Was ist Rechtschreibung überhaupt? Wie entstand die deutsche Orthographie? Wie erlernen Kinder die Grundlagen der (Recht)Schreibung? Diesen Fragen soll im ersten Teil dieser Arbeit nachgegangen werden.
Im zweiten Teil geht es um die Groß- und Kleinschreibung. Dabei möchte ich mich auf die satzinterne Großschreibung beschränken. Es wird deutlich, dass dieser Aspekt seit je her eines der größten Probleme für Lerner darstellt und als Ursache für die meisten Fehler in der Rechtschreibung gilt. Nach einem historischen Abriss zur Entwicklung der Groß- und Kleinschreibung und der Darstellung der Problemlage sollen didaktische Ansätze zur Vermittlung der GKS vorgestellt werden. Anschließend wird dargestellt, wie der Duden die GKS erklärt, bevor ausgewählte Studien vorgestellt werden, die belegen, welchen Platz die GKS bei den Fehlern in der Rechtschreibung einnimmt.
Der dritte Teil behandelt die Getrennt- und Zusammenschreibung, die nach der GKS die zweitgrößte Fehlerquelle darstellt. Zunächst wird die Geschichte der Getrennt- und Zusammenschreibung aufgezeigt. Anschließend wird auf einen der größten Problembereiche innerhalb der GZS aufmerksam gemacht: die Nomen-Verb-Verbindungen. Es sollen Erklärungsansätze und Hilfestellungen zu bekannten Schwierigkeitsbereichen gegeben werden. Zuletzt wird den Fragen nachgegangen, wie Kinder die GZS erlernen und welchen Stellenwert diese in den Bildungsstandards des Landes Baden-Württemberg einnimmt. Dabei soll vergleichend auf die GKS zurückverwiesen werden.
Im vierten Teil soll auf die neuere graphematische Forschung eingegangen werden, die das deutsche (Recht)Schreibsystem aus einem anderen Blickwinkel beobachtet: Graphematischer Wandel, graphematische Silbe und graphematischer Fuß sind Schlagwörter, auf die ich mich berufen möchte.
In einer abschließenden Konklusion werden die Ergebnisse dieser Arbeit schließlich noch einmal zusammengefasst.
"Ein Hauptgrund für abgelehnte Bewerbungen sind die mangelnden Rechtschreibkenntnisse der Schulabgänger" (Praxis Deutsch Heft 170). Diese oder ähnliche Aussagen hört man immer öfter. Und tatsächlich: "Fehlerhaftes Schreiben trotz gebräuchlichen Wortschatzes zeigt sich bei […] fünfundzwanzig Prozent der erwerbsfähigen Bevölkerung, dies betrifft vor allem die Rechtschreibung" (Grotlüschen / Riekmann 2011:6). Wie unzulänglich die Rechtschreibung vieler Deutscher tatsächlich ist, wird einem bewusst, wenn man sich vertieft mit diesem Thema auseinandersetzt.
Inhaltsverzeichnis:
I. Einleitung
II. Aspekte der deutschen Rechtschreibung und die neuere graphematische Forschung
1. Allgemeines zur Orthographie
1.1 Grundlagen der deutschen Orthographie
1.2 Orthographieerwerb
2. Die Groß- und Kleinschreibung im Deutschen
2.1 Geschichte der Groß- und Kleinschreibung
2.2 Problemlage
2.3 Didaktik der Groß- und Kleinschreibung
2.4 Die Groß- und Kleinschreibung im Duden
2.5 Forschungslage
3. Die Getrennt- und Zusammenschreibung im Deutschen
3.1 Geschichte der Getrennt- und Zusammenschreibung
3.2 Problemlage bei Nomen-Verb-Verbindungen
3.3 Didaktische Überlegungen
4. Die neuere graphematische Forschung
4.1 Graphematischer Wandel
4.2 Graphematische Silbe
4.3 Graphematischer Fuß
III. Konklusion
IV. Bibliographie
I. Einleitung
„Ein Hauptgrund für abgelehnte Bewerbungen sind die mangelnden Rechtschreibkenntnisse der Schulabgänger” (Praxis Deutsch Heft 170). Diese oder ähnliche Aussagen hört man heute immer öfter. Und tatsächlich: „Fehlerhaftes Schreiben trotz gebräuchlichen Wortschatzes zeigt sich bei […] fünfundzwanzig Prozent der erwerbsfähigen Bevölkerung, dies betrifft vor allem die Rechtschreibung“ (Grotlüschen / Riekmann 2011:6). Wie unzulänglich die Rechtschreibung vieler Deutscher tatsächlich ist, wird einem wahrscheinlich erst bewusst, wenn man sich vertieft mit diesem Thema auseinandersetzt.
Was ist Rechtschreibung überhaupt? Wie entstand die deutsche Orthographie? Und wie erlernen Kinder die Grundlagen der (Recht)Schreibung? Diesen Fragen soll im ersten Teil dieser Arbeit nachgegangen werden, der sich mit der Orthographie im Allgemeinen, und dem deutschen Rechtschreibsystem im Besonderen beschäftigt.
Im zweiten Teil dieser Arbeit geht es um die Groß- und Kleinschreibung, die im Folgenden als GKS bezeichnet wird. Dabei möchte ich mich auf die satzinterne Großschreibung beschränken. Es wird deutlich, dass dieser Aspekt seit je her eines der größten Probleme für Lerner darstellt und als Ursache für die meisten Fehler in der Rechtschreibung gilt. Nach einem historischen Abriss zur Entwicklung der Groß- und Kleinschreibung und der Darstellung der Problemlage sollen didaktische Ansätze zur Vermittlung der GKS vorgestellt werden. Anschließend wird dargestellt, wie der Duden die GKS erklärt, bevor ausgewählte Studien vorgestellt werden, die belegen, welchen Platz die GKS bei den Fehlern in der Rechtschreibung einnimmt.
