Die Europäische Union (EU) ist inzwischen weit mehr als eine internationale Organisation. Mit dem Maastrichter Vertrag von 1992 wurden die Kompetenzen der damaligen Wirtschaftsgemeinschaft auf die Pfeiler „Inneres und Justiz“ und „Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik“ ausgeweitet. Doch je mehr Politikfelder in die EU integriert werden, desto häufiger berührt sie das Leben jedes einzelnen Bürgers, und desto demokratischer sollte sie organisiert sein. Mit dem europäischen Verfassungsvertrag ist ein wichtiger Meilenstein, um diesen Mangel zu beheben, bekanntlich vorerst gescheitert.
Die Forschung zum Demokratiedefizit der EU hat inzwischen eine jahrzehntelange Tradition und ist in ihren Ergebnissen bereits weit fortgeschritten. In vielen Aufsätzen zu diesem Thema werden auch Ansätze zur Lösung dieses Problems präsentiert; selten oder nur sehr verkürzt kommen dabei plebiszitäre Elemente zur Sprache.
Diese Hausarbeit soll erörtern, inwieweit das Demokratiedefizit der Europäischen Union durch Elemente direkter Demokratie behoben oder zumindest gemildert werden kann. Dazu soll in einem ersten Abschnitt aufgezeigt werden, wie sich das Demokratieproblem auf europäischer Ebene darstellt; auch weniger pessimistische Argumente zur inneren Demokratie der EU sollen vorgestellt werden. Anschließend möchte ich in einem eher theoretischen Teil Möglichkeiten und Risiken der direkten Demokratie aufzeigen, um diese schließlich auf die Europäische Union zu übertragen. Am Ende sollen die gewonnenen Erkenntnisse in einem Resümee zusammengefasst werden.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Das Demokratiedefizit der Europäischen Union
2.1 Legitimität der Organe der EU
2.2 Legitimität der EU als Gesamtsystem
2.3 Gegenposition: die Demokratiethese der EU
3. Theorien direkter Demokratie
3.1 Vor- und Nachteile unmittelbarer Entscheidungsverfahren
3.2 Die Wirkung direkter Demokratie am Beispiel der Schweiz
4. Direkte Demokratie auf europäischer Ebene: Vor- und Nachteile
4.1 Nationale Referenden zu europäischen Themen
4.2 Europaweite Referenden
4.3 Regionales und Sektorales Veto
4.4 Welche Themen eignen sich für Plebiszite?
5. Fazit
6. Literatur
1. Einleitung
Die Europäische Union (EU) ist inzwischen weit mehr als eine internationale Organisation. Mit dem Maastrichter Vertrag von 1992 wurden die Kompetenzen der damaligen Wirtschaftsgemeinschaft auf die Pfeiler „Inneres und Justiz“ und „Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik“ ausgeweitet. Doch je mehr Politikfelder in die EU integriert werden, desto häufiger berührt sie das Leben jedes einzelnen Bürgers, und desto demokratischer sollte sie organisiert sein. Mit dem europäischen Verfassungsvertrag ist ein wichtiger Meilenstein, um diesen Mangel zu beheben, bekanntlich vorerst gescheitert.
Die Forschung zum Demokratiedefizit der EU hat inzwischen eine jahrzehntelange Tradition und ist in ihren Ergebnissen bereits weit fortgeschritten. In vielen Aufsätzen zu diesem Thema werden auch Ansätze zur Lösung dieses Problems präsentiert; selten oder nur sehr verkürzt kommen dabei plebiszitäre Elemente zur Sprache.
Diese Hausarbeit soll erörtern, inwieweit das Demokratiedefizit der Europäischen Union durch Elemente direkter Demokratie behoben oder zumindest gemildert werden kann. Dazu soll in einem ersten Abschnitt aufgezeigt werden, wie sich das Demokratieproblem auf europäischer Ebene darstellt; auch weniger pessimistische Argumente zur inneren Demokratie der EU sollen vorgestellt werden. Anschließend möchte ich in einem eher theoretischen Teil Möglichkeiten und Risiken der direkten Demokratie aufzeigen, um diese schließlich auf die Europäische Union zu übertragen. Am Ende sollen die gewonnenen Erkenntnisse in einem Resümee zusammengefasst werden.
