Der mythologische Stoff der Iphigenie wurde mehrere Male zum Gegenstand der Literatur. Die aus der Antike erhaltene Fassung "Iphigenie bei den Taurern" des Euripides sowie dessen posthum erschienene "Iphigenie in Aulis" bilden dabei die Bezugspunkte beim Wiederaufgreifen des Iphigenie- Mythos bei unter anderem Racine und Gluck, und auch Goethe orientierte sich am euripideischen Werk für sein Schauspiel "Iphigenie auf Tauris", das er 1779 für den Weimarer Hof zum Anlass der Taufe der herzoglichen Tochter Luise Auguste Amalie fertigte. [gl. Morsch, Hans: Aus der Vorgeschichte von Goethes Iphigenie, in: Vierteljahrsschrift für Literaturgeschichte 4 (1891), S. 114]
Diese Fassung, in rhythmischer Prosa geschrieben, erfuhr 1786 eine letzte Überarbeitung durch Goethe auf dessen Italienreise, welche in der Literaturgeschichte den Übergang in die Weimarer Klassik markiert.
Die allgemeine Beschäftigung mit der vor allem griechischen Antike und ihren Objektivationen und Subjektivationen in dieser Zeit resultierte aus dem klassischen Verständnis, diese als Zustand der Vervollkommnung von Einheit und Harmonie im gemeinschaftlichen Zusammenleben sowie auch in der Individualität anzusehen, was der deutsche Idealismus aufgriff. Das für die Weimarer Klassik Wesentliche an dieser philosophischen Einstellung ist dessen Fokussierung auf den Menschen und dem ihm immanenten seelischmoralischen Vermögen - die Humanität. [Für einen Epochenüberblick vgl. die Begriffe "Humanismus", "Klassik" und "Weimarer Klassik" in: Metzler Literatur Lexikon. Begriffe und Definitionen. Herausgegeben von Günther und Irmgard Schweikle. Zweite, überarbeitete Auflage. Stuttgart 1990.]
Menschlichkeit und die freie Entfaltung der Persönlichkeit sind demnach als die Leitideen dieser Richtung der Literatur zu bezeichnen. Goethes Schauspiel "Iphigenie auf Tauris" dahingehend zu analysieren, ist Aufgabe und Anspruch dieser Arbeit. Dabei soll die endgültige goethische Fassung der "Iphigenie auf Tauris" Gegenstand der sich anschließenden Rezension sein.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Formanalyse
2.1. Aufbau und formale Aspekte
2.2. Analyse der semantischen Räume
3. Der Humanitätsgedanke am Beispiel Iphigenies Götterverständnisses
4. ‚Iphigenie auf Tauris’ – Ideendrama der Humanität
5. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Der mythologische Stoff der Iphigenie wurde mehrere Male zum Gegenstand der Literatur. Die aus der Antike erhaltene Fassung „Iphigenie bei den Taurern“ des Euripides sowie dessen posthum erschienene „Iphigenie in Aulis“ bilden dabei die Bezugspunkte beim Wiederaufgreifen des Iphigenie-Mythos bei unter anderem Racine und Gluck, und auch Goethe orientierte sich am euripideischen Werk für sein Schauspiel „Iphigenie auf Tauris“, das er 1779 für den Weimarer Hof zum Anlass der Taufe der herzoglichen Tochter Luise Auguste Amalie fertigte.[1]
Diese Fassung, in rhythmischer Prosa geschrieben, erfuhr 1786 eine letzte Überarbeitung durch Goethe auf dessen Italienreise, welche in der Literaturgeschichte den Übergang in die Weimarer Klassik markiert.
Die allgemeine Beschäftigung mit der vor allem griechischen Antike und ihren Objektivationen und Subjektivationen in dieser Zeit resultierte aus dem klassischen Verständnis, diese als Zustand der Vervollkommnung von Einheit und Harmonie im gemeinschaftlichen Zusammenleben sowie auch in der Individualität anzusehen, was der deutsche Idealismus aufgriff. Das für die Weimarer Klassik Wesentliche an dieser philosophischen Einstellung ist dessen Fokussierung auf den Menschen und dem ihm immanenten seelisch-moralischen Vermögen – die Humanität.[2]
Menschlichkeit und die freie Entfaltung der Persönlichkeit sind demnach als die Leitideen dieser Richtung der Literatur zu bezeichnen. Goethes Schauspiel „Iphigenie auf Tauris“ dahingehend zu analysieren, ist Aufgabe und Anspruch dieser Arbeit. Dabei soll die endgültige goethische Fassung der „Iphigenie auf Tauris“ Gegenstand der sich anschließenden Rezension sein.
