„Lina Braake oder Die Interessen der Bank können nicht die Interessen sein, die Lina Braake hat“und„Das Brot des Bäckers“: Zwei Filme, die Mitte der siebziger Jahre entstanden sind und sich beide der Zielsetzung verpflichtet haben, Sozialkritik mit Unterhaltung zu verbinden. Ein Anspruch mit dem sie damals (gemessen an ihrem Erfolg an Kinokasse und auf Preisverleihungen) den Nerv der Zeit trafen. Beide Werke verbindet darüber hinaus, dass sie sich als„`Lehrfilme´ über deutsche kapitalistische Zustände“ bezeichnen lasen. In dem Referat zum Sitzungsthema „Soziale Realitäten und Utopien“ am 11. Dezember 2003 wurde nur„Lina Braake“besprochen. Die Inhaltsangabe fällt daher bei dem zuvor nicht behandelten Film„Das Brot des Bäckers“etwas ausführlicher, bei„Lina Braake“dagegen etwas knapper aus. Hauptaugenmerk der Interpretationen beider Werke in der vorliegenden Referatsausarbeitung liegt auf der Art und Weise, wie die Regisseure Bernhard Sinkel und Erwin Keusch gesellschaftliche Probleme verarbeiten und welche Denkanstöße sie dem Publikum zu vermitteln versuchen. Die Filmanalysen (Kapitel 2.2.und 3.2.)sind zur besseren Übersichtlichkeit über die verschiedenen Aspekte des jeweiligen Films in knappe Teilüberschriften gegliedert. Die Diskussion in der Sitzung endete mit der Fragestellung, inwieweit die anfängliche Gesellschaftskritik in„Lina Braake“im weiteren Verlauf des Films durch zunehmende
Unterhaltungselemente geschmälert wird (vgl. 2.2.9.).In Kapitel 4. Von der List Lina Braakes zum Brot des Bäckers untersuche ich wesentliche Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Filme in ihrer sozialen Thematik und der Herangehensweise der Regisseure und ziehe abschließend ein kurzes Resümee (5.).
Schwierigkeiten ergaben sich bei der Suche nach Sekundärliteratur. Selbst die im Literaturverzeichnis angegebenen, wenigen Quellen widmen sich den beiden Filmen meist nur in einem kurzen Abschnitt. Die Ausarbeitung enthält daher entsprechend wenig Fußnotenverweise. Als hilfreich erwiesen sich zwei Filmkritiken des Magazins Der Spiegel aus den Jahren 1975 und 1977, die in ihrer knappen Analyse der Werke weiter reichten, als ein Großteil der Sekundärliteratur.
Inhaltsverzeichnis
1. Einführung
2. „Lina Braake oder Die Interessen der Bank können nicht die Interessen sein, die Lina Braake hat“ (Bernhard Sinkel 1975)
