Intuitiv wird in unseren westlichen Gesellschaften das Vorgehen etwa religiöser Fanatiker von den meisten als moralisch verwerflich oder als falsch bewertet. Allgemeine Grundsätze wie Toleranz, Respekt, Gewaltlosigkeit und Rücksichtsnahme werden – wenn nicht als moralisch „richtig“, so doch zumindest als moralisch „besser“ oder „richtiger“ angesehen als etwa heilige Kriege zur Bekämpfung Andersgläubiger.
Religiöse Fanatiker sind dabei ein Beispiel für Anhänger von Moralen, die die Einhaltung moralischer Normen nur gegenüber den eigenen Stammes-, Volks- oder Glaubengenossen gebieten. Solche partikularistischen Moralen „waren in der Geschichte der Menschheit dominant“.
Für Vertreter universalistischer Moralen stellt sich daher die grundsätzliche Frage, wieso einer solchen Moral der Vorzug zu geben ist; oder anders: warum es eine solche verdient haben sollte, von allen Menschen akzeptiert zu werden? Um Anhänger partikularistischer Moralen davon zu überzeugen, dass es bestimmte moralische Normen gibt, die für alle Menschen gleichermaßen gelten müssen, dass diese Normen also eine universale Geltung besitzen, reichen unbegründete intuitive Gefühle von der Richtigkeit westlich-humanistischer Grundüberzeugungen sicherlich nicht aus. Es ergibt sich vielmehr die Notwendigkeit einer Ermittlung und Begründung eines obersten Prinzips aller Moralität.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Kants Grundlegung zur Metaphysik der Sitten
2.1. Wo nach einem obersten Prinzip gesucht werden muss
2.2. Der Begriff des Willens
2.3. Der Begriff der Pflicht
2.3.1. Pflichtmäßige Handlung und Handlung aus Pflicht
2.3.2. Der Begriff der Achtung
2.3.3. Zwischenbemerkung
2.3.4. Der Begriff der Maxime
2.4. Der kategorische Imperativ
2.5. Zusammenfassung
3. Schlussbemerkung – Kritische Würdigung
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Intuitiv wird in unseren westlichen Gesellschaften das Vorgehen etwa religiöser Fanatiker von den meisten als moralisch verwerflich oder als falsch bewertet.[1] Allgemeine Grundsätze wie Toleranz, Respekt, Gewaltlosigkeit und Rücksichtsnahme werden – wenn nicht als moralisch „richtig“, so doch zumindest als moralisch „besser“ oder „richtiger“ angesehen als etwa heilige Kriege zur Bekämpfung Andersgläubiger.
Religiöse Fanatiker sind dabei ein Beispiel für Anhänger von Moralen, die die Einhaltung moralischer Normen nur gegenüber den eigenen Stammes-, Volks- oder Glaubengenossen gebieten.[2] Solche partikularistischen Moralen „waren in der Geschichte der Menschheit dominant“.[3]
Für Vertreter universalistischer Moralen stellt sich daher die grundsätzliche Frage, wieso einer solchen Moral der Vorzug zu geben ist; oder anders: warum es eine solche verdient haben sollte, von allen Menschen akzeptiert zu werden? Um Anhänger partikularistischer Moralen davon zu überzeugen, dass es bestimmte moralische Normen gibt, die für alle Menschen gleichermaßen gelten müssen, dass diese Normen also eine universale Geltung besitzen, reichen unbegründete intuitive Gefühle von der Richtigkeit westlich-humanistischer Grundüberzeugungen sicherlich nicht aus. Es ergibt sich vielmehr die Notwendigkeit einer Ermittlung und Begründung eines obersten Prinzips aller Moralität.
