„Die staatliche Gemeinschaft und das Vaterland ist für mich als Antoninus Rom, für mich als Menschen der Kosmos. Was diesen Gemeinschaften nützlich ist, das allein ist für mich gut.“ Mit dieser Sequenz bringt Marc Aurel, einer der bekanntesten Vertreter der Stoa in der römischen Kaiserzeit, zum Ausdruck, dass sich eine gewisse Affinität zur Philosophie und das Dasein als überzeugter römischer Bürger keineswegs gegenseitig ausschließen. Dies schien nicht immer selbstverständlich gewesen zu sein, denn die römische Gesellschaft wehrte sich zunächst vehement gegen die Philosophie der Griechen. Nach Ciceros ersten Vermittlungsversuchen zwischen hellenistischem Gedankengut und den Römern waren die Stoiker in der Kaiserzeit die ersten Philosophen, die in Rom zu großem Ruhm gelangen und enormen Einfluss auf den Staat ausüben konnten. Zu denken wäre hier vor allem an Seneca, Musonius, Epiktet und den bereits erwähnten Marc Aurel, durch deren Werke uns bis heute die stoischen Ideenkomplexe in Rom gut überliefert sind. Auch in der Forschungsliteratur mangelt es uns keineswegs an Material: Ein besonderer Augenmerk darf hier auf Max Pohlenz’ bereits in der 7. Auflage erschienenes Werk „Die Stoa“ gelegt werden, in dem sich der Autor kritisch mit der Stoa in Rom im Allgemeinen, als auch mit dem Leben und Wirken der römischen Stoiker im Besonderen auseinandersetzt. In der folgenden Arbeit soll sich ebenfalls mit den Persönlichkeiten im Einzelnen beschäftigt werden, wobei sich die Untersuchungen unter anderem darauf beziehen sollen, inwieweit diese Stoiker ihr Leben konform zu ihren Lehren ausrichteten und welchen Einfluss ihre Philosophie auf den Staat und die Gesellschaft hatte. Um dies herausarbeiten zu können, ist es nötig, sowohl Berichte über das Leben der großen römischen Stoiker heranzuziehen, als auch die Niederschriften der einzelnen Philosophen näher zu betrachten: Das Werk „Taeisheauton“ von Marc Aurel wird dabei eine genauso wichtige Rolle spielen wie das von einem Schüler Epiktets veröffentlichte „Encheiridion“ und Senecas Schriften „De vita beata“ bzw. „Ad Lucilium epistulae morales“. Musonius’ Diatriben werden ebenfalls näher untersucht werden.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. L. Annaeus Seneca
2.1 Senecas Maximen seiner Philosophie
2.2 Zur Diskrepanz zwischen Senecas Lehren und seiner Lebensführung
3. C. Musonius Rufus
3.1 Musonius’ philosophische Ansätze
3.2 Musonius’ Umgang mit seinen Lehren in der Praxis
4. Epiktetos
4.1 Epiktets Philosophie im Zeichen der Freiheit
4.2 Epiktets Umgang mit der philosophischen Theorie im eigenen Alltag
5. Marcus Aurelius Antoninus
5.1 Die Lehren des Philosophenkaisers
5.2 Marc Aurels Leben vor dem Hintergrund seiner philosophischen Theorien
6. Der Einfluss der Stoiker auf die römische Gesellschaft
7. Schluss
8. Quellen- und Literaturverzeichnis
8.1 Quellen
8.2 Literatur
1. Einleitung
„Die staatliche Gemeinschaft und das Vaterland ist für mich als Antoninus Rom, für mich als Menschen der Kosmos. Was diesen Gemeinschaften nützlich ist, das allein ist für mich gut.“[1] Mit dieser Sequenz bringt Marc Aurel, einer der bekanntesten Vertreter der Stoa in der römischen Kaiserzeit, zum Ausdruck, dass sich eine gewisse Affinität zur Philosophie und das Dasein als überzeugter römischer Bürger keineswegs gegenseitig ausschließen. Dies schien nicht immer selbstverständlich gewesen zu sein, denn die römische Gesellschaft wehrte sich zunächst vehement gegen die Philosophie der Griechen. Nach Ciceros ersten Vermittlungsversuchen zwischen hellenistischem Gedankengut und den Römern waren die Stoiker in der Kaiserzeit die ersten Philosophen, die in Rom zu großem Ruhm gelangen und enormen Einfluss auf den Staat ausüben konnten. Zu denken wäre hier vor allem an Seneca, Musonius, Epiktet und den bereits erwähnten Marc Aurel, durch deren Werke uns bis heute die stoischen Ideenkomplexe in Rom gut überliefert sind. Auch in der Forschungsliteratur mangelt es uns keineswegs an Material: Ein besonderer Augenmerk darf hier auf Max Pohlenz’ bereits in der 7. Auflage erschienenes Werk „Die Stoa“ gelegt werden, in dem sich der Autor kritisch mit der Stoa in Rom im Allgemeinen, als auch mit dem Leben und Wirken der römischen Stoiker im Besonderen auseinandersetzt. In der folgenden Arbeit soll sich ebenfalls mit den Persönlichkeiten im Einzelnen beschäftigt werden, wobei sich die Untersuchungen unter anderem darauf beziehen sollen, inwieweit diese Stoiker ihr Leben konform zu ihren Lehren ausrichteten und welchen Einfluss ihre Philosophie auf den Staat und die Gesellschaft hatte. Um dies herausarbeiten zu können, ist es nötig, sowohl Berichte über das Leben der großen römischen Stoiker heranzuziehen, als auch die Niederschriften der einzelnen Philosophen näher zu betrachten: Das Werk „Ta eis heauton“ von Marc Aurel wird dabei eine genauso wichtige Rolle spielen wie das von einem Schüler Epiktets veröffentlichte „Encheiridion“ und Senecas Schriften „De vita beata“ bzw. „Ad Lucilium epistulae morales“. Musonius’ Diatriben werden ebenfalls näher untersucht werden.