Der dritte Teil dieser Arbeit behandelt die Getrennt- und Zusammenschreibung, die im Folgenden als GZS bezeichnet wird und nach der GKS die zweitgrößte Fehlerquelle darstellt. Zunächst wird die Geschichte der Getrennt- und Zusammenschreibung aufgezeigt. Anschließend wird auf einen der größten Problembereiche innerhalb der GZS aufmerksam gemacht: die Nomen-Verb-Verbindungen. Es sollen Erklärungsansätze und Hilfestellungen zu bekannten Schwierigkeitsbereichen gegeben werden. Zuletzt wird den Fragen nachgegangen, wie Kinder die GZS erlernen und welchen Stellenwert diese in den Bildungsstandards des Landes Baden-Württemberg einnimmt. Dabei soll vergleichend auf die GKS zurückverwiesen werden.
Im vierten Teil dieser Arbeit soll schließlich auf die neuere graphematische Forschung eingegangen werden, die das deutsche (Recht)Schreibsystem aus einem ganz anderen Blickwinkel beobachtet: Graphematischer Wandel, graphematische Silbe und graphematischer Fuß sind die Schlagwörter, auf die ich mich hier berufen möchte. In einer kurzen Zusammenfassung ausgewählter Forschungsliteratur soll ein kleiner Einblick in dieses, zumindest für mich, neue spannende Forschungsfeld gewährt werden.
In einer abschließenden Konklusion werden die Ergebnisse dieser Arbeit schließlich noch einmal zusammengefasst.
II. Aspekte der deutschen Rechtschreibung und die neuere graphematische Forschung
1. Allgemeines zur Orthographie
Der Begriff ‚Orthographie’ stammt aus dem Griechischen, wo ‚ortho‘ gerade, aufrecht, richtig oder recht bedeutet und ‚graphie‘ für (Be)Schreibung steht. Bei den Griechen ist
„der Begriff orthographia seit dem 1. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung bezeugt und bezeichnet [...] sowohl die richtige Schreibweise eines Wortes als auch die wissenschaftliche Behandlung der Rechtschreibung. Die Beschäftigung mit Fragen der Orthographie beschränkte sich zunächst auf die klassische Dichtung der Griechen. Selbständige Darstellungen der Orthographie wurden verfasst, als die Diskrepanzen zwischen Schreibung und Lautung zunahmen.“ (Nerius / Scharnhorst, 1980:11)
Ursprünglich war die Grundfunktion von Schreibung nämlich die genaue Wiedergabe der Lautung, also die Aufzeichnung des Gesprochenen. Im Lauf der Zeit hat sich die deutsche Sprache jedoch weiterentwickelt, was nicht ohne Schwierigkeiten für die Schreiber vor sich ging. Während man sich zunächst auf eine Norm der geschriebenen Sprache festlegen musste, wurde diese durch häufige Veränderungen, z.B. aufgrund von Rechtschreibreformen, für die Schreiber immer schwieriger zu erlernen und korrekt zu produzieren. In welchen Bereichen Schwierigkeiten auftreten, soll im Folgenden dargelegt werden, bevor Theorien zum Orthographieerwerb vorgestellt werden.
.1.1 Grundlagen der deutschen Orthographie
Dieses Kapitel basiert, soweit nicht anders gekennzeichnet, auf den Ausführungen Jakob Ossners für den Deutschen Volkshochschul-Verband und soll die wichtigsten Grundlagen des deutschen Schriftsystems zusammenfassend darstellen.1
Man unterscheidet verschiedene Schrifttypen nach der Art und Weise, wie sie eine Bedeutung wiedergeben:
- Logographische Schriften (z.B. das Chinesische)
- Silbenschriften (z.B. Hiragana und Katakana im Japanischen)
- Alphabetische Schriften (z.B. das Deutsche)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Alphabetische und logographische Schriften
Quelle: Ossner 2010:21
Wie hier zu sehen ist, setzen logographische Schriften den Inhalt der zu bezeichnenden Wörter in der Schriftform um, d.h. für den Plural gibt es z.B. zwei identische Zeichen. Die Schwierigkeit einer Alphabetschrift im Vergleich zu einer logographischen Schrift ist es nun, dass die Lerner umdenken müssen: Anstatt sich auf Inhalte zu konzentrieren, müssen sie sich an Formen und deren Prinzipien in der jeweiligen Schrift orientieren. So ist es für Kinder zunächst schwierig zu verstehen, dass man kleine Tiere, wie Maus, Ameise etc. ebenso mit einem Großbuchstaben schreibt wie große Tiere, z.B. Elefant.
Der Schreiber hat nämlich die
„Erwartung, dass jedes geschriebene Zeichen einen Sinn haben müsse. Aber in einer alphabetischen Schrift werden graphische Zeichengestalten, die für sich nichts bedeuten, mit anderen organisiert und erst eine bestimmte Anordnung erhält eine Bedeutung. Das heißt, dass man in einer alphabetischen Schrift nicht durch Hinsehen etwas erkennen kann“ (Ossner / Deutscher Volkshochschul-Verband e.V .:19).
Eine alphabetische Schrift hat jedoch den Vorteil, dass sie das Schriftbild für den Lesenden gliedert. Dies geschieht im Deutschen z.B. durch die GKS, die GZS, die Interpunktion und andere, zugegebenermaßen für den Schreiber schwierig umzusetzende, schriftsprachliche Phänomene.
In der folgenden Darstellung wird deutlich, wie die deutsche Orthographie aufgebaut ist und welche Faktoren beim Schreiben eine Rolle spielen:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Der Aufbau der deutschen Orthographie
Quelle: Ossner 2010:63
Wie zu erkennen ist, orientiert sich das Schreiben am Lesen: Die Schrift sollte so gestaltet sein, dass sie von den Lesenden optimal aufgenommen werden kann.
„Das ist, so kann man sagen, die pragmatische Grundanlage der deutschen Graphie. Auf einer den Schreiber unterstützenden alphabetischen Basis wird diese auf verschiedenen Ebenen für den Leser optimiert. Man könnte auch sagen, dass sich in der jahrhundertelangen Entwicklung der deutschen (Ortho-)Graphie eine leserorientierte (Ortho-)Graphie herausgebildet hat“ (Ossner / Deutscher Voklshochschul-Verband:21).
In einer Alphabetschrift werden den Lauten einer Sprache (Phoneme) Buchstaben (Grapheme) zugeordnet, jedoch nicht immer im Verhältnis 1:1.
