möglichkeit eröffnet, mehr Arbeitsplätze in Form flexibler atypischer Arbeitsverhältnisse zu organisieren und sich so an die aktuellen Trends der Arbeitswelt anzupassen (Eichhorst & Buhlmann, 2015).Flexible Arbeitsformen sind Voraussetzung für die Wettbewerbsfähigkeit international agierender Unternehmen und ein Mittel, um qualifizierte Beschäftige in Deutschland zu halten (Böhne & Breutmann, 2012).
1.2 Arbeitspsychologische Besonderheiten flexibilisierter Arbeit
Die arbeitspsychologischen Besonderheiten von flexibilisierter Arbeit variieren zwischen auftretenden Arbeitsformen. Zudem unterscheiden sich atypische Arbeitsformen stark nach Berufen und Wirtschaftszweigen sowie Qualifikationsgrad der Tätigkeiten (Eickhorst, Tobsch & Wehner, 2016).
Diese Arbeit wird sich auf flexible Arbeitsformen und ihre räumliche und zeitliche Entgrenzung im hochqualifizierten Bereich fokussieren. Daher werden atypische Arbeitsformen organisatorischer Flexibilisierung (z.B. Leih-und Zeitarbeit, geringfügige Beschäftigung), die insbesondere im geringqualifizierten Bereich verbreitet sind und aufgrund ihrer sozialen und gesundheitlichen Risiken oftmals als „prekäre Arbeitsverhältnisse“ (Ulich, 2011, S.542) bezeichnet werden, nicht dargestellt.
Im Folgenden soll eine Auswahl relevanter flexibler Arbeitsformen im hochqualifizierten Bereich dargestellt und Unterschiede, Gemeinsamkeiten sowie ihre Besonderheiten herausgestellt werden. Dabei steht die Perspektive der Erwerbstätigen im Vordergrund.
Arbeitszeitmodelle
Arbeitszeitmodelle bieten den höchsten Grad an zeitlicher Flexibilisierung für dem Arbeitnehmer und können von Arbeitszeitkonten über Gleitzeit mit Zeiterfassung und Arbeitsplänen, zwischen denen zu wählen ist, bis hin zu Vertrauensarbeit reichen. All diese Modelle der Arbeitszeitgestaltung haben gemeinsam, dass Arbeitsleistung individuell an das Arbeitsaufkommen angepasst werden kann (DGUV, 2016).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Verbreitung flexibler Arbeitszeitmodelle und Telearbeit. (Unternehmensmonitor Familienfreundlichkeit, 2013)
Abbildung 1 zeigt die Verbreitung flexibler Arbeitszeitmodelle und Telearbeit in Unternehmen und deren Entwicklung seit 2003. Zu erkennen ist ein deutlicher Zuwachs von individuellen Arbeitszeitmodellen, Vertrauensarbeit und Telearbeit.
Untersuchungen zeigen, dass diese Arbeitsformen Vorteile für Arbeitnehmer sowie Arbeitgeber bieten (Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände, 2013). Eine Befragung von 16.000 Führungskräften ergab, dass 59 Prozent der deutschen Unternehmen eine höhere Produktivität durch flexible Arbeitszeitmodelle erkennen und 43 Prozent der Beschäftigten sich inspirierter und motivierter durch flexible Arbeitsmodelle fühlen (Regus, 2012, zitiert nach Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände, 2013). Dieser motivierende Effekt ist vor allem darauf zurück zu führen, dass Arbeitnehmer durch eigene Einteilung ihren Zeitinteressen gerecht werden können (Böhne & Breutmann, 2009). Es können individuelle Ansprüche und soziale Erfordernisse, wie beispielsweise die Betreuung der Kinder, besser in den Arbeitstag integriert werden und Arbeitnehmer können durch Unabhängigkeit von fremdbestimmten Arbeitszeiten und Zwängen neuen Handlungsspielraum und Autonomie erfahren (Sauer, 2012). Fast allen flexiblen Arbeitszeitmodellen liegt ein Arbeitskonto, das sowohl für die Beschäftigten als auch für die Unternehmen flexibel und individuell gestaltet werden werden kann, zugrunde (BAuA, 2013). Jeder Beschäftigte hat ein Konto, auf dem Abweichungen von der vereinbarten Arbeitszeit festgehalten werden. Daraus können sich Zeitguthaben sowie Zeitschulden ergeben, die im Idealfall in einem festgelegten Zeitraum ausgeglichen werden (Janßen & Nachreiner, 2004, zitiert nach BAuA, 2013).