2. L. Annaeus Seneca
2.1 Senecas Maximen seiner Philosophie
Einer der sicherlich bekanntesten Stoiker der römischen Kaiserzeit war Seneca. Im Mittelpunkt seiner Philosophie, die er als „Liebe zur Wahrheit und das Streben danach“[2] definiert, steht die Ethik. Der Mensch müsse zur Vernunft und Tugend gelangen und damit die Leidenschaften aus seinem Leben verdrängen.[3] Den Weisen, also derjenige, der dieses Lebensprinzip vollkommen verwirklicht – ein Ideal, das kaum zu erreichen ist und auch Seneca nie vollständig in die Realität umsetzen konnte[4] –, kann auf diese Weise nichts im Leben erschüttern.[5] Die Aufgabe eines jeden Menschen ist es, dem Ideal so nah wie möglich zu kommen; auch, wenn man es nie in Perfektion erreichen wird. Eine asketische Lebensführung kann dem Menschen helfen, sich von den äußeren Dingen des Lebens zu lösen und seine Konzentration voll und ganz auf die Erlangung der Tugend zu legen.[6] Wie sich im Folgenden noch zeigen wird, ist Seneca aber ebenso der Meinung, dass auch ein Leben im Reichtum die Entwicklung eines Menschen hin zur sittlichen Vollkommenheit nicht behindert. Als fortschrittlich für seine Zeit muss sicherlich der Ansatz gewertet werden, dass jeder Mensch von Natur aus gleich ist, also etwa zwischen Sklaven und Freien kein Unterschied besteht.[7]
2.2 Zur Diskrepanz zwischen Senecas Lehren und seiner Lebensführung
Inwieweit Seneca sich um das Streben nach der sittlichen Vollkommenheit tatsächlich ernsthaft bemüht hat ist durchaus umstritten: Hat der Stoiker trotz der zahlreichen Beispiele an Fehltritten in seinem Leben wirklich alles in Bewegung gesetzt sich dem Ideal anzunähern? Oder hat er sich die Philosophie nur auf eine Weise zurechtgelegt, die sein teilweise völlig unvernünftiges tugendloses Verhalten rechtfertigen kann? Antike Geschichtsschreiber wie etwa Tacitus[8] und Cassius Dio[9] dokumentierten die Vorwürfe an Seneca, die immer wieder auf seinen verwerflichen Lebensstil abzielten. Natürlich muss hinsichtlich der Glaubwürdigkeit ihrer Texte berücksichtigt werden, dass diese Geschichtsschreiber nur kurz bzw. überhaupt nicht zur selben Zeit lebten wie Seneca. Allerdings geht Seneca in seinen Schriften selbst darauf ein, dass seine Zeitgenossen seinen Lebensstil kritisieren und räumt sogar ein, dass zwischen seinem eigenen Leben und seiner Idealvorstellung von einem Leben deutliche Unterschiede liegen, dass er selbst nicht das Bild eines stoischen Weisen verkörpert.[10] Hauptkritikpunkt von Senecas Zeitgenossen war neben dessen angeblicher Unsittlichkeit vor allem der enorme Reichtum[11] und der Drang des Stoikers, diesen noch zu vermehren[12]. In seinen Schriften propagierte er allerdings durchwegs Bescheidenheit. Aus diesem Grund wird Seneca eine Doppelmoral vorgeworfen, die man in seinen philosophischen Werken belegt findet: In seinen Briefen an Lucilius spricht er sich deutlich für eine asketische Lebensführung aus[13], an anderer Stelle betrachtet er das Vermögen als besonderen Ansporn zur Einhaltung der Tugend[14]. Er vertritt die Meinung, dass Reichtum durchaus zulässig ist, solange man dessen Nichtigkeit stets im Bewusstsein behält.[15] Es scheint also tatsächlich so, als ob Seneca gezielt hervorhebt, dass das Ideal des Weisen utopisch und Reichtum erlaubt ist, um sein eigenes Verhalten zu entschuldigen und den Kritikern trotz seines „Fehlverhaltens“ – unter anderem wird ihm auch Ehebruch vorgeworfen – keine Angriffsfläche zu bieten. Nichtsdestotrotz verteidigen verschiedene Historiker Seneca und dessen Lebensweise und sehen keinen Widerspruch zwischen seinem Leben und seiner Lehre, da Seneca nie von sich selbst behauptet hat perfekt zu sein, sondern nur die Perfektion anzustreben.[16]