2.1. Inhalt
2.2. Eine Filminterpretation unter besonderer Beachtung der Verarbeitung gesellschaftlicher Problemthemen
2.2.1. Sinkels Grundhaltung und Darstellung der Personen
2.2.2. Hauptschauplatz: Altersheim
2.2.4. Die„Heiminsassen“ und das Leben in der Anstalt
2.2.5. Stilistische Mittel
2.2.6. Der Anzug als Zeichen des gesellschaftlichen Gegners
2.2.7. Aufstand der Alten und Schwachen
2.2.8. Sinkels Plädoyer
2.2.9. Diskussion: Wird die Sozialkritik des Films durch übermäßige Betonung der Unterhaltungselemente verwässert?
3. „Das Brot des Bäckers“ (Erwin Keusch 1976)
3.1 Inhalt
3.2. Eine Filminterpretation unter besonderer Beachtung der Verarbeitung gesellschaftlicher Problemthemen
3.2.1. „Illusion des Fortschritts“
3.2.2. Schauspieler als zentrales Element
3.2.3. Entfremdung des Handwerks
3.2.4. Die Kleidung der Personen
3.2.5. Veränderte Arbeitswelt des Bäckers
3.2.6. Keuschs Kernaussage
4. Von der List Lina Braakes zum Brot des Bäckers: Parallelen und Unterschiede
4.1.2. Hoffnungslosigkeit und Widerstand
4.1.3. Gleiche Kernthematik
5. Resümee
Literaturverzeichnis
1. Einführung
„Lina Braake oder Die Interessen der Bank können nicht die Interessen sein, die Lina Braake hat“ und „Das Brot des Bäckers“: Zwei Filme, die Mitte der siebziger Jahre entstanden sind und sich beide der Zielsetzung verpflichtet haben, Sozialkritik mit Unterhaltung zu verbinden. Ein Anspruch mit dem sie damals (gemessen an ihrem Erfolg an Kinokasse und auf Preisverleihungen) den Nerv der Zeit trafen.[1] Beide Werke verbindet darüber hinaus, dass sie sich als „`Lehrfilme´ über deutsche kapitalistische Zustände“[2] bezeichnen lasen. In dem Referat zum Sitzungsthema „Soziale Realitäten und Utopien“ am 11. Dezember 2003 wurde nur „Lina Braake“ besprochen. Die Inhaltsangabe fällt daher bei dem zuvor nicht behandelten Film „Das Brot des Bäckers“ etwas ausführlicher, bei „Lina Braake“ dagegen etwas knapper aus. Hauptaugenmerk der Interpretationen beider Werke in der vorliegenden Referatsausarbeitung liegt auf der Art und Weise, wie die Regisseure Bernhard Sinkel und Erwin Keusch gesellschaftliche Probleme verarbeiten und welche Denkanstöße sie dem Publikum zu vermitteln versuchen. Die Filmanalysen (Kapitel 2.2. und 3.2.) sind zur besseren Übersichtlichkeit über die verschiedenen Aspekte des jeweiligen Films in knappe Teilüberschriften gegliedert. Die Diskussion in der Sitzung endete mit der Fragestellung, inwieweit die anfängliche Gesellschaftskritik in „Lina Braake“ im weiteren Verlauf des Films durch zunehmende Unterhaltungselemente geschmälert wird (vgl. 2.2.9.). In Kapitel 4. Von der List Lina Braakes zum Brot des Bäckers untersuche ich wesentliche Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Filme in ihrer sozialen Thematik und der Herangehensweise der Regisseure und ziehe abschließend ein kurzes Resümee (5.).
Schwierigkeiten ergaben sich bei der Suche nach Sekundärliteratur. Selbst die im Literaturverzeichnis angegebenen, wenigen Quellen widmen sich den beiden Filmen meist nur in einem kurzen Abschnitt. Die Ausarbeitung enthält daher entsprechend wenig Fußnotenverweise. Als hilfreich erwiesen sich zwei Filmkritiken des Magazins Der Spiegel aus den Jahren 1975 und 1977, die in ihrer knappen Analyse der Werke weiter reichten, als ein Großteil der Sekundärliteratur.
2. „Lina Braake oder Die Interessen der Bank können nicht die Interessen sein, die Lina Braake hat“ (Bernhard Sinkel 1975)
Buch und Regie: Bernhard Sinkel Darsteller: Lina Carstens (Lina Braake), Fritz Rasp (Gustav Härtlein), Herbert Bötticher (Körner), Benno Hoffmann (Lawlonski), Rainer Basedow (Fink) Kamera: Alf Brustellin Musik: Joe Haider Ausstattung: Nikos Peraikis
Produktion: Bernhard Sinkel Filmproduktion / WDR Länge: 85 Minuten
2.1. Inhalt
Der 1975 uraufgeführte Spielfilm „Lina Braake“ erzählt die Geschichte einer aufgeweckten, alten Dame, die von einer Bank um ihr Wohnrecht gebracht wird und sich auf listige Weise rächt. Die 81jährige Lina Braake, eine „rüstige Rentnerin“, hat von ihrem Vermieter lebenslanges Wohnrecht zugesprochen bekommen. Doch dieser stirbt und der neue Besitzer, eine Bank, schiebt Lina Braake gegen ihren Willen in ein Altersheim ab. Die sympathische alte Dame kann sich dort nicht einleben. Sie wird schwächer und depressiver bis sie durch die Freundschaft mit Lawlonski, dem Hausmeister des Heims, und Dr. Gustav Härtlein, 84, ebenfalls „Heiminsasse“ neuen Mut bekommt. Härtlein, ein ehemaliger Finanzberater und Branchenkenner, entwickelt zusammen mit Lina Braake einen Plan, um sich an Linas Bank zu rächen. Sie erschwindelt sich Kreditwürdigkeit, nimmt 20.000DM Schulden und kauft davon im Namen ihres befreundeten italienischen Gastarbeiters Falcone ein Haus in Sardinien. Falcones Familie sichert der alten Dame lebenslanges Wohnrecht zu. Der Betrug währt nicht lange und die Rentnerin wird von der italienischen Polizei festgenommen. Sie wird zwar entmündigt, geht allerdings wegen ihres hohen Alters straffrei aus und weiß, dass sie gewonnen hat: Denn die Bank kann das Geld weder von ihr noch von den Falcones zurückverlangen.