Diese sogenannte Phonem-Graphem-Korrespondenz ist im Deutschen teilweise besonders schwierig, da das Deutsche auf dem lateinischen Alphabet basiert, d.h. es gibt gar nicht für jedes (deutsche) Phonem ein entsprechendes (lateinisches) Graphem, oder andersherum, es gibt Doppelungen:
„Für den Laut /k/ haben wir gleich drei Buchstaben: <k> (Kamm), aber auch <c> (Clown), das aber auch den Lautwert /ts/ (die Stadt Celle) hat, und <q>, wenn die Lautfolge /kv/ ist, was grundsätzlich mit <qu> (Quelle) wiedergegeben wird. <ü> und <y> haben denselben Lautwert (die Stadt Ypern), aber vor Vokalen wird <y> auch als /ʝ/ (Yacht) wiedergegeben und <f> und <v> ist auch eine Doppelung für den Lautwert /f/, die wir nicht unbedingt bräuchten“ (Ossner / Deutscher Volkshochschul-Verband e.V.:20).
Hier schließt sich unmittelbar die Frage an, auf welcher Grundlage diese Zuordnung stattfindet. „Das alphabetische Prinzip des Deutschen fußt […] auf Silben […]. [Daher] zeigt sich schnell, dass es günstig ist, die Silben als Grundlage für die Zuordnung von Graphemen zu Phonemen zu nehmen“ (Ossner / Deutscher Volkshochschul-Verband e.V.:20f.). Auf diese Weise lässt sich z.B. auch erklären, warum /b/ in Bach als <b> wiedergegeben wird, während es in Ebbe als <bb> verschriftlicht wird. Unter Beachtung der Silbenbaugesetze des Deutschen, lässt sich so eine einigermaßen regelgeleitete Zuordnung von Graphemen zu Phonemen darstellen:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: Phonem-Graphem-Korrespondenz bei Konsonanten
Quelle: Ossner / Deutscher Volkshochschul-Verband e.V.:23
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 4: Phonem-Graphem-Korrespondenz bei Vokalen
Quelle: Ossner / Deutscher Volkshochschul-Verband e.V.:24
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 5: Phonem-Graphem-Korrespondenz bei Diphthongen
Quelle: Ossner / Deutscher Volkshochschulverband e.V.:24
Auf diesem Fundament der Phonem-Graphem-Korrespondenz wird dann modifizierend aufgebaut: Durch gemeinsame Wortmerkmale wird morphologische Zusammengehörigkeit angezeigt, Wörter werden zur Gliederung durch Spatien getrennt, großgeschriebene Wörter fungieren als Ankerpunkte im Text, Interpunktion gliedert den Text in Aussageeinheiten und eine durchdachte Worttrennung am Zeilenende gliedert den Text für das Auge (vgl. Ossner / Deutscher Volkshochschul-Verband e.V.:21). Da die phonographische Schreibung sowohl von silbischen als auch von morphologischen und syntaktischen Prinzipien überlagert wird, spricht man in Bezug auf das deutsche Schriftsystem von einem tiefen System:
„Das Schriftsystem des Deutschen ist ein relativ tiefes System, d.h. ein System, in dem die Graphem-Phonem-Beziehungen nicht nur von silbenstrukturellen, sondern auch von morphologischen Regularitäten überlagert werden“ (Dürrscheid 2002:139).
Was den Schwierigkeitsgrad angeht, kann das deutsche Schriftsystem zwischen dem spanischen und dem französischen eingeordnet werden:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 6: Tiefe der Schriftsysteme
Quelle: Fuhrhop 2008:12
Flache Schriftsysteme sind zwar leichter zu schreiben, aber
„die Morphemkonstanz hilft […], Wortformen als zusammengehörig zu erkennen, Morphemkonstanz ist also eine Hilfe für den Leser. Und so wird die Entwicklung des Schriftsystems durchaus gesehen: Von der Schreiberfreundlichkeit zur Leserfreundlichkeit“ (Furhop 2008:12).
Auch hier wird wieder deutlich, dass das deutsche Schriftsystem vor allem durch seine Besonderheiten und durch die vielen Reformen, die es erfahren hat, für viele Schreiber nur schwer zu meistern ist. Dennoch ist Fuhrhop (2008) der Überzeugung, „dass die Orthografie – insbesondere vor der Rechtschreibreform – ein durchaus gutes System war, das man lernen kann, wenn man es richtig vermittelt bekommt“ (Fuhrhop 2008:8). Auf welche Weise diese Vermittlung stattfinden sollte und wie Orthographie erlernt wird, soll im nächsten Kapitel dargestellt werden.
1.2 Orthographieerwerb
Im Folgenden sollen einige Theorien vorgestellt werden, die sich mit dem Orthographieerwerb beschäftigen. Diese Ausführungen basieren, soweit nicht anders gekennzeichnet, auf Sander (2006).
Aufgrund verschiedener Untersuchungen zum Lernprozess in Bezug auf den Orthographie-Erwerb unterscheidet man (mindestens) drei Entwicklungsphasen, die jedes Kind durchläuft und in der es verschiedene Strategien des Umgangs mit Schrift entwickelt: die logographemische, die alphabetische und die orthographische Phase.
„Die logographemische Strategie besteht darin, dass Lernende Schriftzeichen bzw. Wörter anhand prägnanter visueller Details und ihres Kontextes wiedererkennen. Sie verfügen noch nicht über Einblicke in Phonem-Graphem-Korrespondenzen [...]. Ein Übergang zur nächsten – also zur alphabetischen – Strategie erfolgt, wenn unbekannte Wörter bewältigt werden. [...] Mit Hilfe der alphabetischen Strategie können nun unbekannte Wörter geschrieben und erlesen werden. Die dritte, orthographische Strategie wird zuerst beim Lesen angewendet. Beim Lesen können Wörter in orthographisch bedeutsame Einheiten [...] aufgegliedert und somit ökonomisch erfasst werden. Erst allmählich wird die orthographische Strategie auch auf das Rechtschreiben angewandt“ (Vogt / Naumann 2005:5f.).
