Ziel dieser Arbeit war eine Analyse der ovidischen Darstellung seines Exilorts Tomi im Hinblick auf deren Realitätsgehalt unter Berücksichtigung literarischer und externer Gesichtspunkte wie archäologischer, ethnologischer, historischer und klimatischer Befunde. Ein besonderes Augenmerk galt dabei der literarisch interessanten Frage, inwiefern Ovid in seinen beiden Exilwerken das Motiv eines locus horribilis für seinen Verbannungsort entworfen haben könnte.
INHALTSVERZEICHNIS
1 Einleitung: Ovids pontische Dichtung als historische Quelle?
2 Analyse von Ovids Schilderungen der Schwarzmeerregion
2.1 Namensgebung und Gründungsmythos von Tomi bei Ovid
2.2 Vorstellung Ovids von seinem Verbannungsort und dessen
geographische Verortung
2.3 Ovids Schilderung der Lebensumstände in Tomi
2.3.1 Erfahrung einer Landschaftsgrenze
2.3.2 Erfahrung einer Klimagrenze
2.3.3 Erfahrung einer ethnischen Grenze
2.3.4 Erfahrung einer Militärgrenze
2.3.5 Erfahrung einer Sprachgrenze
2.4 Reale Lebensumstände in Tomi zu Zeiten Ovids
2.5 Ovids Angaben auf dem Prüfstand der Bevölkerung in Tomi
3 Fazit: Ovids Dichtkunst zwischen Realität und Fiktion
4 Literaturverzeichnis
1 Einleitung: Ovids pontische Dichtung als historische Quelle?
Im Jahre 8 n. Chr. wurde der römische Dichter Publius Ovidius Naso von Kaiser Augustus aus Rom nach Tomi am Schwarzen Meer (Pontus Euxinus) verbannt.1 Dieses Gebiet stellte damals das entfernteste Randgebiet des römischen Imperiums dar, weshalb es von Ovid als ultima tellus bezeichnet wurde (trist.1,3,83). Die Beweggründe für diese Relegation2 beschreibt Ovid selbst nur in Form von Andeutungen.3 So spricht er von carmen et error (trist.2,207), die seine Verbannung nach sich zogen.4 Bei dem verwerflichen Gedicht (carmen) handelt es sich vermutlich um die Ars Amatoria, mit der er laut Augustus römischen Ehefrauen den Ehebruch gelehrt und so dessen in den Leges Juliae5 festgesetzte Sittenlehre konterkariert habe.6 Der Irrtum (error) scheint eine bis heute unbekannte Indiskretion Ovids zu betreffen. Statt eines Verbrechens7 wird ein Skandal vermutet, der direkt die kaiserliche Familie – wahrscheinlich Augustus´ Enkelin Julia – betraf.
Von Tomi aus sandte der Dichter seine Exilwerke, die Tristia und seine Epistulae ex Ponto nach Rom, um eines Tages das Erbarmen des Kaisers zu erlangen.8 Neben diesem vordergründigen Ziel eines Gnadenerlasses und einer evtl. Rückkehr nach Rom wollte Ovid mit seinen beiden Werken aus dem Exil wohl auch nachweisen, dass er trotz seiner Entfernung von der Heimat sehr wohl noch publikumswirksam auf Latein zu dichten vermochte.