2.2. Eine Filminterpretation unter besonderer Beachtung der Verarbeitung gesellschaftlicher Problemthemen
Bernhard Sinkels gesellschaftskritische Komödie thematisiert die inhumanen Methoden der Bankenbranche und den abwertenden Umgang der Gesellschaft mit alten Menschen, vor allem aber stellt „Lina Braake“ ein Plädoyer für Würde und Selbstbewusstsein dar.
2.2.1. Sinkels Grundhaltung und Darstellung der Personen
Sinkel orientiert sich in seiner Inszenierung nicht an einer möglichst realen Darstellung gesellschaftlicher Missstände, sondern vielmehr daran, eine unterhaltsame Parodie der Wirklichkeit zu erzeugen. Abgesehen von den beiden Hauptcharakteren Braake und Härtlein gleichen die übrigen Figuren wie der Heimleiter Körner, die grotesken Alten, der Hausmeister Jawlonski oder der Antiquitätenverkäufer Fink eher einer Karikatur. Dagegen wird die Protagonistin liebevoll mit ihren Ecken und Kanten gezeigt. Zu Beginn des Films zeigt sie beispielsweise dem Bankier, der ihr den Gebäudeabriss verkündet, offen ihren Zorn : „Das ist Betrug!“. Dem Heimleiter Körner zeigt sie ihre Abneigung durch den trockenen Kommentar: „Sie brauchen nicht so laut sprechen.“ Und nachdem der aufwendig geplante Coup funktioniert hat, gibt die sonst eher reservierte Braake ihrem Komplizen Härtlein vor Freude einen Kuss auf die Wange.
Sinkel versteht es, Mitgefühl für seine Heldin zu erwecken: Die sympathische Hauptfigur wird nicht nur aus Profitgier einer Bank ihrer Wohnung entledigt, sondern muss dann noch an den menschenunwürdigen Zuständen im Pflegeheim leiden. Der spätere Kreditbetrug wird also vor allem durch die Gewogenheit des Zuschauers gegenüber Braake und dem daraus resultierenden, uneingeschränkten Verständnis für ihre Rache an dem „hinterhältigen“ Wohnrechtsentzug getragen. Die prinzipiell unrechtmäßige Hintergehung der Bank wird so über die Identifikation mit der Heldin im persönlichen Rechtsempfinden des Rezipienten legitimiert. Die Vorgehensweise Braake als Charakter auszugestalten und ansonsten überwiegend karikierte Figuren zu zeigen, hebt die Individualität, den Eigensinn und die starke Persönlichkeit Lina Braakes besonders hervor.
2.2.2. Hauptschauplatz: Altersheim
Schauplatz der Handlung ist größenteils ein marodes Altersheim, das unter Leitung des unbeholfenen Heimleiters Körner steht. Die malerische Lage der Pflegeanstalt auf einer Anhöhe hebt hervor, dass sich das, was innerhalb der Mauern geschieht, gleichsam abgehoben von der Wirklichkeit vollzieht. Ähnlich dem Sanatorium in Thomas Manns Roman „ Der Zauberberg“ findet man auch hier eine für die meisten Alten hermetisch abgeriegelte Welt mit eigenen Gesetzen vor. Außerdem wird hiermit metaphorisch der gesellschaftliche Ausschluss der Alten, die Verbannung in einen kontrollierten, abgeschlossenen Raum akzentuiert.