2. Das Demokratiedefizit der Europäischen Union
Die Europäische Gemeinschaft, und später die EU, ist dem Demokratieprinzip verpflichtet. In der Einheitlichen Europäischen Akte von 1986 bekannten sich die Staaten der EG zu den Grundrechten Freiheit, Gleichheit und soziale Gerechtigkeit.[1] Je weiter die europäische Integration nach dem zweiten Weltkrieg fortschritt und die Europäische Gemeinschaft/Europäische Union die Politik ihrer Mitgliedstaaten immer mehr beeinflusste, desto dringlicher wurde jedoch die Frage, wie man die Politik der Europäischen Union an sich auf eine demokratische Basis stellen kann. Dabei ist zu prüfen, ob die Unionsbürger in der Lage sind, ihren Willen und ihre Interessen zu formulieren, und ob andererseits die Organe der EU nach dem Willen der Bevölkerung regieren.[2] Denn das Wesen der Demokratie besteht darin, „dass jegliche Äußerungsform öffentlicher Gewalt auf eine konkrete Willensentscheidung des Volkes zurückgeführt werden kann.“[3] Um sich der Frage nach der Legitimierung der EU zu nähern, ist es sinnvoll, ihre einzelnen Organe nach deren demokratischer Grundlage zu untersuchen. Aber auch die generelle Frage nach Legitimation von supranationalen Organisationen soll gestellt werden.
2.1 Legitimität der Organe der EU
Das Grundproblem der Demokratie in der EU ist dadurch zustande gekommen, dass Hoheitsrechte von den Staaten auf die Union übertragen wurden und nun von Organen ausgeübt werden, die nicht bzw. kaum vom Bürger legitimiert sind.[4] Bedeutsame und nachhaltige politische Entscheidungen wurden so der Kontrolle von nationalen Parlamenten als eindeutig legitimierten Institutionen entzogen.[5]
Am problematischsten sehe ich die Legitimation von Kommission und mit Abstrichen - weil er als unabhängige Behörde fungieren soll - dem Europäischen Gerichtshof. Die „Legitimationskette“ ist bei beiden Organen sehr lang, weil ihre Mitglieder von den nationalen Regierungen berufen werden, die wiederum demokratisch gewählt wurden. Der Konflikt dabei ist, dass die nationalen Wahlkämpfe nicht vordringlich auf europäische Probleme ausgerichtet sind, dass also die Berufung in die EU-Organe für den einzelnen Wähler keine Rolle spielt. Der Kommissionspräsident wird weder direkt noch indirekt von den EU-Bürgern gewählt. Die Besetzung der Positionen in Kommission und Europäischem Gerichtshof sind sehr intransparent, die EU-Bürger spielen dabei fast keine Rolle.[6]
Auch die Mitglieder des Rates werden qua Amtseinführung in ihr Ministeramt von nationalen Parlamenten in ihr europäisches Amt delegiert. Diese können dann sogar Entscheidungen gegen den Willen des Europäischen Parlamentes als einzigem direkt gewähltem Organ beschließen. Im Ministerrat befindet sich noch eine weitere demokratietheoretische Schwachstelle: Solange das Einstimmigkeitsprinzip gilt, kann der Minister eines kleinen Mitgliedstaates ein Gesetz blockieren, obwohl es sich möglicherweise um den kollektiven Willen aller anderen Minister und Länder handelt.[7] Und sollte es im Ministerrat künftig zu Mehrheitsentscheidungen kommen, wäre die Übertragung von Legitimität durch die Mitgliedstaaten auf die EU-Organe bei Minderheiten in den Abstimmungen unterbrochen, da die kollektive Verantwortung aller Regierungen für Entscheidungen der EU nicht mehr gegeben wäre.[8]
Das Europäische Parlament wird zwar direkt von den EU-Bürgern gewählt, besitzt also eine eigene demokratische Legitimation, hat aber nur sehr begrenzten Einfluss auf die Gesetzgebung. Dies spiegelt sich auch auf die Wahlbeteiligung bei den Parlamentswahlen wider. An die Stärkung der Kompetenzen des Europäischen Parlamentes richten sich die meisten Konzepte zur Behebung des Demokratiedefizits aus.[9] Die Erhebung des Europäischen Parlamentes zum höchsten Gesetzgebungsorgan würde aber mit anderen Problemen einhergehen: sie würde die Rolle der Nationalstaaten und ihrer Parlamente untergraben. Um dem zu entgegnen, gibt es Überlegungen, eine zweite Kammer zur Repräsentation der Staaten umzuwandeln.[10] Auch der für repräsentative Demokratien charakteristische Gegensatz zwischen Regierung und Opposition ist in der EU nicht vorhanden.[11]