Mit seinen beiden Verbannungswerken gilt Ovid als Begründer der Exilliteratur.9 Das neu geschaffene literarische Genre umfasst sowohl autobiographische Werke wie bei Ovid als auch rein fiktive.10 Da als authentisch präsentierte Exilliteratur neben realen auch fiktive Elemente11 enthalten kann, stellt sich die Frage, wie Ovids Exilwerke bezüglich ihres Realitäts- und Wahrheitsgehalts zu bewerten sind.12 So wird in der Altertumswissenschaft durchaus kontrovers diskutiert, ob Ovids Darstellung von Tomi einer realen migrationshistorischen Quelle gerecht wird oder ob Ovid seinen Verbannungsort entgegen den realen Gegebenheiten gezielt zu einem verfälschten Bild stilisiert hat.13 Als Interpretationsmuster hierfür könnte eine Umkehrung des von Ernst Robert Curtius beschriebenen Topos des „ locus amoenus “ herangezogen werden, den dieser als in der europäischen Literatur seit der Antike auffindbares Motiv eines in einer „Ideallandschaft“ angesiedelten „Lustorts“ beschrieben hat.14 Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, inwiefern Ovid in seinen beiden Exilwerken das Motiv eines locus horribilis – gleichsam als Verkehrung des bekannteren Topos des locus amoenus – für seinen Verbannungsort Tomi entworfen haben könnte. Diesen beiden Fragen nach dem Realitätsgehalt der ovidischen Schilderungen seines Verbannungsorts und einer möglichen Verwendung des Topos eines locus horribilis soll im Rahmen der vorliegenden Arbeit unter Berücksichtigung literarischer und externer Gesichtspunkte wie archäologischer, ethnologischer, historischer und klimatischer Befunde nachgegangen werden.
2 Analyse von Ovids Schilderungen der Schwarzmeerregion
2.1 Namensgebung und Gründungsmythos von Tomi bei Ovid
Im dritten Buch der Tristia schildert Ovid sein erstes Jahr am Pontus Euxinus.15 Während er sich noch am Ende des ersten Buches optimistisch gibt16, die Relegationszeit überstehen zu können, befällt den Dichter jetzt eine Angst: Sein Exilort berge Gefahren, die er zunächst nur vermutet und nun bestätigt sieht. Um sein Publikum in Rom auf die menschenfeindliche Schauerlandschaft in Tomi einzustimmen, weist Ovid in trist. 3,9 auf den Gründungsmythos seines Verbannungsortes hin. In Tomi17 sei nach Ovid der aus der griechischen Mythologie bekannte Mord an Absyrtos geschehen – ein Höhepunkt der Argonautensage, die Ovid freilich in seiner eigenen Version widergibt.18 Nach dem Raub des Goldenen Vlies‘ und der Flucht aus Kolchis gelangen demnach Jason und Medea in das Meeresgebiet vor der Küste von Tomi, während sie von der Flotte des Königs Aietes (Vater von Medea und Absyrtos) verfolgt werden (trist.3,9,7-10). Um nun den rachsüchtigen König aufzuhalten und diesen zur Rückfahrt nach Kolchis zu bewegen, schlug Medea mit ihrem Schwert auf ihren Bruder Absyrtos ein (trist.3,9,25f.) und „membra per agros / dissipat in multis invenienda locis“ (trist.3,9,27f.).19 Die anschließende Verstümmelung des Opfers legt Ovid fälschlicher Weise seiner Etymologie des Namens Tomi zugrunde, den er auf das griechische Verbum τέμνειν (teilen, schneiden, zertrennen) zurückführt: „Inde Tomis dictus locus hic, quia fertur in illo/ membratim fratrem consecuisse soror.“ (trist.3,9,33f.). Dass Ovid seine Version des Mordes und den Ort des Geschehens ganz bewusst heranzieht, um seinen Verbannungsort als einen bereits seit der Stadtgründung blutig konnotierten locus horribilis und somit als „Tatort“ darzustellen20, zeigt ein Vergleich mit den meisten anderen antiken Schriftstellern, die den Absyrtos-Mord nicht auf den Feldern („per agros“) um Tomi lokalisieren.21
Insgesamt besteht somit keine Eindeutigkeit hinsichtlich des Tatorts. Ovid lässt eine explizite Lokalisation durch den vagen Ausdruck „per agros“ (trist.3,9,27) zwar bewusst offen22, es gelingt ihm nach Beck aber, „seinen Verbannungsort in möglichst düsteren Farben zu malen und unter zu Hilfenahme einer ebenso geistreichen wie falschen Etymologie […] Tomi zum Ort der barbarischen Ermordung von Absyrtos zu machen“23.