2.2.4. Die„Heiminsassen“ und das Leben in der Anstalt
Die „Heiminsassen“ bestehen aus skurrilen Zeitgenossen wie etwa einem grotesken alten Zwillingspaar, das kurz nach Lina Braakes Einzug in deren Zimmer das Zeitliche segnet. Ein neuer Mitbewohner bedeutete für sie zu große plötzliche Veränderung nach einer Lebensphase voller Anstalts-Monotonie. Ein ebenso kauziger, permanent strickender Alter, flüchtet kurzzeitig aus dem Heim und berichtet nachher schwärmend von seinen Nächten auf Bahnhofsbänken: „Da war so viel los.“ Was man von dem Pflegeheim nicht behaupten kann: Der jährliche Höhepunkt des Anstaltslebens besteht aus einem jämmerlichen Fest, das – so Härtlein - „von irgend einem Wohltätigkeitsverein“ gestiftet wird. Die übrige Zeit wird mit der Einhaltung kleinlicher Reglementierungen zugebracht.
So ist es kein Wunder, dass Lina Braake schon nach kurzer Zeit in Depressionen verfällt. Bezeichnenderweise ist der einzige, geistig hellwache „Insasse“ strafrechtlich entmündigt worden: Dr. Gustav Härtlein. De facto sind jedoch gerade die übrigen Bewohner entmündigt: ihnen wurde sukzessive die Verantwortung für sich selbst abtrainiert. Härtlein zu Braake : „Das ist doch genau das, worauf die [die Heimleitung, d. Verf.] aus sind. Dass wir wie unmündige Kinder werden.“ Das Altenheim wird von Sinkel als Institution des Freiheitsentzugs enttarnt. So verkündet Härtlein Lina Braake nach ihrer Ankunft die Hausordnung der Anstalt in einem Tonfall, der der obligatorischen Verlesung der Rechte eines US-Krimi-Polizisten für einen gerade Verhafteten nahe kommt. (Härtlein: „Die Heiminsassen müssen pünktlich […] “.)
Derart verhält sich auch Anstaltschef Körner, der mit den Alten unentwegt wie mit Kleinkindern spricht. Ironischerweise lässt er dabei zahlreiche Variationen des Satzes „Sie sollen es gut haben, unsere Alten“ von sich. Seine permanente „Wir wollen nur ihr Bestes“ - Litanei, sein überhebliches Verhalten und seine Unbeholfenheit degradieren ihn zur ausgemachten Witzfigur des Films.
Der Zuschauer begreift schnell, dass er hier keine plausible Milieustudie über den Alltag in deutschen Altersheimen serviert bekommt. Sinkel verfremdet und ironisiert: immer mit dem Auge auf Sprachwitz und Unterhaltung.
2.2.5. Stilistische Mittel
Die gestalterischen Mittel des Regisseurs werden der Theaterhaftigkeit seiner Inszenierung unterworfen. Die zurückhaltende Kameraarbeit beschränkt sich auf die Betonung von Nahaufnahmen der beiden Hauptdarsteller, vor allem natürlich von Lina Braake. Beispielsweise beobachtet sie kurz nach ihrer Ankunft im Heim ihre neue Umgebung und die dahinvegetierenden Alten. Das Publikum bekommt durch eine Nahaufnahme von dem Gesicht der Protagonistin ihr über die Mimik ausgedrücktes Entsetzen und ihre Trauer zu spüren. Teils scheint es, als würde die Kamera lediglich eine Bühne abfilmen. Wenn etwa der Antiquitätenhändler Fink dem strickenden Alten, eine Reise in den Süden aufzuquatschen versucht, lauscht den beiden Hausmeister Jawlonski – indem er direkt daneben steht. Die Kamera filmt diese Begebenheit in einer Einstellung ab, in der sich alle drei gleichzeitig nebeneinander befinden. Zahlreiche Einstellungen sind lang und der Schnittrhythmus des Films ist sehr gemächlich, was das ruhige, zeitlich der übrigen Welt entrückte Leben in dem Heim unterstreicht.
[...]
[1] Vgl. Fischer, Robert; Nembus, Joe: Der Neue Deutsche Film (1969-1980). München 1981. S. 107, S. 125-126.
[2] Pflaum, Hans Günther; Prinzler, Helmut: Film in der Bundesrepublik Deutschland. Bonn 1992. S.90.
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