Während der logographemischen Phase, die von einigen Forschern auch als protoalphabetisch-phonetische Phase bezeichnet wird, „sind zunächst ‚rudimentäre Schreibungen‘ zu erkennen. Etwas fortgeschrittener sind die ‚Skelettschreibungen’, bei denen man schon ein Buchstabengerüst erkennen kann“ (Sander 2006:10).
In der alphabetischen Phase lernen Kinder dann,
„dass der Sprachfluss in Wörter unterteilt wird und diese wiederum in kleine Lauteinheiten zerlegt werden, die man durch Buchstaben darstellt. Beim Aufschreiben der gehörten Laute oder beim Lesen einfacher kurzer Wörter dominiert noch die Phonem-Graphem-Korrespondenz“ (Sander 2006:10).
Mit der orthographischen Phase wird „die gesamte Entwicklung der Lerner von der Fähigkeit zu einfachen Verschriftungen bis zur Bewältigung komplexer orthographischer Anforderungen“ (Thomé 1999:371) bezeichnet. Wegen der Vielfalt und Komplexität der implizierten linguistischen Regeln nimmt diese Phase einen längeren Zeitraum in Anspruch, „auch wenn sie in Ansätzen schon Kindern mit einem Lesealter von 7 Jahren verfügbar ist“ (Günther 1995:109).
Strübe (2009) stellt einige Modelle zum Schriftspracherwerb vor, die an dieser Stelle zwar erwähnt, jedoch nicht vertiefend dargestellt werden sollen. Grundsätzlich unterschiedet man zwischen phonographisch zentrierten und mehrperspektivisch orientierten Modellen. Phonographisch orientierte Modelle basieren auf lautanalytischen Fähigkeiten und Kenntnis der Graphem-Phonem-Korrespondenz. Hierzu gehören z.B. die Modelle von Dehn (1978, 1983, 1985), Eichler (1976, 1992), Spitta (1988), Valtin (1988, 2000), sowie Brügelmann und Brinkmann (1994). Mehrperspektivisch orientierte Modelle basieren auf der Wechselbeziehung von Lesen und Schreiben, sowie anderen Faktoren. Sie berücksichtigen „die wechselseitige Beeinflussung zwischen der Modalität des Lesens und der des Schreibens sowie – zumindest am Rande – das Ineinandergreifen von kognitiven, medialen und kommunikativen Bedingungen“ (Wolf 2000:303). In dieser gegenseitigen Einflussnahme liegt der Vorteil gegenüber den phonographischen Modellen, denn auf diese Weise kann eine Segmentierung in Worte, auch im frühen Schreibalter, zufriedenstellender erklärt werden als es phonographisch orientierte Modelle vermögen. Als Beispiele für mehrperspektivische Modelle wären hier hauptsächlich Frith (1986), Günther (1986) und Scheerer-Neumann (1987, 1993, 1998) zu nennen. Günthers Stufenmodell der Entwicklung kindlicher Lese- und Schreibstrategien ist dahingehend von Bedeutung, da es die enge Verbindung zwischen Lesen- und Schreibenlernen deutlich macht, die auch in modernen Ansätzen wie „Lesen durch Schreiben“ eine große Rolle spielt. Da hier jedoch nicht alle Modelle zur Entwicklung der (Recht)Schreibfähigkeit im Einzelnen erläutert werden können, soll die folgende Darstellung von Thomé die wichtigsten Modelle zusammenfassen:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 7: Synopsen Modell von acht Phasen zum Orthographieerwerb
Internetquelle: https://www.google.de/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=1&cad=rja&uact=8&ved=0ahUKEwi584WS0YPSAhXJshQKHdg4DjMQFggeMAA&url=http%3A%2F%2Fgroups.uni-paderborn.de%2Fdeutsch-treff%2Fdownload%2FJSB%2FLese-Rechtschreibschwaeche%2FSchreibentwicklungsmodelle%2520Referat.ppt&usg=AFQjCNFUlnTHkZdQA2_qCzLvlt5iCXWh6A&sig2=KKAHWyYn4NSMR5e9Mi1rYQ&bvm=bv.146496531,d.d24,
letzter Zugriff am 9.2.2017
Bei allen Modellen ist zu beachten, dass die Phasen sich nicht nahtlos gegenseitig ablösen. Vielmehr vermischen sich die Schreibungen und Strategien der verschiedenen Phasen für eine gewisse Zeit.
In den letzten Jahrzehnten hat ein radikales Umdenken in Bezug auf den Orthographieerwerb begonnen. Heute sieht man den Orthographieerwerb als eine eigenaktive Tätigkeit des Kindes, denn es ist erwiesen, dass die Anfänge des Schreibens bereits vor dem Eintritt in die Schule liegen. Das heißt, Kinder vollziehen den Schriftspracherwerb in gewissem Maße in Eigenregie, indem sie sich z.B. bei den Eltern abschauen, wie man schreibt und daraus Regeln ableiten (vgl. Sander 2006:11). Dass diese Regeln nicht einwandfreie Gültigkeit beanspruchen können, liegt auf der Hand. Hier gesteht man den Kindern jedoch mehr Freiraum zu, zumindest im außerschulischen Lernen, und Fehler werden nicht mehr nur als ein Mangel angesehen, der so schnell wie möglich beseitigt werden muss:
„Für die neue Fehlersicht wird wieder auf den seit Kern verwendeten Begriff des ‚Rechtschreibirrtums’ zurückgegriffen, mit dem nun aber im Gegensatz zum Rechtschreibfehler eine im Grundsatz richtige sprachanalytische Tätigkeit des Kindes bezeichnet wird.“ (Ossner, 2003:364)
Friedrich (1996) beklagt, dass „in Lehrprogrammen immer noch nahezu vollständige Listen von Rechtschreibfällen als Ziele vorgeschrieben [sind und] Lehrer(innen) im Unterricht nach wie vor Forderungen nach absoluter Rechtschreibsicherheit [ergeben]“ (Friedrich 1996:1254). Bredel / Röber (2015) sprechen sich ebenfalls gegen das sture Auswendiglernen von Listen aus. Jedoch fordern sie nicht, wie andere, „eine gewisse Toleranz, besonders bei Spezialfragen“ (Sander 2006:12). Stattdessen machen sie auf ein Grundproblem des Rechtschreibunterrichts an den Schulen aufmerksam:
„Noch immer wird der Schriftspracherwerb als zweischrittiger Prozess modelliert, ohne dass die Widersprüchlichkeit zwischen den beiden Teilen in ihren Auswirkungen auf das Lernen gesehen wird: In einem ersten Zugriff wird angestrebt, Laut-Buchstaben-Beziehungen aufzubauen. Die Fehler, die die Kinder beim Schreiben von Wörtern oder Sätzen machen (z. B. fehlende Wortzwischenräume, unzulänglicher Gebrauch der orthographischen Markierungen) müssen daher toleriert werden, weil nach dieser Instruktion empirisch nachweislich unbezweifelbar keine Richtigschreibung zu erwarten ist […]. In einem zweiten Schritt, beginnend mit dem 2., verstärkt dann ab dem 3. Schuljahr wird die Produktion orthographischer Schreibungen erwartet. Mit der Fehlertoleranz ist es nun vorbei. Jedoch auch hier fehlt eine Hinführung zu einem systematischen Lernen, das das Entdecken der orthographischen Regularitäten durch die Kinder initiiert bzw. stützt “ (Bredel / Röber 2015:4).