2.2 Vorstellung Ovids von seinem Verbannungsort und dessen geographische Verortung
In vielen römischen und griechischen Literaturquellen wird Skythien, als dessen Bestandteil bzw. in dessen Randgebiet Ovid seinen Verbannungsort Tomi lokalisiert24, als unfruchtbares Land dargestellt. Dabei sind die Grenzen des skythischen Reiches aus schriftlichen Zeugnissen und archäologischen Funden nur ungenau zu bestimmen, da die Völker der Skythen25 und Geten größtenteils umherziehende Nomaden26 waren. Darüber hinaus hat die Mehrzahl der antiken Schriftsteller die Landschaft und die Menschen der westlichen Schwarzmeerregion niemals selbst kennengelernt. Als wichtigste antike Quellen gelten dabei Vergils Georgica und die Historien des Herodot, an die auch Ovids Exilwerke immer wieder anknüpfen. Allerdings kommt Ovid auch in seinen bereits vor seiner Relegation entstandenen Werken auf die Skythen-Thematik mehrfach – meist eher kursorisch als vertiefend – zu sprechen. Dabei stellt er weniger Fakten zu Skythen und Geten dar, sondern bedient sich eher allgemeiner Stereotypen und Vorurteile. Dies dient auch der Schilderung und Rechtfertigung der eigenen negativen Gefühle im Exil, die er als Intellektueller und römischer Stadtbürger gegenüber diesen „Barbaren“ am ultima tellus hegt, da aus römischer Perspektive die Ungebildetheit der Menschen mit deren geographischer Entfernung vom kulturellen Mittelpunkt Rom und dessen Zivilisation zunimmt. Diese Kulturferne spiegelt sich in Ovids Dichtung in der Landschaft wider, die schon lange vor den Tristien in den Amores (Ov.am.2,16,33-39) als menschenfeindlicher Ort dargestellt wird: „At sine te […]/ non ego Paelignos videor celebrare salubres/ non ego natalem, rura paterna, locum/ sed Scythiam Cilicasque feros viridesque Britannos“. Hierzu kontrastiert er das „gesunde Land der Päligner“ – dort liegt sein mittelitalienischer Geburtsort Sulmo – mit dem Land der Skythen. Im selben Vers nennt Ovid als Bezugsgröße auch die aus Caesars Feldzügen als feindlich bekannten Britannier sowie die als Piraten berüchtigten und von Pompeius unterworfenen Kilikier im Südosten Kleinasiens.
Die Grenzwahrnehmungen, welche Ovid nach Sonnabend zwischen Rom und Tomi beschreibt bzw. stilisiert, hat Ovid schon vor seiner Verbannung literarisch genutzt.27 Für ihn stellt demnach das Überqueren der Landschaftsgrenze eine Art von literarischem Leitmotiv dar, auf das er immer wieder zurückgreift. Bereits in den Metamorphosen beschreibt Ovid das Randgebiet der Ökumene aus Sicht der Fruchtbarkeitsgöttin Ceres. Diese – gleichsam als Schutzgöttin für landwirtschaftliche und klimatische Gegebenheiten – beschreibt Skythien als unfruchtbare Einöde von eisiger Kälte (Ov.met.8, 787-791): „Est locus extremis Scythiae glacialis in oris/ triste solum, sterilis, sine fruge, sine arbore tellus/ frigus iners illic habitant Pallorque Tremorque/ et ieiuna Fames. […]“. Hervorstechend ist dabei die Verbindung von personifizierten Zuständen („Pallorque Tremorque […] Fames“), die klimatisch („glacialis“, „triste solum“, „sterilis“,„frigus“) bedingt sind, mit dem Wort „habitant“, das auf einen Dauerzustand des Klimas hinweist und in einem Wortspiel „Furcht“, „Zittern“ und „Hunger“ neben den Barbaren als dauerhafte „Bewohner“ dieser Gegend darstellt.
In Ovids frühen Werken finden sich auch erste Beschreibungen der Provinz Moesia inferior, in der Tomi liegt.28 Im ersten Buch der Metamorphosen schildert Ovid in der Erzählung von der Gestaltung von Himmel und Erde die Trennung in eine westliche und eine östliche Welt, die durch den Stand der Sonne konstruiert werden (Ov.met.1,63-66): „vesper et occiduo quae litora sole tepescunt/ proxima sunt Zephyro; Scythiam septemque triones/ horrifer invasit Boreas; contraria tellus/ nubibus adsiduis pluviaque madescit ab Austro“. Skythien liegt demnach in nördlichen Breiten und leidet unter dem Aufeinandertreffen des kalten Nordwind Boreas und des regenreichen Südwindes Auster. Wasser und Schnee, der die Gewässer vereist, laufen in Flüssen und Bächen des Hochlands zusammen, die ebenfalls zur Schilderung der Topographie genannt werden.