Die meist verbreitete Form ist die Gleitzeit mit einem Gleitzeitkonto, die aus Kernarbeitszeiten mit Anwesenheitspflicht und Zeitspannen, in denen Beginn und Ende der Arbeit vom Arbeitnehmer selbst bestimmt werden können (BAuA, 2013). Aus arbeitspsychologischer Sicht sind Gleitzeitkonten für Arbeitnehmer unproblematisch, wobei kritische Arbeitszeiten wie beispielsweise Nachtarbeit oder Arbeit am Wochenende bei der Arbeitsgestaltung ausgelassen werden sollten. Allerdings sollte der Spielraum der Gleitzeiten möglichst groß sein, damit der Arbeitnehmer eine große Autonomie verspürt (Pröll & Gude, 2003).
Bei der Vertrauensarbeit entfällt die Anwesenheitskontrolle durch Zeiterfassung. Im Vordergrund hingegen steht das Erreichen von Arbeitsergebnissen in vorher festgelegten Zeiträumen (z.B. nach Absprache mit Vorgesetzten) (Wingen, Hohmann, Bensch & Plum, 2004). Besonders ist, dass diese Arbeitsform eine hohen Grad von Selbstorganisation voraussetzt und somit hohe Anforderungen an die Arbeitnehmer stellt, die dementsprechend qualifiziert sein müssen (Wingen et al., 2004). Deutschlandweit haben große Unternehmen wie Siemens und IBM diese Arbeitsform bereits erfolgreich eingeführt und eine Studie bei Siemens zeigt, dass die Beschäftigten durch das entgegengebrachte Vertrauen eine stärkere Verantwortung verspüren und motivierter sowie leistungsbereiter auf Arbeitsaufgaben reagieren (BAuA, 2013). Damit sich diese Arbeitsform aber auch positiv auf Wohlbefinden und Leistung der Arbeitnehmer auswirken kann, müssen durch eine genaue Personalplanung, Förderung von Selbstmanagement und Einführungen von Regelungen innerhalb von Teams, Gefahren wie Überlastung, Mehrarbeit und Fehlbelastungen vermieden werden (BAuA, 2013). Insbesondere bei Vertrauensarbeit kann dies eine Herausforderung für Arbeitnehmer sein, denn es kann eine Herausforderung sein, den Einsatz der eigenen Arbeitszeit zu kontrollieren und im Hinblick das Arbeitsergebnis real einzuschätzen (DGUV, 2016).
Teilzeit
Teilzeitarbeit zählt ebenfalls zu den Arbeitszeitmodellen und ist mit mehr als einem Viertel aller abhängig Beschäftigten die häufigste Form von flexibilisierter Arbeitszeit (Keller & Seifert, 2011). Die stetige Zunahme ist unter anderem auf die zunehmende Erwerbstätigkeit von Frauen (mehr als 80 Prozent aller Teilzeitbeschäftigten sind weiblich), fehlende Betreuungseinrichtungen für Kinder und das Wachstum des Dienstleistungssektors zurückzuführen (Keller & Seifert, 2011). Als Teilzeitarbeit gilt jedes Arbeitsverhältnis, dessen Arbeitszeit geringer als die vereinbarte Regelarbeitszeit im Unternehmen ist (Janßen & Nachreiner, 2004). Der Begriff Teilzeit bildet einen Oberbegriff für verschiedene Arbeitszeitmodelle wie z.B. Job Sharing (zwei oder mehr Arbeitnehmer teilen Arbeitsplatz und Arbeitszeit), flexible Jahres-oder Lebensarbeitszeit oder Altersteilzeit. Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden bewerten Teilzeitarbeit durchaus positiv und sehen Vorteile für Unternehmen und Arbeitnehmer (BAuA, 2013).