2. Kants Grundlegung zur Metaphysik der Sitten
Mit seiner Grundlegung hat Kant sich genau dieses Ziel gesetzt: er möchte „nichts mehr, als die Aufsuchung und Festlegung des obersten Prinzips der Moralität “.[4]
2.1. Wo nach einem obersten Prinzip gesucht werden muss
Um dieses Vorhaben realisieren zu können ist es zunächst wichtig, Empirisches und Rationales strikt zu trennen, da aus einer Vermischung beider Bereiche nur Stümperei resultieren kann. Ein oberstes Moralprinzip lässt sich nur auffinden, wenn man sich auf den reinen[5], d.h. apriorischen Teil der Ethik konzentriert; „von allem, was nur empirisch sein mag“ gilt es sich zu distanzieren.[6]
Ein allgemeingültiges moralisches Gesetz ist nur dann in vollem Wortsinne allgemeingültig, wenn es sich auf alle möglichen Vernunftwesen bezieht, nicht nur auf den Menschen. Dies ist ein Grund, warum (menschliche) Erfahrung niemals die Grundlage für ein solches Gesetz bilden kann. Ein anderer ist die Tatsache, dass jeder Mensch unterschiedliche Erfahrungen macht, und dass aufgrund dessen kein gemeinsamer Nenner gefunden werden kann. „Der Grund der Verbindlichkeit“ eines moralischen Gesetzes darf also „nicht in der Natur des Menschen, oder den Umständen in der Welt“, sondern muss, wie gesagt, „a priori lediglich in Begriffen der reinen Erfahrung“[7] gesucht werden.
In Analogie zu den Naturgesetzen der Physik Newtons[8], die ihre Wirksamkeit ja auch nicht nur auf den Menschen beschränken, sondern im gesamten bekannten Universum wirken, hält Kant das moralische Gesetz wohl für ein nicht vom Menschen geschaffenes, sondern im Menschen aufgrund seiner Eigenschaft als Vernunftwesen wirksames Faktum. Vom Menschen kann demnach völlig abstrahiert werden, es bedarf nur der praktischen Vernunft, der „Idee eines möglichen reinen Willens“[9] zur Bestimmung des Gesetzes.
2.2. Der Begriff des Willens
Nur vernunftbegabte Wesen verfügen über einen Willen. Dieser ist die Fähigkeit, sein Handeln nach dem zu wählen, was die Vernunft als notwendig erkannt hat. Für Kant ist dabei „der Wille nichts anderes als praktische Vernunft“. Er ist „das Vermögen, nach der Vorstellung der Gesetze […] zu handeln“.[10] Durch dieses Vorstellungsvermögen, und anders als vernunftlose instinktgesteuerte Wesen wie beispielsweise Tiere, verfügen Vernunftwesen über „die Fähigkeit, [ihr] Handeln unabhängig von sinnlichen Bestimmungsgründen […] zu wählen“.[11] So sind etwa Triebe und Bedürfnisse für sie nicht notwendig handlungsbestimmend. Durch ihren Willen sind sie befähigt, sich von der Fremdbestimmung durch die Natur zu lösen.
Kant unterscheidet dabei vernunftbegabte Wesen, die keine reinen Vernunft-, sondern zugleich auch Natur- oder Neigungswesen sind und deren Wille daher nicht ausschließlich von der Vernunft bestimmt wird, von vernunftbegabten Wesen, die einen reinen, also einen von allen sinnlichen Bestimmungsgründen[12] losgelösten Willen, besitzen. Erstere verfügen nach Otfried Höffe über eine empirisch bedingte praktische Vernunft, letztere über eine reine praktische Vernunft.[13]
Was ein mit einem reinen Willen begabtes Wesen als vernunftmäßig, also als objektiv für geboten erkannt hat, will es immer auch subjektiv. Ein solches Wesen wird immer nur das wählen, was die Vernunft als „praktisch notwendig, d. i. als gut“[14] erkannt hat. Ein reiner Wille ist also notwendig ein sittlich guter Wille, da gilt, „daß alle sittlichen Begriffe völlig a priori in der Vernunft ihren Sitz und Ursprung haben“[15] und da er ja immer freiwillig, d.h. ohne genötigt werden zu müssen, der Vernunft gemäß handeln möchte.