Zur weiteren Darstellung der ovidischen Verortung seines Exilorts muss allerdings vermehrt auf die Verbannungsbriefe zurückgegriffen werden, da die frühen Werke des Dichters hierzu nur vage Angaben machen. Im dritten Buch der Tristien schreibt Ovid (trist.3,4b,49-52): „Bosporos et Tanais superant Scythiaeque paludes/ vix satis et noti nomina pauca loci/ ulterius nihil est nisi non habitabile frigus/ heu quam vicina est ultima terra mihi“. Ovid trennt hier Don (lat. Tanais) und Bosporus klar von Skythien ab. Diese liegen nach Ovid noch nördlicher als Skythien. Allerdings spürt man in Tomi bereits die ultima terra. Dieses Land steht laut Ovid im starken Gegensatz zum Königreich Kolchis – durch die Worte im 6. Brief der Hypsipyle Jasoni (Ov.epist.12,108-109) klar von Skythien abgetrennt –, welches in der Argonautensage zum einen als Reich des grausamen Aietes, zum anderen aber als fruchtbarer Aufbewahrungsort des Goldenen Vlies‘ bekannt wird. An anderen Stellen gibt Ovid die geographische Lage Tomis – trotz seiner Rückgriffe auf Herodot und Vergil – nicht immer korrekt wider29, meist mit dem Ziel Tomi und Skythien noch nördlicher, unzugänglicher und unwirtlicher erscheinen zu lassen.
2.3 Ovids Schilderung der Lebensumstände in Tomi
In seinen Briefgedichten aus dem Exil führt Ovid unermüdlich die Klage an, in das von Rom am weit entferntesten Randgebiet, das ultima tellus, des Römischen Reiches verstoßen worden zu sein. Auf seinem beschwerlichen Weg dorthin machte er dabei fünf Grenzerfahrungen30, die ihm bereits auf der Überfahrt von Rom ins ferne Skythien vor Augen traten. Dabei schwingt stets Ovids Bild von Tomi als Verbannungsort fernab aller zivilisierten Werte mit. Um die Darstellung des ovidischen Tomi mit den tatsächlichen Gegebenheiten, soweit diese aus antiken Quellen und archäologischen Befunden ableitbar sind, vergleichen zu können, müssen daher zunächst diese sich aus dem Kontrast Tomi-Rom31 ergebenden Grenzerfahrungen Ovids näher betrachtet werden.
2.3.1. Erfahrung einer Landschaftsgrenze
Eine erste Grenzerfahrung Ovids betrifft die Landschaftsgrenze, die zunächst durch die geographische Lage Tomis am Schwarzen Meer und dessen natürliche Umgebung konstruiert wird. Bedeutend für Ovids Verbannungsort ist neben dem gewaltigen Pontos Euxeinos 32 die Donau33, die den Einwohnern Schutz vor den Barbaren am anderen Ufer bietet (trist.2,191f.). Allerdings ist dies nur der Fall, solange das Meer („maris adstricto quae coit unda gelu“ [trist.2,196]), der Fluss und der Pontus nicht zufriert („vidimus ingentem glacie consistere Pontum“ [trist.3,10,37]), wie es seit Ovids Ankunft dreimal geschehen sein soll: „Ut sumus in Ponto, ter frigore constitit Hister/ facta est Euxini dura ter unda maris“ (trist.5,10,1-2). Mit dem Bericht vom Vereisen der Donau und auch des Schwarzmeers scheint der Dichter abermals der literarischen Tradition gerecht zu werden.34 Ganze Schiffe blieben im Eis eingeschlossen nutzlos im Hafen, der Schiffsverkehr komme zum Erliegen und mit Fuhrwerken käme man auf den Gewässern besser voran (Verg. georg.3,360-363; trist.3,10,31-34). Ovid erweitert hier seine Variante des „arktischen Winters“. Um die Glaubwürdigkeit zu erhöhen, nennt Ovid den Reisenden Vestalis als Augenzeugen: „ipse vides onerata ferox ut ducat Iazyx/ per medias Histri plaustra bubulcus aquas“ (Pont.4,7,9-10).35
[...]