3. C. Musonius Rufus
3.1 Musonius’ philosophische Ansätze
Musonius gehört im Gegensatz zu Seneca wohl eher weniger zu den Philosophen, die noch heute im Bewusstsein der Menschen präsent sind. Um das Thema dieser Arbeit allerdings umfassend zu behandeln, darf der Name dieses Stoikers nicht einfach unter den Teppich gekehrt werden. Musonius hinterließ selbst zwar keine Schriften, doch einer seiner Schüler zeichnete die Vorlesungen seines Lehrers mit auf und veröffentlichte sie später. In diesen Überlieferungen wird ganz deutlich, dass Musonius seinen Schwerpunkt auf ethische Belange legte und seinen Schülern praxisnahe Tipps zur mustergültigen Lebensführung auf den Weg geben wollte. Er weist darauf hin, dass das Studium der Philosophie nur mit der Umsetzung im Alltag seinen Zweck erfüllen kann – ähnlich einem Medizinstudium, das nur Sinn macht, wenn die Erkenntnisse daraus der Gesundheit der Menschen in der Praxis zugute kommen.[17] Von einer naturgemäßen Ernährung[18] über die angemessene Art sich zu kleiden[19], die beste Berufswahl[20], den vernünftigsten Weg der Erziehung von Kindern[21] bis hin zum richtigen Verhalten in zwischenmenschlichen Beziehungen[22] behandelt Musonius alles, was das Alltagsleben eines jeden Menschen betrifft; immer wieder betont er, wie wichtig es ist, die philosophische Theorie ausdauernd „mit heißem Bemühen und zähem Eifer“[23] im eigenen Leben zu verwirklichen. Beachtung gebührt auch Musonius’ engem Bezug zur Natur bzw. der die Natur erschaffenden göttlichen Instanz: Er sieht genau die Dinge als vernünftig bzw. erstrebenswert an, die in der Natur verankert sind; welche Dinge dies sind, wurde seiner Ansicht nach von den Göttern festgelegt. Deshalb sei es beispielsweise richtig, dass Frauen philosophieren, denn diese hätten von den Gottheiten denselben Verstand wie die Männer zugeteilt bekommen. Dies sei von Natur aus festgelegt. Somit sei es der Vernunft entsprechend, dass Frauen Philosophien betreiben.[24]
[...]
[1] M. Aur. heauton VI 44.
[2] Sen. epist. 89, 4.
[3] Vgl. Sen. ira.
[4] Vgl. Sen. vita 17-18.
[5] Vgl. Sen. const. sap..
[6] Vgl. Sen. epist. 18, 5-12.
[7] Vgl. Sen. benef. 18.
[8] Vgl. Tac. ann. 14, 52.
[9] Vgl. Cass. Dio 61, 10, 1-6.
[10] Vgl. Sen. vita. 17-18.
[11] Vgl. Tac. ann. 13, 42.
[12] Vgl. Tac. ann. 14, 52.
[13] Vgl. Sen. epist. 18, 5-12.
[14] Vgl. Sen. provid. 4, 6.
[15] Vgl. Sen. epist. 18, 13.
[16] Vgl. Fuhrer, S.96.
[17] Vgl. Mus. diatr. 3.
[18] Vgl. Mus. diatr. 18.
[19] Vgl. Mus. diatr. 19.
[20] Vgl. Mus. diatr. 11.
[21] Vgl. Mus. diatr. 4 / 15.
[22] Vgl. Mus. diatr. 12-14.
[23] Mus. diatr. 6.
[24] Vgl. Mus. diatr. 3.
- Arbeit zitieren
- Annette Schießl (Autor:in), 2004, Die Philosophie der Stoa in der römischen Kaiserzeit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/48935
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