Hier wird bereits das systematische Lernen angesprochen, das viele Forscher als unabdingbar für den Rechtschreibunterricht sehen. Statt Merksätze und Ausnahmen auswendig zu lernen, muss ein generelles Wissen über (Schrift)Sprache vermittelt werden.
„Dafür ist es notwendig, im Rechtschreibunterricht eine Fehlersensibilität, ein Gespür für Entscheidungsprozesse zu entwickeln. Dies erfordert neben einem gewissen Maß an Sprachbewusstheit zugleich spezifisches deklaratives Wissen (z.B. Wissen um schriftsprachliche Regelmäßigkeiten […]), prozedurales Wissen (Handlungswissen) sowie strategisches Wissen (Problemlösungsstrategien). Die Schülerinnen und Schüler sollen folglich im Kontext von Sachkompetenz grundlegende Arbeitstechniken, - verfahren und Lernstrategien im Sinn einer Methodenkompetenz ausbilden können, die sie in die Lage versetzt, selbständig und effektiv – durchaus auf unterschiedliche Weise – geschriebene Sprache (die Schreibung eines Wortes im Satz/Text) herzuleiten bzw. zu recherchieren“ (Hanke 2003:16).
Dass die Sachkompetenz im Bereich der Rechtschreibung noch sehr ausbaufähig ist, zeigen sämtliche Untersuchungen, bei denen im Besonderen die GKS einen Hauptanteil an der Fehlerverteilung hat. Im nächsten Teil dieser Arbeit werden daher einige Aspekte der (satzinternen) GKS im Deutschen behandelt.
2. Die Groß- und Kleinschreibung im Deutschen
In diesem Teil der Arbeit beschäftige ich mich mit der GKS, wobei das Hauptaugenmerk auf der satzinternen Großschreibung liegt. “Die satzinterne Großschreibung unterscheidet das Deutsche von allen anderen alphabetisch verschrifteten Sprachen“ (Günther / Nünke 2005:40), was das Erlernen der GKS, besonders für Nichtmuttersprachler, erschwert. Bleibt die Frage: Warum gibt es im Deutschen diese besondere Art der Großschreibung, wenn sie offensichtlich schwierig zu erlernen ist und eine solch große Fehlerquelle darstellt? Fuhrhop (2008) begründet die satzinterne Großschreibung folgendermaßen:
„Uns ist bewusst, dass wir im Deutschen dazu neigen, sehr komplexe Nominalgruppen zu bilden, Satzanfänge wie nach den Problemen wegen der Immobilienkredit-Krise in den USA (NWZ vom 27.11.2007). Und bei komplexen Nominalgruppen ist es sehr von Vorteil, wenn wir die möglichen Kerne – und das sind die Substantive– direkt erkennen, wir erfassen die grammatische Struktur sehr viel schneller (Fuhrhop 2008:16).
Orthographie hat stets zwei Funktionen: In der Aufzeichnungsfunktion werden gedankliche oder gesprochene Inhalte in eine schriftliche Form überführt, was im Interesse des Schreibenden ist. In der Erfassungsfunktion hingegen überführt die Orthographie einen geschriebenen Text in Gedankliches bzw. Gesprochenes. Dies geschieht ganz im Interesse des Lesenden (vgl. Ewald / Nerius 1988:11). Hier wird deutlich, dass die satzinterne Großschreibung vor allem der Leserfreundlichkeit dient: „Die Großbuchstaben sind ein spezifisches graphisches Mittel zur besseren Erfassbarkeit des Textes durch den Lesenden. Sie stehen ganz im Dienste der Erfassungsfunktion“ (Ewald / Nerius 1988: 11). Natürlich kann die Verteilung der Großbuchstaben nicht willkürlich erfolgen, auch wenn es auf Lerner vielleicht oft diesen Eindruck macht. Es gibt feste Regeln, nach denen die satzinterne Großschreibung erfolgt:
„Die spezifische Verwendung bzw. Kombination von Klein- und Großbuchstaben ist ein Teil der Orthographie und unterliegt der gleichen, relativ festen Regelung, wie die anderen Teile der Orthographie […] Diese Regeln unternehmen den Versuch, den Anwendungsbereich der Groß- und Kleinschreibung möglichst exakt festzulegen und eine möglichst klare Grenze zwischen Normentsprechung und Normabweichung zu ziehen, wobei man bemüht ist, die Zahl der Varianten bzw. Schwankungsfälle relativ klein zu halten“ (Ewald / Nerius 1988: 9f.).
Im Folgenden sollen ausgewählte Aspekte der satzinternen Großschreibung vorgestellt werden, wobei der Fokus auf Geschichte, Didaktik und Forschungslage liegt.
2.3 Geschichte der Groß- und Kleinschreibung
Zunächst soll dargestellt werden, wie sich die GKS, und vor allem die satzinterne Großschreibung, im Deutschen entwickelt hat. Diese Ausführungen basieren, soweit nicht anders gekennzeichnet auf Ewald / Nerius (1988) und Fuhrhop (2008).
