Im Rahmen des Seminars „Kolloquium zum Autorenwettbewerb LiteraTour Nord 2004/05“ im Wintersemester 2004/05 an der Universität Lüneburg habe ich eine Rezension zu Malin Schwerdtfegers neuestem Roman „Delphi“ (Kiepenheuer & Witsch Verlag, 2004) verfasst. Bei der vorbereitenden Lektüre diverser Rezensionen in Zeitungen und auf Internetportalen ist mir aufgefallen, dass viele Rezensenten sich auf die besondere Erzählperspektive des Romans beziehen. Diese ist wahrhaftig recht ungewöhnlich. Die Geschichte einer Familie wird aus der Sicht der zweitjüngsten Tochter erzählt, die zum Zeitpunkt der Erzählung bereits verstorben ist. Nicht nur die Tatsache, dass sie scheinbar aus dem Jenseits erzählt ist irritierend, sondern auch, dass sie als junges Mädchen und Teil der Familie über viel mehr Wissen verfügt als man ihr zugesteht. Wie kommt es, dass sie über Geschehnisse berichten kann, die sich schon vor ihrer Geburt abgespielt haben? Wieso kann die Gedanken der einzelnen Familienmitglieder wiedergeben?
Ich habe mich entschlossen, die Erzählperspektive in diesem Roman näher zu beleuchten. Dabei möchte ich herausfinden, was die Autorin Malin Schwerdtfeger mit diesem „Kunstgriff“ erreichen wollte und ob ihr dies gelungen ist. Zunächst stelle ich meine Rezension vor, um einen Überblick über die Handlung des Romans und die Figurenkonstellation zu geben. Danach gebe ich ausgewählte theoretische Ansätze bezüglich der Erzählperspektive wieder und wende gleichzeitig diese Erkenntnisse auf den Roman „Delphi“ an. Dabei konzentriere ich mich auf die Arbeiten von Franz K. Stanzel und Gérard Genette. Zur Vertiefung interpretiere ich die ersten zehn Seiten des Romans „Delphi“ hinsichtlich der Erzählperspektive. Abschließend reflektiere ich meine Arbeit.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Rezension zu Malin Schwerdtfegers Roman „Delphi“ (2004)
3. Aspekte der Theorie der Erzählperspektive
3.1. Die Perspektive
3.2. Der Erzähler
4. Die Erzählperspektive in Malin Schwerdtfegers „Delphi“
4.1. Die namenlose Ich-Erzählerin
4.2. Kommentar der Autorin Malin Schwerdtfeger
4.3. Analyse des Romananfangs
5. Fazit
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Im Rahmen des Seminars „Kolloquium zum Autorenwettbewerb LiteraTour Nord 2004/05“ im Wintersemester 2004/05 an der Universität Lüneburg habe ich eine Rezension zu Malin Schwerdtfegers neuestem Roman „Delphi“ (Kiepenheuer & Witsch Verlag, 2004) verfasst. Bei der vorbereitenden Lektüre diverser Rezensionen in Zeitungen und auf Internetportalen ist mir aufgefallen, dass viele Rezensenten sich auf die besondere Erzählperspektive des Romans beziehen. Diese ist wahrhaftig recht ungewöhnlich. Die Geschichte einer Familie wird aus der Sicht der zweitjüngsten Tochter erzählt, die zum Zeitpunkt der Erzählung bereits verstorben ist. Nicht nur die Tatsache, dass sie scheinbar aus dem Jenseits erzählt ist irritierend, sondern auch, dass sie als junges Mädchen und Teil der Familie über viel mehr Wissen verfügt als man ihr zugesteht. Wie kommt es, dass sie über Geschehnisse berichten kann, die sich schon vor ihrer Geburt abgespielt haben? Wieso kann die Gedanken der einzelnen Familienmitglieder wiedergeben?
Ich habe mich entschlossen, die Erzählperspektive in diesem Roman näher zu beleuchten. Dabei möchte ich herausfinden, was die Autorin Malin Schwerdtfeger mit diesem „Kunstgriff“ erreichen wollte und ob ihr dies gelungen ist. Zunächst stelle ich meine Rezension vor, um einen Überblick über die Handlung des Romans und die Figurenkonstellation zu geben. Danach gebe ich ausgewählte theoretische Ansätze bezüglich der Erzählperspektive wieder und wende gleichzeitig diese Erkenntnisse auf den Roman „Delphi“ an. Dabei konzentriere ich mich auf die Arbeiten von Franz K. Stanzel und Gérard Genette. Zur Vertiefung interpretiere ich die ersten zehn Seiten des Romans „Delphi“ hinsichtlich der Erzählperspektive. Abschließend reflektiere ich meine Arbeit.