1 Zur Biographie von Ovid vgl. im Folgenden v.a. Giebel 1991 ; Bogs 1980 und auch Ehlers 1988. Allgemein mit dem Phänomen der Heimatferne in der römischen Literatur beschäftigt sich Doblhofer 1987.
2 Im römischen Recht bildete die relegatio eine abgeschwächte Form des exilium und wurde während der Kaiserzeit durch Senatoren, Magistraten und den Kaiser verhängt. Der Relegierte behielt trotz der Standesstrafe weiterhin die römischen Bürgerrechte. Die Relegation konnte dabei unterschiedlich schwer ausfallen (vgl. hierzu Végh: “Relegatio”, Der Neue Pauly).
3 Die Beweggründe für die Relegation werden bei Rădulescu 2002 dargelegt.
4 Von dieser culpa möchte Ovid keine genaueren Angaben machen, um nicht den Zorn des Augustus erneut zu erregen (trist.2,208-210).
5 Zur Erhöhung der Ehemoral und zur Bekämpfung der Kinderlosigkeit erließ Augustus ca. 18 v. Chr. die lex Julia de maritandis ordinibus , durch das er standeswidrige Ehen verbieten ließ. Er erweiterte diese ca. 9. n. Chr. durch das lex Papia Poppaea , sodass die beiden Gesetze zu einer Rechtsschrift verbunden wurden: lex Julia et Papia . Vgl. hierzu U. Manthe: „lex Julia et Papia“, der Neue Pauly.
6 Im 2. Buch der Tristia nimmt Ovid persönlich Stellung zu den Vorwürfen des Augustus hinsichtlich der Ars Amatoria und widerlegt in seinen Augen die Anschuldigungen (trist.2,239-252). So schreibt Ovid: „non tamen idcirco legum contraria iussis/ suadent Romanas erudiuntque nurus“ (V.243f.). Zudem behauptet er, dass nicht nur seine Werke, sondern „posse nocere animis carminis omne genus“ (trist.2,264).
7 Explizit als error oder crimina , nicht als scelus genannt (trist.3,11,33f.; trist.4,1,23f.).
8 Hieraus dürfte hervorgehen, dass Ovids relegatio von besonderer Schwere gewesen war, da seine Verbannung – anders als die des Seneca unter Kaiser Claudius auf Korsika – von unbestimmter bzw. ewiger Dauer war (relegatio perpetua) .
9 Vgl. Coroleu Oberparleiter 2010, Florian 2007 und Claassen 1999. Hexter 2007 geht dabei noch genauer – unter Berücksichtigung Ovids als Vorreiter der Verbannungspoetik – auf die (auch fiktive) Exilliteratur im Mittelalter ein.
10 Z.B. die sich an Ovids Schicksal orientierenden Romane „Dieu est né en exil. Journal d'Ovide à Tomes“ (erstmals 1960) von Vintila Horia und „Die letzte Welt“ (erstmals 1988) von Christoph Ransmayr (siehe dazu auch Schmitzer 2003).
11 Auch bei Gaertner 2007 wird der Frage nachgegangen, inwieweit Ovids Exilliteratur „exilisch“ gewesen war (eine ähnliche Fragestellung bei Ezquerra 2010).
12 Frécaut 1972 warnt davor, dass der Wahrheits- und Aufrichtigkeitsgehalt einen der beliebtesten Ansätze der literarischen Kritik bildet.
13 Fitton Brown geht sogar so weit, dass er Ovids Exil in Tomi gänzlich als Fiktion interpretiert (Fitton Brown 1985). Vgl. hierzu auch Ezquerra 2010 und Bérchez Castaño 2015, S. 26f. (hier auch eine Zusammenstellung von Autoren wie J.J. Hartman, O. Janssen, C. Verhoeven, A.D. Fitton Brown und H. Hofmann, die das Exil Ovids generell als reine Fiktion interpretieren, bzw. von Autoren, die Tomi als Ort des Exils für fiktiv halten, nicht jedoch die Tatsache des Exils in Zweifel ziehen (E. Lozovan, X. Ballester, J.M. Claassen und Bérchez Castaño selbst).