In der Antike und im frühen Mittelalter herrschte eine Majuskelschrift vor (Majuskel = Großbuchstabe). Diese sogenannte Kapitalis basierte auf einem Zweilinienschema, d.h. alle Buchstaben innerhalb eines Textes hatten die selbe Höhe, ausgenommen Verzierungen:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 8: Kapitalis,
Internetquelle: http://www.hist-hh.uni-bamberg.de/hilfswiss/paleogrdoku2.html,
letzter Zugriff am 1.2.2017
Diese Majuskelschrift erwies sich jedoch für den täglichen Gebrauch als unzulänglich, d.h. es kam „allmählich zu einer zunehmenden Differenzierung der Majuskelschrift durch Unter- und Oberlängen und es vollzog sich ein Übergang aus einem Zweiliniensystem in ein Vierliniensystem“ (Ewald / Nerius 1988:11). Einen Vergleich der beiden Systeme zeigt die folgende Abbildung:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 9: Zweiliniensystem und Vierliniensystem,
Internetquelle: http://www.hist-hh.uni-bamberg.de/hilfswiss/schriftarten.html,
letzter Zugriff am 1.2.2017
Diese sogenannten Minuskelschriften (Minuskel = Kleinbuchstabe) wiesen den Buchstaben nun also Unter- und Oberlängen zu. Die bekannteste Minuskelschrift ist die Karolingische Minuskel, die am Hof Karls des Großen geschaffen und „die bis zum Ende des 1. Jahrtausends zur vorherrschenden Schriftform in vielen europäischen Sprachen wurde“ (Ewald / Nerius 1988:12):
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 10: Karolingische Minuskel,
Internetquelle: http://www.hist-hh.uni-bamberg.de/hilfswiss/paleogrdoku4.html,
letzter Zugriff am 1.2.2017
So entwickelten sich zwischen dem siebten und neunten Jahrhundert eine Reihe von Minuskelschriften, die ausschließlich aus Kleinbuchstaben bestanden.
„Nachdem sich so die Verhältnisse im Laufe der Zeit gewissermaßen umgekehrt hatten, wurden nun in die Minuskelschrift in zunehmendem Maße Buchstaben der alten Majuskelschrift als Großbuchstaben aufgenommen, und zwar zur speziellen Kennzeichnung besonderer Stellen im geschriebenen Text“ (Ewald / Nerius 1988:12).
Bereits im Althochdeutschen etablierte sich allmählich der Gebrauch der Großbuchstaben für die Anfänge eines Textes, einer Strophe, eines Verses oder eines Satzes, wobei die Großbuchstaben an dieser Stelle hauptsächlich schmückend wirkten. Die Großschreibung im Satzinneren vollzieht sich, von einigen früheren Ausnahmen abgesehen, hauptsächlich im 16. Jahrhundert und zwar anhand folgender Grundsätze: Groß geschrieben werden Wörter,
„die inhaltlich bedeutsam erscheinen, die betont und beim Vorlesen hervorgehoben werden sollen, wobei keine Bindung an eine bestimmte Wortart besteht […]. Der zweite Grundsatz betrifft die Großschreibung der Eigennamen, zunächst vor allem Personennamen […]. Der dritte Grundsatz schließlich besteht in der Verwendung der Großbuchstaben als Kennzeichen der Respektbekundung, Ehrerbietung oder Höflichkeit“ (Ewald / Nerius 1988:15f.).
Die Kategorie der inhaltlich bedeutsamen Wörter, die der Hervorhebung bedurften, war jedoch nicht streng festgelegt, sodass die Großbuchstaben immernoch relativ willkürlich eingesetzt wurden:
„Mit Majuskeln wurden zunächst alle möglichen Dinge ausgezeichnet: Titel, Überschriften, Wichtiges, Ehrerbietiges, Göttliches, Ästhetisches usw. Dabei ging man relativ rasch von der Auszeichnung ganzer Wörter, Satzteile oder Sätze dazu über, innerhalb eines Satzes nur den Wortanfang (den Initialbuchstaben) großzuschreiben“ (Günther / Nünke 2005:41).
Im 16. Jahrhundert verbreitete sich der Gebrauch der satzinternen Großschreibung zunehmend und in dieser Zeit wurde dann auch die Substantivgroßschreibung entwickelt, was sich anhand zweier Luther-Bibeln aus den Jahren 1534 und 1545 nachvollziehen lässt:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 11: Luther Bibel aus dem Jahr 1534,
Quelle: Fuhrhop 2008:13
Wie zu sehen ist, wird 1534 die Großschreibung noch relativ beschränkt verwendet, nämlich für die Wörter Gott, Geist Gottes, Benennungen („und nennet das liecht /Tag/ und die finsternis /Nacht/“) und Satzanfänge. Dabei ist die Anfangsgroßschreibung jedoch nicht durch Satzzeichen, sondern durch die syntaktische Struktur bestimmt (vgl. Fuhrhop 2008:13). In den darauffolgenden Jahren hat sich das System der Großschreibung weiterentwickelt, hin zu einer vermehrten Substantivgroßschreibung, wie in folgender Abbildung deutlich wird:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 12: Luther Bibel aus dem Jahr 1541
Quelle: Fuhrhop 2008:14
In der Luther Bibel von 1545 wird also bereits fast alles großgeschrieben, was heutzutage ebenfalls der Großschreibung unterliegt. Auffallend ist hier die alternierende Schreibung von „Liecht – liecht“ und „Finsternis – finsternis“. Fuhrhop erklärt die Kleinschreibung der Wörter in diesem Zusammenhang folgendermaßen:
„Ausnahmen sind liecht und finsternis, aber nicht grundsätzlich, sondern nur an der Stelle der Benennung. Diese Stelle war 1534 genau durch Großschreibung gekennzeichnet, der Wechsel zwischen Groß- und Kleinschreibung verdeutlicht den Akt der Benennung“ (Fuhrhop 2008: 14).