2. Rezension zu Malin Schwerdtfegers Roman „Delphi“ (2004)
Malin Schwerdtfeger wurde nach ihren ersten Veröffentlichungen, den Erzählungen „Leichte Mädchen“, und ihrem ersten Roman „Café Saratoge“ als „Fräuleinwunder“ der deutschen Literatur gefeiert. Entsprechend hoch waren die Erwartungen an ihr neuestes Buch – die Familiensaga „Delphi“, erschienen 2004 im Kiepenheuer & Witsch Verlag. Auf 296 Seiten werden Themen wie Familienleben, Erwachsenwerden und die Verknüpfung unterschiedlicher Kulturkreise auf ungewöhnliche Art und Weise umgesetzt.
Die namenlose, allwissende Ich-Erzählerin berichtet über eine sechsköpfige Familie, der sie selbst einmal angehörte. Der Vater ist Archäologe, weshalb sich die ursprünglich deutsche Familie zeitweise in Athen, Jerusalem und Delphi aufhält. Er ist fast nie zu Hause, sondern stets an den Ausgrabungsstätten beschäftigt. Die Mutter ist überfordert mit Haushalt und Kindererziehung und fürchtet sich vor den Banalitäten des Alltags. Auf der Suche nach sich selbst schließt sie sich einer jüdischen Sekte an, verliebt sich in einen anderen Mann und verstrickt sich in immer neue Lügen. Sie wird schließlich in eine psychiatrische Klinik eingewiesen und mit Hilfe von Medikamenten ruhig gestellt. Somit sind weder Vater noch Mutter für die vier Kinder wirklich da.
Linda und Robbie, die beiden älteren Geschwister und eigentlichen Protagonisten des Romans, sind für ihr Alter bereits sehr reif und selbstständig. Sie erfinden sich ihre eigene Welt und schwänzen regelmäßig die Schule, um stattdessen Vorlesungen an der Universität zu besuchen. Linda hält sich für hochbegabt und lässt es jeden wissen. Robbie wacht eifersüchtig und herrisch über seine Schwester, vermutlich begründet aus einer tiefen Liebe. Auch Pepita, das jüngste Kind der Familie, verehrt Linda abgöttisch. Dieses innige Dreiergespann verändert sich jedoch, als Francis in ihr Leben tritt und die beiden älteren Geschwister sich in ihn verlieben.
Das ganz eigene des Romans ist jedoch das vierte Kind, die Erzählerin, über das man fast nichts erfährt. In der Familie ist sie mundfaul und bleibt unbemerkt, als Autorin hingegen ist sie überall und erzählt virtuos. Sie weiß mehr als man ihr zutrauen würde und schlüpft problemlos in alle Figuren. Allerdings wahrt sie eine große Distanz sowohl zu ihrer eigenen Person und den Ereignissen um sie herum als auch zu den anderen Familienmitgliedern. Durch den unbeteiligten Erzählton und die unpersönliche Erzählkonstruktion fällt es schwer, einen emotionalen Bezug herzustellen.
Erinnerungen spielen eine große Rolle im Roman. Zu Beginn werden sie als „unscharfe Filme, [...] Gehbehinderungen, Konzentrationsschwächen und Sprachfehler“ (S. 12) verspottet, doch dann werden die vergangenen Geschehnisse in gestochen scharfen Bildern ohne jegliche Erinnerungslücken wiedergegeben. Die Erzählerin weiß alles, sieht alles und verfügt über ein ungewöhnliches Detailwissen. Das Problem dabei ist eine Zuverlässigkeit des Erzählens, die man sich vielleicht gar nicht wünscht. Der Reiz eines unzuverlässigen Ich-Erzählers bestünde darin, dass dieser auf seine Erinnerungen angewiesen und darin auch bestechlich ist. Man wüsste, dass es sich um eine Perspektive handelt und viele andere möglich sind. Das würde die Komplexität und schließlich die Menge der Interpretationsmöglichkeiten erheblich erhöhen.
Malin Schwerdtfeger hat eine kreative Idee umgesetzt, aber damit einen unpersönlichen Roman geschrieben, der den Leser kaum fesselt. Trotz sehr ungewöhnlicher Charaktere und spektakulärer Begebenheiten ist die Familiensaga alles andere als mitreißend. Wirklich interessant ist lediglich der Aufbau und die Erzählperspektive des Romans. Der Anfang erläutert sich erst am Ende, woraufhin man das Buch am liebsten ein zweites Mal lesen würde. Dann mit einer korrigierten Sichtweise und einem größeren Hintergrundwissen.
Die Autorin Malin Schwerdtfeger wurde 1972 in Bremen geboren, lebt seit über zehn Jahren in Berlin und ist als Drehbuchautorin tätig. Zu einem ihrer Projekte gehörte unter anderem der Film „Savannah“ (Deutschland, 2003). Sie studierte Judaistik und Islamwissenschaft in Berlin und bringt ihr Wissen auf diesen Gebieten geschickt in den Roman „Delphi“ ein. Im Rahmen des Autorenwettbewerbs „LiteraTourNord 2004/2005“ stellt sie ihren neuesten Roman am 11. Januar 2005 in Lüneburg vor.
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- Arbeit zitieren
- Anonym,, 2005, Die Theorie der Erzählperspektive und ihre Anwendung auf den Roman Delphi von Malin Schwerdtfeger, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/49388
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