Telearbeit
Wie in Kapitel 1.1 beschrieben, existiert neben der zeitlichen auch die räumliche Flexibilisierung des Arbeitsortes. In der Arbeitsform Telearbeit arbeiten Arbeitnehmer ortsunabhängig von Arbeitgeber und Unternehmen und verfügen über große Zeitsouveränität und Autonomie (Ulich, 2011). Die Arbeitsgestaltung kann dabei unter Beachtung der Arbeitsaufgaben, Ziele sowie Termine und des vertraglich vereinbarten Arbeitszeitvolumens ohne räumliche oder zeitliche Vorgaben ausgerichtet werden (Oertel, Scheermesser, Schulz, Thio & Jonuschat, 2002). Es wird zwischen zwei Formen der Telearbeit unterschieden: der Teleheimarbeit, auch häufig als Heimarbeit oder Home Office bezeichnet, und der alternierenden Telearbeit. Unter Teleheimarbeit versteht man eine Arbeitsform, bei der alle Aufgaben und dafür benötigten Unterlagen vom Arbeitgeber digital zu Verfügung gestellt werden und der Arbeitnehmer von einem frei gewählten, z.B. heimischen Arbeitsplatz, aus arbeitet (BAuA, 2013). Die Kommunikation mit dem Arbeitgeber und ggf. dem Arbeitsteam findet ausschließlich über digitale Kommunikationskanäle statt, daher ist ein einwandfreier Zugriff auf das Internet, Server und Daten bestimmend für den Erfolg dieser Arbeit. Ein fest eingerichteter Arbeitsplatz in Räumlichkeiten des Unternehmens besteht dabei nicht (DGUV, 2016). Bei der alternierenden Telearbeit hingegen findet nur ein Teil der Arbeit außerhalb des Unternehmens und ein anderer Teil an einem zur Verfügung gestellten Arbeitsplatz statt, der z.B. Team-Meetings oder ähnlichen Zwecken dienen kann. Des weiteren kann Telearbeit auch in kollektiver Form, mehrere unabhängig voneinander arbeitende Telearbeitnehmer teilen sich ein Büro, auftreten (Ulich, 2011). Telearbeit stellt verschiedene Anforderungen an Arbeitnehmer sowie an Unternehmen. Aspekte wie Arbeitsschutz, Arbeitssicherheit und versicherungstechnische Probleme, die sich aus verschiedenen Vorgaben und Gesetzen ergeben, müssen unbedingt berücksichtigt werden. (BAuA, 2013). Büssing, Drodofsky und Hegendörfer (2003) haben aus arbeitspsychologischer Sicht sowohl für Arbeitnehmer als auch für Unternehmen Vorteile und Nachteile von Telearbeit definiert. Zu den Vorteilen für Arbeitnehmer zählen sie die Einsparung von Zeit und Stressminderung durch verringerten Berufsverkehr, erhöhte Eigenverantwortlichkeit und Selbstorganisation der Arbeit, Arbeiten ohne Störung oder Ablenkung durch Kollegen oder Kunden, bessere Vereinbarkeit von Berufs-und Privatleben sowie Erhöhung der Arbeits-und Freizeitzufriedenheit. Dem gegenüber stellen sie als negative Aspekte die Gefahr von sozialer Isolation sowie Verlust sozialer und berufsbezogener Kompetenzen, mögliche Störungen durch die Familie bei Heimarbeit und die damit einhergehende fehlende Trennung von Arbeit und Familie sowie Verlust von organisationaler Bindung dar.
Aus Sicht der Unternehmen hat Telearbeit den großen Vorteil von Kostenreduktion, z.B. durch Einsparung von Büroräumen, und der qualitativen und quantitativen Verbesserung der Arbeitsergebnisse durch die bereits zuvor erwähnte erhöhte Produktivität der Arbeitnehmer (Büssing et al., 2003).
Eine weitere Form von räumlicher Flexibilisierung bietet das so genannte Remote Working. Es betrifft eine besonders mobile Form von Telearbeit, bei der die Arbeitenden einen Großteil ihrer Arbeitsleistung von unterwegs oder bei Kunden vor Ort ausüben, z.B. im Außendienst. Dabei sind sie stark von externen Faktoren, wie der Zuverlässigkeit der Verkehrsmittel, abhängig (DGUV, 2016). Diese berufsbedingte Mobilität bringt einen hohen Planungs-und Koordinationsaufwand mit sich und kann vom Arbeitnehmer als möglicher stressauslösender Faktor empfunden werden (Ulich, 2011).