14 Vgl. Curtius 1948.
15 Die Narratologie in den Verbannungsbriefen wird von Seibert 2014 präzise untersucht.
16 Dieselbe Ansicht bei Florian 2007.
17 Auch von den Wortwurzeln Τόμοι/Tómoi, Τόμις/Tómis, Τῶμις/Tṓmis ins lat. Tomi abgeleitet.
18 Mit „constat“ (trist.3,9,6) drückt Ovid hier aus, dass die Schandtat nach seiner Auffassung ein geschichtlich fundiertes Faktum ist.
19 Medea kam der Gedanke des Brudermordes erst, als sie Absyrtos zufällig ansah: „ad fratrem casu lumina flexa tulit“ (die ganze Passage in trist.3,9,21-24). Diese Familientragödie ist somit auf doppelte Weise verheerend: Der Mord wird sowohl die Familie als auch den Ort des Geschehens (laut Ovid nämlich Tomi) aufgrund eines unglücklichen Zufalls für immer belasten. Cicero dagegen meint, dass Medea diesen Mord berechnend und nicht zufällig in Kauf nahm: „Huic ut scelus, sic ne ratio quidem defuit“ (Cic. nat. deor. 3,68,1).
20 Siehe hierzu besonders Beck 2006, aber auch Pieper 2016.
21 Vgl. Pherekydes von Athen (5. Jh. v. Chr.)[vgl. dazu FGrH 3 F 32a], Sophokles (5. Jh. v. Chr.), Euripides (5. Jh. v. Chr.) und Kallimachos (3. Jh. v. Chr.), die den Palast des Aietes in Kolchis als Tatort nennen, sowie Apollodor von Athen (2. Jh. v. Chr.) mit dem Schwarzen Meer als Ort des Geschehens. Diese Autoren lebten alle vor Ovid, sodass erwiesen scheint, dass Ovid Tomi als Tatort tatsächlich mit Absicht gewählt hat. Lediglich Cicero in De natura deorum und Lucius Accius (2. Jh. v. Chr.), an dem sich Cicero orientiert, schildern den Tatort ähnlich wie Ovid. Ovid wiederum greift in trist.3,9,27f. fast wörtlich auf Ciceros Verse zurück: „puerum interea optruncat membraque articulatim/ dividit/ per que agros passim dispergit corpus“ (Cic. nat. deor. 3,67,6-8). Vgl. hierzu Beck 2006, 393.
22 Meist wird die Möglichkeit einer Lokalisierung des Mordes in Tomi von anderen Autoren aufgrund der Quellenlage angezweifelt. Vgl. hierzu die ausführliche Diskussion von Beck 2006 über die Bedeutung von „per agros“ unter Heranziehung von zwei Schlüsselstellen in Vergils Georgica und in den Metamorphosen des Ovid. So muss „per agros“ nicht zwangsläufig „über den Feldern“, sondern kann auch „weit verstreuen“ bedeuten. Letzten Endes neigt Beck auch der Interpretation zu, dass Ovid Tomi bewusst zum Ort des Mordes an Absyrtos macht.
23 Vgl. Beck 2006, S. 394.
[24] Vgl. zur geographischen Verortung Tomis Podossinov 1987, 24-36. Hierzu gehört auch die für Tomi nicht zutreffende Beschreibung der Position des Polarsterns bei Ovid, die von Bérchez Castaño als Hinweis auf die fehlende Ortskenntnis Ovids interpretiert wird (vgl. Bérchez Castaño 2015, S. 116f).
25 Aus Herodt.4,6 gehen verschiedene Entstehungsgeschichten des skythischen Stammes hervor. So soll der Gründungsvater der Skythen Targitaos gewesen sein, der drei Söhne gehabt habe, von denen jeder einzelne ein Stück des Landes vom Vater erhielt. So entstanden auch drei einzelne Stämme: die Auchaten, die Katiarer und Paralaten, die unter dem Volk der Skoloten zusammengefasst wurden. Die Griechen dagegen nannten sie Skythen.