Die zunehmende Substantivgroßschreibung in den Luther Bibeln kann jedoch noch nicht als Indiz für eine generelle Substantivgroßschreibung in Deutschland gesehen werden, da diese weder zeitlich noch regional einheitlich verlief:
„Während beispielsweise in den Wittenberger Bibeldrucken die Substantivgroßschreibung tendenziell schon um die Mitte des 16. Jahrhunderts durchgeführt wird, weisen Schriften aus dem Süden und Westen des deutschen Sprachgebiets […] eine solche Regelung zu dieser Zeit noch nicht oder nur in Ansätzen auf“ (Ewald / Nerius 1988:16f.).
Erst Ende des 17. Jahrhunderts kann man von einer generellen Großschreibung der Substantive im Deutschen ausgehen (vgl. Mentrup 1980:284). Die Entwicklung der Substantivgroßschreibung vollzog sich nicht nur zeitlich über einen längeren Zeitraum, sondern unterlag auch inhaltlichen Abstufungen.
So wurden nicht plötzlich alle Substantive großgeschrieben, sondern sie wurden in Kategorien zusammengefasst, welche nach und nach der Großschreibung zugeordnet wurden:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 13: Zur Inflation der Großschreibung im 16./17. Jahrhundert und zu den Versuchen der „Grammatiker“, diese Praxis begreiflich zu fassen
Quelle: Röber-Siekmeyer 1999:53
Die Frage bleibt: Warum hat sich eine satzinterne Großschreibung entwickelt und warum wurde diese im Deutschen bis heute beibehalten, während sie in anderen Ländern wieder abgeschafft wurde?
Als Ursache für die satzinterne Großschreibung kann das Bestreben, Texte durch ihre Form besser lesbar zu machen, genannt werden. Mit der Erfindung des Buchdrucks stieg die Nachfrage an Büchern, aber gerade diejenigen, deren Lesefähigkeit nicht so gut entwickelt war, hatten Schwierigkeiten, die Texte zu erfassen. Daher beschlossen die Buchdrucker, die Texte zu gliedern, indem sie bestimmte Wörter großschrieben, um dadurch den Leseprozess zu erleichtern. Auf die Frage, warum er beim Buchdruck Großbuchstaben im Satz einsetze, antwortete ein Setzer: „es seye der teutschen Sprach ein zierd/ vnd könne es der einfältige desto besser verstehen“ (Hagemann 1880:127). Es standen also die Aspekte besseres Verständnis und schönes Aussehen im Vordergrund. Diese Motivation bereitete vor allem den Grammatikern der Zeit Schwierigkeiten, die versuchten, Regeln zu formulieren, nach denen man entsprechend der Normen, die in den Texten vorherrschen, schreiben kann. Es war nämlich nicht so, dass die Grammatiker Regeln entworfen haben, nach denen die Buchdrucker dann ihre Bücher druckten. Im Gegenteil: „Sie haben diesen Prozess […] nicht ausgelöst, sondern eher zögernd den meist bei Druckern schon konsequent üblichen Gebrauch in Regeln gefasst und zu seiner Verbreitung beigetragen“ (von Polenz 1994:247).
Das gestaltete sich insofern als schwierig, als dass die Grammatiker in sämtlichen Texten verglichen, was großgeschrieben wurde, und anschließend daraus Regeln abzuleiten versuchten.
„Dabei erkannten sie das […] syntaktisch strukturierende Prinzip der Großschreibung aber nicht, sondern versuchten, sie an bestimmte Wortfelder zu binden […] Da eine solche Bindung der satzinternen Großschreibung an den Inhalt bestimmter Wörter jedoch nicht der Praxis der Buchdrucker entsprach, mussten die Grammatiker ihre Regeln immer weiter modifizieren und dem tatsächlichen Schriftgebrauch anpassen“ (Günther / Nünke 2005:42).
Hier gehen die Intentionen der Buchdrucker und der Grammatiker also weit auseinander: Während erstere die Großschreibung als Mittel zur (syntaktischen) Textgliederung einsetzten, um bessere Lesbarkeit zu garantieren, versuchten letztere unbedingt die (wortartbezogenen) Regeln dahinter zu erkennen. Dies führte zu der irreführenden Vermutung, dass „alle Substantiva und was an derer statt gebrauchet wird“ (Hagemann 1880:134) großgeschrieben werden. Inwiefern diese Vermutung bis heute verheerende Folgen hat, soll im Folgenden dargestellt werden.
2.2 Problemlage
Dieses Kapitel soll kurz auf das Hauptproblem der GKS aufmerksam machen, bevor die Diskussion darüber in den anschließenden Kapiteln vertieft wird. Die Ausführungen beruhen, soweit nicht anders gekennzeichnet auf Röber (1999).
Statistische Erhebungen zur Fehlerhäufigkeit in deutschen Schülertexten belegen einen sehr hohen Anteil der GKS Fehler an der Gesamtfehlerzahl:2
- Riehme (1975): 4. – 10. Klassen: 20,6%
- Kluge (1989): 4. – 6. Klassen: 25-30%
- Friedrich (1991): 6. – 10. Klassen: 17%
- Eisenberg/Spitta/Vogt (1994): 4. Klassen: 25%
Diese erschreckend hohen Zahlen belegen, dass die GKS ein „notorisch sensible[s] Gebiet der Schriftaneignung [ist]“ (Röber-Siekmeyer 1999:9). Das Problem sieht Röber-Siekmeyer (1999) hauptsächlich in der Vermittlung der GKS.
Wie im vorangegangenen Kapitel dargestellt wurde, entstanden die Probleme bereits bei der Regelfindung, da Drucker und Grammatiker ganz andere Intentionen hatten und dementsprechend anderen Ideen folgten. Das Resultat lässt sich nun im schulischen Unterricht beobachten: Meist wird versucht, den Schülern die GKS nach der Art und Weise der Grammatiker beizubringen. Diese Methode ist jedoch zum Scheitern verurteilt, wie in Kapitel 2.3.1 gezeigt wird. Schüler haben in der Regel ein inneres orthographisches Wissen, denn
„sie haben durch den Umgang mit Schrift ein Regelwissen erworben und automatisiert, das ihnen ermöglicht, orthographisch korrekt zu schreiben. Sie haben das Rechtschreibwissen ohne eindeutige Anleitungen im Unterricht, teilweise entgegen den Darstellungen des Unterrichts erworben“ (Röber-Siekmeyer 1999:22).