(Solo-) Selbstständigkeit
Auch wenn selbstständige Arbeit formal nicht zu atypischen Arbeitsformen zählt, kann sie ebenfalls von starker zeitlicher und räumlicher Flexibilisierung geprägt sein und wird aufgrund ihrer arbeitspsychologischen Besonderheiten als flexible Arbeitsform eingestuft (Keller & Seifert, 2011). Der hohe Anstieg der Anzahl von Selbstständigen in den letzten Jahrzehnten ist insbesondere auf die Entwicklung der Soloselbstständigen zurückzuführen (Keller & Seifert, 2011). Laut einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) ist die Anzahl von 2000 bis 2011 um etwa 40 Prozent auf 2,6 Millionen gestiegen. Zudem zeigt die Studie, dass Soloselbstständige im Durchschnitt zwar besser qualifiziert als die Gesamtheit der Beschäftigten sind, allerdings nicht unbedingt besser verdienen (DIW, 2013). Allgemein werden als Soloselbstständigen Erwerbstätige ohne eigene Angestellte, die ihre Dienstleistungen unterschiedlichen Unternehmen zur Verfügung stellen und in Form von Aufträgen arbeiten, charakterisiert (DGUV, 2016). Diese Form von Arbeit kann vor allem Risiken wie instabiles, geringes Einkommen, z.B. durch Abhängigkeit von der Auftragslage, soziale Isolation, fehlende Zukunftsvorsorge und unsichere Perspektiven beinhalten (Keller & Seifert, 2011). Zudem kommen Zeitdruck und erhöhte Arbeitsbelastung hinzu, die mit erhöhtem Stressempfinden und Gesundheitsbeschwerden einhergehen können (Ertel, 2001).
Diskussion
Nach detaillierter Auseinandersetzung mit den Arbeitsformen flexibler Arbeit lassen sich trotz individueller Besonderheiten einige Gemeinsamkeiten feststellen. Jede Form von räumlich und zeitlich flexibler Arbeit bietet den Erwerbstätigen große Handlungsspielräume, Kontrolle, Zeitsouveränität sowie eine gewisse Ortsunabhängigkeit. In Hinblick auf Arbeitsaufgaben und Arbeitsorganisation kann eine neue Form von Autonomie entwickelt werden, die positive Effekte auf Arbeitsleistung und Wohlbefinden der Arbeitnehmer haben kann. Zudem kann durch die flexible Arbeitsweise die Vereinbarkeit von Berufs-und Privatleben erleichtert werden. Auf der anderen Seite entstehen neue Anforderungen wie Selbstorganisation, Planung und Koordination der Arbeit und potenzielle Konflikte zwischen verschiedenen Lebensbereichen. Die dazu notwendigen Kompetenzen sind nicht bei allen Erwerbstätigen gleich stark ausgeprägt und müssen daher konkret unterstützt und gefördert werden (DGUV, 2016). Zunehmende soziale Isolation und Unsicherheit bezüglich Einkommen und Zukunft lassen sich bei allen Arbeitsformen finden. Zudem können Flexibilität und Zeitsouveränität neben allen Vorteilen bei hohem Arbeitsaufkommen zu einer Selbstgefährdung, z.B. durch Vernachlässigung von Erholungszeiten, führen. Mögliche Folgen können Arbeitsunfälle, starkes Stressempfinden durch Zeitdruck und psychische Fehlbelastungen sein (DGUV, 2016).
1.3 Definition von Stress, Stressoren und Ressourcen
Zunächst soll durch die Definition der Begriffe Stress, Stressoren und Ressourcen eine begriffliche Abgrenzung und ein theoretisches Verständnis geschaffen werden. Um die Bedeutung und das Zusammenspiel von Stressoren und Ressourcen bei der Stressentstehung zu verdeutlichen, wird zunächst der Begriff Stress näher definiert.
Stress
Der Begriff „Stress“ ist aufgrund seiner Aktualität in Alltags-und Fachsprache sehr weit verbreitet. Stress am Arbeitsplatz stellt eine der größten Herausforderungen für den modernen Arbeits-und Gesundheitsschutz dar. Deutlich wird dies unter anderem an der steigenden Anzahl von Fällen ärztlich diagnostizierter Arbeitsunfähigkeit durch psychischer Krankheiten (Kölbach & Zapf, 2008).
Im Rahmen dieser Arbeit soll Stress als vom Arbeitnehmer negativ empfundener Zustand behandelt werden, da diese negativ belasteten Stresszustände auch in der Forschung im Vordergrund stehen.
