Eine der Hauptthesen der Systemtheorie von Niklas Luhmann lautet, daß die modernen Gesellschaften sich im Laufe der sozialen Evolution zu hoch komplexen, funktionalen Systemen ausdifferenziert haben. Dabei bedeutet der Begriff Komplexität nicht nur die Gesamtheit alle Dinge, sondern vielmehr eine Einheit im Hinblick auf eine Differenz von System und Umwelt. Die Umwelt des Systems ist stets viel komplexer als das System selbst, und es liegt in der Funktion des Systems diese Umweltkomplexität durch sinnhafte Selektion zu erfassen und zu reduzieren.
In seiner Theorie versucht Niklas Luhmann durch die evolutionäre Selektion zu erklären, wie es zur Ausbildung von Systemstrukturen und damit zur weiteren Systemausdifferenzirung der autopoietischen Systeme kommt, die sich unter Komplexitätsdruck bewähren müssen.
Das Hauptmerkmal der modernen Gesellschaften besteht in der Ausdifferenzierung des Gesellschaftssystems in die einzelnen Subsysteme wie z. B. Rechts-, Wirtschafts-, Erziehungs- oder Politisches System. Sie füllen in der Gesellschaft bestimmte Funktionen aus und operieren durch bestimmte, ihnen spezifische Codes und Programme. Durch die Teilsystembildung grenzt sich das Subsystem von dem Gesamtsystem und bildet damit eine spezifische Differenz von System und gesamtsysteminterner Umwelt.
Durch die Teilsystembildung man sollte aber die Einheit des Gesamtsystems nicht aus dem Auge verlieren, denn jede Teilsystembildung ist nichts anders, "als ein neuerer Ausdruck für die Einheit des Gesamtsystems".
Luhmann sieht eine gleichzeitige Abhängigkeit und Unabhängigkeit zwischen den Funktionssystemen. Auf Grund der ihnen spezifischen Codierung und Programmierung sind die Funktionssysteme nichtsubstituierbar, das heißt: "kein Funktionssystem kann [...] ein anderes ersetzen oder nur entlasten".
Gliederung
1 Einleitung
2 Systembegriff bei Luhmann
3 Evolution und Komplexität
3.1 Komplexität und Systemdifferenzierung
3.2 Formen der gesellschaftlichen Differenzierung
4 Funktionale Differenzierung
4.1 Codierung und Programmierung.
4.2 Folgeprobleme der funktionalen Differenzierung am Beispiel der ökologischen Veränderung der Umwelt
4.3 Das Erziehungssystem und die ökologische Fragestellung
4.3.1 Codierung und Programmierung des Erziehungssystems
4.3.2 Selbstsozialisation psychischer Systeme
5 Zusammenfassung
Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Eine der Hauptthesen der Systemtheorie von Niklas Luhmann lautet, daß die modernen Gesellschaften sich im Laufe der sozialen Evolution zu hoch komp-lexen, funktionalen Systemen ausdifferenziert haben. Dabei bedeutet der Begriff Komplexität nicht nur die Gesamtheit alle Dinge, sondern vielmehr eine Einheit im Hinblick auf eine Differenz von System und Umwelt.[1] Die Umwelt des Sys-tems ist stets viel komplexer als das System selbst, und es liegt in der Funktion des Systems diese Umweltkomplexität durch sinnhafte Selektion zu erfassen und zu reduzieren.[2]
In seiner Theorie versucht Niklas Luhmann durch die evolutionäre Selektion zu erklären, wie es zur Ausbildung von Systemstrukturen und damit zur weiteren Systemausdifferenzirung der autopoietischen Systeme kommt, die sich unter Komplexitätsdruck bewähren müssen.[3]
Das Hauptmerkmal der modernen Gesellschaften besteht in der Ausdifferen-zierung des Gesellschaftssystems in die einzelnen Subsysteme wie z. B. Rechts-, Wirtschafts-, Erziehungs- oder Politisches System. Sie füllen in der Gesellschaft bestimmte Funktionen aus und operieren durch bestimmte, ihnen spezifische Codes und Programme. Durch die Teilsystembildung grenzt sich das Subsystem von dem Gesamtsystem und bildet damit eine spezifische Differenz von System und gesamtsysteminterner Umwelt.
Durch die Teilsystembildung man sollte aber die Einheit des Gesamtsystems nicht aus dem Auge verlieren, denn jede Teilsystembildung ist nichts anders, "als ein neuerer Ausdruck für die Einheit des Gesamtsystems[4] ".