Um nun ein oberstes Sittengesetz zu finden, geht Kant von einem solchen guten Willen aus. Nichts auf der Welt, so Kant, ist als uneingeschränkt oder unbedingt gut denkbar als ein guter Wille.
Otfried Höffe macht darauf aufmerksam, dass Kant mit dieser Behauptung zuallererst den Begriff des sittlich Guten definiert. Nur das sittlich Gute ist „ohne Einschränkung gut“. Damit wird es „von allen anderen Begriffen des Guten abgehoben“.[16]
„ Talente des Geistes“, „Eigenschaften des Temperaments “ und „ Glücksgaben “ können nur bedingt gut sein, d.h. sie hängen von dem sie gebrauchenden Willen ab, er ist ihre Voraussetzung. Ist der Wille böse, so können sie überhaupt nicht gut sein, auch wenn es oberflächlich betrachtet vielleicht so scheinen mag: ein solcher Wille wäre dann wohl „[e]in Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft.“[17] Umgekehrt gilt natürlich ebenfalls: eine augenscheinlich sittlich verwerfliche Handlung kann einen guten Willen als Beweggrund haben. Nur der Wille ist unbedingt und kann daher uneingeschränkt gut, nur er kann gut an sich sein. Das absolut Gute findet sich somit nur im guten Willen selbst, nicht aber in einem höchsten Gegenstand des Willens.[18] Das heißt auch, dass es vom jeweiligen Willen abhängt, wie ein Talent oder eine Eigenschaft angewandt wird; ob zu guten oder zu bösen Zwecken. Ob die beabsichtigten Zwecke dann jedoch wirklich realisiert werden, steht nicht mehr in der Macht des sie bedingenden Willens.
[...]
[1] Wenn auch viele die Zwecke, die mit Anschlägen, Selbstmordattentaten etc. erreicht werden sollen – wie etwa ein eigenständiger Palästinenserstaat (die damit oft gleichzeitig implizierte Vernichtung Israels einmal ausklammert) – für richtig erachten, so können doch die Mittel zur Erlangung dieser Zwecke schwerlich von einem westlichen Beobachter gut geheißen werden.
[2] In den meisten sogenannten heiligen Schriften gibt es beispielsweise Tötungsverbote. Dennoch wurde und wird dieses Verbot von manchen Anhängern so interpretiert, dass es nur in bezug auf Mitglieder des eigenen Glaubens Gültigkeit besitzt.
[3] Ott, Konrad, Moralbegründungen zur Einführung, S. 18
[4] Kant, Immanuel, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 391f.
[5] Rein im Sinne Kants bedeutet, dass sich die Gründe, auf die sich die Morallehre stützt, ausschließlich Sätze a priori sein müssen. Vgl. dazu Höffe, Otfried (Hrsg.), Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 17
[6] Kant, Immanuel, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 388f.
[7] ebd., S. 389
[8] vgl. Ott, Konrad, Moralbegründungen, S. 80
[9] ebd., S. 390f.
[10] ebd., S. 412
[11] Höffe, Otfried, Immanuel Kant, S. 174
[12] Damit sind etwa Neigungen, Begierden, Triebe, Bedürfnisse, Gewohnheiten oder Leidenschaften gemeint.
[13] Vgl. Höffe, Otfried, Immanuel Kant, S. 175
[14] Kant, Immanuel, Grundlegung, S. 412
[15] ebd., S. 411
[16] Höffe, Otfried, Immanuel Kant, S. 176
[17] Goethe, Faust I, S. 51
[18] vgl. Kant, Immanuel, Kritik der praktischen Vernunft, V S. 64
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- Joachim Waldmann (Author), 2005, Immanuel Kant. Der Weg zum kategorischen Imperativ, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/49190
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