In der Literatur lassen sich zahlreiche Definitionen von Stress finden. Eine einheitliche Definition existiert nicht. Zimbardo definiert Stress als „ein Muster spezifischer und unspezifischer Reaktionen eines Organismus auf Reizereignisse, die sein Gleichgewicht stören und seine Fähigkeiten zur Bewältigung strapazieren oder überschreiten“ (Zimbardo, 1988, S.575). Weiter nennt er Stress eine Reaktion auf Anforderungen, die in ihrer Entstehung durch kognitive Bewertung von Stressoren und Ressourcen hervorgerufen werden kann (Gerrig & Zimbardo, 2014). Der Mediziner Selye, der sich seinerzeit sehr ausführlich mit dem Thema Stress auseinandersetzte, bezeichnet Stress als „unspezifische Reaktion des Organismus auf jegliche Anforderungen“ (Selye, 1983, S. 429). Weiter wird Stress als ein „ein subjektiv intensiv unangenehmer Spannungszustand, der aus der Befürchtung entsteht, dass eine stark aversive, subjektiv zeitlich nahe und subjektiv lang andauernde Situation sehr wahrscheinlich nicht vollständig kontrollierbar ist, deren Vermeidung aber subjektiv wichtig erscheint“ definiert (Greif, Bamberg & Semmer, 1991, S. 13). Greif et al. (1991) berücksichtigen dabei auch die Qualität, Intensität und Dauer des durch Stressoren ausgelösten Zustandes und die subjektiven Erwartungen und Bewertungen in Bezug auf den Stressor. Speziell arbeitsbedingter Stress wird von der Europäischen Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (EU-OSHA) als Wechselwirkung zwischen Beschäftigtem und der Arbeitsumgebung definiert (EU-OSHA, 2000). Dabei kann von Stresserfahrungen gesprochen werden, wenn die Anforderungen der Arbeitsumgebung die Fähigkeit des Beschäftigten übersteigen, sie zu bewältigen oder zu kontrollieren (EU-OSHA, 2000).
Alle Definitionen von Stress haben gemeinsam, dass sie ihn als Reaktion auf als negativ empfundene Situationen oder Reize, die nicht kontrollierbar sind und die Bewältigungsmöglichkeiten des Individuums überschreiten, bezeichnen.
Stressoren
Stressoren sind „Faktoren, die mit erhöhter Wahrscheinlichkeit Stress oder Stressempfinden auslösen“ (Nerdinger, Blickle & Schaper, 2011, S. 477). Sie werden als interne (Faktoren innerhalb der Person) und externe (Umweltfaktoren) psychische Stimuli aufgefasst, die zu Stressreaktionen mit psychischen Zuständen und Verhaltensweisen führen können (Semmer, 1994). Der Zusammenhang zwischen zahlreichen (sozialen, aufgaben-und organisationsbezogenen) Stressoren und psychischem Wohlbefinden als auch mit somatischen Beschwerden wurde in einigen Studien nachgewiesen (Mohr & Semmer, 2001).
Der allgemeine Ansatz von Richter und Hacker (1998, zitiert nach Schaper, 2011) differenziert in Anlehnung an McGrath (1981) speziell für Belastungen in der Arbeitswelt mögliche stressauslösende Faktoren. Es wird dabei zwischen sechs verschiedenen Belastungsarten unterschieden (Schaper, 2011):
- Arbeitsaufgabe: z.B. zu hohe qualitative oder quantitative Anforderungen, Zeit-und Termindruck, unklare Aufgabenübertragung und widersprüchliche Anweisungen oder Störungen in Form von unerwarteten Unterbrechungen.
- Arbeitsrolle: z.B. Verantwortung, fehlende Unterstützung und Anerkennung oder Konflikte mit Mitarbeitern.
- materielle Umgebung: z.B. Lärm oder Hitze.
- soziale Umgebung: z.B. Betriebsklima, Wechsel der Mitarbeiter oder strukturelle Veränderungen im Unternehmen.
- „behavior setting“ : z.B. Isolation oder Zusammengedrängtheit.
- Personsystem: z.B. Angst vor Aufgaben und Misserfolg, fehlende Eignung oder ineffiziente Handlungsstile.