Abschließend bleibt noch die Beurteilung der Legitimität von Europäischem Gerichtshof und Europäischer Zentralbank. Diese wurden geschaffen nach den Vorbildern eines obersten nationalen Gerichtes bzw. der Bundeszentralbank, gehen aber in ihren Einfluss auf das europäische Institutionengefüge und die Nationalstaaten weit über diese Vorbilder hinaus. Da sie als nicht-politische Institutionen von den anderen EU-Organen kaum beschränkt werden können, fehlt es ihnen für diese Machtstellung an demokratischer Legitimität.[12]
Zusammenfassend besteht das institutionelle Demokratiedefizit also darin, dass europäische Organe mit politischer Macht der nationalen Parlamente ausgestattet wurden, diese sich verselbstständigten, und nun nicht mehr klar ersichtlich ist, dass diese Organe die Interessen der EU-Bürger vertreten.[13]
2.2 Legitimität der EU als Gesamtsystem
Die Frage nach der Legitimation von EU-Politik im Allgemeinen läuft unabwendbar auf die EU-Verfassung hinaus. Unabhängig davon, ob diese nun als völkerrechtlicher Vertrag oder als Verfassung des europäischen Volkes konzipiert ist, ohne sie „wird die Europäische Union ihre Legitimitätsprobleme nicht lösen können.“[14] Denn eine Legitimation nur durch ihre Politik, die so genannte Output-Legitimation, reicht nicht aus.[15]
Des Weiteren ist zu fragen, inwieweit die EU überhaupt demokratisch sein kann. Kielmansegg betont in diesem Zusammenhang, dass sich Demokratie immer auf ein „sich selbst als solches begreifendes kollektives Subjekt“ gründet.[16] Eine europäische Identität ist aber nur ansatzweise vorhanden, und staatliche Organe haben nur begrenzte Möglichkeiten, eine solche zu fördern. Im Folgenden definiert Kielmansegg Europäische Identität durch die Dimensionen Kommunikations-, Erfahrungs- und Erinnerungsgemeinschaft, von denen nur die Erfahrungsgemeinschaft durch den Kalten Krieg in Europa vorhanden ist.[17] Ein ‚EU-Volk’ konstituiert sich jedoch nicht nur aus der eigenen Identität, sondern auch aus institutionellen Elementen wie Parteien und Verbänden, europäischen Medien und einer europäischen Öffentlichkeit, die politische Probleme diskutiert, ähnlich wie in den Nationalstaaten; auch diese sind in der Europäischen Union nur ansatzweise vorhanden.[18] Positiv hervorzuheben ist an dieser Stelle der Zusammenschluss der der Grünen-Parteien der Nationalstaaten zu den European Greens. Nur auf diese Weise kann eine grenzüberschreitende politische Diskussion in Europa erreicht werden.
[...]
[1] Vgl. Einheitliche Europäische Akte vom 28. Februar 1986, Präambel
[2] Vgl. Benz, Arthur, Demokratie in der Europäischen Union, in: Katenhusen, Ines/Lamping, Wolfram (Hrsg.), Demokratie in Europa, Opladen 2003, S. 157.
[3] Huber, Peter M., Die Rolle des Demokratieprinzips im europäischen Integrationsprozeß, in: Staatswissenschaften und Staatspraxis 3, o.O. 1992, S. 352.
[4] Vgl. Grande, Edgar, Demokratische Legitimation und europäische Integration, in: Leviathan 24 (1996), S. 342.
[5] Vgl. Kohler-Koch, Beate, Regieren in der Europäischen Union. Auf der Suche nach demokratischer Legitimität, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B6 (2000), S. 33.
[6] Vgl. Schmidt, Manfred G., Demokratietheorien. Eine Einführung, 3. Auflage, Opladen 2000, S. 431.
[7] Vgl. Weiler, Joseph H.H., Europäisches Parlament, europäische Integration, Demokratie und Legitimität, in: Schmuck, Otto/Wessels, Wolfgang (Hrsg.), Das Europäische Parlament im dynamischen Integrationsprozeß: Auf der Suche nach einem zeitgemäßen Leitbild, Bonn 1989, S.77.
[8] Vgl. Kielmansegg, Peter Graf, Integration und Demokratie, in: Jachtenfuchs, Markus/Kohler-Koch, Beate (Hrsg.), Europäische Integration, 2. Auflage, Opladen 2003, S. 54f.
[9] u.a. Weiler, Europäisches Parlament, S. 73-94.
[10] Vgl. Grande, Demokratische Legitimation, S. 334f.
[11] Vgl. Schmidt, Demokratiedemokratien, S. 430.
[12] Vgl. Scharpf, Fritz W., Legitimationskonzepte jenseits des Nationalstaates, MPIfG Working Paper 04/06.
[13] Vgl. Benz, Demokratie in der Europäischen Union, S. 171f.
[14] Kielmansegg, Integration und Demokratie, S. 53.
[15] Vgl. ebd., S. 52.
[16] ebd., S. 57.
[17] Vgl. ebd., S. 58f.
[18] Vgl. Benz, Demokratie in der Europäischen Union, S. 157.
- Arbeit zitieren
- Götz Lieberknecht (Autor:in), 2005, Normative Ansätze zur Lösung des Demokratiedefizits der Europäischen Union. Elemente direkter Demokratie auf europäischer Ebene, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/49262
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