2. Formanalyse
2.1. Aufbau und formale Aspekte
Goethes „Iphigenie“ hält sich an die antiken Vorgaben, gemessen an den Ansprüchen der „Poetik“ des Aristoteles: Das Drama weist eine symmetrisch aufgebaute geschlossene Form mit Fünf-Akt-Struktur auf, in der die drei Einheiten von Ort, Zeit und Handlung genauso verwirklicht werden wie die Ständeklausel. Eine Symmetrie findet sich ebenso in der Konstellation der Figuren, in welcher Iphigenie zwischen Thoas/Arkas und Orest/Pylades steht. Auch die klassischen Bestandteile der Tragödie, Anagnorisis und Peripetie, werden vom Autor aufgegriffen und zur Mittelachse des Schauspiels. Die aristotelische Forderung nach einer sprachlich erhabenen, anziehenden Form ist gleichermaßen durch die Verwendung des Blankverses gegeben, wobei dieses Versmaß bisweilen unterbrochen wird, um gezielt einzelne Passagen hervorzuheben.[3]
Nicht konform hingegen ist das Fehlen eines Chors, der jedoch, wenn auch nicht ganz konsequent, durch einen Monolog ersetzt wird[4], um vermutlich den Blick auf die Gemütslage nicht zu verstellen, indem der Chor als Instanz dazwischengeschaltet wird und somit für die Figuren denkt bzw. sich äußert, was konträr zum idealen Weltbild, das die individuelle Entwicklung des Menschen voranstellt, stünde.
2.2. Analyse der semantischen Räume
Als semantische Räume lassen sich Griechenland und Tauris klassifizieren, welche von der Protagonistin unterschiedlich aufgeladen werden, womit einhergehend die Ausgangssituation der Iphigenie vermittelt wird. So bezeichnet sie ihr „Leben hier [auf Tauris, A. E.]“[5] als „zweiten Tode“ (ebd.) und fühlt sich „fremd“ (IAT 9), dort wo sie, „[d]as Land der Griechen mit der Seele suchend [...]“, (IAT 12) „fern von Eltern und Geschwistern / Ein einsam Leben führt [...]“ (IAT 14f.). Des Weiteren verhält sich ihre Erinnerung an die „sanften Banden“ (IAT 22) zur Auffassung, Thoas halte sie in „Sklavenbanden fest [...]“ (IAT 34), als direktes semantisches Oppositionspaar; gleichfalls die in einer rhetorischen Frage formulierten Begriffe „Vaterland“ und „Fremde“ (vgl. IAT 76). Die impermeable Grenze, die es für Iphigenie als Heldin im Sinne Lotmans zu überwinden gilt, ist durch das Meer, welches Tauris vom Festland trennt, verbildlicht. Dennoch handelt es sich nicht mit der am Schluss implizierten Heimreise um eine Überwindung der Grenze und in der Folge nicht um einen revolutionären Text, sondern die Räume erfahren eine neue Semantisierung, womit diese Grenze aufgehoben wird. Dies geschieht direkt mit dem versöhnlichem „Lebt wohl!“ (IAT 2174) des Thoas als Antwort auf Iphigenies gastfreundschaftliche Offerte, denn „so sind wir nicht auf ewig / Getrennt und abgeschieden [Hervorhebung A. E.]“ (IAT 2154f.). Aufgrund dessen lässt sich im Nachhinein nicht von einer Sujethaftigkeit des Textes sprechen. Darüber hinaus wurde die Grenze zuvor aus der materiellen in die abstrakte Welt erhoben, indem nicht länger das Meer als zu Überwindende gilt, sondern die unterschiedlichen gedanklichen Positionen. Dass die Lösung des Konfliktes letztlich durch Reflektion des Sachverhaltes, also die Neuinterpretation des Orakelspruches, und kritische Auseinandersetzung mit Worten statt durch Waffengewalt oder einen Eingriff der Götter ins Geschehen erfolgt, verdeutlicht die tragende Rolle des Humanitätsverständnisses.
[...]
[1] Vgl. Morsch, Hans: Aus der Vorgeschichte von Goethes Iphigenie, in: Vierteljahrsschrift für Literaturgeschichte 4 (1891), S. 114.
[2] Für einen Epochenüberblick vgl. die Begriffe „Humanismus“, „Klassik“ und „Weimarer Klassik“ in: Metzler Literatur Lexikon. Begriffe und Definitionen. Herausgegeben von Günther und Irmgard Schweikle. Zweite, überarbeitete Auflage. Stuttgart 1990.
[3] Als Beispiel sei Orests geglaubte Begegnung mit den Ahnen im Tartaros (3. Aufzug, 2. Auftritt) sowie das Lied der Parzen (5. Aufzug, 1. Auftritt) angeführt.
[4] Entweder erstreckt sich der Monolog über einen ganzen Auftritt, nachdem die Handlung davor vorangeschritten ist, oder die Figur steht allein (vgl. Regieanweisung).
[5] Vgl. Vers 53, in: Goethe, Johann Wolfgang: Iphigenie auf Tauris. Stuttgart 2001 (Reclam 83). Hieraus entnommene Zitate werden im Folgenden durch das Sigle ‚IAT’ + Versangabe im Text kenntlich gemacht.
- Quote paper
- Alexander Haroshka (Author), 2005, Die Humanität als Leitidee in Goethes Schauspiel "Iphigenie auf Tauris". Das Götterbild der Protagonistin, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/49176
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