Das vereinzelte Auftreten der möglichen Stressoren in den Belastungen der Arbeitswelt nach Richter und Hacker (1998) reicht jedoch oft nicht aus, um die Entstehung von Stressempfinden zu erklären (Schaper, 2011). Da Stressoren nicht auf der „individuellen Ebene“, sondern auf der „Ebene von Populationen“ bestimmt werden, ist ein Stressor oder Risikofaktor daher „nicht grundsätzlich für jedes Individuum stressauslösend“ (Zapf & Semmer, 2004, S. 1011).
Der Stressreport Deutschland, der 2012 von dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales, dem Bundesinstitut für Berufsbildung und der BAuA veröffentlicht wurde, zeigt die repräsentative Ausprägung von Stressoren in Deutschland (bei abhängigen Arbeitnehmern, n = 17.562) wie folgt: „verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig zu betreuen“ nannten 58 Prozent, den starken „Termin-und Leistungsdruck“ 52 Prozent, „ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge“ 50 Prozent, „Arbeitsunterbrechungen“ 44 Prozent und „sehr schnelles arbeiten müssen“ 39 Prozent als häufig auftretende Faktoren. Ein Belastungsempfinden durch die jeweilige Anforderung wird am häufigsten bei starkem „Termin-und Leistungsdruck“ mit 34 Prozent sowie „Arbeitsunterbrechungen“ mit 26 Prozent empfunden (BAuA, 2012).
Ressourcen
In der Arbeitspsychologie werden Ressourcen als Hilfsquellen zum Erreichen von Zielen, Zuständen, Veränderungen oder Optimierungen, die von einer Person in einer Situation mehr oder weniger bewusst eingesetzt werden, beschrieben (Auhagen, 2012). Im Bezug auf Stressbewältigung können Ressourcen „alle Faktoren sein, auf die eine Person zurückgreifen kann, um den Umgang mit einer Stresssituation zu erleichtern“ (Schaper, 2011, S.6). Bamberg, Busch und Ducki (2003) definieren Ressourcen als Faktoren, die Entwicklungspotenziale und Gesundheit fördern und die zusätzlich Handlungsregulation, Selbstorganisation und den Umgang mit Stress unterstützen oder erleichtern. Sie können dabei helfen, das Auftreten von Stressoren zu vermeiden oder die Wirkungen von Stressoren zu verringern. Zudem wird ihnen eine gesundheitsförderliche Wirkung zugesprochen (Zapf & Semmer, 2004). Es wird zwischen zwei Arten von Ressourcen unterschieden: personenbezogene Ressourcen und bedingungsbezogene Ressourcen (Bamberg et al., 2003). Personenbezogene Ressourcen können allgemeine Persönlichkeitsmerkmale, wie Selbstvertrauen oder Optimismus sein, allerdings wird in der Literatur betont, dass es vor allem komplexe, situationsübergreifende Handlungsmuster sowie kognitive Überzeugungen einer Person sind, die einen Einfluss darauf haben, wie stark sie auf potenzielle Stressoren reagiert (Bamberg et al. 2003).
Bedingungsbezogene Ressourcen können aus physisch-materiellen Umwelt und dem sozialen Umfeld einer Person entstammen. Physisch-materielle Ressourcen können zum einen Arbeitsbedingungen am Arbeitsplatz, wie Beleuchtung, Geräuschpegel, und zum anderen Faktoren wie Arbeitszeitgestaltung, Möglichkeit zur Regeneration oder Handlungsspielraum sein (Schaper, 2011).
In der arbeitspsychologischen Forschung ist der Handlungsspielraum eine der wichtigsten und meist untersuchten bedingungsbezogenen Ressourcen. Der Handlungsspielraum, in der Literatur auch als Kontrolle oder Autonomie bezeichnet (Nerdinger at al., 2011), beschreibt die in der Situation gegebenen Möglichkeiten einer Person, ihr Handlungen und Arbeitsbedingungen selbst zu kontrollieren und sie gemäß den eigenen Ziele und Interessen zu beeinflussen (Zapf & Semmer, 2004). Zapf und Semmer (2004) fanden in ihrer empirischen Untersuchung heraus, dass eine direkte Wirkung von Kontrolle unabhängig von vorhandenen Stressoren positiv auf das Befinden auswirken kann. Für Faktoren wie Arbeitszufriedenheit wurde die positive Wirkung empirisch bestätigt, allerdings nur wenn Personen auch über bestimmte personenbezogenen Ressourcen verfügen und diese auch wirksam einsetzen können.