Luhmann sieht eine gleichzeitige Abhängigkeit und Unabhängigkeit zwischen den Funktionssystemen. Auf Grund der ihnen spezifischen Codierung und Programmierung sind die Funktionssysteme nichtsubstituierbar, das heißt: "kein Funktionssystem kann [...] ein anderes ersetzen oder nur entlasten[5] ". Es besteht aber zwischen denen mehr oder wenige ein Gleichgewicht. Der Unterschied ist nur in der Art, "in der sie nach Maßgabe ihres Kommunikationsmediums Zentralisation und Dezentralisation zu kombinieren und beides zu steigern versuchen[6] ".
Durch das Prinzip der funktionalen Differenzierung haben die modernen Gesellschaften einerseits einen hohen Leistungs- und Komplexitätszuwachs.[7] Auf der anderen Seite können sie sich weniger gut auf die globalen Probleme einstellen, wie z.B. die ökologische Veränderung der Umwelt. Die gesellschaftliche Kommunikation über die ökologischen Probleme bleibt nur auf die Möglichkeiten der Funktionssysteme angewiesen.
Dementsprechend stellt sich die Gesellschaft auf die Umweltveränderungen in allererster Linie durch die funktionalen Teilsysteme ein und nur nach Maßgabe ihrer Codierung und Programmierung können sie wirkungsvoll behandelt werden. Die Gleichzeitigkeit von Autonomie und Nichtsubstituierberkeit führt zu einer Reihe von Folgeproblemen, die von den für sie verantwortlichen Funktions-systemen ignoriert oder nicht einmal wahrgenommen werden. Es zwingt zum laufenden Verschieben der Probleme von einem System ins andere. Die Konsequenzen ergeben sich nach einiger Zeit und müssen dann mit neuen Mitteln behandelt werden, ohne dass man auf die Ursachen zurückgreifen könnte.[8]
Weiterhin möchte ich in meiner Arbeit, die hier oben formulierten Thesen der Systemtheorie von Niklas Luhmann näher zu erläutern und als Beispiel auf die Analyse des Erziehungssystems einzugehen. Dabei es ist sinnvoll aufzuzeigen, wie z. B. die ökologische Fragestellung, als Folgeproblem der funktionalen Differenzierung, im Erziehungssystem Resonanzen auslösen kann.
2 Systembegriff bei Luhmann
Die Gesellschaft ist das umfassendste soziale System, die laut Luhmann folgen-dermaßen definiert wird:
"Als Gesellschaft wird dasjenige soziale System bezeichnet, das alle sinnhaften Kommu-nikationen einschließt und sich immer dann bildet, wenn im Anschluß an vorige Kommu-nikation oder im Hinblick auf weitere Kommunikation (also: autopoietisch) kommuniziert wird."[9]
Die Gesellschaft selbst besteht aus einzelnen Subsystemen, die füreinander und für das Gesamtsystem Gesellschaft eine Umwelt bilden. Die Subsysteme bestim-men selbst durch die Selektion und Komplexitätreduktion ihre Grenzen und damit ihre Identität, bleiben aber von ihrer Umwelt nicht unabhängig. Die Einheit des Gesellschaftssystems besteht demnach in der Differenz zwischen dem System und seiner Umwelt.[10]
Aus der Definition der Gesellschaft als soziales System sind grundlegend die Begriffe der sinnhaften Kommunikation und der Autopoiesis von entscheidend. Demnach ist die Kommunikation ausschließlich die Operationsweise der sozialen Systeme und alles was Kommunikation ist, wird als die Gesellschaft bezeichnet. Die Operationsweise der psychischen Systeme ist dagegen nicht die Kommunika-tion, sondern das Bewußtsein.
Die sozialen Systeme können über ihre Umwelt nur nach Maßgabe der Informationsverarbeitungskapazität kommunizieren und alles worüber nicht kommuniziert wird, hat keine gesellschaftlichen Auswirkungen.[11]
Die sozialen und psychischen Systeme werden als autopoietische Systeme erfaßt. Der Begriff der Autopoiesis wurde aus der Biologie in die Systemtheorie übernommen und wurde von den chilenischen Biologen Maturana und Varela geprägt. Sie haben die lebenden Systeme beobachtet und den Schluß gezogen, daß das Nervensystem funktionell und strukturell als geschlossenes System operierte.[12] Die Nervenzellen waren weitgehend autonom, aber nicht vollständig autark. Zur ihren Fortsetzung erzeugten sie ihre eigenen Aktivitäten und operierten ausschließlich aus sich selbst.