26 Herodot charakterisiert die Stämme eindeutig als Nomaden und nicht als ortsansässige Ackerbauern (Herodt.4,2).
27 Siehe dazu Sonnabend 1998.
28 Vgl. hierzu auch Kapitel 2.5.
29 Z.B. schreibt Ovid in Anlehnung an Herodot von dem zunächst süßen, dann mit bitteren Salzen versehenen Strom Hypanis, der bei Ovid im skythischen Gebirge entspringt („Scythicis de montibus ortus“, Ov.met.15,285-286), bei Herodot jedoch aus einem See im skythischen Inland fließt (Herodt.4,52). Auch an anderen Stellen finden sich nicht korrekte geographische Angaben: So lokalisiert Ovid beispielsweise das Kaukasus-Massiv gemäß der literarischen Tradition (so auch Aischylos [Aischyl.Prom.1,1-14]) geographisch nicht korrekt an der Westküste des Pontus („Ponti qua plaga laeua“, Ov.epist.12,28; „Devenit in Scythiam rigidique cacumine montis/ Caucason appellant“ Ov.met.8,796-798). Ebenfalls kommt es bei Ovid öfter zu einer Gleichsetzung des östlichen mit dem westlichen Pontus-Ufer. Vgl. die Stellungnahme von Kettemann 1999 und des Weiteren auch zu den Kaukasus Schilderungen Podossinov 1987, S. 28-30.
30 Eine ähnliche Sichtweise bezüglich der Grenzerfahrungen findet man bei Sonnabend 1998. S. auch Pieper 2016. Auch bei Herodot findet man laut Männlein-Robert 2012 Grenzen, die sich jedoch von denen des Ovid in der Anzahl (2 bzw. 3 Grenzen) und deren Beschaffenheit (Ergänzung einer Religionsgrenze) unterscheiden. Siehe auch Hind 2011.
31 Tomi erscheint bei Videau-Delibes als „une image de Rome en négatif“ (zit. nach Bérchez Castaño 215, S. 143).
32 Die antike Bezeichnung Πόντος Εὔξεινος entstand nach Ovid aus dem Wort áxeinos “ungastlich” (vgl. „dictus ab antiquis Axenus ille fuit“; V.56 aus trist.4,4,55f.). Dagegen stammt der Name vermutlich von den Iraniern, die das Meer als achshaenas fürchteten. Obwohl es bereits zu ovidischen Zeiten den Begriff Schwarzes bzw. Gastfreundliches Meer gab (Eur. Iph. T. 107: πόντος μέλας), nutzte der Dichter das Wortspiel aus, um das Gebiet düster zu zeichnen. Bereits zuvor haben Geschichtsschreiber wie Herodot den Pontus beschrieben; vgl. hierzu Olshausen: “Pontos Euxeinos”, Der Neue Pauly sowie Kettemann 1999.
33 Zur Flussgrenze in der Antike schreibt Marzolff 1994.
34 Vergils Schilderungen stimmen mit denen Ovids oftmals überein. Podossinov 1987 vertritt ebenfalls diese These (S.123f.). Zu möglichen literarischen Vorlagen Ovids bei seiner Schilderung des arktischen Klimas vgl. die Zusammenschau von Belegstellen bei Herodot, Vergil, Strabo und Hippokrates vgl. Bérchez Castaño 2015, S. 132ff.
35 Ovids These wird auch heute noch von Wissenschaftlern unterstützt, die die Meinung vertreten, dass die Temperaturen zu Zeiten des 1. Jh. n. Chr. in der Schwarzmeerregion deutlich niedriger und der Niederschlag höher gewesen sein dürfte als heute (laut Podossinov 1997 behauptetet dies u.a. I. E. Bučinskij : O klimate prošlogo russkoj ravniny, Sankt Petersburg 1957, S.34). Dem entgegen steht die Schilderung der klimatischen Verhältnisse im Schwarzmeergebiet bei Bérchez Castaño 2015, S. 135.
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- Pascal Sing (Autor), 2019, Ovids Exildichtung zwischen Realität und Fiktion, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/494194
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