Die meist untersuchte bedingungsbezogene Ressource aus dem sozialen Umfeld ist soziale Unterstützung. Studien belegen sowohl direkte positive Auswirkung sozialer Unterstützung auf die Gesundheit als auch indirekte Auswirkung, die eine Verringerung von Stressoren durch instrumentelle und informatorische Unterstützung bewirken kann (Zapf & Semmer, 2004). Die Studie Gesundheit In Deutschland Aktuell (GEDA) im Auftrag des Robert Koch Instituts belegt beispielsweise, dass soziale Unterstützung direkt auf das psychische Wohlbefinden wirken, Stress lindern und auch die Auswirkung ungünstiger Lebensbedingungen abmildern kann (GEDA; Robert Koch Institut, 2010). Die soziale Unterstützung tritt dabei in eine Wechselbeziehung mit den Anforderungen und Belastungen und hilft so, Stress und Stressfolgen zu verringern oder zu verhindern (Cohen & Wills, 1985). Als relevante Quellen sozialer Unterstützung gelten Mitglieder aus dem Berufsleben wie Kollegen und Vorgesetzte sowie Lebenspartner, Freunde und Familie aus dem Privatleben (Schaper, 2011). Nach einer Untersuchung von Kahn und Byosiere (1992, zitiert nach Nerdinger et al., 2011) hat soziale Unterstützung aus dem Berufsleben allerdings einen stärkeren Effekt als dieselbe aus dem privaten Umfeld.
In Hinblick auf die raum-zeitliche Flexibilisierung von Arbeit stellt sich die Frage, welche Ressourcen und Bewältigungsstrategien bedeutend sind und gefördert werden müssen, um Stressempfinden und negative Auswirkungen abzumildern oder zu vermeiden. Um die Entstehung und die individuelle Wirkung von Stress zu verdeutlichen sowie die Bedeutung von Stressoren und Ressourcen bei Stressempfinden und Stressbewältigung herauszustellen, werden in den nachfolgenden Kapiteln das transaktionale Stressmodell nach Lazarus und die arbeitspsychologische Erweiterung des transaktionalen Stressmodells nach Bamberg vorgestellt.
1.4 Transaktionales Stressmodell nach Lazarus
Das transaktionale Stressmodell nach Lazarus (Lazarus & Folkmann, 1984) lässt sich in die Kategorie der kognitiven Stressmodelle einordnen und ist das einflussreichste Stressmodell der Stressforschung (Schaper, 2011). Es geht im Gegensatz zu reiz-und reaktionsorientierten Stressmodellen nicht von einem einfachen Wirkungsschema eines Reizes und der darauf folgenden Reaktion aus, sondern betrachtet Prozesse der kognitiven und emotionalen Bewertung einer Situation und die verfügbaren Bewältigungsmöglichkeiten einer Person (Richter & Hacker, 1988, zitiert nach Schaper, 2011). Lazarus und Folkmann (1984, S.19) definieren Stress als „Beziehung zwischen Person und Umwelt, die von der Person als ihre eigenen Ressourcen auslastend oder überschreitend und als ihr Wohlbefinden gefährdend bewertet wird.“.
Die psychischen Bewertungs-und Bewältigungsprozesse spielen eine besondere Rolle und stellen die individuelle Bewertung von Ereignissen und Situationen in den Mittelpunkt der Theorie. Stresssituationen werden in der Stresstheorie von Lazarus als „komplexe und dynamische Interaktions-und Transaktionsprozesse zwischen den Anforderungen der Situation und dem handelnden Individuum“ beschrieben (Greif, 1991, S.9). Dabei unterscheidet Lazarus drei Bewertungsprozesse, die entscheidend dafür sind, ob eine Situation als stressrelevant wahrgenommen wird. Diese Prozesse legen fest, warum und in welchem Ausmaß eine bestimmte Interaktion zwischen Person um Umwelt als stressend wahrgenommen wird (Lazarus, 1999).
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- Arbeit zitieren
- T. Köhn (Autor:in), 2016, Der Wandel in der Arbeitswelt. Stressoren und Ressourcen flexibilisierter Arbeit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/494201
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