Anlehnend an die Studien der beiden Biologen formulierte Luhmann in seiner Theorie ein generalisiertes Autopoiesis-Konzept.[13] Das heißt, daß der Autopoiesis-Begriff auf unterschiedlichen Systemtypen verwendet werden kann. Darunter ist zwischen den lebenden, psychischen und sozialen Systemen zu unterscheiden. Der Autopoiesis-Begriff wurde von Luhmann folgendermaßen formuliert:
"Der Begriff bezieht sich auf (autopoietische) Systeme, die alle elementare Einheiten, aus denen sie bestehen, durch ein Netzwerk eben dieser Elemente reproduzieren und sich dadurch von einer Umwelt abgrenzen - sei es in der Form von Leben, in der Form von Bewußtsein oder (im Falle soziale Systeme) in der Form von Kommunikation. Autopoiesis ist die Kommunikationsweise dieser Systeme."[14]
Entscheidend dabei ist, daß die sozialen Systeme seine Operationen an die Kommunikation schließen, und die Autopoiesis des Systems nur dann gesichert ist, solange die sinnhafte Verarbeitung von Informationen fortgesetzt wird.[15] Das System führt eigene Unterscheidungen und anhand dieser Unterscheidungen wird die Information aus der Umwelt selektiert.
Zusammenfassend sind die sozialen Systeme durch folgende Merkmale definiert:
- die Operationsweise der sozialen Systeme ist die Kommunikation;
- sie reproduzieren sich dadurch, daß sie Kommunikation an Kommunikation anschließen;
- durch die sinnhafte Selektion der Information aus ihrer Umwelt erzeugen sie ihre eigenen Grenzen und bilden damit eine Einheit zwischen dem System und seiner Umwelt (System/Umwelt-Differenz);
- die sozialen Systeme sind hochgradig autonom, aber nicht autark; sie bleiben auf ihre Umwelt angewiesen;
- der Mensch, als psychisches System, ist für die sozialen Systeme ihre Umwelt;
3 Evolution und Komplexität
3.1 Komplexität und Systemdifferenzierung
Die soziale Evolution und damit immer mehr wachsende Komplexität ist in der Systemtheorie eng mit dem Begriff der Systemdifferenzierung verknüpft[16]. Systemdifferenzierung bedeutet demnach eine Wiederholung der Systembildung im System, also die Herausbildung einer Differenz zwischen System und seiner Umwelt. Sie führt zu der Veränderung des Systems selbst und seiner Umwelt. Die Differenz bedeutet aber nicht, daß das Subsystem aus dem System ausgeschert wird, sondern es bleibt als ein Teil des Gesamtsystems. Für Teilsysteme erscheint das Gesamtsystem als eine Einheit der Differenz von Teilsystem und Teilsystem-umwelt:
"Systemdifferenzierung heißt gerade nicht, daß das Ganze in Teile zerlegt wird und, auf dieser Ebene gesehen, dann nur noch aus den Teilen und den "Beziehungen" zwischen den Teilen besteht. Vielmehr rekonstruiert jedes Teilsystem das umfassende System, dem es angehört und das es mitvollzieht, durch eine eigene (teilsystemspezifische) Differenz von System und Umwelt."[17]
[...]
[1] Luhmann 2004: S.32
[2] Luhmann 2004: S.33
[3] Luhmann 2004: S.33 f.
[4] Luhmann 2004: S.204
[5] Luhmann 2004: S.207
[6] Luhmann 2004: S.203
[7] Luhmann 2004: S.74
[8] Hellmann 1996: S. 44
[9] Luhmann 2004: S.267
[10] Luhmann 2004: S.23
[11] Luhmann 2004: S.63
[12] Kneer 1996: S.310
[13] Kneer 1996: S. 316
[14] Luhmann 2004: S.266
[15] Luhmann 2004: S.44
[16] Kneer 1996: S. 363 f. f.
[17] Luhmann 1998: S. 598
- Quote paper
- Maritana Larbi (Author), 2004, Funktionale Differenzierung der modernen Gesellschaften in der Systemtheorie von Niklas Luhmann, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/48862
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