Dieses Rechtschreib-Gefühl erlaubt Schülern oft, ohne explizite Anleitung von außen, korrekt zu schreiben. Zu einem Problem wird es jedoch, wenn diese Gegebenheit von den Lehrern nicht angenommen bzw. unterstützt wird. Stattdessen versuchen viele Lehrer und Schulbuchautoren, den Schülern dieses Sprachgefühl zu nehmen und es durch ein Regelwissen zu ersetzen, das jedoch nicht immer zum Erfolg führt. Auf die Schüler wirkt sich das höchst verwirrend und frustrierend aus. Verheerende psychische Folgen können entstehen,
„wenn Schülern suggeriert wird, die Ziele des Unterrichts seien mit den Mitteln erreichbar, die er ihnen anbietet, sie aber erleben müssen, dass das nicht zutrifft. Die Ursachen für die Erfolglosigkeit werden von diesen Schülern nicht im Unterricht, sondern in der eigenen Person, in dem subjektiven Mangel an Fähigkeiten gesehen“ (Röber-Siekmeyer 1999:23).
Um Frustration, Unsicherheit oder vielleicht sogar Versagensängste zu vermeiden, sollte im Unterricht auf das bereits erworbene Wissen und Sprachgefühl der Kinder aufgebaut werden, um dieses zu stärken und zu erweitern.
„Wichtig für den Lernerfolg im Unterricht ist es, dass gerade der Eintritt in die Schrift für die Kinder didaktisch so gestaltet wird, dass damit die bereits erworbene Basis, die beim Spracherwerb aufgebaut wurde, für weitere Lernprozesse genutzt, stabilisiert und ausgebaut wird und dass die implizite Theorie, die Kinder mit dem Beginn des Schreibens aufbauen, eine Geltung für alle folgenden Lernprozesse haben“ (Bredel / Röber 2015:3).
Mit welchen Schwierigkeiten und Didaktiker zu kämpfen haben, nach welchen Ansätzen die GKS erfolgreich (oder weniger erfolgreich) in den Schulden vermittelt wird und wie die Schulbücher die GKS darstellen, soll im nächsten Kapitel erläutert werden.
2.3 Didaktik der Groß- und Kleinschreibung
Eine weitverbreitete Regel zur Groß- und Kleinschreibung lautet, „dass Substantive groß-[und] Verben und Adjektive kleingeschrieben werden und dass Substantive daran zu erkennen seien, dass man einen Artikel vor sie setzen könne“ (Röber-Siekmeyer 1999:13). So oder so ähnlich haben das sicher die meisten in der Grundschule gelernt. In der Tat gibt es Spezialisten, die nahelegen:
„In der Grundschule reicht es vollkommen aus, die Großschreibung der echten Substantive zu lehren […]. Bei der Erarbeitung der Wortart Substantiv muss am Anfang keine linguistisch einwandfreie Lösung stehen. „Gegenstände oder das, was man anfassen kann“ sind durchaus brauchbare Hinführungen“ (Augst / Dehn 1998:173).
Dieser Ansatz widerspricht jedoch dem didaktischen Prinzip der Grundschule, generell gültiges Wissen zu vermitteln. Als Verteidigung dieser eher schwammig formulierten Regel in der Grundschule wird oft herangezogen, dass die Groß- und Kleinschreibung „schwerpunktmäßig“ erst ab Klasse 5/6 thematisiert werden könne (vgl. Augst / Dehn 1998:283). Dem widerspricht Röber-Siekmeyer (1999) jedoch ganz eindeutig, wenn sie behauptet,
„dass bereits Zweitklässler in der Lage sind, grammatische Leistungen zu vollbringen. Dieses Vermögen setzt natürlich eine unterrichtliche Anleitung voraus, die ihren Lernformen entspricht und die in sich widerspruchslos ist. Das ist nicht bei der Verknüpfung der Großschreibung mit Wortarten gegeben. Weder können Zweit- und alle Dritt- und Viertklässler Wörter nach Wortarten kategorisieren, noch lässt sich die Großschreibung widerspruchslos an die Wortart Substantiv binden“ (Röber-Siekmeyer 1999:11).
Hier wird der Widerspruch betont, der sich ergibt, wenn die GKS anhand eines wortartenbezogenen oder lexikalischen Ansatzes unterrichtet wird. Als Alternative zu diesem lexikalischen Ansatz schlägt Röber-Siekmeyer (1999) einen syntaktischen Ansatz vor, der erfolgsversprechender ist, weil er auf natürlichem Vorwissen aufbaut.
„Der Didaktik muss es gelingen, die Strukturen der Sache zu präsentieren, die die Kinder in ihren bisherigen Begegnungen mit ihr bereits vorbewusst erfahren haben [und] den Kindern [zu] ermöglichen, Vorbewusstes zu reflektieren und zu gliedern, um es als Wissen für weiteres Lernen nutzen zu können“ (Röber-Siekmeyer 1999: 22).
In den folgenden zwei Teilkapiteln werden beide didaktischen Ansätze vorgestellt. Diese Ausführungen basieren, soweit nicht anders gekennzeichnet, auf Röber-Siekmeyer (1999).
...
1 Vgl. Ossner, Jakob / Deutscher Volkshochschul-Verband e.V.: Grundlagen der deutschen Orthographie, Internetquelle: http://grundbildung.de/fileadmin/content/03Materialien/Schreiben/Rahmencurriculum/Rahmencurriculum_Schreiben_Jakob_Ossner_Grundlagen_der_deutschen_Orthographie.pdf, letzter Zugriff am 9.2.2017.
2 Vgl. Röber-Siekmeyer 1999:9. Auf diese Untersuchungen wird hier nicht näher eingegangen. Mehr zur Forschungslage in Kapitel 2.5 dieser Arbeit.
- Citar trabajo
- Kathrin Vogler (Autor), 2017, Aspekte der deutschen Rechtschreibung und die neuere graphematische Forschung, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/492889
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